unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2008
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Alles super Nanny? Zur medialen Inszenierung von Erziehung
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2008
Andrea Schmidt
Die Erfolge von Serien wie Super Nanny oder Supermamas belegen, dass die mediale Inszenierung von Erziehung Konjunktur hat. Seit dem Start der Super Nanny im Herbst 2004 wurde das Konzept der Serie heiß diskutiert. Angetreten ist die Super Nanny, um Müttern und Vätern Unterstützung in ihrem Erziehungsalltag zu geben. Die Serie „Die Super Nanny“ wird jedoch weder in ihrer Form noch in ihren Inhalten diesem Anspruch unter Beachtung der Kinderrechte und der Menschenwürde gerecht (www.kinderschutzbund-nrw.de).
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392 uj 9 (2008) erziehungsverhalten - erziehungsunsicherheit Unsere Jugend, 60. Jg., S. 392 - 398 (2008) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Alles super Nanny? Zur medialen Inszenierung von Erziehung Andrea Schmidt Die Erfolge von Serien wie Super Nanny oder Supermamas belegen, dass die mediale Inszenierung von Erziehung Konjunktur hat. Seit dem Start der Super Nanny im Herbst 2004 wurde das Konzept der Serie heiß diskutiert. Angetreten ist die Super Nanny, um Müttern und Vätern Unterstützung in ihrem Erziehungsalltag zu geben. Die Serie „Die Super Nanny“ wird jedoch weder in ihrer Form noch in ihren Inhalten diesem Anspruch unter Beachtung der Kinderrechte und der Menschenwürde gerecht (www.kinderschutzbund-nrw.de). Prof. Dr. Andrea Schmidt Jg. 1967; Diplom-Pädagogin und Personalentwicklerin (MA), Arbeitsschwerpunkte: Theorie und Methoden der Sozialen Arbeit, Gender Studies, Personal- und Organisationsentwicklung Die Folgen der ersten Staffel sind erschütternd anzusehen, sowohl was die Inszenierung der „Super Nanny“ selbst als auch die der Kinder und deren Eltern anbelangt. So werden die Kinder mit Hilfe dramatischer Musikuntermalung als kleine Monster dargestellt, die Eltern als hilflos bzw. desinteressiert, und die „Super Nanny“ wird, zumindest in den ersten Staffeln, als moderne Mary Poppins in Szene gesetzt, die in die Familien stürmt, um zu retten, was zu retten ist. Diese reißerische Aufmachung macht es schwer, eine differenziertere Analyse der „Super Nanny“ vorzunehmen, denn das Format bzw. die mediale Inszenierung überlagert das pädagogische Konzept der „Super Nanny“ dermaßen, dass beides nahezu untrennbar miteinander verwoben ist. Im Folgenden werden diese beiden Aspekte getrennt dargestellt, und es wird der Versuch einer Analyse vorgenommen, um zu einer vielschichtigeren Einschätzung der Chancen und Risiken von Erziehungsberatung im Fernsehen zu gelangen. Zur medialen Inszenierung von Erziehung am Beispiel „Super Nanny“ Die Inszenierung von Erziehung, wie sie im Rahmen der Serie „Super Nanny“ betrieben wird, ist problematisch. Bisher haben uj 9 (2008) 393 erziehungsverhalten - erziehungsunsicherheit sich noch nicht viele AutorInnen mit einer genaueren Analyse dieser Serie befasst. Relativ aktuell hierzu ist der Tagungsband des Deutschen Jugendinstitutes „Helfen ‚Super Nanny‘ und Co? “ von 2006, auf den im Folgenden bisweilen Bezug genommen wird. Das Format der „Super Nanny“ zielt auf Emotionalisierung, Personalisierung sowie vermeintliche Authentizität und ist somit als Affektfernsehen einzustufen. Dieses Affektfernsehen ist ein zweischneidiges Schwert: Neben dem Voyeurismus, dem diese Art von Fernsehunterhaltung Vorschub leistet, diesen gar (re)produziert, können sich die ZuschauerInnen zugleich mit ihren eigenen Problemen hier wiederfinden und Anregungen für den Umgang mit eigenen Schwierigkeiten aufgreifen. Das Affektfernsehen gibt Orientierung sowie Lebenshilfe für die Bewältigung der eigenen Lebensrealitäten. Die „Super Nanny“ vermittelt gleichzeitig jedoch die Botschaft, dass das Versagen in der Erziehung allein bei den Eltern liegt, nach dem Motto: „Wenn Eltern mit ihren Kindern nicht klar kommen, dann sind sie selber schuld.