unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2008
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Erfolg und Misserfolg in der Heimerziehung
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2008
Michael Macsenaere
Gerhard Schemenau
Heimerziehung gerät immer wieder durch die Schilderung einzelner, drastischer Misserfolge in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Wie sehen aber die Resultate der Heimerziehung in der gesamten Breite aus? Stehen den zitierten Misserfolgen auch entsprechende Erfolge gegenüber und womit sind diese erzielten Ergebnisse zu erklären? Hierzu werden aktuelle Ergebnisse aus der "Evaluation Erzieherischer Hilfen" (EVAS) dargestellt.
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26 uj 1 (2008) neue impulse in der heimerziehung Erfolg und Misserfolg in der Heimerziehung Ergebnisse und Erfahrungen aus der Evaluation Erzieherischer Hilfen (EVAS) Michael Macsenaere/ Gerhard Schemenau Heimerziehung gerät immer wieder durch die Schilderung einzelner, drastischer Misserfolge in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Wie sehen aber die Resultate der Heimerziehung in der gesamten Breite aus? Stehen den zitierten Misserfolgen auch entsprechende Erfolge gegenüber und womit sind diese erzielten Ergebnisse zu erklären? Hierzu werden aktuelle Ergebnisse aus der „Evaluation Erzieherischer Hilfen“ (EVAS) dargestellt. Intensive Hilfen zur Erziehung geraten zurzeit aufgrund der mit ihnen verbundenen hohen Kosten unter verstärkten Legitimationsdruck. Heimerziehung scheint davon besonders betroffen zu sein, wie diverse Praktiken zur Kostendeckelung oder -reduzierung zeigen. So wird mancherorts die Hilfedauer auf beispielsweise 18 Monate begrenzt, Heimerziehung wird vermieden oder nur als ultima ratio eingesetzt, Zusatzleistungen werden ausgedünnt oder die Entscheidung für eine Hilfe zur Erziehung wird „ausgesessen“. Gerade in dieser Situation ist es wichtig, die Möglichkeiten und Grenzen dieser Hilfeart unter die Lupe zu nehmen. Einen Zugang hierzu bieten qualitative Studien (z. B. Finkel, 2004; Lambers, 1996; Rätz-Heinisch, 2005). Andererseits wäre es hilfreich, diese mit aktuellen bundesweiten Ergebnissen aus der quantitativen Forschung zu ergänzen, um verallgemeinerbare Aussagen treffen zu können. In diesem Sinne werden hier auf Basis der „Evaluation Erzieherischer Hilfen“ (EVAS) Ausgangssituation und Ergebnisse der untersuchten Hilfen im Überblick dargestellt und der Praxiseinsatz von EVAS exemplarisch von einer stationären Einrichtung beschrieben. Prof. Dr. Michael Macsenaere Jg. 1959; Geschäftsführender Direktor der IKJ Institut für Kinder- und Jugendhilfe gGmbH Gerhard Schemenau Jg. 1941; Geschäftsführer der gemeinnützigen Schottener Reha GmbH Unsere Jugend, 60. Jg., S. 26 - 33 (2008) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel uj 1 (2008) 27 Die Datengrundlage: EVAS 1997 bildete sich eine interdisziplinär besetzte Arbeitsgruppe mit dem Ziel, ein Instrumentarium zu schaffen, das Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, aber auch Jugendämtern auf der Grundlage einer einheitlichen und systematischen Evaluation Qualitätsentwicklung ermöglicht. Nach Analyse der Jugendhilfestudien mit einem Fokus auf Ergebnisqualität (u. a. Jugendhilfe-Effekte-Studie (JES), vgl. Schmidt u. a. 