eJournals unsere jugend 60/5

unsere jugend
4
0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
51
2008
605

Hilfe zur Erziehung in Bewegung?!

51
2008
Stephan Maykus
"So normal wie möglich...!" Dieser Ausruf lässt sich als Forderung lesen, mithin als eine Kritik an gegebenen Verhältnissen, an den Erscheinungsformen und Settings der Hilfen zur Erziehung. Deren Durchführung scheint oftmals eher abgeschottet und wenig integriert in den sozialen (Entstehungs-)Kontext. Es ist zu prüfen, inwiefern erzieherische Hilfen wie etwa Soziale Gruppenarbeit oder Erziehungsberatung stärker in Regeleinrichtungen wie Schule oder Kindergarten integriert werden könnten.
4_060_2008_005_0194
194 uj 5 (2008) Unsere Jugend, 60. Jg., S. 194 - 207 (2008) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel hilfen zur erziehung Hilfe zur Erziehung in Bewegung? ! Überlegungen zu Normalisierungstendenzen in den Hilfen zur Erziehung Stephan Maykus „So normal wie möglich …! “ 1 Dieser Ausruf lässt sich als Forderung lesen, mithin als eine Kritik an gegebenen Verhältnissen, an den Erscheinungsformen und Settings der Hilfen zur Erziehung. Deren Durchführung scheint oftmals eher abgeschottet und wenig integriert in den sozialen (Entstehungs-)Kontext. Es ist zu prüfen, inwiefern erzieherische Hilfen wie etwa Soziale Gruppenarbeit oder Erziehungsberatung stärker in Regeleinrichtungen wie Schule oder Kindergarten integriert werden könnten. Problemaufriss: Widersprüchliche Verhältnisse und innovative Impulse „Normalität“ von Hilfe zur Erziehung - das drückt ein schwieriges Ziel aus, denn angesprochen ist ein Handlungsfeld der Jugendhilfe, das nicht die Regel ist: die Hilfen zur Erziehung als Leistungsbereich der Jugendhilfe. Zu ihnen gehören die in den §§ 28 - 35 SGB VIII aufgelisteten Hilfen wie etwa Soziale Gruppenarbeit, Sozialpädagogische Familienhilfe oder Heimerziehung. Sie stellen eine sozialpädagogische Unterstützung von jungen Menschen und Familien dar, reagieren auf die Bedingungen des Aufwachsens und gestiegene Anforderungen der Lebensbewältigung. Hilfen zur Erziehung kennzeichnen grundsätzlich einen kompensatorischen Aspekt. Sie wollen junge Menschen fördern, die von defizitären sozialisatorischen Lebens- und Erziehungssituationen betroffen sind. Sie wollen die Familienerziehung (wieder) stärken, unterstützen und in ihrem Alltag beraten, Benachteiligung mindern und ihre Auswirkungen (z. B. auf Bildungsbiografien) eindämmen. Hilfen zur Erziehung werden in diesem Zusammenhang mit einer problembearbeitenden und Lebenslagen gestaltenden Zielsetzung gleichermaßen und im Rahmen eines definierten gesetzlichen Auftrages der Jugendhilfe (§ 27ff SGB VIII) begründet. Hilfe zur Erziehung lässt sich vor diesem Hintergrund mit einer geschlossenen Zielgruppenperspektive selektiver Exklusivität umschreiben: Sie richtet sich zwar potenziell an alle jungen Menschen und Familien, im Sinne des grundlegenden Rechtsanspruchs der Sorgeberechtigten, wird jedoch entsprechend der jugendhilferechtlichen Grundlagen nur bei bestimmten Voraussetzungen gewährt (wenn die Hilfe für den jungen Menschen notwendig und geeignet sowie eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung nicht gewährleis- 1 Titel einer Tagung des Fachverbandes Eckart im Diakonischen Werk Westfalen zum Thema Hilfe zur Erziehung in Regeleinrichtungen im November 2007 in Münster. uj 5 (2008) 195 hilfen zur erziehung tet ist). Hiermit ist ein Defizit der Erziehungssituation mit unterschiedlicher Ursache gemeint, das eine Gefährdung der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes bedeuten kann, wenn keine Hilfeleistung gewährt würde, bzw. das auch bereits zu einer „gestörten“ Persönlichkeitsentwicklung geführt haben kann. Hilfe zur Erziehung als sozialpädagogisches Handlungsfeld ist demnach in ihrem Adressatenbezug nicht durch eine Normalisierung, sondern durch eine „Exklusivität“ des Gewährungszusammenhangs und des Unterstützungsbedarfs zu kennzeichnen (vgl. Maykus 2004). Und trotzdem entsteht vermehrt eine Praxis der Integration erzieherischer Hilfe in unterschiedliche Regelangebote der Erziehung und Bildung, wie etwa in Schulen oder Familienzentren. Hier deutet sich an: Eine einseitige Sicht auf Exklusivität der Hilfen zur Erziehung wird weder diesem Leistungsbereich noch den aktuellen Unterstützungsbedarfen der AdressatInnen gerecht. Hilfe zur Erziehung scheint mehr zu werden als nur eine Praxis in den gängigen internen (und gesetzlich normierten) Settings dieses Feldes. Sie vollzieht sich zunehmend auch in Schnittstellen, in denen sie den Einzelfallbezug einschränkt und darüber hinaus strukturell verankerte und sozialräumliche Konzepte umsetzt. Dies zeigt sich zum Beispiel in Kooperationen der Hilfen zur Erziehung mit Familienzentren, mit Kindertagesstätten, mit Einrichtungen der Früherkennung, der frühen Förderung und Hilfen für Familien sowie mit ganztägig organisierten Schulen, die außerschulische Partner in ihre Angebotsstruktur integrieren. Über Kooperation hinaus entstehen dabei auch neue Organisationsformen erzieherischer Hilfe, die sich eine integrative Dimension erschließen und nicht eine Hilfeform, sondern das sozialpädagogische Ziel der „erzieherischen Förderung“ in den Mittelpunkt rücken. Was sind Gründe dafür? Warum nähert sich die Hilfe zur Erziehung den Regelangeboten partiell (mit vor allem den ambulanten Angeboten ihres Leistungsspektrums und auch darin nicht ausschließlich, sondern in Teilen) an? Vier Gründe seien genannt: 