unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2008
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Anti-Gewalt-Trainings mit Mädchen - Erfahrungen mit einem geschlechtsspezifischen Angebot
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2008
Klaus Fröhlich-Gildhoff
Simone Beuter
In diesem Beitrag werden die Erfahrungen mit und Evaluationsergebnisse aus der Durchführung von zwei Kursen eines "Anti-Aggressivitäts-" bzw. "Anti-Gewalt-Trainings" für Mädchen dargestellt. In der Kooperation zweier Träger der Jugendhilfe wurde das Programm "Freiburger Anti-Gewalt- Training" (FAGT, vgl. Fröhlich-Gildhoff 2006 a) geschlechtsspezifisch für die Zielgruppe gewalttätig auffällige Mädchen adaptiert. Prozess und Ergebnisse der Durchführung wurden vom Zentrum für Kinder- und Jugendforschung der EFH Freiburg - soweit anhand äußerer Rahmenbedingungen möglich - systematisch evaluiert.
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uj 9 (2008) 361 Unsere Jugend, 60. Jg., S. 361 - 372 (2008) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Anti-Gewalt-Trainings mit Mädchen - Erfahrungen mit einem geschlechtsspezifischen Angebot Klaus Fröhlich-Gildhoff/ Simone Beuter In diesem Beitrag werden die Erfahrungen mit und Evaluationsergebnisse aus der Durchführung von zwei Kursen eines „Anti-Aggressivitäts-“ bzw. „Anti-Gewalt-Trainings“ für Mädchen dargestellt. In der Kooperation zweier Träger der Jugendhilfe 1 wurde das Programm „Freiburger Anti-Gewalt- Training“ (FAGT, vgl. Fröhlich-Gildhoff 2006 a) geschlechtsspezifisch für die Zielgruppe gewalttätig auffällige Mädchen adaptiert. Prozess und Ergebnisse der Durchführung wurden vom Zentrum für Kinder- und Jugendforschung der EFH Freiburg - soweit anhand äußerer Rahmenbedingungen möglich - systematisch evaluiert. Anti-Gewalt-Trainings Theoretische Einbettung Mädchen und Gewalt Ausgelöst durch immer wiederkehrende Medienberichte, ist seit ca. fünf Jahren das Thema „Mädchengewalt“ stärker in den Fokus der öffentlichen wie der Fachdiskussion gerückt. Dabei wird insbesondere infolge spektakulärer Übergriffe von Mädchen über ein „rasantes“ Ansteigen der Gewalttaten, die von Mädchen und jungen Frauen verübt werden, diskutiert. Diese Diskussion ist nicht durch seriöse statistische Daten abgesichert; diese belegen einen derart dramatischen Anstieg nicht. Die amtliche Kriminalstatistik aus dem Jahr 2004 sagt aus, dass der Anteil der tatverdächtigen Frauen 2004 bei 23,8 % aller Tatverdächtigen lag; „seit 1993 wird ein Anstieg des Tatverdächtigenanteils von Mädchen und Frauen erkennbar, und zwar besonders, wenn Ladendiebstahl herausgerechnet wird“ (BMI 2005, 24; Zahlen: 1993: 21,4 %, 2003: 23,6 %). Die Statistik zeigt weiter auf: „Leicht überdurchschnittlich sind die Tatverdächtigenanteile weiblicher Personen bei Kindern ab 10 Jahren, bei Jugendlichen unter 16 Jahren und bei Erwachsenen ab 40 Jahren“ (ebd., Zahlen: Anteil der weiblichen Tatverdächtigen im Alter von 12 bis 14 Jahren: 32,6 %; im Alter 14 bis 16 Jahren: 30 %; bei Heranwachsenden im Alter von 18 bis unter 21 Jahren geht dieser Anteil auf 20,1 % zurück; ebd., 23ff). Der Anteil von Frauen an Gewaltdelikten betrug im Jahr 2004 12,9 %, bei schwerer Körperverletzung 14,0 % (ebd.). Die Anzahl der Straftaten ist bei Jugendlichen insgesamt im Vergleich 2003 zu 2004 1 Projektträger waren das Nachbarschaftswerk Freiburg e.V. und die Mobile Jugendarbeit Freiburg-Weingarten-Ost; ein besonderer Dank geht an die Mitarbeiterinnen Renate Matt und Renate Janca. Das Projekt wurde finanziell gefördert durch die Landeskriminalprävention Baden-Württemberg. 362 uj 9 (2008) Anti-Gewalt-Trainings um 1,1 %, bei Heranwachsenden um 1,2 % gestiegen. In ihrer sorgfältigen Analyse über längere Zeiträume kommen auch Bruhns und Wittmann (2002) zu dem Gesamtergebnis, dass gewalttätiges Verhalten von Mädchen zwar zugenommen hat, aber die in den Medien beschriebene Dramatik keine empirische Basis hat. Eine Vielzahl von Studien belegt, dass offen-aggressives Verhalten in weitaus höherem Maß von Jungen praktiziert wird als von Mädchen; die Angaben zum Geschlechterverhältnis schwanken zwischen 2 : 1 bis hin zu 4 : 1. Übereinstimmend lässt sich feststellen: Während die Geschlechtsdifferenzen hinsichtlich der Formen und der Intensität der Aggressionen bei Kleinkindern noch relativ gering sind (Krahé 2001), so zeigt sich: „Bereits ab dem Vorschulalter haben Jungen die Tendenz, signifikant mehr antisoziales Verhalten zu zeigen als Mädchen. … Darüber hinaus