unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2008
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Kinder in Not - frühe Hilfen
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2008
Joachim Rumpf
Die durch Massenmedien geförderte Aufregung in der Öffentlichkeit ist groß. Immer häufiger werden Kinder zu Opfern häuslicher Gewalt oder Jugendliche zu Aggressoren. Und immer lauter wird der Ruf nach frühzeitiger Intervention beziehungsweise nach Hilfen für die betroffenen Familien. Es entsteht sogar der Eindruck, dass die für die Hilfen in Familien vom Gesetz her zuständigen Fachleute, die SozialarbeiterInnen in den Jugendämtern, schlafen oder sich auf andere Weise um ihre Verantwortung drücken würden. Und keine Stimme hebt sich - oder wird vielleicht sogar vonseiten der Verantwortlichen in den Medien bewusst überhört -, die zu diesem Problem ein aufklärendes Wort sagt. Ich will es dennoch versuchen.
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uj 11+12 (2008) 495 Unsere Jugend, 60. Jg., S. 495 - 501 (2008) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel frühe hilfen Kinder in Not - frühe Hilfen Warum Hilfsangebote nicht frühzeitig genug wahrgenommen werden Joachim Rumpf Die durch Massenmedien geförderte Aufregung in der Öffentlichkeit ist groß. Immer häufiger werden Kinder zu Opfern häuslicher Gewalt oder Jugendliche zu Aggressoren. Und immer lauter wird der Ruf nach frühzeitiger Intervention beziehungsweise nach Hilfen für die betroffenen Familien. Es entsteht sogar der Eindruck, dass die für die Hilfen in Familien vom Gesetz her zuständigen Fachleute, die SozialarbeiterInnen in den Jugendämtern, schlafen oder sich auf andere Weise um ihre Verantwortung drücken würden. Und keine Stimme hebt sich - oder wird vielleicht sogar vonseiten der Verantwortlichen in den Medien bewusst überhört -, die zu diesem Problem ein aufklärendes Wort sagt. Ich will es dennoch versuchen. Ich berufe mich in diesen Anmerkungen zum Problem der frühzeitigen Hilfen für Kinder in Familien auf langjährige hauptberufliche und ehrenamtliche Tätigkeiten in Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe. Meine Erfahrungen und die daraus fließenden Positionen werden u. a. durch eine in ihrer Dramatik kaum zu überbietende Analyse von Olaf Emig (2007, 445ff) bestätigt, die er unter dem Titel „Der vermeidbare Tod eines Kleinkindes unter staatlicher Fürsorge“ veröffentlichte. Meine Erkenntnisse fasse ich in die folgenden Statements. Wir brauchen keine neuen Gesetze und Verordnungen, um Kindern in Not zu helfen. Sinn und Zweck aller Leistungen, die im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) für Familien und deren Kinder vorgesehen sind, ist die Stärkung der Erziehungsverantwortung der Personensorgeund/ oder der Erziehungsberechtigten. In der Regel also der Eltern und ihrer Kinder. Vor allem in den §§ 16 bis 21 SGB VIII ist die Förderung der Erziehung der Familie beschrieben, die auf die Förderung der Erziehungskompetenz wie auch auf Beratung und Unterstützung z. B. bei Trennung und Scheidung oder in Notsituationen der Eltern, bezogen ist. Des Weiteren bieten die Hilfen Dr. Joachim Rumpf Jg. 1932; Diplom- Pädagoge, Erziehungsleiter in einer Jugendhilfeeinrichtung 496 uj 11+12 (2008) frühe hilfen zur Erziehung (§§ 27ff SGB VIII) für die Kinder und ihre Familien weitere Möglichkeiten der individuellen Unterstützung, wenn eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist. Die Gesamt- und Planungsverantwortung der örtlichen Jugendämter mit ihren Jugendhilfeausschüssen, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um Kindern in Not und ihren Familien zu helfen, ist in diesem Gesetz in den §§ 79 - 81 SGB VIII