unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2008
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Sozioökonomische Reichweite von Jugendarbeit in Europa
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2008
Irina Bohn
Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit sind zentrale Orte der informellen Bildung und Partizipation von Jugendlichen. Dieser Gedanke hat in den vergangenen Jahren zunehmend an Anerkennung innerhalb der europäischen Institutionen gewonnen und auch seinen Niederschlag in der europäischen Politik gefunden. Eine Studie zur sozioökonomischen Reichweite von Jugendarbeit in Europa gibt dazu nähere Auskunft.
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uj 4 (2008) 163 Unsere Jugend, 60. Jg., S. 163 - 173 (2008) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel jugendarbeit Sozioökonomische Reichweite von Jugendarbeit in Europa Irina Bohn Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit sind zentrale Orte der informellen Bildung und Partizipation von Jugendlichen. Dieser Gedanke hat in den vergangenen Jahren zunehmend an Anerkennung innerhalb der europäischen Institutionen gewonnen und auch seinen Niederschlag in der europäischen Politik gefunden. Eine Studie zur sozioökonomischen Reichweite von Jugendarbeit in Europa gibt dazu nähere Auskunft. Hintergrund der Studie Obwohl es in allen europäischen Ländern eine vielfältige Jugendarbeitspraxis gibt, sind bislang nur sehr begrenzt Informationen auf europäischer Ebene über den Jugendsektor verfügbar. Daten sind oftmals verstreut und unvollständig, sodass es schwierig ist, ein umfassendes quantitatives Bild von Jugendarbeit in Europa zu zeichnen und damit nunmehr auch zahlenmäßige Belege für die o. g. Annahmen verfügbar zu machen. Vor diesem Hintergrund hat die seit 1998 bestehende Partnerschaft zwischen der Europäischen Kommission und dem Europarat in Jugendfragen (www.youthpartnership.net) Ende 2006 beim Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik Frankfurt/ Main und bei weiteren neun Institutionen und ExpertInnen 1 eine Studie zur sozioökonomischen Reichweite von Jugendarbeit in Europa in Auftrag gegeben (vgl. www.youth-knowledge.net). Die Studie sollte quantitative Daten zu • Art und Umfang der Angebote von Jugendarbeit sowie angrenzender Handlungsfelder, • den investierten Ressourcen an Zeit und Geld, • dem Umfang an personellen Ressourcen sowie • dem Umfang an Beteiligung von jungen Menschen an den Aktivitäten im Sektor der Jugendarbeit generieren. Mit diesem Auftrag war das Ziel verbunden, die Sichtbarkeit der Leistungen von Jugendarbeit im Bereich des nichtformellen Lernens zu erhöhen und somit auch zu einer verstärkten Anerkennung beizutragen. Die Studie steht damit mit ihrer Zielsetzung in einer Reihe von Maßnahmen der Partnerschaft, ist allerdings die erste Untersuchung, die sich ausdrücklich um einen quantitativen Zugang bemüht. 1 Österreichisches Institut für Jugendforschung, Wien; Tartu University, Department of Sociology, Tartu; Dora Giannaki, Athen; University College Cork, Department of Applied Social Studies, Cork; Centre for Training and Research in Public Health, Caltanissetta; VU University Amsterdam, Department of Sociology, Amsterdam; NOVA - Norwegian Social Research, Oslo; National Research Institute on Labour and Social Protection, Bucharest; University of Valladolid, Department of Sociology and Social Work, Segovia. 