2003; Macsenaere u. a. 2003) wurde ein Instrumentarium entworfen, das die inhaltlich und testtheoretisch am besten geeigneten Items umfasste. Nach mehreren Pre-Tests stand am Ende ein auf vier Seiten verdichtetes Instrumentarium, das mit überschaubarem Aufwand durch PraktikerInnen eingesetzt werden kann. EVAS startete 1999 in Bayern und breitete sich in der Folge auf die gesamte Bundesrepublik Deutschland aus (vgl. Macsenaere/ Knab 2004). Mittlerweile hat sich EVAS zur größten Jugendhilfe-Evaluation im deutschsprachigen Raum entwickelt: Verteilt über alle 16 Bundesländer liegen zurzeit die Daten von über 22.000 Hilfen vor. Sie stammen aus ca. 250 Einrichtungen aus Deutschland, Österreich und Luxemburg (eine EVAS-Kurzdarstellung von Macsenaere/ Herrmann findet sich in unsere jugend, 2004/ 1). Die nachfolgenden Aussagen beziehen sich auf insgesamt 12.393 untersuchte Hilfen nach § 34 SGB VIII, von denen 6.938 abgeschlossen sind. Wer nimmt Heimerziehung in Anspruch? Das durchschnittliche Alter der Heimklientel bei Hilfebeginn beträgt knapp 13 Jahre und liegt damit erheblich über dem der Vollzeitpflege, der Erziehung in Tagesgruppen und der Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH). Die 14bis 17-Jährigen stellen mit 47 % die größte Gruppe dar, wobei ihr Anteil in den letzten Jahren sukzessive zugenommen hat und aktuell schon bei über 50 % liegt. Dies spricht möglicherweise für einen Trend, Heimerziehung später zu gewähren. Analog zur Bundesstatistik sind 60 % der Klientel männlich und 40 % weiblich. Mädchen weisen zu Hilfebeginn im Mittel ein erheblich höheres Alter auf, was mit ihrer eher internalisierenden Problematik zusammenhängt (s. u.). Das Sorgerecht liegt nur zu 26 % bei beiden Elternteilen. In knapp der Hälfte der Fälle liegt es bei einem Elternteil alleine (Mutter 44 %, Vater 6 %) und in immerhin 13 % beim Vormund. Eine Heimerziehung folgt in der Regel (90 %) auf schon zuvor in Anspruch genommene (Jugend-)Hilfen: Dabei stehen Heimerziehung (in einer anderen Einrichtung) (32 %), stationäre Psychiatrie (23 %), Sozialpädagogische Familienhilfe (19 %), Inobhutnahme (15 %), Erziehungsberatung (15 %) und Tagesgruppe (14 %) im Vordergrund. Dieser Befund ist bedenklich, da die Misserfolgswahrscheinlichkeit einer Jugendhilfe mit der Anzahl und der Intensität der bereits zuvor in Anspruch genommenen Hilfen steigt. Ebenfalls bedenklich ist der seit 2001 zu verzeichnende Trend, Heimerziehung erst nach extrem vielen und/ oder hochschwelligen Hilfen zu gewähren. Die dominierenden eltern-/ umfeldbezogenen Aufnahmeanlässe sind häusliche Konflikte (61 %, in den letzten beiden Jahren zunehmend) und Erziehungsinkompetenz (50 %). Kindbezogen stehen Leistungsprobleme (42 %), dissoziale Störungen (30 %) und Entwicklungsdefizite im Vordergrund. Die Heimklientel kann im Vergleich zu den ambulanten Hilfearten auf weniger Ressourcen zurückgreineue impulse in der heimerziehung 28 uj 1 (2008) fen: Insbesondere Selbstkonzept, Selbstsicherheit,Bewältigungsstrategien,Funktion in der Familie und sozial-kommunikative Kompetenzen sind unterdurchschnittlich ausgeprägt. Den insgesamt geringen Ressourcen steht ein ausgeprägt externalisierendes Störungsbild mit aggressivem (38 %), dissozialem (z. B. Lügen, Schuleschwänzen; 30 %) und delinquentem Verhalten (21 %) gegenüber. Weitere