eindeutig benannt. Auch das Verfahren der frühzeitigen Hilfe, wenn sich eine Gefährdung des Kindeswohls abzeichnet, ist in § 8 a SGB VIII vorgeschrieben. Gremien, in denen die verschiedenen für das Wohl aller Kinder verantwortlichen Institutionen zusammenarbeiten, gibt es bereits. Neben den Jugendhilfeausschüssen gibt es in Städten und Landkreisen Arbeitskreise, in denen Informationen ausgetauscht, Hilfen und andere Aktivitäten initiiert, koordiniert und manchmal auch evaluiert werden. Zu denken ist an Arbeitskreise, die sich der Frühförderung von Kindern, der Suchtprophylaxe oder der Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule widmen. Eine wichtige Voraussetzung für das erfolgreiche Zusammenwirken der unterschiedlichen Leistungsträger ist, einen Konsens darüber zu erreichen, was Kindern in ihrer Entwicklung schadet oder hilft. Die Inhalte des Kindeswohls sind hinreichend erforscht und definiert. Für alle, die mit Kindern beruflich zu tun haben, einschließlich den MedizinerInnen und JuristInnen, liegen gründliche Untersuchungen darüber vor, was Kinder zu ihrem Gedeihen brauchen beziehungsweise was ihnen schadet. Eine besonders informative, leicht lesbare und maßgebliche Zusammenfassung der Grundbedürfnisse von Kindern, unter Berücksichtigung auch der neueren Forschungsergebnisse, findet seit mehreren Jahren jede/ r Interessierte im Internet. Dort gibt es eine Fülle an Literaturhinweisen und Berichten zu den hier angeschnittenen Gegenständen (www.rumpfspaed.de/ Grundbeduerfnisse/ Einfuehrung. htm). Außerdem richten sich gut lesbare Ratgeber besonders an Eltern, und in vielen Landkreisen und Städten gibt es diverse Bildungsangebote (Elternseminare, Gesprächskreise für Eltern) verschiedener Träger. Beklagt wird dort allerdings, dass es sehr schwierig sei, Eltern, die besonders angesprochen werden sollten, für die Teilnahme zu gewinnen. Doch auch für die Lösung dieses Problems sind zweckmäßige Vorgehensweisen veröffentlicht, die nur umgesetzt werden müssten (vgl. Rumpf 2000, 196ff). Für die Art und Weise der Erfassung hilfsbedürftiger Kinder, wenigstens ab dem Eintritt in eine Tagesstätte oder Schule, gibt es bewährte Konzepte. Bereits 2003 wurde im „Handbuch für Erzieherinnen“ (Krenz 2003) ausführlich über erprobte Wege der Früherkennung und Früherfassung von Verhaltensauffälligkeiten berichtet. Dort sind auch detailliert die Verfahren beschrieben, die geeignet sind, Kinder und ihre Eltern über die jeweils zweckmäßigen Hilfeformen zu informieren, die Verbindungen zu Hilfeangeboten zu knüpfen oder nötigenfalls in bestimmte Familien hineinzuintervenieren. Auch wird mit dem seit Ende 2005 uj 11+12 (2008) 497 frühe hilfen eingeführten § 8 a SGB VIII „Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung“ zumindest ein Verfahren festgelegt, das bei Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen in Gang gesetzt wird. Für Träger von Einrichtungen und Diensten der Jugendhilfe müssten Wege zu „insoweit erfahrenen Fachkräften“ geebnet sein, allerdings sind die dadurch entstehenden Kosten oft nicht geklärt (vgl. Münder u. a. 2007, 17). Was aber geschieht präventiv in weniger schwerwiegenden Fällen? ErzieherInnen in den Kindergärten und LehrerInnen in den Schulen wollen den Kindern in Not helfen. Die sozialpädagogischen Fachkräfte in den Tageseinrichtungen für Kinder müssen viel Geduld haben und abwarten können, wenn sich Eltern von Kindern, die Hilfe brauchen würden, verweigern. Das ist leider sehr häufig der Fall und setzt dem Hilfewunsch Grenzen. Dort, wo den Fachkräften AnsprechpartnerInnen fehlen, bleiben sie sich selbst überlassen. Seit der Einführung des § 8 a SGB VIII sind von allen Trägern zwar entsprechende