1. Fortschreitender Profilwandel: Fendrich/ Pothmann (2007, 133f) belegen anhand der Jugendhilfestatistik, dass nicht-stationäre, d. h. ambulante Hilfen ein wachsendes Arbeitsfeld der Hilfen zur Erziehung darstellen. Die bundesweit steigenden Fallzahlen resultieren aus einem Anstieg der familienunterstützenden und -ergänzenden Leistungen (vor allem bezüglich der Familienhilfe, Erziehungsbeistandschaften und Tagesgruppen): „Das Profil der Hilfen zur Erziehung verändert sich somit kontinuierlich hin zu einem niedrigschwelligen, die Familien vor allem unterstützenden Angebot der Kinder- und Jugendhilfe“ (ebd., 134). Kostendruck in den Kommunen und das fachliche Leitbild präventiver, die Familien stärkender Ansätze sind hier sicher gleichermaßen entscheidende Impulse. Der fortschreitende Profilwandel lässt durchaus eine grundsätzliche An- Dr. phil. Stephan Maykus Wissenschaftlicher Angestellter und Leiter des Arbeitsbereiches „Jugendhilfe und Schule“ im Institut für soziale Arbeit e.V. (ISA); Arbeitsschwerpunkte: Kooperation von Jugendhilfe und Schule, Kommunale Jugendhilfe- und Bildungsplanung, Hilfen zur Erziehung, Qualitätsmanagement 196 uj 5 (2008) hilfen zur erziehung schlussfähigkeit an Normalisierungstendenzen zu, bedeutet sie aber nicht automatisch. Denn hinzu kommt: 2. Institutionelle Umweltbedingungen verändern sich: Kindertagesstätten suchen bei wachsenden Aufgaben und schwierigen Herausforderungen für ihre Träger professionelle Unterstützung (vgl. Späth 2005). Sie verändern sich zu sozialräumlich verankerten Familienzentren. Netzwerke der frühen Hilfen für Familien entstehen, die soziale Dienste und Einrichtungen der Erziehungshilfe ausdrücklich einbeziehen. Und natürlich wirkt sich der Ausbau der Ganztagsangebote an Schulen auf die Kinder- und Jugendhilfe aus: Zwischen Konkurrenz, Kooperation und Komplementarität sind Entwicklungen in der Praxis denkbar und bereits zu erkennen (vgl. Maykus 2006). 3. Netzwerkorientierung schließt Hilfe zur Erziehung als Akteur ein: Netzwerke der Unterstützung, die multiprofessionell und interinstitutionell getragen werden, sollen den komplexer werdenden Problemlagen junger Menschen und Familien entsprechen. Dabei verliert die Hilfe zur Erziehung ihren Sonderort und wird zum Bestandteil einer solchen sozialen Infrastruktur. Hilfe zur Erziehung wird in dieser Hinsicht nicht mehr nur eine kompensatorische, sondern auch präventive (im Sinne von: zugespitzte Hilfekarrieren vermeidende) Funktion zugeschrieben. 4. Fachpolitische und konzeptionelle Umweltimpulse fordern Hilfe zur Erziehung heraus: Die Bildungsdebatte hat inzwischen auch die Hilfen zur Erziehung erreicht (vgl. Müller 2006), die ihre Konzepte prüfen und ihren Anteil an der Unterstützung von Bildungsbiografien zu bestimmen versuchen. Dabei ist die Hilfe zur Erziehung mit der entscheidenden Frage konfrontiert, ob sie sich als Bildungsleistung profilieren möchte oder aber (weiterhin) als Hilfeleistung sieht, die Voraussetzungen für Bildungsprozesse schafft (Integration, Teilhabe, Hilfe zur Lebensbewältigung, Förderung schulischen Lernens). Die Argumente für letztere Sichtweise dominieren durchaus überzeugend (vgl. grundlegend ebd.). Zusätzlich wird von Hinte/ Menninger/ Zinner (2007, 164) die mangelnde präventiv ausgerichtete Infrastruktur kommunaler Jugendhilfe kritisiert, die wesentlich durch die Anlage des Kinder- und Jugendhilfegesetzes verursacht sei und eine zeitgemäße Struktur der Jugendhilfe verhindere. Die zentrale Lösungsoption sehen die Autoren u. a. in der engeren Anbindung von Hilfen (zur Erziehung) an Regelkontexte, da „vielleicht sogar die Integration von Hilfeanbietern an Stadtteileinrichtungen, Schulen, Kitas oder Jugendzentren eine bessere Nutzung von Ressourcen ermöglichen und die Integrationsmöglichkeiten der Regelsysteme erweitern (würde)“ (ebd.). Diese strukturelle Perspektive hätte folgerichtig nachhaltige Konsequenzen für die Konzepte und die Organisation (wie auch Finanzierung) der Hilfen zur Erziehung. Man könnte vor diesem Hintergrund sagen, das Feld der Hilfen zur Erziehung kommt in Bewegung. Es wird in seinen konzeptionellen, institutionellen Grundlagen angeregt, es verändert die Intensitäten der Kooperation mit angrenzenden sozialpädagogischen Feldern und erfährt erweiterte Formen und Orte seiner Leistungserbringung (z. B. in Schulen, Tagesstätten oder Familienzentren). Diese Entwicklung lässt eine entscheidende strukturelle Balance des Feldes der Hilfen zur Erziehung erkennen, die Modell für die Beschaffenheit einer Kinder- und Jugendhilfe der Zukunft sein könnte: Hilfen zur Erziehung zeigen eine Balance uj 5 (2008) 197 hilfen zur erziehung • zwischen der problem- und adressatenbezogen ausgedrückten Exklusivität (d. h. der institutionellen und konzeptionellpädagogischen Abschottung mit einer lediglich einzelfallbezogenen Öffnung von Handlungsstrategien) und einer • tendenziellen Normalisierung ihrer sozialpädagogischen Dimension der „besonderen erzieherischen Förderung“, die einen veränderten institutionellen Rahmen erhält (Öffnung konzeptionellpädagogischer Merkmale von Hilfe zur Erziehung bei gleichzeitiger Integration der Handlungsstrategien in fremde institutionelle Kontexte). Vier Formen dieser Entwicklungsbalance sind denkbar und werden gegebenenfalls je für sich legitime Modelle von Hilfe zur Erziehung der Zukunft sein: 1. Institutionelles Distanzmodell: Hier gibt es weiterhin exklusive Settings und Orte sowie sozialpädagogische Interventionen (wie z. B. Tagesgruppen) durch eine Betonung des Einzelfallbezuges einer definierten Zielgruppe, des hilfeintern definierten Leistungszieles und der selektiven Kooperation in räumlicher Distanz zu AkteurInnen und Institutionen im Umfeld. 