wichtige Problemlagen stellen soziale Unsicherheit (39 %), mangelndes/ undifferenziertes Bindungsverhalten (26 %) und Aufmerksamkeitsdefizite bzw. motorische Unruhe (25 %) dar. Es fällt auf, dass die externalisierenden Auffälligkeiten (z. B. aggressives Verhalten, Delinquenz) eher bei Jungen, internalisierende Auffälligkeiten (z. B. soziale Unsicherheit) dagegen eher bei Mädchen vorliegen. Dies stellt eine mögliche Erklärung für das relativ hohe Durchschnittsalter der weiblichen Klientel bei Hilfebeginn dar. Die Heimklientel ist zu Beginn der Hilfe zusammenfassend wie folgt zu charakterisieren: Ein vergleichsweise hohes Alter mit vielen und zum Teil intensiven Hilfen im Vorfeld fällt mit einer Kombination aus niedrigen Ressourcen und ausgeprägter externalisierender Problematik zusammen. In Anbetracht der Jugendhilfe-Wirkfaktoren (s. u.) stellt diese Merkmalskonstellation eine kritische Ausgangssituation dar, welche die Erfolgswahrscheinlichkeit erheblich reduziert und die Gefahr von Misserfolgen steigen lässt. Welche Ergebnisse werden erreicht? Jede Hilfe - auch die Heimerziehung - erzielt nicht nur beabsichtigte Wirkungen, sondern in der Regel auch Nebenwirkungen, die erheblichen Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg der Intervention Erfassung intendierter und nicht intendierter Wirkungen Defizite Defizite Defizite Effekte u Straftaten u Suchtgefährdung u Schulische Leistungsschwäche u Aggressives Verhalten u Delinquenz u Undifferenziertes Bindungsverhalten u usw. u Bildungsbiografie u Körperl. Gesundheit u Selbstständigkeit u Soziale Attraktivität u Soziale Integration u Kommunikative Komp. u Interessen u. Aktivitäten u usw. u Zielerreichungswerte für die wichtigsten Ziele u Gewichtung entsprechend Priorität Abb. 1: Erfassung intendierter und nicht intendierter Wirkungen Quelle: Institut für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ) neue impulse in der heimerziehung uj 1 (2008) 29 ausüben können. Um die Ergebnisse einer Intervention zu bestimmen, müssen daher deren Wirkungen und Nebenwirkungen erfasst werden. Dies geschieht am sinnvollsten durch eine sozialpädagogische Diagnostik, die von Beginn bis Ende der Hilfe zu mehreren Zeitpunkten Ressourcen und Defizite beim jungen Menschen und dessen Familie erfasst und somit Entwicklungen aufzeigt (vgl. Hermsen/ Macsenaere 2007). Eine solche Wirkungsmessung ist mehr als nur die Bestimmung der Zielerreichung, welche zwei erhebliche Schwächen mit sich bringt: Zum einen weisen Zielerreichungsgrade eine zu geringe Reliabilität auf und sind damit nicht zuverlässig. Zum anderen können Zielerreichungsgrade nur Hinweise für die intendierten Wirkungen liefern - Nebenwirkungen lassen sich hingegen nicht damit abbilden (vgl. Macsenaere 2007). In Anbetracht der großen Bedeutung von Hilfeplanzielen für den Prozess und die Ergebnisse der Hilfen ist zu empfehlen, die Zielerreichungsgrade im Rahmen einer Evaluation trotzdem zu berücksichtigen. Sie sollten aber in Bezug auf die Effektivitätsbestimmung einer Hilfe nur ein reduziertes Gewicht erhalten. Auf dieser Basis wird in EVAS ein sogenannter Effekteindex gebildet, der einen ersten Überblick über das Ergebnis der untersuchten Hilfe vermittelt. Dieser Index berücksichtigt sämtliche relevanten Entwicklungen während der Hilfe und die