eJournals unsere jugend 59/7+8

unsere jugend
4
0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
71
2007
597+8

Keine Zeit für Freizeit mehr?

71
2007
Michael Böwer
Wenn sich gegenwärtig die Meldungen massiver Kindeswohlverletzungen häufen, dann sind alle Seiten um Lösungen bemüht. Frühwarnsysteme werden installiert, und vor Feiertagen werden schnell noch ambulante Hilfen eingerichtet – denn es gilt, Verantwortung wahrzunehmen. Aber: reicht das alles, um „positive Lebensbedingungen für Kinder und Jugendliche zu schaffen“ und die Eltern zu stärken, wie dies Grundprinzipien Sozialer Arbeit fordern? Manchmal scheint es so, als wäre keine Zeit mehr da, innezuhalten. Dabei gibt es eine Reihe guter Möglichkeiten, nah an den Familien „dran zu sein“ – wenn man sich Zeit nähme, gemeinsam im Stadtteil freie Zeit als Lernarrangement zu gestalten.
4_059_2007_7+8_0004
Drei Thesen Wir alle haben, so die Ausgangsthese, immer mehr Zeit, die wir zum Teil anders nutzen könnten. Ein oft unfreiwilliger Zugewinn von Zeit, auch wenn er nicht als solcher erlebt wird, bietet der Sozialen Arbeit neue Handlungsspielräume. Dies lässt sich im Rückgriff auf einige gesellschaftliche Veränderungen bebildern: Kämpften vorige Generationen noch um die 50-Stunden- Woche und den 8-Stunden-Tag, so füllen Freizeitmedien heute mindestens und oft mehr als diese gewonnene Zeit (vgl. Fromme 2001; Fromme/ Nahrstedt 1992). Der private Konsum schließt eine Lücke; Jugendliche treffen sich zum „Shoppen“ - auch wenn das nicht bedeutet, dass sie alle auch mehr Geld dafür zur Verfügung hätten. Gleiches gilt selbst für Familien, in denen Kinder zu verwahrlosen drohen: Viele von ihnen scheinen ohne Playstation, PC und „Flat“ nicht auszukommen. Im „technisierten Alltag“ (Tully 2006, 79) ist informelles Lernen über selbstgesteuerte, situative und kontextbezogene Wissensaneignung notwendig, die aber nur prozesshaft gelingen kann (ebd., 82). Die anhaltende Massenarbeitslosigkeit, der Wegfall sogenannter einfacher Arbeiten, die Abwanderung produzierender Unternehmen nach Fernost - dies alles bedeutet für viele, die aus Arbeitsprozessen „freigesetzt“ wurden, 312 uj 7+8 (2007) kindeswohl Unsere Jugend, 59. Jg., S. 312 - 321 (2007) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Keine Zeit für Freizeit mehr? Was ambulante Erziehungshilfen außer Frühwarnsystemen noch leisten könn(t)en Michael Böwer Wenn sich gegenwärtig die Meldungen massiver Kindeswohlverletzungen häufen, dann sind alle Seiten um Lösungen bemüht. Frühwarnsysteme 1 werden installiert, und vor Feiertagen werden schnell noch ambulante Hilfen eingerichtet - denn es gilt, Verantwortung wahrzunehmen. Aber: reicht das alles, um „positive Lebensbedingungen für Kinder und Jugendliche zu schaffen“ und die Eltern zu stärken, wie dies Grundprinzipien Sozialer Arbeit fordern? Manchmal scheint es so, als wäre keine Zeit mehr da, innezuhalten. Dabei gibt es eine Reihe guter Möglichkeiten, nah an den Familien „dran zu sein“ - wenn man sich Zeit nähme, gemeinsam im Stadtteil freie Zeit als Lernarrangement zu gestalten. 1 Verwendung im Sinne des Projekts „Soziale Frühwarnsysteme in Nordrhein-Westfalen: Frühe Hilfen für Familien“, wonach soziale Frühwarnsysteme dazu dienen sollen, „riskante Lebenssituationen bei Kindern und Familien und in einem Sozialraum frühzeitiger wahrzunehmen, zu beurteilen und entsprechend zu handeln“ (www.soziale-fruehwarnsysteme.de/ projekt/ ziel.html). mehr Zeit zu haben. Wobei sie zugleich, fürwahr „prekär“, nur wenig Chancen haben, wieder Anschluss an den Arbeitsmarkt zu finden. Die manifeste Orientierung am Arbeitsethos, die unsere Gesellschaft und unsere (Selbst-)Wertbilder prägt, so sagen die FreizeitforscherInnen, erschwere es, diesen nicht gesuchten Zugewinn an Zeit vielleicht anders zu nutzen (vgl. statt vieler Opaschowski 1987). Wir alle erleben Zeiten der Arbeitslosigkeit als psychosoziale Belastung. Von der monetären Situation ganz zu schweigen: Die freie Zeit kann eben nicht quasi „unendlich“ und oft auch nur sehr bedingt neu gefüllt werden - und dies (auch) kostenbedingt. Die Erziehungswissenschaft hat auf die zunehmende kulturgesellschaftliche Bedeutung von Freizeit mit dem Entwurf einer „Pädagogik der freien Lebenszeit“ (Opaschowski 1996, 19) reagiert; FreizeitpädagogInnen sollten sich gezielt den Bedürfnissen der Menschen annehmen. Freigesetzte Zeit, so Nahrstedt (1990, 8), könne durch „Freizeitpädagogik“ als der „Ressource für Lernbereiche wie Kultur, Reisen, Medien, Sport, Gesundheit verfolgt“ werden. Freizeit, bilanziert Opaschowski (1996, 13), lasse sich heute als eine „eigene Form von Lebenszeit und Lebensqualität“ verstehen, in die die individuelle Persönlichkeitsentwicklung und soziale Selbstverwirklichung verlagert werde. Es entstehe ein „dringender gesellschaftlicher Bedarf nach einer Pädagogik, in der Spiel, Spaß und Geselligkeit eine anregende, genussvolle und produktive Verbindung mit Wissenserwerb, sozialem Engagement, kultureller Entfaltung, kritischer Reflexion und entwicklungsfördernder Selbsterfahrung eingehen“ (ebd. 1996, 14). Freizeitpädagogik, gesehen als ein Tätigkeitsbereich (vgl. ebd.), betrifft mehrere Disziplinen. So bedient sich die Sozialpädagogik in vielen Feldern freizeitbezogener Angebote - offen ausgerichtet auf den Einzelnen und seine Situation -, ohne dabei Animateur, sondern vielmehr Vermittler zu sein (vgl. Böwer 2003). So haben auch in der ambulanten Erziehungshilfe, wie weiter unten dargestellt, von Beginn an offene, partizipativ angelegte Arrangements eine zentrale Rolle eingenommen, um jungen Menschen und ihren Familien neue Erfahrungen in der und über die Gestaltung von Freizeit durch die Interaktion mit PädagogInnen und anderen zu ermöglichen. Es bedarf vielfältigen Lernofferten gegenüber den Subjekten, um der Vielfalt der Lernanlässe zu begegnen (vgl. Tully 2006, 86). Pädagogik und Soziale Arbeit - dies meine zweite These - stehen folglich bewusst für eine sinnvolle Gestaltung von Freizeit ein. Sie wollen Angebote unterbreiten, die sich differenziert an alle gesellschaftlichen Gruppen richten. Sie unternehmen dies in einer Vielfalt von Feldern, die als Leistungsbereiche des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ihren Ausdruck gefunden haben. Im Rahmen des Leitziels, „positive Lebensbedingungen“ für Kinder und Jugendliche zu schaffen, ihre Entwicklung zu fördern und zu besseren Bedingungen ihres Aufwachsens beizutragen, agieren Pädagogik und Soziale Arbeit vor dem Hintergrund freizeitpädagogischer Thesen bewusst und insbesondere im Freizeitbereich junger Menschen und ihrer Familien. An sie werden „Aufforderungen zur Selbsttätigkeit“ (Benner 1987, 106) gerichtet. Wie noch näher zu zeigen sein wird, trifft dies kindeswohl uj 7+8 (2007) 313 Michael Böwer Jg. 1972; Dipl.-Päd., Dipl.- Sozialarbeiter/ Sozialpädagoge, Lehrbeauftragter für Theorie und Methoden Sozialer Arbeit am Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Bremen in nicht unwesentlichem Umfang auch auf ambulante Erziehungshilfen zu (vgl. für die Sozialpädagogische Familienhilfe BMFSFJ 1999). Pädagogik steht insoweit - so meine dritte, zusammenfassende These - vor der Herausforderung, in der Zeit schnellen Wandels Anschluss zu finden, standzuhalten und „auszuhalten“ (Böwer 2006). Freizeitbezogene Arbeit, die an gesellschaftliche Trends und soziale Probleme anzuschließen sucht, trifft an dieser Stelle aufs ökonomische Moment: die Krise des Sozialstaats (vgl. statt vieler Butterwegge 2005). Die Bemühungen der Politik und der Verwaltung, Ausgaben zu reduzieren, lassen unter der Wechselwirkung eines Sozialmarktes die Mittel für Projekte und Einrichtungen zusammenschmelzen. Dies führt in den ambulanten Hilfen zur Erziehung, die jahrelang unter dem Motto eines „ambulant vor stationär“ ausgebaut wurden, zu einem Absinken der Fallpauschalen bzw. Fachleistungsstunden: Der fiskalisch begründeten Senkung der Leistungsentgelte bei zeitgleicher Bevorzugung „billigerer“ Träger wird seitens „teurerer“ Träger durch eine nachfolgende Senkung der Entgeltsätze entgegengetreten. Um die Auslastung sicherzustellen, bedeutet dies jedoch intern eine Erhöhung der Fallzahlen pro Fachkraft. In einem einfachen Bild: Zahlt das Amt für eine Sozialpädagogische Familienhilfe dem Träger A den Satz von x Euro, der die bisherige Summe von z Euro um y Euro unterschreitet, weil um soviel günstiger der Träger B anbietet, dann muss A, um auch weiter Tariflohn, Supervision und Diensthandys bereitstellen zu können, seiner Mitarbeiterin U zur Not gut und gern neun anstelle bisher fünf Familien zur gleichen Betreuungsqualität wie bisher überlassen. Prekär dabei: Die Qualität, auch in Kindeswohlschutzaufträgen, soll natürlich so gehalten werden wie bisher. Und der öffentliche Träger geht gar so weit, leistungsvertraglich eine Präsenzzeit in Familien einzufordern, die vor dem auch ihm bekannten Hintergrund nicht zu halten ist. Zusammengefasst: Die Kostenfrage in den ambulanten Hilfen zur Erziehung führt zu einer Erhöhung der Zeitbelastung für die Fachkräfte; sie müssen um ihre Standards fürchten. Dem Zugewinn von subjektiv