eJournals unsere jugend 60/4

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
41
2008
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Kinder- und Jugendarbeit wirkt. Konturen einer evidenzbasierten Praxis

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2008
Werner Lindner
Kinder- und Jugendarbeit wirkt. Ob man diesen Satz mit einem "Punkt" oder einem "Ausrufezeichen" beendet, ist mehr als eine nur semantische Lappalie. Einen Punkt setzt, wer Wirkungen im Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendarbeit wie selbstverständlich als Faktum akzeptiert und dies nüchtern bekräftigt. Das Ausrufezeichen hingegen betont den besonderen Hinweis auf die Wirkungen und bedient sich der Aufmerksamkeitserzeugung wie eines empathischen Jubelrufes über einen bislang womöglich unbekannten Befund.
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146 uj 4 (2008) Unsere Jugend, 60. Jg., S. 146 - 152 (2008) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel jugendarbeit Kinder- und Jugendarbeit wirkt. Konturen einer evidenz-basierten Praxis Werner Lindner Kinder- und Jugendarbeit wirkt. Ob man diesen Satz mit einem „Punkt“ oder einem „Ausrufezeichen“ beendet, ist mehr als eine nur semantische Lappalie. Einen Punkt setzt, wer Wirkungen im Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendarbeit wie selbstverständlich als Faktum akzeptiert und dies nüchtern bekräftigt. Das Ausrufezeichen hingegen betont den besonderen Hinweis auf die Wirkungen und bedient sich der Aufmerksamkeitserzeugung wie eines empathischen Jubelrufes über einen bislang womöglich unbekannten Befund. Die Entscheidung des Verfassers für den Punkt beruht zunächst auf der Überzeugung, dass es die Kinder- und Jugendarbeit nicht nötig hat, sich übertrieben marktschreierisch und aufmerksamkeitserregend im Spiel der fachlichen, öffentlichen und gesellschaftspolitischen Arenen zu inszenieren. Andererseits ist Aufmerksamkeit eine knappe Ressource und das Erscheinungsdatum dieses Textes kein Zufall, nämlich zu einem Zeitpunkt, an dem die empirisch nachweisbare Entwicklung der Kinder- und Jugendarbeit - wiewohl regional differenziert - mehr denn je an einem kritischen Entwicklungs-, gar Wendepunkt zu stehen scheint (vgl. Pothmann/ Thole 2006; Pothmann 2008) und ihr Legitimationsbedarf trotz anhaltender Bildungskonjunktur unvermindert anhält: „Jugendarbeit redet heute über Bildung aus der Defensive heraus. Über Bildung reden heißt: öffentlich legitimieren, was Jugendarbeit überhaupt soll“ (Müller 2006, 295). Ungeachtet aller ausgewiesenen Rechtsqualität als kommunale Pflichtaufgabe und ihrer fachlichen Expertise gerät die Kinder- und Jugendarbeit immer wieder zwischen die Mühlen von (vermeintlich) knappen Finanzmitteln und Output orientierten Steuerungsstrategien, die noch von jugendpolitischem Desinteresse, hin- und her schwankenden Themenkonjunkturen (etwa der Bildung, Kompetenzvermittlung, Beratung, (frühen! ) Prävention, Integration, neuerdings: Gesundheit) und üblen populistischen Diskreditierungen flankiert werden. Nachdem sich der Faktor „Wachstum“ vorerst und bis auf Weiteres im Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendarbeit erledigt haben dürfte, hätte er nunmehr - so die These - in der Dimension der „Qualität“ an Bedeutung zu gewinnen. In diesem „Umschalten“ von Quantität auf Qualität erhalten auch Evaluationen ihre Relevanz Prof. Dr. Werner Lindner Jg. 1958; Professor für Sozialpädagogik/ Kinder- und Jugendarbeit an der Fachhochschule Jena uj 4 (2008) 147 jugendarbeit als „datenbasierte, methodisch angelegte und an Gütekriterien überprüfbare Beschreibungen und Bewertung von Programmen, Projekten und Maßnahmen, die