unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2007
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Kinder und häusliche Gewalt
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2007
Heike Rabe
Barbara Kavemann
In der neuen deutschen Forschung zum Thema Gewalt im Geschlechterverhältnis wird inzwischen mit einiger Selbstverständlichkeit auch die Situation von Mädchen und Jungen im Kontext von Gewalt in der Partnerschaft der Eltern thematisiert. Der folgende Beitrag zeigt Ausmaß und Auswirkungen von häuslicher Gewalt auf Kinder und Jugendliche sowie ausgewählte familienrechtliche Interventionsmöglichkeiten auf. Dabei wird der Begriff häusliche Gewalt definiert als Gewalt zwischen erwachsenen Personen, die in einer aktuellen oder ehemaligen Partnerschaft zueinander stehen (vgl. WiBIG 2004).
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Ausmaß häuslicher Gewalt Wie häufig und in welchen Situationen Kinder und Jugendliche von häuslicher Gewalt betroffen sind, ist mittlerweile aus verschiedenen Perspektiven bekannt. Diese Darstellung ist selten systematisch, und die Daten in Bezug auf die Kinder und Jugendlichen sind häufig „nur“ als ein Teilaspekt in Untersuchungen oder von Statistiken ausgewiesen. Trotzdem ist mittlerweile klar, dass Töchter und Söhne die Gewalt ihrer Eltern zu einem hohen Prozentsatz in unterschiedlichen Formen miterleben. Es liegen beispielsweise Daten darüber vor, wie viele SchülerInnen Gewalt zwischen ihren Eltern miterlebt haben (KFN-Schülerbefragungen 1998 - 2000), wie viele Kinder und Jugendliche mit ihren Müttern aufgrund von Gewalt jährlich in Frauenhäuser gehen (www.frauenhauskoordinierung.de, Statistiken zu Frauenhäusern und ihren Bewohnerinnen von 1999 - 2005) oder bei Polizeieinsätzen wegen häuslicher Gewalt die Wegweisung eines Elternteiles miterleben. Heynen (2004) unterscheidet dabei zwischen vier Bereichen von Gewalt, die sich nicht gegen die Kinder selbst, sondern gegen ein Elternteil richten: 1. Zeugung durch eine Vergewaltigung, 2. Misshandlungen während der Schwangerschaft, 242 uj 6 (2007) häusliche gewalt Unsere Jugend, 59. Jg., S. 242 - 249 (2007) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Kinder und häusliche Gewalt Ausmaß, Auswirkungen und rechtliche Interventionsmöglichkeiten Heike Rabe/ Barbara Kavemann In der neuen deutschen Forschung zum Thema Gewalt im Geschlechterverhältnis wird inzwischen mit einiger Selbstverständlichkeit auch die Situation von Mädchen und Jungen im Kontext von Gewalt in der Partnerschaft der Eltern thematisiert. Der folgende Beitrag zeigt Ausmaß und Auswirkungen von häuslicher Gewalt auf Kinder und Jugendliche sowie ausgewählte familienrechtliche Interventionsmöglichkeiten auf. Dabei wird der Begriff häusliche Gewalt definiert als Gewalt zwischen erwachsenen Personen, die in einer aktuellen oder ehemaligen Partnerschaft zueinander stehen (vgl. WiBIG 2004). Heike Rabe Jg. 1970; Juristin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Schwerpunkt Sozial- und Zivilrecht am Institut für gesellschaftswissenschaftliche und historisch-politische Bildung der TU Berlin Prof. Dr. Barbara Kavemann Jg. 1949; Dipl.