unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2007
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Spiel-Raum - ein interdisziplinäres Angebot früher Hilfen für Familien
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2007
Korinna Bächer
Im Folgenden wird die heilpädagogisch-therapeutische Gruppe „Spiel-Raum“ für Familien mit kleinen Kindern, ein Kooperationsprojekt des Kölner Kinderschutz-Zentrums mit dem Zentrum für Frühbehandlung und Frühförderung Köln e.V., vorgestellt.
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Die intensive Forschungstätigkeit der letzten Jahre im Bereich der frühen Kindheit hat den professionellen Blick dafür geschärft, wie sich Vernachlässigung und Misshandlung schon bei kleinen Kindern in ihrem Bindungs- und Explorationsverhalten, ihrer sozialen, emotionalen und kognitiven Entwicklung abbilden. Folgerichtig wird ein interdisziplinärer Ansatz früher Hilfen unter Einbeziehung des Gesundheits- und Erziehungswesens gefordert. Genauso wichtig erscheint uns ein nichtstigmatisierender Zugang zu diesen Familien, die mit den HelferInnen schließlich den Wunsch teilen, es möge ihren Kindern gut gehen. Die Grenzen herkömmlicher Konzepte Herkömmliche Konzepte der Familienbildung und der Frühförderung stoßen an ihre Grenzen, wenn sie sich an Familien wenden, die nicht nur einer klar definierten Unterstützung zur Förderung ihrer Kinder bedürfen, sondern offensichtlich tief greifende Schwierigkeiten im alltäglichen Umgang miteinander haben. Ihre intuitiven elterlichen Kompetenzen sind keine verlässliche Grundlage; die Erziehung „aus dem Bauch heraus“, die wir gerade angesichts einer erstickenden Ratgeberflut und zunehmenden Verunsicherung vielen Eltern nahelegen möchten, empfiehlt sich nicht, wenn der „Bauch“ nicht gesund ist. Wer nicht selbst auf gute Bindungserfahrungen aus den ersten Lebensjahren zurückgreifen kann - sei es, weil es diese nicht gab, sei es, weil sie durch spätere Erlebnisse „verschüttet“ wurden - , der hat ein hohes Risiko, stattdessen negative Erfahrungen von Ablehnung, Mangel und Bedrohung weiterzugeben, auch wenn der Wunsch besteht, die Fehler der eigenen Eltern nicht zu wiederholen. Diese transgenerationale Weitergabe von Bindungsmustern ist der Grund dafür, dass aus geschlagenen oder vernachlässigten Kindern oft schlagende oder vernachlässigende Eltern werden. Hierzu eine zwanzigjährige alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern, von denen eines schwer behindert ist: „Ich mach’ und tu’ und renn doch schon die ganze Zeit, aber immer wird nur von mir gefordert, nie sagt mal jemand, das haste gut gemacht! Ich hab dreizehn Jahre im Heim gelebt, woher soll ich denn wissen, wie man lieb zu Kindern ist! “ Als „Fass ohne Boden“ werden deshalb manche Familien in Helferkreisen wahrgenommen, in denen die soziale Notlage of- 306 uj 7+8 (2007) kindeswohl Unsere Jugend, 59. Jg., S. 306 - 311 (2007) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Spiel-Raum - ein interdisziplinäres Angebot früher Hilfen für Familien Korinna Bächer Im Folgenden wird die heilpädagogisch-therapeutische Gruppe „Spiel-Raum“ für Familien mit kleinen Kindern, ein Kooperationsprojekt des Kölner Kinderschutz-Zentrums mit dem Zentrum für Frühbehandlung und Frühförderung Köln e.V., vorgestellt. fensichtlich ist, die emotionalen Ressourcen