unter Berücksichtigung des jeweiligen politischen Kontextes systematisch darauf abzielen, zu einer rationaleren Entscheidungsfindung und zu einer Verbesserung der Problemlösungsansätze beizutragen“ (Heiner 2001, 483). Wirkungen der Kinder- und Jugendarbeit werden von der Politik vorzugsweise dann angefragt, wenn Legitimationen benötigt werden oder die Umverteilung finanzieller Mittel ansteht (was oftmals miteinander verwandt ist). Als etwa im August 2006 Kürzungen in der sächsischen Jugendverbandsarbeit verkündet wurden, räumte der zuständige Staatssekretär zwar ein, dass sich die Arbeit der überörtlichen Jugendverbände „grundsätzlich bewährt“ habe; gleichwohl sei dem gesellschaftlichen und demografischen Wandel Rechnung zu tragen mit der Konsequenz für die Verbände, „… die Effizienz und Wirksamkeit ihrer Arbeit zu beleuchten“ (www.jugendhilfeportal.de, Mitteilungen v. 23. 8. 2006). Ob Evaluationen in einem solche Fall als „Heilsbotschaften“ die gewünschte Abhilfe schaffen, darf bezweifelt werden. Denn das Beispiel des Wirksamkeitsdialoges in Nordrhein-Westfalen erweist, dass auch die ambitioniertesten Modelle ausbluten, wenn es die Politik nicht mehr interessiert und angesichts vorgeblicher finanzieller Sachzwänge „unvermeidliche“ Einsparungen anstehen. Allein die hierbei sich aufdrängende (hypothetische) Frage, ob die Kürzungen etwa zurückgenommen würden, wenn die Ergebnisse entsprechend positiv ausfielen, mutet naiv an. Zugleich werden dokumentierte und reflektierte Erfahrungen des Scheiterns ausgeblendet, die mindestens ebenso wertvolle Kenntniszugewinne erbringen können. Wo die Ressourcen (vermeintlich) knapp sind, macht es mindestens Sinn, sie dort einzusetzen, wo sie ihre maximale Wirkung entfalten. Aus diesem Grund durchzieht „… die Wirkungsdebatte als Steuerungsdiskurs Politik, Profession, Institutionen und Wissenschaft. Die Idee einer wirkungsorientierten Steuerung ist zu so etwas wie einer gemeinsamen Leitlinie geworden“ (Otto 2007; Deutscher Bundestag 2007). Wirksamkeitsuntersuchungen und -nachweise gehören mithin zum unerlässlichen Fachbestand der Kinder- und Jugendarbeit. Sie sind gemäß ihren Funktionen Erkenntnis, Kontrolle, Entwicklung und Legitimation unentbehrlich für die fachliche Selbstvergewisserung, für Vorhaben der Qualitätsentwicklung wie auch für die Legitimation nach außen. Aber: sie schützen im Zweifelsfall vor gar nichts. Trotzdem müssen sie geleistet werden. Damit wird deutlich, dass Evaluationsergebnisse, wie überzeugend sie immer sein mögen, der Problematik von Nutzenorientierung und Instrumentalisierung kaum entgehen. In einer erweiterten Dimension gewinnt die Frage nach Wirkungen dort an Gewicht, wo gerade im Bereich der Bildungspolitik neuerdings vermehrt (und durchaus nicht unproblematisch) von „Investitionen“ die Rede ist. So führte etwa Bundespräsident Horst Köhler am 21. September 2006 in seiner Berliner Rede unter dem Titel „Bildung für alle“ aus: „(Ohne) ausreichende und effektive Bildungsausgaben wird der Weg zu gesunden Staatsfinanzen noch schwieriger. Deshalb müssen wir den Mut und die politische Kraft haben, anderes zugunsten der Bildung zurückzustellen. Sie ist die wichtigste Investition, die unsere Gesellschaft und jeder einzelne tätigen kann. Wer an der Bildung spart, spart an der falschen Stelle.“ Im Weiteren zitierte Köhler noch John F. Kennedy mit der Aussage: „Es gibt nur 148 uj 4 (2008) jugendarbeit eine Sache auf der Welt, die teurer ist als Bildung - keine Bildung.