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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Integration
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Hacer Deniz Randel
Der Elternkurs "Starke Eltern - Starke Kinder®" ist ein Gewaltpräventionsprojekt des Deutschen Kinderschutzbundes und basiert auf der UN-Konvention über die Rechte des Kindes. Ein weiterer zentraler Ausgangspunkt ist das in § 1631 Abs. 2 BGB verankerte Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung. Der Deutsche Kinderschutzbund bietet diese Elternkurse in türkischer Sprache an.
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uj 3 (2009) 119 Unsere Jugend, 61. Jg., S. 119 - 122 (2009) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel integration Der Elternkurs „Starke Eltern - Starke Kinder®“ - „Güçlü Veli - Güçlü Çocuk®“ für türkischsprachige Eltern in Bayern Hacer Deniz Randel Der Elternkurs „Starke Eltern - Starke Kinder®“ ist ein Gewaltpräventionsprojekt des Deutschen Kinderschutzbundes und basiert auf der UN-Konvention über die Rechte des Kindes. Ein weiterer zentraler Ausgangspunkt ist das in § 1631 Abs. 2 BGB verankerte Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung. Der Deutsche Kinderschutzbund bietet diese Elternkurse in türkischer Sprache an. Das Projekt „Starke Eltern - Starke Kinder®“ als Angebot für türkischsprachige Eltern Die Grundlagen für diesen Weg in eine gewaltfreie Erziehung wurden von Paula Honkanan-Schoberth aus einem Programm der finnischen „Mannheim League for Child Welfare“ übertragen und weiterentwickelt. Dabei geht es um die Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern, die Stärkung des Selbstvertrauens der Eltern als Erziehende sowie das Aufzeigen der Rechte und Bedürfnisse von Kindern. Das Programm „Starke Eltern - Starke Kinder ® “ wurde im Hinblick auf türkischsprachige Eltern überarbeitet, um auch Eltern mit Migrationshintergrund erreichen zu können. Für diese Bevölkerungsgruppe bietet der Deutsche Kinderschutzbund seit 2005 die Elternkurse in türkischer Sprache an.Eine Übersetzung des Kurskonzeptes „Starke Eltern - Starke Kinder ® “, die inzwischen bundeseinheitlich vorliegt, wurde vom Bundesverband des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB) erstellt. In Bayern haben bis Ende 2008 ca. 40 türkischsprachige PädagogInnen an der Schulung für die Durchführung der Elternkurse teilgenommen. Die türkischsprachigen PädagogInnen kennen in der Regel die kulturellen Hintergründe und sind mit den Lebensweisen türkischsprachiger Familien in der deutschen Gesellschaft vertraut. Sie kennen gleichzeitig das Wertesystem und die Strukturen der deutschen Gesellschaft, die sie im Elternkurs in der Muttersprache ohne Sprachbarrieren an die türkischsprachigen Eltern weitergeben. TeilnehmerInnen, Inhalte und Methoden Die Elternkurse finden in der Regel wöchentlich für 2 bis 2,5 Stunden statt und dauern jeweils insgesamt 8 bis 12 Wochen. In den Kursen wird eine heterogene Gruppe von türkischsprachigen Eltern erreicht. Die Deutschkenntnisse der TeilnehmerInnen variieren von rudimentär bis fließend. Die Eltern gehören oft zur Arbeiterschicht, kommen aber auch aus anderen Bevölkerungskreisen. 89,1 % der TeilnehmerInnen sind Frauen. 120 uj 3 (2009) integration Der Zugang zum Elternkurs erfolgt größtenteils aufgrund persönlicher Empfehlung - durch FreundInnen und Bekannte, durch den Kindergarten, den Deutschkurs sowie über Kulturläden, Vereine oder durch die Kursleitungen. Die LeiterInnen bewerben den Kurs zudem intensiv in ihrem Umfeld. Dazu wurden zweisprachige Öffentlichkeitsmaterialien erarbeitet. So wurde zum Beispiel eine Informationsbroschüre von „Starke Eltern - Starke Kinder ® “ ins Türkische übersetzt. Der Deutsche Kinderschutzbund, Landesverband Bayern, kooperiert mit bestehenden Einrichtungen und baut dezentrale Netzwerke auf. Für türkischsprachige Eltern und Vereine werden dezentrale Informationsveranstaltungen durchgeführt. In den Elternkursen werden unter dem Aspekt der Erziehung Themen wie Selbsterkenntnis, Bedürfnisse, Gefühle, Werte, Wut, Macht, Grenzen setzen, Disziplin, Verhandlungskunst sowie Problemlösung intensiv