Psychologie in Erziehung und Unterricht
3
0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/peu2024.art27d
111
2024
71Online-first
Empirische Arbeit: Ergebnisse einer experimentellen Studie zum Einfluss von Role Models auf das mathematische Fähigkeitsselbstkonzept von Viertklässler/innen
111
2024
Markus Spilles
Die aktuelle experimentelle Studie untersucht, ob die Auseinandersetzung mit narrativ dargebotenen Role Models das mathematische Fähigkeitsselbstkonzept von Viertklässler/innen beeinflussen könnte. N=741 Schüler/innen wurden randomisiert zwei unterschiedliche Versionen eines kurzen Textes über die Attributionen mathematischer Erfolge vorgelegt. In der ersten Version wurden Erfolge auf das Talent des Role Models attribuiert (Gruppe „Talent“). In der zweiten Version wurden Erfolge auf die Anstrengungsbereitschaft des Role Models attribuiert (Gruppe „Anstrengung“). Zudem wurde das Geschlecht variiert. Im Prä-Post-Vergleich entwickelten sich beide Gruppen signifikant unterschiedlich. Während sich das Fähigkeitsselbstkonzept der Gruppe „Anstrengung“ minimal erhöhte, ergab sich ein leicht negativer Trend für die Gruppe „Talent“. Darüber hinaus zeigte sich, dass insbesondere Kinder mit einem niedrigen Fähigkeitsselbstkonzept von dem Stimulusmaterial beeinflusst wurden (mittelstarker Effekt). Ein moderierender Effekt durch die Gleichgeschlechtlichkeit des Role Models wurde nicht festgestellt.
3_071_2024_Online-first_0001
n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2024, 71, Preprint Online DOI 10.2378/ peu2024.art27d © Ernst Reinhardt Verlag Ergebnisse einer experimentellen Studie zum Einfluss von Role Models auf das mathematische Fähigkeitsselbstkonzept von Viertklässler/ innen Markus Spilles Bergische Universität Wuppertal Zusammenfassung: Die aktuelle experimentelle Studie untersucht, ob die Auseinandersetzung mit narrativ dargebotenen Role Models das mathematische Fähigkeitsselbstkonzept von Viertklässler/ innen beeinflussen könnte. N = 741 Schüler/ innen wurden randomisiert zwei unterschiedliche Versionen eines kurzen Textes über die Attributionen mathematischer Erfolge vorgelegt. In der ersten Version wurden Erfolge auf das Talent des Role Models attribuiert (Gruppe „Talent“). In der zweiten Version wurden Erfolge auf die Anstrengungsbereitschaft des Role Models attribuiert (Gruppe „Anstrengung“). Zudem wurde das Geschlecht variiert. Im Prä-Post-Vergleich entwickelten sich beide Gruppen signifikant unterschiedlich. Während sich das Fähigkeitsselbstkonzept der Gruppe „Anstrengung“ minimal erhöhte, ergab sich ein leicht negativer Trend für die Gruppe „Talent“. Darüber hinaus zeigte sich, dass insbesondere Kinder mit einem niedrigen Fähigkeitsselbstkonzept von dem Stimulusmaterial beeinflusst wurden (mittelstarker Effekt). Ein moderierender Effekt durch die Gleichgeschlechtlichkeit des Role Models wurde nicht festgestellt. Schlüsselbegriffe: Verhaltensmodelle, Fähigkeitsselbstkonzept, Attributionen, Mathematik Results of an Experimental Study on the Influence of Role Models on the Mathematical Academic Self-Concept of Fourth-Grade Students Summary: The current experimental study investigates whether engaging with narratively presented role models could influence the mathematical academic self-concept of fourth-grade students. A total of N = 741 students were randomized to receive two different versions of a short text about the attributions of mathematical success. In the first version, successes were attributed to the talent of the role model (group “talent”). In the second version, successes were attributed to the willingness to exert effort of the role model (group “effort”). Additionally, gender was varied. In the pre-post comparison, both groups showed significant differences in development. While the academic self-concept of the “effort” group increased slightly, there was a slight decrease for the “talent” group. Furthermore, particularly children with a low academic self-concept were influenced by the stimulus material (medium effect size). No moderating effect due to the same-sex nature of the role model was found. Keywords: Role models, academic self-concept, attributions, mathematics Die Unterstützung eines positiven Fähigkeitsselbstkonzepts (FS), also einer positiven Annahme über die Höhe der eigenen Fähigkeiten (Dickhäuser, 2006), ist eine zentrale schulische Aufgabe (z. B. KMK, 2011; KMK, 2015). Es ergeben sich zahlreiche Argumente, warum das FS von Schüler/ innen unterstützt werden sollte (zum Überblick: Craven, Marsh & Burnett, 2004). Bspw. bestätigen Längsschnittstudien, dass sich fachliche Leistungen und das FS von Menschen wechselseitig beeinflussen (z. B. Marsh, Trautwein, Lüdtke, Köller & Baumert, 2006; Niepel, Brunner & Preckel, 2014), was vermutlich insbesondere im Unterrichtsfach Mathematik evident ist (Hübner, Wagner, Zitzmann & Nagengast, 2023). Die Förderung des FS ist somit kein Selbstzweck, sondern kann auf verschiedenen Ebenen folgenreich sein (Craven et al., 2004). 