“ So willkommen derartige Thesen in ihrer Programmatik sein mögen, bleibt doch - zum einen - zu prüfen, inwiefern Untersuchungen zu den volkswirtschaftlichen Erträgen von Investitionen in Bildung (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006; Sell 2004; Kerstan 2006) solche Überzeugungen tatsächlich plausibel zu stützen vermögen. Zum anderen haben die Debatten um Wirkungen der Kinder- und Jugendarbeit die Fallen eines solchermaßen ökonomisierten Diskurses sorgfältig im Auge zu behalten. Denn wenn Kinder- und Jugendarbeit sich auf die Logik derartiger Sprach- und Denkregelungen einlässt, begibt sie sich umso mehr in die Pflicht, Erträge, Wirkungen und „Renditen“ nachzuweisen. Die etwa von Albert (2006) aufgeworfene These, nach der sich „die Erkenntnis in der Sozialen Arbeit (nur langsam entwickelt), dass (diese) eine von der Gesellschaft und vom Staat finanzierte Dienstleistung ist und sich aus diesem Grund auch die berechtigte Frage stellen muss, nach welchen (Kosten-)Kriterien sie eigentlich arbeitet“, reduziert das Problem auf die pure Effizienzbzw. Outputdimension, solange nicht auch der Blick auf Zielerreichung, Ertrag und Nutzen (Outcome bzw. Effektivität) für die AdressatInnen gerichtet wird und eine reflektierte fachliche wie gesellschaftspolitische Dimension außer Acht bleibt. So ist auf der einen Seite der Anspruch aufrechtzuerhalten „dass Evaluation darauf abzielt, durch eine datenbasierte Bewertung von Handlungsalternativen zu einer rationaleren Entscheidungsfindung beizutragen“ (Heiner 2001, 491). Zugleich aber ist in Rechnung zu stellen, dass „Evaluationsmodelle … ebenso wie Evaluationen auf Wertentscheidungen beruhen, die nicht hinreichend durch wissenschaftliche Analysen begründet werden können. So lässt sich die Auswahl von Evaluationskriterien zwar wissenschaftlich untersuchen (Welcher Logik folgen sie? Wen begünstigen sie? Was wird auf diese Weise ausgeblendet? ). Sie lassen sich damit aber nicht zwingend begründen“ (Heiner, ebd.). „(Das) Bedürfnis nach öffentlicher Kontrolle steigt, es breitet sich eine ‚gesellschaftliche Unruhe‘ aus. Es gibt keine Zeit und keine Ressourcen mehr zu verlieren. Kinder sind zu einem knappen Gut geworden. Deshalb sollen möglichst nur noch solche Interventionen begonnen und Angebote bereitgehalten werden, die nachweislich einen ökonomischen Nutzen haben. Ist dieser nicht belegt, läuft die jeweilige Maßnahme Gefahr, prinzipiell in Frage gestellt zu werden“ (Pluto u. a. 2007, 27). Die fraglos heikle, aktuell aber wohl unvermeidbare Kopplung von Evaluationsergebnissen an Nutzerorientierungen ist mithin sorgfältig zu beachten; und dies gilt insbesondere dort, wo zwar gern „innovative“ Lösungen oder Wirkungen erwartet (oder explizit gefordert) werden, diese aber vorab innerhalb eines politisch oder administrativ zumeist restriktiven und vorab gesetzten Rahmens zu erfolgen haben. Gerade hier steht die Frage zur Beantwortung an: „(Wer) definiert wie zu welchem Zeitpunkt den jeweiligen Nutzen, und wie kann für eine Evaluation entschieden werden, was jeweils wann als nützlich zu gelten hat? “ (Haubrich/ Lüders/ Struhkamp 2007, 193). Evaluation lässt sich somit nicht auf pure Forschung reduzieren, denn sie wird als Beratungsinstrument für die Politik (auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene) eingesetzt, die über die Gewährung und Legitimation von Ressourcen entscheidet: „Evaluation ist nicht einfach eine Form angewandter Sozialforschung, sondern eine eigenständige Methode wertender Analyse, die sich auf den Balanceakt zwischen Wissenschaft und Politik spezialisiert hat“ (Bewyl 1988, uj 4 (2008) 149 jugendarbeit zit. n. Heiner 2001, 482). Ohne das Bedenken des Entstehungs- und Verwertungszusammenhangs und ohne den Bezug auf fachliche Debatten sowie gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen reduziert sich Evaluation auf die „Analyse