eJournals unsere jugend 61/5

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2009
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Jugendliche - eine bevorzugte Zielgruppe in der Suchtprävention

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2009
Hedwig van Rennings
Den Schwerpunkt staatlicher Anstrengungen zur Suchtbekämpfung bildet seit eh und je die Zielgruppe der Jugendlichen bzw. Jungerwachsenen, trotz relativ konstantem bzw. leicht sinkendem Konsumniveau von Alkohol, Cannabis und Tabakerzeugnissen während der letzten Jahre.
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194 uj 5 (2009) Unsere Jugend, 61. Jg., S. 194 - 203 (2009) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Jugendliche - eine bevorzugte Zielgruppe in der Suchtprävention Hedwig van Rennings Den Schwerpunkt staatlicher Anstrengungen zur Suchtbekämpfung bildet seit eh und je die Zielgruppe der Jugendlichen bzw. Jungerwachsenen, trotz relativ konstantem bzw. leicht sinkendem Konsumniveau von Alkohol, Cannabis und Tabakerzeugnissen während der letzten Jahre. suchtprävention Der Grund hierfür erschließt sich aus den einschlägigen Verlautbarungen der Bundesregierung und auch den von ihr beauftragten und regelmäßig von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) durchgeführten Studien zur Konsumentwicklung von Jugendlichen. Jugendliche stellen weiterhin den Großteil der Konsumenten illegaler Drogen (vgl. hierzu die jährlich veröffentlichten Zahlen des Bundeskriminalamtes). Der Konsum von Alkohol ist in den letzten 30 Jahren insgesamt kontinuierlich zurückgegangen, steigt jedoch seit 2004 bei den 12bis 17-Jährigen wieder leicht an (BZgA 2007 a). Auch im Bereich der illegalen Drogen ist die Bereitschaft, Cannabis zu probieren, aktuell gesunken, wenngleich die Anzahl der regelmäßigen Konsumenten konstant geblieben ist (BZgA 2007 b). Ein Rückgang der Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) ist der Polizeilichen Kriminalstatistik 2007 zu entnehmen. Ein deutlicher Abwärtstrend ist derzeit beim Nikotinkonsum zu registrieren (BZgA 2007 c). Jugendliche im Alter zwischen 16 und 19 trinken am häufigsten und am exzessivsten Alkohol (vgl. BzGA 2004). Laut einer gemeinsamen Erklärung zur bundesweiten Übertragung des HaLT-Projektes durch den Vorstandsvorsitzenden des IKK-Bundesverbandes, Rolf Stuppardt, und der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Sabine Bätzing, am 27. September 2007 hat sich trotz der insgesamt positiven Gesamtentwicklung des jugendlichen Alkoholkonsums die Zahl der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die wegen einer akuten Alkoholintoxikation im Krankenhaus stationär behandelt wurden, vom Jahr 2000 (9.500 Fälle) auf das Jahr 2005 (19.4000 Fälle) mehr als verdoppelt (vgl. Stuppardt/ Bätzing 2007). Die Hälfte der durch das HaLT-Projekt ereichten Kinder und Jugendlichen ist unter 16 Jahre. Der Anteil der Mädchen liegt bei 41 % und sie sind häufig jünger als die männlichen Jugendlichen. Der missbräuchliche Alkoholkonsum tritt unabhängig vom sozialen Status und der Bildungs- Prof. Dr. Hedwig van Rennings Jg. 1953; Sozialarbeiterin (Dipl. FH), Politologin (Dr. phil.), Lehrgebiete: Methoden, Geschichte und Theorien der Sozialen Arbeit uj 5 (2009) 195 suchtprävention schicht auf (vgl. Bundesministerium für Gesundheit 2008, Endbericht des HaLT- Projektes, 59ff). Ein weiteres zentrales Argument für die besondere Stellung Jugendlicher in der Suchtprävention ergibt sich aus dem Umstand, dass in dieser Entwicklungsphase wesentliche Grundmuster eines weitergehenden Konsumverhaltens gelegt werden. So führt z. B. früher und häufiger Alkohol- oder auch Tabakkonsum im Jugendalter zu einem erhöhten Risiko, im Erwachsenenalter abhängig zu werden (vertiefende Informationen finden sich bei der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. unter www.dhs.de). Wie