2. Institutionelles Kooperationsmodell: Gemeint sind exklusive, zielgruppenbezogene sozialpädagogische Interventionen in Kontexten der Regelförderung (wie z. B. soziale Gruppenarbeit für eine geschlossene Gruppe von Kindern in der Schule). Diese nehmen jedoch eine Betonung des Kontextbezuges pädagogischer Förderung im Einzelfall vor und gehen eine räumlich angenäherte, jedoch selektive Kooperation ein. 3. Institutionelles Integrationsmodell: Im Mittelpunkt steht eine integrierte sozialpädagogische Intervention in Kontexten der Regelförderung auf der Basis konzeptioneller und zielgruppenbezogener Öffnung. Betont werden frühe, multiprofessionelle und niedrigschwellige, mithin normalisierte Zugänge (z. B. Familienzentren oder Ganztagsschulen). 4. Sozialräumliches Integrationsmodell: Meint die Schaffung einer sozialen Infrastruktur der Hilfe und Unterstützung ohne ausgesprochenen Zielgruppenbezug. Diese Infrastruktur hat die sozialräumlich ausgerichtete Organisationsform eines Netzwerkes flexibler, institutionell unspezifischer Hilfen unterschiedlicher AkteurInnen des Bildungs-, Sozial- und Erziehungswesens. Die beiden letzten Varianten würden nicht mehr ausschließlich „Hilfe zur Erziehung“ meinen, sondern erzieherische Förderung als besondere sozialpädagogische Unterstützung ohne institutionelle Spezifika, die diese dann nicht zu einer „Hilfeform“ werden lassen. Die Potenziale dieser Varianten liegen auf der Hand: Es entsteht ein Kompetenzzuwachs für alle beteiligten AkteurInnen. Ein umfassenderer Blick auf die Unterstützungs- und Hilfebedarfe der AdressatInnen wird möglich, eine ganzheitlichere Hilfe durch Ressourcenverzahnung, eine multiprofessionell angeregte Weiterqualifizierung der AkteurInnen und eine Optimierung des eigenen pädagogischen Handelns. Diese Potenziale würden gerade in den aktuell diskutierten Schnittstellen zu Schulen zum Tragen kommen, die im Folgenden exemplarisch betrachtet werden sollen. Intensitäten der Normalisierung und Integration von Hilfe zur Erziehung: Praxisbeispiele und -modelle im Kontext von (Ganztags-)Schule und Sozialraum Die Kooperation von Schule und Hilfe zur Erziehung ist schon seit Langem ein Symbol für die Notwendigkeit von konzeptionellen Schnittstellen zwischen Schule und Kinder- und Jugendhilfe im Allgemeinen. Bislang tauchen diese Schnittstellen überwiegend einzelfall- und problembezogen 198 uj 5 (2008) hilfen zur erziehung auf (häufig auch verstanden mit Blick auf die Kooperation von Allgemeinem Sozialen Dienst bzw. Jugendamt und Schule), weniger übergreifend und in sozialräumlich organisierter Form. Dass dies jedoch zunehmend relevant wird und gleichermaßen auf der Hand liegt, zeigen die folgenden fünf Aspekte, die nicht nur für Kooperation, sondern auch für die weiterreichende partielle Normalisierungstendenz sprechen: 1. Fallbezogene Unterstützungsbedarfe und Hilfeplanung: Vielfältige Problemkreise individueller und sozialer Lebensbewältigung, die im Kontext veränderter Sozialisations- und Erziehungsbedingungen durch Modernisierungsschübe gesehen werden, sind gleichermaßen Gegenstand von Schule und Hilfen zur Erziehung. Dazu gehören etwa Sozialisationsdefizite der Familie, erhöhte Leistungsanforderungen der Schule/ an die Schule, Wettbewerbsdruck zwischen SchülerInnen, Probleme beim Übergang Schule - Beruf oder Schulverweigerung. Sowohl die Entstehung der möglichen Probleme als auch ihre komplexen Äußerungsformen verlangen daher nach ihrer Verzahnung, die obendrein bereits vorhanden ist (vgl. Stickelmann/ Will 2004): Anlässe für Hilfen zur Erziehung sind zu einem bedeutenden Teil schulische Probleme; laut Jugendhilfestatistik sind die häufigsten Problemkonstellationen Entwicklungsauffälligkeiten, Beziehungsprobleme und Schul- und Ausbildungsprobleme (siehe Blandow 2001, 111). Auch das Altersspektrum der Hilfen zur Erziehung verweist auf die Schule, denn 56 % aller Kinder in Tagesgruppen sind zwischen 6 und 12 Jahren, 80 % aller TeilnehmerInnen an sozialer Gruppenarbeit zwischen 12 und 18 Jahren, und 60 % der Hilfen nach § 30 (Erziehungsbeistandschaft) beziehen sich auf die gleiche Altersgruppe (vgl. ebd.). Das Thema schulische Förderung wird damit zu einem zentralen Zielfokus bei der Durchführung erzieherischer Hilfe sowie bei der ihr zugrunde liegenden Hilfeplanung. 2. Rechtliche Codifizierungen und funktionsbezogene Vorgaben: Bei der Gestaltung von Ganztagsschulen bzw. Ganztagsbetreuungen wird vor allem auf Elemente der Jugendarbeit, auf Mittagstische und Hausaufgabenbetreuung abgehoben; des Weiteren auch auf in Jugendhäusern oder in Ganztagsschulkonzepte integrierte Jugendhilfeangebote sowie auf eine Sozialraumorientierung und Öffnung der Schule mittels sozialpädagogischer Akzentuierungen. Die Hilfen zur Erziehung hingegen sind in ihren Schnittstellen zur Schule vor allem als „Kooperation in besonderen Fällen“ einzuordnen. Darüber hinaus ergeben sich aus jugendhilferechtlicher Sicht Schnittstellen im Rahmen der einzelfallbezogenen Hilfeplanung (§ 36 SGB VIII), der Jugendhilfeplanung (§ 80 SGB VIII), des Zusammenarbeitsgebotes (§ 81 SGB VIII) sowie des Zusammenwirkens in Arbeitsgemeinschaften (§ 78 SGB VIII). Zum Teil finden sich kooperationsorientierte Verankerungen auf der strukturellen Ebene auch in Landesausführungs- und Schulgesetzen (vgl. z. B. Kinder- und Jugendfördergesetz des Landes NRW und Schulgesetz NRW). 