eJournals unsere jugend 60/11+12

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2008
6011+12

Wie steht es um die pädagogische Qualität in integrativen Kindergruppen?

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2008
Wilfried Smidt
Die Bedeutung einer guten pädagogischen Qualität in Kindergartengruppen wird seit einigen Jahren verstärkt untersucht. Zur Qualität von Gruppen, in denen Kinder mit und ohne Behinderungen gemeinsam betreut, gebildet und erzogen werden, liegen im deutschsprachigen Raum bisher jedoch nur wenige Ergebnisse vor, die in Form eines Überblicks erläutert werden. Insgesamt wird deutlich, dass die pädagogische Qualität in Integrationsgruppen im Allgemeinen gut und - im Vergleich zu Regelgruppen - eher besser ist.
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uj 11+12 (2008) 467 Unsere Jugend, 60. Jg., S. 467 - 475 (2008) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Wie steht es um die pädagogische Qualität in integrativen Kindergruppen? Wilfried Smidt Die Bedeutung einer guten pädagogischen Qualität in Kindergartengruppen wird seit einigen Jahren verstärkt untersucht. Zur Qualität von Gruppen, in denen Kinder mit und ohne Behinderungen gemeinsam betreut, gebildet und erzogen werden, liegen im deutschsprachigen Raum bisher jedoch nur wenige Ergebnisse vor, die in Form eines Überblicks erläutert werden. Insgesamt wird deutlich, dass die pädagogische Qualität in Integrationsgruppen im Allgemeinen gut und - im Vergleich zu Regelgruppen - eher besser ist. kindertagesbetreuung Integration von Kindern mit Behinderungen im Kindergarten Erste systematische Ansätze einer Kindergartenpädagogik, die sich auf die gemeinsame Betreuung, Bildung und Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderungen bezieht, finden sich schon zu Beginn der 1960er Jahre, verstärkt praktiziert wird integrative Kindergartenpädagogik jedoch erst seit Anfang der 1970er Jahre (Speck 2003, 33). Als Wendepunkt hin zu einer Integration werden insbesondere die Empfehlungen der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates gesehen (ebd., 386), in denen die Integration behinderter Menschen in allen Lebensbereichen gefordert wird. Legitimiert wurde diese Forderung durch Bezugnahme auf fortschreitende gesellschaftliche Demokratisierungstendenzen und eine zunehmende Diversität der Lebensverhältnisse. Integrationsmaßnahmen sollten daher den Umgang zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen fördern, Diskriminierungsprozesse abbauen helfen sowie einen Beitrag leisten zur Akzeptanz Behinderter durch Nichtbehinderte (Deutscher Bildungsrat 1973, 25 - 29). In der Folge wurden weitgehend auf die 1980er Jahre beschränkte Modellversuche in Integrationsgruppen durchgeführt (Kron u. a. 1999, 14f) und verschiedene Integrationskonzepte diskutiert (z. B. Feuser 1995). Integrative Kindergruppen weisen allgemein veränderte Rahmenbedingungen auf: Sie zeichnen sich im Unterschied zu Regelgruppen (in denen ausschließlich Kinder ohne Behinderungen betreut werden) durch eine geringere Größe und einen günstigeren Erzieher-Kind-Schlüssel aus Wilfried Smidt Jg. 1975; Dipl.-Pädagoge (Univ.), Dipl.