2 Markus Spilles Der aktuelle Beitrag beschäftigt sich mit einer spezifischen Möglichkeit zur Förderung des FS, die bislang noch nicht ausreichend empirisch untersucht wurde: Der FS-Förderung anhand der Auseinandersetzung mit narrativ dargebotenen Role Models (RM). RM bieten Inspirationen für die Bewältigung von Herausforderungen und können Schüler/ innen günstige Attributionsmuster im Hinblick auf Erfolge oder Misserfolge vermitteln (Gladstone & Cimpian, 2021), was für die Förderung des FS besonders relevant ist (O’Mara, Marsh, Craven & Debus, 2006; Dresel & Ziegler, 2006). Förderung des Fähigkeitsselbstkonzepts Das FS war in der Vergangenheit häufig primäres oder sekundäres Ziel von Interventionsmaßnahmen (O’Mara et al., 2006; Hattie, 1992). In einer umfassenden Metaanalyse von insgesamt 145 Studien und 200 Interventionen stellen O’Mara et al. (2006) heraus, dass Maßnahmen zu FS-Förderung im Schnitt durchaus effektiv sind (d = 0.51). Besonders erfolgreich waren Studien, in denen die multidimensionale Struktur des FS berücksichtigt wurde (d = 1.16), was bedeutet, dass z. B. spezifisch das mathematische FS gefördert und entsprechend auch gemessen wurde. Außerdem waren Interventionskonzepte besonders wirksam, bei denen Feedback zum Einsatz kam (d = 1.13). Hierunter erzielten drei Studien, bei denen attributionales Feedback gegeben wurde, den höchsten Effekt (d = 1.52). Somit scheint die Vermittlung günstiger Attributionsmuster, z. B. anhand von Feedback, zur Förderung des FS sehr vielversprechend. Vermittlung günstiger Attributionsmuster Attributionen sind Erklärungen für das Zustandekommen von Handlungsergebnissen (Grünke & Castello, 2014). Menschen führen Erfolge oder Misserfolge auf Variablen zurück, die innerhalb oder außerhalb der eigenen Person liegen (Lokalisation) und dabei entweder zeitlich variabel oder stabil sind (Stabilität). Somit erscheint es theoretisch als FS-dienlich, wenn Misserfolge auf zeitlich variable Faktoren (z. B. Kopfschmerzen bei einer Prüfung) oder auf außerhalb der Person gelagerte Faktoren (z B. die schlechte Luftqualität bei einer Prüfung) attribuiert werden. Erfolge hingegen sollten entsprechend auf in der Person gelagerte, stabile (z. B. die eigenen Fähigkeiten) oder variable (z. B. die Anstrengungsbereitschaft) Faktoren zurückgeführt werden. Dass die Vermittlung günstiger Attributionsmuster einen positiven Effekt auf das FS nehmen kann, kann einerseits aus der bereits vorgestellten Metaanalyse von O’Mara et al. (2006) abgeleitet werden, die darauf hindeutet, dass die Förderung durch attributionales Feedback besonders wirksam ist. Weitere Evidenz bieten Studien zu (Re-)Attributionstrainings, welche konkret auf die Vermittlung günstiger Attributionsmuster der Teilnehmenden abzielen (Finsterwald, 1999). In der Metaanalyse von Finsterwald (siehe auch Ziegler & Finsterwald, 2008) wurden 58 Studien ausgewertet, die darauf hindeuten, dass Attributionstrainings den Attributionsstil insbesondere in Bezug auf die Dimensionen Fähigkeit und Anstrengung sowie die Selbstwirksamkeitserwartungen 1 bei Mädchen und Jungen gleichermaßen moderat steigern können. Ziegler und Finsterwald (2008) erachten mit Blick auf die aktuelle Studie Attributionstrainings, die Beispielgeschichten verwenden, um den Attributionsstil von Schüler/ innen positiv zu beeinflussen, als äußerst vielversprechend. Alle vier Attributionstrainings, bei denen Beispielgeschichten eingesetzt wurden, erzielten hohe Effektstärken. Einen genaueren Blick auf die Sequenzierung der vermittelbaren Attributionen werfen Dresel und Ziegler (2006) in einer Interventionsstudie mit 140 Siebtklässler/ innen, in der die eigens 1 Die Selbstwirksamkeitserwartung ist die Einschätzung einer Person über deren persönliche Fähigkeiten in Bezug auf die Bewältigung neuer oder schwieriger Anforderungssituationen (Bandura, 1997). Das Konstrukt der Selbstwirksamkeit ist entsprechend mit dem des FS eng verwandt, wenn auch nicht gleichbedeutend. Im Gegensatz zur Situationsspezifität der Selbstwirksamkeitserwartung repräsentiert das FS eher eine breite und domänenspezifische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten. Role Models und mathematisches Fähigkeitsselbstkonzept 3 entwickelte Mathematiklernsoftware „Mathe- Warp“ eingesetzt wurde. Dresel und Ziegler (2006) realisierten hierbei sechs Trainingssitzungen à 60 Minuten, in denen die Sequenzierung der Attributionen von Erfolgen variiert wurde. Als besonders erfolgreich stellte sich ein Attributionsmuster heraus, bei dem die Erfolge in den ersten drei Sitzungen auf hohe Anstrengungen und in den letzten drei Sitzungen auf hohe Fähigkeiten attribuiert wurden. Es ergab sich sowohl ein kurzfristiger ( β = .18) als auch ein langfristiger ( β = .19) Effekt auf das mathematische FS. Aus den Ergebnissen lässt sich schließen, dass diese Sequenzierung von Attributionen Schüler/ innen aufzeigt, dass ihre Kompetenzen Folgen von Lernanstrengungen sind, was vermutlich gerade bei Schüler/ innen mit einem niedrigen FS in Kontrast zu den bisherigen Überzeugungen stehen dürfte. Role Models Die Annahme der aktuellen Studie ist, dass FS-dienliche Attributionsmuster nicht nur über attributionales Feedback oder Attributionstrainings vermittelt werden können, sondern auch über RM. In der Forschungsliteratur finden sich zwei zentrale RM-Theorien: Das Stereotype Inoculation Model (SIM) und die Motivational Theory of Role Modeling (MTRM) (Ahn, Hu & Vega, 2019). Das SIM definiert RM als erfolgreiche Individuen, die gemeinsame Merkmale wie Ethnizität oder Geschlecht mit bestimmten unterrepräsentierten und negativ stereotypisierten Gruppen in hochleistenden Bereichen (z. B. Frauen in MINT-Fächern) teilen. Diese RM beeinflussen Nachahmer/ innen, indem sie deren Bedenken bezüglich der Gruppenrepräsentation im stereotypisierten Bereich verringern und sie dadurch gegen Stereotypenbedrohung immunisieren. Die MTRM bietet eine breitere Definition und beschreibt RM als Individuen, die die Leistungen, Motivationen und Ziele von Nachahmer/ innen beeinflussen, indem sie als Verhaltensmodelle fungieren, aufzeigen, was erreichbar ist, und als Inspirationsquellen dienen. Die MTRM spricht damit eine breitere Zielgruppe an und fokussiert erreichbare Ziele und mögliche Wege dorthin, während das SIM eher auf die Reduktion von Stereotypenbedrohung einer spezifischen Gruppe abzielt. Im aktuellen Manuskript wird die Definition der MTRM zugrunde gelegt, mit Fokus auf die Beeinflussbarkeit des FS. Nach Gladstone und Cimpian (2021) können RM-Schüler/ innen auf verschiedene Arten präsentiert werden: Die