Zielerreichungsgrade. Trotz der äußerst ungünstigen Ausgangssituation der Heimklientel weisen ca. 60 % der evaluierten Hilfen einen positiven Effekteindex und somit positive Entwicklungen auf. Erfreulicherweise konnten davon bei mehr als der Hälfte große Effektstärken („Cohens d“) erreicht werden. Jede/ r in der Heimerziehung tätige PädagogIn musste wohl schon erfahren, dass Erfolg nicht in allen Fällen erreicht werden kann. Dies belegen auch die EVAS- Ergebnisse, die in ca. 35 % der Stichprobe negative Verläufe aufweisen. Diese dürfen allerdings nicht voreilig mit einem Misserfolg gleichgesetzt werden, da bei den vorliegenden kritischen Ausgangssituationen ohne eine Intervention mit jährlichen, sukzessiven Verschlechterungen zu rechnen wäre. Die statistischen Ergebnisse spiegeln sich in den persönlichen Äußerungen der HilfeadressatInnen wider. Aus den EVAS- Nacherhebungsbögen seien hier exemplarisch drei Stimmen zum Erfolg der Hilfe angeführt: 35 30 25 20 15 10 5 0 Effektstärkenverteilung in % negativ groß negativ mittel negativ klein keine Änderung positiv klein positiv mittel positiv groß Abb. 2: Effekte der Heimerziehung Quelle: Institut für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ) neue impulse in der heimerziehung 30 uj 1 (2008) • Junger Mensch: „Ich fühle mich besser, weil ich mich mit meiner Mutter wieder gut verstehe und nicht mehr so viel Streit mit ihr habe.“ • Junger Mensch: „Vielen Dank, dass ihr mir geholfen habt. Im Großen und Ganzen ging es mir doch sehr gut, und ihr habt auch alles für mich getan: Vieeeelen Dank.“ • Mutter: „Es ist jetzt leichter, mit ihm umzugehen. Er reagiert nicht mehr sofort aggressiv.“ Für den Erfolg wie auch Misserfolg von Heimerziehung lassen sich eine Reihe zentraler Wirkfaktoren empirisch bestimmen: In Bezug auf die HilfeadressatInnen begünstigen ein geringes Alter bei Hilfebeginn, möglichst wenig Jugendhilfevorerfahrungen und eine geringe, nicht verfestigte Symptomatik den Erfolg einer Hilfe. Auf Jugendamtsseite ist eine sozialpädagogische Diagnostik (vgl. z. B. BLJA 2001), die die Ressourcen des jungen Menschen und der Familie berücksichtigt und in die Hilfeplanung überführt, wichtig. Für Einrichtungen - aber auch gleichermaßen für Jugendämter - ist eine Hilfe zur Selbsthilfe, die in der Folge zu einer aktiven Kooperation von Familie und jungem Menschen führt, der zentrale Erfolgsgarant (vgl. auch Peters 2006). Gelingt dies nicht, steigt die Wahrscheinlichkeit für Misserfolge drastisch. Um diese Kooperation zu fördern, ist eine Pädagogik sinnvoll, die an den Ressourcen der Beteiligten ansetzt, während ein Verständnis von Heimerziehung als „Reparaturwerkstatt für Kinder und Jugendliche“ vermieden werden sollte. Die hier benannten, adressatenbezogenen und prozessualen Wirkfaktoren müssen um die strukturalen ergänzt werden, wie sie durch die Jugendhilfe-Effekte-Studie (JES) und das Modellprojekt INTEGRA (vgl. IGFH 2003) herausgearbeitet wurden. Kosten-Nutzen-Relation von Heimerziehung Da die Effektivität in hohem Maße von der Hilfedauer abhängt und somit ein Großteil der Effekte erst nach dem ersten Jahr der Hilfe erreicht wird, ist eine generelle Deckelung der Hilfedauer auf z. B. 18 oder 24 Monate - auch in wirtschaftlicher Hinsicht - nicht sinnvoll. Hiermit wird einerseits das Potenzial von Heimerziehung nicht