der Funktionstüchtigkeit unter gegebenen Leitbildern bei nicht mehr hinterfragten Zielvorstellungen“ (Heiner 2001, ebd.) und verkommt zu leerer Evidenztechnik. Dass auch Kinder- und Jugendarbeit „irgendwie“ wirkt, ist zunächst eine triviale Feststellung: „So ziemlich alles, was die Kinder- und Jugendhilfe tut oder nicht tut, lässt sich operationalisieren, d. h. in der Form methodisch feststellbarer Merkmale beschreiben. Sobald dies geschehen ist, lassen sich ‚eindeutige‘ Messungen vornehmen, die nicht im geringsten ‚weniger präzise‘ sind als die in Euro und Cent ausgedrückten Berechnungen der Betriebswirtschaft. Entscheidend ist aber weniger die ‚technische‘ bzw. methodischmethodologische Möglichkeit von Messungen, sondern die Frage, ob das, was dabei gemessen wird, sinnvoll ist. Trifft es den Kern dessen, um was es in der Kinder- und Jugendhilfe gehen soll? “ (Schrödter/ Ziegler 2007, 5). Die gerade in den letzten Jahren erschienenen Evaluationsprojekte (Lindner 2008) mögen in ihrer Anhäufung eine gewisse grundständige Verankerung von Evaluationen nahelegen. Gleichwohl ist das Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendarbeit von einer konsistenten „Evaluationskultur“ noch weit entfernt, wie etwa die Einschätzung eines nach wie vor bestehenden „Evaluierungsvakuums“ (Zitzmann 2006, 171) dokumentiert. So verwundert es kaum, dass selbst sozialpädagogische Fachkräfte der Kinder- und Jugendarbeit über Wirkungsergebnisse ihres eigenen Arbeitsfeldes oftmals nur unzureichend informiert sind. Wirkungsbefunde, wie sie aus anderen Bereichen der Jugendhilfe vorliegen (die nicht zufällig kostenintensive Pflichtleistungen sind), wie etwa die Jugendhilfe-Effekte-Studie JES (vgl. BMFS- FJ 2002), bleiben einstweilen Zukunftsmusik. Schon die Voraussetzungen für die Beantwortung von Wirkungsfragen sind dünn aufgrund einer nach wie vor unzureichenden Forschungskultur, die sich bis auf Weiteres auch den Vorwurf der Empirieabstinenz gefallen lassen muss (vgl. z. B. Thole 2001; Münchmeier 2003). Und wo auch Relationen und Abgrenzungen von Evaluation gegenüber verwandten, aber keineswegs identischen Instrumenten wie Praxisberichten, angeleiteten Reflexionen, Praxisberatungen, wissenschaftlicher Begleitung, Prozessbegleitung, „Monitoring“ oder „Qualitätsentwicklung“ uneindeutig sind, wird bereits die Qualität der ausgehenden Fragestellungen und der damit verbundenen Datenerhebungsinstrumente in Mitleidenschaft gezogen - von der Beachtung und Einhaltung solch anspruchsvoller Güte- und Qualitätskriterien gar wie des Handbuches der Evaluationsstandards (Sanders/ Joint Committee 1999) noch zu schweigen. Die Kinder- und Jugendarbeit steht vor der Herausforderung, auf breiter Front Anschluss zu gewinnen an die Etablierung einer „evidenzbasierten - und dies heißt: beweisgestützten - Praxis“ in der Sozialen Arbeit (vgl. Otto 2007, 19). Auch wenn der Kinder- und Jugendarbeit in dieser Hinsicht zunächst eine gewisse Bescheidenheit gut ansteht, so besteht kein Grund, die Erfolge der eigenen Arbeit gering zu schätzen. Die Frage aber, ob man durch die Kinder- und Jugendarbeit ein besserer Mensch und rundum erfreuliches Mitglied der Gesellschaft wird, welches sich fortan als allzeit selbst-aktivierende und optimierende Humanressource bewährt, dürfte aufgrund der Unmöglichkeit präziser kausaler Zurechnungen nicht zu beantworten sein. So sind Evaluationen in der Kinder- und Jugendarbeit zunächst 150 uj 4 (2008) jugendarbeit damit Reflexionswissen bereit stellt, das eine Basis für eine angemessene - und d. h. vor allem dem Einzelfall angemessene - sozialpädagogische Praxis bereitstellen kann“ (Schrödter/ Ziegler 2007, 43). Dass Evaluationen