unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Cultures Interactive: Urbane Jugendkulturen als Mittel der staatsbürgerlichen Bildung und der zivilgesellschaftlichen Prävention gegen politische und religiöse Radikalisierung
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2009
Silke Baer
Peer Wiechmann
"Dich kriegen wir auch noch, du linke Zecke", ruft eine Gruppe strammer Nationaler mit geschorenem Kopf einem jungen Mann zu, der mit roten Haaren, Irokesenschnitt und Nietenlederjacke auf die Schule eines kleinen Provinzstädtchens zugeht. Der junge Mann weiß sofort: "Hier bin ich goldrichtig." Der stramme Nationale jedoch weiß nicht: Sein Gegenüber ist Fachmann und Workshop-Leiter für Jugendkulturen aus Berlin. Und was wiederum dieser Workshop-Leiter noch weiß, ist: "Wenn ich linke Zecke meine Turntables, Spraydosen, Musik-CDs und Skateboards auspacke und wenn ich mit meinen KollegInnen den Jugendlichen am Ort zeige, wie man das macht mit den Boards und Plattenspielern, dann wollen irgendwann sogar die Glatzen mitmachen. Und wenn wir dann eineinhalb Tage lang zusammen sind, dann hören die mir zu - auch wenn ich ihnen etwas über die afroamerikanischen Wurzeln von Hiphop und deren Haltung von Antirassismus, Fairness und Gewaltvermeidung erzähle und überhaupt von Bürgerrechten, Toleranz, Recht und Demokratie."
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368 uj 9 (2009) Unsere Jugend, 61. Jg., S. 368 - 378 (2009) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Cultures Interactive: Urbane Jugendkulturen als Mittel der staatsbürgerlichen Bildung und der zivilgesellschaftlichen Prävention gegen politische und religiöse Radikalisierung Silke Baer/ Peer Wiechmann „Dich kriegen wir auch noch, du linke Zecke“, ruft eine Gruppe strammer Nationaler mit geschorenem Kopf einem jungen Mann zu, der mit roten Haaren, Irokesenschnitt und Nietenlederjacke auf die Schule eines kleinen Provinzstädtchens zugeht. Der junge Mann weiß sofort: „Hier bin ich goldrichtig.“ Der stramme Nationale jedoch weiß nicht: Sein Gegenüber ist Fachmann und Workshop- Leiter für Jugendkulturen aus Berlin. Und was wiederum dieser Workshop-Leiter noch weiß, ist: „Wenn ich linke Zecke meine Turntables, Spraydosen, Musik-CDs und Skateboards auspacke und wenn ich mit meinen KollegInnen den Jugendlichen am Ort zeige, wie man das macht mit den Boards und Plattenspielern, dann wollen irgendwann sogar die Glatzen mitmachen. Und wenn wir dann eineinhalb Tage lang zusammen sind, dann hören die mir zu - auch wenn ich ihnen etwas über die afroamerikanischen Wurzeln von Hiphop und deren Haltung von Antirassismus, Fairness und Gewaltvermeidung erzähle und überhaupt von Bürgerrechten, Toleranz, Recht und Demokratie.“ jugendkulturen Überblick Der von Cultures Interactive (CI) entwickelte Ansatz der zivilgesellschaftlichen Jugendkultur-Arbeit nutzt die urbanen Jugendkulturen als Mittel der Gewalt- und Extremismus-Prävention. Gefährdete Heranwachsende in strukturschwachen Regionen und bildungsfernen Milieus können dann vor der Neigung zu Gewalt und Radikalisierung bewahrt werden, wenn ihr Interesse an den Jugendkultur-Szenen aufgenommen wird. Denn diese Szenen sind durchweg von einer Haltung der gegenseitigen Anerkennung, Weltoffenheit, Gewaltvermeidung und aktiven Toleranz bestimmt. Schon seit vielen Jahren arbeiten wir erfolgreich im Rahmen von einbis zweitägigen Projekttagen. Der Spaß am Erlernen von jugendkulturellen Fertigkeiten (Skateboarding, Breakdance, Slam Poetry, Rap, DJ-ing/ Plattenauflegen etc.) wird mit konfrontativer politischer Bildung verbunden und mündet in praktische Anleitung zur Teilnahme am kommunalen und politisch-demokratischen Leben. Weil jedoch die Kurzfristigkeit der CI-Jugendkultur-Projekttage der nachhaltigen Wirkung unserer Arbeit Grenzen setzte, haben wir 2007 zusätzlich das Modellprojekt „KulturRäume2010“ entwickelt. Hier arbeiten wir über einen längeren Zeitraum in uj 9 (2009) 369 jugendkulturen vier Regionen an der Aufgabe, die Bildung von neuen (jugend-)kulturellen Partizipationsmöglichkeiten und zivilgesellschaftlichen Toleranzräumen zu unterstützen und sie nachhaltig in den alltagsweltlichen Strukturen der jeweiligen Region zu verankern. Der Ansatz basiert auf der Annahme, dass diese spezifisch jugend-orientierte Ergänzung der sozialen und kulturellen Lebendigkeit einer Kommune immer auch ihrer Widerstandsfähigkeit gegenüber Menschenfeindlichkeit, Gewalt sowie politischer und religiöser Radikalisierung zugute kommt. Die Idee: Urbane Jugendkulturen