unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2007
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Täterarbeit Häusliche Gewalt
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Stefan Beckmann
„Täterarbeit Häusliche Gewalt“ (TäHG) in Form von Trainingsprogrammen, die hier vorgestellt werden, zielt auf Verbesserung des Opferschutzes und Gewaltprävention: Misshandelte Frauen und ihre Kinder sollen größtmöglichen Schutz vor erneuten Gewalttaten ihrer Partner erhalten, und den teilnehmenden Männern – darunter viele Familienväter – sollen gewaltfreie Alternativen zu ihrem bisherigen Gewaltverhalten aufgezeigt werden.
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In der Gründungsphase des Berliner Interventionsprojekts gegen häusliche Gewalt (BIG) wurde 1991 das in Duluth, Minnesota (USA), 1980/ 81 ins Leben gerufene Domestic Abuse Intervention Project (DAIP) in Deutschland breiter bekannt (vgl. Kavemann u. a. 2001, 36ff). Zwei Jahre zuvor war die Gladbecker Frauenberatungsstelle vom damaligen Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit beauftragt worden, eine „Untersuchung zur Übertragbarkeit des Amerikanischen Modells DAIP“ auf deutsche Verhältnisse durchzuführen (Rösemann 1989). Das DAIP-Konzept basiert auf der Zusammenarbeit zwischen Frauenunterstützungsprojekten, Täterarbeitsprojekten, Polizei und Justiz. Der Erfolg einer Intervention in Fällen häuslicher Gewalt wird hier in der konkreten Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung zwischen diesen verschiedenen Institutionen gesehen. Auch Gondolf (2002) kommt in seiner Langzeitevaluationsstudie von vier US-amerikanischen Täterprogrammen zu dem Schluss: „Das Fazit unserer Evaluation lautet, das System ist ausschlaggebend. Das heißt, Programmresultate scheinen substanziell davon beeinflusst zu sein, wie gut die Polizei, die Justiz, die Bewährungshilfe, Frauenberatungsstellen und andere kommunale Einrichtungen/ Beratungsangebote zusammenarbeiten. Der Erfolg von Täterprogrammen könnte genauso stark auf die kommunale Entwicklung angewiesen sein wie auf den Entwicklungsstand des Programms selbst. Zusammengefasst, die Entwicklung in Richtung sogenannter koordinierter gemeinsamer 260 uj 6 (2007) häusliche gewalt Unsere Jugend, 59. Jg., S. 260 - 267 (2007) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Täterarbeit Häusliche Gewalt Anti-Gewalt-Arbeit mit erwachsenen männlichen Tätern in inter-institutionellen Kooperationsbündnissen gegen häusliche Gewalt Stefan Beckmann „Täterarbeit Häusliche Gewalt“ (TäHG) in Form von Trainingsprogrammen, die hier vorgestellt werden, zielt auf Verbesserung des Opferschutzes und Gewaltprävention: Misshandelte Frauen und ihre Kinder sollen größtmöglichen Schutz vor erneuten Gewalttaten ihrer Partner erhalten, und den teilnehmenden Männern - darunter viele Familienväter - sollen gewaltfreie Alternativen zu ihrem bisherigen Gewaltverhalten aufgezeigt werden. Stefan Beckmann Jg. 1964; Diplom- Pädagoge, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei WiBIG & Dissens e.V. häusliche gewalt uj 6 (2007) 261 Reaktion/ Verantwortung (im Sinne eines Interventionsprojektes) erscheint berechtigt zu sein“ (Gondolf 2002, 33, übersetzt von S. Beckmann). Die Diskussion über DAIP führte zu einer intensiven Auseinandersetzung mit neuen Strategien gegen Gewalt im Geschlechterverhältnis (Hagemann-White 1997). In den Vordergrund trat die interinstitutionelle Kooperation und damit auch die Kooperation