-Sozialpädagoge (FH), Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschergruppe BiKS (Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Selektionsentscheidungen im Vor- und Grundschulalter) 468 uj 11+12 (2008) kindertagesbetreuung (Heimlich/ Behr 2005, 40). Die gemeinsame Betreuung von behinderten und nichtbehinderten Kindern ist mittlerweile ein fester Bestandteil außerfamilialer Betreuungseinrichtungen: Seit den 1990er Jahren ist in Deutschland die Anzahl der Integrationsplätze für Kindergartenkinder beträchtlich gestiegen (Heimlich/ Behr 2006, 327f). Seit etwa 15 Jahren gewinnen zudem - bedingt durch den quantitativen Ausbau institutioneller Betreuungsformen und die in Folge der Wiedervereinigung notwendig gewordene Anpassung unterschiedlicher institutioneller Kinderbetreuungskonzepte - Fragen der pädagogischen Qualität von Kindergärten an Relevanz. Bis vor kurzem waren systematisch durchgeführte Untersuchungen zur pädagogischen Qualität von Kindergärten in der deutschen Forschungslandschaft allerdings selten (Tietze 1998, 18f). Dies gilt auch für Integrationsgruppen: National, aber auch international gibt es bisher nur relativ wenige Untersuchungen zur pädagogischen Qualität (Kron u. a. 1999, 10; Odom/ Bailey 2001, 256). In diesem Beitrag werden einige im deutschsprachigen Raum gewonnene Untersuchungsergebnisse zur pädagogischen Qualität in Integrationsgruppen in Form eines Überblicks berichtet. Bedingt durch zum Teil nur lückenhaft vorhandene Informationen zu den Gruppenmerkmalen (in einigen Fällen fehlen genaue Angaben über die Anzahl der in den Gruppen betreuten Kinder mit Behinderungen) wird aus pragmatischen Gründen von Integrationsgruppen gesprochen, wenn in diesen laut Untersuchungsangaben mindestens ein Kind mit Behinderung betreut wird. Diese Information ist insofern wichtig, als bei einigen Untersuchungen mit einer „Einzelintegration“ (Integration von höchstens zwei Kindern in einer Regelgruppe) und einer „integrativen Gruppe“ (Aufnahme von drei bis fünf Kindern mit Behinderungen) zwei Betreuungsformen zu unterscheiden wären, die in Gruppengröße und Erzieher-Kind-Schlüssel voneinander abweichen können (Heimlich/ Behr 2006, 325f). Ein gemeinsames Merkmal aller Untersuchungen besteht in der Wahl der Untersuchungsinstrumente. Ihnen liegen mit der Kindergarteneinschätzskala (KES) (Tietze u. a. 1997) und der überarbeiteten Variante KES-R (Tietze u. a. 2005) konzeptionell vergleichbare Beobachtungsverfahren zugrunde, die häufig zur Einschätzung pädagogischer Qualitätsmerkmale institutioneller Betreuungsformen eingesetzt werden (Lamb/ Weßels 1997, 706f). Nach einer kurzen Erläuterung des zugrunde gelegten Konzeptes pädagogischer Qualität werden zuerst ausschließlich auf integrative Gruppen Bezug nehmende Untersuchungen beschrieben. Daran schließt sich die Erläuterung von Integrations- und Regelgruppen vergleichender Studien an. Abschließend werden verschiedene Interpretationsmöglichkeiten der Ergebnisse aufgezeigt und weiterer Forschungsbedarf formuliert. Konzeptualisierung pädagogischer Qualität in außerfamilialen Betreuungsformen Pädagogische Qualität in institutionellen Betreuungsformen kann nicht nur unterschiedlich konzeptualisiert werden (Hoffmann 2001), es gibt auch verschiedene Perspektiven auf pädagogische Qualität, abhängig davon, ob z. B. Eltern oder pädagogisches Kindergartenpersonal an der Definition beteiligt sind (Katz 1996, 226f). Eine Möglichkeit ist, pädagogische Qualität in außerfamilialen Betreuungsformen zum einen prozessual zu definieren, d. h. mit Bezug auf von Kindern in der täglichen uj 11+12 (2008) 469 kindertagesbetreuung pädagogischen Praxis erlebte und realisierte Interaktionen mit ihrer Umwelt, also z. B. mit Peers oder ErzieherInnen. Ausgehend von einer kindzentrierten Sichtweise umfasst pädagogische Prozessqualität damit die Förderung der sprachlichen, intellektuellen, physischen und sozial-emotionalen Entwicklung der Kinder durch die Betonung des Spiels