persönliche Interaktion (z. B. Besuche von RM in Schulen zur Vermittlung beruflicher Perspektiven), das Betrachten von Videos, die Auseinandersetzung mit Geschichten oder anhand von Social Media. Exemplarisch untersuchten Lin-Siegler, Ahn und Chen (2016), inwiefern die Auseinandersetzung mit den Lebenswegen und -umständen berühmter Wissenschaftler/ innen (Albert Einstein, Marie Curie, Michael Faraday) die naturwissenschaftlichen Schulnoten und diverse motivationale Variablen (wie die Zielorientierung oder den Attributionsstil) von 402 Jugendlichen aus neunten und zehnten Klassen beeinflusst. Hierfür wurden die Teilnehmer/ innen randomisiert drei Versuchsbedingungen zugewiesen, in denen sie während drei Interventionstagen mit unterschiedlichen biografischen Erzählungen der Personen anhand von Lesetexten konfrontiert wurden: 1) Informationen zu den erfolgreichen Bildungs- und Wissenschaftskarrieren („achievement story“), 2) Informationen zu wissenschaftlichen Misserfolgen und deren Überwindung durch hohe Anstrengungen („intellectual struggle story“), 3) Informationen zu privaten Herausforderungen im Leben („life struggle story“). In den Ergebnissen zeigt sich, dass sich die Schulnoten der Jugendlichen in Abhängigkeit der Versuchsbedingung signifikant unterschiedlich entwickelten (sechswöchiger Abstand zwischen der ersten und zweiten Notengebung durch die Lehrkräfte) ( η ² = .02). Es ergab sich ein negativer Trend in der „achievement-story“-Gruppe und ein positiver Trend in der „intellectual-strugglestory“-Gruppe, während die Mittelwerte der „life-struggle-story“-Gruppe nahezu unverändert blieben. In den motivationalen Variablen konnten keine unterschiedlichen Entwicklungen beobachtet werden. 4 Markus Spilles Anhand der Studie von Lin-Siegler et al. (2016) wird deutlich, dass ein wesentlicher Bestandteil von RM die Vermittlung von Attributionsmustern ist (Gladstone & Cimpian, 2021). So wurde in der „intellectual struggle story“ vor allem die Bedeutung der Anstrengungsbereitschaft für den beruflichen Erfolg der Wissenschaftler/ innen betont (in der Person lokalisiert und zeitlich variabel), während die „achievement story“ eher auf die angeborenen Fähigkeiten attribuierte (in der Person lokalisiert und zeitlich stabil). Einhergehend mit diesem Narrativ lassen sich auch Bezüge zur Mindset Theorie (Dweck, 2006) ziehen (Gladstone & Cimpian, 2021), bei der postuliert wird, dass eine Überzeugung der Veränderbarkeit von Fähigkeiten (Growth Mindset) zu einer erhöhten Motivation, Ausdauer und Resilienz und im Kontrast dazu eine Unveränderbarkeitsüberzeugung (Fixed Mindset) zu einer begrenzten Sichtweise auf Fähigkeiten und einem geringeren Engagement bei der Bewältigung von Herausforderungen führt. Wirkungen von Role Models In der Forschungsliteratur zeigen sich positive Wirkungen von RM in verschiedenen Bereichen. In ihrem systematischen Literaturreview von insgesamt 55 Beiträgen zur Wirkung von RM in STEM-Fächern resümieren Gladstone und Cimpian (2021) insbesondere eine gesteigerte Motivation und Identifikation mit den STEM-Fächern der Schüler/ innen, wobei in einigen Studien auch positive Wirkungen auf die Schulnoten gefunden wurden (Lin-Siegler et al., 2016). Darüber hinaus identifizieren Gladstone und Cimpian (2021) vier mögliche Moderatoren. 1) Geschlecht: Schülerinnen lassen sich evtl. durch weibliche RM stärker beeinflussen, da sie sich besser mit ihnen identifizieren können. 2) Ethnizität: Gleiches gilt für Schüler/ innen und RM aus unterrepräsentierten Gruppen. 3) Alter: Die Wirksamkeit des RM könnte vom Alter der Schüler/ innen abhängen, wobei diesbezüglich keine klaren Hinweise gefunden wurden. 4) Identifikation: Bei Personen mit einer hohen STEM-Identifikation könnten RM mit ähnlichen Karrierewegen wirksamer sein, bei Personen mit einer geringen STEM-Identifikation könnten RM wirksamer sein, die überhaupt erst eine Identifikation ermöglichen. Diese Ergebnisse sind jedoch mit Zurückhaltung zu interpretieren, da keine metaanalytische Auswertung der Studien erfolgte. Ob sich RM auch spezifisch auf das FS von Schüler/ innen auswirken, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht hinreichend erforscht. Gladstone und Cimpian (2021) merken diesbezüglich an, dass bislang noch keine substanzielle Quantität an empirischen Studien zur Wirkung von RM auf die Motivation vorliegt, weshalb in ihrem Review auch keine spezifischen Outcome-Variablen differenziert wurden, sondern lediglich die Motivation als Globalkonstrukt in den Blick genommen wurde, unter dem verschiedene abhängige Variablen subsumiert wurden. Dies zeigt sich auch bspw. in der Studie von Stout, Dasgupta, Hunsinger und McManus (2011), die zwar namentlich das FS im Titel ihres Beitrags nennen, faktisch jedoch in den dargestellten Teilstudien primär die Selbstwirksamkeit und die Einstellungen bzw. Identifikationen mit den betrachteten Unterrichtsfächern beleuchten. Darüber hinaus ist anzumerken, dass die meisten Studien im Review von Gladstone und Cimpian (2021) College-Studierende (42 %) und die wenigsten Studien Grundschulkinder (9 %) fokussieren. Bei jüngeren Schüler/ innen scheint die Evidenzlage somit insgesamt am schwächsten. Implikationen für die aktuelle Untersuchung Aufgrund der bislang unzureichenden Studienlage untersucht die aktuelle Studie in einem experimentellen Design, ob die Darbietung von RM einen Einfluss auf das FS von Grundschulkindern nehmen könnte. Vor dem Hintergrund bisheriger Studienergebnisse zur FS-Förderung bzw. zur Wirkung von RM auf die Motivation ergeben sich dabei folgende Implikationen: Role Models und mathematisches Fähigkeitsselbstkonzept 5 Narrative Darbietung von Role Models mit ähnlichen Attributen In Anlehnung an die Untersuchung von Lin- Siegler et al. (2016) wird in der Studie mit narrativ dargestellten