Informationsveranstaltungen für die Fachkräfte in Jugendhilfeeinrichtungen angeboten worden. Dabei ist immer wieder auf deren Mitverantwortung für möglichst frühzeitige Interventionen hingewiesen worden. Dennoch blieb die direkte und vertrauensvolle Verbindung zwischen zum Beispiel einem/ r ErzieherIn in einer Kindergartengruppe und dem/ r SozialarbeiterIn des Jugendamtes defizitär. So wandte sich eine Kindergartenleiterin im Dezember 2007 nicht an das Jugendamt, als sie bei einem Kind den Verdacht auf Kindesmisshandlung hatte, sondern drängte die Mutter, einen Arzt aufzusuchen, und vermittelte selbst einen Termin. Der Arzt musste den Verdacht bestätigen und veranlasste seinerseits die Jugendhilfebehörde zum Eingreifen. Gelingt es aber einer Erzieherin nicht, Eltern zu bewegen, eine Beratungsstelle aufzusuchen oder eine andere Hilfeform zu akzeptieren, gerät sie in eine Zwickmühle: Einerseits weiß sie (oder sollte wissen), dass sie dazu verpflichtet ist, etwas für das Kind zu tun - andererseits kennt sie sehr gut die Hürden, die sich auftun können, wenn sie sich an den Personensorgeberechtigten vorbei zum Beispiel an „ihr“ Jugendamt wendet. Eine dieser Hürden ist, dass sowohl sie selbst wie auch die Fachkraft im Sozialen Dienst weder Zeit noch Kraft haben, die mit der Einleitung eines Hilfeprozesses nötigen Dokumentationen und Besprechungen durchzuführen. Die Folge ist, dass wirklich nur dann ein derartiger Prozess in Gang kommt, wenn von den Verhaltensstörungen eines Kindes Gefahren für andere Kinder ausgehen und der Notruf dieses Kindes in der Tagesstätte nicht mehr beantwortet werden kann. Solange also die Auffälligkeiten von Kindern noch in einem für die Gruppe erträglichen Rahmen bleiben, versuchen die ErzieherInnen, sich selbst und den Kindern zu helfen (vgl. Rumpf 1999). Irgendwann aber steht der Übergang zur Grundschule vor der Tür. Wenn es eine gute Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule gibt, werden die KooperationslehrerInnen bei ihren Besuchen im Kindergarten von ganz allein merken, welche „Problemkinder“ auf sie zukommen. Aber an dieser Nahtstelle reichen noch nicht einmal die gut gemeinten, von Ministerien mit wissenschaftlicher Begleitung unterstützten Projekte aus, um den Kindern in Not und ihren Familien die früh- 498 uj 11+12 (2008) frühe hilfen zeitigen Hilfen angedeihen zu lassen, die dort benötigt würden (vgl. www.ponteinfo.de; Carle/ Samuel 2007). Die Folge ist, dass nun die LehrerInnen in der Grundschule an dem gleichen Dilemma leiden wie zuvor die Fachkräfte in den Kindergärten. Ungelöst beziehungsweise unbefriedigend ist die Umsetzung frühzeitiger Hilfen für Kinder und deren Familien in die Praxis. Warum ist das so? Unwissenheit und andere menschliche Schwächen Machen wir die Probe aufs Exempel und fragen wir beliebige SozialarbeiterInnen, ÄrztInnen im Gesundheitsamt, SchulleiterInnen oder LehrerInnen, ob ihnen die Veröffentlichungen, auf die ich hier hingewiesen habe, bekannt sind. Die meisten werden den Kopf schütteln. „Was sollen wir denn noch alles lesen? “ - das dürfte die häufigste Reaktion auf diese Frage sein. Dabei ist zu vermuten, dass ein Teil der Befragten nach Abschluss ihrer Studien überhaupt keine Fachliteratur oder nur wenig liest. Einige sind also schlichtweg nicht auf dem Laufenden (vgl. Rumpf 1993, 23ff; Rauin 2007, 60ff), und ihre Kompetenzen sind - auch wegen fehlender Kontinuität der Teilnahme an Fort- und Weiterbildung - begrenzt. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass wir Menschen sehr empfindlich sind, wenn uns jemand Verhaltensempfehlungen gibt. Besonders in Behördenorganisationen, wie es Ämter, Gemeindeverwaltungen oder Schulen nun einmal sind, ist das Bestreben des Einzelnen, sich von jeder als Bevormundung oder Besserwisserei empfundenen Einsicht anderer kompetenter Fachleute zu distanzieren, sehr groß. Auch von Vorgesetzten möchte man sich nicht gern etwas sagen lassen. Supervision, Fachberatungen oder Fortbildungen zu dieser Problematik wären darum unverzichtbar. Sie können aber nur dann und dort etwas bewirken, wenn ihre Auswirkungen sorgfältig evaluiert werden. Wenn Erfolgskontrollen fehlen, können Anstellungsträger auf derartige Angebote verzichten. Abwehr betroffener Eltern Es sind häufig gerade die Familien, in denen aus den unterschiedlichen Gründen die Grundbedürfnisse von Kindern (das Kindeswohl) unzureichend oder gar nicht beachtet werden, die sich einem Dialog mit den ErzieherInnen in Kindergärten oder mit den LehrerInnen in den Grundschulen verweigern. Jede Andeutung eines möglichen Hilfebedarfs wird zurückgewiesen und mit völligem Kontaktabbruch oder gar mit Beschwerden beantwortet. Und ohne Mitwirkung von Eltern bzw. ihrem Einverständnis stoßen Hilfsbemühungen an enge Grenzen. Obwohl der Gesetzgeber die Stellung des Jugendamtes den Familien gegenüber, die eine Hilfe für sich und ihr Kind verweigern, gestärkt hat, gilt nach wie vor die Priorität, dass die Fachkräfte z. B. in Kindertagesstätten eine „freiwillige“ Mitwirkung erreichen sollten. So zweckmäßig und vernünftig diese Rangfolge auch ist, weil sich ohne Kooperation mit den Angehörigen eines Kindes die Aussichten auf eine erfolgreiche Hilfe verringern, vergrößert sich mit Einführung des § 8 a SGB VIII auch der (Arbeits-) Druck auf die einzelnen ErzieherInnen. Sie haben in oft schwierigen und uneindeutigen Situationen zu entscheiden, ob „gewichtige Anhaltspunkte“ für eine Kindeswohlgefährdung vorliegen, und unter diesen Bedingungen „den Schutzauftrag in uj 11+12 (2008) 499 frühe hilfen entsprechender Weise nach Abs. 1 wahrzunehmen“ - also ihr Team, ihre Leitung, ggf. eine erfahrene Kinderschutzfachkraft hinzuzuziehen und ggf. das Jugendamt in Kenntnis zu setzen. Ungelöste Verantwortlichkeiten Zu diesem Problem gesellt sich das der ungelösten Verantwortlichkeiten. Zu denken ist da an die bereits eingangs erwähnten „Gremien“ und „Arbeitskreise“, die es in ausreichender Zahl gibt. Das heißt, alle Verantwortlichen - wie zum Beispiel die VertreterInnen von Jugendamt, Familiengericht, Sozialamt, Suchtbeauftragte und Frühförderstellen, Erziehungsberatung, Schulamt, Träger von Kindertagesstätten - kommen in ihrer Region mehrmals im Jahr zusammen. Ihre Aufgabe in diesen Arbeitsgruppen, wie z. B. die der „Früherkennung und Frühförderung“, ist es unter anderem, Wege zur Hilfe zu planen, zu organisieren, zu koordinieren und das Zusammenwirken zu sichern. Doch bei der Umsetzung hapert es. Ganz abgesehen davon, dass jede/ jeder VertreterIn unterschiedliche Auffassungen darüber haben kann, wann Hilfe geboten sei (wann also das Kindeswohl gefährdet erscheint), und niemand einsehen wird, ein bestimmtes Modell als verbindlich für sich und seine Dienststelle anzuerkennen und zur Richtschnur des eigenen Handelns zu machen, werden alle unisono auf die begrenzten materiellen und personellen Kapazitäten verweisen. Dies betrifft vor allem Fälle unterhalb der Schwelle der Kindeswohlgefährdung. Allerdings sind auch im Falle einer sich anbahnenden Kindeswohlgefährdung die Kosten für eine hinzuzuziehende externe und beratende Kinderschutz-Fachkraft nicht ausreichend geklärt (vgl. Münder u. a. 2007, 50). Und damit bin ich beim letzten Problem: Fehlende materielle und personelle Voraussetzungen Ich gehe noch einmal zurück auf die Strategie der Früherkennung von Auffälligkeiten bei Kindern, die einen Hilfebedarf signalisieren. Selbst wenn