164 uj 4 (2008) jugendarbeit Zur Umsetzung der Studie wurden folgende methodischen Schritte umgesetzt: • Es wurden qualitative nationale Statusberichte zur Jugendarbeit erstellt, die grundlegende formale Strukturen abbildeten. • Es wurden quantitative nationale Berichte auf der Basis verfügbarer Daten erarbeitet. • Es erfolgten quantitative Erhebungen in jeweils vier Kommunen in allen Ländern und • es wurden Experteninterviews durchgeführt. Themenübergreifende Ergebnisse der Studie Um es gleich vorwegzunehmen: Auch mit der vorliegenden Studie war es nicht möglich, eine lückenlose quantitative Abbildung von Jugendarbeit in Europa vorzulegen. Dennoch hat die Arbeit der ExpertInnen wertvolle Zwischenergebnisse zu diesem Ziel erarbeitet, auf die in zukünftigen Untersuchungen aufgebaut werden kann. 1. Da es weder für alle europäischen Länder zusammen noch in den jeweiligen Ländern eine allgemein anerkannte und offiziell festgelegte Definition von Jugendarbeit gibt, bestand der erste Arbeitsschritt darin, die Definitionen und rechtlichen sowie strukturellen Rahmenbedingungen von Jugendarbeit systematisch aufzubereiten. Als Ergebnis dieser Arbeit lässt sich festhalten, • dass die von Peter Lauritzen erarbeitete Definition von Jugendarbeit als umfassendste Definition bestätigt werden konnte und aus den Ergebnissen keine Erkenntnisse gewonnen wurden, die eine Ergänzung notwendig machen (vgl. hierzu www.youth-knowledge.net/ in tegration/ ekc/ Glossary/ ), und • dass als zentrale Handlungsfelder von Jugendarbeit in den zehn europäischen Ländern außerschulische Jugendbildung, internationale Jugendarbeit, offene Jugendarbeit, Jugendverbandsarbeit, Jugendsozialarbeit, Jugendfreizeit und -erholung, Jugendberatung, Jugendinformation sowie Jugendarbeit im Sport gelten können. 2. Es konnten auf der Basis der verfügbaren nationalen Datenbestände Aussagen zur Datenqualität generiert werden und Schlüsse über den Grad der vergleichbaren Dokumentierbarkeit einzelner Bereiche von Jugendarbeit gezogen werden. So zeigte sich, dass • die am besten dokumentierten Sektoren der Jugendarbeit die öffentlich geförderten Handlungsansätze bzw. die von staatlich geförderten Trägern vorgehaltenen Angebote sind; • in einzelnen Ländern wie in Österreich oder den Niederlanden aus einem traditionellen Verständnis von der Selbstorganisation und -verantwortung von Jugendarbeit die Dokumentation selbst staatlich geförderter Angebote von Jugendarbeit nicht vorgesehen ist, • in anderen, vorwiegend südeuropäischen Ländern auf nationaler Ebene ausschließlich die auf europäischer Ebene angeforderten Daten zu Jugendinformation und zur Umsetzung der Europäischen Jugendprogramme verfügbar sind und Irina Bohn Jg. 1964; M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt am Main uj 4 (2008) 165 jugendarbeit Deutschland 16,552,700 20,3 53.7 4.0 111,114,000 1,276,027,000 0,011 63 1 : 6 Estland 354,071 25,8 83.5 19.6 keine Daten keine Daten keine Daten 43 keine Daten Griechenland 2,828,179 25,9 89.2 7.0 16,529,061 ja 0,019 keine Daten keine Daten Irland 1,113,759 28,9 71.8 6.5 7,400,000 keine Daten 0,012 keine Daten 1 : 50 Jugendorganisationen 