bearbeitet und ausführlich diskutiert. Die KursteilnehmerInnen haben die Möglichkeit, in einer vertrauten Gruppe in der Muttersprache über die Erziehungsthemen sowie über ihre Unsicherheiten und Unklarheiten zu diskutieren und sich über unterschiedliche Wertvorstellungen auszutauschen. Es wird auch versucht, innerhalb der Gruppe Lösungen für typische Probleme (z. B. Taschengeld, Hausaufgaben, Ausgehen) zu finden. In den Elternkursen werden verschiedene Methoden angewandt, wie beispielsweise Rollenspiele, Übungen, Kleingruppenarbeit, Gruppenspiele, Partnerarbeit. Durch intensiven Informationsaustausch mit türkischsprachigen PädagogInnen wurde deutlich, dass es für die Zielgruppe leichter ist, sich mit Hilfe solcher Methoden im Gespräch den Veränderungen im eigenen Alltag anzunähern. Die Rolle der Muttersprache und ihr Beitrag zur Integration Das muttersprachliche Angebot erleichtert den Zugang für die türkischsprachigen Eltern. Somit werden Eltern erreicht, die an deutschsprachigen Kursen nicht teilnehmen würden. Zudem haben die Eltern die Möglichkeit, ohne Angst missverstanden zu werden, offen über Erziehungsthemen zu reden und den Elternkurs aktiver mitzugestalten. Die Informationen, die im Elternkurs vermittelt werden, kommen bei den Eltern besser an. Sie fühlen sich durch das Angebot in ihrer Muttersprache gehört und anerkannt. Diese Anerkennung der lebenswirklichen Identität ist ein elementarer Baustein auf dem Weg zur Integration türkischsprachiger Familien in die deutsche Gesellschaft. Integration wird verstanden als ein ständiger Prozess der Schaffung eines juristisch, sozial und ökonomisch gleichberechtigten Zusammenlebens von verschiedenen Gruppen in einer pluralen Gesellschaft. Integration ist Aufgabe aller gesellschaftlichen Gruppen, wobei keine der Gruppen die Etablierung und Dominanz ihrer Interessen beanspruchen kann (vgl. dazu Randel 2000, 24). Hacer Deniz Randel Jg. 1974; Diplom- Pädagogin, Fachberaterin Türkischsprachige Elternkurse uj 3(2009) 121 integration Die Ressourcen der Eltern werden im Elternkurs in den Vordergrund gestellt. Die wichtige Bedeutung der Bikulturalität und -lingualität wird im ressourcenorientierten Elternkurs speziell thematisiert, um die Eltern mit Migrationshintergrund in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken. Dies trägt dazu bei, dass sich türkischsprachige Eltern verstärkt nach außen, d. h. in Richtung der deutschen Gesellschaft, öffnen und der Grad ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben steigt. Das positiv veränderte Erziehungsverhalten der türkischsprachigen Eltern während und nach den Kursen fördert eine bessere bzw. eine gewaltfreie Kommunikation innerhalb der Familien. Neben der Auseinandersetzung mit verschiedenen Erziehungsthemen sowie deutschen und türkischen Erziehungswerten soll ein positives und besseres Bewusstsein für die bikulturelle Identitätsentwicklung der Kinder in verschiedenen Entwicklungsphasen und die Integration beider Werte erreicht werden. Die positiven Veränderungen im Erziehungsverhalten der Eltern spiegeln sich in der Persönlichkeitsentwicklung ihrer Kinder wider. Langfristig sollen sich die Schulleistungen der Kinder verbessern und dadurch ihre späteren Berufschancen in der deutschen Gesellschaft steigen. Ergebnisse der Evaluation der Kurse Die Evaluation der Kurse wurde von der evangelischen Fachhochschule Nürnberg (Arbeitsstelle für Praxisforschung und Evaluation, Prof. Dr. Joachim König) durchgeführt. Die Ergebnisse der Evaluation wurden vom Deutschen Kinderschutzbund Bayern e.V. in einer Broschüre veröffentlicht. Mittels eines Fragebogens wurden dabei 55 TeilnehmerInnen aus 8 Kursen am Ende der letzten Kurseinheit befragt. Die TeilnehmerInnen der türkischsprachigen Elternkurse haben sich sehr positiv zu den Fragen über Erwartungen und Lerneffekte der Elternkurse geäußert. So wurden zum Beispiel folgende Lerneffekte benannt: • Probleme mit den Kindern im Alltag besser zu lösen (89,1 %), • Informationen über Erziehung zu erhalten (92,7 %), • ein besser funktionierendes Familienleben (81, 5 %) und • neue Methoden der Erziehung kennengelernt zu haben (78,2 %). Die Wirkungen der