ausgeschöpft und den HilfeadressatInnen nicht in dem möglichen Maße geholfen. Zudem sind aufgrund der geringen Effektstärke und des daraus resultierenden unveränderten Hilfebedarfes mit diesem „Kostensparmodell“ zukünftig Mehrausgaben durch hochschwellige Anschlusshilfen zu erwarten. Aktuelle Studien der Effizienzforschung widmen sich der Frage, welche volkswirtschaftlichen Nutzeneffekte den nicht unerheblichen Kosten gegenüberstehen. Untersuchungen von Roos (2005) und des Instituts für Kinder- und Jugendhilfe (vgl. Hermsen u. a. 2007) prognostizieren auf der Datenbasis von JULE (Untersuchung von Jugendhilfeleistungen, vgl. BMFSFJ 1998), JES und EVAS ausgeprägte langfristige Nutzeneffekte in den Bereichen Bildung, Erwerbstätigkeit, Gesundheit und Delinquenz. Einem Euro Kosten stehen demnach ca. drei Euro volkswirtschaftliche Nutzeneffekte entgegen. Heimerziehung würde sich somit auch bei einer Kreditfinanzierung mit einem Zinssatz zwischen 3,7 und 10,5 % ökonomisch lohnen. Interessanterweise sinddievolkswirtschaftlichen Effekte für Mädchen besonders stark ausgeprägt. Danach ist Heimerziehung in toto nicht nur wirksam, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll und langfristig für die SteuerzahlerInnen mehr als ihr Geld wert. In diesem Sinne sollten wir zukünftig nicht ausschließlich von Kosten, sondern selbstbewusster von Investitionen sprechen. neue impulse in der heimerziehung uj 1 (2008) 31 Wie wird EVAS in einer Einrichtung eingesetzt? Die oben dargestellten Ergebnisse zur Heimerziehung werden ermöglicht durch das einrichtungsübergreifende Aggregieren von Einzelfällen, d. h. deren Zusammenfassung zu Gruppen mit bestimmten Merkmalen wie etwa Geschlecht, Alter o. Ä. Die teilnehmenden Einrichtungen haben jenseits dieser Befunde aber auch ein Interesse, das Evaluationsverfahren für die konkrete pädagogische Arbeit innerhalb der untersuchten Einrichtung zu nutzen. Calin Dragoi, Einrichtungsleiter der Wohngemeinschaft Schotten, schildert dies nachfolgend exemplarisch aus Sicht einer stationären Einrichtung: „E VAS kann in der täglichen pädagogischen Arbeit angewendet werden. Die Online-Version ermöglicht eine sofortige Auswertung der Daten, sowohl für die gesamte Einrichtung als auch für den Einzelfall. Somit liegen jederzeit aktuelle Ergebnisse vor, die für Hilfeplangespräche oder auch zentrale Steuerungsprozesse verwendet werden können. Die Pädagogen haben einen entsprechenden und rechtzeitigen Zugang zu den wichtigsten Informationen und können sie gezielt aus dem gesamten Paket aussuchen. Einige Beispiele hierzu: • Die EVAS-Einzelfallauswertung kann direkt in den Dienstbesprechungen eingesetzt werden. Damit wird ein höherer Grad an Objektivität und eine bessere fachliche Positionierung erreicht. Die regelmäßige Anwendung der EVAS- Ergebnisse hilft bei der Strukturierung realistischer pädagogischer Interventionen und mittel- oder langfristiger Strategien (Worauf müssen wir reagieren? Welche Maßnahmen leiten wir daraus ab? ). EVAS trägt zu mehr Transparenz pädagogischer Handlungen und zur Verbesserung der einrichtungsinternen Praxis bei. • Nutzung für Erziehungsplanung (Förderplanung): Die EVAS-Auswertung führt zur Ablösung der bisherigen „weichen“ Dokumentationspraxis durch eine Evaluation, die nachvollziehbare Ergebnisse basierend auf empirisch