mit Materialien und Gleichaltrigen. Dem pädagogischen Personal kommt dabei die Funktion eines Förderers zu, der das Spiel der Kinder anreichert, eine schützende Atmosphäre gewährleistet und den Kindern mit einer positiven Grundhaltung Informationen, Hilfen und Anleitung zur Verfügung stellt (Cryer 1999, 41). Zum anderen wird pädagogische Qualität strukturell bestimmt. Pädagogische Strukturqualität bezieht sich auf die Rahmenbedingungen des Betreuungsprozesses. Wichtige strukturelle Merkmale stellen zum Beispiel die Größe der Kindergärten und Kindergruppen, das Verhältnis von pädagogischen Fachkräften pro Kind und die berufliche Qualifikation des pädagogischen Personals dar (Lamb/ Weßels 1997, 708; Hayes/ Palmer/ Zaslow 1990, 87). Im Unterschied zur Prozessqualität unterliegt die Strukturqualität im Allgemeinen einer politischen Regulierbarkeit (Cryer 1999, 41). Beziehungen zwischen Merkmalen der Prozess- und Strukturqualität bestehen dabei insofern, als unterschiedliche Studien Strukturmerkmale wie eine günstige Erzieher-Kind-Relation oder eine qualifizierte Ausbildung des pädagogischen Personals als bedeutsam für eine gute Qualität der pädagogischen Prozesse identifizierthaben. Die Bedeutung so verstandener pädagogischer Qualität zeigen Untersuchungen, in denen positive Auswirkungen auf die kognitive und soziale Entwicklung von Kindergartenkindern gefunden wurden (Roßbach 2005). Die Beobachtungsinstrumente KES und KES-R zielen auf die Untersuchung pädagogischer Qualität in institutionellen Betreuungsformen für Kinder ab etwa 3 Jahren. Da Aufbau, Struktur und Bewertungsverfahren der Instrumente weitgehend identisch sind, wird beispielhaft die KES-R beschrieben. Die pädagogische Qualität wird erfasst im Rahmen einer mindestens dreistündigen Beobachtung einer Kindergruppe (an einem Tag) anhand von 43 Merkmalen, die sieben Subbereichen zugeordnet werden: „Platz und Ausstattung“, „Betreuung und Pflege der Kinder“, „Sprachliche und kognitive Anregungen“, „Aktivitäten“, „Interaktionen“, „Strukturierung der pädagogischen Arbeit“ und „Eltern und ErzieherInnen“. Jedes der Merkmale ist näher spezifiziert durch eine unterschiedliche Anzahl von Aspekten und wird von geschulten Datenerhebern eingeschätzt. Die so gewonnenen Werte können auf Subbereichs- und Gesamtebene zu Mittelwerten verdichtet werden. Die Bewertung erfolgt siebenstufig: Stufe 1 bedeutet eine unzureichende, Stufe 3 eine minimale, Stufe 5 eine gute und Stufe 7 eine ausgezeichnete pädagogische Qualität. Die Ergebnisinterpretation erfolgt analog zu dieser Abstufung. Zudem bildeten die AutorInnen der KES-R durch Faktorenanalysen (mit einer Faktorenanalyse werden einzelne Merkmale zusammengefasst und reduziert zu übergeordneten Bereichen - sogenannten Faktoren oder auch Dimensionen -, die eine ähnlich hohe Aussagekraft aufweisen wie die Gesamtheit der zusammengefassten Merkmale) zwei weitere, quer zu den sieben Subbereichen liegende Dimensionen. Die erste Dimension „Pädagogische Interaktionen“ umfasst zehn interaktionsbezogene Merkmale, die aus den Subbereichen „Betreuung und Pflege der Kinder“, „Sprachliche und kognitive Anregungen“, „Interaktionen“ und „Strukturierung der pädagogischen Arbeit“ entnommen wurden. Die zweite Dimension „Räumlich-materiale Ressourcen“ enthält ebenfalls zehn Merkmale aus den Bereichen „Platz und Ausstattung“, „Sprachliche und kognitive Anregungen“, „Aktivitäten“ und „Strukturierung der pädagogischen Arbeit“, die sich beispielsweise auf die räumlichen Gegebenheiten oder die Ausstattung mit Materialien und deren Nutzung beziehen (Tietze u. a. 2005). 