eJournals unsere jugend 59/9

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2007
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Ist die Einführung einer Meldepflicht zu den Früherkennungsuntersuchungen verfassungsgemäß?

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2007
Angela Smessaert
In verschiedenen Bundesländern ist geplant, die bundeseinheitlichen Früherkennungsuntersuchungen (U 1 - U 9 und J 1) - oft auch Vorsorgeuntersuchungen genannt - um eine Meldepflicht zu ergänzen. Diese sollen weitere Maßnahmen ermöglichen, die zu einem wirkungsvolleren Kinderschutz führen sollen. Ist eine solche Meldepflicht aber überhaupt mit den verfassungsrechtlich garantierten Grundrechten der betroffenen Kinder, Eltern und ÄrztInnen vereinbar?
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Wie der Kinderschutz wirkungsvoll verbessert werden kann, wird zurzeit nicht nur in der Fachpraxis, sondern auch in der Öffentlichkeit und nicht zuletzt der Politik heiß diskutiert. Ein rechtspolitischer Vorschlag lautet, die bislang gesetzlich nicht vorgeschriebenen Früherkennungsuntersuchungen, wenn schon nicht verbindlich vorzuschreiben, so doch mit einer Meldepflicht zu verbinden. Durch diese soll es den Behörden ermöglicht werden, gezielt auf nicht teilnehmende Familien zuzugehen. Das Saarland hat eine solche Meldepflicht bereits eingeführt (vgl. § 8 a Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst v. 6. 4. 2007), in Schleswig-Holstein wird Entsprechendes zurzeit vorbereitet (vgl. § 7 Entwurf eines Kinderschutzgesetzes, Drs. 16/ 1439). Der vorliegende Aufsatz entstand anlässlich der rechtswissenschaftlichen Begleitung des schleswig-holsteinischen Vorhabens. Die hier untersuchten Regelungen sehen dabei im Wesentlichen Folgendes vor: ÄrztInnen, die eine Früherkennungsuntersuchung durchgeführt haben, sollen bestimmte personenbezogene Daten des Kindes und der Eltern (dazu gehören Name und Adresse - nicht jedoch Ergebnisse der ärztlichen Untersuchung! ) an eine zu errichtende zentrale Früherkennungsstelle melden. Die zentrale Stelle gleicht die eingegangenen Daten mit Informationen aus dem Geburten-/ Personenregister ab und ist so in der Lage festzustellen, welche Kinder nicht an der Vorsorgeuntersuchung ihrer Altersgruppe teilgenommen haben. Sie meldet diese Fälle an das für die Früherkennungsuntersuchung zuständige Gesundheitsamt. Dieses meldet, sollte auch nach einer Einladung/ Erinnerung der Eltern keine Untersuchung durchgeführt worden sein, die Fälle an das für den Kinderschutz zuständige Jugendamt weiter. MitarbeiterInnen des Jugendamtes sollen dann überprüfen, ob in einem Fall der unterlassenen Wahrnehmung von Früherkennungsuntersuchung eine Kindeswohlgefährdung festzustellen ist. recht uj 9 (2007) 389 Unsere Jugend, 59. Jg., S. 389 - 395 (2007) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Ist die Einführung einer Meldepflicht zu den Früherkennungsuntersuchungen verfassungsgemäß? Angela Smessaert In verschiedenen Bundesländern ist geplant, die bundeseinheitlichen Früherkennungsuntersuchungen (U 1 - U 9 und J 1) - oft auch Vorsorgeuntersuchungen genannt - um eine Meldepflicht zu ergänzen. Diese sollen weitere Maßnahmen ermöglichen, die zu einem wirkungsvolleren Kinderschutz führen sollen. Ist eine solche Meldepflicht aber überhaupt mit den verfassungsrechtlich garantierten Grundrechten der betroffenen Kinder, Eltern und ÄrztInnen vereinbar? Verletzung eines Grundrechts der Kinder oder Eltern? Betroffene Grundrechte Fraglich ist zunächst, welche grundrechtlich geschützten Rechte der Eltern oder Kinder durch die Meldepflicht betroffen sein könnten. Betroffen ist zunächst das Recht der elterlichen Sorge aus Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz (GG), das es auch erlaubt, Entscheidungen über die Art der gesundheitlichen Versorgung des Kindes zu treffen. Aufseiten der Kinder ist insbesondere an das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG zu denken, das gegen medizinische Zwangsuntersuchungen ohne oder gegen den durch die Eltern vertretenen Willen des Kindes schützt. Bei der hier gewählten Regelungsvariante der Meldepflicht bleibt die Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen jedoch freiwillig (zur Verfassungswidrigkeit verpflichtender Früherkennnungsuntersuchungen vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages 2006 a oder zurückhaltender Lindner 2006). Damit ist die Meldepflicht im Übrigen auch ganz klar von den in vielen Ländern verpflichtenden Kindertagesstätten- oder Schuleingangsuntersuchungen abzugrenzen (beispielsweise für Berlin festgeschrieben in § 6 KiTa-Gesetz bzw. § 55 Abs. 5 Schulgesetz). Letztere sind aufgrund der Pflicht des Staates gerechtfertigt, die anderen Kinder in den Gemeinschaftseinrichtungen vor ansteckenden Krankheiten zu schützen. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit wird somit bei der Einführung der Meldepflicht nicht berührt. Da bei dem Modell der Meldepflicht personenbezogene Daten weitergegeben werden, kommt aber eine Verletzung des im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verankerten Rechtes auf informelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in Betracht. Auch kann wohl das aus der Allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) abzuleitende Recht auf Nichthandeln bzw. Bequemlichkeit als betroffen angesehen werden, da sich nun die Eltern zumindest intensiver mit den Früherkennungsuntersuchungen auseinandersetzen müssen und sich anders als zuvor bestimmte Handlungspflichten ergeben. Begrenzung des grundrechtlichen Schutzes Der Schutzbereich der im Grundgesetz verankerten Rechte ist jedoch nicht unbegrenzt. Die Grundrechte werden vielmehr durch sogenannte Schranken relativiert. Dadurch kann Konflikten mit den Interessen der Allgemeinheit und auch den Rechten und Grundrechten anderer begegnet werden (Pieroth/ Schlink 2005, Rz. 206). Bei allen oben erwähnten möglicherweise betroffenen Grundrechten von Kindern und Eltern handelt es sich um schrankenbehaftete Grundrechte: So ist dem Elternrecht in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG das staatliche Wächteramt nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG gegenübergestellt. Dies bedeutet, dass Eltern zwar grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach ihren eigenen Vorstellungen darüber entscheiden dürfen, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten. Der Staat 390 uj 9 (2007) recht Angela Smessaert Jg. 1979; Rechtsreferendarin in Warteschleife, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Prof. Dr. Münder an der TU Berlin und in der Kanzlei Müller-Wrede & Partner muss diesen Vorrang achten, hat aber gleichzeitig die Pflicht, das Kind gegenüber seinen Eltern zu schützen, wenn diese ihrer Verantwortung nicht gerecht werden (Schmitt-Krammler in Sachs 2003, Art. 6 GG Rz. 66). Auch das Recht auf Allgemeine Handlungsfreiheit und das aus ihm abgeleitete Recht auf informelle Selbstbestimmung stehen unter einem Vorbehalt: Sie können nur innerhalb der „verfassungsmäßigen Ordnung“ ausgeübt werden. Hinsichtlich des Rechts auf informelle Selbstbestimmung bestehen auf Grund des besonderen Bezugs zur unantastbaren Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) jedoch verstärkte Rechtfertigungsanforderungen (Murswiek in Sachs 2003, Art. 2 GG Rz. 103). Alle genannten Vorbehalte haben zur Konsequenz, dass die jeweils geschützten Grundrechte durch einfache Gesetze