erhobenen Daten liefert. Konkrete Vergleiche, eine kompetente Argumentation im Alltag sowie in Krisensituationen und eine effizientere Planung und Verwendung der Einrichtungsressourcen sind dadurch möglich. • Vorbereitung und Durchführung der Hilfeplangespräche: EVAS ermöglicht eine kompetente Argumentation hinsichtlich der Entwicklung der Kunden gegenüber den Mitarbeitern der Einrichtung, dem Träger und dem Kostenträger. Die Entwicklung des Kindes, die kind- und familienbezogene Zielerreichung sowie Prognosen werden systematisch dargestellt. Eine genaue Entwicklungskurve kann erstellt und damit der spezifische Verlauf der Maßnahme entsprechend dokumentiert werden. In der Praxis haben wir festgestellt, dass die Nutzung der EVAS-Daten insbesondere in komplexen Fällen relevant ist. Eine Fokussierung auf die Defizite wird vermieden, da die EVAS-Items eine Analyse der Ressourcen ermöglichen, so z. B. im Hinblick auf die soziale Integration, die sozial-kommunikativen Kompetenzen, die besonderen Fähigkeiten und Leistungen, die Interessen, die Selbstständigkeit, die Funktion in der Gruppe und der Familie und die körperliche Gesundheit. Auf der Basis dieser Informationen ist im Hilfeplangespräch eine präzisere Formulierung der Ziele möglich. neue impulse in der heimerziehung 32 uj 1 (2008) Aus unserer Sicht hat sich EVAS in den letzten Jahren zu einem anwenderfreundlichen Evaluationssystem entwickelt: Es kann von jedem eingewiesenen Pädagogen benutzt werden, das Ausfüllen der gut gestalteten Fragebögen gelingt zügig und nach Dateneingabe ist die Auswertung sofort abrufbar. Sie ist die Grundlage für Steuerungsprozesse und Qualitätsentwicklung auf mehreren Ebenen.“ Ausblick Die vorliegenden EVAS-Ergebnisse zur Heimerziehung zeigen trotz schwieriger Ausgangssituation der untergebrachten Kinder und Jugendlichen insgesamt positive Resultate. Andererseits wird durch die Ergebnisse einiges an Optimierungspotenzial aufgedeckt, mit dessen Berücksichtigung eine sukzessive Verbesserung der Hilfen erreicht werden könnte: • Eine Aneinanderreihung von Hilfen zur Erziehung ist zu vermeiden. Ziel muss es sein, gleich die geeignete Hilfe zu wählen, auch wenn dies mit höheren Kosten verbunden sein sollte. Erste EVAS-Ergebnisse zur Indikation zeigen, dass zurzeit in vielen Fällen eine nicht geeignete Hilfeart zugewiesen wird. • Die Hilfen müssen an den Ressourcen der jungen Menschen und ihrer Familien ansetzen. Dazu ist es nötig, dass Einrichtungen, aber auch Jugendämter als Koproduzenten der Hilfe ihren Ressourcenblick schärfen. Dies kann z. B. durch den Einsatz einer sozialpädagogischen Diagnostik, die Ressourcen gleichberechtigt erfasst, gelingen. • Die Entwicklungsfortschritte bzw. Rückschritte sind im Verlauf der Hilfe mindestens halbjährlich im Rahmen der Hilfeplanung zu überprüfen und zu bewerten. Schon nach 6 - 12 Monaten kann im Einzelfall das Ergebnis der Hilfe prognostiziert werden. Dieses Wissen sollte zukünftig in den Hilfeplanungsprozess einfließen und zur Optimierung genutzt werden. • Hinter den im Durchschnitt positiven Ergebnissen verbirgt sich eine große Streuung: von einer gelingenden bis hin zu einer scheiternden Jugendhilfe. Diese Unterschiedlichkeit stellt eine nicht zu unterschätzende Chance zum Lernen dar. Sie wird umso größer, wenn wir Jugendhilfe im