470 uj 11+12 (2008) kindertagesbetreuung Pädagogische Qualität in integrativen Gruppen Ergebnisse aus Untersuchungen in integrativen Gruppen In den Tabellen 1 und 2 sind die Ergebnisse (Mittelwerte) aus zwei Studien zusammengestellt, die sich ausschließlich auf Einschätzungen integrativer Gruppen beziehen. In Österreich (Bundesland Salzburg) führten Schlipfinger und Zettl (2000) in insgesamt 32 Kindergruppen eine Untersuchung der pädagogischen Qualität durch (Tabelle 1). Neben der originalen KES setzten Schlipfinger und Zettl auch eine um behinderungsspezifische Merkmale erweiterte, an die KES angelehnte Einschätzskala ein. Beobachtet wurde der pädagogische Alltag in unterschiedlichen Betreuungsformen: Neben Integrationsgruppen (mit mindestens drei Kindern mit Behinderungen) wurden Kindergruppen mit einer zusätzlichen Kraft (mit ein bis zwei behinderten Kindern) und Kindergruppen mit mobilem Fachdienst (ebenfalls mit ein bis zwei behinderten Kindern) untersucht. Der nicht nach unterschiedlichen Integrationsformen differenzierte Gesamtmittelwert beträgt 4,8 und befindet sich damit im gehobenen Bereich mittlerer pädagogischer Qualität. Bezogen auf die Subbereiche spiegeln die Ergebnisse mit Durchschnittswerten von 4,4 bis 5,4 eine annähernd gute Qualität wider. Einige Beispiele sollen die Einordnung dieser Ergebnisse erleichtern. Der Subbereich „fein- und grobmotorische Aktivitäten“ umfasst sechs Merkmale, z. B. „Feinmotorik“, „Beaufsichtigung und Anleitung bei feinmotorischen Aktivitäten“, „Ausstattung für Grobmotorik“ oder „vorgesehene Zeit für Grobmotorik“. Eine Bewertung mit 5,4 (entspricht einem „gut“) in diesem Subbereich bedeutet, dass eine große Auswahl entwicklungsadäquater Materialien zur Förderung der Feinmotorik (Mosaikspiele, Perlen, Puzzles) und Grobmotorik (Springseile, Klettervorrichtungen, Rutschen) für die Kinder zugänglich ist und unter Anleitung und Unterstützung der pädagogischen Fachkräfte genutzt wird. Im Unterschied dazu bezieht sich der Subbereich „Kreative Aktivitäten“ mit seinen sieben Merkmalen (z. B. „künstlerisches Gestalten“, „Musik und Bewegung“ oder „Bausteine“) vorwiegend auf künstlerische und musikalische Inhalte. Hier verdeutlicht der annähernd gute Wert von 4,8, dass den Kindern viele Möglichkeiten zum Kneten, Malen, Musizieren oder Rollenspiel geboten werden. Am niedrigsten wird mit einem Mittelwert von 4,4 der Bereich „Sozialentwicklung“ bewertet. Dieser Subbereich umfasst Merkmale wie „Multikulturelle Erziehung“ oder „Atmosphäre“. Die relativ niedrige Einschätzung lässt z. B. darauf schließen, dass sich in der Gruppenarbeit eine gewisse ethnische Vielfalt durch die Verwendung von entsprechenden Puppen, Pädagogische Prozessqualität in 32 integrativen Kindergruppen in Österreich Subbereiche M KES Betreuung/ Pflege 4,8 Möbel/ Ausstattung 4,7 Sprachl./ kognitive Anregungen 4,8 Fein-/ grobmotorische Aktivitäten 5,4 Kreative Aktivitäten 4,8 Sozialentwicklung 4,4 Erzieherinnen/ Eltern 4,6 Gesamtergebnis 4,8 Tabelle 1: Pädagogische Prozessqualität Schlipfinger/ Zettl 2000, 179; eigene Berechnungen; n = 32; M = Mittelwert uj 11+12 (2008) 471 kindertagesbetreuung Buchillustrationen oder Bildern widerspiegelt, nicht jedoch, dass die Berücksichtigung ethnischer Vielfalt zum selbstverständlichen „Kernbestand“ der pädagogischen Konzeption zählt. Ebenso dürfte das Gruppenklima die meiste Zeit durch wechselseitigen Respekt von ErzieherInnen und Kindern geprägt sein. Schlipfinger und Zettl kommen bei der Interpretation ihrer Ergebnisse zu dem Schluss, dass