3. Institutionelle Schnittstellen: Ebenso existieren Parallelstrukturen zwischen Erziehungshilfe und Schule. Der Blick richtet sich dabei auf den Schulpsychologischen Dienst und die Erziehungsberatung, Horte an der Schule und Tagesgruppen, Soziale Gruppenarbeit und außerunterrichtliche Gruppenangebote, Mediation und schulische Gewaltprävention (vgl. Stickelmann/ Will 2004). Diese sind im Rahmen der vermehrten Ganztagsschulentwicklung auf angebotsstrukturelle Verweisungszusammenhänge (s. Punkt 4) bezüglich der Hilfen zur Erziehung zu prüfen. uj 5 (2008) 199 hilfen zur erziehung 4. Angebotsstrukturelle Verweisungszusammenhänge und gegenseitige Effekte: Es sind einerseits die Flexibilisierungen der Angebote als Kombination unterschiedlicher Hilfen denkbar, wie auch die Integration anderer Angebotsformen (etwa der Jugendarbeit und der Jugendsozialarbeit); andererseits ist auch ein Verschwimmen der Grenzen von Hilfen zur Erziehung und Ganztagsbetreuung als Entwicklungsmöglichkeit zu diskutieren und zu problematisieren. Denn da Wirkungen und Auswirkungen dieser möglichen (vor allem letzteren) strukturellen Neujustierungen nicht vollends vorauszusehen sind, mithin die Qualität sozialpädagogischer Unterstützung in besonderen Lebenslagen und Problemkonstellationen nicht (mehr) erreicht werden könnte, ist hier eine besondere Aufmerksamkeit vonnöten. Das Verhältnis von Ganztagsschule zu den Hilfen zur Erziehung wird sich auf jeden Fall in den Koordinaten Ergänzung, Ersatz und Unterstützung bewegen. 5. Konzeptionelle Schnittstellen: Diese sind gegenwärtig am stärksten diskutiert. Sie betreffen einerseits die stärkere Akzentuierung von Konzepten, Angebotsorganisation und -durchführung der Hilfen zur Erziehung durch das Thema schulische Förderung als Erziehungsziel. Sie betreffen auch den Entwurf von Erziehungshilfen als Bildungsleistung. Andererseits strebt Ganztagsschule eine Verbindung von Erziehung, Bildung und Betreuung, eine sozialpädagogisch orientierte Schullebengestaltung, Schulöffnung und damit gleichermaßen Begabten- und Benachteiligtenförderung durch individuelle Lernunterstützung an (vgl. Holtappels 2006). Beide Seiten eint die konzeptionelle Klammer der Gestaltung von Bildungsbiografien. Dabei werden sich des Weiteren die Ziele der Flexibilisierung erzieherischer Hilfe, Ressourcenbündelung und -orientierung sowie Sozialraumorientierung auf das Kooperationsgefüge und -verständnis auch zur Schule hin auswirken. Der Punkt 1 beschreibt einen gemeinsamen Handlungsdruck und das Ziel der Problembearbeitung (Was ist das Problem? Was wäre eine nötige Hilfe? ). Der Punkt 2 betrifft administrative und rechtliche Grundlagen sowie Spielräume der Zusammenarbeit (Wie ist die gemeinsame Hilfe strukturell gerahmt und begründet? ). Die Punkte 3 bis 5 beschreiben übergreifende fachliche Entwicklungsziele (Wie sollte die Hilfe beschaffen sein? Welche Ressourcen und Abstimmungen sind hierfür nötig? ). Vor diesem Hintergrund kann man die These wagen, dass das Verhältnis der Parallelität von (Ganztags-)Schule und Hilfen zur Erziehung vor allem deshalb besteht, weil die Fragen nach der fallbezogenen Problembearbeitung, nach rechtlich-administrativen Grundlagen und nach übergreifenden fachlichen Entwicklungsmotiven bzw. -perspektiven kaum systematisch miteinander in Verbindung gebracht werden. Es wird eher der eine oder andere Aspekt (einseitig) betont, ohne dabei gleichermaßen Stützpfeiler von Praxisentwicklung zu werden. Die Verschränkung dieser Aspekte würde jedoch gleichsam eine Schnittstellenentwicklung darstellen und wäre Ausgangspunkt der Etablierung einer (sozial-)pädagogischen Zielkongruenz im (gemeinsamen) Wirken sowie einer organisatorischen Verankerung von Kooperation. Besondere erzieherische Förderung bedeutet in diesem Möglichkeitsrahmen von ganztägig organisierten Schulen ein Zusammenspiel dreier Aspekte - der Regelförderung in der Schule, der Integration von Jugendhilfeleistungen sowie einer sozialräumlichen Vernetzung (siehe Abbildung 1). 200 uj 5 (2008) hilfen zur erziehung Für eine solche Entwicklungsperspektive sind nunmehr verbesserte Grundlagen geschaffen und Anknüpfungspunkte für eine Zusammenarbeit offenkundiger als bisher: Ganztagsschule will sich als Lern- und Lebensraum organisieren. Sie will Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen durch individuelle und soziale Lernarrangements fördern, sozial- und schulpädagogische Elemente verknüpfen, sich außerschulischen Kooperationspartnern öffnen und mit ihnen dieses Ziel verfolgen. Die Hilfen zur Erziehung verorten sich ebenso gegenwärtig in bildungsbezogenen Konzepten der Jugendhilfe, prüfen Öffnungs- und Kooperationsmöglichkeiten ihrer Angebote hin zum Thema und der Institution Schule. Das Parallelverhältnis von Abschottung und Überschneidung könnte daher zukünftig einem Ergänzungsverhältnis weichen. Dies ist jedoch auf eine beiderseitige Kooperationsentwicklung angewiesen, die Fragen der Kooperationsstruktur, -kultur, -konzepte sowie -ziele klärt. Auf dieser Grundlage kann erzieherische Förderung im schulischen Kontext die kooperative Einleitung und Begleitung von Hilfen bedeuten. Dazu gehören die Verzahnung von Diagnose- und Förderinstrumenten der Schul- und Sozialpädagogik, multiprofessionelle Synergien durch gegenseitige Beratung und Weiterqualifizierung sowie eine stärkere Familienorientierung und sozialräumliche Verankerung. W elche Aspekte