als Faktor eines zivilgesellschaftlichen und toleranten Gemeinwesens Die Heranwachsenden gerade auch in ländlichen und kleinstädtischen Regionen haben zumeist großes Interesse an den aktuellen Jugendkulturen (wie Hiphop, Punk, Techno etc.). Mindestens aber sind sie neugierig auf die großstädtischen Stil- und Musikrichtungen, gerade weil sie vor Ort häufig überhaupt nicht vertreten sind. Obwohl nämlich deren AnhängerInnen als Personen - mit ihren bunten Haaren, Nietenkleidung sowie ihrem dunklen oder abgerissenem Erscheinungsbild - mitunter heftig angefeindet und bedroht werden, üben die Jugendkulturen aufgrund ihrer großen Präsenz in den Medien und Musikvideos eine starke, wenngleich zwiespältige Faszination aus. Einige der jungen Menschen vor Ort - meist nicht mehr als 10 bis 20 Prozent einer Gruppe - identifizieren sich mit einer dieser Jugendkulturen und bringen nicht nur Interesse, sondern auch Vorerfahrungen mit, die für unsere Arbeit hilfreich sind. Unser pädagogisches Verfahren baut dann in systematischer Weise auf der jugendkulturellen Interessierbarkeit der Heranwachsenden auf und nutzt sie für Zwecke der jugendgerechten politischen Bildung, das heißt für die zielgruppenadäquate Vermittlung von Toleranz, Gewaltvermeidung, Weltoffenheit und zivilgesellschaftlichen Fähigkeiten in den schulischen und kommunalen Lebenswelten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Wie das funktionieren kann und warum wir damit seit mehreren Jahren so gute Erfahrungen machen, wird begreiflich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass urbane Jugendkulturen immer schon vor allem politische Bewegungen gewesen sind. Unsere Jugendlichen - und auch die Erwachsenen - vor Ort sind sich häufig nicht bewusst, dass z. B. HipHop aus der desaströsen Gewalt- und Kriminalitätserfahrung der amerikanischen „Inner-City-Ghettos“ geboren wurde, in denen Arbeitslosigkeit, Armut, Drogen sowie Rassismus und Sexismus die Lebenswirklichkeit der jungen Menschen bestimmen. Und diese intime Kenntnis von Hass und Gewalt ist es, Silke Baer Jg. 1968; M. A. Publizistik und Kommunikationswissenschaften, Dipl.- Sozialpädagogin, Wissenschaftliche Leitung bei Cultures Interactive e.V. Peer Wiechmann Jg. 1968; M. A. Publizistik und Kommunikationswissenschaften, Geschäftsführer von Cultures Interactive e.V. 370 uj 9 (2009) jugendkulturen aus der der HipHop seine Haltung der Gewaltablehnung, Drogenfreiheit, Fairness und aktiven Toleranz bezog. Punk kommt aus Kontexten der Jugendarbeitslosigkeit in Großbritannien, Techno ist in seinem Ursprung als interkulturelles Projekt nachvollziehbar, und die schwarz und düster erscheinende, mystisch unterlegte Jugendkultur des Gothic geht auf ganz reale Verlust- und Vereinsamungserfahrungen im Sozial- und Familienleben der heutigen Jugendgenerationen zurück. Dies bedeutet auch: Viele der künstlerischen Praktiken - Rap, Breakdance, DJ-ing, Okkultes - sind ganz wesentlich als Praktiken der Aggressionsverarbeitung, der Bewältigung von Erfahrungen der Ausgeschlossenheit und Vereinsamung und des gewaltfreien Ausgleichs zwischen antagonistischen Gruppen begreiflich. HipHop, Punk, Techno, Gothic und die anderen Jugendkulturen sind also nicht nur ein Sound oder ein Outfit, sie haben eine bürgerrechtliche und zivilgesellschaftliche Entstehungsgeschichte und eine, die gerade auch heutige Jugendliche durchaus nachvollziehen können. Sowohl aber diejenigen Jugendlichen, die sich unmittelbar zu einer der urbanen Jugendkulturen hingezogen fühlen, wie auch die, welche ihnen zunächst noch skeptisch oder indifferent gegenüberstehen, wissen darüber in aller Regel nichts - nichts über die Geschichte, kaum etwas über die Musiktexte und deren Bedeutung und noch viel weniger darüber, was diese eventuell auch mit ihren ureigenen Lebenswelten zu tun haben könnten. Schon also die ungefähren kultur- und sozialgeschichtlichen Koordinaten dieser Jugendszenen bieten vielfältige Möglichkeiten, mit den TeilnehmerInnen unserer CImobil-Projekttage auf Themen der Fremdenfeindlichkeit, des Rassismus und der Angst vor Mobbing und Repression zu sprechen zu kommen - und auch auf Themen der ideologischen oder religiösen Radikalisierung, des Antisemitismus, des Pro-Nazismus und der Gewaltverherrlichung. Bevor jedoch am Nachmittag eines Projekttages die praktischen Jugendkultur- Workshops offenstehen, werden am jeweiligen Vormittag systematisch die zentralen Themen des zivilgesellschaftlichen Miteinander und der politisch bildenden Demokratieerziehung angesprochen. Aber bereits