Elternkurse wurden von gut bis sehr gut beurteilt. Das Nachdenken über die eigenen Erziehungsmethoden (63,3 % trifft voll zu, 26,5 % trifft zu), sicheres Verhalten in der Familie (63,3 % trifft voll zu, 18,4 % trifft zu) und veränderte Erziehungsziele (59,2 % trifft voll zu, 24,5 % trifft zu) werden als weitere Ergebnisse der Kurse benannt. Besonders häufig wurde der Kurs an FreundInnen und Bekannte (98,0 %) weiterempfohlen. Die TeilnehmerInnen waren sich in ihren Urteilen über die Qualität der Kurse weitgehend einig: Der Kurs hat Spaß gemacht, war sehr gut verständlich und hat eine große Bedeutung für den Alltag. Es wurde auch als sehr wichtig eingeschätzt, dass die Kurse in türkischer Sprache angeboten werden (86,0 % trifft voll zu, 4 % trifft zu). Der Besuch weiterer Kurse zur persönlichen Entwicklung wurde ebenfalls positiv eingeschätzt, so zum Beispiel die Absicht, einen Deutschkurs zu besuchen (58,7 % trifft voll zu, 6,5 % trifft zu). Im Rahmen der Evaluation wurden von der FH-Nürnberg an fünf Kursorten 20 halbstrukturierte Leitfadeninterviews mit 22 Personen durchgeführt, darunter zwei Interviews mit je einem Ehepaar. Ne- 122 uj 3 (2009) integration ben Fragen nach den Effekten und der Nachhaltigkeit der Kurse wurden Erkenntnisse über die gesellschaftliche Integrationsleistung der Kurse gewonnen. Die Interviews wurden nach Wahl der Befragten auf Türkisch oder Deutsch durchgeführt. Ein wichtiges Ergebnis war, dass ein deutlicher Zusammenhang zwischen Elternkursen und Sprachkursen besteht: Nach dem Elternkurs haben um die 100 Frauen an einem Sprachkurs teilgenommen. In den Interviews gaben viele türkischsprachige Eltern an, dass sie durch den Elternkurs in vielen Bereichen selbstbewusster und offener geworden sind und für ihre Erziehungsfragen Lösungen gefunden haben. Sie verstehen die Bedürfnisse der Kinder besser und verhalten sich sensibler gegenüber ihren Kindern. Eine Mutter berichtet, dass ihre Tochter einen Freund mit nach Hause gebracht hat und sich gefreut hat, dass die Mutter ganz normal reagiert. Früher hätte sie nicht akzeptiert, dass ihre Tochter mit 16 Jahren einen Freund hat. Die große Tochter sagt: „Super, wie du dich verhältst.“ Viele Eltern gaben auch an, dass sie ihre Kinder seit der Teilnahme an dem Elternkurs in schulischen Belangen besser unterstützen können und besseren Kontakt zu den LehrerInnen haben. Eine Mutter erzählt, es sei wichtig, den Kindern mehr Selbstvertrauen zu geben, zu sagen: „Das machst du super.“ Früher hätte sie das ganz anders gemacht: „Du kannst das nicht, weil du nichts tust.“ Sie hat gelernt, dass man anders auf die Kinder zugehen und sie unterstützen muss. Sie kann sie nun unterstützen, auch wenn sie kein Deutsch beherrscht, z. B. kauft sie jetzt Bücher und sagt ihrem kleinen Kind: „Lies mir laut vor, da ich nicht so gut Deutsch kann“, und regt es somit zum Lesen an. Fazit Die Rückmeldungen der Eltern und die erfolgreiche Kooperation mit einer Reihe von Trägern zeigen, dass die Kurse „Starke Eltern - Starke Kinder ® “ türkischsprachige Eltern erreichen. Mit dem muttersprachlichen Angebot werden diese Eltern ermutigt, sich auch über die Kursdauer hinaus mit anderen Eltern auszutauschen, besseren Kontakt zu sozialen Einrichtungen zu pflegen und die deutsche Sprache zu lernen. Wie die Ergebnisse der wissenschaftlichen Evaluation zeigen, leistet der Elternkurs „Güçlü Veli - Güçlü Çocuk“ auch jenseits individueller Sprachkompetenzen schon allein durch die Stärkung der allgemeinen Erziehungskompetenz der Eltern einen wesentlichen Beitrag zu ihrer gesellschaftlichen Integration. Literatur Deutscher Kinderschutzbund Bayern e.V., 2005: Evaluation der türkischsprachigen Elternkurse „Starke Eltern - Starke Kinder“®. Türkischsprachige Elternkurse des Deutschen Kinderschutzbundes Bayern e.V. München Randel, H. D., 2000: Gesellschaftliche Integration und Zweisprachigkeit türkischsprachiger Kinder in der deutschen Gesellschaft. Unveröff. Diplomarbeit TU-Berlin. Berlin Die Autorin Hacer Deniz Randel Deutscher Kinderschutzbund, Landesverband Bayern e.V. Arabellastraße 1 81925 München Tel.: (0 89) 55 27 91 90 E-Mail: randel@kinderschutzbund-bayern.de