lassen sich verallgemeinern, was sind exemplarische Merkmale gegenwärtiger Normalisierungstendenzen der Hilfen zur Erziehung (siehe dazu Abbildung 2 und Praxisbeispiele in ISA 2005; Themenheft 2 Forum Erziehungshilfen 2007)? Zunächst dominieren die Orientierung am Sozialraum und eine Netzwerksicht, die zum zentralen Leitbild werden und die Verbindung mit Einzelfallhilfen begründen. Im Zuge dessen wird ausdrücklich die Stützung der familiären Lebensbedingungen und Erziehungskompetenzen betont. Eltern- und Familienbezüge tauchen in allen Modellen auf (s. Abb. 2: generalisierte Referenzerweiterung der Hilfen). Im Mittelpunkt stehen die soziale Gruppenarbeit und Elternberatung, die mit ihrem Leistungsprofil scheinbar eine gute Anschlussfähigkeit an den Abb. 1: Varianten erzieherischer Förderung in Ganztagsschulen uj 5 (2008) 201 hilfen zur erziehung Unterstützungsbedarf an Schulen bieten und gleichzeitig unspezifische Unterstützungsmöglichkeiten verkörpern (s. Abb. 2: „soziales Lernen“ und Elternberatung als Profilierungsmerkmal), die in Regelkonzepte aufgenommen werden können. Die Hervorhebung der Flexibilität dieser Hilfen ist zum Teil auch Ergebnis eines Umstrukturierungsprozesses von anderen Leistungsbereichen, gerade der Tagesgruppen. Die Förderung von Bildungsprozessen junger Menschen und die Eindämmung von Bildungsbenachteiligung stehen längst an der Seite der tradierten Ziele sozialpädagogischen Handelns: Sozialintegration und Hilfe zur Lebensbewältigung (s. Abb. 2: erweitertes Verständnis von Bildung als handlungsleitende Maxime). Alle Beispiele zeigen eine konzeptionelle Öffnung der Hilfe zur Erziehung zwischen unspezifischer Hilfe und definiertem Fall. Dabei herrscht die Orientierung am institutionellen Rahmen Schule weiter vor. Eine neue Organisationsform (ein gemeinsam gestalteter, dritter institutioneller Rahmen) ist selten. Gegenwärtig ist vielleicht eine erste Stufe der Normalisierungstendenz von Hilfe zur Erziehung erreicht: ihre partielle Einschränkung von Exklusivität und partielle Betonung der sozialpädagogischen Dimension „erzieherische Förderung“ statt einer rein institutionellen und fallbezogenen Konstituierung von Hilfe. Können weitere Stufen überhaupt beschritten werden, ohne das Leistungssystem der Hilfen zur Erziehung grundlegend zu verändern? Ist dies überhaupt sinnvoll? Muss es nicht vielmehr ein Zusammenspiel unterschiedlicher Qualitäten erzieherischer Förderung geben (siehe Abb. 1), die je für sich unterschiedliche Normalisierungsniveaus und -grenzen ausdrücken? Man kann diese Fragen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beantworten, die unterschiedlichen praktischen Erfahrungen werden hierzu Anhaltspunkte liefern. Es zeigt sich jedoch schon jetzt: Diese Praxismodelle wären ohne einen strukturierten Entwicklungsprozess nicht denkbar. Dieser Entwicklungsprozess stellt einen Zieldiskurs zwischen allen beteiligten AkteurInnen an den Anfang, sieht die Abb. 2: Koordinaten der Integrations- und Normalisierungstendenz erzieherischer Hilfe 202 uj 5 (2008) hilfen zur erziehung Gründung einer Steuerungsgruppe als begleitendes Gremium vor, löst eine Prüfung und Neujustierung der vorhandenen Konzepte aus, räumt Zeit und Raum für die Kooperations- und Netzwerkentwicklung ein. Er sichert darin Kommunikation und einen transparenten Informationsfluss ab und mündet in verbindliche und kontraktartige Kooperationsvereinbarungen. Schlüsselmomente sind dabei: der „Abgleich in den Köpfen“ sowie die gegenseitige Anregung und Unterstützung in den alltäglichen pädagogischen Prozessen bis hin zur Aushandlung gemeinsamer Arbeitsgrundlagen und -ziele. Strukturen der Kooperation würden dann durch eine Kultur der Multiprofessionalität und Offenheit hierfür getragen. Die Hilfen zur Erziehung als Leistungsfeld der Kinder- und Jugendhilfe befinden sich in diesem Zusammenhang in einer Phase der Selbstvergewisserung, die einerseits durch die verstärkte bildungsbezogene Profilierung (bzw. konzeptionelle Versuche dahingehend), andererseits durch den Ausbau von Ganztagsangeboten an Schulen ausgelöst wurde. Hinzu kommen die oben genannten Umfeldfaktoren, die vor allem eine Kooperation mit den Kindertagesstätten, Netzwerken früher Hilfen und Familienzentren befördern. Der eher reaktive Umgang mit diesen Anforderungen lässt noch keine verallgemeinerbaren Veränderungen und Entwicklungen erkennen, löst jedoch eine Reihe von Fragen aus, mit denen sich das Feld der Hilfen zur Erziehung konfrontiert sieht. Diese Fragen sollen im Folgenden impulsartig aufgerissen werden, ohne dabei auf die einzelnen Hilfeformen und Settings einzugehen, die mit diesen Fragen in spezieller Weise umgehen werden. Es sind (mindestens) sechs Fragen, die in der Fachdebatte verhandelt werden bzw. in der Praxis der Erziehungshilfe nach Antworten verlangen (vgl. Maykus 2008). Hilfe zur Erziehung im Prozess der Selbstvergewisserung: Fragen 1. Die Frage nach der Profilierung des Bestehenden und dem Maß seiner Bedrohtheit (Konkurrenzsituationen): Eine konzeptionelle Neuausrichtung der Jugendhilfe im Sinne schulischer Konzeptionsfelder wird als unerlässlich angesehen (vgl. Merchel 2005; Maykus 2006). Die daraus resultierenden Konsequenzen für die bestehende und zukünftige Praxis sind auf der Grundlage eines fachlichen Profils zu reflektieren, in ihren Potenzialen und Grenzen bzw. unmittelbaren Veränderungen im Leistungsspektrum der Jugendhilfe. Das Beispiel Hilfen zur Erziehung: Wird die Erziehung in einer Tagesgruppe (§ 32 SGB