1 : 6 Projekte Italien 12,647,395 22,2 86.4 5.3 130,000,000 ja 0,018 keine Daten keine Daten Niederlande 3,663,679 22,9 57.9 4.0 No data ja No data keine Daten keine Daten Norwegen 1,042,141 23,1 39.0 9.0 48,000,000 ja 0,044 keine Daten keine Daten Österreich 1,805,490 22,5 56.5 9.0 4,080,155 ja 0,003 72 1 : 3 Rumänien 6,089,468 28,1 92.5 25.8 2,630,500 ja 0,008 65 1,5 : 1 öffentliche Jugendarbeit 3 : 1 verbandliche Jugendarbeit Spanien 10,675,605 26,3 88.0 8.3 4,003,989 ja 0,001 keine Daten keine Daten Absolute Zahl der 13bis 30Jährigen Anteil der jungen Menschen an der Gesamtbevölkerung in % Anteil der nicht in Verbänden organisierten Jugendlichen in % Anteil der in Jugendverbänden organisierten Jugendlichen in % Nationales jährliches Budget für Jugendarbeit in € Zusätzliche öffentliche (kommunale) Mittel Anteil der nationalen Budgets für Jugendpolitik an den öffentlichen Ausgaben Anteil der freien Träger der Jugendarbeit in % Verhältnis von Jugendarbeitern zu Ehrenamtlichen Tabelle 1: Dimensionen der Jugendarbeit 1 1 Vgl. zu differenzierten Angaben hinsichtlich der Daten www.youth-partnership.net/ youth-partnership/ research/ socioeconomicscopeofwork.html, Tabelle 21, S. 69. 166 uj 4 (2008) jugendarbeit Strukturen der Jugendarbeit Deutschland Estland Griechenland Irland Italien Niederlande Norwegen Österreich Rumänien Spanien Institutionen keine Daten keine Daten keine Daten keine Daten keine Daten öffentlich 11 % 3 % 18 % 18 % 60 % nicht-öffentlich 89 % 65 % 18 % 20 % halb-öffentlich 0 % 10 % 23 % 20 % ehrenamtlich 0 % 0 % 82 % 38 % 0 % kommerziell 0 % 13 % 0 % Handlungsfelder keine Daten keine Daten keine Daten keine Daten Außerschulische Jugendbildung 16 % 23 % 11 % 28 % 45 % 23 % Jugendfreizeit und -erholung 8 % 46 % 19 % 3 % 17 % 52 % Offene Jugendarbeit/ Jugendclubs 11 % 2 % 12 % 9 % 3 % 1 % Jugendverbandsarbeit 45 % 7 % 0 % 15 % 0 % 8 % Jugendarbeit im Sport 14 % 6 % 47 % 38 % 6 % 12 % Jugendberatung 3 % 2 % 2 % 0 % 0 % 0 % Jugendinformation 0 % 2 % 0 % 1 % 26 % 0 % Prävention sozialer Ausgrenzung 3 % 3 % 8 % 6 % 1 % 20 % Internationale Jugendarbeit 0 % 8 % 0 % 1 % 0 % 1 % Tabelle 2: Strukturen der Jugendarbeit 2 uj 4 (2008) 167 jugendarbeit • für alle Länder, selbst diejenigen, in denen der Anteil an von freien Trägern verantwortete Jugendarbeit ausgewiesen werden kann (Deutschland, Estland, Norwegen und Irland), der Umfang der Leistungen der Jugendverbände an der Gesamtheit der Jugendarbeitsstrukturen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in ausreichendem Maß abbildbar ist. 3. Es erfolgte ferner eine fachliche Beschreibung der nationalen Kontexte von Jugendarbeit sowie erstmals eine Aufbereitung aller national verfügbaren Daten sowie deren Abgleich mit vor Ort erhobenen Daten. Die verwendeten Indikatoren wurden hinsichtlich ihrer nationalen Anwendbarkeit ausgewertet und stehen somit für weitere Untersuchungen zur Verfügung. 