-Soz., Dr. phil., Professorin an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin 3. Gewalterfahrung als Mitgeschlagene und 4. Aufwachsen in einem direkten Umfeld von Gewalt, Bedrohung und Demütigung. Im Folgenden werden einige Untersuchungen dazu ausgewählt und dargestellt. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf den Punkten 3 und 4. Neue Ergebnisse zu Gewalt gegen Frauen in Partnerschaften legte 2004 die Untersuchung zu „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ vor (Schröttle/ Müller 2004). Diese Untersuchung befragte 10.000 Frauen im Alter zwischen 16 und 85 Jahren nach ihren Gewalterlebnissen in unterschiedlichen Lebensbereichen. • 25 % der befragten 10.000 Frauen haben eine Form der körperlichen und/ oder sexuellen Gewalt durch einen Beziehungspartner erlebt. • Von diesen Frauen hat ein Drittel einmalig Gewalt erlebt, ein Drittel 2bis 10mal und ein Drittel 10bis 40-mal. • 64 % erlitten Verletzungen von Prellungen und Hämatomen bis zu Brüchen, Würgemalen und Kopfwunden (vgl. Schröttle/ Müller 2004). Die Daten weisen auch die Betroffenheit der Kinder und Jugendlichen von dieser Gewalt aus. Über die Hälfte von 485 befragten Frauen, die über ihre letzte gewaltbelastete Paarbeziehung sprachen, hatten zu dieser Zeit mit Kindern zusammengelebt. Sie berichteten mehrheitlich, dass die Kinder die Gewaltausbrüche miterlebt hatten. Sie hatten gehört (57 %) bzw. mit angesehen (50 %), was passierte. Nicht selten gerieten sie in die Auseinandersetzungen mit hinein (21 %) und wurden selbst körperlich angegriffen (10 %). Ein Viertel der Kinder versuchte, die Mutter aktiv zu verteidigen. Etwa 20 % derjenigen 799 Frauen, die in der letzten gewaltbelasteten Partnerschaft wiederholt Gewalt erlitten hatten, gaben die Geburt eines Kindes als das Lebensereignis an, das sie als Auslöser für den Beginn der Gewalt ansahen (ebd., 261). Weitere 10 % nannten die Schwangerschaft als Ereignis des Gewaltbeginns. Aber auch Schritte, die Rahmenbedingungen für eine Familiengründung schaffen, wie das Beziehen einer gemeinsamen Wohnung (14 %) oder die Eheschließung (38 %), können solche Lebensereignisse sein. Sie werden häufiger genannt als Einbrüche in die Lebensplanung wie z. B. Arbeitslosigkeit. Im Rahmen der Untersuchung wurde eine vertiefende Clusteranalyse mit 756 Fällen durchgeführt. Sie zeigte drei Typen von Gewaltbetroffenheit auf, wobei der „Schweregrad der Gewalt“ aus den Aspekten Waffengewalt, Verletzungsfolgen, Kontrollverlust sowie Angst vor ernsthafter Verletzung gebildet wurde: Gruppe 1: einmalige oder geringe Häufigkeit/ Intensität der Gewalt, Gruppe 2: mäßige bzw. hohe Häufigkeit/ Intensität, Gruppe 3: sehr hohe Häufigkeit/ Intensität (Schröttle/ Müller 2004, Anhang, 42). Die Häufigkeit bzw. Intensität der Gewalt gegen die Mutter stand im Zusammenhang mit Familiengründung und Kindern. In der Gruppe, in der die Häufigkeit und Intensität der Gewalt am höchsten war, trat sie oft auf, nachdem das Paar geheiratet hatte und zusammengezogen war, und zudem deutlich häufiger im Kontext von Schwangerschaft und Geburt der Kinder. Die Gewalt hatte außerdem innerhalb der Paarbeziehung am längsten angedauert und sie hatte zudem häufiger eine Vorgeschichte, in der die Gewalt an Häufigkeit und Intensität zugenommen hatte. Die Gewalt in dieser Gruppe konnte überwiegend durch Trennung und Scheidung und fast nie innerhalb der Paarbeziehung beendet werden (ebd., 45). häusliche gewalt uj 6 (2007) 243 Der traditionelle familiäre Rahmen - Zusammenleben, Eheschließung, Kinder - bedeutet offenbar eine starke Bindung an den gewalttätigen Partner und ein Hindernis, die Gewalt zu beenden. Gewalt eskaliert in diesem Muster, bis Trennung und Scheidung der einzige Ausweg sind, der allerdings keinesfalls immer zu der erhofften Beendigung der Gewalt führt. Die Töchter und Söhne in diesen Familien leben somit verhältnismäßig lange Zeit mit der Gewalt, sind möglicherweise häufiger selbst unmittelbar von Gewalt betroffen und haben zusätzlich sehr oft die Trennung vom Vater zu verkraften. Herbers, Lütgert und Lambrecht (2007) berichteten im Rahmen einer Analyse von 54 polizeilichen Akten, denen ein Verfahren wegen versuchter und vollendeter Tötungsdelikte an Frauen durch ihre (Ex-)Partner zugrunde lag, dass in knapp 60 % dieser Fälle zum Tatzeitpunkt Kinder im Haushalt des Opfers lebten. Ein Teil dieser Kinder hatte das Tatgeschehen unmittelbar miterlebt: In einem Viertel aller analysierten Fälle waren Kinder bei der Tatausführung anwesend, teilweise griffen sie aktiv in das Tatgeschehen ein. Die genauen Folgen für diese Kinder sind bisher selten ausdrücklich untersucht worden. Fest steht, dass sie einen sehr spezifischen Unterstützungsbedarf haben (vgl. z. B. Heynen 2005). Diese Kinder mussten ein Ereignis miterleben, das weit außerhalb des normalen Erfahrungshorizonts der meisten Menschen steht. Oftmals haben sie auch im Vorfeld der Taten bereits Gewalt zwischen den Eltern erleben müssen. Neuere Forschung weist auch auf einen sehr engen Zusammenhang zwischen häuslicher Gewalt und Kindesmisshandlung hin: Unabhängig davon, welche Perspektive die Untersuchungen verfolgten, sie kamen immer zu dem gleichen Ergebnis: Wird Gewalt gegen die Frau festgestellt, geht sie mit einem hohen Ausmaß an Gewalt gegen die Kinder einher - wird Gewalt gegen Kinder festgestellt, geht sie mit einem hohen Ausmaß an Gewalt gegen die Mütter einher. Beispielhaft für diese Forschungsergebnisse sind Hester/ Pearson (1998): Sie untersuchten 111 Kinderschutzakten einer Kinderschutzbehörde. In einem Drittel der Fälle waren Informationen über Gewalt gegen die Mutter vermerkt. Nachdem die Behörde zu häuslicher Gewalt fortgebildet worden war, stieg die Anzahl der Fälle, in denen häusliche Gewalt bekannt wurde, auf zwei Drittel. Vier Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung des zivilrechtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung wurde die gerichtliche Praxis in einer bundesweiten Untersuchung evaluiert. Das Bild über die Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz in der Praxis sowie über die Betroffenheit von Kindern schärft sich inzwischen. Die rechtstatsächliche Untersuchung zum Gewaltschutzgesetz hat im Rahmen der Analyse von insgesamt 2.216 zivil- und familiengerichtlichen Verfahren gezeigt, dass in rund drei Vierteln der Haushalte Kinder lebten. In 54 % der Verfahren wurde von dem/ der AntragstellerIn vorgetragen, dass Kinder von den Gewalthandlungen betroffen sind. In 48 % sind sie selbst Opfer, in 42 % ZeugInnen der Gewalttaten geworden. Bei 22 % der Kinder wurde über körperliche Gewalt wie Schläge, Tritte und Stöße berichtet (vgl. Rupp 2005). Auswirkungen Die Auswirkungen häuslicher