zwischen Frauen- und Männerprojekten. Kurz skizziert, besteht das DAIP-Konzept aus folgenden Bausteinen (ausführlicher vgl. Rösemann 1989, 1994; Schall/ Schirrmacher 1995; Pence/ Paymar 1993): der Abstimmung zwischen den beteiligten AkteurInnen, welche Maßnahmen, Aktionen und Vorgehensweisen benutzt werden sollen, und der gemeinsamen Entwicklung entsprechender Richtlinien; einer Beaufsichtigung und Kontrolle der Maßnahmen; einer Regelung zum Datenschutz und zur Schweigepflicht; der Begleitung und Beratung für die Frau parallel zur Arbeit mit dem Täter; einer dezidierten Konfrontation des Täters mit seinem Gewalthandeln; einem Gruppenangebot für von Gewalt betroffene Frauen zwecks Information und Unterstützung und einer Aus- und Bewertung des Gesamtprozesses und des Täterprogramms vom Standpunkt der Frau aus (vgl. Kavemann u. a. 2001, 36; Rösemann 1994, 82f). Gerade die Erfahrungen in der Vernetzung und Kooperation zwischen den am DAIP- Konzept beteiligten Arbeitsbereichen wie Polizei, Justiz, Frauenunterstützung und Täterprogramm machten dieses Modell für deutsche Interventionsprojekte interessant. Definition von „häuslicher Gewalt“ im Rahmen interinstitutioneller Kooperationsbündnisse gegen häusliche Gewalt Täterarbeit im Rahmen von inter-institutionellen Kooperationsbündnissen gegen häusliche Gewalt bezieht sich fast ausschließlich auf männliche Täter. Mit „häuslicher Gewalt“ ist in diesem Kontext Gewalt von Männern gegenüber ihren Partnerinnen oder Ex-Partnerinnen gemeint, unabhängig davon, ob die PartnerInnen verheiratet waren oder nicht und ob sie einen gemeinsamen Haushalt führen oder geführt haben. Der Begriff umfasst auch Gewalt in gleichgeschlechtlichen Beziehungen. Eingeschlossen ist dabei in der Regel neben der physischen auch sexuelle, emotionale, soziale oder ökonomische Gewalt. Ganz überwiegend geht es in der „Täterarbeit Häusliche Gewalt“ um Gewalt von Männern gegen Frauen. Auch wenn im Zuge der Arbeit mit den Tätern weitere Gewalttaten der Männer offengelegt werden, wie z. B. sexuelle Gewaltdelikte im außerfamiliären Bereich oder Gewaltdelikte gegenüber anderen Männern, liegt der inhaltliche Fokus der Täterprogramme auf der Gewalt gegen die Partnerin bzw. Ex-Partnerin. Hier unterscheidet sich „Täterarbeit Häusliche Gewalt“ deutlich von anderen Formen einer Anti-Gewalt-Arbeit wie zum Beispiel dem Anti-Aggressivitäts-Training oder in Fällen von Kindesmissbrauch. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass Kinder, sofern sie in den Gewaltbeziehungen leben, immer auch (Mit-) Opfer sind. Sei es direkt oder indirekt zum Beispiel als ZeugInnen der Gewalt (vgl. Kavemann/ Kreyssig 2006). Thematisch findet sich dieser Aspekt leider aber nur rudimentär in den Konzeptionen hiesiger Täterprogramme wieder. Das ist umso bedauerlicher, als zwei in Deutschland durchgeführte Querschnittsevaluationen jeweils mehrerer Täterprogramme im Vergleich zeigten, dass über zwei Drittel der Teilnehmer von Täterprogrammen im Durchschnitt väterliche Verantwortung ausüben (vgl. WiBIG 2004, 57; Barz/ Helfferich 2006, 96; Beckmann/ Hafner 2006). Die Tatsache weiblicher Täterinnen häuslicher Gewalt soll an dieser Stelle nicht verleugnet werden. Bisher existiert in Deutschland aber noch kein ausgereiftes und über einen längeren Zeitraum erprobtes Curriculum für eine Anti-Gewalt-Arbeit mit Täterinnen häuslicher Gewalt. Auch ist ihre Hellfeldzahl bislang nicht hoch genug, als dass sich Täterprogramme ernsthaft gezwungen