unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2008
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Kindschaftsrecht in Jugendhilfe und Justiz - Teil 3
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2008
Barbara Mutke
Britta Tammen
Die Untersuchung "Fortentwicklung der Jugendhilfepraxis zum Kindschaftsrecht", die von September 2003 bis April 2006 an der Technischen Universität Berlin und der Hochschule Darmstadt durchgeführt wurde, ging der Frage nach, wie die insbesondere im Jahr 1998 in Kraft getretenen Reformen des Kindschaftsrechts von der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe und auch der Justiz umgesetzt worden sind (vgl. Münder/Mutke u. a. 2007; zur Anlage der Untersuchung s. Mutke/Tammen 2007 a, 496). Einer der Schwerpunkte lag dabei auf der Umsetzung der Veränderungen im Umgangsrecht (zu den sonstigen Untersuchungsbereichen vgl. Mutke/Tammen 2007 b, 437ff).
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84 uj 2 (2008) Kindschaftsrecht in Jugendhilfe und Justiz Teil 3: Die Umsetzung der rechtlichen Veränderungen des Umgangsrechts Barbara Mutke/ Britta Tammen Die Untersuchung „Fortentwicklung der Jugendhilfepraxis zum Kindschaftsrecht“, die von September 2003 bis April 2006 an der Technischen Universität Berlin und der Hochschule Darmstadt durchgeführt wurde, ging der Frage nach, wie die insbesondere im Jahr 1998 in Kraft getretenen Reformen des Kindschaftsrechts von der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe und auch der Justiz umgesetzt worden sind (vgl. Münder/ Mutke u. a. 2007; zur Anlage der Untersuchung s. Mutke/ Tammen 2007 a, 496). Einer der Schwerpunkte lag dabei auf der Umsetzung der Veränderungen im Umgangsrecht (zu den sonstigen Untersuchungsbereichen vgl. Mutke/ Tammen 2007 b, 437ff). Im Rahmen der Kindschaftsrechtsreform wurde das Umgangsrecht zwischen dem Kind und seinen Eltern abweichend von der bisherigen Rechtslage, nach der zunächst die Eltern zum Umgang mit dem Kind berechtigt waren, in erster Linie als Recht des Kindes auf Umgang mit seinen Eltern geregelt. Die Eltern sind ihrerseits zum Umgang berechtigt und verpflichtet (§ 1684 Abs. 1 BGB). Zudem erhielten auch Großeltern und Geschwister des Kindes ein Umgangsrecht, sowie Personen, die unabhängig von der Frage nach einer verwandtschaftlichen Beziehung in einer sozial-familiären Beziehung zum Kind stehen bzw. gestanden haben. Ein Recht auf Umgang besteht in diesen Fällen jedoch nur, sofern dieser Umgang dem Wohl des Kindes dient (§1685 BGB). Für besonders schwierige Umgangssituationen wurde das Institut des „begleiteten Umgangs“ gesetzlich geregelt. Damit in problematischen Konstellationen der Umgang nicht unterbleiben muss, hat das Familiengericht die Möglichkeit anzuordnen, dass der Umgang nur im Beisein einer geeigneten dritten Person stattfinden darf (§ 1684 Abs. 4 BGB). Um im Interesse des Minderjährigen möglichst einvernehmliche Umgangslösungen realisieren zu können, wurden die Beratungsangebote für alle Beteiligten ausgeweitet (§ 18 Abs. 3 SGB VIII), wobei auch den Minderjährigen ausdrücklich ein Beratungsanspruch in Umgangsfragen eingeräumt wurde. Zudem wurde das gerichtliche Verfahren flexibler gestaltet, um auch hier den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, insbesondere durch Inanspruchnahme von Beratung noch zu einer einvernehmlichen Regelung kommen zu können (§ 52 FGG). Neben der Inanspruchnahme außergerichtlicher Beratung durch die Betroffenen ist auch ein gerichtliches Vermittlungsverfahren speziell für den Fall vorgesehen, dass ein Elternteil geltend recht Unsere Jugend, 60. Jg., S. 84 - 90 (2008) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel uj 2 (2008) 85 macht, der andere Elternteil vereitele oder erschwere die Durchführung einer gerichtlichen Verfügung über den Umgang