4. Und nicht zuletzt wurden die Ausbildungswege von JugendarbeiterInnen auf der Basis der von der IARD-Studie (2001) erarbeiteten Vergleichskategorien aktualisiert. Untersuchungsergebnisse Aussagen zu den Strukturmerkmalen von Jugendarbeit in Europa können auf der Basis einer Zusammenführung der Ergebnisse der nationalen und lokalen quantitativen Untersuchungen getroffen werden. Die Indikatoren für die auf europäischer Ebene vergleichbaren nationalen Daten zu Jugendarbeit sind bislang sehr allgemein und bilden nur in groben Zügen die gegebenen Strukturen ab (vgl. Tabelle 1). Unter Hinzuziehung der lokalen Daten können jedoch differenziertere Aussagen getroffen werden. So lässt sich nachzeichnen, dass die Handlungsfelder von Jugendarbeit in allen europäischen Ländern, die an der vorliegenden Studie teilgenom- Deutschland Estland Griechenland Irland Italien Niederlande Norwegen Österreich Rumänien Spanien Budgets € 6.436.418 kommunale Mittel; 0,5 bis 0,7 % der gesamten kommunalen öffentlichen Ausgaben keine Daten rund 11Mio; 7,75 % der gesamten kommunalen öffentlichen Ausgaben keine Daten keine Daten rund 4,5 Mio €; 30 % Mitgliederbeiträge; 25 % Teilnehmerbeiträge; 17 % Sponsoring; 15 % Öffentliche Mittel Keine vollständigen Daten öffentliche Mittel (43 %); Teilnehmerbeiträge (26 %) und unterschiedliche Quellen (21 %) rund 450.000 €; je 1/ 3 Europäische, nationale und kommunale Mittel rund 2.5 Mio €; 70 % öffentliche Mittel 2 Vgl. zu differenzierten Angaben hinsichtlich der Daten www.youth-partnership.net/ youth-partnership/ research/ socioeconomicscopeofwork.html, Tabelle 21, S. 116. Fortsetzung von Tabelle 2 168 uj 4 (2008) jugendarbeit Tabelle 3: MitarbeiterInnen in der Jugendarbeit 3 MitarbeiterInnen in der Jugendarbeit Deutschland Estland Griechenland Irland Italien Niederlande Norwegen Österreich Rumänien Spanien JugendarbeiterInnen 3,1 % Keine Daten 52 % Keine Daten Keine Daten 8 % 12 % Keine Daten 25 % weiblich Keine Daten 52 % 60 % 88 % 60 % 75 % 63 % männlich 48 % 40 % 12 % 40 % 35 % 37 % Qualifikation Keine Daten Keine Daten Keine Daten Keine Daten Keine Daten Keine Daten Keine Daten (Fach-)Hochschule 53 % 78 % 31 % Fachschule 5 % 22 % 44 % keine formale Ausbildung 43 % 0 % 25 % keine Antwort 0 % 80 % 81 % Anstellungsstatus Vollzeit 34 % 60 % 3 % 88 % 100 % 60 % Teilzeit 6 % 4 % 6 % 0 % 8 % andere 59 % 36 % 91 % 0 % 18 % keine Antwort 0 % 0 % 0 % 0 % 82 % Ehrenamtliche 96,9 % Keine Daten 48 % Keine Daten Keine Daten 92 % Keine Daten 88 % Keine Daten 75 % Fortbildung Ehrenamtlicher Keine Daten Keine Daten Keine Daten 37 % Keine Daten 71 % Keine Daten Keine Daten 3 Vgl. zu differenzierten Angaben hinsichtlich der Daten www.youth-partnership.net/ youth-partnership/ research/ socioeconomicscopeofwork.html, Tabelle 21, S. 117 uj 4 (2008) 169 jugendarbeit men haben, als weit gefasst charakterisiert werden können. In allen Ländern lässt sich eine Umsetzung der neun definierten Handlungsbereiche von Jugendarbeit auf lokaler Ebene nachzeichnen. Dabei sind die außerschulische Jugendbildung und Freizeit- und Erholungsangebote mit durchschnittlich 24 % die größten Bereiche. Hier muss allerdings bei der Bewertung der Zahlen berücksichtigt werden, dass in einzelnen Ländern Daten über bestimmte Jugendaktivitäten nicht erhältlich sind, weil u. a. die administrativen Verantwortlichkeiten in jugendunspezifischen Sektoren verankert sind. Ein Beispiel hierfür gibt der Jugendsport. Dort, wo er als Teil von Jugendarbeit verstanden und dokumentiert wird, nimmt er einen großen quantitativen Anteil - nämlich mindestens ein Drittel und bis zur Hälfte - an der Gesamtheit der angebotenen Aktivitäten ein. Ein