Gewalt auf Kinder und Jugendliche können nicht pauschal definiert werden. Unabhängig von 244 uj 6 (2007) häusliche gewalt den individuellen Ressourcen der Kinder und ihren Zugangsmöglichkeiten zu externer Unterstützung müssen bei der Betrachtung der Auswirkungen u. a. Kontext, Schweregrad, Häufigkeit sowie Art der Gewalt unterschieden werden. So wird Partnerschaftsgewalt mit dem Muster „seltener, weniger verletzungsträchtig“ andere Auswirkungen haben als Gewalt mit dem Muster von „wiederholten, schweren körperlichen Misshandlungen im Zusammenhang mit Macht und Kontrolle“. Die Diskussion um die Situation dieser Kinder und die daraus resultierenden Anforderungen an das Unterstützungssystem wurde in Deutschland von Kavemann (2000) und Heynen (2001) eröffnet. Eine umfassende Metaanalyse des internationalen Forschungsstandes wurde 2002 von Kindler vorgelegt. Diese bezieht sich überwiegend auf die Kinder und Jugendlichen, die wiederholte und/ oder schwere Formen der Gewalt miterlebt haben. Zentrale Ergebnisse sowie Schlussfolgerungen dieser Analyse und eigener Arbeiten münden in das „Handbuch Kindeswohlgefährdung nach § 1666 und ASD“ (2006). Dort werden drei zentrale Aussagen zu Partnerschaftsgewalt festgestellt: • Überwiegend zeigt sich, dass „zumindest zeitweise einzelne Merkmale einer Belastungsstörung feststellbar waren, die sich bei einer substanziellen Minderheit zu einer klinisch relevanten posttraumatischen Belastungsstörung verdichteten“. • Im Hinblick auf die schulische Entwicklung zeigt sich eine deutliche Unterdrückung der schulischen Begabung. • Die betroffenen Kinder waren „im Mittel deutlich durch häufigere bzw. intensivere Verhaltensprobleme“ beeinträchtigt. • „Im Mittel bestehen Zusammenhänge zwischen der Ausübung von Partnerschaftsgewalt und Einschränkungen der Erziehungs- und Kontaktfähigkeit“ (Kindler/ Lillig/ Blüm/ Werner 2006). Weitere beispielhaft ausgesuchte Forschungen belegen weitere Auswirkungen. Frauen, die Gewalt zwischen den Eltern miterlebt hatten, wurden später doppelt so oft in Beziehungen misshandelt wie diejenigen, bei denen es keine häusliche Gewalt in der Kindheit gab (vgl. Schröttle u. a. 2004). Die Annahme eines automatischen Gewaltkreislaufs stimmt zwar nicht mit den Ergebnissen der Forschung überein. Ein sehr starker Zusammenhang zwischen den Kindheitserfahrungen und eigenem Gewalthandeln ist jedoch belegt: Jugendliche, die Gewalt zwischen den Eltern miterlebt haben, wurden sehr viel häufiger selbst gewalttätig bzw. delinquent (vgl. Enzmann/ Wetzels 2001). Ausgewählte familienrechtliche Interventionsmöglichkeiten und ihre Grenzen Eine unmittelbare wie mittelbare Stärkung von Kinderrechten hat sich über die letzten Jahre in verschiedenen familienrechtlichen Bereichen vollzogen. Die Kindschaftsrechtsreform hat u. a. das Umgangsrecht des nicht sorgeberechtigten Elternteils mit seinem Kind auch als ein eigenes Recht des Kindes ausgestaltet. Es gibt inzwischen ein Gesetz, das Kindern ein Recht auf Gewaltfreiheit in der Erziehung zuerkennt (§ 1361 II des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB: „Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Misshandlungen, sind unzulässig.