mit dem gemeinsamen Kind (§ 52 a FGG). Das Recht des Kindes auf Umgang Probleme bei der Realisierung des Umgangsrechts treten in erster Linie dann auf, wenn der umgangsverpflichtete Elternteil den Umgang ablehnt, der betreuende Elternteil den Umgang vereitelt oder wenn das Kind selbst den Umgang nicht möchte. Die Ergebnisse der Untersuchung verweisen darauf, dass (noch) erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich der Umsetzung des neuen Rechts des Kindes auf Umgang bestehen. Was die Ausgestaltung des kindlichen Rechtsanspruchs betrifft, spielen unterschiedliche fachliche, aber auch persönliche Überzeugungen eine wesentliche Rolle. Weniger Differenzen bestehen hinsichtlich der Würdigung der Umgangsrechte Erwachsener. Lehnen Eltern den Umgang mit dem Kind ab, so wird seitens der Fachkräfte des Jugendamts versucht, Einfluss zu nehmen und den Elternteil zur Wahrnehmung des Umgangs als Teil seiner Elternverantwortung zu motivieren. Durchsetzbar ist eine Umgangspflicht in der Praxis allerdings nur, wenn es zum Einverständnis der beteiligten Personen kommt. Aus Sicht der Fachkräfte fällt es schwer, den Betroffenen verständlich zu machen, dass ein Durchsetzen der Umgangsansprüche in der Rechtsprechung zwar vorgesehen ist, in der Praxis jedoch bei Widerstand der Beteiligten kaum umgesetzt werden kann. Das Erzwingen des Umgangs gegen den Willen des an sich verpflichteten Elternteils wird überwiegend für die Entwicklung des Kindes nicht als förderlich erachtet (zur Problematik vgl. z. B. auch Oelkers 2002, 433, 435). Auf der anderen Seite hat aber die Stärkung der Rechte der Kinder in Verbindung mit der Einbindung der Väter durch die gemeinsame elterliche Sorge offenbar dazu geführt, dass Väter nunmehr vermehrt Umgang mit ihren Kindern einfordern. Die im Rahmen der Untersuchung befragten Rechtsanwälte registrierten zwar keinen „Run betroffener Väter“, jedoch durchaus eine Wirkung in dem Sinne, dass sich Väter im Hinblick auf den Kontakt zu ihrem Kind stärker engagieren. Eine Neuerung für die Familienrichter besteht in diesem Zusammenhang vor allem insofern, als dass Väter, die mit ihrem leiblichen Kind in einer eheähnlichen Gemeinschaft gelebt haben, nach der Trennung von ihrer Partnerin den Umgang mit dem gemeinsamen Kind direkt bei Gericht beantragen. Nicht immer steht jedoch die väterliche Fürsorge für die Kinder im Mittelpunkt. So kommt es an den untersuchten Standorten häufiger vor, Barbara Mutke Jg. 1966; Diplom- Pädagogin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz e.V. Britta Tammen Jg. 1965; Vertretungsprofessur für Verwaltungsrecht und Sozialrecht an der Hochschule Neubrandenburg - University of Applied Sciences recht 86 uj 2 (2008) dass nach einem Vaterschaftsfeststellungsverfahren mit Unterhaltsklage die Väter den Umgang mit ihrem Kind beantragen. Hier lässt sich teilweise eine gewisse Konsumhaltung in dem Sinne erkennen, dass Väter „auch etwas für ihr Geld haben wollen“, wenn sie Unterhalt leisten. K onflikte treten insbesondere in Fällen auf, in denen Erwachsene ihr Recht auf Umgang geltend machen, der oder die Minderjährige den Umgang hingegen ablehnt. Die Fachkräfte stehen in solchen Konstellationen vor dem Dilemma abzuwägen, ob ein Umgang die gedeihliche Entwicklung des Kindes befördern würde oder dieser eher abträglich sei. Zudem müssen sie prüfen, auf welchem Hintergrund die ablehnende Haltung beruht: ob sie tatsächlich dem subjektiven kindlichen Willen entspringt oder ob beispielsweise Loyalitätskonflikte gegenüber dem anderen Elternteil die Willensäußerungen maßgeblich beeinflussen und ggf. verfälschen. Wenn Kinder oder Jugendliche den Umgang ablehnen, versuchen die Fachkräfte des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) oftmals im Einzelgespräch die Gründe für deren Weigerung herauszufiltern. Hier