VIII) zunehmend zu einer „Resthilfe“ für diejenigen Kinder, die in Ganztagsbetreuungen nicht adäquat versorgt werden können? Wird ihr sozialpädagogisches Leistungsprofil zunehmend an den Ort Schule verlagert? Wie wirkt sich die Ganztagsbetreuung auf die soziale Gruppenarbeit (§ 29 SGB VIII) aus, vor allem als zeitliche Kollision oder als Optimierung ihrer Arbeit durch einen stärkeren Kontakt zur Schule? Die aus diesen Fragen resultierenden konzeptionellen und organisatorischen neuen Wege der Erziehungshilfe sind als Linie einer partiell neu ausgerichteten Jugendhilfestrategie zu verantworten und zu qualifizieren. Die häufig wahrgenommene Konkurrenzsituation im Zuge des Ausbaus von Ganztagsangeboten sollte nicht an die Stelle der notwendigen Kooperationsentwicklung treten. Eine Kooperationsentwicklung, die schrittweise, sensibel und zielorientiert durchgeführt wird, kann die Befürchtung von Konkurrenz mindern, da Leistungsmöglichkeiten uj 5 (2008) 203 hilfen zur erziehung und Qualitäten der Kooperationsinstitutionen analysiert werden. Dabei wird deutlich, dass diese (fachlich argumentiert) kaum gegenseitig ersetzt werden, sondern nur in ein anderes Verhältnis zueinander rücken. 2. Die Frage nach der fachlichen und sozialpädagogischen Identität (Erziehungshilfen als Bildungsleistungen): Bildung ist auch ein Thema für die Erziehungshilfen, so Müller (2006), die Kristallisationspunkt von sozialer Benachteiligung und Bildungsbenachteiligung seien. Die sozialpädagogische Identität - Hilfe zur Lebensbewältigung zu leisten und Sozialintegration zu fördern - ist anschlussfähig an Bildungsfragen junger Menschen, an deren Alltagswelten, Erfahrungen und Ursachen, die zu Hilfebedarf und sozialer Ausgrenzung führen. In einem derart erweiterten sozialpädagogischen Verständ-nis von Hilfe zur Erziehung ist diese auch in ihren Bildungsleistungen bestimmbar. Nach Müller (2006, 25ff) sind dies • die Sicherung elementarer Grundbedürfnisse als Voraussetzung subjektiver Bildungsprozesse, • die Unterstützung von Alltagskompetenzen als Lebensbildung, • die Vernetzung unterschiedlicher Lebens- und Bildungsorte sowie • die Unterstützung schulischen Lernens. Diese Eckpfeiler gilt es in praktische Konzepte der unterschiedlichen Settings von Hilfe zur Erziehung zu übersetzen, zu operationalisieren und wirksam werden zu lassen. Hier steht die Entwicklungsarbeit noch am Anfang und muss sich auch der Grenzen dieses Anspruches in der Praxis sicher noch vergewissern. 3. Die Frage nach fiskalischen Zwängen mit fachlich fragwürdigen Wirkungen (Einsparungen ohne Sicherung bedarfsgerechter Leistungen): Lassen sich fachlich und auch infolge fortschreitender Erfahrungen in der Praxis (vgl. Thimm 2006, 119ff; ISA 2005) eine Reihe von guten Gründen der stärkeren Verzahnung von Schule und Erziehungshilfe benennen, so droht gerade im Zuge des Ausbaus von Ganztagsangeboten vielerorts ein wenig produktiver Weg (die Aspekte im Punkt 1 konterkarierend): Mit der Ganztagsbetreuung wird nicht selten die Hoffnung verbunden, ambulante Hilfen reduzieren, letztlich Einsparungen vornehmen zu können. Werden Leistungsbereiche der Erziehungshilfe nicht mehr im bewährten Umfang finanziert, ohne eine gleichwertige sozialpädagogische Unterstützung ggf. am anderen Ort (hier z. B. der Schule) anzubieten, wird dies nicht zu einer Entlastung, sondern mittelfristig zu zugespitzten Unterstützungsbedarfen führen. Hier sind konkurrierende Zuständigkeitsfragen von Schul- und Jugendhilfeverwaltung, Haushaltsdenken und Abgrenzung zugunsten einer gemeinsamen kommunalen Verantwortung beider Seiten einzudämmen. Auch dies ist eine vordringliche Aufgabe der Zukunft, für die gegenwärtig noch kein eindeutiges Praxiskonzept entworfen werden kann (erste Beispiele siehe in LWL/ ISA 2007). 4. Die Frage nach der Sozialraumorientierung als Brücke zwischen Schule und Erziehungshilfe (Orte und Dimensionen der Vernetzung): Die sozialräumliche Orientierung in der Kooperation von Jugendhilfe und Schule kann eine wichtige Brücke für die fallübergreifende Zusammenarbeit von Schulen 204 uj 5 (2008) hilfen zur erziehung und Erziehungshilfe sein. Stadtteilschulen und lebensweltorientierte Schulentwicklung sind, so Hinte/ Treeß (2006, 167ff), noch kaum realisiert und Vision, sodass bislang eher schulergänzende Unterstützungsangebote oder Kooperationspartner im Sozialraum als Anbieter von Ganztagsangeboten das Bild bestimmen. Weniger vertreten ist eine abgestimmte Zusammenarbeit, die sowohl die Gestaltung des Schultages als auch die des Schulumfeldes und deren Wechselwirkung betrifft. Die Lebensweltorientierung der (auch modernisierten) Schule hat Grenzen, da sie weiterhin vor allem die Funktion der Qualifikation und Selektion hat. Im Gegenzug müssen auch die Hilfen zur Erziehung die fallübergreifende Arbeit weiter ausbauen, sich an den Ressourcen der AdressatInnen und des Sozialraums orientieren, Interessen einbeziehen, zielgruppenübergreifend arbeiten und Eigeninitiative fördern (vgl. z. B. die stärkere Verzahnung mit der offenen Kinder- und Jugendarbeit als präventives Vorfeld der Hilfen zur Erziehung, skizziert von Deinet 2006). In der Praxis der Kooperation zwischen Schule und Erziehungshilfe muss sich herausstellen, inwiefern beide diese Prinzipien der Sozialraumorientierung einlösen und zur gemeinsamen Leitlinie machen können. 