erreichen die Symptome der Störung des Sozialverhaltens einen signifikant höheren Schweregrad bei Jungen, insbesondere wenn es um die körperliche Verletzung anderer geht“ (Essau/ Conradt 2004, 56; ebenso Krahé 2001). Diese Unterschiede relativieren sich etwas zu Beginn der Pubertät: „Vor allem nimmt während der Adoleszenz das aggressive Verhalten bei Mädchen - im Gegensatz zu männlichen Jugendlichen - sprunghaft zu. … In dem weiteren Verlauf entsprechen diese spät auftretenden Mädchenaggressionen dem Entwicklungsweg ‚früh auftretende, stabile Aggression‘ der Jungen“ (Petermann u. a. 2001). Nach einer Studie von Crick/ Grotpeter (1995) ist es allerdings so, dass Mädchen signifikant deutlicher relational aggressives Verhalten (Verhalten, das dazu dient, andere auszugrenzen und Beziehungen zu zerstören) zeigen als Jungen (s. a. Krahé 2001, 59ff). Mädchenspezifische Gewaltformen sind also eher Intrigen-Spinnen, Mobbing etc. (s. a. Bruhns/ Wittmann 2002; Kleiter 2002). Das Ausmaß und die Art des gezeigten aggressiven Verhaltens sind zusätzlich abhängig vom Alter und dem Einfluss der Gleichaltrigengruppe: „Für Mädchen scheint die Gleichaltrigengruppe … eine besondere Rolle im Zusammenhang mit delinquentem Verhalten zu spielen: Mädchen begehen Straftaten eher aus gemischtgeschlechtlichen Gruppen heraus, im Gegensatz zu Jungen, die diese eher aus Gruppen heraus begehen, die aus gleichaltrigen Jungen bestehen“ (Scheithauer 2003, 163). In einer Alters-Vergleichsstudie bei Jungen und Mädchen der zweiten, sechsten, neunten und elften Jahrgangsstufe konnten Russel und Owens (1999) ermitteln, dass „Mädchen zwar in stärkerem Maße körperliche Aggressionen ge- Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff Jg. 1956; hauptamtlicher Dozent für Klinische Psychologie und Entwicklungspsychologie an der EFH Freiburg, Approbation als Psychologischer Psychotherapeut und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Leiter des Zentrums für Kinder- und Jugendforschung an der EFH Freiburg Simone Beuter Jg. 1979; Diplom-Sozialpädagogin/ Sozialarbeiterin mit Zusatzqualifikation zur Erlebnis- und Umweltpädagogin, momentan als Schulsozialarbeiterin an einer Brennpunktschule tätig uj 9 (2008) 363 Anti-Gewalt-Trainings gen Jungen, aber mehr verbale und indirekte Aggression gegen Mädchen richteten. Jungen hingegen richteten in stärkerem Ausmaß ihre Aggression gegen andere Jungen. … Jungen scheinen sich gegenüber Mädchen weniger aggressiv zu verhalten als gegenüber Jungen“ (ebd., 164; s. a. Nungeßer 2007; Bruhns/ Wittmann 2002; Bruhns 2003). Bei der Betrachtung der Ursachen für das im Vergleich zu früheren Studien stärker beobachtbare offene und körperbezogene Gewaltverhalten von Mädchen kann zunächst einmal davon ausgegangen werden, dass die der Gewalt zugrunde liegenden Faktoren eine Gültigkeit für Jungen und Mädchen haben; dabei gibt es keine monokausalen Erklärungen (ein multidimensionales, biopsychosoziales Erklärungsmodell hat Fröhlich-Gildhoff (2006 b) anhand der vorliegenden Forschungsergebnisse beschrieben). So kommen Bruhns/ Wittman (2002) aufgrund ihrer Studie zu dem Ergebnis: Auch die weiblichen Jugendlichen aus gewaltbereiten Gruppen sind „problembelasteter … aufgrund familiärer Konfliktsituationen, Gewalterfahrungen in der Familie, problematischer Erziehungsstile und unzureichender elterlicher Unterstützung vor dem Hintergrund prekärer ökonomischer Verhältnisse und schulischer Probleme“ (ebd., 269; s. a. Silkenbeumer 2000). In Bezug auf das gewalttätige Verhalten von Mädchen werden dann vor allem gesellschaftliche Anforderungen, besonders die Bewältigung ambivalenter Rollenanforderungen, diskutiert. Bei einer „Angleichung der Lebenslagen von Mädchen und Jungen“ (ebd.) und einer generellen Zunahme von individuellen Verhaltensmöglichkeiten in der multioptionalen Gesellschaft (z. B. Keupp 2002) wird Gewalttätigkeit auch für Mädchen zu „einer Handlungsoption unter anderen“. In Verbindung damit spielen für Mädchen die erlebten Gewalterfahrungen in der Familie eine besondere Rolle - als Bewältigungsform kommt nicht (mehr) nur die Internalisierung in Frage, sondern auch die „Re-Inszenierung“ der erlebten Gewaltbereitschaft. Insbesondere in Gruppen oder Cliquen - wobei Gewalt eher in Jungen- oder gemischtgeschlechtlichen Gruppen ausgelöst wird - kann das gewalttätige Handeln zur Sicherung von Selbstwert und zur Identitätsbildung dienen. „Ein gewaltbejahendes Gruppenklima und die Bestätigung gewaltintegrierender Weiblichkeitskonstruktionen