krisenhaft erlebter Zeit auf der Seite der Klientel steht eine Reduktion von Zeitkapazität auf der Fachkraftseite gegenüber, die ebenfalls als krisenhaft erlebt wird. Dies trifft in eine Zeit, in der prekären Lebensbedingungen im Grunde durch einen Zugewinn von Zeit für neue Ideen pädagogischer Arrangements begegnet werden müsste, die nicht vorhanden ist. Vielmehr sieht sich Fachkräftehandeln aufgefordert, qualifiziert durch neue Frühwarnsysteme noch intensiver und vor allem sicherer zu begleiten. Auf der Suche nach einer Lösung für diesen krisenhaft anmutenden, vielleicht aber auch ein Stück weit traditionellen Konflikt sozialer Hilfen zwischen gesellschaftlichem Auftrag, eigener Identität, Politik und Ökonomie (vgl. Dahme/ Trube/ Wohlfahrt 2007; Böwer 2007) stellt sich die Frage, inwieweit Fachkräfte und Träger die problematischen Folgen mitzutragen bereit sind. Wird am Ende die Suche nach neuen sozialpädagogischen Arrangements, die Rückkehr der Steuerung durch Fachlichkeit (Böwer 2007) stehen, dann spätestens erhebt sich die Frage, auf welche tradierten Erfahrungen sozialpädagogischer Lösungen zurückgegriffen werden kann. Möglichkeiten dazu sollen im Folgenden aufgezeigt werden. Ausgangspunkt dessen soll, bevor noch einmal problematisierend auf die Praxis ambulanter Erziehungshilfen vor Ort eingegangen wird, ein empirischer Hinweis auf den klassischen Bereich sozialpädagogi- 314 uj 7+8 (2007) kindeswohl schen Handelns im Freizeitbezug, die Jugendarbeit, sein. In seiner Ende der 90er Jahre veröffentlichten Studie zur Relevanz ambulanter und sozialräumlicher Erziehungshilfen, die vor einer Heimunterbringung zustande kamen, stellt Ulrich Bürger fest, dass in etwa einem Drittel aller untersuchten Fälle von Heimerziehung die betroffenen Kinder regelmäßig und oft schon über lange Zeit an Jugendfreizeitangeboten vor Ort teilgenommen haben. Sie und ihre Eltern berichten, dass sie die Angebote als Entlastung erlebt und als Möglichkeit erfahren hätten, überhaupt einen Ansprechpartner für die eigenen Sorgen und Nöte zu finden. Auch wenn also eine freizeitbezogene Jugendhilfe hier eine Heimunterbringung nicht vermieden hat, so war sie dennoch - wenn wir die Einschätzungen der Betroffenen selbst ernst nehmen - wirksam: Im besten Sinne gelang es, so wie das SGB VIII es formuliert, positivere Lebensbedingungen zu schaffen. Und obwohl präventive Hilfen das Ziel der Vermeidung von Fremdplatzierung nicht erreicht haben, wurden diese Hilfen von den Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern als hilfreich erlebt, weil sie sich in ihrem Alltag ernst genommen und entlastet fühlten (vgl. näher Bürger 1999). Geht man nun davon aus, dass das „Wie“ und das „Ob“ solcher freizeitförmiger und sozialräumlicher Hilfen eine positive Auswirkung auf die subjektiven Lebenslagen der Kinder, Jugendlichen und Eltern hat, wäre dann nicht eine Verknüpfung verschiedener Hilfen und Dienste eine Lösung? Ließe sich nicht vielleicht aus dem vorhandenen Hilfesystem heraus etwas Neues entwickeln, das es vielleicht sogar ein Stück weit entbehrlich macht, neue Sicherungssysteme einzurichten? Nun ist die Herausforderung einer optimalen Kooperation in der Jugendhilfe ein vielerlebtes und beschriebenes Thema (vgl. Böwer 2005), und es tut sich auf diesem Feld unbestritten viel: Die Verzahnung zwischen Kindergarten, Jugendhilfe und Schule wird diskutiert, und Erfahrungsberichte werden vorgelegt (vgl. DBSH 2006). Und auch die Frühwarnsysteme laufen letztlich auf eine auch subjektiv engere Anbindung von Betroffenen und HelferInnen hinaus. Zugleich aber wissen wir, dass es keine optimale Sicherheit geben kann und eine Optimierung vermutlich auch nur über die Veränderung von Organisationen, also sozusagen „im System“, erfolgen kann (ebd.). Ausgehend davon, dass es im System bereits hilfreiche Strukturen gibt, konkretisiert sich die These, dass es lohnt, diese stärker in den Blick zu nehmen, bevor sie, wie dargestellt wurde, vielleicht nicht mehr vorhanden sind. Um eines gleich vorwegzunehmen: Der Tod des kleinen Kevin aus Bremen etwa, der bundesweit für Aufsehen sorgte, hätte auch mit diesem Hilfesystem, wäre es so eingesetzt worden, nicht sicher verhindert werden können. Aus Sicht vieler KollegInnen im Feld besteht aber Anlass zur Sorge, dass nun selbst FamilienhelferInnen, die einen engen Kontakt zu Familien wie der von Kevin haben, wegen der Zunahme prekärer Lebensbedingungen und dort zu betreuenden Maßnahmen wichtige Möglichkeiten verlieren, die ihre bisherige Arbeit bot und die auch in solch schwierigen