sähen, dem Phänomen Täterinnen curricular auf der Arbeitsebene zu begegnen. Der Vollständigkeit halber muss aber erwähnt werden, dass es mittlerweile einige wenige Täterprogramme gibt, die neben ihrer Arbeit mit Tätern häuslicher Gewalt auch mit entsprechenden Täterinnen arbeiten. Entsprechende Curricula sind perspektivisch zu entwickeln, wobei zu überprüfen ist, inwieweit sich Konzepte für Täter auf eine Arbeit mit Täterinnen übertragen lassen bzw. was wie gegebenenfalls konzeptionell verändert werden muss. Ziele von „Täterarbeit Häusliche Gewalt“ Primäre Ziele von „Täterarbeit Häusliche Gewalt“ sind die Verbesserung des Opferschutzes und die Gewaltprävention: misshandelten Frauen und ihren Kindern kurz- und langfristig einen größtmöglichen Schutz vor erneuten Gewalttaten ihrer Partner zu ermöglichen und den an den Programmen teilnehmenden Männern gewaltfreie Alternativen zu ihrem bisherigen Gewaltverhalten aufzuzeigen. Die Männer sollen lernen, Verantwortung für ihre Gewalttaten und ihr weiteres Handeln zu übernehmen sowie eine verbesserte Selbstwahrnehmung und Selbstkontrolle zu verwirklichen. Sie sollen lernen, sich in das bzw. die Opfer hineinzuversetzen und ihre Beziehungsfähigkeit hin zu einer egalitäreren Partnerschaft verbessern. Zugangsbedingungen zu den Täterprogrammen Männer kommen auf unterschiedlichen Wegen in Täterprogramme. Die Forschung zeigt, dass über zwei Drittel von ihnen auf der Grundlage einer sogenannten justiziellen Weisung oder Auflage, also über die Justiz motiviert, Kontakt mit einem Programm aufnehmen. Ein weiterer Anteil wird über die Partnerin oder andere Zugänge motiviert. Täterprogramme arbeiten daher sowohl mit über (staatliche) Institutionen motivierten Männern als auch mit sogenannten „Freiwilligen“. Oftmals vermischen sich in der Praxis verschiedene Zugänge und Motivationen miteinander (vgl. WiBIG 2004; Barz/ Helfferich 2006). Rechtliche Grundlage für justizielle Weisungen und Auflagen zur Teilnahme an Täterprogrammen (vgl. WiBIG 2004, 18ff) bilden die Rechtsinstitute der Paragrafen §§ 153 und 153 a der Strafprozessordnung (Einstellung des Verfahrens bei Erfüllung von Auflagen und Weisungen), § 56ff des Strafgesetzbuches (Verhängung einer Bewährungsstrafe) sowie § 59ff des Strafgesetzbuches (Verwarnung mit Strafvorbehalt). Nach einem Erstkontakt wird ein Erstgespräch mit dem Täter durchgeführt, in dem Grund und Motivation für die Kontaktaufnahme abgeklärt sowie über Rahmenbedingungen des Täterprogramms informiert wird. Signalisiert ein Mann im Erstgespräch eine unverrückbare Un- 262 uj 6 (2007) häusliche gewalt schuldsüberzeugung und keinerlei Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit seinem Gewaltverhalten, wird ihm die Programmteilnahme verweigert bzw. er lehnt von sich aus eine Programmteilnahme ab. Es existieren weitere Aufnahmebzw. Zulassungskriterien in Täterprogramme: Die Männer sind volljährig. Sie verfügen über ausreichende Kenntnisse der Sprache, in der der Kurs abgehalten wird, sind also in der Lage, den Inhalten und Gesprächen des Programms zu folgen. Sie besitzen ausreichende kognitive Fähigkeiten, dem Programmgeschehen zu folgen. Ein Tateingeständnis liegt vor, zumindest auf einer minimalen Basis, mit der sich arbeiten lässt (s. o.). Eine Mitarbeitsbereitschaft ist grundsätzlich gegeben. Die Männer werden im Erstgespräch als gruppenfähig eingestuft. Eine Verweigerung der Teilnahme kann erfolgen, wenn eine Substanzabhängigkeit (Alkohol, Drogen, psychotrophe