durch die Jugendgruppe wie auch die Achtung durch das jugendliche soziale Umfeld“ (Bruhns/ Wittmann 2002, 273) entfalten hier ihre Wirkung. Anti-Gewalt-Trainings In den letzten Jahren sind eine Reihe von Anti-Aggressivitäts- oder Anti-Gewalt- Trainings entstanden und mehr oder weniger gut evaluiert worden. Diese Programme haben präventiven Charakter (z. B. „Faustlos“, vgl. Cierpka 2001) oder sind Interventionsprogramme, die wiederum eher einen konfrontativen (z. B. Heilemann/ Fischwasser-von Proeck 2001) oder ganzheitlichen Ansatz (z. B. Petermann/ Petermann 2001; Fröhlich-Gildhoff 2006 a; Übersicht bei Fröhlich-Gildhoff 2006 b) haben. Diese Programme sind nicht geschlechtsspezifisch ausgerichtet. Erst in jüngster Zeit sind spezifische Trainingsprogramme für Mädchen entwickelt oder adaptiert worden (z. B. Caritasverband Brandenburg 2004; Gehring-Decker u. a. 2006). Darstellung des Projekts Ausgangspunkte Die Projektidee wurde im Jahr 2005 aus der Beobachtung einer Zunahme weib- 364 uj 9 (2008) Anti-Gewalt-Trainings lichen Gewaltverhaltens in den Arbeitsbezügen der Projektinitiatorinnen (Mädchenarbeit und Mobile Jugendarbeit im Stadtteil Freiburg-Weingarten) heraus geboren. Zur Überprüfung dieser subjektiven Einschätzung einer erhöhten Gewaltbereitschaft unter jungen Mädchen wurden Daten aus der Freiburger Kriminalstatistik (2003 - 2004) hinzugezogen, die diese Vermutung auch faktisch belegten. Da es im Freiburger Raum keine „ausgebildeten“ Anti-Gewalt-TrainerInnen gab und auch noch kein gut evaluiertes Programm für diese Zielgruppe existiert, beschlossen die Projektinitiatorinnen, das Anti-Gewalt-Training für Mädchen selbst durchzuführen. Als Orientierung diente das bereits bestehende Konzept des „Freiburger Anti-Gewalt-Trainings (FAGT)“ nach Fröhlich-Gildhoff (2006 a), zu welchem die Trainerinnen und die in die Elternarbeit miteinbezogenen Erziehungsberaterinnen zunächst eine Fortbildung besuchten. Das Freiburger Anti-Gewalt-Training (FAGT) Das FAGT ist ein ganzheitlich ausgerichtetes Interventionskonzept. D. h., das Training setzt nicht nur am aggressiven Verhalten an, sondern es wird der junge Mensch an sich mit seinen Ressourcen und Stärken in Verbindung mit seinem Umfeld betrachtet (multimodale Betrachtungsweise). Das Training dient in erster Linie der Verbesserung der Konfliktbewältigungsfähigkeit und somit einer besseren Integration der Betroffenen in ihr Umfeld. Es hat nicht das Ziel einer grundlegenden Persönlichkeitsveränderung, kann jedoch als „Anstoß“ für die betroffenen Kinder und Jugendlichen dienen, zukünftig neue Formen der Welt-Begegnung auszuprobieren und damit Selbst-Veränderungen zu initiieren. Das FAGT richtet sich an Kinder und Jugendliche im Alter von ca. 10 bis 16/ 17 Jahren. Es wird als Gruppentraining durchgeführt. Die Gruppengröße sollte zwischen 6 bis 8 TeilnehmerInnen liegen (mindestens 4, maximal 10). Es wird immer mit zwei LeiterInnen (TrainerInnen) gearbeitet. Das Training umfasst in seiner Ursprungsform nach Einzel-Vorgesprächen und einer entsprechenden Diagnostik mit den betroffenen Kindern/ Jugendlichen (und möglichst auch deren Eltern) 10 Gruppensitzungen von je 90 Minuten Dauer und eine zusätzliche Abschlussaktivität; ergänzend werden zwei Elternabende durchgeführt. Optional kann das Programm durch eine Sitzung zur „Auffrischung“ und zur Betrachtung langfristiger Effekte ergänzt werden. Die 10 Sitzungen sind inhaltlich klar strukturiert (Anfangs- und Schlussrituale, Kopplung von Übungen und Reflexion, Integration von Entspannungsmethoden usw.) und haben als Themen Selbst-/ Fremdwahrnehmung, Selbstwertstärkung, Verbesserung der Selbststeuerung, Ausbau und Verbesserung von sozialen Kompetenzen, vor allem Konfliktlösungskompetenzen; gerade beim letzteren Schwerpunkt wird stark mit videounterstützten Rollenspielen gearbeitet. Ansatzpunkt ist die jeweilige Situation der Kinder/ Jugendlichen, deren Themen sollen Gegenstand der Gruppenarbeit werden. Das Programm ist mit einem Verstärkungs-/ Belohnungssystem gekoppelt. Methodisch wird mit vorgegebenen Übungselementen gearbeitet, die in einem Trainingsmanual ausführlich beschrieben sind; es erfolgt ein Wechsel zwischen erfahrungsorientierten Elementen und Reflexionsphasen. Die Trainerhaltung ist durch das Prinzip von Wertschätzung und Konfrontation (s. o.) gekennzeichnet. Konflikte unter den TeilnehmerInnen bzw. zwischen TrainerInnen und TeilnehmerInnen werden unmittelbar aufgegriffen und - wenn nötig durch strukturierte De-Eskalationsverfahren - bearbeitet. Weiterentwicklung für die Arbeit mit Mädchen Das ursprüngliche FAGT-Konzept wurde für die Arbeit mit der homogenen Mädchengruppe weiterentwickelt. Die Besonuj 9 (2008) 365 Anti-Gewalt-Trainings derheiten und Chancen einer geschlechtsspezifischen Arbeit werden in verschiedenen Studien deutlich, und es werden Konsequenzen beschrieben: „Maßgeblich für geschlechtsspezifische Angebote muss sein, dass sie Mädchen wie Jungen aus der üblichen Interaktion herausnehmen und sie somit von einem Inszenierungsdruck entlasten. … Schwerpunkte innerhalb eines geschlechtsbezogenen Ansatzes sollte die Wahrnehmung und Wertschätzung des eigenen Körpers, die Steigerung des Selbstwertes … sein“ (Raithel 2005, 215). Konkret wurde die Anzahl der Sitzungen des FAGT auf 14 erhöht und die gemeinsame Abschlussaktivität wurde als zusätzliches gemeinsames Intensivwochenende durchgeführt. Diese Veränderungen hatten das Ziel, mädchenspezifische Elemente stärker zu integrieren. So bekam die Körperarbeit einen stärkeren Stellenwert (s. u.) und die Mädchen erhielten Möglichkeiten, sich dezidierter mit ihrer Geschlechtsrolle auseinanderzusetzen. Es wurden u. a. besondere thematische Einheiten zum (An-)Erkennen der mädchenspezifischen Formen von Gewalt dem Programm hinzugefügt, eine ebenso bedeutsame Ergänzung waren Übungen und Reflexionen zu der Frage, wie es gelingen kann, sich adäquat zu wehren, ohne typisch männliche körperliche Formen von Gewalt zu zeigen. Ergänzend wurden zum einen bedarfsorientiert Einzelfallhilfen angeboten. Zum anderen sollten die Eltern der Mädchen an einem begleitenden Elternkurs, der durch Mitarbeiterinnen der Erziehungsberatungsstelle im Stadtteil angeboten wurde, teilnehmen. Den Kursleiterinnen wurden vom zuständigen Jugendamt, von Schulsozialarbeiterinnen, der Jugendgerichtshilfe und dem Jugendsachbearbeiter der Polizei für die beiden Kurse mit einer Aufnahmekapazität von max. 18 Mädchen mehr als 60 Mädchen mit einer erhöhten Aggressionsproblematik zur Teilnahme am Anti- Gewalt-Training vorgeschlagen. Die Mädchen wurden von den Trainerinnen telefonisch kontaktiert; mit einer Auswahl wurden intensive Erstgespräche geführt, anhand derer letztlich die Auswahl für die Kursteilnahme getroffen wurde. Wichtigste Kriterien für die Auswahl der Teilnehmerinnen waren beispielsweise Freiwilligkeit, Motivation und Veränderungsbereitschaft; z. T. aber auch gerichtliche Auflagen. Die im Folgenden dargestellte Evaluation bezieht sich auf zwei Kurse mit insgesamt 14 Teilnehmerinnen. Evaluationsdesign Die zentrale Fragestellung der Evaluation bestand darin, herauszufinden, ob das durchgeführte Training Auswirkungen auf die Einstellung und das Verhalten der teilnehmenden Mädchen hatte. Darüber hinaus sollten, wenn möglich, spezifische Wirkfaktoren identifiziert werden. Zur Analyse wurde sowohl eine Verlaufsals auch eine Ergebnisevaluation durchgeführt; methodisch wurde ein Kombinationsdesign (vgl. Fröhlich-Gildhoff 2006 c) mit der Anwendung qualitativer und quantitativer Methoden gewählt. Die Daten wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten und aus mehreren Perspektiven (Datentriangulation) erhoben; ein Kontrollgruppendesign (vgl. Fröhlich-Gildhoff 2007) konnte allerdings unter den Praxisbedingungen des vorliegenden Projekts - es war nicht möglich, im Zeitverlauf des Projekts eine adäquate Vergleichsgruppe zusammenzustellen - und aufgrund fehlender Ressourcen nicht realisiert werden. Konkret kamen folgende Methoden zum Einsatz: 1. teilstandardisierte Erstgesprächsbögen (insgesamt 13 Bögen), 2. standardisierte Fragebögen zur Trainingsevaluation (Einschätzungsbogen für Trainerinnen - EBT ; es lagen insgesamt 22 Bögen 366 uj 9 (2008) Anti-Gewalt-Trainings von 28 Sitzungen zur Auswertung vor) sowie 3. leitfadengestützte Interviews mit den Trainerinnen, Teilnehmerinnen und Psychologinnen der Erziehungsberatungsstelle zur Erfassung von Verlauf und Wirksamkeit des Trainings/ Projekts. In die Stichprobe konnten 14 Teilnehmerinnen der zwei Kurse einbezogen werden mit einer Altersspanne von 13 bis 17 Jahren (Mittelwert 15,2 Jahre). Mit zwei Ausnahmen hatten alle Mädchen einen Migrationshintergrund. Acht Mädchen besuchten die Hauptschule, zwei Mädchen die Förderschule und ein Mädchen die Realschule. Zu zwei Mädchen lagen bezüglich der Schulform keine Angaben vor; ein Mädchen war zum Zeitpunkt des Trainings unbeschult. Nur vier Teilnehmerinnen lebten in vollständigen Herkunftsfamilien; sechs mit alleinerziehenden Müttern und