RM gearbeitet, die den Teilnehmenden als Lesetexte zur Verfügung gestellt werden. In vergangenen Studien konnte bereits gezeigt werden, dass ähnlich alten Schüler/ innen wie in der aktuellen Untersuchung die Attributionen von mathematischen Erfolgen durch schriftlich dargebotene RM vermittelt werden konnten (Bagès & Martinot, 2011). Auf RM aus dem realen Schulalltag von Schüler/ innen zu verweisen, wäre zwar denkbar, bietet jedoch nicht die Möglichkeit einer hinreichenden methodischen Kontrollierbarkeit. In Abgrenzung zu Lin-Siegler et al. (2016) sollten die RM jedoch im Vergleich zu den Versuchsteilnehmenden ähnlichere Attribute aufweisen. Nach Schwarzer und Jerusalem (2002) können Eltern, Lehrer/ innen, Sportler/ innen (etc.) zwar eine Modellwirkung ausüben, allerdings wird der soziale Vergleich durch große Distanzen erschwert. Entsprechend werden den Teilnehmenden RM aus der gleichen Jahrgangsstufe präsentiert. Variation des Geschlechts Gladstone und Cimpian (2021) vermuten, dass das Geschlecht des RM die Wirkung auf die Motivation moderieren könnte. Entsprechend wird bei der Darbietung der RM das Geschlecht des Modells zufällig variiert, um diese Wirkung im Hinblick auf das FS zu untersuchen. Darstellung von einflussreichen Attributionsmustern Aus vergangenen Untersuchungen (bspw. Dresel & Ziegler, 2006) ist bekannt, dass Leistungsfeedback, das bei Erfolgen zuerst auf Anstrengung und anschließend auf Fähigkeit attribuiert, eine besonders selbstkonzeptförderliche Wirkung hat. Auch in der Selbstwirksamkeitsforschung wird postuliert, dass sich selbst enthüllende Bewältigungsmodelle, die mit einem Problem zu kämpfen haben und dabei kommunizieren, wie sie dieses durch Selbstregulation überwinden, besonders einflussreich sind (Schwarzer & Jerusalem, 2002). Zudem zeigte sich bei Lin-Siegler et al. (2016), dass die Auseinandersetzungen mit den „intellectual struggle stories“, bei denen Wissenschaftler/ innen durch Anstrengungen ihre beruflichen Erfolge erzielten, die Noten der zugehörigen Gruppe verbesserten, während sich für die „achievement-story“-Gruppe (ausschließliche Darstellung von beruflichen Erfolgen) ein negativer Trend ergab. Da in der aktuellen Untersuchung erforscht werden soll, ob RM überhaupt einen Einfluss auf das FS von Schüler/ innen nehmen, werden diese beiden Extreme (Anstrengung führt zu Erfolg vs. Talent führt zu Erfolg) kontrastiert. Domänenspezifische Förderung und Messung des Fähigkeitsselbstkonzepts Um die Wahrscheinlichkeit für signifikante Effekte auf das FS zu erhöhen, sollte sowohl die Förderung als auch die Messung des FS domänenspezifisch erfolgen (O’Mara et al., 2006). Exemplarisch werden daher RM im Unterrichtsfach Mathematik präsentiert, ebenfalls wird das mathematische FS erfasst. Fragestellungen Fragestellung 1 (Attributionsmuster) Lässt sich das mathematische FS durch die Auseinandersetzung mit narrativ dargebotenen RM beeinflussen? Es wird vermutet, dass die Präsentation des Attributionsmusters „Anstrengung führt zu Erfolg“ das mathematische FS erhöht, während das Attributionsmuster „Talent führt zu Erfolg“ den gegenteiligen Effekt hat. Diese Vermutung wird mit deutlicher Zurückhaltung aus den Studienergebnissen von Dresel und Ziegler (2006) bzw. Lin-Siegler et al. (2016) abgeleitet, da in der geplanten Studie weder mit Feedback gearbeitet wird noch eine langfristige Auseinandersetzung mit RM stattfindet. 6 Markus Spilles Fragestellung 2 (initiale Fähigkeitsselbstkonzeptausprägung) Wird der Effekt aus Fragestellung 1 durch die initiale FS-Ausprägung moderiert? Interventionen zur Förderung des FS sind in der Regel besonders erfolgreich bei Schüler/ innen mit einem niedrigen FS (O’Mara et al., 2006; Ginsburg-Block, Rohrbeck & Fantuzzo, 2006). Es könnte somit davon ausgegangen werden, dass sich dieser Effekt auch im Kontext der FS-Förderung durch RM ergibt. Allerdings könnte der soziale Vergleich (Marsh, 1987) mit kompetenten RM bei dieser Zielgruppe auch zu einer Abschwächung des FS führen - ungeachtet der Tatsache, ob das RM auf Basis von Anstrengungen oder Talent gute Leistungen erbringt. Entsprechend wird Fragestellung 2 explorativ untersucht. Fragestellung 3 (Gleichgeschlechtlichkeit) Wird der Effekt aus Fragestellung 1 durch die Präsentation eines gleichgeschlechtlichen RM moderiert? Da RM mit ähnlichen Attributen einen stärkeren Einfluss auf die Motivation (Gladstone & Cimpian, 2021) bzw. die Selbstwirksamkeitserwartung (Schwarzer & Jerusalem, 2002) nehmen könnten, wird davon ausgegangen, dass das mathematische FS durch gleichgeschlechtliche RM stärker beeinflusst wird. Methode Durchführung Das Experiment wurde im Sommer 2022 bis Herbst 2022 und im Sommer 2023 umgesetzt. Es wurden Schulen im Einzugsgebiet der Stadt Wuppertal angefragt, die freiwillig am Projekt teilnahmen. Die Schüler/ innen wurden zunächst zu ihrem FS im Unterrichtsfach Mathematik befragt (T1). Anschließend wurde den Schüler/ innen zufällig eine Version der vier verschiedenen Stimuli (s. u.) vorgelegt (individuelle Randomisierung). Unmittelbar nach der Darbietung der RM wurde die Befragung wiederholt (T2). Die Untersuchung dauerte je Klasse ca. eine Schulstunde und wurde von Studierenden umgesetzt, die den Schüler/ innen die Items der Fragebögen vorlasen. Die Beschäftigung mit dem Stimulusmaterial erfolgte ohne auditive Unterstützung, da die Befragung im Klassenverband umgesetzt wurde. Stimulusmaterial Das selbstentwickelte Stimulusmaterial wird in Abbildung 1 dargestellt. Im Wesentlichen wurden in den RM-Darstellungen die beiden Attributionsmuster „Talent führt zu Erfolg“ und „Anstrengung führt zu Erfolg“ differenziert, die den Kindern per Zufall präsentiert wurden. Darüber hinaus wurde das Geschlecht der RM (weiblich: Lisa, männlich: Daniel) zufällig variiert. Über diesen Weg wurden den Kindern gleichgeschlechtliche und verschiedengeschlechtliche RM vorgelegt. Stichprobe An der Untersuchung nahmen insgesamt N = 741 Viertklässler/ innen aus 39 Schulklassen teil. Es wurden Schüler/ innen der vierten Klassenstufe in den Blick genommen, da das mathematische FS in dieser Altersstufe bereits differenzierter ausgeprägt ist als in jüngeren Altersstufen und somit auch multidimensional gemessen werden kann (Arens, Trautwein & Hasselhorn, 2011). Gleichzeitig ist anzunehmen, dass das mathematische FS in dieser relativ jungen Zielgruppe noch nicht ganz so stabil und somit beeinflussbarer ist als bei älteren Kindern und Jugendlichen. Eine Beschreibung der Stichprobe findet sich in Tabelle 1. Instrumente Fähigkeitsselbstkonzept Das mathematische FS wurde anhand von fünf Items (z. B. „Mathe fällt mir leicht.