neben der Bereitschaft zur Durchführung immer auch der erforderlichen - oftmals zusätzlichen - Ressourcen bedürfen, sei ausdrücklich zugestanden. Und das Problem, woher diese Ressourcen bei generell rückläufigen Mitteln, erhöhtem Problemdruck und allseits knappen Zeiten kommen sollen, wirft die Frage danach auf, inwiefern diese aus den vorhandenen Kapazitäten heraus zu erwirtschaften sind und dafür anderswo Einsparungen vorgenommen werden sollen. Zugleich harrt die seit Jahren anhaltende Entfremdung von Wissenschaft und Praxis der Überbrückung. Die bislang unzureichend ausgeschöpften Möglichkeiten der Kooperation mit Hochschulen, die längerfristige Platzierung in Fort- und Weiterbildung, die bessere wechselseitige Information über durchgeführte Untersuchungen sowie die Erprobung lokaler oder regionaler Evaluationskooperativen könnten die erforderlichen Weiterentwicklungen durchaus befördern. N ach einer Zeit, in der die Kinder- und Jugendarbeit vornehmlich unter den Maximen von Kürzen, Befristen und Einsparen stattgefunden hat, wäre mit den vorliegenden Ergebnissen (neu) einzutreten in die öffentliche Auseinandersetzung um Stellenwert und Perspektiven. Und diese Perspektiven erscheinen äußerst ertragreich in dem Maße, wie einige der bisherigen fachlichen Mythen ihres Schleiers entkleidet und offensiv gewendet werden: Kinder- und Jugendarbeit wirkt. Auch wenn nach wie vor Forschungsbedarf besteht, so kann diese Aussage in aller Bestimmtheit, mit hinreichender Wirkungsgewissheit und auf der Basis bislang nicht idealtypisch situiert zwischen zwei Extrempunkten: Am einen Pol findet sich eine Position, die jedwede Evaluierbarkeit aufgrund vielfältiger Zurechnungs- und Messprobleme radikal in Abrede stellt; am Gegenpol steht die Annahme präziser und unzweifelhafter Nachweisbarkeit unumstößlicher Wirkungseffekte. Für die Kinder- und Jugendarbeit beginnt die Arbeit erst. Denn das bloße bequeme Anlehnen an bereits vorliegende Ergebnisse reicht nicht aus, sondern muss durch eigene Aktivitäten auf der Praxisebene weiter vorangetrieben werden. Dies gilt beispielsweise für eine Verständigung über Erfolgsbedingungen und Vergleichskriterien von Wirkungen, für die Frage der Übertragbarkeit von Ergebnissen, aber auch für vergleichende Wirkungszusammenhänge und die Frage, mit welchen Methoden welche Wirkungen erzielt werden. Zudem besteht weiterhin Bedarf an alltags- und praxistauglichen Messinstrumenten und Indikatoren. Weithin wünschenswert wären Bemühungen in Richtung vergleichbarer Qualitätsdimensionen (für die in der Kinder- und Jugendarbeit kaum Voraussetzungen und operationalisierte Grundlagen vorhanden sind). Das Gleiche gilt für das Vorliegen begründeter Hypothesen über die Funktionsweise des jeweiligen Arbeitsfeldes, die Entwicklung von Arbeitshilfen, für Fort- und Weiterbildungen, für die Verbindung von Evaluationsergebnissen mit der Jugendhilfe- und Sozialplanung und die konzeptionelle Aktualisierung und Präzisierung z. B. von Erfolgskriterien. Gerade hier erweisen sich die bloße Anlehnung an bestehende Ergebnisse wie auch die Kopie von Evaluationsdesigns als untauglich: „Wirkungsforschung (ist) vor allem dann fruchtbar, wenn sie keine leitlinienförmige Praxisanleitung, sondern ein empirisch fundiertes Arsenal an Deutungs-, Erklärungs- und uj 4 (2008) 151 jugendarbeit bekannter Präzision für ihre wichtigsten Handlungsfelder (kommunale Jugendarbeit, verbandliche Jugendarbeit, kulturelle Jugendarbeit, internationale Jugendarbeit, politische Jugendbildung) formuliert werden (Lindner 2008). Die aktuell vorliegenden Wirkungsresultate wären zudem geeignet, die immer noch unzureichend verankerte Rechtsqualität der Kinder- und