zwei in „Patchworkfamilien“ (bei zwei lagen keine Angaben vor). Aufgrund der Erstgespräche mit den Teilnehmerinnen berichteten die Trainerinnen von zum Teil brutalen Gewalterfahrungen, die manche Mädchen schon in ihrer frühen Kindheit gemacht hatten. Ergebnisse Ausgangssituation Die befragten teilnehmenden Mädchen berichteten (mit einer Ausnahme) davon, gut in Peergroups integriert zu sein. Freunde und Freundinnen spielten bei der Freizeitgestaltung eine große Rolle. Sie benannten in der Mehrzahl keine Hobbys; „Rumhängen“ und/ oder gemeinsames Shoppen sind bevorzugte Freizeittätigkeiten. Vier Mädchen bewerteten die Schule positiv; ihnen standen fünf Mädchen gegenüber, die angaben, Probleme in der Schule und/ oder mit ihren LehrerInnen/ ErzieherInnen zu haben. Zumindest acht von 13 Mädchen betrachteten ihre Aggression bzw. Gewalttätigkeit als Problem; für zwei Mädchen stellte Gewalt aber auch ein adäquates Handlungsmittel zur Problemlösung dar; diese beiden nahmen in erster Linie aufgrund gerichtlicher Weisung am Kurs teil. Aus den Erstgesprächsbögen ging hervor, dass die meisten Mädchen mit dem Kurs die Hoffnung verbanden, sich zu ändern bzw. zu „lernen, die Dinge ohne Faust zu regeln“ oder „sich besser im Griff“ zu haben. In direktem Zusammenhang mit ihrer Gewaltbereitschaft sahen sie ihre eigene Unbeherrschtheit, zu wenig Selbstsicherheit, schnelles Zuschlagen und Ausrasten als die Hauptprobleme. Alle Mädchen wurden gezielt nach den „Auslösern“ bzw. Anlässen für das aggressive/ gewalttätige Verhalten befragt; dabei zeigte sich, dass sich die Kursteilnehmerinnen ausnahmslos durch andere auf unterschiedliche Weise provoziert (Beleidigungen, „blöde Blicke“ „Verletzung der Familienehre“) gefühlt hatten und deshalb „ausgerastet“ waren. Die Hälfte der Mädchen schätzte sich selber als „unbeherrscht“ und „schnell ausrastend“ ein. Zwei Mädchen sahen das Problem darin, dass sie „halt einfach nichts zu tun“ hatten und es daher schon ausreichte, „wenn uns welche so dumm angemacht haben“ (A.). Blöde Bemerkungen oder Beleidigungen (insbesondere der Familie) standen als Auslöser für aggressives Verhalten gleich an zweiter Stelle: „Und wenn die Leute dann immer weiter provozieren, mich oder meine Mutter als Schlampe beschimpfen, dann hab ich einfach die Wut draufzuschlagen“ (N.). Auch die Trainerinnen sahen als Hauptauslöser für das aggressive Verhalten der Mädchen ihre hohe Sensibilität gegenüber Provokationen: Bereits kleinste Reize konnten dabei ausreichend sein: „Also der Reiz kommt, die Provokation oder was weiß ich, und es gibt keinen Zwischenstopp mehr, sondern es ist eben sofort dieses: ‚Ich hol aus und schlag zu! ‘“ (I2- TR2). uj 9 (2008) 367 Anti-Gewalt-Trainings Alle befragten Mädchen hatten in ihrem Leben bereits körperliche Gewalt angewandt, mindestens vier von ihnen wiederholt und wiederum zwei von ihnen mit schlimmeren Folgen für das Opfer: „Wenn einer nicht gemacht hat, was ich will oder so, da bin ich gleich durchgedreht. … Nur wegen einer Beleidigung hab ich ein Mädchen ins Krankenhaus geschlagen“ (S.). Die meisten der befragten Mädchen hatten bereits mindestens eine Anzeige wegen Körperverletzung erhalten und somit schon Erfahrungen mit gerichtlichen Verfahren gesammelt. Befragt nach ihrer Teilnahmemotivation wurde in den Erstgesprächen deutlich, dass alle Mädchen zwar lernen wollten, ihre Aggressionen in den Griff zu bekommen, zwei Drittel jedoch keine Vorstellungen hatten, wie sie dieses Ziel erreichen könnten. Acht der befragten Mädchen erhofften sich jedoch, sich nach Teilnahme am Anti- Gewalt-Training besser und ruhiger zu fühlen. Die Hauptmotivation zur Teilnahme am Anti-Gewalt-Training war nach Einschätzung der Trainerinnen für die meisten Mädchen nicht unbedingt die Furcht vor Gerichtsverfahren oder Schulverweisen, sondern die eigene emotionale Verfassung nach Konflikteskalationen. Allerdings war die Teilnahmemotivation im zweiten Kurs deutlich fremdbestimmter; drei von sieben Teilnehmerinnen nahmen nach gerichtlichen Weisungen an diesem Kurs teil. Die vier Mädchen jedoch, die den Kurs gemäß der Vorgaben zu Ende brachten, nahmen mit großer Eigenmotivation teil. Kursverlauf Die Trainerinnen schätzten anhand von 16 standardisierten Fragen im Dokumentationsbogen EBT die Kurseinheiten ein. Dabei zeigte sich: • Ein pünktlicher Beginn mit allen Mädchen war nur bei 5 von 22 Kurseinheiten möglich. • Die Trainerinnen waren insgesamt zufrieden mit der Beteiligung der Mädchen an den Übungen. In knapp der Hälfte der