unsere jugend
4
0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
21
2009
612
„Die können ja leben, aber nicht hier!“ Erfahrungen aus der Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen
21
2009
Guido Gulbins
Dennis Rosenbaum
Fast täglich liest man von rechtsextremen Übergriffen, Kundgebungen oder Wahlerfolgen. Häufig sind Jugendliche Bestandteil derartiger Meldungen und Ziel der Rekrutierungsbemühungen von rechts. Wie also kann Jugendarbeit einem 15-Jährigen begegnen, auf dessen Jeans Kurze Haare Radikal Sozialistisch National steht? Und wie kann sie auf eine 18-Jährige reagieren, die fordert, "Hauptsache, die Türken kommen weg!"? Zwei Erfahrungsberichte sollen Ansatzpunkte bieten.
4_061_2009_002_0062
62 uj 2 (2009) Unsere Jugend, 61. Jg., S. 62 - 75 (2009) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel rechtsextremismus „Die können ja leben, aber nicht hier! “ Erfahrungen aus der Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen Guido Gulbins/ Dennis Rosenbaum Fast täglich liest man von rechtsextremen Übergriffen, Kundgebungen oder Wahlerfolgen. Häufig sind Jugendliche Bestandteil derartiger Meldungen und Ziel der Rekrutierungsbemühungen von rechts. Wie also kann Jugendarbeit einem 15-Jährigen begegnen, auf dessen Jeans Kurze Haare Radikal Sozialistisch National steht? Und wie kann sie auf eine 18-Jährige reagieren, die fordert, „Hauptsache, die Türken kommen weg! “? Zwei Erfahrungsberichte sollen Ansatzpunkte bieten. Arbeitsgrundlage des Teams Rechte Cliquen des VAJA e.V. in Bremen ist seit 2004 das in Kooperation mit Prof. Kurt Möller von der Hochschule Esslingen entwickelte Konzept Distanz(ierung) durch Integration (Bleiß u. a. 2004 a). Es sieht eine langfristige Begleitung rechtsextrem und menschenfeindlich orientierter Jugendlicher von bis zu 40 Monaten im Rahmen aufsuchender Arbeit vor. Arbeitsbereiche bzw. -methoden sind dabei u. a. Streetwork, Cliquenarbeit, Einzelfallhilfe und Projektangebote als Bestandteile von vier aufeinander aufbauenden Arbeitsphasen (ebd., 579ff). Beginnend mit der Eruierungs- und Kontaktierungsphase folgen die Phase des Vertrauensaufbaus und die Phase der Konsolidierung, bis die Arbeit mit einer Ablösungsphase endet. Im vorliegenden Text soll anhand zweier Praxisbeispiele veranschaulicht werden, wie die Arbeit in zwei dieser Phasen aussehen kann. In der ersten Fallgeschichte wird über den Kontaktaufbau zu einer rechten Clique von der ersten Begegnung an berichtet (Phase 1). Besondere Berücksichtigung finden dabei das Guido Gulbins Jg. 1972; Sozialwissenschaftler, Vorstandsmitglied der BAG Aufsuchende Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen, Arbeitsschwerpunkte: Einflüsse Rechtsextremer in Jugendkulturen (Musik, Lifestyle etc.), Beratung von Eltern und Angehörigen rechtsextremer Jugendlicher. Dennis Rosenbaum Jg. 1973; Dipl.-Sozialpädagoge/ -arbeiter, Dipl.-Verwaltungswirt, Aufsuchende Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen, Jugendschutzsachverständiger der FSK, Arbeitsschwerpunkte: Rechtsextremismus im Internet, Beratung von Eltern und Angehörigen rechtsextremer Jugendlicher uj 2 (2009) 63 rechtsextremismus Auftreten von und der Umgang mit Schwierigkeiten bei der konstanten Erreichbarkeit der Jugendlichen. Den Schwerpunkt bei der Schilderung eines Zeitraums von etwa drei Monaten bilden drei männliche Cliquenmitglieder. Es folgt am Beispiel einer anderen Clique die pädagogische Bearbeitung rechtsextremer Musik als ein möglicher Bestandteil inhaltlicher Arbeit mit solchen Jugendlichen, zu denen eine stabile Beziehung bereits vorhanden ist (Phase 3). Im Fokus stehen hier die Mädchen der Clique, und die erzählte Zeit beträgt dabei im Unterschied zum ersten Abschnitt nur eine knappe Stunde. Die Leserschaft sei darauf hingewiesen, dass die Darstellung dieser beiden Praxisdokumentationen aufgrund des für diesen Text zur Verfügung stehenden Platzes an einigen Stellen nur sehr verkürzt erfolgen kann. Der Wechsel der Erzählperspektive zwischen „wir“ und „ich“ entspricht dabei den jeweils im Team oder alleine erlebten Situationen. Weißfahren statt Schwarzfahren - Vom Kontaktaufbau zu einer rechten Clique Meistens resultiert der erste Kontakt zu einer Clique aus der eigenen Beobachtung und Recherche des Teams. Hilfreich sind dabei oft Hinweise von aufmerksamen Kooperationspartnern in den Stadtteilen, die uns rechte Schmierereien, gehäuftes Auftreten von NPD-Aufklebern oder entsprechend auffällige Jugendliche an Treffpunkten im öffentlichen Raum melden, z. B. an Spielplätzen oder in Grünanlagen (vgl. dazu Gulbins u. a. 2007 a). Im folgenden Beispiel fängt alles etwas anders an: Seit einigen Jahren besteht bei VAJA ein Angebot für Eltern und Angehörige von rechtsextrem orientierten Jugendlichen, das Informationen, Materialien und Beratung zum Thema offeriert. Mehrere MitarbeiterInnen sind speziell für dieses Arbeitsfeld qualifiziert. Die alleinerziehende Mutter eines 15- Jährigen meldet sich bei VAJA, um Hilfe für den Umgang mit ihrem Sohn zu bekommen. Sorge bereitet ihr vor allem sein Kontakt zu einem zwei Jahre älteren Freund, der eine rechtsextreme Homepage betreibt und erste musikalische Aktivitäten im Bereich Rechtsrock unternimmt. Nach einem ersten persönlichen Treffen mit der Mutter verläuft die Beratung in der Folge telefonisch. Thema bei den Gesprächen wird nach und nach auch die mögliche Bereitschaft des Sohnes, sich freiwillig mit einem VAJA-Mitarbeiter für ein lockeres Gespräch zu treffen. „Naja, schließlich ist die SPD aus der NSDAP entstanden.