weiteres Beispiel bieten die Angebote zu Jugendsozialarbeit in Deutschland, die nicht vollständig dokumentierbar sind, weil z. B. die Mehrheit der Arbeitsmarkt zentrierten Angebote in die Verantwortung der Arbeitsagenturen fällt. In allen untersuchten Ländern existiert eine plurale Trägerstruktur (öffentliche, halböffentliche, nicht-öffentliche/ freie und ehrenamtliche Träger) in der Jugendarbeit. Lediglich in Spanien konnte eine vorwiegende staatliche Trägerschaft von Jugendarbeit in Höhe von 60 % identifiziert werden. In allen anderen Ländern liegt der Anteil von nicht-staatlichen Trägern bei mindestens 65 %. Die Ressourcen an Zeit und Geld, die in Jugendaktivitäten investiert werden, lassen sich in dieser Studie entweder anhand der nationalen Budgets meist ausschließlich jugendspezifischer Ministerien bzw. legislativer Vorgaben oder anhand der kommunalen Ausgaben dokumentieren. Beide Ebenen spiegeln nur lückenhaft die finanziellen Gesamtaufwendungen wider. Auf lokaler Ebene lassen sich als Hauptfinanzierungsquellen kommunale und europäische Finanzmittel identifizieren. In Österreich machen kommunale Mittel 43 % der Finanzierung von Jugendarbeit aus, während in den Niederlanden ein Finanzierungsmix aus Mitglieder- und Teilnahmebeiträgen sowie aus Sponsoring gewonnene Mittel den größten Anteil an kostendeckenden Ressourcen auf lokaler Ebene einnehmen. In diese Berechnungen fließen allerdings nicht die Ressourcen an freiwilligen Leistungen mit ein, die von den ehrenamtlichen Verbandsstrukturen von Jugendarbeit vorgehalten werden. In Griechenland wurde auf lokaler Ebene ein Anteil von 48 % an ehrenamtlichen MitarbeiterInnen dokumentiert, in allen anderen Ländern, in denen Daten hierzu vorliegen, liegt ihr Anteil bei mindestens 75 %, wenn nicht sogar deutlich höher. Die Zahl der in der Jugendarbeit beschäftigten Personen liegt mit 8 % in den Niederlanden und maximalen 25 % in Spanien deutlich unter dem Anteil der beteiligten Ehrenamtlichen. Mit Ausnahme der Niederlande, wo Zeitverträge dominieren, haben bezahlte JugendarbeiterInnen zu mindesten 60 % Vollzeitstellen inne und sind professionell mindestens auf Fachschulniveau ausgebildet. Mit Ausnahme von Griechenland, wo auf lokaler Ebene etwa gleich viel weibliche wie männliche JugendarbeiterInnen dokumentiert wurden, ist Jugendarbeit in allen anderen Ländern zu mindestens 60 % eine weibliche Profession. Der höchste Anteil an Frauen wurde mit 88 % in Norwegen dokumentiert. Die Jugendlichen nehmen - das haben die kommunalen Erhebungen gezeigt - am häufigsten an außerschulischer Jugendbildung, Jugendarbeit im Sport sowie Jugendfreizeit und -erholung teil. Das Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Jugendlichen ist in den meisten Ländern 170 uj 4 (2008) jugendarbeit Tabelle 4: TeilnehmerInnen an Jugendarbeit 4 TeilnehmerInnen an Jugendarbeit Deutschland Estland Griechenland Irland Italien Niederlande Norwegen Österreich Rumänien Spanien Anteil der TeilnehmerInnen keine Daten keine Daten keine Daten keine Daten 1. Aktivität Außerschu- Jugend- Jugend- Außerschu- Jugendfreilische Jugendarbeit im arbeit im lische Jugendzeit und -erbildung 29 % Sport 74 % Sport 39 % bildung 68 % holung 28 % 2. Aktivität Jugendfrei- Jugendfrei- Jugendfrei- Jugend- Jugendzeit und -erzeit und -erzeit und -erinformation arbeit im holung 24 % holung 10 % holung 23 % 22 % Sport 26 % 3. Aktivität Offene Außerschu- Jugendver- Jugend- Jugend- Jugendarbeit/ lische Jugendbandsarbeit/ arbeit im beratung Jugendclubs bildung 10 % Peer Coun- Sport 6 % 22 % 19% selling 15% TeilnehmerInnen nach Geschlecht keine Daten keine Daten keine Daten weiblich 48 % 46 % 44 % 53 % männlich 52 % 54 % 56 % 47 % Alter keine Daten keine Daten keine Daten 13 - 14 Jahre 40 % 25 % 50 % 18 % 15 - 19 Jahre 37 % 75 % 32 % 50 % 20 - 24 Jahre 6 % nicht erhoben 13 % 20 % 25 - 30 jahre 9 % nicht erhoben 5 % 12 % keine Angabe 8 % 4 Vgl. zu differenzierten Angaben hinsichtlich der Daten www.youth-partnership.net/ youth-partnership/ research/ socioeconomicscopeofwork.html, Tabelle 21, S. 117. uj 4 (2008) 171 jugendarbeit ausgewogen, in Norwegen überwiegen mit 56 % männliche Jugendliche. Die Altersspannbreite der Jugendlichen, die an Maßnahmen der Jugendarbeit teilnehmen, ist mit Ausnahme von Norwegen und Rumänien weit; allerdings - so die Ergebnisse der lokalen Erhebungen - bilden Jugendliche bis 19 Jahre die Hauptzielgruppe. Hinsichtlich der Ausgangsfragestellung der sozioökonomischen Effekte von Jugendarbeit ermöglichen die Daten folgende zentrale Aussagen: • In allen zehn europäischen Ländern umfasst Jugendarbeit eine große Bandbreite von Aktivitäten auf lokaler Ebene. Diese werden nicht nur von staatlichen Organisationen, sondern insbesondere von einer Vielzahl von Nicht- Regierungsorganisationen umgesetzt, die erhebliche Ressourcen in Form von Zeit, Geld und Know-how einbringen. • Außerschulische Jugendbildung ist ein zentrales Handlungsfeld der Jugendarbeit, die auf diese Weise viele strukturierte institutionelle Angebote in nicht-formale Bildungsaktivitäten für Jugendliche einbezieht. • Jugendarbeit bietet ferner auch Freiwilligen eine große Bandbreite von Gelegenheitenfürnicht-formale Bildungsprozesse. Der große Anteil an Freiwilligen zeigt zudem, dass Jugendarbeit damit viele engagierte Menschen anzieht und bindet. Gründe für die Lücken in den Datensystemen Die Durchführung der vorliegenden Untersuchung hat deutlich gemacht, dass die Dokumentation von Jugendarbeit auf nationaler Ebene in keinem europäischen Land lückenlos ist und insbesondere die Leistungsangebote, die von Jugendverbänden bzw. Jugendgruppen im Kontext von Verbänden ohne staatliche finanzielle Unterstützung auf lokaler Ebene umgesetzt werden, undokumentiert bleiben. Die wesentlichen Gründe hierfür liegen in den Politischen Rahmenbedingungen, d. h. • dass keine politische Notwendigkeit zur Berichterstattung gegeben ist, weil Jugendarbeit als Handlungsfeld keine Priorität auf der politischen Agenda genießt und in einzelnen Ländern auch keine Anerkennung als eigenständige Profession gegeben ist; • dass die Verantwortung für Jugendarbeit über unterschiedliche politische Ressorts verteilt ist und in den seltensten Fällen eine übergreifende Kooperation existiert; Finanzierungsmodalitäten, d. h. • dass Jugendarbeit auf lokaler Ebene umgesetzt und finanziert wird und eine nationale Steuerung bzw. Berichterstattung nicht immer als notwendig angesehen wird; • dass ausschließlich öffentlich finanzierte Projekte dokumentiert werden, da die Verpflichtung besteht, öffentliche Ausgaben