5. Die Frage nach der Fallzentrierung und Möglichkeiten ihrer Flexibilisierung (Exklusivität der Hilfen): Hilfe zur Erziehung wird überwiegend und entsprechend der rechtlichen Regelung einzelfallbezogen gewährt. Die damit verbundene Exklusivität der Hilfen zur Erziehung für eine definierte Zielgruppe hat zu einem deutlichen Schwerpunkt der Kooperation im Rahmen von Einzelfällen geführt. Die entsprechende Zusammenarbeit von Sozialem Dienst des Jugendamtes und Schule ist auch weiterhin unerlässlich und weiter zu optimieren, sie sollte jedoch nicht darauf beschränkt bleiben. Denn in (zumeist zugespitzten) Einzelfällen mit in der Schule wahrnehmbaren Problembelastungen wird eher ein Kooperationsverständnis geprägt, das delegativ, formell und nur situativ auf Zusammenarbeit setzt, sie letztlich im engeren Sinne aber nicht bedeutet. Hier stellt sich zukünftig die Frage, wie sozialräumliche Ansätze der Sozialen Dienste intensiviert und Angebote der Erziehungshilfe über den Einzelfall hinaus auch mit Schulen und weiteren Partnern im Schulumfeld zusammenarbeiten können, um eine Ressourcenbalance und fachliche Synergieeffekte (schnelleres, weniger intervenierendes, gemeinsam vereinbartes und regelmäßiges Handeln in Kooperation) zu fördern. Letztlich würde die Kooperation von Erziehungshilfe und Schule dann in ihren Bereichen konzentrischen Kreisen gleich organisiert sein und wirken können: im Kern die Zusammenarbeit im Einzelfall und Unterstützung für einen erfolgreichen Schulbesuch ihrer AdressatInnen, darauf aufbauend die Zusammenarbeit zwischen den Institutionen (Schule und Jugendamt, sozialer Dienst, Träger des Angebotes) sowie folgend (und sicher langfristige Zukunftsaufgabe) die Gestaltung gemeinsamer Erziehungs- und Bildungsangebote im Sozialraum, mit einem integrierten und flexiblen, weniger exklusiven Charakter (vgl. zur konzeptionellen Begründung dieses Entwicklungszieles Maykus 2004). 6. Die Frage nach der Integration in ganztägig organisierte Schulen (Erziehungshilfe als schulischer Angebotsbestandteil): Die im fünften Punkt benannte Frage und Entwicklungsperspektive kann im Rahmen ganztägig organisierter Schulen zugespitzt gedacht werden, da diese mehr Zeit und uj 5 (2008) 205 hilfen zur erziehung Raum für Kooperation unter einem Dach bieten (siehe Kapitel 1 dieses Beitrages). Hier könnten Leistungsbereiche der Erziehungshilfe (nicht generell, sondern partiell, für einen Teil der AdressatInnen, der Ganztagsschulen besucht) auch schulnäher oder in der Schule angeboten werden. Erste Erfahrungen im Rahmen der offenen Ganztagsschule in Nordrhein-Westfalen zeigen: Ambulante Hilfe zur Erziehung (vgl. das Beispiel Soziale Gruppenarbeit sowie Erziehungsberatung in ISA 2005) als Bestandteil des Ganztagsangebotes - für eine Gruppe von Kindern, die über Hilfeplanung diese Hilfe erhalten, die gleichzeitig jedoch teiloffen ist und Brücken zum weiteren Ganztagsangebot bildet - kann durchaus erfolgreich und effektiver arbeiten als außerhalb der Schule. Sie kann weniger stigmatisierend wirken, intensiviert die Kommunikation mit Lehrkräften und weiteren PartnerInnen in der Schule und erhöht die Chance für die SozialpädagogInnen, Teil des Ganztagsteams zu werden und in umfassende Kooperationsprozesse eingebunden zu sein (vgl. ebd.). Dies sind noch Einzelbeispiele, die jedoch eine denkbare und diskutable Entwicklungsperspektive im Zuge schul- und bildungspolitischer Veränderungen aufzeigen. Diese müssen in jedem Fall von der Erziehungshilfe organisatorisch und konzeptionell beantwortet werden und verlangen eine Verknüpfung mit jugendhilfepolitischen Positionen: Was ist die Funktion und das sozialpädagogische Profil der Hilfe zur Erziehung in Ganztagsschulen? Chancen und Risiken der Integration von Hilfe zur Erziehung in Regeleinrichtungen Statt eines Fazits sollen abschließend Chancen und Risiken der Integration von Hilfe zur Erziehung in Regeleinrichtungen, wiederum vom Kontext Schule losgelöst, abgewogen werden, die gleichzeitig die wesentlichen Argumentationslinien des Beitrages und die im letzten Abschnitt benannten reflexiven Impulse bündeln: Die Chancen einer Normalisierungstendenz zeigen sich in adressatenbezogener und organisationsbezogener Sicht. Mit Blick auf die AdressatInnen und ihren Unterstützungsbedarf kann eine effektivere, multiprofessionelle und ganzheitliche Bearbeitung von Problemen erfolgen. Es können Zugänge zu Hilfeangeboten erleichtert, deren Akzeptanz kann erhöht und eine Segmentierung einzelner Angebote vermieden werden. Zudem erhält die Orientierung an den familiären Lebenslagen eine erhöhte und generalisierte Bedeutung, indem Elternarbeit, Elternberatung und Familienbildung intensiviert werden. Eine solche Verzahnung unterschiedlicher Bildungs- und Unterstützungsqualitäten kann die Eröffnung von Teilhabemöglichkeiten wesentlich fördern. Bezogen auf die organisatorische oder strukturelle Sicht der Hilfeerbringung ist eine stärkere Abstimmung zwischen allen Beteiligten in Hilfeverläufen erwartbar, eine Innovationskultur durch anregende Kooperationen, Entwicklungsimpulse für die Organisationen und Einrichtungen sowie eine Ressourcenverzahnung mit Synergieeffekten in operativer und strategisch-organisatorischer Sicht. Risiken, oder eher Vorbehalte, ergeben sich vor allem bezüglich der folgenden Frage: Wie kann ein dem Grunde nach institutionell kaum veränderter Leistungsbereich der Hilfe zur Erziehung durch partielle Angebotsveränderungen und neue kontextuelle Einbindungen einen nachhaltigen Normalisierungsschub auslösen? Sind nicht Grenzen dieses Prozesses bereits strukturell vorgegeben? Des Weiteren besteht die Gefahr, dass ein solcher