“ Die Verabredung gelingt, und zu dem recht bald stattfindenden Termin in einem Fastfood-Restaurant erscheint der 15-Jährige in klassischem Skinhead-Outfit. Er trägt u. a. kurze Haare, Stiefel und eine hochgekrempelte Jeans, die er selbst mit Sprüchen beschrieben hat. Zu sehen ist dort neben diversen szenetypischen Symbolen und einem Hitler- Smiley u. a. Skinhead for life, Lieber ungezogen als umerzogen, Wir sind die Zukunft der deutschen Jugend, Am 8. Mai habt Ihr unser Land genommen, jetzt schlagen wir zurück, Fuck off Kommunisten [sic] Sieg heil, Scheiß Pseudo-Deutscher! ! Verpiss dich in dein Land! , Kurze Haare Radikal Sozialistisch National, Anti Antifa und A.C.A.B. Neben eigenen Kreationen handelt es sich dabei teilweise auch um Zitate oder einzelne Begriffe aus Rechtsrock-Songs von Bands wie Stahlgewitter und Noie Werte. Sein mp 3-Player ist voll damit. Als Pädagoge in diesem Arbeitsfeld kann man im 64 uj 2 (2009) rechtsextremismus Grunde dankbar sein für eine so offen zur Schau getragene politische Meinung. Erübrigt sich so doch das sonst häufig recht mühselige „Herauskitzeln“ dieser durch diverse Gespräche und den allmählichen Vertrauensaufbau über einen längeren Zeitraum. Angesprochen auf seine parteipolitischen Präferenzen mit der Frage „Was würdest du denn wählen, wenn du wahlberechtigt wärst? “ kommt die prompte Antwort „SPD! “. Als er meine Verwunderung bemerkt, setzt er zur Erklärung an: „Naja, schließlich ist die SPD aus der NSDAP entstanden.“ An diesem Tag kommen wir an der Stelle nicht weiter, da er meine korrigierenden Ausführungen zu seiner Ansicht nicht annimmt. Nachvollziehbar, schließlich haben wir uns ja gerade erst kennengelernt. Aber wir haben einen Aufhänger für ein weiteres Treffen. Er will sich um Quellennachweise für seine Aussage kümmern, ich mich um Entsprechendes für meinen Standpunkt. Und noch etwas deutet sich anhand dieses kleinen Erlebnisses an, was sich im späteren Verlauf der Arbeit bestätigen soll: Den politischen Statements auf der Kleidung fehlt jegliches Hintergrundwissen. Das ist einerseits positiv zu bewerten, zeugt es doch davon, dass von ideologischer Festigung bei weitem nicht auszugehen ist - und erhöht so die Chancen, mit pädagogischen Mitteln Wirkung zu erzielen. Andererseits erschreckt es, wenn sich Jugendliche für ihre Selbstdefinition und in Abgrenzung zu anderen derartiger Mittel bedienen, ohne die darüber (in diesem Fall die pure Präsenz der Sprüche) hinausgehende Bedeutung zu (er)kennen. Schon bei der zweiten Verabredung, wieder im Fastfood-Restaurant, erscheinen neben dem 15-Jährigen drei weitere Cliquenmitglieder, darunter ein Mädchen. Alle sind neugierig, wer der Streetworker ist, von dem ihr Freund erzählt hat. Mit dabei ist auch der 17-Jährige, der in den Gesprächen mit der Mutter bereits als die bestimmende Figur in der Gruppe beschrieben wurde und an dem sich angeblich auch Abb. 1 Quelle: VAJA e.V. uj 2 (2009) 65 rechtsextremismus ihr Sohn orientiert. Es ist sofort zu spüren, dass er die Gesprächsatmosphäre prägt, da er viel und gerne redet. Er erzählt, dass er seit einiger Zeit Gitarre spielt. Meistens für sich selbst, aber auch gemeinsam mit Freunden. Am liebsten spielt er Songs der Böhsen Onkelz, aber auch Nordfront und andere Rechtsrock-Bands haben es ihm angetan. Um der Clique zu verdeutlichen, was unser Job ist und wie sie eventuell vom regelmäßigen Kontakt mit uns profitieren könnten, umreiße ich ganz knapp einen Teil unseres Angebots: „Wir helfen zum Beispiel bei Stress mit anderen Leuten, bei Ärger in der Schule, mit der Polizei oder dem Gericht.“ Schon während ich das sage, sehe ich den 17-Jährigen mehrfach nicken. Er ist auch derjenige, der im Namen aller antwortet: „Haben wir alles.“ Als klar ist, dass wir uns wiedersehen werden, kündige ich an, eine Kollegin mitzubringen, und frage, ob sie Lust haben, uns beim nächsten Treffen ihren Stadtteil zu zeigen, ihre Treffpunkte und die für sie wichtigen Orte. Die Stadtteilbegehung findet in der Besetzung statt, die für die Treffen in den folgenden Wochen erhalten bleibt: Die Clique, bestehend aus drei Jungs und drei Mädchen, darunter zwei Paare, plus (entsprechend den Standards unserer Arbeit, Bleiß u. a. 2004 b, 25) zwei VAJA-MitarbeiterInnen, weiblich und männlich. Bei dem Rundgang wird klar, dass es keinen festen Treffpunkt der Clique im öffentlichen Raum gibt. Seitdem der Älteste in der Clique, er ist 19, eine eigene (Hartz IV-)Wohnung hat, verbringen alle viel Zeit bei ihm und sind froh, einen geschützten Raum zu haben, wo ihnen niemand auf die Nerven geht. „In zehn Jahren lebe ich nicht mehr. Wofür denn? “ Der 19-Jährige hat keine Arbeit und bemüht sich auch nicht allzu sehr darum. Während des letzten Vorstellungstermins hat er beim Blick in die Produktionshalle gesehen, dass die meisten Mitarbeiter einen Migrationshintergrund haben. Den Job bekommt er angeboten, zum ersten Arbeitstag und auch später erscheint er nicht. Mit den Worten „Zu viele Ausländer. Da fühle ich mich nicht wohl.