unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2008
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Netzwerkarbeit in der Sozialen Arbeit - was es zu bedenken gilt, damit die Implementierung gelingt
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2008
Sibylle Friedrich
Der Entschluss, Methoden der Netzwerkarbeit in die Praxis der Sozialen Arbeit zu integrieren, verspricht eine Steigerung ihrer Effektivität, da der traditionelle Fokus auf die Entwicklung der personalen Ressourcen der Betreuten durch die Identifizierung und Aktivierung ihrer sozialen Ressourcen ergänzt wird. Im Implementierungsprozess müssen jedoch verschiedene Hürden genommen werden, um den Erfolg des Vorhabens zu sichern.
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72 uj 2 (2008) „Snowflakes are one of nature’s most fragile things, but just look what they can do when they stick together.“ (Verna M. Kelly, zitiert nach Clinton 1996, 20) Netzwerkarbeit stellt zweifelsohne ein viel versprechendes Konzept in der Sozialen Arbeit dar. Wissenschaftliche Erkenntnisse kommen beispielsweise aus den Niederlanden (van Systeren 1996) und aus den USA (Clark u. a. 1996; Kamradt/ Meyers 1999), wo mit einer anderen Selbstverständlichkeit auf die informellen sozialen Ressourcen der KlientInnen zurückgegriffen wird, als es zurzeit noch in Deutschland der Fall ist. Der Grundgedanke dabei ist, dass jede staatliche Hilfe zur Erziehung irgendwann beendet wird, es also neben der Stärkung personaler Ressourcen in der Sozialen Arbeit immer auch um die Stärkung sozialer Ressourcen gehen muss, also darum, Unterstützungsleistungen in das natürliche Netzwerk der Betroffenen zurückzuverlagern. Dieses Ziel wurde auch mit einem innerhalb der Sozialpädagogischen Familienhilfe angesiedelten Pilotprojekt verfolgt, in dessen Rahmen FamilienhelferInnen von Hamburger Trägern ambulanter Kinder- und Jugendhilfe darin geschult wurden, die sozialen Netzwerke ihrer KlientInnen zu aktivieren. Die Ergebnisse waren ermutigend (vgl. Friedrich, in Vorbereitung). Deutlich wurde aber auch: Netzwerkarbeit in der Sozialen Praxis zu implementieren, stellt eine Herausforderung dar, und zwar für alle Beteiligten. Besonders viel wird den PraktikerInnen abverlangt: Da entstehen Zweifel ob des konsequent ressourcenorientierten Blickes auf die Betreuten, da tauchen plötzlich Ängste auf, die eigene berufliche Identität könnte durch den Einsatz der Methoden gefährdet sein, da stellt sich die Machbarkeitsfrage angesichts der unzähligen „Brandherde“, die in den Betreuungsfällen den sozialpädagogischen Alltag bilden. netzwerkarbeit Netzwerkarbeit in der Sozialen Arbeit - was es zu bedenken gilt, damit die Implementierung gelingt Sibylle Friedrich Der Entschluss, Methoden der Netzwerkarbeit in die Praxis der Sozialen Arbeit zu integrieren, verspricht eine Steigerung ihrer Effektivität, da der traditionelle Fokus auf die Entwicklung der personalen Ressourcen der Betreuten durch die Identifizierung und Aktivierung ihrer sozialen Ressourcen ergänzt wird. Im Implementierungsprozess müssen jedoch verschiedene Hürden genommen werden, um den Erfolg des Vorhabens zu sichern. Unsere Jugend, 60. Jg., S. 72 - 78 (2008) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel uj 2 (2008) 73 Ausgehend von Interviews, die im Pilotprojekt im Rahmen der qualitativen Prozessanalyse mit FamilienhelferInnen, Leitungskräften und SupervisorInnen geführt wurden, sollen hier einige Stolpersteine aufgeführt werden, die ein solches Projekt zum Kippen bringen können. Und natürlich folgen Überlegungen, wie sie aus dem Weg geräumt werden können, entstanden aus Erfahrungen, die in der Konzeption, Begleitung und Supervidierung verschiedener Netzwerk-Projekte gesammelt wurden. „Und wenn die niemanden haben? “ - die Angst vor dem leeren Blatt Den Anfang jeglicher Netzwerkarbeit bildet die Identifizierung der sozialen Kontakte sowie die Analyse ihres Unterstützungspotenzials. Hilfsmittel sind hier vor allem sogenannte Netzwerkkarten, die die sozialen Bezüge der KlientInnen visualisieren (Strauss 2002). Zu Beginn einer Implementierung von netzwerkorientierten Interventionsmethoden herrschen aufseiten der PraktikerInnen oft große Zweifel, zeigt ihnen doch ihre alltägliche Arbeit, wie vereinsamt ihre KlientInnen oft sind. Und sollen nicht gerade durch das formelle Netzwerk die augenscheinlichen Defizite des informellen Netzwerkes der Betreuten ausgeglichen werden? Die Angst vor dem leeren Blatt geht um, die Sorge, dass die Befragten niemanden benennen können, die Netzwerkkarte also leer bleibt und den Betroffenen schmerzhaft vor Augen führt, wie ausweglos ihre Lage eigentlich ist. Diese Angst stellt die erste wirkliche Hürde im Implementierungsprozess dar; ist sie erst mal genommen, wird schnell deutlich, dass „niemand eine Insel“ ist, wie bereits John Donne, ein britischer Poet und Zeitgenosse Shakespeares, erkannte. Das Pilotprojekt konnte beispielsweise zeigen, dass die betroffenen Familien sehr wohl über zahlreiche Netzwerkmitglieder verfügten, von denen sie auch soziale Unterstützung erhielten (vgl. Friedrich 2005). Um das zu erkennen, ist es manchmal notwendig, die „Mittelschichts-Brille“ abzusetzen, durch die wir allzu oft schauen und das, was wir sehen, als unzureichend bewerten, da wir dann nicht nur für uns, sondern auch für andere definieren, was eine „gute“ Beziehung bzw. „echte“ Unterstützung ist. Das Absprechen jeglicher Ressourcen ist zumeist eine Bewertung, kein Fakt. Niedrigschwellige Fragen, wie beispielsweise danach, wen man im Stadtteil denn so grüßt, füllen die Netzwerkkarte schnell auf. Auch wenn die Bindungen zu diesen Stadtteilbekannten eher schwach sind, hier zeigen sich die potenziellenUnterstützungsgeberdesNetzwerks. Um ihnen auf die Spur zu kommen, bietet es sich auch an, gemeinsam mit den KlientInnen einen Stadtteilspaziergang zu unternehmen, auf dem sich der/ die Professionelle die nähere Umgebung mit seinen Menschen zeigen lässt (Bryant 1985). Ich habe oft erlebt, dass PraktikerInnen danach Erstaunliches über ihre zuvor als vereinsamt wahrgenommenen Schützlinge berichteten. Außerdem gilt: nicht immer ist die Anzahl der Kontaktpersonen ausnetzwerkarbeit Sibylle Friedrich Jg. 1974; Diplom-Psychologin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Psychologie der Universität Hamburg, Trainerin und Projektbegleiterin zum Thema Ressourcenorientierung und Netzwerkarbeit in der Sozialen Praxis 74 uj 2 (2008) schlaggebend dafür, ob ein Mensch sich von seinem Umfeld unterstützt fühlt. Wenige Beziehungen mit einer hohen Multiplexität können ebenfalls zu einer großen Zufriedenheit führen, da sie unisono ganz unterschiedliche Unterstützungsbedarfe befriedigen. Und sollte sich das Schreckgespenst des leeren Blattes doch einmal bewahrheiten - da hilft es, die Netzwerkanalyse als ersten Schritt einer Entwicklung in die richtige Richtung zu verstehen, als notwendige Voraussetzung für die nun folgende Netzwerkerweiterung. „Ich hab schon genug zu tun! “ - Prävention in Krisenzeiten Als „Feuerwehr“ fühlen sich viele Tätige in der Sozialen Arbeit, immer auf dem Sprung, Krisen zu managen, um das Schlimmste - den Wohnungsverlust, die Herausnahme des Kindes aus seiner Familie, Eskalationen häuslicher Gewalt, den Gefängnisaufenthalt des jugendlichen Straftäters - in allerletzter Minute doch noch zu verhindern. Entspannten Alltag in den ihnen zugewiesenen Betreuungsfällen kennen sie kaum, da mit immer weniger Stunden immer multiplere Probleme bewältigt werden sollen. Angesichts dessen fragen sich die