Einzelfällen geholfen haben, Familiensysteme zu stärken. Dies gilt gleichermaßen für Erziehungsbeistandschaften, in denen der freizeitpädagogische Bezug traditionell noch stärker gefasst ist (vgl. dazu und zu anderen ambulanten Erziehungshilfen Günder 1999). Der vorliegende Beitrag ist so denn auch ein Versuch, auf erhaltenswürdige konzeptionelle Elemente hinzuweisen und deren möglichen Verlust zumindest nicht wortlos vorüberziehen zu lassen. Zugleich soll mit diesem Beitrag auch einmal ein Gegenpol gestellt werden zur immer stärker scheinenden Fokussierung des Zeitfakkindeswohl uj 7+8 (2007) 315 tors und schneller Lösungen. Schließlich: Jugendliche fallen aus den vielen Debatten der letzten Monate, wie so oft, heraus bzw. es scheint nur darum zu gehen, wie man ihre Amokläufe qua Computerspiel stoppen könne. Welche Chancen aber verspielt hier eine Gesellschaft, die sich mit ihnen stärker beschäftigen könnte? Und damit sind wir mitten im Thema „Zeit für Freizeit“. Freizeit als zentrales Thema der ambulanten Erziehungshilfe Erziehung und Soziale Arbeit, so schreiben Finkel/ Thiersch (2005, 460), stehen vor der Aufgabe, Lebensmuster junger Menschen in pädagogische Erwartungen zu integrieren und mögliche Diskrepanzen zwischen lebensweltlicher Erfahrung und pädagogischer Intention zu reduzieren. Erziehungshilfen, so hat es zur Entwicklung ambulanter Settings beigetragen (vgl. Blüml u. a. 1994), müssen sich dem sozialen Umfeld öffnen. Weiter konkretisiert bedeutet dies, dass sie Mädchen und Jungen jene Beziehungsnetze bieten sollten, die diesen im familiären Bezugsrahmen verloren gegangen sind. Einrichtungen und Dienste müssen sich Ideen einfallen lassen, wie sie den Alltag junger Menschen in Stadtteilen erreichen. So können sie Kontakt herstellen. Sie lernen, den Alltag der Kinder und Jugendlichen zu verstehen, und helfen diesen, Schwellenängste zu überwinden. Beide Seiten haben sozusagen gewissermaßen etwas davon, und so gewandt ließe sich im gegenseitigen Lernen Beziehung stiften, die es ermöglicht, dem hehren Ziel der Integration ein gutes Stück näherzukommen. Ambulante Hilfen zur Erziehung insbesondere im städtischen Raum haben oft mit jenen jungen Menschen zu tun, um die es hier geht. Diese haben oft keinen Anschluss andernorts (Vereine, Kirchen, Familie) und suchen oft gerade die unmittelbare Nähe von Kinder- und Jugendheimen oder Freizeitstätten, wo dann - erfahrene KollegInnen aus der Heimerziehung wissen, wovon die Rede ist - Konflikte unter den Jugendlichen an der Tagesordnung sind. Vielleicht wird dort gedealt oder gekifft. Die KollegInnen haben sich folglich mit diesen Orten in ihrem Arbeitsalltag auseinanderzusetzen. Vielleicht aber sind diese Orte auch letzte Versuche problembelasteter Jugendlicher, die durch ihre Lebensgeschichte an den Rand von Gesellschaft und so auch des Jugendhilfesystems geraten sind, Normalität leben zu können und das zu tun, was andere auch tun: „abzuhängen“, sich dort zu treffen, wo andere Jugendliche sind. Lebensweltbezogene Angebote im Sozialraum, die hier ansetzen, lassen sich als neue Lernchancen für Institutionen und Menschen begreifen, die vielleicht nebeneinander ihren Alltag leben und in diesem miteinander konfrontiert sind, denen aber der Dialog schwer fällt. Jede Institution, die allein für sich agiert oder aber schlicht auf andere verweist, lässt ihre Chancen ungenutzt, sich dem Stadtteil mit ihrer Erfahrung, erfahrenen und bekannten MitarbeiterInnen und neuen Lösungen offen zuzuwenden. Schule als solche stadtteilverortete Institution, aus der junge Menschen oft herauszufallen drohen, ist nicht zufällig wesentlicher Kooperationspartner von ambulanten Hilfen (vgl. Blüml u. a. 1994, 8ff). Es wird deutlich: Junge Menschen brauchen sozialraumorientierte Hilfen, die sie in Erziehungs- und Sozialisationskontexten unterstützen. Dass dabei natürlich nicht nur sie, sondern vor allem auch ihre Eltern in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit geraten, spiegelt jene Fürsorgeverpflichtung wider, die den Eltern als Pflicht auferlegt ist (vgl. Wiesner 2005, 222f). Der Ausbau insbesondere ambulanter Erziehungshilfen (vgl. dazu Blüml u. a. 1994) folgt dieser Ausgangslage: Die Unterstützung der Familien in ihrem unmittelbaren 316 uj 7+8 (2007) kindeswohl Lebensumfeld soll hinsichtlich dessen und im Sinne einer praktischen Lebenshilfe verbessert werden (BMFSFJ 1999, 38; Späth 1991, 107). Nah am Lebensmittelpunkt junger Menschen setzen ambulante Hilfen bei diesen und - vor allem, wenn diese noch jünger sind - verstärkt bei den Eltern