lässt sich das Phänomen der besonderen Konsum- und Experimentierfreudigkeit Jugendlicher, einschließlich der relativ hohen Bereitschaft zu Exzessen, erklären? Mit welchen entwicklungs- und sozialpsychologischen Determinanten ist das Problemfeld „Jugend und Drogenkonsum“ zu erfassen und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Suchtprävention? Die heute im alltäglichen wie wissenschaftlichen Sprachgebrauch geläufige Verwendung der Begriffe „Jugend“ und „Jugendliche“ verweist darauf, wie selbstverständlich ein soziales Phänomen geworden ist, das - wie sozialhistorische Analysen zeigen - tatsächlich eine relativ neue historische Kollektiv-Erscheinung darstellt. Jugend ist, entgegen manch landläufiger Auffassung, keineswegs ein quasi natürlicher Bestandteil des menschlichen Lebenslaufes, sondern Produkt gesellschaftlich-historischer Wandlungs- und Definitionsprozesse. Jugend, als transistorische Lebensphase vom Kind zum Erwachsenenstatus, ist in ihrem Verlauf vor allem durch gesellschaftlich-kulturelle Bedingungen bestimmt, und zwar in so weitgehendem Maße, dass die körperlichen Faktoren der geschlechtlichen Reifung gegenüber den historisch vorgegebenen kulturellen und sozialen Erwartungen und Anforderungen zurückstehen. Bezogen auf die Adoleszenzphase in heutigen Industriegesellschaften umreißt Oerter (2002, 258ff) diese psychosozialen Entwicklungsaufgaben folgendermaßen: • Die Jugendlichen sollen die Ausgestaltung der eigenen Geschlechtsrolle erlernen und soziales Bindungsverhalten zu Gleichaltrigen des eigenen und des anderen Geschlechts entwickeln. Das bezieht den Erwerb von Kenntnissen und sozialen Fähigkeiten mit ein, die zur Aufrechterhaltung einer Partnerschaft notwendig erscheinen, und meint letztendlich die Vorbereitung auf Heirat und Familienleben. • Die Jugendphase ist wesentlich gekennzeichnet durch den Prozess der Ablösung vom Elternhaus. Insbesondere die Gewinnung emotionaler Unabhängigkeit von den Eltern, aber auch von anderen Erwachsenen ist ein wichtiger Entwicklungsschritt. • Es gilt, für das eigene Verhalten Maßstäbe zu entwickeln. Dabei müssen sich die Heranwachsenden mit den Werten und Normen der sie umgebenden Kultur auseinandersetzen und ein ethisches und politisches Bewusstsein entwickeln, das sozial verantwortungsvolles Handeln und Verhalten möglich macht. • Jugendliche sollen eine Zukunftsperspektive entwickeln, sollen sich Ziele setzen und planen. Dabei spielt die angestrebte berufliche Karriere eine wichtige Rolle. • Zentrales Thema des Jugendalters - und allen übrigen Aufgaben übergeordnet - ist die Findung einer personalen Identität, die Antwort auf die Frage, wer man ist und was man will. Dem Jugendlichen werden neue Interaktionsfelder erschlossen, deren Anforderungen freilich viel zu komplex und vielschichtig sind, als dass die in der Kindheit erworbenen und erprobten Verhaltens- und Einstellungsmuster zu einer Bewältigung hinreichen würden. Die erforderliche, sich ständig erweiternde soziale Interak- 196 uj 5 (2009) suchtprävention tionskompetenz muss erst noch allmählich in einem schwierigen Balanceakt zwischen der Integration in die Gesellschaft und der Individuation des Einzelnen erworben werden. Integration meint hier den Prozess der „Vergesellschaftung“ des Menschen, seine Anpassung an die Welt, an Normen und Verhaltenserwartungen sowie die Wahrnehmung und Realisierung objektiver Chancen in der Gesellschaft. „Individuation beschreibt den Aufbau einer individuellen Persönlichkeitsstruktur mit komplexeren kognitiven, motivationalen, sprachlichen, moralischen und sozialen Merkmalen und Kompetenzen sowie des subjektiven Erlebens als einzigartige Persönlichkeit“ (Döbert/ Habermas/ Nunner-Winkler 1980, 12). Beide Prozesse sind aufeinander bezogen: Mit dem Prozess der Vergesellschaftung ist die Herausbildung einer eigenen Identität eng verknüpft. Die