diese erste, sachlich-inhaltliche Tageshälfte wird nicht rein rational-informativ gestaltet. Vielmehr ist der methodische Ansatz so, dass direkt an die unmittelbaren Lebenswelten der jeweiligen Jugendlichengruppe angeschlossen wird und die darin eingebetteten Meinungen und Ansichten zu Fragen von Demokratie, Toleranz, interkulturellem Zusammenleben und Gewalt ans Licht gebracht werden. Diese Ansichten werden dann beharrlich mit den tatsächlichen gesellschaftlichen Realitäten konfrontiert, an denen sie nicht selten weit vorbeigehen. Oder sie werden auf offensichtliche Unstimmigkeiten und irrationale emotionale Besetzungen hin befragt bzw. es werden die Konsequenzen beleuchtet, die den häufig sehr impulsiven, radikalen und mitunter grotesken Einwürfen innewohnen. Mit einer Reihe von Methoden aus der politischen Bildung wird insgesamt daran gearbeitet, die Vorurteilshaftigkeit dieser - mitunter menschenfeindlichen und anti-demokratischen - Ansichten transparent zu machen. In den Blick genommen werden dabei sowohl die negativen Vorurteile über „AusländerInnen“, Randgruppen, sozial Schwache etc. als auch die positiven Vorurteile über idealisierte Konzepte des Nationalen und Institutionen des politischen oder religiösen Fundamentalismus. Insbesondere wird hierbei - nach Lage der Dinge in vielen Regionen Ost- und Westdeutschlands - über die Inhalte und Methoden von rechtsextremen Organisationen aufgeklärt. uj 9 (2009) 371 jugendkulturen Dabei wird vor allem auch die emotionale Aufladung und lebensweltliche Bedingtheit der (jugendlichen) Vorurteile angesprochen, die z. B. in mangelnder Informiertheit, ungünstigen Mediengewohnheiten, unaufmerksamen oder gleichgültigen Institutionen, Schulen, Autoritäten begründet sein kann - und nicht zuletzt in Haltungen, die auch im Erwachsenen-Umfeld als fester Meinungs- und Affektbestand verankert sind. Gerade auch dieser letzte Sachverhalt - dass viele der problematischen Ansichten wie auch ein gehöriger Teil der Ressentiments und der Hassbereitschaft mitunter bereits in der familiären Lebenswelt und im institutionellen Kontext der Jugendlichen zu finden sind - wird systematisch mit einbezogen. Verschränkt mit dieser - auf die persönlich-lebensweltliche Ebene gebrachten - politischen Bildung wird der Blick dann auf Geschichte und Inhalte der urbanen Jugendszenen gerichtet. Dabei ist vor allem davon die Rede, wie diese Jugendkulturen es gelernt hatten, angesichts von Rassismus, sozialer Ausgrenzung und Gewalt in ihrem Lebensumfeld eine Haltung der Moderation, Fairness und aktiven Toleranz aufzubringen und wie sie diese in kreativen Ausdrucksweisen ästhetisch zu kultivieren vermochten. Schon die ethnische Vielfalt, die hierbei zutage tritt oder - wo sie nicht offensichtlich ist - aufgezeigt werden kann, stellt für die weniger toleranzbereiten unter unseren Jugendlichen eine große Herausforderung dar und gibt ihnen Anlass zum Umdenken. Wenn dann am Nachmittag des Projekttages im Workshop die praktisch-ästhetischen Fertigkeiten - des Tanzens (Breakdance), des Sprechgesangs (Rap), des Musikauflegens (DJ-ing), mitunter auch der digitalen Musikproduktion, des körperlich-akrobatischen Könnens (Skatebording), des Gestaltens (Graffiti) etc. - erprobt und geübt werden können, prägen sich die vormittags besprochenen kulturellen und politischen Inhalte mit großer Festigkeit und die Jugendlichen machen eine zutiefst anders-kulturelle Erfahrung. Zusätzlich befördert wird unser Verfahren der zivilgesellschaftlichen, politisch bildenden Jugendkultur-Arbeit dadurch, dass die LeiterInnen, die die Jugendkultur- Workshops geben, authentische SzenevertreterInnen sind. Auch sind sie dem Alter ihrer TeilnehmerInnen mitunter noch recht nahe, haben jedoch in Zusammenarbeit mit den Team-KollegInnen der politischen Bildung das notwendige pädagogische Knowhow erworben und werden direkt in die politische Bildung mit einbezogen. Es besteht also weitgehend die günstige Situation des „Peer-Learning“ und der „angeleiteten Selbstorganisation“, wodurch das gegenseitige Vertrauen und die Verbindlichkeit des Miteinander in den Workshops sichergestellt sind. Ferner kann eine große Bandbreite der Aktivitäten angeboten werden: Die Jugendkultur-VertreterInnen gehören z. B. den Bereichen HipHop, Reggae, Elektro, Punk, Hardcore, Emo oder Metal an bzw. sie sind RapperInnen, ComiczeichnerInnen, Graffiti-Artists, Streetdance-Performer, b-boying- und b-girling- Artists, BeatboxerInnen, SkateboarderInnen sowie digitale MusikproduzentInnen und arbeiten mit den Medien