Jugendarbeit zu fundieren. Wenn in dem Rechtskommentar von Jans/ Happe/ Saurbier/ Mann formuliert wird: „Bestrebungen in der Jugendhilferechtsreform, ein subjektiv-öffentliches Recht, einen Rechtsanspruch durchzusetzen, mussten an dem Fehlen einer realen Möglichkeit scheitern, konkrete Ansprüche auf Leistungen der Jugendarbeit zu konstruieren. Solche Angebote sind faktisch nicht vorstellbar, es mangelt in der Jugendforschung an gesicherten Erkenntnissen über die Wirkung der Teilnahme an Angeboten der Jugendarbeit“ (zit. n. Fieseler 2006) - so dokumentieren die vorliegenden Ergebnisse jedenfalls, dass diesem Mangel mittlerweile deutliche Abhilfe geschaffen worden ist und dass damit die Rechtsverbindlichkeit von Leistungen der Kinder- und Jugendarbeit besser als je zuvor begründet werden kann. Folgt man zudem der Auffassung, „dass Gesetze auch Ausdruck der aktuellen Fachdebatte (sind), die sich zum Zeitpunkt des Gesetzgebungsprozesses jedoch noch nicht umfassend in einer veränderten Praxis niedergeschlagen hat“ (Pluto u. a. 2007, 19), dann wäre auch hier ein entscheidender Druckpunkt für die Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendarbeit zu identifizieren. Mit dem Verweis auf eben diese Wirkungen wäre zugleich den vermeintlichen öffentlichen Einsparzwängen zu begegnen, weil Kinder- und Jugendarbeit sich nunmehr als effektive Bildungsinvestition behaupten kann. Allerdings geschieht dies nicht von allein, sondern nur durch Anstrengungen. Die Kinder- und Jugendarbeit ist verstärkt gefordert, ihr eigenes Wissen - über ihre AdressatInnen und ihre Wirkungen - insbesondere auf der lokalen/ kommunalen Ebene neu zu organisieren und zu präsentieren. Der Nutzen solcher Ergebnisse für Fachkräfte der Kinder- und Jugendarbeit wäre nicht zuletzt eine Stärkung des fachlichen Selbstbewusstseins und bestens dazu geeignet, künftig mit gediegenen Argumenten einer evidenz-basierten Praxis in die fachinternen wie öffentlichen Debatten einzutreten. Die offensive Weiterentwicklung dieses sozialpädagogischen Feldes wird wesentlich über die Trias von plausibler Empirie, ausgewiesener Fachpraxis und markanter jugendpolitischer Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit erfolgen. In diesem Sinne sind Evaluationen (wenn sie denn vorliegen) auch geeignet, Entscheidungsträger aus Politik und Verwaltung nachdrücklich mit den Ergebnissen der Kinder- und Jugendarbeit bekannt zu machen - und sie ihnen bei anhaltender Ignoranz und womöglich erneut anstehenden Kürzungsrunden gegebenenfalls um die Ohren zu hauen. Literatur Albert, M., 2006: Die Ökonomisierung der Sozialen Arbeit. In: Sozial Extra, 30. Jg., H. 7 - 8, S. 26 - 31 Deutsches Jugendinstitut, 2006: Wirkungsevaluation in der Kinder- und Jugendhilfe. Einblicke in die Evaluationspraxis. München Deutscher Bundestag, 2007: Jugendliche in Deutschland: Perspektiven durch Zugänge, Teilhabe und Generationengerechtigkeit. Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜ- NEN. Drs. 16/ 4818. Berlin Fieseler, G., 2006: Objektive und subjektive Rechtsansprüche in Sachen einer bildungsorientierten Kinder- und Jugendarbeit. Vortrag und Manuskript. Protokoll vom 19. 6. 2006. www.agot-nrw.de/ upload/ Fieseler%2019.6.06 %20Domund%20Rechtsverbindlichkeit.pdf, 11. 1. 