Substanzen) deutlich wird oder schwere psychische Erkrankungen vorliegen. Letztlich entscheidet hier die Einschätzung des Einzellfalls. Viele Einrichtungen vereinbaren mit dem Täter einen Kontrakt oder Vertrag, der die Rahmenbedingungen der Arbeit definiert. Bedingung ist hier, dass der Täter den Vertrag unterzeichnet. Neben üblichen Rahmenbedingungen wie Fehlzeiten, pünktliches Erscheinen zu den Terminen, Dauer des Programms und der Sitzungen, Gewaltverzicht während der Teilnahme beinhalten die Verträge oftmals Regelungen zur Einschränkung der Schweigepflicht der Einrichtung gegenüber weisenden Institutionen (meist Amts-, Staatsanwaltschaft oder Gericht) und der Partnerin des Täters. Ausschlusskriterien aus dem laufenden Programm sind bzw. können sein: Der Mann wird erneut gewalttätig und macht seine Rückfälligkeit nicht zum Thema. Es zeigt sich, dass eine Verantwortungsübernahme nicht erfolgt. Die Bagatellisierung und Leugnung der Gewalt wird aufrechterhalten. Die Mitarbeit und Kooperation des Mannes unterschreitet ein für die Gruppenleitung akzeptables Mindestmaß. Der Täter verstößt wiederholt gegen die im Vorfeld akzeptierten Gruppenregeln und/ oder strapaziert seine Fehlzeiten über das festgelegte Maß. Kooperation mit der Partnerin Ein weiterer überaus bedeutsamer Punkt in Bezug auf Transparenz der Arbeit sowie des Opferschutzes bzw. der Wahrung der Sicherheit der Partnerinnen ist der Kontakt der Täterprogramme zu den Partnerinnen ihrer Klientel. Internationale Forschungen zeigen, dass die Teilnahme am Täterprogramm für die Partnerinnen mit einer der bedeutsamsten Gründe dafür ist, sich nicht von dem Täter zu trennen, sondern in der Gewaltbeziehung zu verweilen. Dadurch erhöht sich für die Frauen eklatant das Risiko, erneuter Gewalt ausgesetzt zu sein (vgl. Bennet/ Williams 2001). Die Dachorganisation von Täterprogrammen und assoziiertem Frauenunterstützungsservice im Vereinigten Königreich (UK) RESPECT benennt in ihrem 2004 veröffentlichten (Minimal-)Standardpapier zur Täterarbeit mehrere Gründe dafür, warum Täterprogramme das Risiko für die Partnerinnen, erneut Opfer von Gewalt zu werden, erhöhen (können), wenn Täterprogramme nicht Minimalstandards einhalten. Das Fazit von RESPECT (2004): Täter können ihre Teilnahme an einem Täterprogramm dazu missbrauchen, ihre Partnerin oder andere weiter zu manipulieren oder zu kontrollieren. Dem kann nur vorgebeugt werden, wenn die Partnerinnen über Inhalte und Rahmenbedingungen der Täterprogramme, Aufnahme, Abbruch, Ausschluss und Beendigung der Teilnahme des Täters am Programm sowie über eigene Sicherheitsvorkehrungen umfassend informiert werden. Ein Beispiel: Der Partnerin muss mitgeteilt werden, dass die Programmaufnahme ihres Partners nicht gleichbedeutend ist mit einem sofortigen Gewaltverzicht ihres Partners. Sie ist weiterhin gefordert (im Sinne eigener Sicherheit), eigene Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen oder aufrechtzuerhalten. Da es zur Zeit in Deutschhäusliche gewalt uj 6 (2007) 263 land keine systematische parallele Beratung der Partnerinnen oder entsprechende Gruppenangebote gibt, die dies realisieren könnten, kann dieser Informationsfluss nur gewährleistet werden, wenn die Täterprogramme von sich aus Kontakt zu den Partnerinnen ihrer Klientel aufnehmen. In den Teilnahmekontrakten wird in vielen Täterprogrammen darauf bestanden, sich die Kontaktdaten der Partnerinnen geben zu lassen. Den Frauen wird dann ein Gesprächsangebot mit