PraktikerInnen zu Recht, welchen Platz und welchen Stellenwert präventives Arbeiten in einem Tätigkeitsfeld haben kann, in dem vor allem postwendend reagiert werden muss. Hier offenbart sich ein Dilemma: Prävention soll langfristig helfen, Krisen gar nicht erst entstehen zu lassen; aber Krisen kennen kein Atemholen, sie zeichnen sich ja gerade durch ihre Dringlichkeit aus, die sofortiges Eingreifen notwendig macht. Der Teufelskreislauf scheint unausweichlich: Professionelle HelferInnen übernehmen Verantwortung für die Problemlösung, die Betroffenen nutzen ihre personalen und sozialen Ressourcen nicht, sondern werden abhängiger vom staatlichen Hilfesystem - die nächste Krise ist bereits vorprogrammiert und kann auch wieder nicht aus eigenen Kräften bewältigt werden. Einen Ausweg gibt es nur durch konsequent präventives Arbeiten. Programme wie das US-amerikanische „Wraparound“ (Clark u. a. 1996; Kamradt/ Meyers 1999) machen es vor: Hier werden zu Beginn jeder Hilfe systematisch die Stärken jedes einzelnen Familienmitgliedes identifiziert, um sie anschließend für die Problembewältigung zu nutzen. Den sozialen Ressourcen einer Familie kommt dabei besondere Bedeutung zu. Familienmitglieder, FreundInnen und NachbarInnen werden gezielt eingeplant, wenn es darum geht, gemeinsam verabredete Hilfeziele zu erreichen. Einmal aktiviert, stehen sie dann auch in (unerwarteten) Krisenzeiten bereit und können KlientInnen und Professionelle entlasten. In einer Supervision berichtete eine Praktikerin kürzlich über einen Stromausfall in einer von ihr betreuten Familie. Bei drei kleinen Kindern hätte sich die Situation zu einer Krise ausweiten können, die ein nächtliches Eingreifen nötig gemacht hätte. In diesem Fall konnte die Sozialpädagogin jedoch auf ein funktionierendes soziales Netzwerk der Familie vertrauen, eine Gewissheit, die sie ruhig schlafen ließ. Und wenn sich niemand traut - Reziprozität als Schlüssel Andere um Hilfe zu bitten, ist nicht immer leicht. Diese Erfahrung hat wohl jede/ r von uns schon einmal gemacht. Ist das Verhältnis von Geben und Nehmen dauerhaft schlagseitig, fühlen sich sowohl netzwerkarbeit uj 2 (2008) 75 GeberInnen als auch NehmerInnen mit der Zeit zunehmend unwohl. Haben zwischenmenschliche Beziehungen erst einmal ein gewisses Maß an Verbindlichkeit und gegenseitigem Vertrauen erreicht, ist es zwar eher die Regel als die Ausnahme, Unterstützungsleistungen nicht unmittelbar folgend auszugleichen und somit miteinander zu „verrechnen“, sondern sowohl Phasen des schwerpunktmäßigen Gebens als auch Phasen des schwerpunktmäßigen Nehmens auszuhalten. Die BeziehungspartnerInnen entwickeln jedoch ein Gefühl dafür, ob sich eine Beziehung insgesamt noch in der Balance befindet, und versuchen bei einer länger andauernden Schieflage, diese Balance aktiv wieder herzustellen. Dabei versucht im Grunde jeder, sein „Konto“ eher im „Haben“ zu halten, ist also auch nur bereit, so viel Unterstützung von anderen anzunehmen, wie er sich sicher ist, dass er in absehbarer Zeit in der Lage sein wird, zurückzu„zahlen“. Das kann dann dazu führen, dass diejenigen, die soziale Unterstützung am dringendsten bräuchten, sie aus Angst vor „Reziprozitätsschulden“ nicht in dem erforderlichem Maß in Anspruch nehmen. Zudem scheinen KlientInnen der Sozialen Arbeit eine eher geringe „Veröffentlichungsbereitschaft“ aufzuweisen. Das Konzept der „Veröffentlichungsbereitschaft“ (Straus u. a. 1987) geht davon aus, dass jegliches Hilfesuchverhalten außerhalb der Kernfamilie, gerade im informellen Netzwerk, die Bereitschaft voraussetzt, die eigenen Probleme nach außen zu tragen. Ist diese Bereitschaft nicht gegeben, liegt es oft auch daran, dass die entsprechende Haltung von Generation zu Generation weitergegeben wird: „Gerade für Familien aus