Radio, Foto und Video. Die Möglichkeiten sind prinzipiell flexibel arrangierbar und werden je nach dem Interesse vor Ort zusammengestellt und auf die pädagogische Aufgabe hin justiert. Es ist diese Kombination aus Peer-to- Peer-Situation und jugendkulturell ansprechendem Praxisangebot, die es ermöglicht, einen Kontakt gerade auch zu denjenigen Heranwachsenden herzustellen, die für schulische oder konventionelle sozialpädagogische Herangehensweisen nicht leicht zugänglich sind. Und gerade bei diesen Brennpunkt-Jugendlichen ist es unabding- 372 uj 9 (2009) jugendkulturen bar, die dringlichen Fragen des friedlichen gesellschaftlichen und ethnischen Miteinander in möglichst unmoralischer, lebensnaher und individualisierter Weise aufzuwerfen, um überhaupt ein Grundverständnis von persönlicher Betroffenheit und Verantwortung herstellen zu können. Auch Erlebnisse der eigenen Gewalt- und Bedrohungserfahrung, aber eben auch des eigenen Ausübens oder der Billigung von Gewalt und Bedrohung lassen sich auf der Ebene des jugendkulturellen Arbeitens oft ohne weitere Umstände ansprechen. Seit einiger Zeit hat die pädagogische Berücksichtigung von urbanen Jugendkultur-Stilen auch dadurch eine besondere Bedeutung - ja geradezu eine zwingende Notwendigkeit - erhalten, dass rechtsextreme Gruppierungen dazu übergegangen sind, diese Stile zu kopieren. Gerade die besonders gewalt-affinen und menschenverachtenden Formationen haben sich in ihrem Erscheinungsbild mancher jugendkultureller Stilaspekte bedient, um im „Kampf um die Köpfe“ eine höhere Werbewirkung für sich und ihre Ideologien zu erzielen. Dabei sind vor allem diejenigen Jugendkulturen betroffen, die einen kämpferisch-männlichen und revolutionären Gestus pflegen, oder aber jene, die in mystischer Weise auf altgermanische Mythologien zurückgreifen. Heutzutage tritt die radikale Rechte nicht mehr nur in der üblichen Skinhead- Gestalt auf - und auch nicht nur als gescheitelter Biedermann mit Parteibuch. Vielmehr kleiden sich z. B. die extrem rechten „autonomen Nationalisten“ seit Kurzem wie linke Autonome in schwarzer Kluft und Kapuzenpullis und treten auf Demonstrationen in sogenannten schwarzen Blöcken auf. Zudem werden sozialrevolutionäre Gesten simuliert: Es werden Palästinensertücher getragen, oder aber das Bild des südamerikanischen Widerstandskämpfers und Antifaschisten Che Guevara taucht auf, und es erscheint auf dessen Barrett anstatt des Sterns der rechtsnationale Thorshammer. Mit anderen Worten: Diese Stile und Embleme, die seit den Tagen der außerparlamentarischen Opposition der 60er Jahre für Menschen- und Bürgerrechte stehen und den Widerstand gegen eine repressive Staatsmacht und die Unterdrückung der Schwachen und Benachteiligten signalisieren, werden von rechtsextremen Gruppen vereinnahmt, obwohl und gerade weil diese selbst hierarchisch-repressiv organisiert sind, universale Menschen- und Bürgerrechte entschieden ablehnen und der Ausübung von absoluter Staatsmacht das Wort reden. Es scheint also mittlerweile ein verdoppelter Aufklärungsbedarf entstanden zu sein, der nicht nur Ideologie und Praktiken des politischen Extremismus - oder zunehmend auch des religiösen Fundamentalismus - als solche betrifft, sondern auch dessen jüngste Anleihen bei freiheitlichen, toleranzorientierten Jugendkulturen. Beides muss aufgezeigt und genau nachvollzogen werden. Festzustellen ist also, dass verfassungsfeindliche, rechts-extreme Initiativen erfolgreich darin waren, einige überaus wertvolle (jugend-)kulturelle, politische Inhalte und Symbole zu usurpieren und für ihre Zwecke zu missbrauchen, noch bevor Bildungspolitik, LehrerInnen und die bürgerliche Gesellschaft dahin gelangten, die urbanen Jugendkulturen als zentrale Ressource einer nachhaltig wirksamen Sozial- und Präventionsarbeit zu erkennen und zu erschließen. Ein in unserer westlichen Geschichte enthaltener Fundus an zivilgesellschaftlichen und bürgerrechtlichen Traditionen und Emblemen scheint leichtfertig abhandengekommen zu sein, den es jetzt neu aufzusuchen und zu erschließen gilt. Der jugendkulturelle Ansatz ist also keineswegs mit einer bloßen Geste der erlebnispädagogischen Hinwendung zu den uj 9 (2009) 373 jugendkulturen Heranwachsenden zu verwechseln - oder gar mit einer Variante von „akzeptierender Haltung“, die in falsch verstandener Einfühlung einzig auf die soziale Misere von (potenziellen) ExtremistInnen eingeht. Vielmehr werden die TeilnehmerInnen der Projekttage von Anfang an mit der Herausforderung konfrontiert, sich mit den eigenen