den Fachkräften des Täterprogramms angeboten; keine Frau wird oder ist verpflichtet, darauf einzugehen. Lehnt sie das Gespräch ab, wird sie nicht weiter kontaktiert. Willigt sie ein, kommt es entweder zu einem persönlichen oder (weiteren) telefonischen Gespräch. Allen Partnerinnen wird das Angebot unterbreitet, jederzeit mit der Einrichtung Kontakt aufzunehmen und oder erneute Gewalt gegen sie mitzuteilen. Das Setting von Täterprogrammen „Häusliche Gewalt“ „Täterarbeit Häusliche Gewalt“ wird in den meisten Täterprogrammen als Gruppenarbeit durchgeführt, eine Einzelarbeit erfolgt in der Regel nur in begründeten Ausnahmefällen. Die Gruppensitzungen sind wöchentlich und dauern zwischen 2 und 2,5 Stunden. In einigen Programmen werden Termine auch zu Blockveranstaltungen am Wochenende zusammengefasst. Die Gruppengrößen variieren zwischen 4 und 12 Teilnehmern, wobei als optimale Gruppengröße 6 bis 10 Teilnehmer gelten. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass nicht alle Täterprogramme den gleichen Zulauf haben. Das hängt u. a. mit ihrem Bekanntheitsgrad in der Region, aber auch mit der Zuweisungspraxis der Justiz zusammen. So konnten in der WiBIG-Begleitforschung zur „Täterarbeit Häusliche Gewalt“ einige der begleiteten Einrichtungen zu Beginn nur in Einzelarbeit tätig sein, da nicht genügend Männer für eine Gruppenarbeit zustande kamen. Sowohl die Wi- BIG-Studie zur Täterarbeit als auch die jüngere Evaluationsstudie von Monika Barz und Cornelia Helfferich (2006) zeigen, dass Täterprogramme im Kontext von Interventionsprojekten gegen häusliche Gewalt ohne ausreichende justizielle Weisungen nicht genügend Teilnehmer für ihre Gruppenangebote gewinnen konnten (Barz/ Helfferich 2006; WiBIG 2004). Die Gruppen werden im Regelfall von einem Zweierteam angeleitet, wobei sich in vielen Täterprogrammen eine gemischtgeschlechtliche Teamkonstellation bewährt und durchgesetzt hat. Nur in einigen Programmen wird die Arbeit nach wie vor ausschließlich von einem reinen Männerteam übernommen. Die Tendenz entwickelt sich aber eindeutig zugunsten der gemischten Teams. Von der WiBIG befragte Teilnehmer von Täterprogrammen gaben auf Nachfrage, welche der beiden Teamkonstellationen sie für sinnvoller halten würden, an, dass ein Mann/ Frau-Team ihnen lieber wäre. Die beiden Hauptgründe dafür waren, dass es im gemischten Team schwerer sei, männerbündisches Verhalten aufrechtzuerhalten bzw. zu initiieren, und dass es ihnen deutlich leichter falle, Empfindungen von Frauen anzunehmen, wenn ihnen Frauensichtweisen von Beraterinnen vermittelt bzw. sie damit durch Beraterinnen konfrontiert würden. Hier bedarf es in den Gruppenleitungen aber eines hohen Maßes an Reflexion, damit Teamerinnen nicht auf die Rolle einer „Alibi“-Frau reduziert werden. Für gemischte Teams spricht auch, dass die Gruppenleitung ein Vorbild liefern kann, wie eine egalitäre (Arbeits-)Beziehung zwischen Männern und Frauen aussehen kann. Bedeutsam ist hier besonders, wie die Teams mit Kontroversen vor den Teilnehmern umgehen. 