den unteren Schichten gilt, dass Familie für sie der Leistungsbereich ist. In ihm fühlen sie sich so autonom wie in keinem anderen Lebensbereich und damit aber gleichermaßen auch gefordert. Aus dem Familienbereich Probleme nach außen zu geben, zu veröffentlichen, ist für sie gleichbedeutend mit dem Eingeständnis, gescheitert zu sein, versagt zu haben“ (Straus u. a. 1987, 191). Die Veröffentlichungsbereitschaft scheint zudem kulturell geprägt zu sein: Im Gegensatz zu bundesrepublikanischen Befragungen ergaben replikative Studien aus den USA eine zunehmende Bereitschaft der Bevölkerung, über den engsten Familienkreis hinaus Netzwerkmitglieder um Unterstützung zu bitten (vgl. Mayr- Kleffel 1991, 215). Doch auch in Florida berichteten mir „Wraparound“-PraktikerInnen von ihren gescheiterten Bemühungen, die betreuten Familien dazu zu ermutigen, ein aus vielen informellen HelferInnen (NachbarInnen, FreundInnen, Verwandte) bestehendes Familienteam aufzustellen. Die Teams bestanden letztlich doch vor allem aus Professionellen. Wie nun also mit diesem Dilemma umgehen? Die Antwort kann nur lauten: das gefühlte „Haben-Konto“ und damit das Selbstwertgefühl der Betroffenen aufbessern! Im Rahmen der formativen Evaluation des Pilotprojektes ist inzwischen eine Methode entwickelt worden, die u. a. die Identifizierung des Unterstützungspotenzials der KlientInnen zum Ziel hat: Wem geben die Betroffenen eigentlich welche Art von Unterstützung, wo sind sie AnsprechpartnerInnen für die kleinen und großen Belange ihrer Bezugspersonen (vgl. Friedrich, in Vorbereitung)? Das Gefühl, selber Unterstützung zu leisten, könnte ein Schlüssel zu der Bereitschaft der KlientInnen sein, sich Hilfe im eigenen Netzwerk zu suchen. Entscheidend für den Erfolg der Netzwerkaktivierung wird dann aber sein, diesen Fokus in der weiteren Arbeit mit den Betroffenen aufrechtzuerhalten. netzwerkarbeit 76 uj 2 (2008) „Das ist doch Augenwischerei! “ - von der rosaroten Brille zur ausbalancierten Ressourcenorientierung Der konsequent ressourcenorientierte Blick, der innerhalb der Netzwerkarbeit eingenommen wird, ist zunächst ungewohnt. Denn gerade in der Sozialen Arbeit sind wir es gewöhnt, defizitorientiert zu denken. Ressourcenorientierung kann den KlientInnen bei der Entwicklung eines positiven Selbstbildes helfen, während einseitige Problemorientierung leicht das Selbstbild auf Mängel und Defizite einengt. Bei individuellen Ressourcen denkt man zuerst an Kompetenzen und Fähigkeiten. Die Ressourcen eines Menschen umfassen jedoch weit mehr: Interessen und Vorlieben, (Lebens)ziele und Motive, Bewältigungsstrategien, das Wissen um die eigene (persönliche, soziale, kulturelle, berufliche) Identität, soziale Beziehungen und materiellen Besitz (vgl. Venezia 2000). Es geht nicht darum, problemorientiertes Denken und problemlösendes Handeln gering zu schätzen oder sogar aufzugeben. Es wäre wiederum nicht ressourcenorientiert gedacht, gut entwickelte Fähigkeiten wie die, ein Problem zu erkennen und zu lösen, ungenutzt zu lassen. Eine ressourcenorientierte Haltung möchte lediglich die etablierte Schlagseite der Problemorientierung ausgleichen. Eine solche ausbalancierte Ressourcenorientierung ist nicht so leicht in der Gefahr, zu einem Blick durch die „rosarote Brille“ zu verkommen. Andererseits kann der Einsatz der „rosaroten Brille“ als Interventionsinstrument in der Supervision durchaus hilfreich sein, um die in der Sozialen Arbeit vorherrschende defizitäre Grundhaltung sichtbar zu machen und sich an einen neuen Blickwinkel zu gewöhnen. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, in Fallbesprechungen das gesamte Team bewusst eine solche imaginäre Brille aufsetzen zu lassen, um die PraktikerInnen zu ermutigen, ihre KlientInnen einmal mit anderen Augen zu sehen. „Hilfe, ich mach’ mich überflüssig! “ - vom Umgang mit dem Identitätswahrer im „Inneren Team“ Die berufliche Identität der SozialarbeiterInnen wurde von Johannes Herwig- Lempp mit der eines Zehnkämpfers verglichen: „So lassen sich Sozialarbeiterinnen (…) als die Zehnkämpfer des psychosozialen Feldes bezeichnen: der Zehnkampf ist die Königsdisziplin der Leichtathletik, Zehnkämpfer müssen alle Disziplinen beherrschen. Natürlich erbringen sie in den einzelnen Disziplinen nicht immer Höchstleistung, aber sie sind doch in allen Bereichen kundig und erfahren, sie beherrschen sie und sind in jeder von ihnen souverän - im Gegensatz zu den anderen Spezialisten, die sich in der Regel nur auf ihr eigenes Gebiet verstehen“ (Herwig- Lempp 2002, 208). Peter Lüssi vertritt die These, dass es „schon fast zur beruflichen Identität des Sozialarbeiters“ gehöre, „ein Identitätsproblem zu haben“ (Lüssi 1991, 23). Dieses Identitätsproblem ergebe sich „aus verwirrenden Widersprüchen, denen der Sozialarbeiter ausgesetzt ist“ (ebd.). Und das „zwiespältige Berufsbild, welches Außenstehende von der Sozialarbeit haben“, sei „die logische Folge der berufsinternen Paradoxien“ (26). Diese Paradoxien betreffen vor allem das geringe gesellschaftliche Prestige des Berufsstandes bei gleichzeitigen kaum erfüllbaren Anforderungen, die von verschiedenen Seiten an die Soziale Arbeit gestellt werden. Beruflicher Erfolg wird in Ermangelung externer (z. B. materieller) Kriterien als vertrauensvolle netzwerkarbeit uj 2 (2008) 77 Beziehung zu den Betreuten definiert. Und an den Grundsätzen dieser „Beziehungsarbeit“ wird festgehalten. Bei dem Versuch, netzwerkorientiertes Arbeiten in der Sozialen Praxis zu implementieren, bekommen wir es daher unweigerlich mit dem Identitätswahrer im „Inneren Team“ (Schulz von Thun 1998) der SozialpädagogInnen zu tun. Befürchtungen, sich als professionelle HelferInnen „überflüssig“ zu machen, wenn von nun an nur noch dem informellen Netzwerk der Betreuten eine Bedeutung zukommen sollte, sind menschlich, entpuppen sich bei näherer Betrachtung jedoch als wenig haltbar angesichts der multiplen Bedarfe sozial benachteiligter und mehrfach belasteter Familien. Aber der „innere Identitätswahrer“ sorgt sich auch um den Charakter der beruflich ausgeübten Tätigkeit. Wird der eigene berufliche Erfolg bzw. sogar die Relevanz des eigenen Berufsstandes über die Gestaltung einer intensiven Klient-Sozialarbeiter-Beziehung definiert, ist die berufliche Identität in der Tat durch den verstärkten Einsatz netzwerkorientierter Methoden gefährdet. „Muss ich denn dafür überhaupt noch Sozialarbeiterin sein? “, brachte eine Praktikerin ihre Bedenken auf den Punkt. Die Aufgabe, Beziehungen der KlientInnen zu Dritten zu „managen“ - die sicherlich als nicht weniger herausfordernd zu bewerten ist als die, eine eigene vertrauensvolle Beziehung zu den Betreuten aufzubauen -, wird offensichtlich nicht in gleichem Maße als sozialarbeiterisches Handeln verstanden, sondern vielmehr als „tieferrangige, irgendwie minderwertige, methodisch anrüchige Tätigkeit“ (Lüssi 1991, 60). Beziehungsarbeit und Netzwerkarbeit müssen sich jedoch keineswegs ausschließen, sondern können vielmehr als zwei unterschiedliche Wertorientierungen sozialpädagogischen Handelns verstanden werden. Nutzt man kommunikationspsychologische Modelle zur Visualisierung, wie beispielsweise das „Wertequadrat“ (Helwig 1967, zitiert nach Schulz von Thun 1989), kann gezeigt werden, dass die beiden Pole in einer guten Balance gehalten werden müssen, um nicht in extreme Positionen abzugleiten, die den KlientInnen letztendlich schaden würden. Um ein beziehungsersetzendes Arbeiten zu vermeiden, sollte die klassische Beziehungsarbeit um die Beziehungen der Betreuten „managende“ Netzwerkarbeit