“ nimmt er bewusst die Kürzung seiner Sozialleistungen in Kauf. Sorgen um seinen Lebensunterhalt macht er sich nicht. Seit Kurzem übernachten teilweise fünf der sechs Jugendlichen in der kleinen Wohnung, vor allem bei Stress im eigenen Elternhaus, der bei fast allen permanent herrscht. Der 17-Jährige lebt bereits dauerhaft seit mehreren Monaten dort, weil er im Streit aufgrund laufender polizeilicher Ermittlungen gegen ihn das Haus seiner Mutter (die ihm zu Weihnachten Rechtsrock-CDs schenkt) verlassen hat. Die Freunde bezahlen für ihren Schlafplatz Miete in Form von Lebensmitteln und vor allem Alkohol. Bei einem der folgenden Treffen sprechen wir den 19-Jährigen auf seine Lebensperspektive an: „Wie stellst du dir dein Leben in zehn Jahren vor? “ Wir müssen eine erschreckende Gleichgültigkeit feststellen, als er antwortet: „In zehn Jahren lebe ich nicht mehr. Wofür denn? “ Fünf Cliquenmitglieder sind schulpflichtig. Zur Schule gehen sie alle aber nur unregelmäßig bzw. schon seit Monaten gar nicht mehr. Die zuständigen Behörden haben ihre Mühe, überhaupt Kontakt zu bzw. Gehör bei den Jugendlichen zu finden, wenn sie ihnen Plätze in Jugendwohngruppen oder einen Schulwechsel vorschlagen. Im Mikrokosmos ihrer Clique in den geschützten vier Wänden des 19-Jährigen fühlen sie sich wohl, halten zusammen und träumen von einer echten Wohngemeinschaft in dieser Zusammensetzung. Es schweißt sie zusammen, dass jede(r) Einzelne von ihnen auf mehreren Ebenen Ärger mit der Erwachsenenwelt hat. Der rechtsextreme „way of life“, den die Jungs 66 uj 2 (2009) rechtsextremismus dabei über entsprechende Musik, Kleidung und Sprüche vorgeben, wird von den Mädchen mitgetragen bzw. nicht in Frage gestellt. Zwei der Jungs gehen unregelmäßig zum Stammtisch der NPD-Jugendgruppe, obwohl sie keine Parteimitglieder sind. Sie werden dort u. a. mit politischen Materialien versorgt. Einer der beiden besucht die Treffen nach eigener Aussage hauptsächlich, weil er unter Gleichgesinnten in Kneipenatmosphäre Zeit verbringen kann und auch mal auf ein Bier eingeladen wird. Da Lesen aber nicht zu seinen Interessen zählt, bringt er uns auf Nachfrage die erhaltenen Schriften bald mit. Darunter ist in einer aktuellen Ausgabe Der Reichsbote, der von Dr. Rigolf Hennig herausgegeben wird. Hennig sitzt seit 2006 für die NPD u. a. im Stadtrat Verden und hat den Artikel „Der deutsche Nationalstaat ist unverändert das Deutsche Reich“ auf der Titelseite beigesteuert. Auch der Hamburger Neonazi- Anwalt Jürgen Rieger gehört zu den Autoren des Blatts, dessen Ausgaben in den letzten Jahren oft u. a. aufgrund von Verherrlichung des Nationalsozialismus indiziert wurden. Zu diesem Zeitpunkt sind seit der ersten Begegnung mit der Clique etwa sechs Wochen vergangen, und wir freuen uns darüber, früher als üblich einen Kontakt hergestellt zu haben, der es anscheinend erlaubt (und auch verlangt), die politischen Inhalte in den Vordergrund zu rücken. Der durchaus als positiv zu verbuchende Start in die Cliquenbegleitung erfährt aber leider keine vergleichbare Fortsetzung. „Ich bin eben Menschenfeind.“ Die Clique geht weiterhin in der Wohnung des 19-Jährigen ein und aus. Auf einem Spielplatz, der vorübergehend als Treffpunkt genutzt wurde, fühlten sich die Jugendlichen vertrieben, weil es oft Ärger mit einer Anwohnerin gab. Meistens wegen des Lärms, aber auch wegen des politischen Gebarens der Clique. Zwar hissten sie dort eines abends an einem Klettergerüst die Reichskriegsflagge, um den Spielplatz als „ihr“ Revier zu markieren, letztlich hat die Privatwohnung des Cliquenältesten dann aber doch den Vorzug erhalten. Bereits seit einigen Jahren berichten KollegInnen aus dem Arbeitsfeld aufsuchender Jugendarbeit verstärkt vom Rückzug ihrer Klientel aus dem öffentlichen Raum, ganz gleich, mit welcher Zielgruppe gearbeitet wird. Die Gründe sind vielschichtig: das Fehlen öffentlicher Treffpunkte (durch behördliche Umwidmung öffentlichen Raums zu monofunktionalen Orten, erhöhte Polizeipräsenz und/ oder Kameraüberwachung an extra ausgewiesenen „Gefahrenbereichen“ o. Ä. fühlen sich Jugendliche vertrieben), die intensivere Nutzung virtueller Lebenswelten oder - und das trifft auch in diesem Fall zu - das schlichte Bedürfnis junger Menschen nach Ungestörtheit und Ruhe. An diesem Punkt zeigt sich eine Schwierigkeit bei dem Versuch, regelmäßigen Kontakt zu den Jugendlichen aufzubauen. Wir können die Clique nicht, wie sonst im Rahmen aufsuchender Jugendarbeit üblicherweise gegeben, an einem von ihr selbst gewählten Ort im öffentlichen Raum antreffen, weil es diesen Ort nicht gibt. Die Jugendlichen schlagen uns aber vor, sie in der Wohnung des 19- Jährigen zu treffen. Zu diesem Zeitpunkt der Arbeit, einige Wochen nach dem Kennenlernen der Clique, lassen wir uns nicht darauf ein, da wir die Sicherheit, die der Kontakt in der Öffentlichkeit für uns selbst bietet, nicht aufgeben wollen. Zudem wollen wir den Jugendlichen dadurch von Beginn an deutlich machen, dass wir eine professionelle Arbeitsbeziehung anstreben, die im Sinne der Grenzen akzeptierender Jugendarbeit jegliche Art der Verkumpelung ausschließt (Krafeld 1996, 28). Wir sind also darauf angewiesen, dass die Jugendlichen zu unseren Treffen, zumeist uj 2 (2009) 67 rechtsextremismus vorher telefonisch mit ihnen verabredet, in einem Park in unmittelbarer Nähe der Wohnung erscheinen. Und je nach Tagesform der Einzelnen tun das nicht immer alle. Da der Park eben kein selbst gewählter Treffpunkt der Clique ist, spürt man deutlich, dass die Jugendlichen dort nicht so selbstbewusst auftreten, wie sie es in gewohnter Umgebung wohl tun würden. Ihre Authentizität, die Offenheit uns gegenüber und damit ihre Zugänglichkeit leiden darunter. Gepaart mit der ganz normalen und nachvollziehbaren Skepsis, die sie bei den ersten Treffen mit uns zeigen, ergibt sich eine durchaus als herausfordernd zu bezeichnende Ausgangslage. Erschwerend kommt hinzu, dass sich beide Pärchen der Clique in den ca. drei Monaten, über die hier berichtet wird, mehrfach trennen und wieder zusammenfinden - mit der entsprechenden jugendtypischen Konsequenz, dass sich bestimmte Cliquenmitglieder zeitweise aus dem Weg gehen. Auch die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Jugendlichen nehmen durch die vermehrten Konflikte innerhalb der Clique