“). Ergänzend dazu trat im April 2002 das sogenannte Kinderrechteverbesserungsgesetz in Kraft. Es sieht unter anderem eine Ergänzung des § 1666 a BGB um die Wegweisungsmöglichkeit eines Elternteils vor. Liegt eine Kindeswohlgefährdung vor, kann das Gericht dem gewalttätigen Elternteil oder einem Dritten die Nutzung der gemeinsamen Wohnung entweder „vohäusliche gewalt uj 6 (2007) 245 rübergehend“ oder für „unbestimmte Zeit“ untersagen. Die Wegweisung ist als ultima ratio konzipiert, wenn staatliche Hilfeleistungen nicht mehr ausreichen. Hier ist an Situationen gedacht, in denen nach den Umständen grundsätzlich noch Aussicht auf eine Normalisierung der Verhältnisse besteht und dem gewalttätigen Elternteil mit der Maßnahme vor Augen geführt werden soll, wie er das Familienleben gefährdet. Veröffentlichte Rechtsprechung dazu gibt es bisher kaum, sodass wenig Erfahrung vorliegt, in welchen Lebenssachverhalten die rechtliche Maßnahme Anwendung findet. Anfang 2002 trat das sogenannte Gewaltschutzgesetz in Kraft, das sich in einem Teilbereich auf den Schutz vor häuslicher Gewalt bezieht. Parallel dazu fügten die meisten Bundesländer sukzessive eine neue Eingriffsbefugnis für eine mehrtägige Wegweisung bzw. ein mehrtägiges Betretungsverbot bei häuslicher Gewalt in ihre Polizeigesetze ein. Diese Wegweisung bezieht sich auf die Wohnung des Opfers, unabhängig davon, ob es die alleinige Wohnung des Opfers oder die gemeinsame Wohnung der (Ex-)PartnerInnen ist. Das Gewaltschutzgesetz normiert, stark vereinfacht gesagt, gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellungen. Bekannt gemacht wurde die Idee dieses Gesetzes oft durch die kurze Formel „wer schlägt, der geht“. Und dies spiegelt in kurzen Worten die Rechtsfolgen der Ansprüche, die Betroffene von Gewalttaten haben, wider. Es erfolgt zum Schutz der Betroffenen eine Trennung von Gewalttäter und Opfer, die zu Lasten des Täters geht. Er oder sie muss je nach individueller Antragstellung die gemeinsame Wohnung verlassen und darf sich zu bezeichnenden Orten, an denen sich das potenzielle Opfer aufhält, nicht nähern. Grundlage hierfür sind die Möglichkeiten aus §§ 1 und 2 Gewaltschutzgesetz. Jedoch kann dieses Gesetz den Schutz von Kindern vor häuslicher Gewalt „nur“ mittelbar verbessern. Kinder sind nicht anspruchsberechtigt, ihre Perspektive ist jedoch an einzelnen Stellen berücksichtigt worden. Der wesentliche Vorteil des Gewaltschutzgesetzes für Kinder ist aber die Verbesserung ihres Lebensumfeldes. Der gewalttätige Elternteil muss die Wohnung verlassen, und das kann durchaus für einige Monate angeordnet werden. Es besteht die Möglichkeit, die Gewalt zu beenden und die Situation zu beruhigen. Darüber hinaus gibt es einige „magere“ Verbindungslinien zur Kinder- und Jugendhilfe. Nach § 49 a II FGG soll das Familiengericht das zuständige Jugendamt in einem Verfahren zur Überlassung der Ehewohnung anhören, wenn Kinder in dem Haushalt leben und der Antrag zur Überlassung abgelehnt wird. Fällt eine Entscheidung in einem Wohnungszuweisungsverfahren, soll das Gericht das Jugendamt darüber informieren. Damit soll gewährleistet werden, dass sich das Jugendamt um den Schutz der Kinder und Jugendlichen kümmern kann. Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen zu dem Kinderrechteverbesserungsgesetz ist - wie auch kurz davor in den Beratungen zum Gewaltschutzgesetz - die Frage aufgeworfen worden, inwieweit Gewalttätigkeiten eines Elternteils gegenüber dem anderen Elternteil oder dem Kind Auswirkungen auf das Umgangsrecht haben sollen, wenn der gewalttätige Elternteil aus der Wohnung verwiesen wurde. Bedacht wurde ein gesetzlich festgelegter Ausschluss des Umgangsrechts für eine bestimmte Zeit. Der Gesetzgeber hat sich letztlich aber dagegen entschieden, da er davon ausgegangen ist, dass das geltende Recht ausreichend Möglichkeiten bietet. Diese Entscheidung hat sich in der Praxis als schwierig herausgestellt. In Bezug auf die gerichtliche Ausgestaltung des Umhäusliche gewalt 246 uj 6 (2007) gangsrechts gibt es derzeit weder eine einheitliche Verfahrensweise in der Berücksichtigung häuslicher Gewalt noch einen erkennbaren Einfluss der Forschungsergebnisse zu Art und Ausmaß häuslicher Gewalt (vgl. Rabe 2006). Auf der Grundlage der gesetzgeberischen Intention der Förderung gemeinsamer Elternverantwortung nach einer Trennung der PartnerInnen haben sich die gemeinsame Sorgeform und die Anordnung des Umgangs des Kindes mit beiden Elternteilen in streitigen familienrechtlichen Verfahren als richtungsweisend herausgebildet. Insbesondere der Vorrang des uneingeschränkten Umgangs mit dem nichtsorgeberechtigten Elternteil ist auf der einen Seite ein gewichtiger Bestandteil der Stärkung von Kinderrechten; auf der anderen Seite ignoriert diese Regelvermutung der kindeswohlförderlichen Wirkung von Umgangskontakten in Fällen häuslicher Gewalt Forschungsergebnisse, die belegen, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Miterleben von Gewalt gegen ein Elternteil und der Herausbildung kindlicher Verhaltensauffälligkeiten gibt. Sie ignoriert den nicht unerheblichen Überschneidungsbereich zwischen häuslicher Gewalt und Kindesmisshandlung sowie die belegte Tatsache, dass häusliche Gewalt häufig durch eine Wiederholungsgefahr geprägt ist und die Gefahr von Wiederholung und Steigerung der Gewalt in Trennungsphasen zunehmen kann. Eine qualitative Befragung von ExpertInnen aus verschiedenen Fachbereichen im Rahmen der Untersuchung zum Gewaltschutzgesetz hat die Schwierigkeiten in der Praxis erneut verdeutlicht. Überwiegend MitarbeiterInnen von Beratungsstellen, RechtsanwältInnen sowie AntragstellerInnen sahen gravierende Probleme in Bezug auf die Vereinbarkeit von gerichtlichen Schutzanordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz mit Umgangsregelungen. Hauptkritikpunkt war die mangelnde Differenzierung in den Entscheidungen zum Umgang, die die Gefährdung des gewaltbetroffenen Elternteils und die Belastung der Kinder unberücksichtigt lassen. Die Umsetzung der Anordnung unbegleiteten Umgangs bei Bestehen eines gerichtlichen Kontaktverbotes unterlaufe den Schutzanspruch, zum anderen würden die Kinder im Rahmen von Umgangskontakten vom Vater benutzt, um sich wieder der Mutter zu nähern. Dieselbe Kritik wurde auch an das Jugendamt adressiert (Rupp 2005). Zusammenfassung und Fazit • Wichtig ist eine weitere Differenzierung des Wissens um die Auswirkungen häuslicher Gewalt auf Kinder. Bisher liegen fundierte Forschungsergebnisse überwiegend vor zu der Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die eher schwere und/ oder regelmäßige Gewalt zwischen ihren Eltern miterlebt haben. Die Auswirkungen anderer Formen