Entwicklung der Identität vollzieht sich im sozialen Kontext: In der Kommunikation und Interaktion mit anderen setzen sich die Jugendlichen mit den bestehenden Wert- und Sozialstrukturen auseinander, interpretieren Bedeutungszusammenhänge oder definieren sie gegebenenfalls neu. Die soziostrukturellen Gegebenheiten, mit denen sich die Jugendlichen konfrontiert sehen, beeinflussen einerseits die Persönlichkeitsentwicklung, werden aber andererseits selbst Gegenstand einer reflexiven Auseinandersetzung. Dieser Aussage liegt die Annahme einer dialektischen Beziehung zwischen dem Menschen und seiner Umwelt zugrunde. Der Einzelne steht in einem sozialen Kontext, der einerseits auf das Subjekt einwirkt, andererseits zugleich immer der (Mit-)Gestaltungskraft des Subjekts unterliegt und darum von ihm beeinflusst und verändert werden kann. Vergesellschaftung und Individualisierungsprozess lassen sich im Begriff der Sozialisation resümieren. Angesichts einer ständig komplexer werdenden Gesellschaft, die, um ihre Aufgaben und Probleme zu bewältigen, mit immer vielfältiger werdender funktionaler und institutioneller Ausdifferenzierung reagiert, gestaltet sich auch die Situation der Heranwachsenden zunehmend prekärer. Sie sehen sich einer Vielzahl gesellschaftlicher Teilbereiche mit sehr verschiedenen, mitunter sogar widersprüchlichen Strukturen und Normen, Anforderungen und Verhaltenserwartungen gegenüber. Konfrontiert mit einer „Pluralisierung der sozialen Lebenswelten“ müssen sie jeweils eigene Wege der individuellen Bewältigung und der sozialen Integration in den weitgehend separierten Handlungssektoren der Erziehung, des Konsums, der Politik, der Information, des Partnerlebens usw. finden (vgl. Hurrelmann 2004). Es liegt nahe zu vermuten, dass die so aufscheinende Diffusion der Gesellschaft die ohnehin ja diese Lebensphase kennzeichnende Orientierungsunsicherheit verstärkt und dazu führt, dass sich Jugendliche mit den Schwierigkeiten und Widersprüchen ihrer Lebenswelt besonders intensiv auseinandersetzen, um ihre personale und soziale Identität zu gewinnen. Die Jugendphase erhält so das Attribut einer verstärkten, reflektierteren Identitätssuche (vgl. Schäfers 1982, 87). Das Ziel dieser Suche ist die methodische Mitte zwischen Wahrung der eigenen Bedürfnisse und Adaption an die sozialen Erwartungen, die in subjektiver wie objektivierter Form die Maßstäbe gesellschaftlichen Handelns vorgeben. Sozialisation und jugendspezifische Lebensbereiche Jugend, verstanden als gesellschaftlich konstituierte Lebensphase, ist in ihrem realen Verlauf in hohem Maße durch ihre historisch-sozialen Bedingungen bestimmt, deuj 5 (2009) 197 suchtprävention ren Ensemble die jeweilige konkrete Umwelt der Jugendlichen darstellt. Der Versuch, diese Umwelt in sich zu differenzieren, stößt auf Lebensbereiche, die für die Heranwachsenden besondere Relevanz besitzen. Ihre Bedeutung liegt vor allem darin, dass es sich dabei im Wesentlichen um soziokulturell vorgegebene Lebensbereiche handelt, die ein (jugend-)spezifisches Anforderungsprofil aufweisen und zugleich ein Bezugssystem bilden, mit dem sich Jugendliche individuell auseinandersetzen und dabei eigene Deutungsmuster und Handlungsorientierungen entwickeln müssen. Es sei nachdrücklich betont, dass die Rede von den Lebensbereichen eine theoretisch-analytische Trennung formuliert, die den realen Konnex dieser Bereiche ebenso wenig in Abrede stellen will wie die staatliche Beeinflussung, der alle diese Bereiche unterliegen. Zu tun ist es hier allein um die Darstellung sozialisationsrelevanter Instanzen und die Bestimmung ihrer Rolle im Kontext der Aufklärung über die Spezifik des Phänomens „Jugend“. Es sollen nur drei sozialisationstheoretisch relevante Bereiche skizziert werden: Familie, Schule und die Gruppe Gleichaltriger (Peergroup). Vor allem der Herkunftsfamilie wird aufgrund ihrer „einmaligen Transmissionsfunktion“ (vgl. Oerter/ Montada 2002) bei der Verzahnung von Umwelt und individueller Entwicklung eine Schlüsselstellung zugewiesen. Sie gilt als der fundamentale Träger kindlicher Sozialisation; in der Familie beginnt die Integration in die Gesellschaft. Als Sozialsphäre sui generis konstituiert die Familie einen relativ dauerhaften Erfahrungsraum, in dem „grundlegende Einstellungen, Wertorientierungen, Motive, Fähigkeitsprofile, Handlungsdispositionen und -strategien des Kindes entstehen“ (vgl. Hurrelmann 2004), die im Hinblick auf die sich anschließende Entwicklung im Jugendalter besonders wirksam erscheinen. Die Filter- und Kanalisationsfunktion der Familie im Sozialisationsprozess ist ebenso wenig übersehbar wie ihre Prägung durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen und verweist mit Nachdruck darauf, dass der Zugang zu den Lebens- und Zukunftschancen sich für Jugendliche aus unterschiedlichen Herkunftsfamilien keineswegs gleich darstellt. Eines der wichtigsten Kriterien zur Kennzeichnung des Jugendalters ist die Auflösung der engen Bindung an die elterliche Autorität. Die Ablösung vom Elternhaus gilt sogar als wesentliche Voraussetzung für den Erwerb der sozialen Reife. Der Vorgang der Ablösung von den Eltern lässt sich als ein im allgemeinen kontinuierlich verlaufender Entwicklungsprozess beschreiben, an dem für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit als bemerkenswert zu konstatieren ist: Die kulturelle Ablösung erfolgt in der Regel eher als die räumliche, und diese räumliche Trennung wiederum vollzieht sich häufiger bei fortbestehender finanziell-materieller Abhängigkeit. Einerseits muss sich der/ die Jugendliche sukzessive mit der ihm/ ihr kulturell angetragenen Erwachsenenrolle auseinandersetzen, ein Prozess, der sich subjektiv reflektiert als Streben nach mehr Autonomie, andererseits fühlt er/ sie sich in besonderem Maße gebunden und abhängig, sowohl in materieller wie in emotionaler Hinsicht. Spiegelbildlich dazu die Schwierigkeiten der Eltern, sich in ihrem Verhalten auf die allmähliche Ablösung und Selbstfindung ihrer Kinder einzustellen. Mehr als die Möglichkeit eines krisenhaften Verlaufs dieser Entwicklungsphase ist allerdings hier nicht abzuleiten. Neben die Familie tritt als Bezugsgruppe die Peergroup, die als Feld der Erprobung relativer Autonomie gefasst wird. Charakterisiert ist damit ein Lebensbereich, für dessen Bewältigung besondere 198 uj 5 (2009) suchtprävention soziale Kompetenzen entwickelt werden müssen. Die Adoleszenz erhält vor diesem Hintergrund den Rang einer sensiblen Zeitspanne zur Herausbildung interpersonaler Interaktionsstile. Die Peergroup vermag einerseits durchaus als hilfreich bei der Bewältigung schwieriger Situationen erlebt werden, indem etwa soziale Anerkennung und Solidarität vermittelt werden, kann andererseits aber selbst zu einem potenziellen Konfliktherd werden. Dies deswegen, weil die Peergroup sozusagen das Reservat einer eigenen Welt- und Lebensauffassung Jugendlicher darstellt, in der Normen und Verhaltensweisen kultiviert werden, die den familiären oft diametral gegenüberstehen. In diesen gegensätzlichen Normativen und Handlungserwartungen an den Jugendlichen kann ein Konfliktpotenzial verortet werden, welches als jugendtypisch zu charakterisieren ist. Allerdings sollte dieses Konfliktpotenzial auch nicht überbewertet werden; denn die Familie erweist sich im Hinblick auf die Zusammensetzung der Peergroup, mit der der Heranwachsende umzugehen pflegt, durchaus als einflussreicher Faktor, sodass sich in den Gruppen Gleichaltriger gleichsam die sozialen Schichten, denen die Familien jeweils zuzuordnen sind, in der Regel reproduzieren. Derselbe Abhängigkeitsmodus ist bezüglich der Schule und Ausbildung zu beobachten. Angesichts vielfältiger sozialer Ungleichheiten kann nicht überraschen, dass