wurden seitens der Fachkräfte unterschiedliche Motive der Minderjährigen genannt: In manchen Fällen sei der Kontakt zwischen leiblichem Vater und Kind seit langem abgebrochen bzw. seien sie sich nie begegnet und es bestünde von seiten des Kindes kein Interesse, weil beispielsweise eine andere Person die Vaterrolle bereits ausfüllen würde. Manchmal spielten auch durchaus pragmatische Gründe eine Rolle, wie z. B. dass das Kind an den Besuchskontakten keinen Gefallen fände, weil es etwa an interessanten Unternehmungen mit dem Vater fehle, dieser sich nicht genügend Zeit nehme oder die neue Lebenspartnerin des Vaters abgelehnt werde. In solchen Fällen genüge es oft bereits, den Elternteil darauf hinzuweisen, dass die Besuchskontakte kindgemäßer gestaltet werden sollten. In anderen Fällen lägen der Weigerung des Kindes bzw. des Jugendlichen jedoch auch schwerwiegendere Problemlagen zugrunde, sodass eine Kontaktanbahnung zwischen Elternteil und Kind - sofern diese dem Kindeswohl entspricht - mit besonderer Behutsamkeit gestaltet werden müsse. Alle im Rahmen der Untersuchung Befragten betonen im Zusammenhang mit der Umgangsverweigerung der Minderjährigen die besondere Rolle von Loyalitätskonflikten, in denen sich viele Kinder befinden. Diese spielen eine zentrale Rolle bei der Verweigerung von Umgang. Die Mehrheit der Befragten ist der Meinung, dass der Umgang zwischen Eltern und Kindern in der Regel eine förderliche Wirkung auf das Kind habe, auch wenn das Kind sich verweigere. In diesem Zusammenhang berichteten Fachkräfte im Rahmen der Untersuchung allerdings auch von Einzelfällen, in denen die Durchsetzung des UmgangszuerheblichenLoyalitätskonflikten und emotional nachteiligen Folgen bei Kindern führte, was aber im Interesse der Rechte Erwachsener nachrangig blieb. Der fachliche Abwägungsprozess, einerseits den Willen des Kindes und die Nöte, Ängste und Unsicherheiten, die ein solcher Loyalitätskonflikt mit sich bringt, zu respektieren, andererseits aber auch sein Recht auf Umgang und die damit verbundenen Chancen für seine Entwicklung zu würdigen, ist hochkomplex und sehr schwierig. Der begleitete Umgang Die bundesweite Befragung der 346 Fachkräfte von Jugendämtern im Rahmen der Untersuchung lässt insgesamt einen recht uj 2 (2008) 87 Anstieg des begleiteten Umgangs erkennen, gerichtlich angeordnete Umgangsbegleitungen sind jedoch eher selten. Eine Ursache dafür dürfte darin liegen, dass das Gericht das Jugendamt nur in Absprache zur Umgangsbegleitung gewinnen, es aber nicht einseitig dazu verpflichten kann (vgl. z. B. Fröhlich 1999, 200, 203; Walter 2003, 7). Die Finanzierung erfolgt nur dann durch das Jugendamt, wenn dieses die Begleitung für geeignet und erforderlich hält. Durchgeführt werden die Umgangsbegleitungen vorwiegend durch Fachkräfte von freien Trägern der Jugendhilfe. RechtsanwältInnen, VerfahrenspflegerInnen oder Privatpersonen spielen bei Umgangsbegleitungen demgegenüber eher eine untergeordnete Rolle. Als Tendenz zeigt sich, dass RichterInnen den begleiteten Umgang teilweise als eine Art Notlösung zu nutzen scheinen, wenn Situationen völlig verfahren sind bzw. keine Aussicht besteht, Umgangsrechte auf andere Weise zu verwirklichen. Nicht selten fehlt im Zuge der richterlichen Entscheidung das Korrektiv des Jugendamtes, das im Rahmen eines fachlichen Clearings prüfen müsste, ob ein begleiteter Umgang im Einzelfall tatsächlich die geeignete Maßnahme ist. Erfolge des begleiteten Umgangs werden von den Fachkräften der Jugendhilfe wie auch vonseiten der JuristInnen vor allem dann verzeichnet, wenn eine Koordination und Prüfung - im Sinne eines Clearings - stattfindet, ob und wie ein Fall überhaupt sinnvoll begleitet werden kann. Darüber hinaus sind Angebote besonders effizient, die eine qualifizierte Beratung der Eltern/ teile bis hin zu