zu belegen, sowie • dass keine Mittel für die Dokumentation bereitgestellt sind. Kulturellen Hintergründen, d. h. • dass aus der Verankerung von Jugendarbeit in selbstverantwortlichen und ehrenamtlichen Strukturen heraus traditionell eine eher distanzierte Haltung gegenüber kategorisierenden Formen der Berichterstattung existiert und zudem • in einzelnen Ländern ebenfalls eine geringe Bereitschaft zur Offenlegung von Förderstrukturen besteht; Professionellen Gegebenheiten, d. h. • dass das Konzept bzw. die Definition von Jugendarbeit vage ist und somit Grundlagen für allgemein gültige Indikatoren fehlen ebenso wie • die Netzwerke zwischen JugendarbeiterInnen, die zu einer Verständigung hinsichtlich dieser Konzepte beitragen könnten, fehlen. 172 uj 4 (2008) jugendarbeit Ausblick und Empfehlungen Die Tatsache, dass im Rahmen der vorliegenden Studie auf lokaler Ebene nicht alle, aber dennoch große Teile von Jugendarbeit dokumentiert werden konnten, zeigt, dass der Grund für die begrenzte Dokumentation von Jugendarbeit auf nationaler Ebene nicht als Indiz für eine fehlende Jugendarbeit verstanden werden kann. Wesentliche Gründe sind vielmehr darin zu sehen, dass zum einen keine differenzierten Berichtssysteme vorliegen (und oftmals auch kein Know-how darüber, wie ein solches aufgebaut sein sollte) und zum anderen die Notwendigkeit einer zahlenbasierten Steuerung von Jugendpolitik auf nationaler Ebene insbesondere aufgrund des Subsidiaritätsprinzips nicht gesehen wird. Die Frage nach der Erfordernis einer vergleichenden quantitativen Dokumentation von Jugendarbeit wurde im Projektverlauf immer wieder gestellt. Die ExpertInnen betonen aber die Dringlichkeit der quantitativen Abbildung von Jugendarbeit als Begleitprozess im Kontext der „Lissabon-Strategie“ (multisektorielle Strategie mit dem Ziel, Europa bis zum Jahr 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum in der Welt zu entwickeln). Neben der Bedeutung qualitativer „Standards“ im Rahmen der Strategiebildung im Bereich Bildung und Ausbildung für ein Leben und eine Arbeit in der Wissensgesellschaft und der Umsetzung der „Offenen Methode der Koordinierung (OMK)“ (Methode der Konsultation und der Vereinbarung gemeinsamer Ziele und Leitlinien der EU-Kommission in Politikbereichen, in denen die EU über keine Rechtskompetenz verfügt) werden auch quantifizierbare Ziele benötigt, um multilaterale Vergleiche sowohl auf nationaler als auch gesamteuropäischer Ebene zu ermöglichen. Neben der Berücksichtigung einer europäischen Jugendpolitik in der Lissabon- Strategie spielt die Bezugnahme auf die Ansätze und Strategien im Bereich des Lebenslangen Lernens eine zentrale Rolle. Es bestehen in dieser Strategie durchaus Bemühungen, den Sektor des informellen Lernens anzuerkennen und zu stärken. So hat der Europäische Rat für Bildung, Jugend und Kultur auf seiner Sitzung am 18./ 19. Mai 2006 beschlossen, Maßnahmen zur Anerkennung nicht-formalen und informellen Lernens einzuleiten. Insbesondere soll die Darstellung dessen, was junge Menschen innerhalb und außerhalb von Jugendorganisationen leisten, mehr gesellschaftliche (und politische) Anerkennung finden. Um dieses Ziel zu erreichen und sicherzustellen, dass der formale sowie der informelle Sektor gleichermaßen Anerkennung