auch die Chancen der Teilhabe an diesem Prozess sehr unterschiedlich verteilt sind. Auch hier hängen die Erfolgsaussichten Jugendlicher in bedeutendem Umfang vom sozialen Status der Herkunftsfamilie ab - ein eindringliches Bild hierzu zeichnet die jüngste Pisa-Studie. Aus dem gesamten Komplex „Sozialisationsinstanz Schule“ seien für den vorliegenden Untersuchungszweck wieder nur einige zentrale Beobachtungen herausgegriffen. Die prägende Kraft der Schule für die Entwicklung Jugendlicher braucht nicht eigens betont zu werden. Aufmerksam mag allenfalls auf den Sachverhalt gemacht werden, dass durch die Notengebung sich für jede/ n SchülerIn unübersehbar die Notwendigkeit ergibt, sich in dem in der Schule organisierten Leistungsvergleich zu bewähren. Im selben Maße, wie die schulische Leistungsbewertung (zumindest sehr weitgehend) von den gesellschaftlich bedingten und begründeten Vor- und Nachteilen, mit denen die SchülerInnen individuell zu kämpfen haben, abstrahiert, fallen die in der Note verobjektivierten Urteile über die individuelle Leistung auf das persönliche Leistungsvermögen oder -unvermögen zurück. SchülerInnen erfahren, dass die Bewertung ihrer Leistungen einhergeht mit sozialer Anerkennung und Wahrnehmung von Lebenschancen. Der subjektive Reflex dieser Notwendigkeit, sich als Person an den schulischen Maßstäben des Fortkommens als erfolgreich zu erweisen, sind Verhaltensmuster, als deren wesentliches Merkmal abstraktes Leistungs- und Konkurrenzdenken herausgestellt wird. Am schulischen Erfolg schulen sich Selbstwertgefühl und Selbstbild der Heranwachsenden - positiv wie negativ! Gesellschaftliche Anforderungen an die Jugend und ihre Bewältigung Der bisher gegebene Abriss kennzeichnet das Jugendalter nach der psychischen und materiellen Seite hin als Zeitspanne des Übergangs von der weitgehenden Fremdbestimmung des Kindes durch die Eltern in den Status des vergleichsweise autonomen uj 5 (2009) 199 suchtprävention und selbstverantwortlichen Erwachsenen. Dabei werden die Jugendlichen mit einer Reihe spezifischer Anforderungen konfrontiert, die im Wesentlichen durch Veränderungen der körperlichen, geistigen, emotionalen und sozialen Entwicklung angestoßen sowie durch sozial-ökologische und historisch-kulturelle Faktoren beeinflusst werden. Gleichzeitig lassen sich Lebensbereiche ausmachen, die wesentlich das Interaktionsfeld von Heranwachsenden strukturieren. Angesichts der Vielfältigkeit und Komplexität der Aufgaben des Jugendalters, der in ihm auftretenden Inkonsistenzen und Schwierigkeiten liegt es nahe, diese Zeit in erster Linie als Krise und Jugendliche vornehmlich als Problemgruppe zu begreifen. Gegen diese Annahme lässt sich quantifizierend argumentieren und anführen, dass sich Jugendliche mehrheitlich anscheinend konstruktiv und erfolgreich mit den ihnen gestellten Anforderungen auseinandersetzen und die Integration allen Kassandrarufen zum Trotz zu gelingen scheint. Weder die „globale Krisenthese“ noch die ebenso globale These von der „problemlosen Integration“ ist völlig unschlüssig; allerdings scheinen beide gleichermaßen schlecht geeignet, Begriff und Stellenwert der Jugend heute aufzuhellen. Ob und auf welche Weise Heranwachsende mit problematischen oder gar krisenhaften Konstellationen im Verlauf ihres Individuations- und Integrationsprozesses fertig werden und ob sie die damit verbundenen Anforderungen überhaupt als problembehaftet empfinden, ist zweifellos an subjektive Momente gebunden und wird auch dadurch mitbestimmt, welche Kompetenzen und Kapazitäten ihnen zur Bewältigung zur Verfügung stehen. Art und Ausmaß der Problembewältigungskapazität sind - das braucht nicht eigens hervorgehoben zu werden - unterschiedlich ausgeprägt, ihrerseits aber als lebensgeschichtlich erworben zu denken. Für die Notwendigkeit, sich an einer gesellschaftlichen Anforderung zu bewähren, ist