zu. Die Verabredungen mit uns werden inzwischen von wenigen Cliquenmitgliedern regelmäßig wahrgenommen, nur noch sehr selten von allen gleichzeitig. Besonders die ehemaligen Pärchen erscheinen nicht mehr gemeinsam, sondern gehen sich aus dem Weg, bis sie einige Tage später wieder zusammen sind. Ein steter Kontakt zur gesamten Clique ist so nur schwer zu etablieren. Wir begegnen dem mit einer veränderten Strategie für unsere aufsuchende Tätigkeit und verlagern den Schwerpunkt auf die verstärkte Arbeit mit einzelnen Cliquenmitgliedern. Die konzeptionelle Grundlage unserer Arbeit sieht Einzelfallhilfe vor allem als „aus Cliquen-, Gruppen- und Szenearbeit erwachsenden Arbeitsbereich“ (Bleiß u. a. 2004 a, 584) und damit eher zu einem späteren Zeitpunkt der Begleitung vor. Nach dem o. g. Phasenmodell ist die Phase der Konsolidierung dafür prädestiniert. Angesichts der beschriebenen Situation erscheint es allerdings ratsam, sie auch zur Kontaktfestigung bei einzelnen Jugendlichen zu Beginn eines Beziehungsaufbaus einzusetzen. Die zu einigen zwar bestehende, aber noch nicht sehr tragfähige Arbeitsbeziehung droht sonst wieder abzubrechen. Drei der Jugendlichen erweisen sich zugänglich für die Einzelangebote. Unsere Unterstützung wird besonders bei den ihnen unangenehmen institutionellen Kontakten mit u. a. Gericht, Schule oder Jugendamt angenommen. Eine weitere Problematik, speziell im Hinblick auf den Vertrauensaufbau, stellt sich dabei für uns so dar: Die MitarbeiterInnen der Behörden haben, wie oben bereits angedeutet, teilweise größte Schwierigkeiten, ihre Aufträge (Beschulung, Bearbeitung der Wohn- und Familiensituation etc.) zu erfüllen, weil sie die Jugendlichen nicht (mehr) erreichen. Mehrere Stellen wenden sich mit der Bitte um Vermittlung an uns. Im Sinne der Hilfestellung für Jugendliche gehört die vermittelnde Funktion ohnehin zu unseren eigenen Ansprüchen, so auch in diesem Fall. Aber: es liegt auf der Hand, dass ein unterstützendes Angebot für Jugendliche und die damit verbundene Parteilichkeit (im Rahmen der für die akzeptierende Jugendarbeit konzeptionell verankerten Grenzen, Krafeld 1996, 28) mit der gleichzeitigen Unterstützung der Behörden teilweise nur schwer zu vereinbaren ist, ohne das Vertrauen der Jugendlichen zu verlieren - Jugendliche, die sich selbst im Kontakt mit anderen, ihnen unbekannten Personen etwa so beschreiben wie der 17-Jährige: „Ich finde es unangenehm, Leuten zu begegnen, die ich nicht kenne. Ich bin eben Menschenfeind.“ Drei Monate nach dem ersten Kontakt ist dies nun die aktuelle Situation. Kontakt besteht weiterhin zu allen Cliquenmitglie- 68 uj 2 (2009) rechtsextremismus dern, zu einigen intensiver im Rahmen verabredeter Einzelfallgespräche als zu anderen, die nur die selten gewordenen Treffen mit der gesamten Clique nutzen. Mit dem 17-Jährigen rede ich u. a. viel über Musik. Gitarre spielen ist ein gemeinsames Interesse. Aus einem meiner Songbooks, das ich kürzlich mit zu einem Treffen brachte, notierte er mir einige Titel, die er gerne selbst nachspielen würde: „Rebell“, „Nie gesagt“ und „Für uns“ waren dabei. Ich werde ihm die Kopien mitbringen und mich darüber freuen, ihn für Die Ärzte begeistert zu haben. Sein Freund, der 19-Jährige, fragte mich vor einigen Tagen, ob ich ihn zum Gericht begleiten kann. Er sei angeklagt wegen „Weißfahren“, wie er es nennt. „KZ muss nicht, die können ja leben, aber nicht hier! “ - Vom Umgang mit rechtsextremer Musik Wie reagiert Jugendarbeit, die sich mit rechtsextrem und menschenfeindlich orientierter Klientel befasst, auf den zunehmenden und vor allem unreflektierten Konsum Jugendlicher von Musik mit rechtsextremen und menschenverachtenden Inhalten? Häufig ist den Jugendlichen gar nicht klar, was sie überhaupt hören. Darauf hingewiesen hört man dann oftmals das Argument, die Musik sei irgendwie krass oder der Refrain sei leicht mitzugrölen. In vereinzelten Fällen ist es einfach nur die Art der Musik bzw. der Rhythmus (fernab des Textes), die begeistern. Von Reflexion keine Spur. Wie können wir in einem solch sensiblen Arbeitsfeld aufklären? So viel vorweg: eine standardisierte Lösung können wir nicht anbieten - es gibt sie nicht. Eine Möglichkeit für den Umgang mit rechtsextremem Liedgut soll aber im Folgenden anhand eines weiteren Praxisausschnitts veranschaulicht werden. Es sei erwähnt, dass es gewisser Bedingungen bedarf, um solch eine konfrontative Herangehensweise nicht zu gefährden, geschweige denn kontraproduktiv enden zu lassen. Die PädagogInnen sollten: n im Rahmen der akzeptierenden Jugendarbeit eine (professionelle) Beziehung zu den Jugendlichen aufgebaut haben, n einen guten Überblick über die rechtsextreme Musikszene besitzen und durch fundiertes Wissen überzeugen können, n sich unbedingt absprechen und gegebenenfalls textliche Unklarheiten beseitigen, n authentisch sein und auch eigene Emotionen zulassen, n einen geschützten, ruhigen Rahmen wählen. „Nicht angemessen, aber lustig“ Wie hinlänglich bekannt, gehört der mp 3- Player, mindestens aber ein Handy mit guten Lautsprechern heutzutage zur Grundausstattung von Jugendlichen. Sie liefern den Soundtrack zu den gemeinsamen Treffen. Konsumiert wird alles, was der Markt, also auch illegale Download-Portale im Internet, hergibt. Dank moderner Übertragungstechniken werden die Lieder genauso schnell untereinander getauscht, wie sie im Internet gerippt wurden. So entsteht eine krude Playlist, in der alle Genres vertreten sind. Von aktuellen Hits amerikanischer Gangsta-Rapper und der AGGRO Berlin Crew über Partysongs à la ABBA und NDW bis hin zu sämtlichen DSDS-GewinnerInnen und