an - was deren Rolle als Inhaber des Leistungsanspruches entspricht (vgl. Münder 2000, 174ff). Auf dem Wege zu einem sozialpädagogischen Feld sind im Bereich der ambulanten Hilfen zur Erziehung vielfältige Konzepte entwickelt worden, die zusehends auch Sozialformen der Gruppenarbeit umfassen (vgl. dazu Berse 1999; Böwer 2003; Hofgesang 2005, 529ff). Wege, Formen und Settings Viele Familien und Kinder - und lange nicht nur jene, die Hilfen zur Erziehung erhalten - verbringen ihre Ferien im für sie „Gewohnten“: lange ausschlafen, fernsehen, chatten…und natürlich drängt es viele Kinder auch nach draußen. Sie quengeln, wirken unausstehlich, allen fällt die Decke „auf den Kopf“. Oft versagen hier Versuche, diese Zeit gemeinsam und kreativ zu gestalten. Zusammen spielen, Ausflüge machen - das sind oft Wünsche, die nicht erfüllbar scheinen. Schwellenängste, mangelnde finanzielle Mittel und anderes mehr tragen dazu bei, dass sich eine Multiproblematik auf das Beziehungsklima in der Familie, die sozialen Kontakte und andere Faktoren der Entwicklung der Kinder auswirkt (vgl. BMFSFJ 1999). Ferienaktivitäten innerhalb ambulanter Hilfen zur Erziehung sind ab diesem Moment nicht nur probates Krisenmittel, sondern helfen, wieder zu anderen Wegen und an verschüttete Ressourcen heranzugelangen. Erster Ansatzpunkt dabei ist das persönliche Gespräch mit den Eltern, sich gemeinsam um diese Zeit zu sorgen: Was hat die Familie vor, was antizipieren die Eltern - aber auch: Was will ich, was wollen die anderen? Hier hilft es, spielerisch einzusteigen: Der Griff in die Buntstiftkiste des Kleinsten, und jeder malt ein Zimmer in seinem Ferienwunschhaus aus. Nun gilt es zu besprechen: Was wäre der erste Schritt in eine gemeinsame Richtung? Dabei ist es wichtig, ins Handeln zu kommen - im Tempo der Familie. Wohnortnah muss es sein, und nicht zu weit von dem Alltag der Familien entfernt. Da ist der Ausflug in die Sternwarte für den einen vielleicht schon Lichtjahre entfernt, während für andere gerade der Blick in die Ferne kräftigt, im Alltag weiter zu bestehen. Für viele in ambulanten Hilfen zur Erziehung unterstützte Familien kostet der Weg aus dem vertrauten Umfeld heraus bereits Überwindung; zu groß ist die Sorge, sich nicht sicher zu fühlen, und zu gering scheint die Kraft, Altvertrautes zu verlassen. Da ist es einfach nötig, die Fachkraft als jemanden Vertrautes bei sich zu wissen. Und auch als Anschubhilfe, die sachte stärkt, die sich aber auch zurückzuhalten weiß, um die Familie selbst zu ihren Ideen, zu ihrem Weg kommen zu lassen und sie so ins Handeln zu bringen. Was aber heißt das praktisch? Sind doch die Ferien eine „unbefreite“ Zeit, wie man so sagt, und der „graue“ Alltag ist ja hilfeseitig von wichtigen Zielen geprägt: Die Interaktion zwischen Mutter und Kind etwa, so steht im Hilfeplan, sie „ist“ zu fördern. Ein Beispiel 2 : Wir sind für einen gemeinsamen Spielplatzbesuch verabredet: Frau M. und ihre Tochter Sina (6) und ich (M. B.; der Verf.). Frau M. hat unsere Verabredung vergessen; sie ist aber zum Glück zu Hause. Eigentlich ist es ihr nicht kindeswohl uj 7+8 (2007) 317 2 Die Namen und sonstigen personenspezifischen Angaben sind frei erfunden. Die Beispiele beruhen gleichwohl auf realen Felderfahrungen des Autors im Rahmen seiner pädagogischen Tätigkeit innerhalb der ambulanten Hilfen zur Erziehung in einer deutschen Großstadt. so recht mit dem Wetter, aber ich schaffe es, sie zu überreden. Sina springt aufgeregt durch das Wohnzimmer. Nachdem Sina wetterentsprechend „verpackt“ ist, Tabak und Handy verstaut sind, Sina noch ihren Ball geholt hat und wir den neugierigen Nachbarskindern (Standardfrage: Bist du Sinas Papa? ) entschwunden sind, nähern wir uns dem Spielplatz. Während Sina mit ihrem Ball schon ganz aufgeregt um uns herum springt, wirkt Frau M.’s Gesicht unter ihrem Baseballcap verschlossen. Sie greift ruckartig zur Zigarette. Ich spreche sie an, was Sina wohl gleich dort spielen will, und sage, dass ich sehe, wie sich Sina freut. Frau M. bestätigt dies mit einem Lächeln. Ich frage, ob sie Lust habe, mit ihr Fußball zu spielen. Frau M. blickt mich von der Seite an, grinst und sagt: „Sie glauben wohl, dass Frauen das nicht können, oder was? “ Ich muss lachen und sage: „Nee, aber dann legen Sie mal los! “. Begeistert flitzt nun Sina über den Spielplatz, und man sieht Frau M. fröhlich lachen. Schon jetzt ist klar, der Ausflug hat sich gelohnt. Steht in diesem Beispiel noch die Sozialpädagogische Familienhilfe Pate für freizeitbezogene ambulante Erziehungshilfen, so kann ein