264 uj 6 (2007) häusliche gewalt Deutliche Unterschiede zwischen den Programmen liegen in ihrer zeitlichen Länge. Die kürzeren Programme umfassen 12 Termine, das längste zur Zeit durchgeführte Programm in Deutschland hingegen 26 Termine. Einige Programme planen sogar, die Dauer auf 30 Termine zu erhöhen. Da die Gruppengrößen sich nur marginal unterscheiden, ist davon auszugehen, dass in den kürzeren Programmen nur ein Teil dessen, was in den längeren Programmen an Themen bearbeitet wird, behandelbar ist bzw. die individuell für jeden Teilnehmer zur Verfügung stehende Zeit recht unterschiedlich ausfällt. Etwas salopp auf den Nenner gebracht: Alle machen zwar die Pflicht, aber nur die längeren die Kür. Alle Programme sind sich aber darin einig, genügend Zeit für eine ausführliche „Rekonstruktion der Tat“ (s. u.) mit jedem Teilnehmer haben zu müssen. Die Dauer der Programme ist meistens nicht durch curriculare Überlegungen begründet, sondern oftmals schlicht der Finanzierung geschuldet. So sind geldgebende Institutionen oftmals eher bereit, kurzfristigere Programme zu finanzieren in der Hoffnung auf einen höheren quantitativen Output. Ob die Qualität des Outcome darunter leidet, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt empirisch nicht eindeutig beantworten. Vermutungen dafür gibt es aber viele. Die Bedeutung der Gruppenarbeit Durch die Arbeitsform der Gruppenarbeit wird für die am Täterprogramm teilnehmenden Männer deutlich, dass Männergewalt gegen Frauen ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellt und kein individuelles Problem einzelner Männer ist, die „irgendwie anders“ sind. Diese Erkenntnis erhöht bei den Teilnehmern oftmals die Bereitschaft, sich auf Veränderungsprozesse einzulassen. Kritisch angemerkt werden muss an dieser Stelle aber auch, dass die Erkenntnis, „einer von vielen“ zu sein, der Legitimation der Männer dienen kann und sie in ihrem Gewalthandeln bestätigt werden. Begegnet werden kann diesem Aspekt, wenn die Gruppenleitungen Internalisierungstendenzen von Gewalt frühzeitig erkennen, die Täter damit konfrontieren und solche Strategien entkräften. Erfahrungen zeigen, dass Gruppenarbeit sich besonders gut eignet, um: • Verleumdungsstrategien und Bagatellisierungsversuche der Täter bezüglich ihrer verübten Gewalt zu durchbrechen, • die soziale Isolation der Täter aufzuheben, • die Polarisierung in Gruppenleitung/ Beratung auf der einen und Klient auf der anderen Seite durch die Anwesenheit und Beteiligung mehrerer Gruppenteilnehmer zu vermeiden, • dem Einzelnen in der Gruppe die Möglichkeit des Ausprobierens alternativer gewaltfreier Handlungsstrategien zu ermöglichen (vgl. Zimmermann u. a. 2001, 75ff). Die Gruppe kann das Agieren des Einzelnen direkt spiegeln und ihm somit - auf gewaltfreies Handeln bezogen - ein positives Feedback geben, was für die angestrebte Internalisierung neu erlernter gewaltfreier Handlungsstrategien ein hilfreiches Instrument darstellt. Die Gruppe hilft im optimalen Fall mit, den einzelnen Täter mit seiner Gewalttätigkeit und seinen Gewalt fördernden Einstellungen zu konfrontieren. Alle Männer in der Gruppe sind Experten für häusliche Gewalt. Verleumdungen und Bagatellisierungen von Gewalthandlungen sind in der Gruppe daher nur schwer aufrechtzuerhalten. Das in der Tätergruppe versammelte „Expertenwissen“ erkennt zielsicher selbst subtilere Formen von Gewalt. häusliche gewalt uj 6 (2007) 265 Die Gruppe dient als „Schonraum“ zum Experimentieren mit gewaltfreien Konfliktlösungsstrategien. Unter professioneller Anleitung kann neu erworbenes theoretisches Wissen in alltagstaugliche Praxis umgesetzt werden, ohne sich direkt dem wertenden Blick der Öffentlichkeit bzw. der Partnerin aussetzen zu müssen. Zentrale und unverzichtbare methodisch-inhaltliche Elemente Kernstück in der Anfangsphase der Arbeit ist die sogenannte Rekonstruktion der Tat(en). Jeder Mann muss dabei dezidiert erzählen, wie