eine höhere Betreuungsqualität auf Gruppenebene auch mit einer besseren pädagogischen Qualität für die jeweiligen Kinder mit Behinderungen einhergeht, da auch mit der um behinderungsspezifische Merkmale erweiterten Einschätzskala vergleichbar hohe Mittelwerte erreicht werden. In einer Münchner Studie untersuchten Heimlich und Behr (2005) mit der KES-R die Betreuungsqualität in zehn Integrationsgruppen (Tabelle 2). Wie bei den oben berichteten Studien liegt auch hier das Gesamtergebnis mit einem Mittelwert von 4,9 in einem Bereich, der einer annähernd guten pädagogischen Qualität entspricht. Im Vergleich zu ähnlich gelagerten Untersuchungen heben die AutorInnen den besseren Gesamtmittelwert hervor (Heimlich/ Behr 2005, 198), weisen aber auch auf große Unterschiede zwischen den Subbereichen hin (ebd., 167f). So liegt der Bereich „Betreuung und Pflege der Kinder“ mit einem Wert von 2,6 lediglich in einem Bereich unzureichender pädagogischer Qualität, während alle übrigen Subbereiche mit Werten von 4,9 bis 6,1 eine im Allgemeinen gute Qualität aufweisen. Auch hier sollen die Ergebnisse zweier Subbereiche kurz erläutert werden. Der Bereich „Betreuung und Pflege der Kinder“ bezieht sich auf sechs Merkmale, u. a. auf „Ruhe- und Schlafzeiten“, „Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge“ und „Sicherheit“. Praktisch kann der sehr niedrige Wert von 2,6 bedeuten, dass die Ruhe- und Schlafzeiten der Kinder (nur bei Ganztagseinrichtungen) nicht auf deren individuelle Bedürfnisse abgestimmt sind, hygienische Maßnahmen wie Händewaschen und Zähneputzen nur sporadisch vollzogen werden und Sicherheitsmängel (wie ungesicherte Steckdosen, ungeschützte Kochstellen oder scharfkantige Gegenstände) die Betreuung der Kinder beeinträchtigen. Die Qualität der „Interaktionen“ wird dagegen mit einer Bewertung von 6,1 als gut mit Tendenz zu einer ausgezeichneten Qualität beurteilt. Dieser Subbereich setzt sich zusammen aus sechs Merkmalen, darunter „Erzieher-Kind-Interaktionen“ und „Verhaltensregeln und Disziplin“. Hier kann davon ausgegangen werden, dass die Erzieher-Kind-Interaktionen durch Respekt und Anteilnahme gekennzeichnet sind und dem Entwicklungsstand der Kinder entsprechen. Negativ gefärbte Interaktionen und Disziplinierungsmaßnahmen (Anschreien, Einsperren oder unangemessener körperlicher Kontakt) würden dagegen zu einer niedrigen Bewertung führen. Pädagogische Prozessqualität in 10 integrativen Kindergruppen in München Subbereiche M KES-R Platz/ Ausstattung 4,9 Betreuung/ Pflege der Kinder 2,6 Sprachl./ kognitive Anregungen 5,4 Aktivitäten 5,0 Interaktionen 6,1 Strukturierung der pädagogischen Arbeit 5,6 Eltern/ Erzieherinnen 5,2 Gesamtergebnis 4,9 Tabelle 2: Pädagogische Prozessqualität Heimlich/ Behr 2005, 167; n = 10; M = Mittelwert 472 uj 11+12 (2008) kindertagesbetreuung Ergebnisse aus Vergleichsuntersuchungen in integrativen Gruppen und Regelgruppen Nachfolgend sind die Ergebnisse aus zwei Studien aufgeführt, in denen die pädagogische Qualität in integrativen Gruppen und Regelgruppen vergleichend untersucht wurde. Tietze (2000) untersuchte die pädagogische Qualität mit der KES-R in 159 Bremer Kindergruppen, wobei in 76 Gruppen Kinder mit Behinderungen betreut wurden. Die integrativen Gruppen erreichen mit einem Durchschnittswert von 4,3 einen auch statistisch bedeutsamen Vorteil gegenüber den Regelgruppen, die bei 4,0 liegen. Beide Gesamtwerte bewegen sich jedoch nur in einem Bereich mittlerer pädagogischer Qualität. Auch wenn in der Studie die Subbereichswerte nicht getrennt für beide Betreuungsformen