der Partnerschaftsgewalt sind erst in Ansätzen bekannt. Hierzu muss weitere Forschung angeregt und finanziert werden. • Notwendig ist die Organisation eines kontinuierlichen Wissenstransfers in die Felder der Jugendhilfe und Gerichte, insbesondere in den Bereich der Familiengerichte, sowie die Einbindung der beiden Institutionen in regionale oder lokale Kooperationen gegen häusliche Gewalt. • Entscheidend für eine bedarfsgerechte Hilfe sind der weitere Ausbau und die Absicherung von spezialisierten Unterstützungsangeboten für Kinder und Jugendliche, die von häuslicher Gewalt betroffen sind (siehe hierzu Heynen in diesem Heft). • Gerichtliche Entscheidungen zu Sorge- und Umgangsrechten eines gewalttätigen Elternteils müssen in Einklang gebracht werden mit den Auswirkungen häuslicher Gewalt. Um umfassenden Kinderschutz zu gewährleisten, ist es notwendig, in diesen Fällen Aspekte der Sicherheit der Kinder und auch des gewaltbetroffenen Elternteils als VersorgerIn dieser häusliche gewalt uj 6 (2007) 247 Kinder in gerichtlichen Entscheidungen zum Sorge- und Umgangsrecht sowie mögliche Auswirkungen des Miterlebens von häuslicher Gewalt auf das Kindeswohl nicht nur im Einzelfall, sondern regelmäßig abzuklären und zu berücksichtigen. Hierzu ist auch die Weiterentwicklung der Fachdiskussion zu Handlungsmodellen nötig. Weder die Forderung nach generellem Ausschluss des Umgangs bei häuslicher Gewalt noch die Entkopplung beider Themen haben sich als zielführend erwiesen. Erste Ansätze, wie die Diskussion um eine zeitweise Aussetzung des Umgangsrechtes bei Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz oder bei einem Aufenthalt im Frauenhaus, müssen weiterentwickelt und systematisiert werden. • Als eine Unterstützungsmöglichkeit der Kinder für eine Übergangszeit hat sich der begleitete Umgang erwiesen. Er bietet die Möglichkeit, eine Situation zu beruhigen und die Elternteile von der Verantwortung der Gestaltung des Umgangs zu entlasten. Er kann weitere Gefährdungen verhindern. Auch hier braucht es eine flächendeckende und bedarfsgerechte Bereitstellung eines qualifizierten Angebotes. Der begleitete Umgang ist eine eigenständige Leistung nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz, deren Einsatz nicht durch finanzielle Kürzungen verhindert oder gefährdet werden darf. • Es ist empfehlenswert, in Fällen häuslicher Gewalt eine regelmäßige Prüfung vorzunehmen, ob eine Verfahrenspflegschaft eine adäquate Unterstützung des Kindes sein könnte. Bei der Auswahl der jeweiligen Personen ist zu beachten, dass diese über eine qualifizierte multiprofessionelle Weiterbildung verfügen und sich im Bereich „häusliche Gewalt“ fortgebildet haben sollten. Spezifisches Wissen über häusliche Gewalt ist insbesondere erforderlich im Hinblick auf die anstehende Reform des familienrechtlichen Verfahrensrechtes (FGG-Reform) und der darin enthaltenen Erweiterung des Aufgabenkataloges der Verfahrenspflegschaft um die Vermittlung. Die klassische Mediation ist ein Verfahren, das in Fällen von Partnergewalt häufig nicht geeignet ist. Literatur Ehinger, U., 2001: Überlegungen und Vorschläge zur Verbesserung des Schutzes der Kinder in Fällen häuslicher Gewalt. In: Familie, Partnerschaft, Recht, 6. Jg., H. 4, S. 280 - 282 Enzmann, D./ Wetzels, P., 2001: Das