es zu dem/ n von ihm verübten Gewaltdelikt(en) gekommen ist. Dies geschieht im sogenannten Slow-Motion- Verfahren, d. h. Schritt für Schritt werden die einzelnen Empfindungen und Handlungen, die im Zeitfenster Vorfeld bis unmittelbar nach der Gewalttat beim Mann abliefen, rekonstruiert und hinterfragt. Ziel dabei ist es, vor allem Abwehrstrategien (Verleumdung, Bagatellisierung, Rationalisierung etc.) deutlich zu machen, das (Gewalt-)Handeln als einen bewussten Prozess herauszuarbeiten und die Gefühle, die beim Täter mit der Gewalttat einhergingen, zu fokussieren und bewusst zu machen. Letzterer Punkt kann auch genutzt werden, um eine erste Opferempathie beim Täter zu wecken. Teilnehmer, die sich diesem Prozess nicht stellen, werden aus dem Täterprogramm ausgeschlossen. Die Erfahrung zeigt, dass je nach Fallkonstellation in einer Gruppensitzung mit maximal zwei Männern eine Rekonstruktion der Tat durchführbar ist, nicht selten wird pro Teilnehmer eine komplette Sitzung dafür benötigt. Ebenfalls relativ zu Beginn der Arbeit wird ein individueller Sicherheits- und Notfallplan mit den Teilnehmern erarbeitet. Er soll sie befähigen, zukünftige Situationen, in denen sie Gefahr laufen, erneut gewalttätig zu reagieren, frühzeitig wahrzunehmen und Gewalt durch neu erlernte Handlungsalternativen präventiv vorzubeugen. Sicherheitspläne beinhalten Elemente eines „Frühwarnsystems“. Die Männer sollen lernen, frühzeitig zu erkennen, ob und wann sich Situationen Gewalt eskalierend zuspitzen können, und im Vorfeld dazu präventive Maßnahmen ergreifen. Klassisches Beispiel eines Sicherheitsplans ist z. B., seinen Alkoholkonsum so weit zu reduzieren, dass eine Gewalt fördernde Wirkung vermieden wird. Notfallpläne hingegen sollen zum Einsatz kommen, wenn Sicherheitspläne schon nicht mehr greifen. Klassisches Beispiel für einen Notfallplan ist das Time-out-Prinzip. Der Mann verlässt in einer sich als eskalierend anbahnenden Konfliktsituation den Raum des Geschehens (er nimmt ein Time-out). Ziel dabei ist es, sich emotional abzureagieren, um dann möglichst zu einem späteren Zeitpunkt den Konflikt bzw. die Auseinandersetzung sachlicher und konstruktiver erneut anzugehen. Das Time-out-Prinzip verhindert oftmals erfolgreich ein Ausagieren physischer Gewalt. Weitere wichtige Themen, die es zu bearbeiten gilt, sind in Täterprogrammen die oftmals stark geschlechtsstereotypen Männer- und Frauenbilder der Teilnehmer, die ihrem (Gewalt-) Handeln und ihren Beziehungsvorstellungen zugrunde liegen. Beide sollten ausführlich diskutiert und kritisch hinterfragt werden. Ziel ist, den Männern egalitärere Beziehungsmodelle zu vermitteln. Dabei bieten und schließen sich oftmals entsprechende Kommunikationsübungen direkt an. In Interviews mit Partnerinnen von Täterprogrammteilnehmern im Rahmen der WiBIG- Begleitforschung äußerten diese sich in der Mehrzahl positiv über die kommunikativen Veränderungen ihrer Partner durch die Programmteilnahme. Für Außenstehende vielleicht auf den ersten Blick etwas banal, aber die Mehrzahl der befragten Frauen erzählten, ihre Partner würhäusliche gewalt 266 uj 6 (2007) den jetzt erstmalig überhaupt über ihre Gefühle und Empfindungen sprechen. „Jetzt redet er wenigstens, und ich kann mit ihm sprechen“, so etwas pointiert das zusammengefasste Fazit. Wirksamkeit und Nachhaltigkeit Evaluationsstudien zur Wirksamkeit von Täterprogrammen, die signifikante Aussagen zur „Erfolgsfrage“ zuließen, liegen in Deutschland bislang