“ Das soziale Umfeld sowie andere Sozialisationsinstanzen wie Kindertagesstätte und Schule und deren Beteiligungen an Erziehungsprozessen werden in der Regel ausgeblendet. Die Problematik des Formats der „Super Nanny“ lässt sich an folgenden drei Schwerpunkten herausarbeiten: So werden Kinder bloßgestellt, Kinder und Eltern diskriminiert und Erziehung wird fokussiert auf Dressur und Gehorsam (vgl. Theunert 2006, 73f). Das Bloßstellen der Kinder zeigt sich im gnadenlosen „Draufhalten“ der Kamera z. B. dann, wenn die Kinder außer sich sind, wenn sie wütend sind, wenn sie toben und weinen (vgl. ebd.). Die Diskriminierung der Kinder spiegelt sich z. B. in den Kommentaren wider, so werden sie schon mal als „kleine Monster“ oder „Satansbraten“ bezeichnet. Jene Filmsequenzen, die Ausschnitte aus dem Familienalltag zeigen, werden mit entsprechend bedrohlicher Musik untermalt und mit (non)verbalen Kommentaren der „Super Nanny“ versehen. Zu ihrem Repertoire gehören Kopfschütteln oder Aussagen wie „Du bist gar keine richtige Mama! “ Die Kinder werden als böse, nervig und verhaltensgestört inszeniert, und den Eltern werden in erster Linie ihre Fehler in der Erziehung vorgehalten. Die ProtagonistInnen werden vorrangig als defizitär wahrgenommen und dargestellt. Die Ressourcen, die in den Familien selbst sowie in deren sozialem gesellschaftlichem Umfeld liegen, und die positiven Seiten, die die Eltern und Kinder zweifelsohne haben, werden nicht gezeigt, geschweige denn berücksichtigt (ebd., 74). Indem Erziehung als einseitiger Akt dargestellt wird, zeigt sich das hier vermittelte Erziehungsideal als Erziehung zu Gehorsam und Erfolg und stützt sich in erster Linie auf die Einhaltung von Regeln und Konsequenzen. In den ersten Staffeln der Serie kam die „Super Nanny“ mit vorgefertigten Eltern- und Kinderregeln in die Familien und versuchte, diese nach dem Prinzip „Eltern bestimmen und Kinder gehorchen“ durchzusetzen. Dieses Bevormunden der Eltern und Kinder mit einem fertigen Regelwerk wurde stark kritisiert. Offenkundig wurde diese Kritik aufgenommen und das Konzept der „Super Nanny“ dahingehend verändert, dass es jetzt Familienvereinbarungen gibt. Ziel der Interventionen der „Super Nanny“ bleibt allerdings nach wie vor der Gehorsam der Kinder. Wenn die Folgsamkeit der Kinder ausbleibt, dann sind die Eltern gefordert, diese auf das Konsequenteste durchzusetzen, manchmal auch mit Hilfe körperlicher 394 uj 9 (2008) erziehungsverhalten - erziehungsunsicherheit Übergriffe (vgl. Theunert 2006, 74). In diesem Zusammenhang wird besonders der Einsatz des sogenannten „Stillen Stuhls“ kritisiert, hierzu an anderer Stelle mehr. Als erfolgreich werden die Interventionen von Eltern und der „Super Nanny“ dann gewertet, wenn „das Kind angesichts der Übermacht von Erwachsenen aufgibt“ (vgl. ebd., 75). Das Beratungskonzept der „Super Nanny“ Nachdem zuvor eine kritische Einschätzung der medialen Inszenierung von Erziehung vorgenommen wurde, also der Frage nachgegangen wurde, wie Erziehungsprozesse dargestellt werden, steht im Folgenden eine Analyse des Beratungskonzepts der „Super Nanny“ im Mittelpunkt. Eltern-Coaching Schwerpunkt der Interventionen der „Super Nanny“ ist das Eltern-Coaching. Die „Super Nanny“ nimmt zunächst eine Analyse des Ist-Zustandes in den Familien vor. Dabei konzentriert sie sich auf die Eltern- Kind-Interaktionen. Ihr zentrales Anliegen ist dabei, eine Veränderung des Verhaltens der Eltern herbeizuführen. Die „Super-Nanny“ verfolgt insofern einen systemischen Ansatz, als sie den Familienkontext berücksichtigt und davon ausgeht, dass das Verhalten der Kinder symptomatisch ist, also das Verhalten der Eltern widerspiegelt. Im Rahmen des Eltern-Coachings ermutigt sie die Eltern, sich die eigenen Wünsche zu vergegenwärtigen, indem sie gestressten Müttern Auszeiten verordnet und die Väter mehr in die Haus- und Erziehungsarbeit einbezieht. Sie analysiert die Paarbeziehung der Eltern, versucht Kränkungen und Verletzungen aufzuspüren und fordert die Eltern auf, als Paar miteinander zu kommunizieren. Dadurch, dass sie Eltern auffordert, in die Rolle der Kinder zu schlüpfen, regt sie Perspektivenwechsel an und versucht hiermit, ein besseres Verständnis der Eltern für ihre Kinder zu fördern. Nicht zuletzt gibt die „Super Nanny“ handfeste Tipps, wie mit Kindern zu kommunizieren ist, nämlich klar und eindeutig. Hierzu - und auch das zeigt die „Super Nanny“ auf - müssen die Eltern allerdings erst einmal selbst wissen, was sie denn nun konkret von ihren Kindern erwarten. In diesen Kontext gehört es auch, konfliktträchtige Situationen wie das Schlafengehen der Kinder zu entschärfen. Sie macht den Eltern z. B. klar, dass es wichtig ist, den Kindern das Schlafengehen rechtzeitig anzukündigen und sie nicht abrupt aus dem Spiel zu reißen. Für die Prozedur des Schlafengehens schlägt die „Super Nanny“ eine Art Ritualisierung vor, die es den Kindern leichter macht, sich darauf einzustellen, und auch das Handeln der Eltern wird für die Kinder nachvollziehbarer und strukturierter. Struktur des Familienlebens Entlastung bekommen die Familien, indem die „Super Nanny“ einen Tagesablauf erarbeitet. Sie bringt so Struktur in den Familienalltag hinein. Diese Strukturen empfinden insbesondere die Mütter (in der Regel sind es übrigens Mütter, die die zentralen Protagonistinnen der Beratung sind, die Väter sind meist abwesend) als Entlastung. Die Essenszeiten werden genauso festgelegt wie die Spiel- und die Schlafenszeiten. Wenn die Mütter und Kinder sehr voneinander gestresst sind, werden kleine Auszeiten für Mütter und Kinder im Tagesablauf berücksichtigt. So bekommen die Kinder eine Spielzeit im Kinderzimmer uj 9 (2008) 395 erziehungsverhalten - erziehungsunsicherheit oder einen Nachmittagsschlaf verordnet, während die Mütter diese Zeit als Pause für sich nutzen können. Eltern- und Kinderregeln Ein ähnliches Prozedere wird auch bei den Familienregeln durchgeführt. Um die Kommunikation und Interaktion in den Familien zu gestalten, führt die „Super Nanny“ Eltern- und Kinderregeln ein (siehe hierzu auch Helming 2006, 87), wie z. B. „Kinder werden nicht geschlagen“, „Kinder müssen auf Eltern hören“ oder „Keine Kämpfe, kein Schlagen, Treten, Boxen“ (vgl. http: / / www.rtl.de/ ratgeber/ familie_ 878516.php). Für die Familien, in denen die „Super Nanny“ agiert, sind diese grundlegenden Verabredungen des menschlichen Miteinander meistens fremd, und von daher scheint die Verabredung von Regeln sinnvoll, um das Familienleben zu gestalten. Die Regeln werden von der „Super Nanny“ je nach Familie leicht modifiziert und dann - ähnlich wie beim Tagesablauf - in einer Familienkonferenz besprochen und gut sichtbar für alle an die Wand gehängt. Signifikant ist jedoch bei diesen Regeln, dass diese zumeist negativ formuliert sind und an - scheinbar von der „Super Nanny“ diagnostizierten - Defiziten von Eltern und Kindern ansetzen. Augenfällig ist auch der autoritäre Ton, in dem die Regeln verfasst sind. Würde eine ressourcenorientierte Haltung bei der Erstellung der Regeln eingenommen, so müssten diese eine positive Zielsetzung aufzeigen und ebenso positiv formuliert sein. In den neueren Staffeln wurden diese Eltern- und Kinderregeln abgeschafft