lebensweltlichen Erfahrungen auseinanderzusetzen und für ihre häufig abwegigen, widersprüchlichen und phrasenhaften Ansichten geradezustehen. Genauso wenig sind Jugendkulturen nur Mittel zum Zweck. Sie sind selbst eine veritable Relaisstelle, an der sich jugendliche Interessen und Faszinationen aufgreifen lassen und direkt mit den Brennpunktthemen von politischer Bildung, Vorurteilsbearbeitung sowie Gewalt- und Extremismus-Prävention verbunden werden. „KulturRäume2010“ - eine gemeinwesenorientierte Strategie der Verankerung von jugendkultureller Vielfalt in einer „Kommune der Toleranz und Gewaltvermeidung“ Das Modellprojekt „KulturRäume2010“ entspringt dem Wunsch, die guten Erfahrungen und die Erfolge, die der jugendkulturelle Ansatz in vielen einzelnen Projekttagen an verschiedenen Orten erbracht hat, auch nachhaltig in der Kommune zu verankern und eine langfristige Verstetigung der Wirkung unserer Arbeit zu erreichen: Im „KulturRäume“-Projekt nutzen wir Jugendkulturen nicht nur zur Vermittlung von Erlebnissen und Werten der Vielfalt und Toleranz sowie als Anknüpfungspunkt zur politischen Auseinandersetzung, Vorurteilskorrektur und Meinungsbildung. Darüber hinaus setzen wir sie systematisch dafür ein, die Jugendlichen für ihren sozialen und regionalen Nahraum zu sensibilisieren und mit ihnen zusammen nach Möglichkeiten der jugendgerechten Mitgestaltung des eigenen Umfeldes zu suchen sowie Formen der kommunalen und politischen Teilhabe zu entwickeln. In vier Schwerpunktgebieten wird in aufeinander aufbauenden Phasen und Methoden mit den Jugendlichen an der Frage gearbeitet, was sie sich an jugendkulturellen Betätigungsfeldern vor Ort wünschen würden, welche Hindernisse und Möglichkeiten sie wahrnehmen, welchen Bedrohungen und Ängsten sie dort ausgesetzt sind, für welche Anliegen sie die Unterstützung der Erwachsenen benötigen und wie sie diese am verlässlichsten erhalten könnten. Übergreifendes Ziel des Projektes ist es, die Jugendlichen zu ermutigen, ihre eigenen Interessen zu erkennen, sie zu formulieren und sich systematisch und konstruktiv für sie einzusetzen. Dabei liegt der methodische Fokus auf dem jugendkulturellen Do-It-Yourself-Ansatz, der angeleiteten Eigeninitiative bzw. der schrittweisen Selbstermächtigung. Ziel des Projektes ist es aber freilich auch, die kommunalen Funktions- und Entscheidungsträger sowie maßgebliche Teile der örtlichen Bevölkerung über die Bedeutung und das pädagogische Potenzial der urbanen Jugendkulturen zu informieren und sie zur Mitwirkung, mindestens aber zur wohlmeinenden Begleitung der jugendlichen Initiativen zu ermuntern. Auf dieses Ziel wird durch Fortbildung der MitarbeiterInnen in kommunalen Kernfunktionen hingearbeitet (Schulen, Kirchen, Sozialarbeit, BürgermeisterIn, Ordnungsamt/ Polizei, Lokalpresse, ggf. örtliche Betriebe oder lokale zivilgesellschaftliche oder friedenspolitische Initiativen) wie auch durch Open-Space-Veranstaltungen und Zukunftswerkstätten, die unter Einbezug der Erwachsenen in den Gemeinden durchgeführt werden. 374 uj 9 (2009) jugendkulturen Während der zweijährigen Projektlaufzeit soll in vier Schwerpunktregionen in Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Sachsen gearbeitet werden. Hierbei haben wir Regionen gewählt, in denen aktuell oder bereits seit längerem rechtsextreme Parteien in die Parlamente und Kommunalräte eingezogen sind. Eine Region wurde uns von Fachleuten empfohlen, weil dort ein zunehmendes Erstarken der rechtsextremen Szene zu beobachten war, eine weitere haben wir auf Wunsch des zuständigen Landesministeriums gewählt, da in den infrastrukturschwachen Gebieten sonst keine Projekte der Toleranzförderung etwa durch Lokale Aktionspläne tätig waren. In allen Fällen war es notwendig und hilfreich, gute Kontakte zu örtlichen Behörden und Initiativen der Demokratieförderung zu haben und von ihnen spezifische Kenntnisse über die bestehende Problematik rechtsextremer Organisationen und „nationaler“ Szenen vor Ort zu erhalten. Jede Region wird von unserem Berliner Büro aus durch eine/ n sozialpädagogisch oder kulturwissenschaftlich ausgebildete/ n KoordinatorIn betreut. Der Auftakt der Regionalarbeit erfolgt so, dass wir an zentralen Schulen und Jugendeinrichtungen unsere CI-mobil-Projekttage zu „Jugendkulturen und politischer Bildung“ durchführen und die Workshops und Diskussionsgruppen dann zusätzlich durch eine große Open-Space-Veranstaltung ergänzen. In dieser ersten Phase sollen möglichst viele Jugendliche unserer Zielregion erreicht werden, und es soll zu