es bedeutsam, ob das Individuum die bisherige Auseinandersetzung mit den Anforderungen der sozialen Wirklichkeit eher als konstruktiv, krisenhaft oder ungewiss bilanzieren kann. Ein per saldo positives Ergebnis wird im Allgemeinen die Willenskraft stärken, sich mit neu anfallenden Problemen erfolgreich zu befassen. Um es noch einmal herauszustellen: Dabei sind die Chancen, für die Bewältigung von Problemen ausreichende Kompetenzen zu erwerben, weitgehend abhängig von den jeweiligen Lebensverhältnissen und den damit verknüpften Sozialisationsbedingungen. Das wird noch klarer erkennbar, vergegenwärtigt man sich die Bedeutung von möglicher Unterstützung und Hilfe aus dem sozialen Umfeld, auf die ein Jugendlicher in einer für ihn problematischen Situation gegebenenfalls zurückgreifen kann. Das umfasst emotionale, instrumentelle, materielle und andere „lebenspraktische“ Formen der Unterstützung. Anders formuliert: An der Tragfähigkeit eines Netzwerks sozialer Beziehungen entscheidet sich wesentlich die Fähigkeit Jugendlicher, Individualität, Autonomie und Identität in produktiver Auseinandersetzung mit den Anforderungen der sozialen Umwelt zu entwickeln. Der Konsum von Rauschmitteln als Instrument zur Lebensgestaltung Jugendlicher Allgemein gilt beim Konsum von Rauschmitteln sowohl für Jugendliche als auch für Erwachsene, dass die Wirkungen auf das zentrale Nervensystem von den Konsumenten gezielt zur Stimulation der Sinneseindrücke oder bei belastenden Situationen zur Beruhigung und Dämpfung der emotionalen Belastung genutzt werden (vgl. auch Tabelle 1). „Legale als auch illegale 200 uj 5 (2009) suchtprävention Substanzen (werden) von Jugendlichen hauptsächlich als Instrument zur Gestaltung und Bewältigung des Lebens eingesetzt“ (vgl. Hurrelmann 2001, 15 - 32). Jugendliche mit einer deutlich höheren Affinität zu riskanten Verhaltensweisen und einem ausgeprägten Wunsch nach einem abwechslungsreichen Alltag sind häufiger bereit, riskant und exzessiv Rauschmittel zu konsumieren (vgl. Belutti 2006). Der Konsum von Rauschmitteln wird von ihnen häufiger als bei ihren Altersgenossen verbunden mit Geselligkeit und Genuss. Jugendliche mit riskanten Konsummustern suchen gezielt Anschluss an Gleichaltrige, die ebenfalls diesen Lebensstil bevorzugen. Das Gefühl einer tollen Stimmung, eines intensiven Lebens mit Abwechslung und Abenteuer ist jedoch nicht so sehr das Resultat bewusster, „wirklicher“ Realität, sondern eher das einer benebelten Einbildung. Ihr Credo lautet: „Sich die Welt schön saufen, kiffen etc.“ In vielen Trinkliedern lässt sich dieser Zusammenhang auffinden. Wie aus Tabelle 2 zu entnehmen ist, schätzen z. B. Jugendliche mit riskantem Alkoholkonsum, wie es insbesondere das Binge-drinking darstellt, in weit höherem Maß die stimmungsfördernde und enthemmende, aber auch sinnestrübende Wirkung von Alkohol. Sowohl der Zusammenhang von riskanten Konsummustern und familiären und/ oder schulischen Problemen als auch der Zusammenhang mit traumatischen, unverarbeiteten Erlebnissen ist hinlänglich bekannt (vgl. Belutti 2006). Das Gefühl des Gehemmtseins und der Niedergeschlagenheit wird folglich von dieser Personen- Entwicklungsaufgaben Funktionen des Rauschmittelkonsums Loslösung von den Eltern Demonstration von Unabhängigkeit Entzug aus der elterlichen Kontrolle Aufbau von Beziehungen zu Gleichaltrigen AufnahmevonGeschlechtsbeziehungen Zugangsmittel zur Peergroup Zugehörigkeitsritual zu einer Peergroup Kontaktaufnahme zu gegengeschlechtlichen Personen Identitätsfindung Ausdruck eines persönlichen Stils Grenzerfahrungen, Grenzüberschreitungen Eigene Lebensgestaltung und Planung Eigenen (ggf. subkulturellen) Lebensstil finden Spaß und Entspannung Entwicklung eines eigenen Wertesystems ggf. gezielt Normverletzung demonstrieren ggf. Gegenwelt leben, als Ausdruck eines sozialen Protestes Entwicklungsprobleme