möglichen Übergängen zu erzieherischen Hilfen umfassen. Bei der Praktizierung des begleiteten Umgangs geht es in der Praxis weniger häufig um die Kontrolle und Verhinderung bzw. weniger um die Bearbeitung von Gefährdungen des Kindeswohls. Er dient vor allem der begleiteten Übergabe, der begleiteten Umgangsanbahnung und dem begleiteten Umgang selbst. Zumeist handelt es sich um Fälle, in denen die Kinder noch klein sind. Im Durchschnitt werden 10 begleitete Umgangskontakte als angemessen angesehen, um zu einer fachlichen Entscheidung zu kommen, ob der Umgang weiterhin im Interesse des Kindes unbegleitet stattfinden kann oder ob dieser auszusetzen ist. Dies weist darauf hin, dass der begleitete Umgang in aller Regel nicht als langfristige oder gar dauerhafte Maßnahme genutzt wird, sondern dass ausgehend von einer eher pragmatischen Zielstellung in überschaubarem zeitlichen Rahmen (häufig flankiert von Beratungseinheiten) überprüft wird, ob ein unbegleiteter Umgang zwischen dem Kind und dem Umgangsberechtigten möglich ist. Die Rahmenbedingungen des begleiteten Umgangs sind zumeist problematisch. So erschweren finanzielle Engpässe und mangelnde Ausstattung der Jugendhilfe die Umsetzung an manchen Standorten. Besonders in ländlichen Regionen fehlen Angebote, die kindgerecht und zeitlich flexibel (z. B. zur Begleitung am Wochenende bzw. abends) ausgerichtet sind und verkehrsgünstig liegen. Hier haben oft die wenigen vorhandenen Träger (meist Erziehungsberatungsstellen oder Kinderschutzzentren) eine gewisse Monopolstellung. Sind sie belegt oder lehnen sie im Zuge der Prüfung einer Anfrage eine Umgangsbegleitung ab, besteht für die Realisierung des Umgangs kein Ersatz in Wohnraumnähe. Konzeptionelle Rahmenbedingungen wie zeitliche Begrenzungen oder Ablehnung von Umgangsbegleitung in Fällen von Kindeswohlrecht 88 uj 2 (2008) gefährdung schränken die Nutzung der vielerorts ohnehin geringen Angebote weiter ein. Die erweiterten Beratungsangebote der Jugendhilfe Der im Kindschaftsrechtsreformgesetz begründete Rechtsanspruch des Kindes auf Umgang mit beiden Elternteilen führte zu einer Ausweitung der Beratungs- und Vermittlungstätigkeit der Jugendämter und der Träger der freien Jugendhilfe. Die quantitativen Ergebnisse der Untersuchung zur Umgangsberatung belegen, dass im Bewusstsein der MitarbeiterInnen der Jugendämter und Beratungsstellen immer noch in erster Linie die Eltern(teile) Ansprechpartner in Umgangsfragen sind. Die Daten lassen erkennen, dass Kinder und Jugendliche bislang eher wenig Interesse an Beratungsangeboten der Jugendämter zum Umgang zeigen. Dies ist vermutlich nicht einem fehlenden Bedarf geschuldet, sondern zum einen dem nach wie vor eher unattraktiven Image des Jugendamts, zum anderen aber auch dem vielerorts festzustellenden Mangel an spezifischen Informationen, die Minderjährige über ihre Rechte aufklären könnten. Nur in rund einem Viertel der befragten Jugendämter liegen kind- und jugendgerechte Informationsbroschüren für die Hand von Minderjährigen aus. Nur selten werden methodisch spezifizierte Beratungsangebote für Minderjährige durch die Fachkräfte der Jugendämter vorgehalten, ebenso selten sind diese niedrigschwellig in der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen angesiedelt, wie z. B. in Schulen oder Jugendzentren. Zudem sind Kinder bis zu einem gewissen Entwicklungsstand noch nicht in der Lage, bewusst ihre Beratungsbedürfnisse anzumelden. Nicht zuletzt stehen Kinder und Jugendliche bei Umgangsproblemen nach Einschätzung eines großen Teils der befragten Fachkräfte oftmals unter normativem Druck der Eltern: Sei es, indem Umgang mit dem anderen Elternteil wegen Partnerstreitigkeiten nicht gewünscht oder aber von seiten eines Elternteils besonders erwünscht wird. Kinder würden sich mit diesen Loyalitätskonflikten eher