Fachkräfte in Krippen, Kindergärten oder Schulen ein Kind als „auffällig“ definieren und bei genauem Hinschauen einen Hilfebedarf annehmen müssen - und das zu können, muss zwingend zur Kompetenz jeder dieser Fachkräfte gehören -, braucht es eine vertrauensvolle und enge Zusammenarbeit mit den für das Quartier, in dem das Kind lebt, zuständigen SozialarbeiterInnen. Es ist die Jugendhilfe, die in unserem Gemeinwesen für die Förderung der Erziehung in Familien und für Hilfen für Kinder und ihre Familien in erster Linie verantwortlich ist beziehungsweise sein sollte. Um diese Verantwortung wahrzunehmen, genügt es vonseiten des Jugendamtes nicht abzuwarten, bis die zuständige MitarbeiterIn gefunden und alarmiert wird. Diese Fachkräfte des Jugendamtes müssten in allen Kindertagesstätten und Schulen ihres Bezirks bekannt, gleichsam „zu Hause“ sein und bei allen LehrerInnen, ErzieherInnen und den Eltern der Kinder Vertrauen und Anerkennung genießen. Denken wir nur zurück an die oben erwähnte Zweckmäßigkeit, Eltern für eine Kooperation zu gewinnen, die übrigens auch dann zu erreichen wäre, wenn ein Kind aus der Familie herausgenommen werden muss. Diese Rahmenbedingungen sind aber darum uneinlösbar, weil bei der aktuellen Ausstattung der Ämter ein/ e SozialarbeiterIn für eine viel zu große Zahl von Familien und Einrichtungen „zuständig“ wäre. Für eine Stadt, die hier aus Gründen des Datenschutzes nicht näher bezeichnet werden soll, mit 14.000 EinwohnerInnen, mehreren Kindertagesstätten und Schulen amtiert ein (! ) Sozialarbeiter im Sozialen 500 uj 11+12 (2008) frühe hilfen Dienst des Jugendamtes. Gäbe es in dieser Stadt keinen weiteren Sozialarbeiter außerhalb des Jugendamtes, der für die offene Jugendarbeit zuständig ist, und keine Angebote verbandlicher Träger (Caritas oder Diakonie), an deren Finanzierung allerdings ebenfalls die öffentliche Jugendhilfe beteiligt ist, sähe es für Kinder in Not oder gar deren Familien noch düsterer aus (vgl. u. a. Pothmann/ Wilk 2008, 139). Eine Folge dieser mangelhaften personellen Ausstattung der Allgemeinen Sozialen Dienste der Jugendämter zeigt folgendes Beispiel, das typisch sein dürfte: Die Leiterin eines Kindergartens aus dieser Stadt berichtete (in einem Telefonat mit mir am 10. 12. 2007), dass sie es endlich geschafft hatte, den zuständigen Sozialarbeiter für ein Kind und dessen Notsituation zu interessieren (vgl. § 8 a Abs. 1 SGB VIII). Sie sollte ihm einen schriftlichen Bericht einreichen, aufgrund dessen er mit den Eltern sprechen und einen Hilfeplan erstellen wolle. Als die Kindergartenleiterin ihren Bericht einreichte, erhielt sie die Auskunft, dass der Hilfeplan (als Rechtsgrundlage für Hilfen) in ca. sechs bis acht Wochen vorliegen würde. Sie war zutiefst empört über diese lange Frist, wusste aber, dass die Personalsituation im Jugendamt katastrophal aussieht. Von „früher Hilfe“ kann jedenfalls nicht die Rede sein. Die angedeuteten Rahmenbedingungen für frühzeitige Hilfen, wie etwa kurze Wege zu einer fest zuständigen Fachkraft des Jugendamtes, die über die nötige Zeit verfügen kann, sind zwar unverzichtbar, erscheinen aber angesichts der Realitäten als utopisch. Allein wegen der fehlenden oder unzureichenden Verbindungen zwischen pädagogischen Institutionen einerseits und der öffentlichen Jugendhilfe andererseits ist ein frühzeitiger Zugang zu den erzieherischen Hilfen für Familien (§ 27ff SGB VIII) erschwert. Es gibt weder in unserem Landkreis noch anderswo eine permanente aktive Vernetzung zwischen den Erziehungs- und Bildungseinrichtungen und der öffentlichen Jugendhilfe innerhalb des Einzugsbereiches (Wohnbezirks) von Kindergärten und Schulen. Die meisten Fachkräfte in den Kindertagesstätten