gering, das Maß der Beunruhigung der Kinder hoch und ihre Perspektiven niederschmetternd sind. Auch im „Elterncafé“, dem rege besuchten offenen Treff des Kinderschutz-Zentrums in einem sozialen Brennpunkt Kölns mit professioneller Informations- und Beratungsmöglichkeit, fallen den Mitarbeiterinnen immer wieder Mütter auf, für die das wenig strukturierte Angebot nicht passt bzw. nicht ausreicht. Sie scheinen nicht in der Lage, einen auch nur halbwegs friedlichen und entspannten Umgang mit ihrem Kind zu finden. Die Bedürfnisse des Kleinkindes nach Nähe erleben sie als bedrohliche Überforderung, seine Autonomiewünsche als Missachtung. Wenn Frau A. ihren eineinhalbjährigen Sohn Dennis wickelt oder ihm die Schuhe anzieht, befindet sie sich im Nu in einem „hilflosen“ Machtkampf mit ihm, den sie manchmal mit Schlägen und Drohungen austrägt - selbst vor den Augen anderer. Genauso schnell verfällt sie danach wieder in Resignation und Passivität gegenüber dem Jungen, und so bestätigt sich ihre Überzeugung, dass sie ohnehin keinen Einfluss auf Dennis hat: Sie hat das Erziehen schon aufgegeben. Vergleichbare Beobachtungen machen die KollegInnen des Zentrums für Frühbehandlung und Frühförderung, mit denen das Kinderschutz-Zentrum kooperiert. Kleinkinder, die vom Kinderarzt z. B. wegen Entwicklungsauffälligkeiten zur Ergotherapie ans Frühförderzentrum überwiesen werden, könnten durchaus von der wöchentlichen Therapiestunde profitieren, doch die Mütter sind ihrerseits so bedürftig, dass es ihnen kaum gelingt, die organisatorischen Bedingungen einzuhalten, geschweige denn die therapeutischen Empfehlungen - etwa hinsichtlich Bewegungsangeboten, Sprachanreizen oder Tagesstrukturierung - in ihren Alltag mit dem Kind zu übertragen. Die zweieinhalbjährige Natalie kommt mit ihrer Mutter ins Frühförderzentrum, weil sie noch kein einziges Wort spricht. Eine Behandlung erscheint dort zunächst kaum möglich: Es gelingt nicht, das Mädchen zum Verlassen des Kinderwagens zu bringen, an den sie sich schreiend festklammert. Ihre Panik ist ein Spiegel der mütterlichen Angst: Frau B. lebt mit ihrer Tochter, dem späten Wunschkind nach zwei Totgeburten, sehr isoliert in hoher emotionaler Abhängigkeit. Sie versorgt ihr Kind mit Präzision, jedoch ohne jede Entwicklungszuversicht. Autonomiebestrebungen des Kindes erlebt sie als bedrohlich, Einflüsse von außen machen ihr Angst, und dass das Kind in einem Jahr den Kindergarten besuchen soll, ist für sie unvorstellbar. Der Zusammenhang zwischen Entwicklungsverzögerungen bei Kindern und psychosozialen Notlagen in den jeweiligen Familien ist mittlerweile allgemein bekannt und besonders in sozialen Brennpunkten augenfällig. Bei Reihenuntersuchungen des Gesundheitsamtes in Kindergärten und Schulen wurden die Förderdefizite und Gesundheitsprobleme der Kinder aus solchen benachteiligten Wohngebieten auch statistisch sichtbar gemacht. kindeswohl uj 7+8 (2007) 307 Korinna Bächer Jg. 1954; Ärztin - Psychotherapie, analytische Kinder- und Jugendlichentherapeutin „Spiel-Raum“ als passendes interdisziplinäres Angebot Aus den geteilten Erfahrungen der beiden Träger entstand im November 2003 der „Spiel-Raum“, eine heilpädagogisch-therapeutische Gruppe für bis zu acht Mütter mit Kleinkindern. Über einen längeren Zeitraum (mindestens für drei Monate, in den meisten Fällen aber bis