ergänzt werden. Während die ausschließliche Fokussierung auf die gute Klient-Sozialarbeiter-Beziehung die Gefahr in sich birgt, die Betreuten lang- Abb. 1: Wertequadrat zur Beziehungsarbeit netzwerkarbeit 78 uj 2 (2008) fristig eher noch abhängiger vom staatlichen Hilfesystem zu machen, da sie nach dem „Rent-a-friend“-Prinzip informelle Beziehungen der KlientInnen ersetzt und die natürlichen sozialen Ressourcen der Betroffenen damit verkümmern lässt, kann die Vernachlässigung dieses Fokus einen Vertrauensverlust durch zu viel Distanz bzw. Entfremdung bewirken. Die Analyse der klienteneigenen Beziehungen setzt ein gewisses Maß an Vertrauen voraus, ohne das die Betroffenen sich schwerlich öffnen werden. Wird sich in der Arbeit mit den KlientInnen ausschließlich auf die Aufgabe konzentriert, ihre Beziehungen zu Dritten zu „managen“, ist sie zudem der Vorbildfunktion der Klient-Sozialarbeiter-Beziehung beraubt. Literatur Bryant, B. K., 1985: The Neigborhood Walk. Sources of Support in Middle Childhood. In: Emde, R. N. (Hrsg.): Monographs of the Society for Research in Childhood Development. Serial No. 210, Vol. 50, No 3. Chicago Clark, H. B./ Lee, B./ Prange, M. E./ McDonald, B. A., 1996: Children Lost Within Foster Care System. Can Wraparound Service Strategies Improve Placement Outcomes? In: Journal of Child and Family Studies, Vol. 5, No 1, pp 39 - 54 Clinton, H. R., 1996: It Takes a Village and Other Lessons Children Teach us. New York Friedrich, S., 2005: Informelle Unterstützungsnetzwerke in der SPFH - Familien sind keine „Inseln“ In: DJI Bulletin, Nr. 72, S. 10 Friedrich, S. (in Vorbereitung): Die Aktivierung sozialer Netzwerke innerhalb der Sozialpädagogischen Familienhilfe. Dissertation, Universität Hamburg Helwig, P., 1967: Charakterologie. Stuttgart Herwig-Lempp, J., 2002: Maschinen, Menschen, Möglichkeiten - Eine kleine Ideengeschichte menschlichen Arbeitens. In: Kontext, 33. Jg., H. 3, S. 190 - 212 Kamradt, B./ Meyers, M., 1999: Curbing Violence in Juvenile Offenders with Serious Emotional and Mental Health Needs. The Effective Utilization of Wraparound Approaches in an American Urban Setting. In: International Journal of Adolescent Medicine and health, Vol. 11, pp 381 - 399 Keupp, H./ Röhrle, B. (Hrsg.), 1987: Soziale Netzwerke. Frankfurt am Main Lüssi, P., 1991: Systemische Sozialarbeit. Praktisches Lehrbuch der Sozialberatung. Bern/ Stuttgart Mayr-Kleffel, V., 1991: Frauen und ihre sozialen Netzwerke. Auf der Suche nach einer verlorenen Ressource. Opladen Schulz v. Thun, F., 1989: Miteinander Reden 2. Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklungen. Reinbek Schulz v. Thun, F., 1998: Miteinander Reden 3. Das „Innere Team“ und situationsgerechte Kommunikation. Reinbek Straus, F./ Höfer, R./ Buchholz, W./ Gmür, W., 1987: Die Bewältigung familiärer Probleme im sozialen Netzwerk. Überlegungen zur Praxisrelevanz der Netzwerkperspektive in der Familienarbeit. In: Keupp, H./ Röhrle, B. (Hrsg.): Soziale Netzwerke. Frankfurt am Main, S. 178 - 198 Straus, F., 2002: Netzwerkanalysen. Gemeindepsychologische Perspektiven für Forschung und Praxis. Wiesbaden Van Susteren, J., 1996: Approach of Homeless Young People. In: Verhellen, E. (Hrsg.): Monitoring Childrens Right. Den Haag, S. 871 - 882 Venezia, B., 2000: Erkundung von Familienressourcen. In: Vogt, K./ Venezia, B./ Torres Mendes, C./ Redlich, A. (Hrsg.): Die Erkundung von Kraftquellen im Leben der Menschen. Drei Ressourcen für die psychosoziale Arbeit und Beratung. Materialien aus der Arbeitsgruppe Beratung und Training. Mat. 26, Universität Hamburg, S. 36 - 52 Die Autorin Sibylle Friedrich Universität Hamburg Fachbereich Psychologie Von-Melle-Park 5 20146 Hamburg Tel. (0 40) 4 28 38 54 99 sibylle.friedrich@uni-hamburg.de netzwerkarbeit