“) aus der deutschen Kurzversion des Self Description Questionnaire I (SDQ I) (Arens et al., 2011) auf einer vierstufigen Likert-Skala erfasst (stimmt nicht = 0 bis stimmt genau = 3). Die interne Konsistenz der Skala liegt bei Cronbachs α = .86. In die Auswertung wurde der Mittelwert der fünf Items einbezogen. Geschlecht Es wurde sowohl das Geschlecht des lesenden Kindes (Referenzkategorie: weiblich) als auch die Gleichgeschlechtlichkeit des RM (Referenzkategorie: anderes Geschlecht) erfasst. Role Models und mathematisches Fähigkeitsselbstkonzept 7 Gruppe „Talent“ Gruppe „Anstrengung“ N weiblich (%) Alter M (SD) Mathematiknote M (SD) Lehrkraftverhalten M (SD) initiales math. FS M (SD) Leseverständnistest M % (SD % ) 378 48 9.20 (0.55) 2.21 (0.94) 1.82 (0.98) 2.22 (0.63) 92 (14) 363 50 9.19 (0.69) 2.30 (0.92) 1.88 (0.97) 2.16 (0.66) 92 (16) Anmerkungen: Selbstkonzeptförderliches Lehrkraftverhalten: Range von 0 (nie) bis 4 (sehr oft). Math. FS: Range von 0 (stimmt nicht) bis 3 (stimmt genau). Zwischen beiden Gruppen liegen bzgl. aller Variablen keine signifikanten Unterschiede vor. Tab. 1: Stichprobenbeschreibung Attributionsmuster „Talent“ Attributionsmuster „Anstrengung“ Lisa/ Daniel geht in die Klasse 4 a von Frau Weber. Bei Frau Weber hat Lisa/ Daniel auch Matheunterricht. Schon zu Beginn der Schulzeit hat Lisa/ Daniel gemerkt, dass sie/ er einfach schneller rechnen kann als andere Kinder. Außerdem hat Lisa/ Daniel noch nie eine schlechtere Note als eine Eins in Mathe geschrieben. Lisa/ Daniel musste für Mathe auch noch nie wirklich lernen. Im Unterricht versteht sie/ er immer alles sofort. Frau Weber und Lisa/ Daniels Eltern sind der Meinung, dass Lisa/ Daniel einfach sehr talentiert ist. Lisa/ Daniel ist einfach geboren worden, um zu rechnen! Daher haben ihre/ seine Eltern und Frau Weber gemeinsam beschlossen, dass Lisa/ Daniel jetzt an einer Mathematik-Olympiade teilnehmen soll. Hier treten die besten Kinder aus ganz Deutschland gegeneinander an und rechnen um die Wette. Das Kind, das die Olympiade am Ende gewinnt, bekommt sogar einen tollen Preis von 500 Euro. Und tatsächlich hat Lisa/ Daniel bei der Mathematik- Olympiade den ersten Preis gewonnen. Eigentlich ist es nicht verwunderlich, dass Lisa/ Daniel die Olympiade gewonnen hat. Lisas/ Daniels Mutter ist nämlich Mathematikprofessorin an einer Universität und unterrichtet junge Männer und Frauen, die einmal selbst Matheunterricht in der Schule geben wollen. Für Lisa/ Daniel steht jetzt fest, dass sie/ er später auch mal Mathematik studieren möchte. Nach der vierten Klasse geht Lisa/ Daniel auf eine Schule für Kinder, die besonders begabt für Mathe sind. Hier lernt sie/ er schon sehr früh Dinge, die andere Schülerinnen und Schüler erst sehr viel später im Unterricht lernen. Auf einer normalen Schule würde sie/ er sich vermutlich total langweilen. Lisa/ Daniel geht in die Klasse 4 a von Frau Weber. Bei Frau Weber hat Lisa/ Daniel auch Matheunterricht. Schon zu Beginn der Schulzeit hat Lisa/ Daniel gemerkt, dass sie/ er einfach nicht so schnell rechnen kann, wie die anderen Kinder. In der letzten Klassenarbeit hatte sie/ er eine ganz schlechte Note. Seit einiger Zeit läuft es für Lisa/ Daniel jetzt aber viel besser. Nach ihrer/ seiner letzten Mathearbeit und der schlechten Note hat Frau Weber mit Lisa/ Daniel und ihren/ seinen Eltern gesprochen. Dabei haben sie herausgefunden, dass Lisa/ Daniel in der Vergangenheit einfach viel zu wenig für Mathe gelernt hat. Frau Weber meinte, dass andere Kinder zu Hause viel mehr üben. Daher haben Lisa/ Daniel, ihre/ seine Eltern und Frau Weber gemeinsam beschlossen, dass Lisa/ Daniel jetzt jeden Tag für Mathe üben soll. Sie haben ihr einen richtigen Trainingsplan geschrieben: Jeden Tag mindestens 20 Minuten rechnen! Außerdem bekommt Lisa/ Daniel jetzt zweimal in der Woche Nachhilfe in Mathe. Hier hat sie/ er gelernt, dass es wichtig ist, auch mal Fehler zu machen. Denn nur aus Fehlern kann man wirklich lernen, sagt ihre/ seine Nachhilfelehrerin. In ihrer/ seiner letzten Klassenarbeit hat Lisa/ Daniel dann sogar eine Zwei geschrieben. Nur weil Lisa/ Daniel sich so toll angestrengt hat, hat sie/ er es geschafft, so eine gute Note zu schreiben. Das hat sie/ er sich selbst verdient! Seit Lisa/ Daniel mehr übt, ist sie/ er in Mathe richtig gut geworden. Sie/ er gehört sogar mittlerweile zu den besten Kindern in der Klasse und ist ein richtiger Mathe-Profi geworden! Lisa/ Daniel weiß jetzt, dass sie/ er in Mathe eigentlich total begabt ist. Es ist eigentlich super, dass sie/ er damals die schlechte Note geschrieben hat. Sonst hätte sie/ er das vielleicht niemals erkannt. Anmerkungen: Die verschiedenen Variationen des Stimulusmaterials („Talent“ vs. „Anstrengung“ bzw. weiblich (Lisa) vs. männlich (Daniel) wurden den Kindern randomisiert zugewiesen. Abb. 1: Stimulusmaterial 8 Markus Spilles Weitere Kontrollvariablen Zur statistischen Kontrolle wurde die Mathematiknote der Kinder mit in die Analysen einbezogen. Außerdem wurden auf Basis der Ausführungen von Spilles (2018) fünf Items zum selbstkonzeptförderlichen Mathematiklehrkraftverhalten formuliert (z. B. „Meine Mathematiklehrkraft zeigt mir, wie ich mich selber in Mathe verbessert (oder verschlechtert) habe und vergleicht mich dabei nicht mit anderen Kindern.