die Kinder im Alter von drei Jahren in eine Kindertagesstätte aufgenommen werden) besuchen diese Familien regelmäßig an drei Vormittagen in der Woche von halb zehn bis halb ein Uhr den „Spiel-Raum“. An den anderen beiden Vormittagen steht den Müttern das „Elterncafé“ offen, das als präventives Angebot in denselben Räumen und teilweise mit denselben MitarbeiterInnen stattfindet. Der Name „Spiel-Raum“, der mancher Fachkraft zu „nett“ klingt, ist dennoch Programm: Es geht darum, Müttern und Kindern einen Spielraum zur Entwicklung zu bieten, in dem sie korrigierende emotionale Erfahrungen, positive Bestätigung, angemessene Herausforderungen und förderliche Unterstützung erleben können - in einer Atmosphäre von Akzeptanz, emotionaler Sicherheit und Respekt. Aktion befördert Interaktion: Schwierigkeiten im Umgang mit kleinen Kindern lassen sich schlecht am „grünen Tisch“ besprechen. In unserer Arbeit bemühen wir uns nicht in erster Linie darum, ein Problem zu lösen, sondern eine Situation zusammen mit Mutter und Kind „aus-zu-halten“. Das auch therapeutisch bedeutsame „Containing“ als ein wesentliches Merkmal der frühen Eltern-Kind-Beziehung kann so gemeinsam erfahren werden. Die Anlässe dafür sind unzählig. Dass auch wir manchmal ins Schwitzen geraten, steigert unsere Glaubwürdigkeit. Unser Team besteht aus einer Sozialpädagogin, einer Heilpädagogin und einer ärztlichen Psychotherapeutin und wird meistens ergänzt durch eine Praktikantin. Zwar können wir eine Reihe von therapeutischen Möglichkeiten und Methoden vorhalten, doch hat sich im Laufe der Zeit gezeigt, dass das flexible Einstellen auf die jeweilige Familie und Situation sowie das kontinuierliche und konstante Beziehungsangebot jeder Vorab-Einschätzung, ob diese oder jene Methode hilfreich sein könne, überlegen ist. Erklärtes Ziel in allen Fällen ist die Verbesserung der Mutter-Kind-Beziehung. Am Anfang der Maßnahme steht eine Hilfeplanung mit allen Beteiligten unter Einbeziehung des zuständigen Jugendamts, in der die individuell angestrebten Ziele benannt werden. Seit Abschluss der Modellphase, d. h. seit September 2005, finanziert das Jugendamt einen Teil der Maßnahme als „Hilfe zur Erziehung“ nach KJHG (§ 27 Absatz 2 SGB VIII). Die restliche Finanzierung erfolgt über die Fördervereine der Träger und über Spenden. Etliche Familien sind dem Jugendamt schon bekannt, z. B. weil ein älteres Geschwisterkind fremd untergebracht ist oder es zu polizeilich dokumentierter Gewalt zwischen den Eltern gekommen ist. Andere kommen über den Kinderarzt oder über freie soziale Verbände zu uns. Welche Familien erreichen wir? Auch wenn der Zugang zu dem Angebot „lediglich“ über geringe Erziehungskompetenz der Mütter und/ oder Entwicklungsstörungen der Kinder definiert wurde, berichtet der überwiegende Teil der Mütter, selbst als Kind oder auch in der Partnerschaft körperliche und seelische Gewalt erlitten zu haben. Unter den mittlerweile dreißig Frauen, die am „Spiel-Raum“ teilgenommen haben oder noch teilneh- 308 uj 7+8 (2007) kindeswohl men, gibt es einen hohen Anteil ehemaliger Heimkinder. Einen Schulabschluss hat nur gut die Hälfte, eine abgeschlossene Ausbildung nur ein Bruchteil. Diese Daten werden - wie auch andere anamnestische Merkmale - nicht systematisch erhoben, sondern im Laufe der Zeit in zahlreichen Kontakten und Gesprächen