eingeschränkt werden können. Die von den Landtagen verabschiedeten oder noch zu verabschiedenden Gesetze, in denen eine Meldepflicht zu den Früherkennungsuntersuchungen eingeführt wird, können damit als Schranken der Grundrechte wirken. Einhaltung der sogenannten Schranken-Schranke Die mit der Einführung einer solchen Norm vorgenommene Verkürzung des Schutzes eines Grundrechts ist jedoch nur dann verfassungsgemäß, wenn sie wiederum innerhalb bestimmter Schranken erfolgt. Die wichtigste sogenannte Schranken-Schranke ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser ist gewahrt, erfolgt die Einschränkung des Grundrechts zum einen zur Durchsetzung eines verfassungsrechtlich legitimen Zwecks. Zum anderen muss dargelegt werden, dass die so eingeführte Maßnahme geeignet und erforderlich ist, diesen Zweck zu erreichen, und dass nach einer Güterabwägung zwischen der damit verursachten Beeinträchtigung und dem verfolgten Zweck diese in einem angemessen gewichteten und wohl abgewogenen Verhältnis zueinander stehen (Pieroth/ Schlink 2005, Rz. 289; Sachs in Sachs 2003, Vor Art. 1 GG Rz. 135, Art. 20 GG Rz. 149ff). Verfassungsrechtlich legitime Zielrichtung der Einführung einer Meldepflicht ist es, mögliche Fälle von Kindeswohlgefährdung aufzudecken. Es wird vermutet, dass fehlende Früherkennungsuntersuchungen gerade bei der Gruppe derjenigen Eltern auftreten, in der Sorgerechtsmissbrauch häufiger vorkommt. Zwar gibt es dazu bislang keine aussagekräftigen Daten; die in jüngerer Zeit aufgetretenen Fälle von Vernachlässigung und Missbrauch führen aber zu der gesellschaftlichen Forderung, gerade die Rechtslage hinsichtlich der bislang freiwillig gestalteten Früherkennungsuntersuchungen zu ändern und diese stärker verpflichtend zu machen (Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages 2006 b, 9f). Der mit der Meldepflicht verfolgte Zweck ist somit der Schutz von Kindern in ihrem physischen und psychischen Wohlergehen, zu dem der Staat aufgrund des Wächteramts in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG sogar ausdrücklich verfassungsrechtlich verpflichtet ist. Die Meldepflicht und die an diese anschließenden Maßnahmen sind geeignet, Fälle von Kindeswohlgefährdung zu erkennen und Schritte zum Schutz der Kinder einzuleiten. Auch wenn davon auszugehen ist, dass trotz der Einführung der beschriebenen Maßnahmen Fälle von Kindeswohlgefährdung unaufgedeckt bleiben, ändert dies nichts an der Beurteilung der Geeignetheit. Diese verlangt nicht die bestmögliche Zweckerreichung. Es muss lediglich gewährleistet sein, dass überhaupt ein Beitrag zur Erreichung des Zwecks geleistet werden kann. Von der Erforderlichkeit eines solchen Gesetzes ist ebenfalls ausrecht uj 9 (2007) 391 zugehen. Mildere Mittel zur Erkennung von Kindeswohlgefährdung sind zwar möglich (z. B. verstärkte Aufklärung oder Förderungsmaßnahmen einer freiwilligen Meldung an die zentrale Stelle), diese sind jedoch aufgrund ihrer anderen Wirkweise nicht in der gleichen Weise geeignet. Entscheidend für die Verfassungsmäßigkeit ist daher, ob nach Abwägung zwischen der mit der Einführung der Meldepflicht verursachten Beeinträchtigung und dem damit verfolgten Zweck diese in einem wohl abgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Die Bedeutung des Schutzes der Kinder vor Missbrauch und Vernachlässigung ist sehr hoch und weist einen deutlichen Bezug zur Menschenwürde auf. Vor diesem Schutzinteresse muss das Interesse der Eltern zurücktreten, den Früherkennungsuntersuchungen nicht nachzukommen. Bei dem hier gewählten Regelungsinstrument der Meldepflicht werden sie aber nicht einmal verpflichtet, ihre Kinder an den Untersuchungen teilnehmen zu lassen. Sie müssen sich lediglich versichernden