grenzdebilen Yamba-Kuscheltier-Songs. Da fällt der ein oder andere Song mit fragwürdigen Inhalten gar nicht so sehr auf. Man nimmt, was man kriegen kann. Hauptsache annehmbare Qualität, massenkompatibel und kostenlos. uj 2 (2009) 69 rechtsextremismus Die rechtsextreme Szene definiert und profiliert sich traditionell sehr stark über Musik. Szeneexperten werden nicht müde, Musik als eine Einstiegsdroge zu benennen. Je provokanter und brutaler der Song, desto besser. Ist er sogar indiziert (also verboten), kann man mit Anerkennung der anderen und einem aufgescheuchten Umfeld rechnen. Wer also unter mangelnder Aufmerksamkeit leidet, der kann diese dank einer gerippten Soundfile und einem Handy binnen Sekunden bekommen. Und das nicht nur in der Straßenbahn, sondern auch und zwar ganz besonders in pädagogischen Institutionen wie Schulen und Jugendfreizeitheimen. So ist es kaum verwunderlich, dass in unserem Beispiel ein 15-Jähriger, der nie zum Cliquenkern gehört hat (und wahrscheinlich auch nie gehören wird), seine Anwesenheit auf andere Art und Weise zeigen muss. Er spielt also im Beisein der Streetworker und aller Jugendlichen seine Handy-Playlist runter. Laut. Und plötzlich ist da dieser eine Song, dessen Melodie sofort ins Ohr geht und dessen Text extremer ist als andere. Alle haben diesen Song. Ganze Schulhöfe kennen ihn. Und alle können den Refrain mitsingen: Türke, Türke, was hast du getan? Türke, Türke, warum machen du mich an? Auf die Frage, wie er an diesen Song gekommen sei, antwortet er, er habe sich ein paar Lieder von den Böhsen Onkelz bei einem Kumpel „gezogen“. Da sei Türke, Türke dabei gewesen. Darauf intervenieren andere Jugendliche, der Song sei nicht von den Onkelz, sondern von DJ Adolf und heiße Der Türkensong. Eine weitere Jugendliche sagt, sie habe den Song unter Böhse Onkelz feat. Störkraft aus dem Netz gezogen. Die Tatsache, dass der Song, der weder Türke, Türke noch Türkensong, sondern Ali Baba (Standarte „Ali Baba“, Album: Deutschland den Deutschen - White Techno Beat Vol. II, 1996, indiziert - Original: Endsieg „Kanakensong“, 1991, indiziert) heißt, in einem techno-ähnlichen Gewand, das wohl zu keiner der o. g. Bands passen würde, daherkommt, scheint niemanden zu stören. Hier offenbart das Internet gehörige Schwächen: Aufgrund der fehlerhaften Beschriftung des Users, der dieses Lied einst im Internet zur Verfügung gestellt hat, kursiert jetzt ein indizierter Song auf vielen Playlists der User, die sich schnell mal ein paar Lieder der Böhsen Onkelz runterladen wollten. Im Glauben, dass der 15-Jährige nie die Absicht hatte, sich (aufgrund des Inhalts) genau diesen Song zu besorgen, sondern dieser wie beschrieben nur zufällig „rein gerutscht“ ist, und aufgrund der Erkenntnis, dass alle Jugendlichen dieser Clique im Besitz dieses Lieds sind, entscheiden wir, offensiv mit der Situation umzugehen und die Jugendlichen mit dem Text zu konfrontieren. Nicht zuletzt aufgrund der verbreiteten Stimmungslage dem Lied gegenüber, die ein Kommentar von User dsp0507 auf dem Videoclip- Portal YouTube treffend zusammenfasst: „Irgendwie finde ich das Lied nicht angemessen, aber lustig.“ „Die Türken werden gedisst! “ Dank einer Kooperation mit der evangelischen Gemeinde des Stadtteils, in dem wir die Clique seit nunmehr dreieinhalb Jahren begleiten, können wir auf einen Raum im Jugendhaus zurückgreifen, der uns für dieses Unternehmen einen geschützten Rahmen sichert. Anwesend sind acht Jugendliche (sechs Mädchen, zwei Jungs) im Alter von 15 bis 20 Jahren, die zwei cliquenbegleitenden StreetworkerInnen sowie ein den Jugendlichen bekannter Streetworker, der die Besprechung mit dem Einverständnis der Jugendlichen filmt. Hier sei erwähnt, dass das Filmmaterial ausschließlich der eigenen Verwendung dient und 70 uj 2 (2009) rechtsextremismus zum Schutz der Jugendlichen unter Verschluss gehalten wird. Das Lied darf im Sinne der Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 StGB in einem solchen Rahmen genutzt werden, und der Text ist über die gesamte Zeit via Overheadprojektor auf der Leinwand lesbar. Hier soll exemplarisch auf einige Passagen eingegangen werden, die dementsprechend zitiert werden. Wer Interesse am ganzen Text hat, kann ihn mithilfe der Worte „Text“ und „Türke Türke“ im Internet finden. Das Lied läuft einmal unkommentiert durch. Mit den ersten Takten wird deutlich, dass es die Jugendlichen amüsiert, diesen Song zu hören. Unter allgemeinem Gelächter wippen sie mit Füßen und nicken mit den Köpfen. Bei Zeilen wie „… schickt sie ins KZ“ wird gekichert. Der Refrain (s. o.) wird von vier Jugendlichen mitgesungen. Das Lied endet, und in cooler, abgeklärter Haltung beantworten sie die erste Frage, wie es für sie war, mit einem kurzen: „Geil! “ Bevor wir den Blick auf die einzelnen Strophen richten, wollen wir wissen, wovon dieser Song eigentlich handelt. Ein Mädchen antwortet: „Die Türken werden gedisst“, ein anderes gibt zu, dass der Text zwar „ein bisschen übertrieben ist“, ansonsten aber „o. k.