zugunsten von Familienvereinbarungen. Zu starr war das vorangegangene Regelwerk, um es auf jede Familie übertragen zu können. Die „Super Nanny“ Katharina Saalfrank dazu: „Wichtig ist, dass Familien verstehen, dass es nicht damit getan ist, sich irgendwelche Regeln oder Vereinbarungen aus dem Internet herunter zu laden und diese an die Wand zu hängen. Jede Familie braucht individuelle Verabredungen“ (www.rtl.de/ ratgeber/ familie_878516.php). Die „Super Nanny“ hat einen Fundus von Familienregeln erstellt, die dann abgestimmt auf die einzelnen Familien als Familienvereinbarungen verabredet werden wie z. B. „Wir sind eine Familie“, „Wir tun uns nicht weh“, „Wir gehen liebevoll und freundlich miteinander um“ (vgl. www.rtl. de/ ratgeber/ familie_878516.php). Diese Familienvereinbarungen knüpfen - im Gegensatz zu den Eltern- und Kinderregeln - an den Ressourcen der einzelnen Familienmitglieder an. Aufgezeigt wird auch eine positive Zielsetzung, denn der Subtext in diesen Vereinbarungen ist die Verheißung eines friedlichen und harmonischen Familienlebens. Die Eltern- und Kinderregeln hingegen fokussierten lediglich auf Bestrafung und transportierten kein gemeinsam anzustrebendes und von allen Beteiligten positiv besetztes Ziel, für dessen Erreichung sich die Einhaltung dieses absolutistischen und autoritären Regelwerks lohnen würde. Der „Stille Stuhl“ Der Einsatz des sogenannten „Stillen Stuhls“ ließ die heftigsten Diskussionen in der (Fach)Öffentlichkeit entbrennen (siehe hierzu exemplarisch die Stellungnahme unter www.kinderschutzbund-nrw.de). In den Folgen der ersten Staffeln wurden die Kinder bei Regelverstößen auf den „Stillen Stuhl“ bzw. in das „Stille Zimmer“ gezerrt. Sie wurden drangsaliert, damit sie auf dem Stuhl sitzen blieben, die Zimmertüren wurden abgeschlossen oder von den Eltern zugehalten. Herzzerreißende Szenen spielten sich hier ab. 396 uj 9 (2008) erziehungsverhalten - erziehungsunsicherheit In der Tat wurden hier - sowohl was die Wahl der Methode als auch was die Inszenierung der Durchsetzung des „Stillen Stuhls“ anbelangt - die Würde und das Wohl der Kinder nicht berücksichtigt. Im Triple-P-Programm (Positive Parenting Programme, vgl. Sanders 1999 nach Hahlweg 2003) wird der Einsatz des „Stillen Stuhls“ in bestimmten Situationen als eine Möglichkeit dargestellt, um angespannte Situationen im Familienalltag zu deeskalieren. Bei der Anwendung dieser Methode sind im Triple-P-Programm folgende Regeln festgelegt: Die Eltern sollen den Einsatz des „Stillen Stuhls“ mit dem Kind in einem ruhigen Moment besprechen, und der Ort der Auszeit muss dem Kind bekannt sein. Das Kind soll das Gefühl haben, dass es die Situation kontrollieren kann. Der Raum muss hell und dem Kind bekannt sein, sodass es keine Angst bekommt. Die Eltern sollen Gejammer und Protest des Kindes ignorieren, damit diese Verhaltensweisen durch Nichtbeachtung reduziert werden. Die Auszeit dauert solange, bis das Kind die festgesetzte Zeit ruhig war, damit es lernt, mit seiner Wut angemessen umzugehen (ebd., 173f). Die Umsetzung in der Praxis gestaltet sich schwierig, wenn man sich die Negativbeispiele aus der „Super Nanny“ vor Augen führt. Aber auch in weniger dramatischen Situationen bleiben mindestens folgende Fragen unbeantwortet: Was machen Eltern, wenn das Kind nicht auf dem Stuhl oder in dem Zimmer bleibt? Rennt man ihm ständig hinterher? Wie bekommt man ein schreiendes, tobendes Kind auf den „Stillen Stuhl“ oder ins „Stille Zimmer“, ohne Gewalt anzuwenden? So einleuchtend diese Methode sich auch lesen mag, so untauglich scheint sie für den Umgang mit kleinen wütenden Kindern zu sein. Versucht man es doch, so gerät man allzu leicht in die Nähe der Schwarzen Quelle: privat uj 9 (2008) 397 erziehungsverhalten - erziehungsunsicherheit Pädagogik mit ihren Dressurpraktiken. In den ersten Staffeln der „Super Nanny“ wurde der „Stille Stuhl“ inflationär und brutal eingesetzt. In den aktuellen Folgen kommt diese Methode gar nicht mehr vor. Auf der Homepage distanziert sich die „Super Nanny“ Katharina Saalfrank sogar vom Einsatz des „Stillen Stuhls“ und möchte dessen Einsatz nur noch in den Händen von ExpertInnen sehen (vgl. www.rtl.de/ ratgeber/ familie_896938.php). Zur Diskrepanz zwischen medialer Inszenierung und tatsächlicher Beratung Das Beratungskonzept der „Super Nanny“ orientiert sich an gängigen Methoden der Elternberatungsarbeit. Elemente des Eltern-Coachings, des Video-Home-Trainings und der direkten Teilnahme am Familienalltag werden dort ebenfalls eingesetzt (vgl. Helming 2006, 93). Bei genauerer Analyse der Arbeit der „Super Nanny“ zeigt sich des Weiteren, dass sie durchaus sehr wohlwollend und ressourcenorientiert im direkten Kontakt mit den Beteiligten agiert. Sie lobt die Eltern und hilft ihnen, ihre Kinder positiv zu sehen: „Sie haben doch wunderbar lebendige Kinder.“ Sie vermeidet es, den Kindern die Schuld an den Problemen in den Familien zu geben, und regt in der konkreten Beratung die Eltern zu Veränderungen an. Sie präsentiert keine fertigen Lösungen, sondern zeigt Wege auf: „Ich konnte ihm eine Tür öffnen, aber durchgehen muss er selbst“ (ebd., 100). Zu sehen ist des Weiteren, dass sich das Beratungskonzept der „Super Nanny“ im Laufe der verschiedenen Staffeln verändert, wie zuvor am Einsatz der Kinder- und Elternregeln und am Beispiel des „Stillen Stuhls“ aufgezeigt wurde. All diese positiven Ansätze werden jedoch vielfach verstellt durch die mediale Inszenierung, die die in der Regel behutsamen und ressourcenorientierten Interventionen der „Super Nanny“ ad absurdum führt. Während sich das Beratungskonzept der „Super Nanny“ gerade in den neueren Staffeln zum Positiveren verändert, wird die Inszenierung nur leicht modifiziert. Die „Super Nanny“ reist nun nicht mehr im strengen Kostüm mit Köfferchen an, sondern wird offener und nachdenklicher präsentiert. Auch ist die defizitorientierte Inszenierung der Kinder weitgehend einer liebevolleren und verstehenderen Darstellung gewichen. Regeln und Verabredungen werden ausgehandelt, die Kinder in den Arm genommen, und es wird von kritikwürdigen pädagogischen Rezepten („Stiller Stuhl“) Abschied genommen. Dies bewirkt, dass mit den Kindern und den Müttern viel mehr geredet, das Zuhören sowie das gegenseitige Verständnis mehr gefördert wird. Alles in allem scheint das neue Sendekonzept harmonisierender zu sein. Immer wieder weist die „Super Nanny“ darauf hin, dass Kinder eben Kinder sind und sich in (für Erwachsene manchmal nicht so leicht nachzuvollziehenden) „Kinderwelten“ bewegen. Nicht mehr ein Trimmen auf Gehorsam und Unterwerfung steht im Fokus, sondern ein Einnehmen der kindlichen Perspektive und der Versuch, die Kinder wirklich zu verstehen. Die Verantwortung für diese Prozesse - und auch das hat sich geändert - sieht die „Super Nanny“ eindeutig auf Seiten der Eltern. Die Eltern erwarteten zu oft, dass ihre Kinder funktionierten, sie könnten oftmals nicht die Entwicklung ihrer Kinder nachvollziehen, so Katharina Saalfrank in einem Interview (vgl. www.rtl.de/ ratgeber/ familie_924969.php). Merkwürdig blass bleiben nach wie vor die Väter, als hätten sie mit ihren Kindern nichts zu tun, und auch das Umfeld der Familien wird nach wie vor selten aktiviert. 