Nachfragen stellen, sollten sie sich gegen eine Teilnahme ihrer Kinder entscheiden. Für eine ausgewogene Güterabwägung spricht auch, dass nicht unmittelbar auf das Versäumnis eines Früherkennungstermins ein Besuch des Jugendamtes folgt. Über das Erinnerungs- und Einladungssystem wird sichergestellt, dass den Eltern zunächst noch einmal die Bedeutung der Früherkennungsuntersuchungen für die Sicherstellung des Wohls ihres Kindes ins Bewusstsein gerufen wird. Ebenfalls einleuchtend ist das geringere Gewicht des Interesses an einer gewissen Bequemlichkeit. Durch die Meldepflicht sind natürlich besonders die teilnehmenden Kinder und ihre Eltern betroffen. Mit der Weitergabe der sie betreffenden Daten an die zentrale Abgleichstelle sind sie in ihrem Recht auf informelle Selbstbestimmung berührt. Auch dieses geschützte Interesse muss jedoch vor dem Interesse am Schutz anderer Kinder zurücktreten, das als gewichtiges Interesse des Gemeinwohls anzusetzen ist. Der mit der Einführung der Meldepflicht verbundene Eingriff in die Grundrechte der Kinder und Eltern ist somit verfassungsrechtlich gerechtfertigt und stellt keine Verletzung eines geschützten Rechts dar. Verletzung eines Grundrechts der ÄrztInnen? Durch die bisher geplanten oder erlassenen Meldepflichten werden ÄrztInnen verpflichtet, nach der Durchführung einer Früherkennungsuntersuchung bestimmte Daten an die zuständige zentrale Stelle weiterzugeben. Zu klären ist, ob sie dadurch in ihrem in Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Recht auf Berufsfreiheit verletzt sind. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG enthält einen einfachen Gesetzesvorbehalt. Da die Meldepflicht in einem Gesetz verankert ist oder werden soll, kommt sie als Schranke in Betracht. Wie schon im Hinblick auf die Grundrechte der Kinder und Eltern dargelegt wurde, wird mit der Einführung der Meldepflicht auch ein legitimer Zweck (die Ermöglichung eines verstärkten Kinderschutzes) verfolgt. Die Meldepflicht ist eine geeignete Maßnahme, diesen Zweck zu erreichen. Sie ist mangels anderer gleich geeigneter, aber weniger belastender Eingriffsmöglichkeiten auch erforderlich. Im Hinblick auf die unerlässliche Abwägung der betroffenen Güter muss beachtet werden, dass das Bundesverfassungsgericht beim Grundrecht auf Berufsfreiheit nach der Intensität des Eingriffs abgestufte Rechtfertigungsanforderungen stellt (so z. B. im Apothekenurteil BVerfGE 7, 377ff). Ein Eingriff in die Berufsfreiheit kann mehr ihrem Ausübungsaspekt (d. h. „wie“ die beruflichen Tätigkeit ausgeübt wird) oder mehr ihrem Wahlaspekt (also „ob“ eine be- 392 uj 9 (2007) recht rufliche Tätigkeit gewählt werden kann) gelten. Insbesondere bezüglich der Frage, ob ein Beruf überhaupt ergriffen werden kann, wird nochmals hinsichtlich subjektiver und objektiver Zulassungsschranken differenziert (vgl. dazu Tettinger in Sachs 2003, Art. 12 GG Rz.100ff). Durch die Meldepflicht wird für ÄrztInnen, die Früherkennungsuntersuchungen durchführen, eine Modalität festgelegt, unter der sie ihre berufliche Tätigkeit vollziehen müssen. Es handelt sich damit um eine Berufsausübungsregel. Das Recht der freien Berufsausübung stellt die niedrigste Stufe der Rechtfertigungsanforderungen dar. Innerhalb der Güterabwägung sind hier eingreifende Regelungen bereits gerechtfertigt, soweit diese aus „Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit“ im Interesse des Allgemeinwohls erforderlich sind. Sowohl Gesundheitsvorsorge als auch der Schutz vor Misshandlungen und Vernachlässigungen liegen im Interesse des Allgemeinwohls. Um diese Ziele effektiv zu verfolgen, ist es systematisch erforderlich, die tatsächlich durchgeführten Vorsorgeuntersuchungen bei einer zentralen