Kurseinheiten (45,5 %) beobachteten die Trainerinnen eine aktive Beteiligung, in knapp einem Drittel (31,8 %) sogar eine äußerst aktive Beteiligung. • Der Unterstützungsgrad unter den Mädchen war nach Einschätzung der Trainerinnen hoch. • Schwere Beleidigungen innerhalb der Gruppe kamen bei 21 ausgewerteten Einheiten nur dreimal vor, in über 85 % der Kurseinheiten kam es innerhalb der Gruppe zu keinen Beleidigungen. • Die Mädchen offenbarten sich in 80 % der Kurseinheiten mit persönlichen Dingen; dies spricht für ein hohes Vertrauensverhältnis in der jeweiligen Gruppe. • In ca. 75 % der durchgeführten Trainingseinheiten waren die Trainerinnen mit der Kursgestaltung, ihrem Auftreten und der Bewältigung von Schwierigkeiten sehr zufrieden. • Die Bereitschaft der Mädchen, eigene Fehler einzugestehen, war nur in der Hälfte der Kurseinheiten erkennbar. Im nachgehenden Interview wurde das Programm FAGT von den Trainerinnen grundsätzlich als sinnvoll für die Zielgruppe gewalttätiger Mädchen betrachtet. Besonders wichtig ist dabei ein hohes Maß an Flexibilität; es muss konkret an den Bedarfen der jeweiligen Gruppe angesetzt werden. Befragt nach besonders guten Trainingselementen, benannten die Trainerinnen in erster Linie die videounterstützten, an der Realität der Mädchen orientierten Rollenspiele in Kombination mit konfrontativen Elementen. Auch wenn die Mädchen der Kamera je nach aktueller Verfassung ab- 368 uj 9 (2008) Anti-Gewalt-Trainings weisend gegenüberstanden, so war die Aufzeichnung der Rollenspiele dennoch unabdingbar, um Selbst- und Fremdwahrnehmung intensiver thematisieren zu können: „Hilfreich ist, wenn sie sich selber in dieser Situation sehen, wenn sie sich selber anschauen müssen, wie sie, ja, schlagend als Furie zugange sind und dann auch das Opfer anschauen; umgekehrt aber auch wieder in die Opferrolle kommen und Gefühle darstellen. Also ganz oft kommen die Mädchen schlecht an ihre Gefühle ran. Besonders an solche Gefühle wie Trauer, Angst usw. Die Mädchen haben ja alle keine Angst, sagen sie am Anfang immer gleich. Und wenn sie an diese Gefühle rankommen und das mehr und mehr auch erspüren, erst dann sind solche Prozesse, also Empathie zu entwickeln, möglich“ (I1- TR2). Zudem waren mädchenspezifische Elemente - wie z. B. die besondere Betonung der Körperlichkeit - integriert worden: „Die Besonderheit ist, dass natürlich irgendwie viele Mädchen in dem Alter Probleme haben mit ihrem Körper. Also ganz oft finden die sich ja zu dick, zu klein, zu dünn, zu hässlich, zu was weiß ich. Und was ich ganz wichtig finde bei Mädchen ist, dass man mit denen viel Körperarbeit macht. Dass sie eine positive Beziehung zu ihrem Körper aufbauen können. Weil das auch so ein bisschen Voraussetzung ist für eine gute Eigenwahrnehmung, für ein Selbstbewusstsein, aber auch für eine ausgeglichene Seele, wenn man sich so annehmen kann, wie man ist“ (I2-TR2). Fokussiert wurde in diesem Zusammenhang die Verbesserung der Selbstwahrnehmung. Beispielsweise sollten die Mädchen in einem großen Körperbild einzeichnen, wo ihre Gefühle wie Wut, Trauer, Angst sitzen, wodurch den Mädchen eine sensibilisiertere Körperwahrnehmung ermöglicht werden sollte. Auch Entspannungsübungen waren für die Mädchen wichtig, um die eigene körperliche Ruhe zu erfahren und zu lernen, sie durch bewusste Atmung herbeizuführen. Auch die Teilnehmerinnen beschrieben vor allem die Rollenspiele und damit verbunden die Konfrontation mit der eigenen Gewaltbereitschaft als besonders hilfreiches Element. Die meisten befragten Mädchen nannten insbesondere jene Rollenspiele als hilfreich, aber auch „hart“, bei denen sie selbst in die Opferrolle gebracht wurden: „Und seitdem wissen wir auch, wie es ist, wie man sich da fühlt und so“ (C.). Allerdings wurde gleichfalls deutlich, dass diese Rollenspiele und auch andere Übungen noch intensiver reflektiert werden müssen, sonst wirken die Spiele als Selbstzweck und deren Bedeutung für die Mädchen selber kann von diesen nicht erkannt werden. Positiv waren ebenfalls der Austausch und die Gespräche. Hilfreich war, mit Mädchen in einer gleichen Ausgangssituation - identifizierte Gewalttäterinnen - zusammen zu sein. Als hilfreich wurden gleichfalls die kontinuierlichen Rituale gesehen - „dass man immer am Anfang so eine Runde gemacht hat, wo man erzählen konnte, wie es einem geht, ob man was mitgenommen hat vom letzten Mal“ (K.). Auch hier ergibt sich ein Hinweis auf einen Bedarf nach Struktur. In den Interviews wurden große Differenzen im