eJournals unsere jugend 60/9

unsere jugend
4
0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
91
2008
609

Gewalt verlernen - ohne Demütigung: Das Antigewalt- und Kompetenz-Training (AKT)

91
2008
Thomas Mücke
Judy Korn
Helmut Heitmann
Im Laufe der Jahre hat es vielfältige pädagogische Anstrengungen gegeben, gewaltaffinen Tendenzen unter jungen Menschen zu begegnen. Dazu zählen bildungspolitische Maßnahmen, zivilgesellschaftliche Ansätze wie auch Beratungsarbeit und Opferhilfe. Eher rar sind Ansätze, die unmittelbar mit jugendlichen TäterInnen in Zwangskontexten wie dem Jugendstrafvollzug arbeiten.
4_060_2008_009_0389
uj 9 (2008) 389 Unsere Jugend, 60. Jg., S. 389 - 391 (2008) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Anti-Gewalt-Trainings Gewalt verlernen - ohne Demütigung: Das Antigewalt- und Kompetenz-Training (AKT) Thomas Mücke/ Judy Korn/ Helmut Heitmann Im Laufe der Jahre hat es vielfältige pädagogische Anstrengungen gegeben, gewaltaffinen Tendenzen unter jungen Menschen zu begegnen. Dazu zählen bildungspolitische Maßnahmen, zivilgesellschaftliche Ansätze wie auch Beratungsarbeit und Opferhilfe. Eher rar sind Ansätze, die unmittelbar mit jugendlichen TäterInnen in Zwangskontexten wie dem Jugendstrafvollzug arbeiten. Noch seltener sind Ansätze, die sich außerhalb der konfrontativen Pädagogik bewegen. Das Antigewalt- und Kompetenztraining (AKT) ist ein nichtkonfrontativer Ansatz in der Antigewalt- und Bildungsarbeit. Dieses Training - sowie die zugrunde liegende Methode der Verantwortungspädagogik ® - wurde vom Violence Prevention Network (vgl. www.violence-preventionnetwork.de) entwickelt. Auf der Grundlage einer verstehenspädagogischen, ressourcenorientierten und demütigungsfreien Philosophie spannt dieser Ansatz einen Bogen zwischen akzeptierenden und hinterfragenden Elementen. Das AKT wurde in verschiedenen Modellprojekten des Jugendstrafvollzugs und der Jugendhilfe erprobt, weiterentwickelt und evaluiert. Hauptziel des AKT-Programms ist die Professionalisierung eines Ansatzes der Präventions- und Bildungsarbeit mit gewaltbereiten und vorurteilsmotivierten Jugendlichen. Es geht besonders um Jugendliche, die sogenannten bildungsfernen Schichten entstammen und schwere (Gewalt-)Straftaten begangen haben. Diese Zielgruppe braucht ein pädagogisches Konzept, das einerseits zivilgesellschaftliche Verfahrensformen wie Bürgerpflichten jenseits religiöser, ethnischer und kultureller Verwurzelungen betont und andererseits ihre Bildung und ganz persönliche Selbstständigkeit zu stärken versucht, ohne die Community im Hintergrund zu vergessen. Theoretischer Hintergrund Das Trainingskonzept basiert auf dem akzeptierenden-annehmenden und demütigungsfreien Ansatz und enthält Elemente aus der Verhaltens-, der systemischen- und der Gruppenpsychotherapie sowie aus der konstruktiven Konfliktlösungstheorie (gewaltfreie Kommunikation und Mediation) und der Erlebnispädagogik. Darüber hinaus werden Methoden und Inhalte politisch-historischer Bildungsarbeit implementiert. Das Training wird bedarfsgerecht und prozessorientiert gestaltet. Es beschränkt sich zudem nicht nur auf die Jugendlichen und Heranwachsenden, sondern bezieht Angehörige und wichtige Bezugspersonen der jugendlichen AkteurInnen mit ein. 390 uj 9 (2008) Anti-Gewalt-Trainings Alle Inhalte und Methoden werden unter Berücksichtigung der persönlichen Grenzziehungen der TeilnehmerInnen umgesetzt. Es werden nur demütigungsfreie Methoden und Techniken eingesetzt. Selektive und nur auf Techniken der Konfrontation beruhende Methoden werden abgelehnt. Auf Provokationen, beispielsweise durch körperliche Berührungen, persönliche Kränkungen oder Demütigungen, wird ausdrücklich verzichtet. Ebenso wird auf eine „belehrende“ pädagogische Beziehung zwischen TrainerInnen und Jugendlichen verzichtet, die machtorientiert hierarchisiert und auf Kampfbeziehungen ausgerichtet ist. Ein solches Vorgehen widerspricht dem Ansatz der demütigungsfreien Nachsozialisation, die von der Notwendigkeit einer gegenseitig wertschätzenden Beziehung ausgeht. Grundüberlegungen Das Konzept basiert auf folgenden Grundüberlegungen: • Junge Menschen werden in der Gesamtheit ihrer Geschichte und ihrer Lebenswelten und im Kontext sowohl ihres abweichenden Verhaltens wie auch ihrer vorhandenen Kompetenzen und Ressourcen betrachtet. Sie werden im Kreislauf von Gewaltausübung und eigenen Misshandlungs- und Missachtungserfahrungen gesehen. Das biografische und lebensweltliche Verstehen ist ein Schlüsselelement des Programms, da nur hierdurch der Zugang zum Entstehen von Hass und Gewalt geschaffen werden kann. Die Einbeziehung der ideologischen Auseinandersetzung mit den jungen Menschen ist notwendig. Der junge Mensch wird somit nicht auf seine Gewalttaten reduziert. Seine Veränderungsoptionen fokussieren den Blickwinkel auf seine Fähigkeiten und Ressourcen. • Erst