“ sei. Wohlgemerkt, wir besprechen einen Text, in dem aufgefordert wird, Türken zu verprügeln, zu töten und in Vernichtungslager zu schicken. Im Folgenden beschreiben wir die Reaktionen der Jugendlichen auf den Inhalt und geben die anschließenden Diskussionen wieder. Anhand der Kontroverse rund um den Text und der bisher lediglich oberflächlichen Auseinandersetzung mit den vermittelten Aussagen wird in aller Deutlichkeit sichtbar, wie wichtig und hilfreich die Konfrontation auf dieser Ebene ist. Wie traditionell im Rechtsrock (und seinen zahlreichen Spielarten) üblich, arbeitet auch dieser Text mit Vorurteilen gegenüber Türken. Sie „fressen ständig Knoblauch“, und der Türke an sich ist „ein altes Kümmelschwein“. Angesprochen auf diese Vorurteile, bestätigen die Jugendlichen diese und belegen sie, indem sie sich darauf berufen, dass sich ihre Eltern dahingehend genauso äußern. Hier lauert eine Schwierigkeit der politischen Jugendbzw. Bildungsarbeit: Die Reduktion einer menschenfeindlichen Haltung wird umso schwieriger, wenn das familiäre Umfeld eben jene Meinung verstärkt äußert und somit infiltriert. Natürlich bedient Ali Baba auch noch den Klassiker aller Vorurteile: „Sie (die Türken, die Verf.) kommen nach Deutschland und leben hier für lau.“ Alle anwesenden Jugendlichen stimmen zu. Ihre eigene, eher prekäre Situation vor Augen, stimmen sie dort ein, wo der Bielefelder Gewalt- und Rechtsextremismusforscher Wilhelm Heitmeyer von Etabliertenvorrechten spricht (Heitmeyer 2008, Abb. 2 Quelle: Arnold Morascher @ www.arnoldmorascher.de uj 2 (2009) 71 rechtsextremismus 19). Die Angst vor dem persönlichen Abstieg, das lähmende Unvermögen, aus der Hartz-IV-Mühle herauszukommen, gepaart mit der Vorstellung, sie, die Deutschen, müssten vom Kuchen nicht nur das größte, sondern auch das erste Stück bekommen, verwandelt die Unzufriedenheit der Jugendlichen in Hass, den sie auf die vermeintlich schwächere Gruppe der MigrantInnen projizieren. Das ändert sich auch nicht, als eine 19-Jährige bekennt, sie lebe ja irgendwie auch für lau. Bei den Eltern, ohne Schule, Job oder Arbeit. Da sie aber schließlich zur Clique gehört, wird der Sachverhalt umgehend geklärt und wohlwollend zu ihrer Verteidigung attestiert, dass das ja auch etwas anderes sei, schließlich hätte sie ja auch „keinen Mercedes und 5000 Kinder“. „Hauptsache, die kommen weg“ Im Lied von Standarte wird in acht Strophen achtmal klar und deutlich zum Mord aufgerufen (u. a.: „Tötet ihre Kinder, schändet ihre Frau’n“). Unzählige weitere Male „nur“ zur Gewalt. Tenor der Jugendlichen: Das sei nicht weiter schlimm. Auf unseren Hinweis, hier werde hetzerisch zum Quälen, Vergewaltigen und Morden aufgerufen, entgegnet die 20-jährige Hardlinerin der Clique (nicht organisiert, aber offensiv rechtsextremes Gedankengut), dass es ja nur ein Lied sei und außerdem auch „o.k.“ sei. „Gut“, lenkt sie ein, „die Frauen muss man ja nicht vergewaltigen (…) und auch nicht alle töten, aber die kleinen Türken auf jeden Fall, die sind am schlimmsten.“ An dieser Stelle regt sich zum Glück Widerstand: „Töten geht gar nicht! “ Die 20-Jährige lenkt ein und bietet einen Kompromiss an: „Ja, ist auch egal, aber Hauptsache, die kommen weg! “ Damit können alle leben. Natürlich handelt es sich hier um rechtsextrem orientierte und gewaltaffine Jugendliche, die mit Sicherheit schon zahlreiche andere Songs ähnlichen Kalibers gehört und mitgesungen haben und womöglich resistent gegenüber solchen textlichen Perversionen sind. An diesem Beispiel merken wir jedoch deutlich, dass gerade in Zeiten medialer und jugendkultureller Tabubrüche bzw. Grenzüberschreitungen und der rohen Stumpfheit aktueller Bestseller der Ego-Shooter-Branche die Sensibilität der Clique hinsichtlich Moral und Ethik - sogar die der eher gemäßigten Jugendlichen - doch empfindlich gelitten hat. Ein in rechtsextremen Kreisen immer wieder auftauchender Begriff ist Rasse. Meist verschwommen im sozialdarwinistischen Kontext und begründet auf den Rassentheorien des Nationalsozialismus, erfährt der Ausdruck in Zeiten von sogenannten Parallelgesellschaften auch eine Renaissance im rechtsextremen Liedgut. Auch Standarte geizt in diesem Zusammenhang nicht mit Nazi-Vokabular: Triffst du mal ’nen Türken mit einer deutschen Frau, so ist das Rassenschande, und das weißt du genau. Auf die Frage, was Rasse eigentlich bedeute, antwortet ein 15-jähriges Mädchen mit polnischem Migrationshintergrund: „Rasse ist so andere Länder und andere Sprachen.“ Wir merken an, dass dann ihre Verwandtschaft in Polen ebenfalls einer anderen Rasse angehöre. „Ja, is’ halt so“, lautet ihre Antwort, worauf ihre Nachbarin anfängt zu lachen: „Iiiih, die is’ ne andere Rasse, ne Pollin [sic! ], krass! “ Wir unterbrechen, bitten um einen höflichen und fairen Umgang miteinander und erklären, dass man keinen Menschen aufgrund seiner Herkunft be- und verurteilen darf. Außerdem machen wir anhand der Rassengesetze des Dritten Reichs deutlich, dass nicht nur die Herkunft, sondern auch körperliche Merkmale über Leben und Tod entschieden und dass man heutzutage dem- 72 uj 2 (2009) rechtsextremismus entsprechend sensibel mit solchen und ähnlichen Begrifflichkeiten umgehen sollte. Auf die Frage, warum Hitler die von ihm als eigene Rasse bezeichneten Juden vernichten wollte, herrscht Schweigen. Auch die Erinnerung an den schulischen Geschichtsunterricht hilft hier nicht weiter. „Das ist zu lange her“ und „haben wir nie gehabt“ sind die Entschuldigungen. Anders verhält es sich mit der Frage nach der Bedeutung des Wortes Rassenschande. Hier erzählt eine 17-Jährige, sie habe bereits Erfahrung mit Rassenschande gemacht, schließlich sei sie vor längerer Zeit mal mit einem Türken zusammen gewesen. Ihr derzeitiger Freund, der neben ihr sitzt, wendet sich irritiert von ihr ab. Auch andere gucken skeptisch. Sie bemerkt dies und schiebt schnell hinterher: „Jaa, ich weiß, aber das war früher. So was mache ich ja heut’ nicht mehr.“ Beruhigend. Beruhigend ist es auch, dass die meisten Jugendlichen keine Einwände gegen eine Liaison einer hellhäutigen Europäerin mit einem dunkelhäutigen Afrikaner hätten. „Nee, das is’ o.k., die Kinder sehen dann immer so süß aus. Wie Kakao.