Ausmaß häuslicher Gewalt und die Bedeutung innerfamiliärer Gewalt für das Sozialverhalten von jungen Menschen aus kriminologischer Sicht. In: Familie, Partnerschaft und Recht, 6. Jg., H. 4, S. 246 - 251 Herbers, K./ Lütgert, H./ Lambrecht, J., 2007 (im Druck): Tötungsdelikte an Frauen durch (Ex-) Intimpartner. Polizeiliche und nicht-polizeiliche Erkenntnisse zur Tatvorgeschichte. In: Kriminalistik, 61. Jg. Heynen, S., 2004: Prävention Häuslicher Gewalt. Kinder als Opfer häuslicher Gewalt. In: Kerner, H.-J./ Marks, E. (Hrsg.): Internetdokumentation Deutscher Präventionstag. Hannover. www.praeventionstag.de/ content/ 9_praev/ doku/ heynen/ index_9_heynen.html Heynen, S., 2005: Tötungsdelikte im Kontext häuslicher Gewalt und ihre Auswirkungen auf Kinder. In: Jugendhilfe, 43. Jg., H. 6, S. 312 - 319 Hester, M./ Pearson, C., 1998: From periphery to centre. Domestic violence in work with abused children. Bristol Kavemann, B., 2000: Kinder und häusliche Gewalt - Kinder misshandelter Mütter. In: Kindesmisshandlung und Vernachlässigung, 3. Jg., H. 2, S. 105 - 120 Kindler, H., 2002: Partnerschaftsgewalt und Kindeswohl. Eine meta-analytisch orientierte Zusammenschau und Diskussion der Effekte von Partnerschaftsgewalt auf die Entwicklung von Kindern: Folgerungen für die Praxis. München Kindler, H./ Lillig, S./ Blüml, H./ Meysen, T./ Werner, A. (Hrsg.), 2006: Handbuch Kindeswohlgefährdung nach § 1666 und allgemeiner Sozialdienst (ASD). München Rabe, H., 2006: Rechtlicher Schutz für Kinder vor häuslicher Gewalt. In: Kavemann, B./ Kreyssik, U. (Hrsg.): Handbuch Kinder und häusliche Gewalt. Wiesbaden Rupp, M., 2005: Rechtstatsächliche Untersuchung zum Gewaltschutzgesetz - Begleitforschung zum Gesetz zur Verbesserung des zivilrechtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung. Köln Schröttle, M./ Müller, U./ Glammeier, S., 2005: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Berlin. www.bmfsfj.de unter Forschungsnetz, Forschungsberichte Strasser, P., 2001: Kinder legen Zeugnis ab. Gewalt gegen Frauen als Trauma für Kinder. Innsbruck/ Wien/ München häusliche gewalt 248 uj 6 (2007) WiBIG - Wissenschaftliche Begleitung Interventionsprojekte gegen häusliche Gewalt, 2004: Kurzfassung der Untersuchungsergebnisse. www.wibig.uni-osnabrueck.de, 30. 3. 2007, 34 Seiten Die Autorinnen Heike Rabe TU Berlin, Fakultät 1 - Geisteswissenschaften FR 4 - 7 Franklinstraße 28/ 29 10587 Berlin heike.rabe@tu-berlin.de Prof. Dr. Barbara Kavemann Düsseldorfer Straße 4 10719 Berlin barbara.kavemann@snafu.de häusliche gewalt uj 6 (2007) 249 2007. 356 Seiten. 4 Abb. 20 Tab. (978-3-497-01895-6) kt € [D] 34,90 | € [A] 35,90 | SFr 58,50 Dieses Buch widmet sich auf einfühlsame Weise vielfältigen sozialen Schwierigkeiten von Jungen und Männern wie Beziehungsunfähigkeit, Depression, Sucht, Arbeitslosigkeit, Burnout, Gesundheitsgefährdung und Kriminalität. Die Herausforderung für die Soziale Arbeit besteht darin, Männer und Jungen für sich selbst zu sensibilisieren und sie in einem nichtrollenkonformen Selbstverständnis zu stärken. Ein weiteres Anliegen dieses Buches ist es, die Rolle von Männern als Helfer in der Sozialen Arbeit aufzuzeigen und entsprechende Tätigkeitsfelder zu schaffen, um Männer bei spezifischen Problemen zu beraten. a www.reinhardt-verlag.de