Reflexionsniveau der Mädchen deutlich. Dies bedeutet bei der Konzipierung des Trainings und in der praktischen Arbeit, dass ein sehr differenzierender Zugang gewählt werden muss. Im Schnitt bewerten die Mädchen den Kurs mit der Schulnote 1,6 - die Noten liegen zwischen „1 mit Stern“ und 2,0. Effekte und „Lernerfolge“ Die Trainerinnen berichten auf qualitativer Ebene von positiven Veränderungen in der Selbstsicht der Mädchen. Sie würden sich, uj 9 (2008) 369 Anti-Gewalt-Trainings ihr Verhalten und ihr Umfeld realistischer sehen und weniger Gewalt zeigen. Das Feedback vonseiten der Mädchen, Eltern und Schulsozialarbeit war positiv. Die meisten Mädchen berichteten den Trainerinnen, dass sie in Konfliktsituationen ruhiger geworden und eher bereit seien zu reden. Bei den Mädchen waren nach Beendigung des Trainings bis zum Interviewzeitpunkt (drei Monate später) keine Gewalthandlungen mehr aufgetreten bzw. war den Trainerinnen darüber nichts bekannt. Diese deutlich positive Entwicklung führten die Trainerinnen aber nicht allein auf das Training zurück, sondern auch auf andere Umstände, so z. B. dass die Mädchen älter geworden seien, die Schule gewechselt haben, o. Ä. Wichtig war für die Mädchen und ihr Selbstbewusstsein nach Einschätzung der Trainerinnen vor allem die Erfahrung, sich in einer Gruppe positiv behaupten zu können, ohne sich verbaler oder physischer Gewalt bedienen zu müssen. Es ist aus Sicht der Trainerinnen die Frage, wie nachhaltig diese Erfolge zu sehen sind. „Dass ihnen das hilft, mit Konfliktsituationen teilweise besser umzugehen …, das glaub ich schon. Ja. Nur wenn sie jetzt wieder in eine ganz große Stresssituation reinkommen, dann weiß ich nicht …“ (TR2). Einige Mädchen hätten weitergehende Einzelunterstützung gebraucht, die jedoch nicht zu organisieren war. Hinsichtlich der Zielerreichung konnten die Mädchen konkrete Entwicklungen aufzeigen. Sie würden weniger bzw. nicht mehr schlagen; sie konnten auch klare Elemente benennen, wie z. B. das „Stopp-Sagen“; insgesamt erleben sie eine bessere Eigenkontrolle. Bei fast allen wird eine längere Frustrationstoleranz deutlich. N. beispielsweise erzählte: „Ich kann meine Aggressionen nun länger bei mir behalten“ im Gegensatz zu „Früher, da bin ich gleich aufgestanden und hab zugeschlagen“. Alle befragten Mädchen gaben an, dass sie nun nicht mehr so schnell aggressiv würden und versuchten, Situationen eher durch Reden zu klären oder ihnen aus dem Weg zu gehen bzw. sie „anders zu denken“. So erzählte K.: „Ich lass das jetzt einfach an mir abprallen, weil ich denke, das nützt nichts. Und das ist das, was ich da gelernt hab. … Dass man in sich sagt: ‚Stopp! So kann’s nicht gehen.‘ Oder einfach sich seinen Teil denkt oder der Person sagt, sie soll jetzt aufhören, weil man das nicht mag oder so.“ Vier Mädchen berichteten im Interview - im Unterschied zu den Trainerinnen -, dass sie während oder nach Abschluss des Anti-Gewalt-Trainings nach eigenen Angaben nochmals in (mindestens) eine körperliche Auseinandersetzung geraten seien, die jedoch „nicht so schlimm ausgegangen“ sei. Die Mädchen beschrieben sehr deutlich, dass der Aufwand zur Veränderung - also nicht mehr gewalttätig eskalierend in Konfliktsituationen zu handeln - hoch sei. Sie berichteten, dass es sie häufig mehr Kraft kostet, einem Konflikt aus dem Weg zu gehen, als sich mit vollem Körpereinsatz hineinzubegeben. So z. B. S.: „Da sind zwei Mädchen in der Schule, die regen mich voll auf, schon länger. Ich hab mich beherrscht, die nicht zu schlagen, auch nicht anzufangen. Ich hab sie einfach reden lassen. Früher hätt ich gleich draufgeschlagen. … Das fühlt sich voll komisch an … Schon positiv, aber ich merk, dass es komisch ist so. Ein komisches Gefühl. … Gut, dass meine Cousine da ist, die lenkt mich dann immer ab.“ In diesem ständigen Kraftakt ist auch der Grund zu sehen, weshalb den Mädchen eine gewaltfreie Konfliktlösung nicht immer gelingen mag. Das Projekt insgesamt wurde durch die beteiligten Erziehungsberaterinnen gleichfalls positiv gesehen. Die Erziehungsberaterinnen führten Zitate von Müttern der beteiligten Mädchen an, die einen positiven Einfluss feststellten. 