“). Die Items wurden auf einer fünfstufigen Likert-Skala erfasst (nie = 0 bis sehr oft = 4). Die interne Konsistenz der Skala liegt bei Cronbachs α = .75. In die Auswertung wurde der Mittelwert der fünf Items einbezogen. Manipulationskontrolle Um zu kontrollieren, ob die Kinder die Informationen, die durch das Stimulusmaterial vermittelt werden, weitestgehend korrekt verstehen, wurde nach der Präsentation ein kurzer Leseverständnistest mit acht Entscheidungsfragen vorgelegt (bspw. „Lisa/ Daniel muss für Mathe immer richtig viel Lernen.“). Die Kinder konnten im Schnitt 92 % (SD = 15 %) der Fragen korrekt beantworten, was dafür spricht, dass die experimentelle Manipulation geglückt ist. Signifikante Unterschiede zwischen den Manipulationsgruppen lagen keine vor. Datenanalyse In der Stichprobe sind die Schüler/ innen in Schulklassen genestet. Die statistische Analyse der Daten erfolgte daher anhand einer Mehrebenen-Regressionsanalyse (Random-Intercept). Zur Beantwortung der Fragestellungen wurden drei Modelle gerechnet. Die abhängige Variable stellt jeweils das mathematische FS zum T2 (nach Präsentation des Stimulusmaterials) dar. Modell 1 beinhaltet die Haupteffekte für das initiale FS, die Mathematiknote, das selbstkonzeptförderliche Lehrkrafthandeln, das Geschlecht des lesenden Kindes, die Gleichgeschlechtlichkeit des RM sowie zur Beantwortung der ersten Fragestellung das Attributionsmuster des Stimulusmaterials (Referenzkategorie: „Talent“). Das zweite Modell beinhaltet zur Beantwortung der zweiten Fragestellung zusätzlich die Interaktion von Attributionsmuster und initialem FS. Zur Beantwortung der dritten Fragestellung wird im dritten Modell zusätzlich zu Modell 1 die Interaktion von Attributionsmuster und Gleichgeschlechtlichkeit des RM betrachtet. Die Rechnungen wurden mithilfe der R-Pakete lme4 (Bates, Mächler, Bolker & Walker, 2015) und lmerTest (Kuznetsova, Brockhoff & Christensen, 2017) durchgeführt. Ergebnisse Die Ergebnisse der Mehrebenenanalysen zur Beantwortung der drei Fragestellungen befinden sich in Tabelle 2. Fragestellung 1 (Attributionsmuster) In Modell 1 korrelieren das initiale mathematische FS (B = 0.89, p < .001) und die Mathematiknote (B = -0.03, p = .044) signifikant mit dem mathematischen FS zum T2. Darüber hinaus ergibt sich mit Blick auf die erste Fragestellung ein signifikanter Haupteffekt des Attributionsmusters (B = 0.06, p = .010). Deskriptiv zeigt sich, dass die Mittelwerte der Gruppe „Talent“ leicht absinken (M T1 = 2.22, SD T1 = 0.64, M T2 = 2.18, SD T2 = 0.68), während die Mittelwerte der Gruppe „Anstrengung“ leicht ansteigen (M T1 = 2.16, SD T1 = 0.66, M T2 = 2.19, SD T2 = 0.65). Der Unterschied zwischen beiden Gruppen zum T2 unter Korrektur der Vortestunterschiede zum T1 (Klauer, 2001) ist jedoch sehr gering (d korr = 0.11). Fragestellung 2 (initiale Fähigkeitsselbstkonzeptausprägung) Modell 2 klärt minimal mehr Varianz auf als Modell 1 (ΔR²m = .002, p = .006). Nach wie vor korrelieren das initiale mathematische FS (B = 0.94, p = .006) und die Mathematiknote (B = -0.03, p = .045) signifikant mit dem mathematischen FS zum T2. Der leicht erhöhte Wert für das initiale FS ist durch die Hinzunahme der statistischen Interaktion von initialem FS und Attributionsmuster zu erklären und bezieht sich auf die Referenzkategorie des Attributionsmusters („Talent“). Der Haupteffekt des Attributionsmusters bleibt unverändert (B = 0.06, p = .009). Mit Blick auf die zweite Fragestellung spricht die signifikante Interaktion von Attributionsmuster und initialem FS (B = -0.09, p = .006) Role Models und mathematisches Fähigkeitsselbstkonzept 9 Fragestellung 1 (Attributionsmuster) Fragestellung 2 (initiales FS) Fragestellung 3 (Gleichgeschlechtlichkeit) Prädiktoren B SE p B SE p B SE p initiales FS 0.89 0.02 < .001 0.94 0.03 < .001 0.89 0.02 < .001 Mathematiknote -0.03 0.02 .044 -0.03 0.02 .045 -0.03 0.02 .044 Lehrkraftverhalten 0.01 0.01 .210 0.01 0.01 .301 0.01 0.01 .221 Geschlecht des Kindes -0.02 0.02 .382 -0.02 0.02 .346 -0.02 0.02 .377 Gleichgeschlechtlichkeit 0.01 0.02 .660 0.01 0.02 .591 0.04 0.03 .197 Attributionsmuster 0.06 0.02 .010 0.06 0.02 .009 0.09 0.03 .005 Attributionsmuster × initiales FS -0.09 0.03 .006 Attributionsmuster × Gleichgeschlechtlichkeit -0.06 0.04 .162 Zufallseffekte σ 2 (Individuen) 0.09 0.08 0.09 σ 2 (Klassen) 0.00 0.00 0.00 ICC .00 .00 .00 Modellvergleich R²m/ R²c .804/ .804 .806/ .806 .804/ .804 AIC/ BIC/ Devianz 295.24/ 336.71/ 277.24 289.56/ 335.64/ 269.56 295.27/ 341.35/ 275.27 p (Chi-Quadrat-Test) < .001 (vs. Nullmodell) .006 (vs. Modell 1) .161 (vs. Modell 1) Tab. 2: Ergebnisse der Mehrebenenanalysen Anmerkungen: Abhängige Variable: Mathematisches FS zum T2. 