gesammelt. Überhaupt haben wir uns gegen systematische Testungen zu Beginn der Maßnahme entschieden - zugunsten des Beziehungsaufbaus bei den oft misstrauischen Frauen. Der Empfang in einer versorgenden, „mütterlichen“ Atmosphäre (gedeckter Frühstückstisch mit klein geschnittenem Obst) bringt unserer Erfahrung nach mehr und vor allem bedeutsamere anamnestische Einzelheiten zutage als systematisches Abfragen. Der hohe Anteil an Migrantenfamilien im Stadtteil Köln-Kalk spiegelt sich auch bei unseren Teilnehmerinnen wider: Die meisten sind nicht in Deutschland geboren. Migrationshintergrund ist kein Risiko für innerfamiliäre Beziehungsstörungen, doch haben wir gelegentlich mit Frauen zu tun, für die der Wegfall des familiären Rahmens (etwa nach einer Trennung vom Partner, die auch von der eigenen Herkunftsfamilie nicht gutgeheißen wurde) die komplette soziale Isolation und psychische Destabilisierung zur Folge hatte. Andere Frauen sind in ihrer Biografie wiederum so entwurzelt, dass sie über keine angemessenen inneren Vorstellungen bezüglich des Aufwachsens kleiner Kinder verfügen. Hierzu sei eine afrikanische Mutter zitiert, die einen zweieinhalbjährigen Sohn hat: „Bei uns zu Hause ist das nicht so schwierig mit den Kindern. Da sorgen die Dreijährigen für die Einjährigen. Die Mütter müssen nicht solche Sachen machen wie hier - immer spielen, immer aufpassen! Was soll das? Mein Kind muss alleine auf sich aufpassen! “ Dass Sprache in der alltagsnahen und situationsbezogenen Arbeit im „Spiel-Raum“ nur ein Medium unter anderen ist, kommt Menschen mit geringen Deutschkenntnissen - und das sind fast die Hälfte unserer Besucherinnen - entgegen. Wir lassen uns Zeit, und am meisten lernen wir alle durch Beobachtung: die Kinder, die Mütter, die Therapeutinnen. Und die Väter? Viele der Frauen leben nicht mit dem Vater ihres Kindes zusammen; falls er Kontakt zu seinem Kind hat, so verläuft dieser selten unkompliziert, sondern in der Mehrzahl der Fälle hochstrittig. In vier Fällen kam es während der „Spiel-Raum“-Teilnahme zu einer Trennung aufgrund von Gewaltanwendung seitens des Mannes gegen die Frau bzw. die Kinder. Wir müssen feststellen, dass es uns bisher nur in fünf von 30 Fällen gelungen ist, die Väter wirklich einzubeziehen. Allerdings nehmen auch diese Väter nur ausnahmsweise an den regulären Gruppenterminen teil, da die Anwesenheit eines Mannes nach unserer Erfahrung die Gruppendynamik der jungen Frauen, in der Mehrzahl ohne festen Partner, erheblich „aufmischt“. Zu den Paargesprächen, die wir grundsätzlich anbieten, kann bei Bedarf ein männlicher Therapeut aus dem Kinderschutz-Zentrum hinzugezogen werden. Spiel, Selbstwirksamkeit und Selbstheilung - drei Beispiele aus der Gruppe Der knapp dreijährige Marvin (Namen sind selbstverständlich pseudonymisiert), wie immer in schwarzer Lederjacke und mit totenkopfverzierter Baseballkappe, hat seine Vorliebe für das Puppenbaby entdeckt. Über lange Strecken kindeswohl uj 7+8 (2007) 309 spielt der Junge, der bisher meistens auf Tisch und Sofa herumsprang und dabei Waffengeräusche imitierte („Päng päng! Knall dich ab! “), mit der Puppe, kleidet sie aus und an, füttert sie und wiegt sie in den Schlaf. Schließlich möchte er selbst die rosa Jacke und Mütze der eineinhalbjährigen Mary anziehen. So ausgestattet, krabbelt er auf den Schoß einer