Beispiel aus der Erziehungsbeistandschaft die nachhaltigen Möglichkeiten dieses Zuganges für die Arbeit mit Jugendlichen aufzeigen. Erziehungsbeistand - mehr als Freizeitbegleiter: Der 15-jährige Patrick ist übergewichtig, vermeidet oft die Schule und hat kaum Kontakte zu Gleichaltrigen. Ich stelle fest, dass er gern und oft Computer spielt. Wir verabreden uns in einem Internetcafé. Dazu muss er sich in Bewegung setzen, kann sich altersangemessen beschäftigen, und ich erfahre etwas über seine Welt im Netz. Besonders viel Spaß hat er an einem Sportspiel, in dem es unter anderem um Bowling geht. Mit einem Kollegen, der ebenfalls einen „pfundigen“ 15-Jährigen betreut, tausche ich mich aus, und wir verabreden einen Bowlingclubbesuch. Patrick ist sofort interessiert, aber er hat Sorge, er könne sich ungeschickt anstellen. Ich erzähle von meinem „Pudelpokal“ als Zivi, und er ist sich sicher, mich zu schlagen. Am Ende punktet er mit dem gewichtsklassenstarken Nicolas einen „Strike“ nach dem anderen. Einige Bowling-, Kino- und Schwimmausflüge, ein Jahr und eine Kur später, um zwanzig Kilo leichter, wechselt er mit gutem Sonderschulabschluss in die Berufsschule. In den wohnortnahen Tischtennisverein und eine Kartenspielerrunde ist er eingebunden. Der niedergelassene Therapeut und der Klassenlehrer hatten eingangs eine Fremdplatzierung für unvermeidlich gehalten. Es geht, wie man sich denken kann, um diese gemeinsamen Erlebnisse, die in der Lage sind, Veränderung zu bringen. Dabei liegt eine weitere Chance in dem Zusammenspiel der Eltern und Kids aus anderen Familien: In Gruppenaktivitäten innerhalb der ambulanten Hilfen können die Familien und jungen Menschen mittels eines festen thematischen Programms gemeinsame Erlebnisse miteinander machen, die neue Beziehung und Beziehung neu stiften. Um Familien den Weg zur Teilnahme daran zu erschließen, gilt es, den Alltag mit Hilfe von Außen so zu organisieren, dass dieser an Struktur gewinnt, neue Strukturen aufgebaut und regelmäßige Außenkontakte möglich werden: Da sind die zwei Kleinen, die morgens immer quengeln, die Große mit ihrem eigenen Kopf und der Partner, der nicht mithilft. So gesehen braucht dieses Alleinerziehen die Begleitung durch Außenstehende. Der Besuch einer Aktivität setzt immer die vorherige Absprache, teilweise die Terminerinnerung und häufig gerade das gemeinsam Losgehen voraus. Was natürlich nicht für alle gilt: Viele Eltern legen bewusst Wert darauf, allein zum verabredeten Ort zu kommen. Wunsch nach Selbstgestaltung auf Klientenseite und Ressourcenorientierung auf Fachkraftseite verbinden sich an dieser Stelle, und es geht darum, die Gelegenheiten zum Kontakt zu bieten. Gruppenaktivität in den Ferien - beispielsweise: Der Streichelzoo im Stadtteil bietet die Möglichkeit für Eltern, gemeinsam mit ihren Kindern am Nachmittag spielen zu gehen. Man kann die Kaninchen füttern und die Ziegen streicheln, es gibt Ponyreiten, und man kann den Hühnern beim Körnerpicken zusehen. Viele 318 uj 7+8 (2007) kindeswohl Spielgeräte und ein großer Sandspielplatz laden zum Buddeln und Klettern ein. Dennoch ist der Streichelzoo vielen unbekannt. Die ersten Herbsttage: Wir treffen uns daher miteinander an einem zentralen Platz und gehen gemeinsam los. Auf dem Weg wartet noch ein junges Paar mit seinen Kindern auf uns. Beim Streichelzoo gibt es erst mal heiße Waffeln und Kakao; jedes Kind bekommt von Jeromé aus Togo, der hier als Ein-Euro-Jobber arbeitet und uns in weißer Küchenkluft empfängt, extra seine Tasse an den Tisch gebracht. Und dann geht’s nach draußen zu den Tieren. Dort kommen die Mütter schnell miteinander ins Gespräch. Es gelingt, Andrés Vater, Leas kleinen Bruder und Jessica zum Bocciaspielen anzuregen. Natalies Tante, bei der die Kleine jetzt lebt, hat eigens für heute Nachmittag ihr altes Gummitwist hervorgekramt und zeigt den Mädchen, wie das geht. Marvin, 2 1 ⁄ 2 , und seine Mutter sitzen im Sand und sehen dem Treiben zu. Auf diesem hier bewusst offenen Gruppenangebot lässt sich aufbauen. Viele der von Hilfen zur Erziehung betreuten Familien und jungen Menschen haben nicht nur Schwellenängste, vorhandene Angebote aufzusuchen, oder, was oft auch ein Problem ist, mit Konstanz an den dortigen Angeboten teilzunehmen. Sie brauchen dann Alternativen, die zugleich attraktiv und positiv besetzt sind und zu vorhandenen Angeboten solcher Stadtteiltreffs eine Brücke bauen (vgl. dazu Böwer 2003, 2006). Darüber hinaus besteht für viele Familien das Problem, dass sie in ihrem Alltag vielem, was für viele soziokulturell und konsumtiv „normal“ ist, nicht mehr entsprechen. Dazu gehört, und dies nicht erst seit „Hartz IV“, als Familie in den Urlaub zu fahren. Überhaupt einmal die eigenen vier Wände zu verlassen, ist eine Erfahrung, die viele selbst früher nur bei Klassenfahrten machten oder die sie von der Mutter-Kind-Kur her kennen. Selbst aber auf große Fahrt zu gehen, dies vorzubereiten, abzureisen, anzukommen, aktiv sein und abschalten zu können - dies alles scheint ins Reich der Mythen zu gehören. Familienurlaub im Schullandheim: zwei Stiefväter, ein Vater, vier jüngere und ältere Mütter, zwei Großmütter Anfang Vierzig, vier PädagogInnen und … sechsundzwanzig Kinder vom Säugling bis zur Vierzehnjährigen. Die vierjährige Janna schleppt ihren Turnbeutel ins Schullandheimzimmer, das für nun fünf Nächte ihr Zuhause mit ihrer Mama und dem zehnjährigen Luca sein wird. Nebenan streiten Sven und Patrick darüber, wer im Etagenbett oben schlafen darf. Deren Mutter lässt die beiden eine Münze werfen, und der Wirbel legt sich langsam. In der Raucherecke neben dem Eingang trifft sie auf Sinas Mutter, und schon bald dreht sich das Gespräch um die lieben Kleinen. Als nach dem Abendbrot im Gruppenraum die Gestaltung des nächsten Tages zur Sprache kommt, sind sie es, die vorschlagen, doch zusammen zum Badesee zu wandern. Höhepunkt des Urlaubes ist schließlich, dass vier Mütter eine Kutschfahrt mit dem Planwagen anleiern - für Klein und Groß aus der Stadt ein einmaliges Erlebnis. Und natürlich sind alle kleinen und großen Männer mit dabei, als es darum geht, das Abschlusslagerfeuer in Gang zu bringen. Es liegt auf der Hand, dass solche Urlaube auch Möglichkeiten bieten, sich einmal anders zu begegnen: So kann man sozusagen „live“ Ideen zur Gestaltung der Essenssituation erproben. Die Familien gewähren uns einen Einblick in ihr Leben, der offener sein kann, als er sich in der ihnen vertrauten Situation eines mehrstündigen Hausbesuchs bietet. Für uns Fachkräfte ist es daher im Umgang mit den Familien, die sich hier nicht nur viel unmittelbarer, sondern in dieser ihrer Freizeit auch ungeschützter zeigen, wichtig, dass sie Raum bekommen, zunächst einmal so zu sein, wie sie eben sind. Ihnen ist zuallererst mit Wertschätzung zu begegnen. Dies schließt, wie die Erfahrung zeigt, eine ebenso wertschätzende Konfrontation keinesfalls aus. Ist ein passender Rahmen gefunden (beispielsweise ein Spaziergang), so lässt sich gemeinsam mit den Eltern Beobachtung austauschen und dabei auch ein Feedback geben, wie sie sich in einer ähnlichen Situation anders verkindeswohl uj 7+8 (2007) 319 halten können. Dies führt zu einem letzten Element einer hier im weitesten Sinne „freizeitgestützten“ ambulanten Erziehungshilfe, das hier vorgestellt werden soll: dem Elterntraining. Elterntraining - freizeitförmig: Für die 36-jährige Patricia ist es schon viel, wenn sie den kleinen Jan-Leon in der Früh zum Kindergarten gebracht hat. Denn nachmittags geht sie putzen; der Kleine ist dann bei der Oma. Ihre Tochter Tamara, 11 Jahre, ist dann bis vier im Hort, und danach geht sie oft ins Freizeitheim. Viel Stress mit dem Ex beschäftigt Patricia am frühen Abend. So ist es gerade passend, wenn sie einmal die Woche gemeinsam mit anderen Eltern unter fachlicher Anleitung über ihren Erziehungsalltag spricht, sich Tipps abholt und ausprobieren kann. Dass die FamilienhelferInnen das Ganze gleich in der Nähe des Kindergartens ins Leben gerufen haben, ist für sie „echt klasse“, wie sie sagt. Da braucht sie nicht noch mal los, denn das fällt ihr, wie sie offen zugibt, oft ziemlich schwer. Und im Kindergarten von ihren Problemen zu erzählen, dass möchte sie wegen Leon nicht. Denn der hat sich gerade mit der kleinen Lena angefreundet, deren Mutter der feine Blumenladen am Markt gehört. Ausblick Zurück aus diesen Praxisbildern wird offenbar, wie groß die Möglichkeiten ambulanter Hilfen zur Erziehung sind, junge Menschen in Familien jenseits von Frühwarnsystemen zu erreichen. Es wäre daher interessant, zu untersuchen, ob ein Integrieren früher diagnostischer und sensibler Interventionen auf Stadtteil- und Freizeitebene möglich wäre. Dass aber andere Zugänge zur Förderung der Erziehungskompetenz der Eltern, der Beziehungslagen in Familien und der jungen Menschen an sich geboten sind, ist unbestreitbar notwendig. Erprobte Hilfen, wie sie in diesem Beitrag nur skizziert werden konnten, nicht einfach außer Acht zu lassen - dies wäre schon eine Lösung. Die Herausforderung hingegen liegt darin, eine größere Vielfalt wahrzunehmen und Lösungsräume zu erweitern, um differenzierter