Entwicklungsprozess den MitarbeiterInnen und Organisationen zu wenig Raum und Zeit 206 uj 5 (2008) hilfen zur erziehung für Lernprozesse einräumt, dass Unsicherheiten, Überlastungen und fehlende Vorbereitungen auf veränderte, komplexer werdende und kooperative Aufgabenbereiche zu kurz kommen (Qualifizierung und kollegiale Beratung). Damit man sich in Netzwerken nicht verliert, müssen kooperationsorientierte Kompetenzen etabliert werden. Ferner darf eine Normalisierung und Integration der Angebote in Regelkontexte nicht in eine Funktionalisierung, nicht in eine Entfremdung und in einen Verlust des sozialpädagogischen Profils münden. Eine Normalisierung muss vielmehr konzeptionelle Klärungen auslösen zwischen Autonomie und Adaption - vor allem bezüglich der Fragen: (Inwiefern) kann Bildung die handlungsleitende Maxime des Erziehungshilfesektors sein? Könnte die Gefahr bestehen, dass das Bildungsprimat zu einer neuen Oberflächlichkeit des fachlichen Blicks führt (weg von Fragen der Sozialintegration und Hilfe zur Lebensbewältigung, von der Bearbeitung individueller und sozialer Benachteiligungskonstellationen hin zur Generalformel „Bildung“)? Hilfe zur Erziehung ist in Bewegung - die Richtungen sind jedoch noch unklar und vor allem von ihr selbst zu klären, damit eine aktive Profilentwicklung erzieherischer Förderung als Teil lebensweltorientierter Kinder- und Jugendhilfe möglich wird. Literatur Blandow, J., 2001: Zielgruppen und Zugangswege für Hilfen zur Erziehung. In: Birtsch, V./ Trede, W./ Münstermann, K. (Hrsg.): Handbuch Erziehungshilfen. Münster, S. 103 - 127 Deinet, U., 2006: Sozialräumliche Kooperation zwischen Offener Kinder- und Jugendarbeit und den Hilfen zur Erziehung. In: deutsche jugend, 54. Jg., H. 12, S. 519 - 527 Fendrich, S./ Pothmann, J., 2007: Profilwandel der Hilfen zur Erziehung setzt sich weiter fort. In: Jugendhilfe, 40. Jg., H. 3, S. 132 - 138 Hinte, W./ Treeß, H., 2006: Sozialraumorientierung in der Jugendhilfe. Theoretische Grundlagen, Handlungsprinzipien und Praxisbeispiele einer kooperativ-integrativen Pädagogik. Weinheim/ München Hinte, W./ Menninger, O./ Zinner, G., 2007: Für eine Aufwertung der kommunalen Jugendhilfe. In: Blätter der Wohlfahrtspflege, 154. Jg., H. 5, S. 163 - 166 Institut für soziale Arbeit e.V. (Hrsg.), 2005: Besonderer erzieherischer Förderbedarf und Offene Ganztagsschule. Positionsbestimmungen und Beispiel guter Praxis (Band 3 der Reihe „Die Offene Ganztagsschule in NRW - Beiträge zur Qualitätsentwicklung“). Münster LWL (Landschaftsverband Westfalen-Lippe)/ Institut für soziale Arbeit e.V. (Hrsg.), 2007: Den Wandel gestalten. Gemeinsame Wege zur integrierten Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung. Münster Maykus, S., 2004: Ganztagsschule und Hilfen zur Erziehung - das Ziel der gemeinsamen Gestaltung von Bildungsbiografien als Basis für ein neues Ergänzungsverhältnis? Verhältnisbestimmung und Anknüpfungspunkte für die kooperative Gestaltung von Bildungsbedingungen junger Menschen. In: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit, 35. Jg., H. 2, S. 40 - 66 Maykus, S., 2006: Kooperation von Jugendhilfe und Schule - Kernstück eines Systems von Bildung, Betreuung und Erziehung? Jugendhilfefachpolitische Anforderungen im Kontext der bildungs- und schulbezogenen Kooperationsdebatte. In: Evangelische Jugendhilfe, 85. Jg., H. 2, S. 107 - 124 Maykus, S., 2008: Lern- und Lebensorte kooperativ gestalten - was kommt auf die Kinder- und Jugendhilfe zu? In: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit, 39. Jg., H. 1 (im Erscheinen) Merchel, J., 2005: Strukturveränderungen in der Kinder- und Jugendhilfe durch die Ausweitung von Ganztagsangeboten für Schulkinder. In: Sachverständigenkommission Zwölfter Kinder- und Jugendbericht (Hrsg.): Kooperationen zwischen Jugendhilfe und Schule. München, S. 169 - 238 Müller, H., 2006: Bildung: (K)ein Thema für die Hilfe zur Erziehung? In: AFET (Hrsg.): Dialog Erziehungshilfe, H. 1, S. 20 - 29 Späth, K., 2005: Kindertagesbetreuung und Erziehungshilfen - ein neues Bündnis in der Jugendhilfe kündigt sich an. In: Evangelische Jugendhilfe, 82. Jg., H. 5, S. 287 - 292 Stickelmann, B./ Will, H.-D., 2004: Erziehungshilfen und Schulsozialarbeit. In: Hartnuß, B./ Maykus, S. (Hrsg.): Handbuch Kooperation von Jugendhilfe und Schule. Frankfurt am Main uj 5 (2008) 207 hilfen zur erziehung Thimm, K., 2006: Jugendarbeit und Ganztagsschule - ein Kooperationsplädoyer für ein Risiko mit ungewissem Ausgang. In: Deinet, U./ Icking, M. (Hrsg.): Jugendhilfe und Schule. Analysen und Konzepte für die kommunale Kooperation. Opladen, S. 67 - 87 Der Autor Dr. Stephan Maykus ISA - Institut für soziale Arbeit e.V. Friesenring 32/ 34 48147 Münster Tel.: (02 51) 20 07 99 18 stephan.maykus@isa-muenster.de 2007. ca. 176 Seiten. ca. 20 Abb. ca. 10 Tab. UTB-S (978-3-8252-2929-0) kt ca. € [D] 14,90 | € [A] 15,40 | SFr 26,30 Die Schulsozialarbeit hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen - nicht nur die PISA-Debatte und der Ausbau der Ganztagsschulen haben dazu geführt. Was abermacht Schulsozialarbeit aus? Welche Ansätze haben sich in der Praxis bewährt? Welche Schlüsselkompetenzen sind für das Arbeitsfeld unerlässlich? Karsten Speck klärt über zentrale Begriffe auf, skizziert den Rahmen für das Arbeitsfeld - von rechtlichen Fragen über Finanzierung, Träger, Handlungsprinzipien und Wirkungen der Schulsozialarbeit bis hin zu notwendigen Standards und Fragen der Qualitätsentwicklung. a www.reinhardt-verlag.de