finden, ist eine zahlenmäßige Abbildung beider Sektoren auf einem gleichen Datenniveau nötig. Bislang ist allerdings der Bereich des formalen Lernens aufgrund seiner strukturellen Bedingungen besser aufgestellt. Durch diesen Unterschied verliert der Bereich der informellen Bildung eine wichtige Argumentationshilfe zur besseren Positionierung. Als dritter wichtiger Aspekt wird das Zusammenspiel von Jugendarbeit und Bürgerschaftlichem Engagement genannt. Im Zuge der Diskussionen um das europäische Sozialmodell und insbesondere um die soziale Teilhabe haben Fragen des Bürgerschaftlichen Engagements einen zunehmend größeren Stellenwert gefunden. Auch im Zuge dieser Entwicklungen werden Daten für den Bereich der Jugendarbeit benötigt. Die hier beschriebenen Notwendigkeiten sind nicht nur unter dem Aspekt der Berichtspflichten gegenüber europäischen Institutionen zu sehen, sondern geben ebenfalls wichtige Impulse für nationale Entwicklungsprozesse im Interesse der Jugendarbeit. uj 4 (2008) 173 jugendarbeit Insofern endet dieses Projekt mit folgenden zentralen Empfehlungen: • Es gilt, die Arbeit an der Definition und Systematisierung relevanter Begriffe zu intensivieren, eine Festlegung zentraler Indikatoren zu erwirken sowie zu klären, auf welcher Basis aus europäischer Perspektive eine Dokumentation von Jugendarbeit systematisiert werden sollte. An einer verstärkten Koordination in Bezug auf ein Informationsmanagement zwischen der lokalen, föderalen, nationalen sowie europäischen bzw. internationalen Ebene sollte gearbeitet werden. • Es gilt, durch einen verstärkten Austausch mit den zuständigen und z. T. neu entstandenen nationalen Ministerien Vorbereitungen für die Verankerung eines europäischen Berichtsystems zu Jugendarbeit zu treffen sowie hierbei Sorge zu tragen, dass die lokale Ebene eingebunden, ausreichend sichtbar und vertreten ist. • Es gilt, durch ein verstärktes sektorenübergreifendes Zusammenwirken der AkteurInnen insbesondere der staatlichen Ebene, der Jugendverbände sowie eventuell von professionellen Zusammenschlüssen zu einer gemeinsamen Dokumentation von Jugendarbeit beizutragen. Die Studie „Sozioökonomische Reichweite von Jugendarbeit in Europa“ ist unter http: / / www.youth-partnership.net/ youthpartnership/ research/ socioeconomicscope ofwork.html einsehbar. Literatur Council of Europe & European Commission Youth Research Partnership, 2004 (Hrsg.): Pathways towards validation and recognition of education, training & learning in the Youth Field. Straßburg/ Brüssel. www.eu-jugendpoli tik.de/ static/ common/ jp_download.php/ 99/ working_paper_en.pdf? WEBFORUM=h4viq b2vlheio929680c4upfg5 Council of Europe & European Commission Youth Research Partnership, 2004 (Hrsg.): The Youth Sector and Non-formal Education/ Learning: working to make lifelong learning a reality and contributing to the Third Sector. Straßburg/ Brüssel.www.youth-partnership. net/ export/ sites/ default/ youth-partnership/ documents/ Research/ 2004_non_formal_lear ning_report.pdf IARD, 2001 (Hrsg.): Studie zur Lage der Jugend und zur Jugendpolitik in Europa. Zusammenfassende Bemerkungen. Mailand Die Autorin Irina Bohn Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. Zeilweg 42 60439 Frankfurt a. M. Tel.: (0 69) 95 78 90 irina.bohn@iss-ffm.de