“ Letzteres liefert in diesem Fall erneut die Zutaten für die offensichtlich unfundierten und selektiven Rechtstümeleien der Jugendlichen: mangelhaftes bis ungenügendes, im schlimmsten Fall verklärtes Geschichtswissen, gepaart mit einer großen Portion Naivität. „Sechs Millionen Tote - ohne Scheiß? “ Bereits in der dritten Strophe werden die Hörer mit der Zeile: „Steckt sie in den Kerker oder schickt sie ins KZ“ konfrontiert. An dieser Stelle des Textes ist zu beobachten, dass in den Reihen der Jugendlichen geschmunzelt, sogar gelacht wird. Während der anschließenden Diskussion stellen wir die Frage, wer denn überhaupt in die Konzentrationslager „geschickt“ wurde? „Ich nicht“, lautet die provokante Antwort der oben bereits erwähnten 19-Jährigen. Nach der gemeinsamen Klärung entwickelt sich mit ihr ein provokant-ignorantes Frage-Antwort-Spiel: „Warum mussten die Juden ins KZ? “ - „Zum Duschen! “ - „Im Ernst, warum hat Hitler die Juden vergasen lassen? “ - „Weil er sie nicht mochte.“ - „Und wie viele sind getötet worden? “ - „Keine Ahnung, mir egal.“ An dieser Stelle mischen sich unterstützend die anderen ein: „20.000! “ - „Nee, mehr, 100.000.“ - „Nee, nicht so viel. Ich sag 76.000.“ - „Quatsch, mehr, 400.000“. Wir lösen das pietätlose Ratespiel auf: „Es waren sechs Millionen! “ Aber statt offener Münder kommt lediglich eine Reaktion der 19-Jährigen, die treffend das zusammenfasst, was die anderen wohl gerade denken: „Boah, krass! Ohne Scheiß? “ Scheinbar hat auch hier der Geschichtsunterricht nicht für ein nachhaltiges Wissen sorgen können. Kombiniert mit der Schulvermeidungs-Mentalität einzelner und einem defizitären Allgemeinwissen, ergibt dies einen erschreckend großen, weißen Fleck auf dem Gebiet der Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte. Und diese Jugendlichen sind keine Einzelfälle. Hier muss Jugendarbeit ansetzen und aufklären. Andernfalls machen sich die rekrutierenden Rechtsextremisten dieses gefährliche Halbwissen zunutze. In den letzten Zeilen fasst Standarte den wesentlichen Kern der extrem menschenverachtenden Aussage wie folgt zusammen: Denkt ihr so wie ich, könnt ihr es übersteh’n, könnt ihr es nicht ertragen, tausend Türken hier zu sehn? Dann macht doch endlich Schluss, ihr seid doch wohl genug, macht es so wie damals und steckt sie in den Zug. uj 2 (2009) 73 rechtsextremismus Lediglich die 20-jährige Hardlinerin versteht diese Metapher als Anspielung auf die Deportation. Zu unserem Erstaunen erzählt sie, dass sie bereits mit ihrer Schulklasse in der Gedenkstätte Bergen-Belsen war. Auf die Frage, wie diese Erfahrung für sie gewesen sei, behauptet sie distanziert: „Das hat mich nicht berührt.“ Und auch auf unsere Anmerkung, die Vorstellung, dass an jener Stelle über 50.000 Menschen qualvoll starben, müsse doch etwas auslösen, entgegnet sie kühl: „Nö, da sieht man ja nix. Nur der Film war heftig.“ Diese Aussage ist sicherlich eine Steilvorlage für die Medienpädagogik. Für uns passt sie in das Gesamtbild im Umgang mit Medien. Es scheint, als hätten sich die Jugendlichen noch nie so intensiv mit dem Text eines Liedes beschäftigt. Die Auseinandersetzung mit Texten erfordert Konzentration und die Bereitschaft, nachzufragen bzw. eigenhändig zu recherchieren, wenn man etwas nicht versteht. Das ist schwierig und streckenweise zeitintensiv. Zeit, die die Jugendlichen lieber anders verbringen. Zum Beispiel vor dem Fernseher. Hier müssen sie nicht agieren. Sie konsumieren lediglich. Und was man nicht versteht, wird als unwichtig beurteilt und ausgesiebt. Es erscheint also klar, warum die Vorstellungskraft der Jugendlichen auf dem Terrain eines ehemaligen Arbeitslagers nicht ausreicht, um ermessen zu können, was dort zwischen 1940 und 1945 geschehen ist. Es bedarf erst bewegter Bilder, um die Jugendlichen, in welcher Intensität auch immer, zu erreichen. Der alte Kalenderspruch „Man soll nicht alles glauben, was man sieht“ wird hier ad absurdum geführt. Diese Jugendlichen glauben nahezu nur noch das, was sie sehen. Also dem Fernsehen und vor allem dem Internet. Den Medien, die häufig unkommentiert und unreflektiert Wahrheiten suggerieren. „Vielleicht ändern die irgendwann was, wenn sie weiter auf einen einreden.“ Eine solche Sitzung gehört sicherlich nicht zur Tagesordnung der aufsuchenden Jugendarbeit. Sie eignet sich allerdings hervorragend zur Initiierung eines Reflexionsprozesses, der im besten Fall beinhaltet, dass die Jugendlichen Kompetenzen hinsichtlich eines kritischeren Umgangs mit ihrem Konsumverhalten entwickeln. Auf die Frage, ob die Jugendlichen, jetzt, da sie Dinge hinterfragt haben, bemerkt hätten, wie hohl, aber hetzerisch der Text ist, antworten immerhin drei mit „Ja“. Andere sagen, dass „der Text zu krass ist. Die können ja leben, aber halt nicht hier“. Um jenen Aussagen begegnen zu können und eine solch sensible Thematik zu behandeln, sollte man sich bereits in einer Phase der pädagogischen Arbeit mit Cliquen befinden, die es zulässt, kontrovers miteinander zu diskutieren. Wenn sich also die professionelle Beziehung zwischen Fachkräften und Jugendlichen stabilisiert hat, ein Vertrauensverhältnis seitens der Clique aufgebaut ist, dann wird den MitarbeiterInnen „erfahrungsgemäß auch zunehmend Offenheit im Hinblick auf die Diskussion und Reflexion politisch relevanter Fragen und Positionierung entgegengebracht“ (Bleiß u. a. 2004 a, 587). Man sollte sich darüber im Klaren sein, welche Folgen die inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem oder ähnlichen Texten haben kann. Sicherlich wird man nicht verhindern können, dass einige Jugendliche erst aufgrund ausführlicher Erklärungen und Definitionen