Mitarbeiterin, rollt sich zusammen und steckt den Daumen in den Mund. Die Mutter, die sein Spiel kritisch betrachtet hat, ist nach kurzem Widerstand bereit, ihn von der Mitarbeiterin zu übernehmen: der erste liebevolle Körperkontakt zwischen ihr und ihrem „not-autonomen“ Sohn seit vielen Monaten. Sie wiegt ihn noch lange in ihren Armen. Kadirs Mutter ist völlig von der Trennung von ihrem Mann in Anspruch genommen. Seit Jahren hat er sie aus nichtigen Anlässen verprügelt. Beim letzten Mal musste sie ihre Verletzungen im Krankenhaus behandeln lassen. Sie war erleichtert, dass der dortige Arzt die Polizei einschaltete, die dem Mann eine Wegweisung erteilt hat, und ist jetzt froh, dass es „vorbei ist“, aber sie hat große Angst vor der „Rache“ ihres Mannes, und sie steht hilflos vor dem Berg von Aufgaben, den die erstmalige Unabhängigkeit mit sich bringt. Für Kadirs Nöte hat sie zur Zeit kein Ohr. Der Zweidreivierteljährige hat sich mit ein paar kleinen Tierfiguren in eine Ecke gehockt, wo er, den Kopf zwischen den Knien, hin- und herschaukelt und ein leises Wimmern von sich gibt. Nach einer Weile setzt sich eine Mitarbeiterin in seine Nähe und beginnt zu erzählen - irgendetwas, vielleicht von den Tieren. Kadir nimmt keinen direkten Kontakt zu ihr auf, scheint sich zu aber beruhigen. Er spielt mit den Tierfiguren, stellt sie vor sich hin und gibt ihnen Namen - „Papa“, „Mama“, „Baby“. In der nun folgenden Spielsequenz verprügelt der „Papa“ abwechselnd das Baby und die Mama. Anschließend wird er in eine Ecke geworfen. Die „Mama“ wird unter das Polster geschoben, und das „Baby“ muss alleine zurück in den Stall. Der Junge hat rote Backen, sucht jetzt den Blickkontakt zu der Mitarbeiterin und strahlt sie an. Auch wenn er noch nicht über seine Notlage reden kann, ist es ihm gelungen, sie zum Ausdruck zu bringen. „Ständig hängt die mir am Bein“, beklagt sich Frau C. häufig über ihre zweieinhalbjährige Tochter. Selbst in ihrer Wohnung könne sie keinen Schritt ohne sie tun. Auch in der Gruppe fällt Sabrinas extreme Anhänglichkeit auf. Gestern hatte Frau C. zu Hause aus dem Ärger heraus eine Idee: Sie band das eine Ende einer mehrere Meter langen Schnur um Sabrinas Bein, das andere um ihr eigenes. „Siehst du, ich kann dir doch gar nicht weglaufen! “ Sabrina war zunächst begeistert, doch nach kurzer Zeit wurde ihr der Radius zu klein: sie griff sich die Kinderschere und schnitt die Schnur kurzerhand durch. Eltern auf Zeit Jede/ r FamilienhelferIn kennt die Falle des engagierten Arbeitens in Familien mit kleinen Kindern: Deren Hunger nach Zuwendung ist manchmal so unmittelbar und lässt sich so leicht befriedigen, dass die Eltern darüber schnell aus dem Blick geraten können. Auf deren Selbstbewusstsein wirken solche Helfer-Kind-Kontakte gar nicht aufbauend. Auch pädagogische und therapeutische Angebote für ihr Kind können bei bedürftigen Eltern das Gefühl wieder beleben, selbst (wie immer) zu kurz zu kommen. Ein Weg aus dem Dilemma ist die „balancierte“ Zuwendung - für Mutter und Kind. Vor allem die jüngeren Mütter aus dem „Spiel-Raum“ nehmen im guten Fall die Möglichkeit wahr, in der Gruppe und mit den Mitarbeiterinnen einiges an adoleszenter Entwicklung nachzuholen. Zu unserem Konzept gehört es, ihnen für eine gewisse Zeit ein Stück „Nach-Beelterung“ anzubieten - mit allen Facetten -, bis sie in