aufgeführt sind, werden Qualitätsvorteile der integrativen Kindergruppen gegenüber den Regelgruppen in allen Subbereichen berichtet, besonders groß sind die Unterschiede zugunsten der Integrationsgruppen dabei in den Bereichen „Betreuung und Pflege der Kinder“ und „Interaktionen“. Daraus wird geschlossen, dass in integrativen Gruppen im Allgemeinen eine bessere pädagogische Prozessqualität zu erwarten ist als in Regelgruppen. Im Rahmen einer vom Verfasser durchgeführten Studie (Smidt 2006) wurde die pädagogische Qualität mit der KES-R in jeweils 15 Integrations- und Regelgruppen in Bayern untersucht (Tabelle 3). Analog zu der Untersuchung von Tietze erzielen die Integrationsgruppen auch in dieser Studie mit einem Gesamtergebnis von 4,6 gegenüber den Regelgruppen (Mittelwert: 3,9) ein deutlich besseres, statistisch belastbares Resultat. Ebenso erreichen die Integrationsgruppen in allen Subbereichen zum Teil wesentlich höhere Qualitätswerte. Am größten sind die Differenzen in den Subbereichen „Aktivitäten“ und „Strukturierung der pädagogischen Arbeit“ mit jeweils 1,2 Skalenpunkten zugunsten der Integrationsgruppen. Im Unterschied zu den vorgenannten Untersuchungen wurden hier auch die durch Faktorenanalysen zusammengefassten Dimensionen berücksichtigt. Hier zeigt sich, dass die größten Vorteile der Integrationsgruppen bei struktur- und nutzungsbezogenen Merkmalen („Räumlich-materiale Ressourcen“) bestehen, während die Unterschiede in interaktionsbezogenen Merkmalen („Pädagogische Interaktionen“) eher gering ausfallen. Auch hier können einige Beispiele bei der Einordnung der Ergebnisse helfen. Die Dimension „Räumlich-materiale Ressourcen“ umfasst Merkmale wie „Raumgestaltung“, „Bausteine“ oder „Tagesablauf“. Die bessere Qualität in diesem Bereich geht zurück auf Gestaltungsaspekte des Gruppenraumes (Sauberkeit und Bewegungsfreiheit), auf die Vielfalt und Nutzung pädagogisch wertvoller Materialien (wie Bauklötze und Rollenspielutensilien) oder auf die Struktur der pädagogischen Arbeit (fließende Übergänge zwischen den Aktivitäten, Vermeidung langer Wartezeiten). Die Qualität der pädagogischen Interaktionen (mit Merkmalen wie „Begrüßung und Verabschiedung“, „Erzieher- Kind-Interaktionen“ oder „Verhaltensregeln und Disziplin“) bewegt sich hingegen in beiden Betreuungsformen auf einem relativ hohen Niveau. Zur Untersuchung von vermuteten Zusammenhängen zwischen pädagogischer Prozess- und Strukturqualität wurden zudem vertiefende Analysen vorgenommen (Smidt, im Druck). Diese zeigen, dass nach statistischer Kontrolle von (allerdings wenigen) Strukturmerkmalen, die sich auf die Anzahl der Kinder und ErzieherInnen pro Gruppe beziehen, die großen Qualitätsvorteile der Integrationsgruppen bei den „Räumlich-materialen Ressourcen“ erwaruj 11+12 (2008) 473 kindertagesbetreuung tungskonform leicht abnehmen, bei den „Pädagogischen Interaktionen“ jedoch entgegen der Erwartung zunehmen. Dieses Ergebnis ist aufgrund untersuchungsinterner Begrenzungen schwierig zu interpretieren, könnte jedoch auf komplexe Wechselwirkungen von Struktur- und Prozessmerkmalen zurückzuführen sein. Insgesamt wird der Qualitätsvorteil der Integrationsgruppen jedoch vor dem Hintergrund, dass eine gute pädagogische Qualität positive Auswirkungen auf kognitive und sozialemotionale Maße kindlicher Entwicklung hat, als bedeutsam eingeschätzt. Zusammenfassung und Ausblick Im Rahmen dieser vergleichenden Darstellung sollten einige Einschränkungen berücksichtigt werden. So sind die Ergebnisse der einzelnen Untersuchungen nicht direkt miteinander