eine verlässliche Beziehungsarbeit, eine wertschätzende Akzeptanz der Person und die ständige Bereitschaft zur Auseinandersetzung ermöglichen Veränderungs- und Entwicklungsprozesse. Angestrebt werden Lernprozesse, welche die Jugendlichen als einen persönlichen Wachstumsprozess begreifen. Sie sollten die Folge ihrer ureigensten Entscheidung sein. • Alle Angebote erfolgen freiwillig, da Veränderungen sich nicht durch das Erzeugen von Zweckverhalten ermöglichen lassen. Die persönlichen Lernziele werden mit den Jugendlichen gemeinsam entwickelt. Das Training ist prozessorientiert, die TrainerInnen geben Impulse für mögliche Veränderungen; die TeilnehmerInnen müssen allerdings selbst entscheiden, ob und welche Veränderungen sie in ihrem Alltag umsetzen wollen. • Das Training findet in der Regel und weitgehend in der Gruppe statt, da die Interaktionen zwischen gleichaltrigen Jugendlichen von hoher Wirksamkeit für das zu verändernde Verhalten sind. Das Lernen in einer Gruppe von Gleichaltrigen ermöglicht gegenseitige Empathie- und Unterstützungsprozesse. • Politische Bildung ist ein wichtiges Kernelement der Antigewaltarbeit, da vorurteilsorientierte Einstellungsmuster und Gewalthandlungen im direkten Zusammenhang stehen. • Lernprozesse - besonders das Verlernen von Hass und Gewalt - sind langwierige Prozesse, die Beziehungen und großer Unterstützung bedürfen. Daher sind auch nach Abschluss des Trainings die TrainerInnen im Rahmen eines Übergangsmanagements verfügbare An- Thomas Mücke Jg. 1958; Diplom-Pädagoge, Diplom-Sozialpädagoge und Anti-Gewalttrainer, Gründer und Trainings- und Ausbildungsleiter bei Violence Prevention Network Judy Korn Jg. 1971; Erziehungswissenschaftlerin und Mediatorin, Gründerin und Geschäftsführerin von Violence Prevention Network Helmut Heitmann Jg. 1956; Diplom-Pädagoge und Supervisor, Gründer und Projektleiter von Violence Prevention Network uj 9 (2008) 391 Anti-Gewalt-Trainings sprechpersonen, damit Lernprozesse sich bewähren und risikobehaftete Situationen gemeinsam bearbeitet werden können. Die Trainingsreihen Kernstück des Programms „Verantwortung übernehmen - Abschied von Hass und Gewalt“ sind Trainingsreihen, in denen jeweils zwei TrainerInnen mit einer maximal achtköpfigen Gruppe über einen Zeitraum von ca. fünf Monaten arbeiten. Vorrangige Zielgruppe ist der Kreis der männlichen vorurteilsorientierten Gewalttäter. Das Training verfolgt folgende Ziele: • Die Teilnehmenden verstehen und verändern ihr eigenes Gewaltverhalten. Sie akzeptieren das Grundrecht auf Menschenwürde und Unversehrtheit jedes Menschen. Sie sind fähig, Konflikte gewaltfrei zu lösen. • Die Teilnehmenden übernehmen für ihr eigenes Handeln Verantwortung und sind in der Lage, eine Distanzfähigkeit zur gewaltträchtigen Gruppendynamik und zu rechtsextremen Einstellungsmustern zu entwickeln. • Aufbauend auf ihren persönlichen Stärken und den sich entwickelnden Kommunikations-, Beziehungs- und Konfliktlösungsressourcen gestalten die Teilnehmenden eigenverantwortlich eine positive Zukunftsplanung. Die Konzeption für das Programm mit den jugendlichen AdressatInnen sieht ein Training vor, das u. a. die Module „Biographie“, „Tataufarbeitung und Gewalt“, „Cliquenzusammenhänge“, „Opfer-Status und reale Folgen“ und „Zukunftsplanung“ enthält. In den einzelnen Modulen finden sich die Themen Extremismus, Ethnozentrismus und Männlichkeitsbilder als Querschnittsthemen wieder. Hypermaskuline Männlichkeitsbilder stehen oft direkt im Zusammenhang mit Gewalttaten, weswegen sie im Training inhaltlich besonders berücksichtigt werden. Nach dem Training besteht die Option der Nachbetreuung bzw. eines Übergangsmanagements. Bedeutung der TrainerInnen Die im Programm tätigen TrainerInnen verfügen über langjährige Berufspraxis in der Thematik und mit der Zielgruppe. Das von den TrainerInnen verkörperte Menschenbild, ihr Zugang, ihre Haltung, ihr Selbstreflexionsvermögen und die Gestaltung von (professionellen) Beziehungen ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung für den Erfolg des Programms. Insofern gibt es eine umfangreiche Begleitung zum Qualifikationserhalt und zur Weiterentwicklung des Personals (Supervision, Intervision, Fortbildungen und regelmäßiger Austausch). Zur Umsetzung des Programms werden zudem fortlaufend PädagogInnen und TrainerInnen qualifiziert. Die Qualifizierung erfolgt als duales Prinzip, d. h. eine externe Qualifizierung wird von Praktika der Arbeit direkt vor Ort begleitet. Die bisherigen Praxiserfahrungen und Evaluationsergebnisse zeigen eine hohe Akzeptanz dieses Ansatzes bei der Klientel und eine deutliche Reduzierung der Rückfallquote von Gewalthandlungen. Die AutorInnen Thomas Mücke Judy Korn Helmut Heitmann Violence Prevention Network e.V. Ernst-Reuter-Haus - Haus des Deutschen Städtetages Straße des 17. Juni 112 10623 Berlin post@violence-prevention-network.de