europäischen Kontext sehen. Daher hat sich eine europäische Arbeitsgruppe mit Einrichtungen aus Belgien, Bulgarien, Deutschland, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Rumänien und Tschechien gebildet, um sich auf der Basis eines gemeinsamen Evaluationsverfahrens empirisch fundiert zu vergleichen und dies für Qualitätsentwicklungsprozesse zu nutzen. Literatur BLJA (Bayerisches Landesjugendamt) (Hrsg.), 2001: Sozialpädagogische Diagnose - Arbeitshilfe zur Feststellung des erzieherischen Bedarfs. München BMFSFJ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) (Hrsg.), 1998: Leistungen und Grenzen der Heimerziehung. Ergebnisse einer Evaluationsstudie stationärer und teilstationärer Erziehungshilfen. Band 170. Berlin/ Köln/ Stuttgart Finkel, M., 2004: Selbständigkeit und etwas Glück. Einflüsse öffentlicher Erziehung auf die biographischen Perspektiven junger Frauen. Weinheim Gabriel, T., 2007: Wirkungen von Heimerziehung - Perspektiven der Forschung. In: Institut Soziale Arbeit (Hrsg.): Wirkungsorientierte Jugendhilfe. Band 1. Münster, S. 14 - 18 Hermsen, T./ Macsenaere, M. (Hrsg.), 2007: Wirkungsforschung in der Kinder- und Jugendhilfe (Schriftenreihe der KFH Mainz; Band 2). Mainz neue impulse in der heimerziehung uj 1 (2008) 33 Hermsen, T./ Roos, K./ Zinkl, K., 2007: Effizienzbenchmarking in der Kinder- und Jugendhilfe. In: Hermsen, T./ Macsenaere, M. (Hrsg.): Wirkungsforschung in der Kinder- und Jugendhilfe. Mainz, S. 243 - 260 IGFH (Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen) (Hrsg.), 2003: Abschlussbericht zum Modellprojekt „INTEGRA - Implementierung und Qualifizierung integrierter, regionalisierter Angebotsstrukturen in der Jugendhilfe am Beispiel von fünf Regionen“. Frankfurt a. M. Lambers, H., 1996: Heimerziehung als kritisches Lebensereignis. Münster Macsenaere, M./ Klein, W./ Scheiwe, N., 2003: Jugendhilfe-Effekte-Studie: Was leistet Jugendhilfe? In: Unsere Jugend, Jg. 55, H. 11, S. 484 - 491 Macsenaere, M./ Knab, E., 2004: EVAS - Eine Einführung. Freiburg Macsenaere, M./ Herrmann, T., 2004: Klientel, Ausgangslage und Wirkungen in den Hilfen zur Erziehung. In: Unsere Jugend, 56 Jg., H. 1, S. 32 - 42 Macsenaere, M., 2007: Verfahren zur Wirkungsmessung in den erzieherischen Hilfen: Jugendhilfe-Effekte-Studie. In: Wirkungsorientierte Jugendhilfe. Band 1. Münster, S. 25 - 31 Peters, F., 2006: Zum Stichwort: Wirkungsorientierung/ wirkungsorientierte Steuerung. In: Forum Erziehungshilfen, 12. Jg., H. 5, S. 260 - 261 Rätz-Heinisch, R., 2005: Gelingende Jugendhilfe bei „aussichtslosen Fällen“! Biographische Rekonstruktionen von Lebensgeschichten junger Menschen. Würzburg Roos, K., 2005: Kosten-Nutzen-Analyse von Jugendhilfemaßnahmen. In: Petermann, F. (Hrsg.): Studien zur Jugend- und Familienforschung. Band 23. Frankfurt a. M. Schmidt, M./ Schneider, K./ Hohm, E./ Pickartz, A./ Macsenaere, M./ Petermann, F./ Flosdorf, P./ Hölzl, H./ Knab, E., 2003: Effekte erzieherischer Hilfen und ihre Hintergründe (Schriftenreihe des BMFSFJ; Band 219). Stuttgart Die Autoren Prof. Dr. Michael Macsenaere IKJ Institut für Kinder- und Jugendhilfe gGmbH Saarstraße 1 55122 Mainz macsenaere@ikj-mainz.de Gerhard Schemenau gemeinnützige Schottener Reha GmbH Vogelsbergstraße 212 63679 Schotten g.schemenau@rehaschotten.de neue impulse in der heimerziehung