nicht an Beratungsstellen wenden, sondern eigene Wünsche zugunsten der Eltern zurückdrängen. Positiv herauszuheben ist allerdings, dass vonseiten der Fachkräfte eine insgesamt kindzentriertere Haltung im Beratungskontext konstatiert wird. So steht nunmehr der Minderjährige, auch wenn dieser nicht unbedingt gesondert beraten wird, mit seinen spezifischen Bedürfnissen mehr im Mittelpunkt und wird partiell in die Beratungssettings einbezogen. Werden Umgangsberatungen abgeschlossen, so ist es vielerorts Praxis, die Ergebnisse des Beratungsprozesses in Form von gemeinsam zu unterzeichnenden Umgangsvereinbarungen festzuhalten. Zum Teil werden in den Vereinbarungsprozess gezielt Kinder miteinbezogen, die dann gewissermaßen dem Vertragsabschluss der beiden Elternteile beiwohnen. Aus der Untersuchung wird deutlich, dass die Vermittlungsbemühungen der Jugendhilfe im Rahmen von Umgangsberatung überwiegend positiv bewertet werden und dann ganz besonders erfolgreich eingeschätzt werden, wenn sie weitere gerichtliche Verhandlungen überflüssig machen. Dies gelingt besonders unter den Bedingungen, dass Jugendhilfe akrecht uj 2 (2008) 89 tive Informationspolitik betreibt und den BürgerInnen attraktive, niedrigschwellige Umgangsberatung anbietet, die von diesen auch als reelles Dienstleistungsangebot wahrgenommen wird. Das gerichtliche Umgangsverfahren Bei gerichtlichen Umgangsverfahren dominiert das Bemühen des Familiengerichts um die informelle Einigung der zerstrittenen Parteien. Einige RichterInnen treffen in Konfliktfällen zunehmend ungern Entscheidungen „über die Köpfe der Beteiligten hinweg“ und übernehmen dann tendenziell eine Art Vermittlerrolle. Der Rollenwandel trägt zwar dazu bei, familiäre Streitigkeiten zu schlichten und zu einvernehmlichen Lösungen zu gelangen. Von Nachteil ist jedoch, dass sich Verfahren z. T. erheblich verzögern, weil das Ringen um außergerichtliche Lösungen im Gegensatz zur Schwere der oft unversöhnlichen Konfliktkonstellationen steht. Die teils unverhältnismäßige Dauer der Verfahren kann durch weitere Faktoren noch verlängert werden: Verzögerungen von Verfahren entstehen auch dadurch, dass die Fachkräfte der Jugendhilfe in ihren Stellungnahmen immer weniger fachliche Empfehlungen abgeben und den Familiengerichten somit keine oder nur unzureichende Entscheidungshilfen vorliegen. Die RichterInnen kritisieren die Berichte als zu distanziert, was daran läge, dass die MitarbeiterInnen der Jugendämter allen Beteiligten gerecht werden wollten. Die Fachkräfte der Jugendhilfe argumentieren dagegen mit Grundsätzen des Datenschutzes und des Vertrauensschutzes: Informationen, die ihnen in einer Beratungssituation anvertraut werden, könnten anschließend nicht an die Gerichte weitergegeben werden. Dies insbesondere dann, wenn es sich zum Nachteil der betreffenden KlientInnen auswirken könnte. Die Beauftragung von Sachverständigen- Gutachten führt nicht selten zu erheblichen Verfahrensverlängerungen, weil ihre Fertigstellung oftmals sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Nach Angaben befragter RichterInnen seien sie zwar in der Regel äußerst ausführlich, erleichterten aber den richterlichen Entscheidungsfindungsprozess nicht merklich und seien zudem unverhältnismäßig kostenintensiv. Wenn auch der Zeitfaktor eine wichtige Rolle bei der Lösung von Beziehungskonflikten spielt und es durchaus positiv sein kann, dem Kind oder den Eltern bewusst Zeit für eine innere Entwicklung und Verarbeitung von Konflikten einzuräumen, so muss jedoch eine kaum kontrollierbare, mitunter jahrelange Verzögerung von Verfahren negativ auf die Entwicklung der betroffenen Kinder und Jugendlichen wirken. Von Nachteil ist außerdem, dass die Ressourcen der involvierten AkteurInnen über lange Zeit an ein und denselben Fall gebunden bleiben, der dadurch oft auch