allen bestehenden Gruppierungen sowie zu Jugendlichen aller Bildungsniveaus Kontakt hergestellt werden. Vorangegangen sind Besuche vor Ort, in denen die Projekttage vor den Schulklassen vorgestellt wurden, woraufhin sich die SchülerInnen gemäß ihrer Interessen mit Erst- und Zweitstimme in Workshop-Listen eintrugen (z. B. Techno-DJ-ing, Rap, digitale Musikproduktion, Graffiti/ Streetart, Breakdance, Beatbox, Skateboarding etc.). Vor allem aber haben sich unsere RegionalkoordinatorInnen vorab mit unseren lokalen Partnern - örtlichen Initiativen, Landesjugendringen, Jugendämtern, Schulsozialarbeit, Kirchen - dahingehend beraten, bei welchen Schulen die Arbeit am besten ansetzen sollte, welche örtlichen Anknüpfungsmöglichkeiten und Problemschwerpunkte bestehen. Häufig arbeiten wir in Förder- und Regelschulen, deren SchülerInnen für unsere jugendkulturell-partizipative Methode umso besser ansprechbar sind, als sie mit den herkömmlichen Angeboten des schulischen Unterrichts und der politischen Bildungsarbeit zunehmend schwer erreicht werden können. Zudem ist hier unsere Hauptzielgruppe stark vertreten: gefährdete Jugendliche, die diffuse nationale oder rechtsextreme Orientierungen erkennen lassen sowie stark vorurteilsbehaftet sind. Jedoch wäre es ein nicht selten gezogener Trugschluss, dass ein Projekt, das bei Haupt- und FörderschülerInnen erfolgreich war, in einer höheren Schule nicht durchführbar sei - und auch nicht notwendig wäre, wie wir mitunter auch von örtlichen GymnasialdirektorInnen zu hören bekommen. In den einschlägigen Regionen sind die gefährdeten Jugendlichen auf allen Bildungsstufen zu verzeichnen, und häufig ist die politische Bildungsarbeit mit GymnasiastInnen unwegsamer als die mit FörderschülerInnen, und wir passen die Methoden entsprechend an. Was jedoch quer durch alle Schultypen beinahe unterschiedslos wirkungsvoll ist, sind die Jugendkultur-Workshops, in denen die zivilgesellschaftlichen Inhalte in der Peer-Learning-Situation unmittelbar lebendig werden. Und der weit überwiegenden Zahl der vor Ort tätigen Verantwortlichen und PädagogInnen leuchtet uj 9 (2009) 375 jugendkulturen unsere jugendkulturelle Herangehensweise unmittelbar ein. Sie kennen den Handlungsbedarf und wissen um die Notwendigkeit, politischem Extremismus präventiv zu begegnen, aber vor allem auch diejenigen Jugendlichen nachhaltig zu unterstützen, die schon jugendkulturell versiert sind, vor Ort jedoch oft genug von der kulturell passiven oder „national“ gestimmten Majorität ihrer AltersgenossInnen - und mitunter auch von den Erwachsenen - angefeindet werden. Ferner sind sich viele SchuldirektorInnen dessen bewusst, dass ihre KollegInnen den immensen Informations- und Diskussionsbedarf, den ihre SchülerInnen in Bezug auf politische und jugendkulturelle Belange haben, im Rahmen der Lehrpläne nicht abdecken können. An die CI-mobil-Jugendkultur-Projekttage schließen sich dann Open-Space- Veranstaltungen an, an denen alle SchülerInnen der 9. und 10. Klassen einer Schule teilnehmen und die in Groß- und Kleingruppenarbeit das Ziel verfolgen, die schulischen, lebensweltlichen und jugendkulturellen Interessen und Bedürfnisse der Jugendlichen einer Gemeinde zu ermitteln - und auch den Jugendlichen selbst zu vergegenwärtigen. Arbeitsgruppen werden gebildet, die auch in den kommenden Tagen und Wochen fortbestehen und in denen sich weiter mit den gewählten Themen auseinandergesetzt wird sowie praktische Lösungen gesucht werden. Unser Kultur- Räume-Team unterstützt die Jugendlichen darin. Es kommen WorkshopleiterInnen etwa in Breakdance, Skateboarding und Graffiti, trainieren mit den Jugendlichen und überlegen zusammen mit ihnen, wie vor Ort neue jugendorientierte Räume und spannende Betätigungsmöglichkeiten geschaffen und Bedrohungen reduziert werden können. Die KoordinatorInnen beraten die Jugendlichen in Fragen der Vereinsgründung, aber auch bei Konflikten mit anderen Gruppen und insbesondere zum Umgang mit dem bestehenden und latenten Rechtsextremismus. Sie initiieren Gespräche mit den BürgermeisterInnen oder anderen Verantwortlichen, um über mögliche Jugendräume, Veranstaltungen und andere Verbesserungen zu verhandeln. Des Weiteren erstellen die Jugendlichen Sozialraumanalysen ihres lokalen Umfeldes, in denen sie aufzeigen, was ihnen an ihren Wohnorten wichtig ist, was sie sich wünschen und wovor sie Angst haben. Hierzu werden in angeleiteter Selbstorganisation Begehungen durchgeführt und in Form von Texten, Fotos, Videos und Audiofeatures dokumentiert. Aufbauend auf