schwieriger und unverständlicher Zusammenhänge den geschichtlichen Hintergrund bzw. die politische und moralische Relevanz begreifen. Und das so erworbene Wissen dankbar als provokante „Fishing for Aufmerksamkeit“-Plattform in Diskussionen mit den StreetworkerInnen instrumentalisieren. Diesbezüglich kann ein Vorwurf lauten, man hätte den Jugendlichen, die bis- 74 uj 2 (2009) rechtsextremismus her nur an der Oberfläche gekratzt haben, nun das Fundament für ihr menschenfeindliches Denken und Handeln bereitet und sogar ausgebaut. Doch gerade in den gewünschten Diskussionen müssen diese Themen angesprochen und reflektiert werden. Rechtsextreme Einstellungen sollen nicht verwaltet, sie sollen abgebaut werden. Das bedarf Aufklärung. Und Konfrontation. Soziale Arbeit „gegen rechts“ darf sich nicht lediglich darin erschöpfen, den Abbau individuell bestehender rechtsextremer Verhaltensweisen zu betreiben. Sie muss ebenso versuchen, die gerade aufkeimenden rechtsextremen Denk- und Handlungsmuster gerade der jüngeren Jugendlichen, die nach Orientierung suchen, mit längerfristig angelegter pädagogisch begleitender Beziehungsarbeit im Keim zu ersticken. Das beinhaltet vor allem die Akzeptanz der Lebenswelt, die den Jugendlichen sinnvoll erscheint. Akzeptanz heißt aber nicht, dass Jugendarbeit diskurs- und konfliktscheu sein sollte. Oder schlimmer: aufgrund eines Unbequemlichkeiten ausweichenden Kuschelkurses handlungsunfähig wird. Das Gegenteil muss der Fall sein. Die gegenseitige Wertschätzung muss als Basis verstanden werden, Jugendlichen Grenzen zu setzen (und gleichzeitig Alternativen aufzuzeigen) sowie striktes situatives Intervenieren und die anschließende Konfrontation mit universal-moralischen Normen in die Beziehungsarbeit einzubetten. Das beinhaltet die Chance, trotz Authentizität (Ablehnung menschenfeindlich orientierter Haltung) „sowohl unterstützend als auch grenzsetzend“ wahrgenommen zu werden (Bleiß u. a. 2004 b, 15). Ein moralischer Zeigefinger ist nichts wert, wenn er nicht in der Lage ist, auf professioneller Ebene Empathie zu entwickeln bzw. zu zeigen. Erst wenn diese professionelle Ebene gefunden ist, kann eine Beziehungsarbeit einsetzen, die einen erfolgreichen Abbau rechtsextrem orientierter Haltungen bewirken kann. Die beiden hier beschriebenen Praxisbeispiele können Teile von Prozessen sein, die zu einer solchen Reduktion führen können, wie die vereinsexterne Evaluation belegt (Gulbins u. a. 2007 b). 2008 erhielt VAJA den Deutschen Kinder- und Jugendhilfepreis für Konzept, Praxis und Evaluation der Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen. Dieses umfassend darzustellen, bedarf deutlich mehr Platz und geschah bereits an anderer Stelle ausführlich (Möller/ VAJA 2007). Deswegen hier nur ein zusammenfassendes Statement der oben bereits erwähnten Hardlinerin auf die Frage nach dem Einfluss von VAJA auf ihre Entwicklung: „Ich mach mir jetzt eher ’n Kopp. Die VAJA-Leute sind genau das Gegenteil von mir. Vielleicht ändern die irgendwann was, wenn sie weiter auf einen einreden“ (Gulbins u. a. 2007 b, 532). Nachtrag Auf unsere letzte Frage, ob sie sich vorstellen können, dies in ähnlicher Form erneut zu machen, nicken alle mit den Köpfen. Und die 20-jährige Hardlinerin hat auch direkt einen Vorschlag: „Ja, geil, können wir das nächste Mal Opa war Sturmführer bei der SS von Landser hören? “ Kurzes Gekicher, dann gehen alle raus zum Rauchen. Im Vorbeigehen sagen uns drei der Jugendlichen, inklusive dem am Anfang erwähnten 15-Jährigen, sie würden jetzt erst kapieren, worum es in dem Lied ginge, und hätten das Lied von ihrem mp 3-Stick bzw. Handy gelöscht. Literatur Bleiß, K./ Möller, K./ Peltz, C./ Rosenbaum, D./ Sonnenberg, I., 2004 a: Distanz(ierung) durch Integration. Neue konzeptionelle Grundlagen für aufsuchende Arbeit mit rechtsextrem bzw. menschenfeindlich orientierten Jugendlichen. In: Neue Praxis, 34. Jg, H. 6, S. 568 - 590 uj 2 (2009) 75 rechtsextremismus Bleiß, K./ Möller, K./ Peltz, C./ Rosenbaum, D./ Sonnenberg, I., 2004 b: Distanz(ierung) durch Integration. Das Bremer Konzept zur Bearbeitung rechtsextremer und menschenfeindlicher Orientierungen bei Jugendlichen durch aufsuchende Jugendarbeit. www.vaja-bremen.de/ _ pdf/ Distanz-Konzept-2004.pdf, 4. 9. 2008, 30 Seiten Gulbins, G./ Meinecke, A./ Rosenbaum, D./ Stewen, I., 2007 a: Rechtssein hat viele Gesichter. Menschenfeindliche und rechtsextreme Orientierungen bei Jugendlichen. In: Offene Jugendarbeit, H. 2, S. 23 - 35 Gulbins, G./ Möller, K./ Rosenbaum, D./ Stewen, I., 2007 b: „Denn sie wissen nicht, was sie tun“? Evaluation aufsuchender Arbeit mit rechtsextrem und menschenfeindlich orientierten Jugendlichen. In: deutsche jugend, 55. Jg., H. 12, S. 526 - 534 Heitmeyer, W., 2008: Deutsche Zustände. Folge 6. Frankfurt am Main Krafeld, F.-J., 1996: Die Praxis Akzeptierender Jugendarbeit - Konzepte, Erfahrungen, Analysen aus der Arbeit mit rechten Jugendcliquen. Opladen Möller, K./ VAJA e.V., 2007: Distanz(ierung) durch Integration. Aufsuchende Arbeit mit rechtsextrem und menschenfeindlich orientierten Jugendlichen. Konzept, Praxis, Evaluation. www.vaja-bremen.de/ _pdf/ distanzierung_durch _integration-konzept_praxis_evaluation-2007. pdf, 4. 9. 2008, 36 Seiten http: / / de.youtube.com/ comment_servlet? all_ comments&v=FJCJC4ZqgyA&fromurl=/ wat ch%3Fv%3DFJCJC4ZqgyA%26feature%3D related, 4. 9. 2008 Die Autoren Guido Gulbins Dennis Rosenbaum Verein zur Förderung akzeptierender Jugendarbeit e.V. (VAJA) - Akzeptierende Jugendarbeit mit rechten Cliquen Eduard-Grunow-Straße 24 28203 Bremen Tel.: (04 21) 7 62 66 recl@vaja-bremen.de www.vaja-bremen.de