Unsicherheiten überspielen Stress- und Problembewältigungsstrategie Tab. 1: Psychosoziale Funktionen des Rauschmittelkonsums im Jugendalter (vgl. Silbereisen/ Reese 2001) uj 5 (2009) 201 suchtprävention gruppe deutlich häufiger als Konsummotiv genannt als von ihren Altersgenossen. Diese negativen Gefühle werden dann mittels Rauschmittel betäubt. Sie saufen sich zu oder mutig, kiffen sich cool etc. Riskante Konsummuster können also einerseits Ausdruck eines Wunsches nach einem erlebnisintensiven, aber auch eines stressvollen und mit Angst belasteten Alltag sein. Die Wahrscheinlichkeit, mit diesen riskanten Konsummustern über das Jugendalter fortzufahren, steigt nach Thomasius (2003), wenn dieses Verhalten mit problematischen familiären und/ oder schulischen Lebenslagen und/ oder traumatischen Ereignissen einhergeht und die betroffenen Jugendlichen gleichzeitig auf keine sozialen Netzwerke innerhalb oder auch außerhalb der Familie zurückgreifen können, die sie kompensatorisch auffangen. Konsequenzen für die Leitlinien einer Suchtprävention für Jugendliche Eine zielgruppenspezifische und nachhaltige Suchtprävention muss die aktuellen Lebenslagen und Lebensfragen der Jugendlichen aufgreifen. Im Rahmen der Sekundärprävention gilt es darüber hinaus, die besondere Gruppe der Jugendlichen ins Blickfeld zu nehmen, die aufgrund ihrer spezifischen biografischen Hintergründe als besonders suchtgefährdet eingeschätzt werden. Risikofaktoren sind hierbei insbesondere früher und riskanter Konsum verbunden mit familiären und schulischen Problemen und der geringen Möglichkeit, gegebenenfalls mittels eines außerfamiliären stabilen Beziehungsnetzes diese schwierige Entwicklungsphase aufzufangen. Wie zu Beginn erläutert, befinden sich Jugendliche per se in einer konfliktreichen Lebenssituation, die mit einer Reihe von ungeklärten Lebensfragen behaftet ist, in der der Konsum von Rauschmitteln sowohl als Experiment als auch als Surrogat für einen erlebensintensiven, abwechslungsreichen Alltag, aber auch als ein Hilfsmittel für die Ertragbarkeit von belasteten Situationen eingesetzt wird. Hier gilt es, in der Primärprävention im Allgemeinen, aber für den Bereich der Sekundärprävention im Besonderen die Lebenskompetenz der Jugendlichen zu fördern. Dies beinhaltet, dafür zu werben, die eigenen Sinne zu entfalten und für eine aktive Gestaltung eines spannenden, geselligen Lebens zu motivieren. Damit verbunden sind methodische Konzepte, die die Beziehungs- und Konfliktlösungskompetenz der Jugendlichen stärken. Trinkmotive: Alkohol … Bingedrinking Kein Alkohol Differenz ist Genuss 33 % 11 % 3 x so oft beseitigt Hemmungen 45 % 17 % 2,6 x so oft sorgt für gute Stimmung 86 % 43 % 2 x so oft hilft gegen Deprimiertheit 18 % 10 % 1,8 x so oft entspannt 15 % 9 % 1,6 x so oft fördert die Gesundheit 40 % 26 % 1,5 x so oft vertreibt Langeweile 4 % 4 % gleich Quelle: BZgA 2004, 24 (eigene Berechungen) Tab. 2: Unterschiede in der Bewertung der Trinkmotive zwischen Jugendlichen ohne Alkoholkonsum und Jugendlichen mit mindestens einer Bingedrinking-Episode in den letzten 30 Tagen 202 uj 5 (2009) suchtprävention Das Bedürfnis nach Grenzüberschreitungen und das Verlangen nach Risikoerfahrungen, welches - wie oben gezeigt - insbesondere Jugendliche mit riskanten Konsummustern aufweisen, muss in einem lebensweltorientierten Konzept zur Suchtprävention positiv aufgegriffen werden, d. h. es geht darum, funktionelle Äquivalenzen für diese Bedürfnisse zu schaffen. Das Risikoerlebnis mit „doppeltem Boden“ ist insbesondere Inhalt verschiedener erlebnispädagogischer Konzepte sowohl im Rahmen der Primärals auch Sekundärprävention. Jugendliche können an ihre körperlichen und emotionalen Grenzen gehen, sich selbst darin erleben und im Wortsinn ein Selbstbewusstsein darüber erlangen, wer sie sind und was sie sich selbst abverlangen können. Ein weiterer