370 uj 9 (2008) Anti-Gewalt-Trainings Probleme Eine Reihe von Problemen ergab sich hinsichtlich Kooperation und Vernetzung: Während die Zusammenarbeit mit der Erziehungsberatungsstelle im unmittelbaren Umfeld gut gelang, erwies sich die Kooperation mit Justiz und Jugendgerichtshilfe als deutlich schwieriger; so waren die Informationswege nicht immer verbindlich genug, und es war schwierig bis unmöglich, nötige Nachfolgemaßnahmen im Rahmen der Hilfen zur Erziehung einzurichten. Die Trainerinnen berichteten, dass es nicht systematisch gelungen sei, die Eltern einzubeziehen. Die Zusammenarbeit mit den Eltern war von vornherein kooperativ geplant; die im Stadtteil ansässige Erziehungsberatungsstelle sollte die Elternarbeit in Form eines Kursangebotes durchführen. Trotz Vorgesprächen kam keine kontinuierliche Elterngruppe zustande. Dies lag an der zu großen Heterogenität (Teilnehmerinnen mit sehr unterschiedlichem kulturellem Hintergrund), den im Nachhinein als zu hoch eingeschätzten Anforderungen sowie Problemen im Umgang mit dem Thema Gewalt: Gewalt in den Familien wurde entweder tabuisiert oder als adäquates Handlungsmuster zur Konfliktlösung angesehen. Wirkungsvoller erwies sich aus Sicht der Erziehungsberaterinnen „Einzelcoaching“. Fazit Ziel des Projekts war es, ein geschlechtsspezifisches Angebot für gewalttätige Mädchen zu entwickeln und mögliche Wirkungen zu überprüfen. Es konnten bisher zwei Anti-Gewalt-Trainings-Kurse erfolgreich durchgeführt werden; die Teilnehmerinnen wiesen „typische“ Merkmale und Eigenschaften auf, wie sie auch in anderen Studien bei gewalttätigen Mädchen beschrieben wurden. Das Trainingsprogramm orientierte sich am „Freiburger Anti-Gewalt-Training“ (FAGT, Fröhlich-Gildhoff 2006 a). Dieses Grundkonzept wurde an die Zielgruppe Mädchen und jeweils flexibel auf die Gruppensituation angepasst. Dies verlangt von den Trainerinnen eine hohe Reflexionsfähigkeit und (situationsgebundene) Variabilität im Umgang mit dem vorgegebenen Manual. Eine solch flexible, gruppenwie individuumsbezogene Adaptation des Manuals entspricht professionellem Vorgehen, wie es in anderen Studien, z. B. zur Psychotherapie (z. B. Lambert 2004; spezifisch: Beutler u. a. 2004, 246f), als erfolgreich beschrieben ist. Das Trainingsprogramm führte - bei den relativ eng empirisch begleiteten 14 Teilnehmerinnen - zu Effekten: Beobachtungen der Trainerinnen, Schilderungen von Externen (Erziehungsberatung) und Selbstbeschreibungen der Mädchen machen deutlich, dass • sich die Selbst- und Fremdwahrnehmung verändert hat (die Opfer-Sicht ist „näher“ gerückt, die Mädchen sehen klarer ihre eigene Handlungsstruktur), • Fähigkeiten zur verbesserten Selbststeuerung („Stopp setzen“) aufgebaut werden konnten, • sich das Gewalt-Handeln der Teilnehmerinnen zumindest vorübergehend deutlich verringert hat. Insgesamt zeigt sich, dass derartige Trainingsprogramme keine „Wundermittel“ zur „Heilung“ gewalttätiger (hier: weiblicher) Jugendlicher sind. Sie können allerdings für die TeilnehmerInnen zu „Anstößen“ führen, Verhaltensalternativen aufzeigen und die Möglichkeit zum Erproben neuer Handlungsmöglichkeiten geben. Sie können Motivation zur Veränderung erzeugen und im kleinen Rahmen selbstuj 9 (2008) 371 Anti-Gewalt-Trainings wertfördernd wirken. Es ist nötig, die TeilnehmerInnen individuell zu erreichen und - wohl in den meisten Fällen - über das Training hinaus zu begleiten. Bei der Reflexion des methodischen Vorgehens der Evaluation muss zunächst die sehr kleine Stichprobe kritisch betrachtet werden. Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse nicht ohne Weiteres zu verallgemeinern - allerdings wiesen die in die Untersuchung einbezogenen Mädchen sehr viele für GewalttäterInnen typische biografische Hintergründe, Merkmale und Eigenschaften auf, sodass die Ergebnisse zumindest Trends aufzeigen dürften. Im Verlauf der Studie wurden einige Probleme bei der Umsetzung des Designs im Praxiszusammenhang deutlich, wie eine erhöhte zeitliche Belastung der TrainerInnen, die sicherlich nicht untypisch für die Evaluation von Praxisforschungsprojekten (besonders solchen mit sehr begrenzten Ressourcen) sind (vgl. Fröhlich-Gildhoff/ Engel 2007). Trotz dieser Einschränkungen konnten aus dem Projekt und seiner Evaluation einige wichtige Erkenntnisse für die Durchführung von Anti-Gewalt-Trainings - und deren Chancen wie Grenzen - für Mädchen gewonnen werden. Für die zukünftige Forschung wird es nötig sein, mit besserer Ausstattung die Effekte in größeren Stichproben systematisch (im Kontrollgruppendesign) zu erfassen. Literatur Beutler, L. E./ Malik, M./ Alimohamed, S./ Harwood, T. M./ Talebi, H./ Noble, S./ Wong, E., 5 2004: Therapist variables. In: Lambert, M. J. (Hrsg.): Bergin and Garfield’s Handbook of psychotherapy and behavior change. 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