nicht vor. Dafür wäre ein unfangreicheres ausfinanziertes Forschungsdesign inklusive Langzeitforschung nötig, was bisher noch nicht möglich gewesen ist (vgl. WiBIG 2004; Barz/ Helfferich 2006). Verhaltensverändernde Tendenzen zeigen sich, auch wenn deren Nachhaltigkeit noch nicht abschließend geklärt ist. Eine Zusammenfassung bisheriger Forschungsergebnisse zeigt, dass Täterprogramme eine Abnahme von Gewalt und damit einhergehend egalitärere Beziehungsmuster bewirken können, wenn Rahmenbedingungen des inhaltlichen Vorgehens sowie der Kooperation mit anderen Institutionen realisiert sind (vgl. Gondolf 2002; WiBIG 2004; Barz/ Helfferich 2006). Auf der Grundlage des hohen Anteils von Tätern mit Ausübung väterlicher Verantwortung ist „Täterarbeit Häusliche Gewalt“ bei stetiger Weiterentwicklung ein wichtiges präventives Element, um neben Frauen auch Kindern und Jugendlichen perspektivisch ein gewaltfreieres Aufwachsen zu ermöglichen, in dem tradierte Gewalt fördernde Männlichkeitsstrukturen kritisch hinterfragt und konfrontiert werden. Im Herbst 2005 wurde die „Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt - BAG TäHG“ gegründet. Unter Berücksichtigung des hier beschriebenen Erkenntnisstandes erarbeitet die BAG TäHG zurzeit ein (Minimal-)Standardpapier für „Täterarbeit Häusliche Gewalt“ (Kontakt über den Autor). Literatur Barz, M./ Helfferich, C., 2006: Häusliche Gewalt beenden: Verhaltensänderung von Tätern als Ansatzpunkt. Vorgehen und Wirkung von Täterprogrammen im Kontext von Interventionsprojekten gegen häusliche Gewalt in Baden- Württemberg. Stuttgart Beckmann, S./ Hafner, G., 2006: Fathering After Violence - Evaluation von sozialen Trainingskursen in Deutschland und internationalen Konzepten für Vätergruppen zum Abbau von Gewalt gegen Frauen. In: Kavemann, B./ Kreyssig, U. (Hrsg.): Handbuch Kinder und häusliche Gewalt. Wiesbaden Bennett, L./ Williams, O., 2001: Controversies and Recent Studies of Batterer Intervention Programm Effectivness. www.vawnet.org/ Domes ticViolence/ Research/ VAWnetDocs/ AR_bip. php, 19. 3. 2007, 15 Seiten Gondolf, E. W., 2002: Batterer Intervention Systems. Issues, Outcomes, and Recommendations. Thousand Oaks Hafner, G./ Spoden, C., 1991: Möglichkeiten zur Veränderung gewalttätiger Männer im Rahmen einer Männerberatungsstelle - Gutachten für die Senatsverwaltung für Jugend und Familie Berlin. Berlin Kavemann, B./ Kreyssig, U. (Hrsg.), 2006: Handbuch Kinder und häusliche Gewalt. Wiesbaden Kavemann, B./ Leopold, B./ Schirrmacher, G./ Hagemann-White, C., 2001: Modelle der Kooperation. Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung des Berliner Interventionsprojekts gegen häusliche Gewalt (BIG) - Universität Osnabrück. Stuttgart Rösemann, U., 1994: „Ran an die Täter.“ Das Modell Duluth. In: Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen (Hrsg.): Tagungsdokumentation „Sag mir, wo die Männer sind…“. Berlin, S. 82ff. Rösemann, U., 1989: Untersuchung zur Übertragbarkeit des amerikanischen Modells DAIP: Intervention gegen Gewalt in der Familie. Gladbeck WiBIG, 2004: Täterarbeit im Kontext von Interventionsprojekten gegen häusliche Gewalt. www. wibig.uni-osnabrueck.de, 21. 3. 2007, 144 Seiten Zimmermann, S./ Hinz, W./ Frommel, M. u. a., 2001: Täterarbeit. Programm zur Arbeit mit gewalttätigen Männern. Berlin Der Autor Stefan Beckmann Forschungsgruppe WiBIG & Dissens e.V. Allee der Kosmonauten 67 12681 Berlin stefan.beckmann@dissens.de häusliche gewalt uj 6 (2007) 267