unerlässlicher Baustein für eine nachhaltige Strategie in der Suchtprävention für Jugendliche ist die Auseinandersetzung mit den jeweils spezifischen und aktuellen schwierigen Lebensfragen und Lebenslagen. Dies gilt insbesondere im Bereich der Sekundärprävention, bei der auch konkrete Hilfeangebote zusammen mit den betroffenen Jugendlichen zu entwickeln sind. Neben diesen suchtmittelunspezifischen, lebenskompetenzorientierten Ansätzen ist selbstverständlich im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes auch die sachliche Auseinandersetzung mit den Wirkungen, insbesondere den kontraproduktiven, den schädigenden Wirkungen und Gefahren des Suchtmittelgebrauchs notwendig. Dies beinhaltet neben sachlicher „Warenkunde“ auch eine selbstkritische Auseinandersetzung mit dem eigenen aktuellen Konsumverhalten, der Entwicklung eines Problembewusstseins hinsichtlich riskanter Konsummuster und der Förderung einer Akzeptanz von „Punktnüchternheiten“, d. h. der Abstinenz in bestimmten Lebensbereichen und Situationen. Dieser Baustein der Risiko- und Schadensminimierung müsste ergänzt werden mit einem möglichst unmittelbaren Kennenlernen der verschiedenen AnsprechpartnerInnen im regionalen Hilfesystem. Von besonderer Bedeutung ist - wie bereits erwähnt - die selbstreflexive Bewusstmachung von VertrauenspartnerInnen im unmittelbaren persönlichen Umfeld des Jugendlichen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass im Rahmen des interaktiven und personellen Ansatzes die Suchtprävention für Jugendliche deren alters- und geschlechtsspezifische Lebensbezüge herzustellen hat, wissens- und handlungsorientierte Ansätze beinhalten muss und eine Vernetzung mit den regionalen Partnern herzustellen hat. Literatur Belluti, N., 2006: Risikoverhalten und Alkoholkonsum bei Jugendlichen. Saarbrücken Bundesministerium für Gesundheit, 2008: Endbericht Wissenschaftliche Begleitung des Bundesmodellprogramms „HaLT - Hart am LimiT. Berlin BZgA (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung), 2004: Drogenaffinität Jugendlicher in der BRD. Köln BZgA, 2005: Entwicklung des Alkoholkonsums bei Jugendlichen - unter besonderer Berücksichtigung der Konsumgewohnheiten von Alkopops. Köln BZgA, 2007a: Alkoholkonsum der Jugendlichen in Deutschland 2004 - 2007. Köln BZgA, 2007 b: Kurzbericht Alkohol. Köln BZgA, 2007 c: Cannabis. Köln Döbert, R./ Habermas, J./ Nunner-Winkler, G., 1980: Entwicklung des Ichs. Bodenheim Hurrelmann, K., 2001: Selbstsuche, Egotaktik und Drogenkonsum als Lebensstil im Jugendalter. In: Hier, jetzt, sofort - Jugend und Drogen - Dokumentation des 24. BundesDrogenKongresses 2001. Leipzig Hurrelmann, K., 2004: Lebensphasen und Jugend. Weinheim Mietzel, G., 2002: Wege in die Entwicklungspsychologie. Weinheim uj 5 (2009) 203 suchtprävention Oerter, R. 2002: Entwicklungspsychologie. Weinheim/ Basel Püschel, M., 2001: Wer kommt wem zuvor? Prävention im Wandel. In: Hier, jetzt, sofort - Jugend und Drogen - Dokumentation des 24. BundesDrogenKongresses 2001. Leipzig Schäfers, B., 1982: Soziologie des Jugendalters. Opladen Silbereisen, R./ Reese, A., 2001: Substanzgebrauch: Illegale Drogen und Alkohol. In: Reithel, J. (Hrsg.): Risikoverhaltensweisen Jugendlicher. Formen, Erklärungen und Prävention. Wiesbaden Stuppardt, R./ Bätzig, S., 2007: Gemeinsame Erklärung zur bundesweiten Übertragung des HaLT- Projektes am 27. September 2007. www.bmg. bund.de/ cln_110/ nn_1168258/ SharedDocs/ Pressemitteilungen/ DE/ Drogenbeauftragte/ 2007/ pm-27-9-07.html? __nnn=true, 21. 2. 09, 1 Seite Thomasius, R., 2003: Suchtprävention aus entwicklungspathologischer Sicht. Vortrag auf der Hamburger Tagung am 27. 3. 2003: Ist die Suchtprävention ihr Geld wert? Hamburg Die Autorin Prof. Dr. Hedwig van Rennings FH Lausitz, Fachbereich Sozialwesen Lipezker Straße 47 03048 Cottbus Tel: (03 55) 5 81 84 18 E-Mail: hrenning@fh-lausitz.de