vergleichbar. Die im Allgemeinen administrativ regulierbaren Rahmenbedingungen des Betreuungsprozesses, z. B. die Größe der Einrichtungen und Gruppen, die Relation von ErzieherInnen und Kindern oder die berufliche Qualifikation der pädagogischen Fachkräfte, (Hayes/ Palmer/ Zaslow 1990, 85) erschweren in ihrer Heterogenität eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Auch wenn nur Studien berücksichtigt wurden, die mit KES und KES-R auf konzeptionell eng verwandte Untersuchungsinstrumente zurückgreifen, sind Abweichungen in der Beobachterschulung (etwa in Bezug auf die Bewertung, Gewichtung und Interpretation einzelner Merkmale) nicht auszuschließen (Early/ Maxwell/ Burchinal 2007, 565f). Die mit KES und KES-R eingeschätzte pädagogische Qualität besitzt - das verdeutlichen nationale und internationale Untersuchungen - eine gute Vorhersagekraft im Hinblick auf kognitive und sozialemotionale Maße kindlicher Entwicklung. Pädagogische Prozessqualität in integrativen Kindergruppen und Regelkindergruppen in Bayern Integrative Gruppen (n = 15) Regelgruppen (n = 15) Subbereiche M M KES-R Platz/ Ausstattung 5,0 4,2 Betreuung/ Pflege 3,5 2,7 Sprachl./ kognitive Anregungen 5,4 4,9 Aktivitäten 5,0 3,8 Interaktionen 4,4 4,3 Strukturierung der pädagogischen Arbeit 4,6 3,4 Pädagogische Interaktionen (F) 4,7 4,6 Räumlich-materiale Ressourcen (F) 4,8 3,6 Gesamtergebnis 4,6 3,9 Tabelle 3: Pädagogische Prozessqualität Smidt 2006, 51f; M = Mittelwert, F = Faktorenanalytische Dimension 474 uj 11+12 (2008) kindertagesbetreuung Die kurze Erläuterung der Untersuchungen versucht zu verdeutlichen, dass es vor allem strukturelle Bereiche sind, in denen integrative Kindergruppen Qualitätsvorteile gegenüber Regelgruppen aufweisen. In erster Linie bieten sich daher Interpretationsmuster an, die auf die Bedeutung von Merkmalen der pädagogischen Strukturqualität abzielen. Die im Durchschnitt bessere pädagogische Qualität der Integrationsgruppen kann auf die günstigere personelle Betreuung (weniger Kinder pro ErzieherIn) zurückgeführt werden, die eine bessere Anleitung und Unterstützung der Kinder ermöglicht. Hinzu dürften auch - bedingt durch die geringere Größe der Integrationsgruppen - großzügiger gestaltete Räume und eine größere Vielfalt an didaktischen Materialen kommen. Ebenso steht die zum Teil behinderungsspezifische Berufsausbildung des pädagogischen Kindergartenpersonals womöglich mit einer besseren Betreuungsqualität in Verbindung. Auf die Bedeutung von Rahmenbedingungen zielt schließlich auch die Annahme, dass die Betreuung von Kindern mit Behinderungen zu besonderen Anpassungen in der Gestaltung von Räumen und Funktionsbereichen führt, die positiv mit der realisierten pädagogischen Qualität für alle Kinder in Verbindung stehen. Insgesamt belegen die bisherigen Untersuchungen eine überwiegend gute pädagogische Qualität von integrativen Gruppen und - in Fällen des Vergleichs mit Regelgruppen - eine deutlich bessere Qualität. Dies implizieren auch weitere, nur auf Regelgruppen Bezug nehmende Untersuchungen (z. B. Schlecht u. a., 2003), deren Ergebnisse eher unterhalb der hier berichteten Resultate von Integrationsgruppen liegen. Um zu einer größeren empirischen Klarheit im Hinblick auf die diskutierten Einflüsse und Wechselwirkungen zu kommen, bedarf es zukünftig jedoch weiterer Studien, in denen die Entwicklungsbedingungen von Kindern mit Behinderungen in integrativen Gruppen über einen längeren Zeitraum und unter systematischer Kontrolle potenzieller Einflussgrößen untersucht werden. Literatur Cryer, D., 1999: Defining and assessing early childhood program quality. 