diesen Ergebnissen organisiert und moderiert das KulturRäume2010-Team in der Gemeinde eine Zukunftswerkstatt, an der auch die kommunalen Verantwortlichen und engagierten Erwachsenen der örtlichen Bevölkerung teilnehmen. Die Jugendlichen zeigen aus ihrer Sicht die Ressourcen und Problemlagen vor Ort auf, artikulieren ihre Wünsche, machen Vorschläge, diskutieren konkrete Handlungsziele und schließen Vereinbarungen. Das kann den Bau einer Skatebahn oder die Beschaffung anderer Betätigungsfelder betreffen. Die Gestaltung und zivilgesellschaftliche Belebung eines Platzes mag angezeigt sein, der von rechts gerichteten, aggressiven Jugendlichen okkupiert ist und zu einer „Zone der Angst“ wurde oder auch die Neuorganisation eines entsprechend in Beschlag genommenen Jugendklubs. Das kann ferner den generellen Alltagsbetrieb in einer Schule betreffen. Es mag sich zeigen, dass mehr Schutz und Unterstützung durch die örtlichen Autoritäten erwünscht und notwendig ist, was nur durch eine aufmerksamere Zusammenarbeit der verschiedenen FunktionsträgerInnen untereinander (Verwaltung, Polizei, LehrerInnen, Presse) und eine größere Rücksicht auf Belange des ju- 376 uj 9 (2009) jugendkulturen gendlichen Lebens vor Ort zu erzielen ist. Auch in der letzten Projektphase - nach der Zukunftswerkstatt - steht das Kultur- Räume2010-Team moderierend und unterstützend zur Seite, um sozialpädagogische und jugendkulturelle Beratung, Konfliktmediation, Deeskalation, politische Bildungsarbeit, lokale Vernetzung und Erwachsenenfortbildung zu leisten. KulturRäume2010 - Erfahrungen Wie aber sieht das praktisch aus und was passiert, wenn das KulturRäume2010-Team von Cultures Interactive an der Schule einer ausgewählten Region eintrifft und seine Workshop-Arbeit und lokale Netzwerkbildung beginnt? Dies soll nun an einem Beispiel veranschaulicht werden. Nach einführenden Gesprächsrunden geht es zunächst um die Hintergründe der Jugendkulturen, die später praktisch ausgeübt werden können. Anhand von Bildern sprechen wir über Skinheads, Punks, Gothics, HipHop, Techno und über die sozialen und politischen Zusammenhänge ihrer Entstehung, wie der Männer- und Frauenanteil in den Szenen ist, welche Rollenbilder vorherrschen und welche Werte und Lebenshaltung dort ausgebildet wurden. Vor allen Dingen aber versuchen wir, in Erfahrung zu bringen, was die Jugendlichen selbst darüber zu erzählen haben, ob und warum sie die jeweilige Jugendkultur als abschreckend oder als attraktiv und „cool“ empfinden und wie sie vor Ort als real existierende Jugendszene erlebt wird. Da kommen viele unterschiedliche Positionen und Erfahrungen zum Vorschein, über die sich die SchülerInnen untereinander normalerweise gar nicht im Detail austauschen - persönliche Eindrücke, Aversionen, Faszinationen, mehr oder weniger zutreffende Vorstellungen. Von unserer Seite werden dann die entsprechenden Hintergrundinformationen eingebracht. HipHop ist ungefähr 35 Jahre alt, unfassbar. Wir berichten, wie dessen Ausdrucksformen - RAP, DJ-ing, Breakdance, Graffiti - von jungen Menschen in der New Yorker Bronx als Reaktion auf soziale und rassistische Ausgrenzung kreiert wurden. Wir stellen dar, wie sich darin die Werte der Fairness und des Anti-Rassismus äußern, ferner, wie diese Stile ein eigenes Bezugs- und Leistungssystem für Jugendliche weltweit geworden sind - vor allem für diejenigen, die keinen Einfluss auf die Entscheidungszirkel der Mehrheitsgesellschaft haben. In anderen Gruppen berichten unsere SzenevertreterInnen über die Geschichte des Punk, der als provokante Reaktion der Jungen auf den eklatanten Mangel an beruflicher Aussicht und gesellschaftlicher Teilhabe und als Affront gegen ihre Eltern und die Erwachsenenwelt entstanden war, weil diese borniert auf ihre kleinbürgerlichen Werte pochten und verständnislos forderten, man müsse trotz allem brav und ordentlich bleiben. Mit geeignetem Material und Musikbeispielen wird gezeigt: Die „No Future“- und „Fuck off“-Parolen des Punk, die in den späten 1970er Jahren Großbritanniens - musikalisch simpel und lautstark, im Aussehen bunt und abgerissen - auf sich aufmerksam machten, haben mit diesen nicht selbst verschuldeten Verhältnissen zu tun. Es gibt also keinen Grund, auf sozial Schwache loszugehen. Eine qualitativ andere Form der Reaktion auf reale Erfahrungen der Jugendarbeitslosigkeit, des Verlusts, des familiären Zerfalls und der sozialen Vereinsamung stellt die Gothic-Szene dar. In ihr sind Erfahrungen und Werte der mystischen Besinnung und der gemeinsamen Trauer