Stelle zu erfassen und mit den vorhandenen Daten abzugleichen. Auch der Eingriff in die Berufsfreiheit der ÄrztInnen ist somit verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht? Der besondere Schutz der ärztlichen Schweigepflicht wurde vom Bundesverfassungsgericht (z. B. BVerfGE 32, 372ff) unter Hinweis auf das Vertrauensverhältnis zwischen ÄrztInnen und PatientInnen im Rahmen der ärztlichen Behandlung begründet. Danach müssen und dürfen die PatientInnen erwarten, dass Informationen über sie geheim bleiben und nicht zur Kenntnis Unbefugter gelangen. Grundrechtlich leitet sich dieser Schutz aus dem im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verwurzelten Recht des/ der Einzelnen auf informelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) ab. Dass durch die Meldepflicht dieses Recht aufgrund der Höherwertigkeit des so ermöglichten Kinderschutzes nicht verletzt ist, wurde bereits oben dargelegt. Da zu dieser Rechtsfrage jedoch vermutlich die meisten Nachfragen gestellt werden, soll im Folgenden noch kurz auf die im Berufsrecht der ÄrztInnen normierte Schweigepflicht eingegangen werden. Diese ist in § 9 der (Muster-)Berufsordnung der Bundesärztekammer (MBO) und in den jeweiligen - zumeist sehr ähnlich abgefassten - landesspezifischen Berufs- oder Standesordnungen festgelegt, die von den Landesärztekammern erlassen werden. Zu beachten ist, dass lediglich Letztere für die ÄrztInnen tatsächlich rechtsverbindlich sind. Zu keinem Bruch der ärztlichen Schweigepflicht führt eine Offenbarung, wenn für diese eine Offenbarungsbefugnis bestehen sollte. In § 9 Abs. 2 Satz 2 MBO ist explizit die Möglichkeit einer gesetzlichen Anzeigepflicht erwähnt. Die von den Landesgesetzgebern verabschiedeten oder geplanten Regelungen zu einer Meldepflicht nach der Durchführung der Früherkennungsuntersuchungen stellen eine solche gesetzliche Anzeigepflicht dar (Wissenschaftlicher Parlamentsdienst des Berliner Abgeordnetenhauses 2006 a, 11ff). Aufgrund der konkreten Ausformung, insbesondere hinsichtlich der zu meldenden Daten, ist auch keine unverhältnismäßige Einschränkung der Schweigepflicht und eine damit einhergehende Gefährdung des geschützten Vertrauensverhältnisses zu befürchten: Über den Inhalt oder das Ergebnis der Untersuchung sind ebenso wenig wie über den Inhalt des vertrauensvollen ärztlichen Beratungsgesprächs Angaben zu machen. Dadurch wird das Vertrauensverhältnis zwischen ÄrztInnen und PatientInnen geschützt. recht uj 9 (2007) 393 Lediglich abschließend sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass während einer Früherkennungsuntersuchung ein konkreter Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung entsteht, es auf die hier erörterte gesetzliche Meldepflicht gar nicht ankommt. So ist in den Berufsordnungen vorgesehen, dass ÄrztInnen zu Offenbarungen befugt sind, soweit diese zum Schutz eines höherrangigen Rechtsguts - wie es der Kindesschutz ist - erforderlich sind. Und auch strafrechtliche Konsequenzen z. B. nach § 203 Strafgesetzbuch (StGB) sind nicht zu befürchten, da ein rechtfertigender Notstand nach § 34 StGB gegeben ist. Fazit und Hinweis auf offene Fragen Die hier untersuchte Ausformung einer Meldepflicht zu den Früherkennungsuntersuchungen ist verfassungsgemäß. Sie verstößt weder gegen Grundrechte der Kinder oder Eltern noch gegen Grundrechte der verpflichteten ÄrztInnen. Bei der Meldung von Daten nach dieser Pflicht wird auch die ärztliche Schweigepflicht nicht verletzt. Entscheidend für dieses Ergebnis ist insbesondere die konkrete Ausformung der Meldepflicht. Dazu gehört zum einen, dass die Früherkennungsuntersuchungen selbst weiter freiwillig bleiben, zum anderen lassen die weiterzugebenden Daten keine zu