der Lage sind, die Verantwortung für die Förderung und Erziehung ihrer Kinder selbst zu übernehmen. Ein Beispiel: Die zweiundzwanzigjährige Leyla ist sauer auf mich. „Du bist eine schlechte Mutter! “ schimpft sie. Sie braucht eine größere Wohnung, und wir helfen ihr bei der Suche, doch den Anruf bei der Wohnungsbaugesellschaft soll sie selbst tätigen. „Dann musst du mir die Hand halten! “ Der Anruf hat geklappt, jetzt will sie sich etwas gönnen, auf die Sonnenbank gehen und 310 uj 7+8 (2007) kindeswohl währenddessen ihren dreijährigen Sohn bei uns lassen. Normalerweise geht das in Ordnung, aber heute stimmen wir nicht zu: Leyla weiß, dass sie mit drei anderen Müttern gleich an einem „Erziehungskurs“ teilnehmen soll, der im Rahmen unseres Angebots stattfindet. Sie jammert, schmeichelt und zetert - vergeblich. „Morgen komme ich nicht! “ Wenn sie morgen um zehn Uhr noch nicht da ist, werden wir sie anrufen, vielleicht aus dem Bett klingeln, und sie wird kommen. Ein paar Mal haben wir den Anruf versäumt, und sie war enttäuscht: „Ich dachte schon, ihr habt mich vergessen! “ „Eine regelmäßige Teilnahme wird vorausgesetzt“, heißt es im ersten Hilfeplangespräch beim Jugendamt. Das ist eine Hürde für manche Frauen. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, diese Hürde anfangs nicht zu hoch zu legen und den Frauen eine gewisse Testphase einzuräumen. Das erleichtert ihnen den Weg vom erzwungenen, „fremdbestimmten“ Gang zum Besuch aus eigenem Interesse. So war auch die Zahl der Abbrecherinnen bisher gering, und die Beharrlichkeit, mit der viele Frauen uns immer wieder aufsuchen, auch wenn ihr Kind schon im Kindergarten ist, ist letztlich auch ein Erfolgszeichen: Es ist ihnen und uns gelungen, eine Beziehung aufzubauen. Fachleistungsstunden sind teuer, aber Veränderung braucht Zeit! Eine veränderte Wahrnehmung von sich selbst und vom eigenen Kind bei der überwiegenden Mehrzahl der Teilnehmerinnen war für uns ein wichtiges Merkmal für das Gelingen des „Spiel-Raum“-Konzepts. Wir haben diese und andere Veränderungen in einem halboffenen Auswertungsgespräch gegen Ende der Maßnahme erhoben. Die fast explosionsartigen Entwicklungsfortschritte der Kinder erklären sich sicherlich zu einem Teil daraus, dass diese eine nicht unerhebliche Zeit des Tages bei uns in einer kindgerechten, emotional sicheren und förderlichen Atmosphäre verbringen. Doch in Verbindung mit den seelischen Stabilisierungen und verbesserten Selbstkonzepten der Mütter liegt die Annahme nahe, dass ihre Probleme nicht nur Ausdruck eines Förderdefizits waren, sondern auch einer wechselseitigen Entwicklungsblockade. Der Schlüssel zu deren Lösung liegt meines Erachtens vor allem in der zeitintensiven „Beziehungsarbeit“ unter Einsatz eines interdisziplinären Teams - und in der Fähigkeit der Frauen, das, was sie selbst im „Spiel-Raum“ erlebt haben, direkt an ihre Kinder weiterzugeben. Beziehung kann Beziehungsstörungen heilen. Solche Veränderungen benötigen Zeit. Deren Bezahlung in Form von Fachleistungsstunden durch das Jugendamt sollte unserer Gesellschaft für den Aufbau guter familiärer Beziehungen und zum Schutz der Kinder nicht zu teuer sein. Die Autorin Korinna Bächer Projektleiterin Frühe Kindheit Kinderschutz-Zentrum Köln Bonner Straße 151 50968 Köln k.baecher@kinderschutzbund-koeln.de kindeswohl uj 7+8 (2007) 311