398 uj 9 (2008) erziehungsverhalten - erziehungsunsicherheit Die „Super Nanny“ trägt sicherlich dazu bei, Erziehungsprobleme aufzuzeigen und Erziehungsberatung populärer zu machen. Für einen Paradigmenwechsel hin zu einer ressourcenorientierten Auffassung von Erziehung, die Kinder als Subjekte mit ihren eigenen Bedürfnissen, ihrem Wollen und ihrer Würde im Hier und Jetzt akzeptiert, ist sie, was die ersten Staffeln der Serie anbelangt, kontraproduktiv. In den neueren Staffeln ist die pädagogische Intervention differenzierter, die Inszenierung jedoch nur modifiziert. Der Verdienst der Sendung „Super Nanny“ ist es zweifelsohne, dass das Thema Erziehung in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt wurde und Diskussionen über einen adäquaten Umgang mit Kindern initiiert wurden. Auch werden in den aktuellen Staffeln Möglichkeiten einer fundierten Elternbzw. Erziehungsberatung aufgezeigt. Erziehung als Thema im Allgemeinen und Erziehungsberatung im Besonderen erfahren eine gesellschaftliche Aufwertung. Problematisch ist nach wie vor, dass den ZuschauerInnen der Serie Inszenierungsmuster zugemutet werden, die dem Sender offensichtlich publikumswirksam scheinen. Literatur Ariès, P., 1982: Geschichte der Kindheit. München BMFSFJ (Hrsg.), 2005: Stärkung familialer Beziehungs- und Elternkompetenzen. Kurzfassung eines Gutachtens für Familienfragen beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Berlin Bünder, P., 2005: Videogestützte Beratung - „Super Nanny“ und „Marte Meo“. In: Sozial extra, 29. Jg., H. 10, S. 34 - 37 Campe, J. H., 40 1848: Robinson der Jüngere: ein Lesebuch für Kinder. Von Ludwig Richter. Berlin Griese, C./ Levin, A./ Schmidt, A. (Hrsg.), 2007: Mütter, Väter, Supernannies. Funktionalisierende Tendenzen in der Erziehung. Hohengehren Hahlweg, K./ Kessemeier, Y., 2003: Erwiderung auf kritische Stellungnahmen zum „Positiven Erziehungsprogramm“ Triple P. In: Beratung Aktuell. Zeitschrift für Theorie und Praxis der Beratung, H. 3, S. 157 - 177 Helming, E., 2006: „Super Nanny“ und „Supermamas“ - Differenzieren statt dramatisieren. In: Wahl, K./ Hees, K. (Hrsg.): Helfen „Super Nanny“ und Co? Ratlose Eltern - Herausforderung für die Elternbildung. Weinheim/ Basel, S. 87 - 102 Honig, M.-S./ Lange, A./ Leu, H. R. (Hrsg.), 1999: Aus der Perspektive von Kindern. Zur Methodologie der Kindheitsforschung. Weinheim/ München Rousseau, J.-J., 1872: Emile oder über die Erziehung. Hrsg. von T. Vogt/ E. Fritsche. Langensalza Rutschky, K. (Hrsg.), 1988: Schwarze Pädagogik. Quellen zur Naturgeschichte der bürgerlichen Erziehung. Frankfurt/ Main Sanders, M., 1999: The Triple P - Positive Parenting Programme: Towards to an empirically validated multi-level parenting and familiy support strategy for the prevention and treatment of child behavior and emotional problems. In: Child and Family Psychology Review, H. 2, S. 71 - 99 Schmidt, A., 2007: Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt. Zur medialen Inszenierung von Erziehung. In: Griese, C./ Levin, A./ Schmidt, A. (Hrsg.): Mütter, Väter, Supernannies. Funktionalisierende Tendenzen in der Erziehung. Hohengehren, S. 100 - 112 Stellungnahme SuperNanny. www.kinderschutzbund-nrw.de/ StellungnahmeSuperNanny.htm, 9. 8. 2005 Theunert, H., 2006: Erziehungsberatung via Fernsehen - Warum „Die Super Nanny“ kein Weg ist. In: Wahl, K./ Hees, K. (Hrsg.): Helfen „Super Nanny“ und Co? Ratlose Eltern - Herausforderung für die Elternbildung. Weinheim/ Basel, S. 71 - 77 Tietze, W., 2006: „Um die Kinder allein ging es nie.“ Ein Gespräch mit dem Pädagogen Wolfgang Tietze in der ZEIT 6/ 2006. http: / / zeus.zeit.de/ text/ 2006/ 06/ C-Kiga, 22. 8. 2007, 1 Seite Zeiher, H./ Büchner, P./ Zinnecker, J. (Hrsg.), 1996: Kinder als Außenseiter? Umbrüche in der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Kindern und Kindheit. Weinheim/ München Die Autorin Prof. Dr. Andrea Schmidt Fachhochschule der Diakonie FHdD gGmbH - University of Applied Science Grete-Reich-Weg 9 33617 Bielefeld andrea.schmidt@fhdd.de