3 2 1 0 2.92 (0.97) 2.92 (0.98) 2.89 (0.19) 2.85 (0.22) hohes FS (N = 190) 2.21 (0.30) 2.14 (0.29) 2.19 (0.38) 2.14 (0.38) durchschnittliches FS (N = 438) 1.09 (0.31) 0.95 (0.46) 1.16 (0.57) 1.04 (0.46) niedriges FS (N = 113) T1 T2 Anstrengung Talent Abb. 2: Ergebnisvisualisierung 10 Markus Spilles dafür, dass sich die Manipulationsbedingungen auf Kinder mit unterschiedlich hohem mathematischen FS differenziert auswirken. Abbildung 2 visualisiert den Effekt auf Basis von drei Subgruppen, die anhand der Abweichungen von ± einer SD vom Mittelwert gebildet wurden. Für Kinder mit einem durchschnittlichen (N = 438) und überdurchschnittlichen (N = 190) mathematischen FS liegen praktisch keine nennenswerten Veränderungen vor. Für die Gruppe der Kinder mit einem unterdurchschnittlichen mathematischen FS (N = 113) zeigen sich jedoch deutliche Entwicklungen. Die Mittelwerte der Gruppe „Talent“ sinken leicht ab (M T1 = 1.09, SD T1 = 0.31, M T2 = 1.04, SD T2 = 0.46), die Mittelwerte der Gruppe „Anstrengung“ steigen hingegen an (M T1 =0.95, SD T1 =0.46, M T2 =1.16, SD T2 = 0.57). Dieser Effekt ist mittelstark (d korr = 0.59). Fragestellung 3 (Gleichgeschlechtlichkeit) Modell 3 kann nicht mehr Varianz aufklären als Modell 1 und 2. Auch hier korrelieren wieder das initiale mathematische FS (B = 0.89, p < .001) und die Mathematiknote (B = -0.03, p = .044) signifikant mit dem mathematischen FS zum T2. Der Haupteffekt des Attributionsmusters (B = 0.09, p = .005) ist etwas höher als zuvor und bezieht sich aufgrund der Hinzunahme der Interaktion von Attributionsmuster und Gleichgeschlechtlichkeit des RM auf die Referenzkategorie (anderes Geschlecht). Mit Blick auf die dritte Fragestellung fällt die Interaktion von Attributionsmuster und Gleichgeschlechtlichkeit nicht signifikant aus. Diskussion Die Ergebnisse der aktuellen Untersuchung bestätigen die Annahme, dass die Auseinandersetzung mit narrativ dargestellten RM tatsächlich einen Einfluss auf das mathematische FS von Viertklässler/ innen nehmen könnte (Fragestellung 1), was mit den bisherigen Studienbefunden zur Wirkung von RM auf die Motivation einhergeht (Gladstone & Cimpian, 2021). Dieser Effekt ist jedoch sehr gering und hat somit keine praktische Bedeutsamkeit. Bemerkenswert ist jedoch, dass der Manipulationseffekt bei Kindern mit unterschiedlichen FS-Ausprägungen unterschiedlich stark ausfällt (Fragestellung 2). Konkret zeigte sich im Vergleich beider Attributionsgruppen ein mittlerer Effekt bei Kindern mit einem niedrigen FS, wobei insbesondere der positive Trend in der Gruppe „Anstrengung“ herauszustellen ist. Keine nennenswerten Effekte ergaben sich hingegen bei Kindern mit einem mindestens durchschnittlichen FS. Dieser Befund bestätigt die Ergebnisse von O’Mara et al. (2006), die in ihrer Metaanalyse bei Schüler/ innen mit einem niedrigen FS die größten Interventionseffekte nachweisen konnten. Die Darbietung eines gleichgeschlechtlichen RM konnte entgegen der Erwartung die Wirkung nicht verstärken (Fragestellung 3), was in Widerspruch zu den bislang gefundenen Effekten von RM auf die Motivation steht (Gladstone & Cimpian, 2021). Da die Förderung eines positiven FS insbesondere bei Kindern mit einem niedrigen FS eine zentrale schulische Aufgabe ist (KMK, 2011; KMK, 2015), erscheint der Befund aus Fragestellung 2 von besonderer Relevanz. Die unterrichtliche Auseinandersetzung mit RM, die ihre Fähigkeiten durch internal-variable Faktoren wie bspw. ihre Lernanstrengungen verbessern konnten, wäre somit vermutlich tatsächlich ein sinnvoller Ansatzpunkt. An dieser Stelle sei jedoch darauf verwiesen, dass die hiesige Grundlagenstudie nicht als Interventionsstudie fehlinterpretiert werden darf. Perspektivisch wäre es daher relevant, die Ergebnisse in einer Feldstudie zu replizieren. Methodische Einschränkungen und Forschungsimplikationen Die Befunde der Untersuchung sind mit einigen methodischen Einschränkungen zu betrachten, weshalb hieraus weder auf eine grundsätzliche Beeinflussbarkeit des FS durch RM geschlossen werden darf noch direkte pädagogische Konsequenzen abgeleitet werden können. Role Models und mathematisches Fähigkeitsselbstkonzept 11 Erstens weist das durchgeführte Experiment eine geringe externe Validität auf. Rückschlüsse auf den Unterricht können somit nicht gezogen werden. Hierfür wären umfänglichere Interventionsstudien in realistischen Unterrichtssettings notwendig. Zweitens wurden keine Langzeiteffekte gemessen, die vor dem Hintergrund des experimentellen Charakters jedoch auch nicht zu erwarten gewesen wären. Auch hier wären langfristiger angelegte Interventionsstudien wünschenswert, die diese ersten eher vagen Befunde bestätigen. Drittens wurde der Effekt von RM auf das FS lediglich im Unterrichtsfach Mathematik untersucht. Diesen gilt es zukünftig auch für andere Domänen zu replizieren. Viertens wurden zwei stark konträre Versuchsbedingungen kontrastiert (Talent führt zu Erfolg vs. Anstrengung führt zu Erfolg). Die aktuelle Studie ist daher - wie schon erwähnt - nicht als Interventionsstudie interpretierbar. Perspektivisch sollten die Bedingungen mit einer unbehandelten Kontrollgruppe verglichen werden. Fünftens wäre es wünschenswert, wenn die Wirkung von RM mit ähnlichen vs. unähnlichen Attributen umfänglicher untersucht würde, da in der vorliegenden Studie nur die Gleichgeschlechtlichkeit in den Blick genommen wurde. So sprechen z. B. die im Manipulationsmaterial gewählten und sehr deutsch klingenden Namen (Lisa/ Daniel) unter Umständen nicht alle Schüler/ innen an, die am Versuch teilgenommen haben. Fazit Trotz der aufgeführten methodischen Einschränkungen bestätigt die aktuelle Untersuchung, dass die Darbietung von RM eine Möglichkeit darstellt, bereits im Grundschulbereich das FS insbesondere von Schüler/ innen mit einem geringen FS zu verändern. Die Studie bildet somit eine Grundlage zur weitergehenden Erforschung dieses Effekts. Wünschenswert wäre es, wenn künftige Studien die hier gefundenen Ergebnisse mit Designs replizieren, die eine größere externe Validität aufweisen. Literatur Ahn, J. N., Hu, D. & Vega, M. (2019). “Do as I do, not as I say”: Using social learning theory to unpack the impact of role models on students’ outcomes in education. Social and Personality Psycholog y Compass, 14, 1 - 12. https: / / doi.org/ 10.1111/ spc3.12517 Arens, A. K., Trautwein, U. & Hasselhorn, M. (2011). Erfassung des Selbstkonzepts im mittleren Kindesalter: Validierung einer deutschen Version des SDQ I. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 25, 131 - 144. https: / / doi.org/ 10.1024/ 1010-0652/ a000030 Bandura, A. (1997). Self-Efficacy: The Exercise of Control. Freeman. Bagès, C. & Martinot, D. (2011). What is the best model for girls and boys faced with a standardized mathematics evaluation situation: A hard-working role model or a gifted role model? British Journal of Social Psycholog y, 50, 536 - 543. http: / / dx.doi.org/ 10.1111/ j.20 44-8309.2010.02017.x Bates, D., Mächler, M., Bolker, B. M. & Walker, S. C. (2015). Fitting linear mixed-effects models using lme4. Journal of Statistical Software, 67, 1 - 48. https: / / doi. org/ 10.18637/ jss.v067.i01 Craven, R. G., Marsh, H.W., Burnett, P. (2004). Breaking the self-concept enhancement conundrum: Re-conceptualising the next generation of self-concept enhancement research. Zugriff am 4. 9. 2024 unter https: / / eprints. qut.edu.au/ 26642/ 1/ 26642.pdf Dickhäuser, O. (2006). Fähigkeitsselbstkonzepte: Entstehung, Auswirkung, Förderung. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 20, 5 - 8. https: / / doi.org/ 10.1024/ 1010-0652.20.12.5 Dresel, M. & Ziegler, A. (2006). Langfristige Förderung von Fähigkeitsselbstkonzept und impliziter Fähigkeitstheorie durch computerbasiertes attributionales Feedback. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 20, 49 - 63. https: / / doi.org/ 10.1024/ 1010-0652.20.12.49 Dweck, C. S. (2006). Mindset: The New Psychology of Success. Random House. Finsterwald, M. (1999). Die Wirksamkeit von Reattributionstrainings zur Verbesserung der Situation begabter Mädchen und Frauen: Ergebnisse einer Metaanalyse. Unveröffentlichte Master Thesis, Ludwig-Maximilians-Universität München. Ginsburg-Block, M. D., Rohrbeck, C. A. & Fantuzzo, J. W. (2006). A meta-analytic review of social, self-concept, and behavioral outcomes of peer-assisted learning. Journal of Educational Psychology, 98, 732 - 749. https: / / doi. org/ 10.1037/ 0022-0663.98.4.732 Gladstone, J. R. & Cimpian, A. (2021). Which role models are effective for which students? A systematic review and four recommendations for maximizing the effectiveness of role models in STEM. International Journal of STEM Education, 8, 1 - 20. https: / / doi.org/ 10.1186/ s40594-021-00315-x Grünke, M. & Castello, A. (2014). Attributionstraining. In G. W. Lauth, M. Grünke & J. C. Brunstein (Hrsg.), Interventionen bei Lernstörungen: Förderung, Training und Therapie in der Praxis (2. Aufl., S. 484 - 492). Göttingen: Hogrefe. Hattie, J. (1992). Self-Concept. Erlbaum. Hübner, N., Wagner, W., Zitzmann, S. & Nagengast, B. (2023). How strong is the evidence for a causal reciprocal effect? Contrasting traditional and new methods to investigate the reciprocal effects model of self-concept 12 Markus Spilles and achievement. Educational Psychology Review, 35, 1 - 45. https: / / doi.org/ 10.1007/ s10648-023-09724-6 Klauer, K. J. (2001). Handbuch kognitives Training. Hogrefe. KMK-Empfehlungen (2011). Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen. Zugriff am 23. 11. 2022 unter http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ Dateien/ veroeffentlichungen_beschluesse/ 2011/ 2011_10_20-Inklusive-Bildung.pdf KMK-Empfehlungen (2015). Empfehlungen zur Arbeit in der Grundschule. Zugriff am 23. 11. 2022 unter http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ Dateien/ pdf/ PresseUndAk tuelles/ 2015/ Empfehlung_350_KMK_Arbeit_Grund schule_01.pdf Kuznetsova, A., Brockhoff, P. B. & Christensen, R. H. B. (2017). lmerTest Package: Tests in linear mixed effects models. Journal of Statistical Software, 82, 1 - 26. http: / / dx.doi.org/ 10.18637/ jss.v082.i13 Lin-Siegler, X., Ahn, J. N. & Chen, J. (2016). Even Einstein struggled: Effects of learning about great scientists’ struggles on high school students’ motivation to learn science. Journal of Educational Psychology, 108, 314 - 328. https: / / doi.org/ 10.1037/ edu0000092 Marsh, H. W. (1987). The big fish little pond effect on academic self-concept. Journal of Educational Psychology, 79, 280 - 295. https: / / psycnet.apa.org/ doi/ 10.1037/ 0022-0663.79.3.280 Marsh, H. W., Trautwein, U., Lüdtke, O., Köller, O. & Baumert, J. (2006). Academic self-concept, interest, grades, and standardized test scores: Reciprocal effects models of causal ordering. Child Development, 76, 397 - 416. https: / / doi.org/ 10.1111/ j.1467-8624.2005.00853.x Niepel, C., Brunner, M. & Preckel, F. (2014). The longitudinal interplay of students’ academic self-concepts and achievements within and across domains: Replicating and extending the reciprocal internal/ external frame of reference model. Journal of Educational Psychology, 106, 1170 - 1191. https: / / doi.org/ 10.1037/ a0036307 O’Mara, A. J., Marsh, H. W., Craven, R. G. & Debus, R. L. (2006). Do self-concept interventions make a difference? A synergistic blend of construct validation and meta-analysis. Educational Psychologist, 41, 181 - 206. https: / / doi.org/ 10.1207/ s15326985ep4103_4 Schwarzer, R. & Jerusalem, M. (2002). Das Konzept der Selbstwirksamkeit. Zeitschrift für Pädagogik, 44, 28 - 53. https: / / doi.org/ 10.25656/ 01: 3930 Spilles, M. (2018). Selbstkonzeptförderung im schulischen Setting. Zeitschrift für Heilpädagogik, 69, 457 - 467. Stout, J. G., Dasgupta, N., Hunsinger, M. & McManus, M. A. (2011). STEMing the tide: Using ingroup experts to inoculate women’s self-concept in science, technology, engineering, and mathematics (STEM). Journal of Personality and Social Psycholog y, 100, 255 - 270. https: / / doi.org/ 10.1037/ a0021385 Ziegler, A. & Finsterwald, M. (2008). Attributionstrainings. In W. Schneider & M. Hasselhorn (Hrsg.), Handbuch der Pädagogischen Psychologie (S. 416 - 427). Göttingen: Hogrefe. Markus Spilles Bergische Universität Wuppertal School of Education (Institut für Bildungsforschung) Gaußstr. 20 42119 Wuppertal E-Mail: spilles@uni-wuppertal.de