2007 152 uj 4 (2008) jugendarbeit Haubrich, K./ Lüders, C., 2001: Evaluation - hohe Erwartungen und ungeklärte Fragen. In: DIS- KURS - Studien zu Kindheit, Jugend, Familie und Gesellschaft, 11. Jg., H. 3., S. 69 - 73 Haubrich, K./ Lüders, C., 2004: Evaluation - mehr als ein Modewort? In: Recht der Jugend und des Bildungswesens. Zeitschrift für Schule, Berufsbildung und Jugenderziehung, 57. Jg., H. 3, S. 316 - 337 Haubrich, K./ Holthusen, B./ Struhkamp, G., 2005: Evaluation - einige Sortierungen zu einem schillernden Begriff. In: DJI-Bulletin, H. 72, S. 1 - 4 Haubrich, K./ Lüders, C./ Struhkamp, G., 2007: Wirksamkeit, Nützlichkeit, Nachhaltigkeit. Was Evaluationen von Modellprogrammen realistischerweise leisten können. In: Schröder, U./ Streblow, C. (Hrsg.): Evaluation konkret. Fremd- und Selbstevaluationsansätze anhand von Beispielen aus Jugendarbeit und Schule. Opladen/ Farmington Hills, S. 183 - 201 Heiner, M., 2001: Evaluation. In: Otto, H.-U./ Thiersch, H. (Hrsg.): Handbuch Sozialarbeit/ Sozialpädagogik. 2. üb. Auflage. Neuwied, S. 481 - 495 Kerstan, T., 2006: Der Wohlstand von morgen. In: Die Zeit v. 20. 1. 2006, S. 21ff Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006: Bildung in Deutschland. Berlin Lindner, W. (Hrsg.), 2008: Kinder- und Jugendarbeit wirkt. Aktuelle und ausgewählte Evaluationsergebnisse der Kinder- und Jugendarbeit. Wiesbaden (i. E.) Müller, B., 2006: Der Bildungsauftrag der Jugendarbeit als Legimitationsstrategie. In: deutsche jugend, 54. Jg., H. 7/ 8, S. 295 - 302 Münchmeier, R., 2003: Jugendarbeitsforschung: Inspiration - Irritation - Legitimation? In: Rauschenbach, T. u. a. (Hrsg.): Kinder- und Jugendarbeit - Wege in die Zukunft. Weinheim/ München, S. 181 - 194 Otto, H.-U., 2007: Zum aktuellen Diskurs um Ergebnisse und Wirkungen im Feld der Sozialpädagogik und Sozialarbeit - Literaturvergleich nationaler und internationaler Diskussionen. In: FORUM Jugendhilfe, H. 1, S. 18 - 20 Pluto, L. u. a., 2007: Kinder- und Jugendhilfe im Wandel. Eine empirische Strukturanalyse. München Pothmann, J./ Thole, W., 2006: Trendbrüche - Kahlschlag oder geordneter Rückzug? Entwicklungen in der Kinder- und Jugendarbeit. In: AKJstat, http: / / 129.217.205.15/ akj/ tabellen/ kommentierungen/ jugendarbeit/ juarb2.pdf, 21. 2. 2007 Pothmann, J., 2008: Aktuelle Daten zu Stand und Entwicklung der Kinder- und Jugendarbeit - eine empirische Analyse. In: Lindner, W. (Hrsg.), 2008: Kinder- und Jugendarbeit wirkt. Ein Überblick zu Wirkungsergebnissen aus einigen Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendarbeit. Wiesbaden (i. E.) Sanders, J. R., 3 2006: Handbuch der Evaluationsstandards. Die Standards des „Joint Committee on Standards for Educational Evaluation“. Wiesbaden Schmidt, M. u. a. (Hrsg.), 2002: Effekte erzieherischer Hilfen und ihre Hintergründe. Schriftenreihe des BMFSFJ Nr. 219. Berlin/ Stuttgart Schmidt, M., 2005: Warum die öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland relativ niedrig und die privaten vergleichsweise hoch sind. Befunde des OECD-Länder-Vergleichs. In: Engel, U. (Hrsg.): Bildung und soziale Ungleichheit. Tagungsberichte, Bd. 9. Bonn Schrödter, M./ Ziegler, H., 2007: Was wirkt in der Kinder- und Jugendhilfe? Internationaler Überblick und Entwurf eines Indikatorensystems von Verwirklichungschancen.Wirkungsorientierte Jugendhilfe, Bd. 2. Münster Sell, S., 2004: Der Ausbau der Ganztagsschulen aus ökonomischer Sicht. In: Appel, S. u. a. (Hrsg.): Jahrbuch Ganztagsschule. Investitionen in die Zukunft. Schwalbach/ Ts., S. 10 - 22 Stockmann, R., 2007: Evaluation und Qualitätsentwicklung. Eine Grundlage für wirkungsorientiertes Qualitätsmanagement. Münster Thole, W., 2001: Kinder- und Jugendarbeit beobachten. www.ejh.de/ download/ thole-k-u-jarbeit.pdf Zitzmann, C., 2007: „Das habe ich im Gefühl! “ Perspektiven für Praxis und Wissenschaft der Wirkungsforschung. In: deutsche jugend, 55. Jg., H. 4, S. 170 - 177 Der Autor Prof. Dr. Werner Lindner Fachhochschule Jena Carl-Zeiß-Promenade 2 07703 Jena Tel.: (0 36 41) 20 58 29 werner.lindner@fh-jena.de www.sw.fh-jena.de/ people/ werner.lindner