oder in den Schulen kennen nicht einmal die Namen „ihrer“ SozialarbeiterInnen. Um diesem Dilemma etwas auszuweichen, diskutiert man zurzeit in der Öffentlichkeit medizinische Vorsorgeuntersuchungen und möchte - bewusst oder ungewollt - das ganze Problem den MedizinerInnen (Gesundheitsbehörden) zuschieben. Aber auch hier bleibt die Frage offen, wann und wie eine Gesundheitsbehörde Kenntnis vom Hilfebedarf eines Kindes erhält und wie sie reagieren kann, wenn tatsächlich die Not eines Kindes festgestellt wird. Spätestens dann muss die Jugendhilfe am Hilfeprozess beteiligt werden, und auch hier handelt es sich dann wieder um „lange und umständliche Wege“, bis Hilfe wirklich umgesetzt wird. Zum Schluss Mir erscheint allein die Aufsplitterung von Verantwortlichkeiten, wenn es um die Erziehung und Bildung von Kindern in Not und die entsprechenden familiären Rahmenbedingungen geht, in verschiedene, gleichsam konkurrierende Institutionen absurd. Was historisch so gewachsen ist, muss nicht so bleiben, wenn es sich im Alltag nicht bewährt. Die Federführung aller Hilfen für Kinder in Not muss vor Ort - also in den Gemeinden - die Jugendhilfebehörde übernehmen, und sie ist für diese Funktion materiell und personell adäquat auszustatten. uj 11+12 (2008) 501 frühe hilfen Noch einmal sei unterstrichen: Wir benötigen keine neuen Gesetze, sondern deren Umsetzung und Finanzierung. Auch die Umsetzung des sogenannten „Kinderschutzparagraphen“ (§ 8 a SGB VIII) ist mit mangelhafter personeller Ausstattung, aber auch mangelhafter methodischer Qualifikation als zweiter Schwachstelle schlicht nicht möglich. Literatur Carle, U., 2006: Frühes Lernen. Kindergarten und Grundschule kooperieren. www.fruehpaeda gogik.uni-bremen.de/ docs/ abschlussbericht_ frue_lern_.pdf, 18.6.2008, 210 Seiten Carle, U./ Samuel, A., 2007: Frühes Lernen. Kindergarten und Grundschule kooperieren. Hohengehren Emig, O., 2007: Der vermeidbare Tod eines Kleinkindes unter staatlicher Fürsorge. In: neue praxis, 37. Jg., H. 5, S. 445 - 446 Krenz, A. (Hrsg.), 2003: Handbuch für Erzieherinnen in Krippe, Kindergarten, Vorschule und Hort. Landsberg Münder, J./ Bindel-Kögel, G./ Heßler, M./ Smessaert, A., 2007: Untersuchung zu den Vereinbarungen zwischen den Jugendämtern und den Trägern von Einrichtungen und Diensten nach § 8 a Abs. 2 SGB VIII. www2.tu-berlinde/ fak1/ gsw, 30. 7. 2008, 54 Seiten Pothmann, J./ Wilk, A., 2008: Hinter die Kulissen geschaut - Personalstrukturen und Arbeitsweisen des Allgemeinen Sozialen Dienstes. In: Forum Erziehungshilfen, 14. Jg., H. 3, S. 139 - 144 Rauin, U., 2007: Im Studium wenig engagiert … In: Forschung aktuell, Universität Frankfurt, H. 3, S. 60 - 64 Rumpf, J.,1993: Schule ohne Pädagogik? In: Die Deutsche Schule, 85. Jg., H. 1, S. 23 - 31 Rumpf, J., 1999: Eine kleine Heilpädagogik - sieben Regeln haben sich bewährt. In: Unsere Jugend, 51. Jg., H. 11, S. 472 - 480 Rumpf, J., 2000: Mit Eltern sprechen. In: Unsere Jugend, 52. Jg., H. 5, S. 196 - 201 Der Autor Dr. Joachim Rumpf Hühnerbühl 7 79733 Görwihl www.rumpfs-paed.de 2002. 120 Seiten. (978-3-497-01629-7) kt Der Umgang mit aggressivem Verhalten ist so vielschichtig wie das Phänomen selbst. In einer Situation kann Ignorieren angebracht sein, eine andere Situation erfordert Konsequenz, aber auch das Nachgeben kann angemessen sein. Rezepte helfen also nur bedingt. Viel wichtiger ist es, dass Eltern sich über Aggressionen, ihre Erscheinungsformen und Ursachen informieren. Dass sie sich Wissen aneignen, wie man in unterschiedlichen Situationen mit der Aggressivität eines Kindes umgehen kann und welche positiven Bedingungen im Umfeld des Kindes und der Familie geschaffen werden können. a www.reinhardt-verlag.de