zu lernen. Erst wenn es gelingt, die Vielfalt sozialpädagogischen Handelns in der Jugendhilfe zu bewahren, wird auch jene Vielfalt fachlicher Lösungen möglich, wie sie Jugendämter im Case-Management-Prozess für Jugendhilfen benötigen (vgl. Remmel- Faßbender 2005). Freizeit als ein zentraler Bezugspunkt im Hilfeprozess bietet die Chance, handlungsorientiert auf die Problemlagen einzugehen und direkt im Lebensumfeld auch „erfinderisch“ und „spielerisch“ anzusetzen. Durch ein Ansetzen in der Freizeit können das Kindeswohl und die Erziehungskompetenz der Eltern als Lebensbewältigung (Böhnisch) und Lebensgestaltung (Krafeld) mehr als nur gesichert, nämlich: gefördert werden. Dieser Ansatz ist somit im Stande, separate Intentionen sozialer Frühwarnsysteme, wenn nicht gar wirkungsvoll zu ersetzen, so doch jedenfalls hinsichtlich einer verbesserten Sorge um das Wohl und die Förderung der jungen Menschen in ihren Familien sinnvoll zu ergänzen. Literatur Benner, D., 1987: Allgemeine Pädagogik. Weinheim Berse, Elisabeth, 1994: Soziale Gruppenarbeit in der Sozialpädagogischen Familienhilfe. In: Blüml, H./ Helming, E./ Schattner, H.: Sozialpädagogische Familienhilfe in Bayern. München Böhnisch, L., 3 2001: Sozialpädagogik der Lebensalter. Weinheim Böwer, M., 2003: Ambulant Bewegung schaffen. Sozialpädagogische Gruppenarbeit für Eltern und Kinder über das Medium Pferd - ein Praxisbericht. In: Unsere Jugend, 55. Jg., H. 7 - 8, S. 333 - 338 Böwer, M., 2005: Kooperation als Systemerhalt? Systemtheoretische Reflexion der Chancen gelingender Kooperation zwischen Sozialpädagogischer Familienhilfe und Jugendamt. In: Zeitschrift für Sozialpädagogik, 3. Jg., H. 2, S. 154 - 172 320 uj 7+8 (2007) kindeswohl Böwer, M./ Simonis, A., 2006: Cool-Kids - „Zähme den Tiger in dir! “ Sozialpädagogische Gruppenarbeit mit impulsiven Jungen. In: Sozialmagazin, 31. Jg., H. 11, S. 46 - 54 Böwer, M., 2007: Kinder schützen - verantwortlich handeln. In: Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit (Hrsg.): Landesrundbrief Niedersachsen, H. 1, S. 3 Bürger, U., 1999: Erziehungshilfen im Umbruch. München Bundesministerium für Frauen, Senioren, Jugend und Familie (BMFSJF), 3 1999: Handbuch Sozialpädagogische Familienhilfe. Stuttgart Butterwegge, C., 2005: Krise und Zukunft des Sozialstaats. Wiesbaden Dahme, H.-J./ Trube, A./ Wohlfahrt, N., 2007: Arbeit in Sozialen Diensten: flexibel und schlecht bezahlt? Baltmannsweiler Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit, 2006: Jugendhilfe und Bildung I. Essen. Finkel, M./ Thiersch, H., 2005: Erziehungshilfen. In: Otto, H.-U./ Thiersch, H.: Handbuch Sozialarbeit/ Sozialpädagogik. München, S. 448 - 462 Fromme, J./ Nahrstedt, W., 1992: Von Old Shatterhand zu Super Mario Land? Die moderne Freizeit-, Spiel- und Unterhaltungswelt der Game- Boy-Kinder. In: Erziehungswissenschaft zwischen Modernisierung und Modernitätskrise (29. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik), S. 284 - 288 Fromme, J., 2001: Kinder, Freizeit und Computer In: Fthenakis, W./ Textor, M. R. (Hrsg.): Das Online Familienhandbuch. München. Günder, R., 1999: Hilfen zur Erziehung. Freiburg Hofgesang, B., 2005: Familienhilfe, sozialpädagogische. In: Otto, H.-U./ Thiersch, H.: Handbuch Sozialarbeit/ Sozialpädagogik. München, S. 529 - 539 Krafeld, F. J., 2007: Jugendarbeit mit anstößigen und mit ausgegrenzten Jugendlichen. Vortrag auf dem 15. Forum Kinder- und Jugendarbeit des Landesjugendamtes Niedersachsen am 9. Januar 2006 in Hohegeiß/ Harz. www.hs-bremen. de/ Uploaded/ Eintrag84384/ Hohegeiß-Endkurz.doc Münder, J., 4 2000: Familien- und Jugendhilferecht. Eine sozialwissenschaftlich orientierte Einführung, Bd. 2: Kinder- und Jugendhilferecht. Neuwied/ Kriftel Nahrstedt, W., 1990: Leben in freier Zeit. Darmstadt Opaschowski, H. W., 3 1996: Pädagogik der freien Lebenszeit. Opladen Opaschowski, H. W., 1986: Pädagogik und Didaktik der Freizeit. Opladen Remmel-Faßbender, R. u. a., 2005: Case Management: Fall- und Systemsteuerung in der Sozialen Arbeit. München Späth, K., 1991: Die Hilfen zur Erziehung. Vom Eingriffsinstrumentarium zum präventiv orientierten Leistungsangebot. In: Wiesner, R./ Zarbock, W.: Das neue Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) und seine Umsetzung in die Praxis. Köln, S. 91 - 114 Tully, C. J., 2006: Informelles Lernen: eine Folge dynamisierter sozialer Differenzierung. In: Otto, H.-U./ Oelkers, J. (Hrsg.): Zeitgemäße Bildung. München Der Autor Michael Böwer Tom-Dyk-Straße 43 28259 Bremen mboewer@fbsw.hs-bremen.de kindeswohl uj 7+8 (2007) 321