starke Einschränkung der betroffenen Rechte befürchten. Würden hingegen neben personenbezogenen Daten (Name und Adresse der Kinder und Eltern) auch Ergebnisse der Untersuchung weitergegeben werden müssen, wäre viel eher die Verletzung des Rechts auf informelle Selbstbestimmung und der ärztlichen Schweigepflicht zu befürchten. So bleibt das ärztliche Vertrauensverhältnis jedoch gewahrt. Die Ermöglichung der Aufdeckung von Kindeswohlgefährdungen durch den Abgleich der gemeldeten Daten stellt ein gewichtiges Interesse der Allgemeinheit dar, das die durch die Einführung einer Meldepflicht verursachten Beschränkungen in Grundrechten rechtfertigt. Nichtsdestoweniger ist nun bei der weiteren Ausgestaltung des Meldesystems darauf zu achten, dass insbesondere die einfachgesetzlichen Datenschutzbestimmungen eingehalten werden. Die Daten sind zweckgebunden zu erfassen und zu verwerten. Kritisch hinterfragt werden sollte insbesondere der Schutz der Daten bei der jeweiligen Weitergabe (von ÄrztInnen zur zentralen Meldestelle, von dieser zu den weitere Maßnahmen ergreifenden öffentlichen Stellen). Es muss nicht nur der Zugriff Unberechtigter auf die Daten, sondern auch z. B. eine Vorratsspeicherung verhindert werden (erste kritische Hinterfragung z. B. durch Gundermann 2007). Demgegenüber sind Fallkonstellationen deutlich abzugrenzen, bei denen Früherkennungsuntersuchung durchführende ÄrztInnen selbst zu einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung kommen. Diese können und sollten, ohne dass hierfür ein Rückgriff auf die hier untersuchte Meldepflicht erforderlich ist, zum Schutz der Kinder vor weiteren körperlichen oder seelischen Schäden die Polizei oder das Jugendamt benachrichtigen. Literatur Abgeordnetenhaus von Berlin, Wissenschaftlicher Parlamentsdienst 2006: „Gutachten zur Frage einer Verpflichtung zur Teilnahme an kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen“ vom 26. 1. 2006 Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags (Hrsg.), 2006 a: Ausarbeitung WF III - 355/ 05: „Zur Zulässigkeit die Vorsorgeuntersuchungen U 1 bis U 9 sowie J1 bei Kindern und Jugendlichen verpflichtend zu machen“ vom 24. 1. 2006 394 uj 9 (2007) recht Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags (Hrsg.), 2006 b: Ausarbeitung WD 3 - 207/ 06: „Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung von Vorsorgeuntersuchungen“ vom 28. 6. 2006 Gundermann, L., 2007: Meldesystem zur Früherkennung und Datenschutz. Vortrag auf dem Fachforum am 25. April zur Früherkennung im Kinderschutz. Folien unter https: / / www.datenschutzzentrum.de/ vortraege/ 20070425gundermann-frueherkennung.pdf, 25. 4. 2007, 9 Seiten Lindner, J. F., 2006: Verpflichtende Gesundheitsvorsorge für Kinder? In: Zeitschrift für Rechtspolitik, 39. Jg, H. 4, S. 115 - 118 Pieroth, B./ Schlink, B., 20 2005: Lehrbuch zum Staatsrecht II - Grundrechte. Heidelberg Sachs, M., 3 2003: Grundgesetz Kommentar. München Die Autorin Angela Smessaert TU Berlin Fakultät 1 Geisteswissenschaften Sekretariat FR 4 - 7 Franklinstraße 28/ 29 10587 Berlin smessaert@web.de recht uj 9 (2007) 395 2007. ca. 288 Seiten. ca. 3 Abb. ca. 11 Tab. (978-3-497-01926-7) kt ca. € [D] 29,90 | € [A] 30,80 | SFr 50,50 Oppositionelles, aggressives Verhalten von Kindern und Jugendlichen fordert Lehrerinnen und Lehrer heraus. Häufig werden diese Kinder sowohl von ihren Mitschülern als auch von Lehrern abgelehnt, da sie den Unterricht stören und Mitschüler gefährden können. Dieses Buch informiert über die wichtigsten Faktoren bei der Entstehung von antisozialem Verhalten und zeigt Wege aus Krisensituationen - damit Lehrerinnen und Lehrer besser auf antisoziales Verhalten in der Schule reagieren können. a www.reinhardt-verlag.de