nicht besser lösbar wird. Neben der Einholung von Berichten oder Stellungnahmen des Jugendamtes kann eine außergerichtliche Einigung auch dadurch erreicht werden, dass das Verfahren ausgesetzt wird und die Eltern (ggf. auch wiederholt) auf die Beratungsangebote der Jugendhilfe verwiesen werden. Von KritikerInnen wurde in diesen Fällen der Begriff „Zwangsberatung“ eingeführt (dazu vgl. z. B. Wiesner 1999, 44, 46). Sowohl vonseiten einiger RichterInnen als auch Fachkräften der Jugendhilfe wird der Sinn einer solchen Beratung zum Teil recht 90 uj 2 (2008) infrage gestellt: Wenn das Gericht auf die Beratung verweise, seien Konfliktlinien schon stark verhärtet. Hinzu käme der zeitliche Druck bzw. die zeitliche Verzögerung, da angenommen wird, dass es nicht im Interesse des Kindes ist, das Verfahren über einen noch größeren Zeitraum als bisher zu verlängern. In den Fällen, in denen das Gericht das Verfahren aussetzt und die Konfliktparteien auf die Beratungsleistungen der Jugendhilfe verweist, kommt es häufig vor, dass die Familien dem Hinweis zwar Folge leisten, die Beratung aber nur formal und schnellstmöglich hinter sich bringen wollen. In anderen Fällen sind die Betroffenen wirklich um eine Lösung ihrer Probleme bemüht. Unter dem Aspekt von Kindeswohl und Kindesschutz wird die richterlich empfohlene Beratung von den Fachkräften der Jugendhilfe zwar als notwendig angesehen, jedoch nicht immer als Lösung der bestehenden Probleme. Nach Einschätzung verschiedener BeraterInnen verläuft ungefähr die Hälfte dieser Beratungen positiv. Aber auch wenn keine Lösung herbeigeführt werden könne, stehe am Ende zumindest die Gewissheit, dass eine Einigung auf diesem Weg nicht möglich sei. Auf dieser Basis könne das Gericht mit den Betroffenen dann weiter arbeiten. Fazit Insgesamt hat sich die Praxis der Jugendhilfe durch das neue Umgangsrecht, was die Wahrnehmung der damit verbundenen Beratungsaufgaben betrifft, erheblich verändert und professionalisiert. Dagegen scheinen die Konzeptionen und Rahmenbedingungen im Bereich des Betreuten Umgangs zum Teil noch zu wenig ausgereift. Deutlich wird, dass die Interessen von Kindern und Jugendlichen auch nach der Kindschaftsrechtsreform in der Praxis zu wenig wahrgenommen werden. Immer wieder laufen sie Gefahr, von Eltern(teilen) für deren Interessen eingespannt oder aufgrund professioneller Überzeugungen anderer Erwachsener benachteiligt zu werden. Literatur Fröhlich, S., 1999: Zur Bedeutung des Umgangs des Kindes mit beiden Eltern und anderen wichtigen Personen für das Kindeswohl. FPR, 4. Jg., H. 4, S. 200 - 204 Münder, J./ Mutke, B./ Bindel-Kögel, G./ Seidenstücker, B./ Tammen, B., 2007: Die Praxis des Kindschaftsrechts in Jugendhilfe und Justiz. München Mutke, B./ Tammen, B., 2007 a: Kindschaftsrecht in Jugendhilfe und Justiz. Teil 2: Die Verfahrenspflegschaft (§ 50 FGG). In: Unsere Jugend, 59. Jg., H. 11/ 12, S. 495 - 505 Mutke, B./ Tammen, B., 2007 b: Kindschaftsrecht in Jugendhilfe und Justiz. Teil 1: Wesentliche Inhalte der Kindschaftsrechtsreform. In: Unsere Jugend, 59. Jg., H. 10, S. 437 - 445 Oelkers, C., 2002: Die Entwicklung des Umgangsrechts bis Ende 2001. FuR, 12. Jg., H. 10, S. 433 - 437 Wallerstein, J. S./ Lewis, J. M., 2002: Scheidungsfolgen. Die Kinder tragen die Last. Münster Walter, E., 2003: Der Begleitete Umgang in der Praxis. Kind-Prax Spezial, S. 7 - 13 Wiesner, R., 1999: Kindschaftsrechtsreform und KJHG - wechselseitige Reformanstöße. Kind- Prax, 2. Jg., H. 2, S. 44 - 47 Die Autorinnen Barbara Mutke Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz e.V. Flachsmarktstraße 9 55116 Mainz Barbara.mutke@ism-mainz.de Britta Tammen Hochschule Neubrandenburg - University of Applied Sciences Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung Postfach 110121 17041 Neubrandenburg Tammen@hs-nb.de recht