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Münster Hoffmann, H., 2001: Ist doch alles eins! Oder: Was ist Fachlichkeit? Theoretische Überlegungen zu einem scheinbar ungelösten Problem in der Qualitätsdebatte. In: Hoffmann, H. (Hrsg.): Studien zur Qualitätsentwicklung von Kindertagesstätten. Neuwied, S. 15 - 49 Katz, L., 1996: Qualität der Früherziehung in Betreuungseinrichtungen: Fünf Perspektiven. In: Tietze, W. (Hrsg.): Früherziehung: Trends, internationale Forschungsergebnisse, Praxisorientierungen. Neuwied, S. 226 - 239 Kron, M./ McGovern, K./ Rohrmann, A./ Schädler, J., 1999: Ökonomisierung und Qualitätsentwicklung. Herausforderungen für Kindertageseinrichtungen zur Betreuung und Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung. Siegen Lamb, M. E./ Weßels, H., 2 1997: Tagesbetreuung. In: Keller, H. (Hrsg.): Handbuch der Kleinkindforschung. Bern, S. 695 - 717 Odom, S. L./ Bailey, D., 2001: Inclusive preschool programs. Classroom ecology and child outcomes. In: Guralnick, M. J. (Hrsg.): Early uj 11+12 (2008) 475 kindertagesbetreuung childhood inclusion. Focus on change. Baltimore, S. 253 - 276 Roßbach, H.-G., 2005: Effekte qualitativ guter Betreuung, Bildung und Erziehung im frühen Kindesalter auf Kinder und ihre Familien. In: Sachverständigenkommission Zwölfter Kinder- und Jugendbericht (Hrsg.): Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern unter sechs Jahren. München, S. 55 - 174 Schlecht, D./ Lasson, A./ Pattloch, D./ Tietze, W., 2003: Pädagogische Qualität in Kindertageseinrichtungen in der Zuständigkeit des Fachbereiches Kinder und Jugendeinrichtungen der Stadt Flensburg. www.flensburg.de/ imperia/ md/ content/ soziales/ qualitaetsuntersuchung_ kitas_mit_nach-erhebung.pdf, 19. 11. 2005, 37 Seiten Schlipfinger, V./ Zettl, M., 2000: Qualität der Integration behinderter Kinder in Kindergärten des Bundeslandes Salzburg - eine empirische Studie. Paris-Lodron-Universität Salzburg, Geisteswissenschaftliche Fakultät. Unveröffentlichte Diplomarbeit Smidt, W., 2006: Pädagogische Prozessqualität in integrativen Kindergartengruppen und Regelkindergartengruppen. Eine vergleichende Untersuchung. Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Fakultät Pädagogik, Philosophie, Psychologie. Unveröffentlichte Diplomarbeit Smidt, W., 2008: Pädagogische Qualität in integrativen Kindergärten und Regelkindergärten. In: Empirische Pädagogik (im Druck) Speck, O., 5 2003: System Heilpädagogik. Eine ökologisch reflexive Grundlegung. München Tietze, W. (Hrsg.), 1998: Wie gut sind unsere Kindergärten? Eine Untersuchung zur pädagogischen Qualität in Kindergärten. Neuwied Tietze, W., 2000: Analyse und Sicherung pädagogischer Qualität in den Tageseinrichtungen der Bremischen Evangelischen Kirche. www.ev. kiki-bremen.de/ cms/ 010329_KESlang.pdf, 9. 6. 2005, 106 Seiten Tietze, W./ Schuster, K.-M./ Grenner, K./ Roßbach, H.-G., 1997: Kindergarteneinschätzskala. Deutsche Fassung der Early Childhood Environment Rating Scale von Thelma Harms/ Richard M. Clifford. Neuwied Tietze, W./ Schuster, K.-M./ Grenner, K./ Roßbach, H.-G., 3 2005: Kindergarten-Skala. Revidierte Fassung. Deutsche Fassung der Early Childhood Environment Rating Scale Revised Edition von Thelma Harms/ Richard M. Clifford/ Debby Cryer. Weinheim Der Autor Wilfried Smidt Otto-Friedrich-Universität Bamberg Forschergruppe BiKS (Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Selektionsentscheidungen im Vor- und Grundschulalter) Jäckstraße 3 96045 Bamberg wilfried.smidt@uni-bamberg.de