auffindbar, die insbesondere den Zielen der Gewaltverhinderung und der nicht-aggressiven Verarbeitung von Schmerzerfahrungen zugute kommen können. uj 9 (2009) 377 jugendkulturen Anhand von Bildmaterial, Musikbeispielen und Texten können unsere SzenevertreterInnen schnell den Bezug zur jeweiligen Jugendkultur herstellen, die Vorstellungen und Erfahrungen der TeilnehmerInnen aufrufen und gezielt auf zivilgesellschaftlich bedeutsame Aspekte zugehen. Einige der Fotos, die in verschiedenen Workshops genutzt werden, bilden Skinheads ab: Zwei grinsende Glatzköpfe - und ein Afroamerikaner zwischen ihnen: Laurel Atkin, der Godfather des Ska, der Musikrichtung der Skinheads, und Garant eines Selbstverständnisses der Skinhead- Szene, das der allgemeinen Wahrnehmung unserer eher „nationalen“ Jugendlichen völlig entgegenläuft. Denn: Zwei Skinheads mit einem „Schwarzen“ in der Mitte, wie kann das gehen? Die beiden „White- Power“-Jungs aus der Gruppe horchen auf. Dann wird eine kurze Filmsequenz aus „Skinhead Attitude“ eingespielt, in der der Buster Bloodvessel, der bullige Sänger der Ska-Band „Bad Manners“, folgendes Motto zum Ausdruck bringt: „Als Skinhead muss man feiern mögen, und tanzen, richtig hart tanzen, aber das Wichtigste ist: als Skinhead muss man Antirassist sein.“ Die „White-Power“-Jungs wissen so gut wie nichts über die Entstehung der vermeintlich rechtsextremen Jugendkultur der Skinheads. Dass es britische und jamaikanische Arbeiterkids waren, die in den 1960er Jahren miteinander Musik gemacht und gefeiert haben, dass Jeans, Hosenträger und Doc-Martens-Stiefel eine Referenz auf die solide Arbeiterkleidung der Eltern und noch kein explizit politisches Statement waren, dass die Köpfe kahlrasiert waren, um beim Raufen nicht so angreifbar zu sein, dass es bei den Prügeleien nicht um Rassen oder rechts-links ging, sondern darum, sich tatkräftig gegenüber den Mittelstandskids - den Mods - abzugrenzen. Erst nach und nach haben sich die Skinheads politisiert. Während einige die ausländerfeindlichen und rassistischen Ideen der British National Party annahmen, für die sie mitunter als Türsteher arbeiteten, grenzten sich andere ab: So kam es zu vielfältigen Spaltungen, etwa in die Red (rot/ links), Sharp (skinheads against racist prejudice) oder die OI-Skins, die bis heute für sich proklamieren, nichts anderes als eine unpolitische Spaßkultur zu sein. Nicht leicht, sich da zurechtzufinden. Und umso wirksamer, „national“ orientierte Jugendliche in ihren festgefügten Ansichten zu verunsichern. Denn die Jugendszene, zu der sie in der Regel die größte Affinität verspüren und deren Kleidungsstil sie sich bedienen, ist nicht so eindeutig, wie sie dachten. Die rassistischen Feindbilder gab es dort anfangs gar nicht, und mit den verhassten „Negern“ wurde früher gemeinsam Musik gemacht. Widersprüche und Mehrdeutigkeiten aufzeigen, Möglichkeiten schaffen, über die Dinge aus anderer, ungewohnter Perspektive nachzudenken und vor allem die Jugendkulturen in ihren geschichtlichen und lebensweltlichen Facetten mit der eigenen Alltagserfahrung der Jugendlichen zu verbinden - das ist das Prinzip des jugendkulturellen Ansatzes. Anschließend daran, wenn am Nachmittag des Projekttages die jeweiligen Aktivitätsformen in den praktischen Workshops geübt werden, können die jeweiligen Themen in Randgesprächen wieder aufgenommen werden - ja, sie drängen sich geradezu auf, denn manches aus den Gesprächsrunden hat die Jugendlichen so verblüfft, dass sie nachfragen wollen, ob das denn stimmt und was es darüber von einer/ m originalen VertreterIn dieser Jugendszene noch zu erfahren gibt: „Waren Sie schon mal dort in New York? Wie war das bei denen? “ Nicht selten erfahren wir in diesen Gesprächen, dass die SchülerInnen auch Lust auf eine solche Auslandserfahrung hätten, es sich aber nicht zutrauen und auch kaum Aussichten 378 uj 9 (2009) jugendkulturen haben, dies zu bewerkstelligen. „Studieren in Spanien wäre ein Traum, aber ich kann froh sein, wenn ich den Hauptschulabschluss schaffe.“ Immerhin: das mit dem Plattenauflegen und Scratchen klappt gut. Die Mädchen freuen sich über den Erfolg und wollen immer wieder an die Platten- Decks. Momente des Könnens, der Zusammenarbeit, der Anerkennung - der Selbstermächtigung durch und mit anderen; so auch beim Breakdance in der Turnhalle, dem Skateboarding auf dem Schulhof, den RAP- und Radio-Workshops in den Klassenzimmern nebenan. Wichtige Momente sind das. Die SchülerInnen nehmen Beziehung zu den SzenevertreterInnen auf, die ihnen am Morgen noch so fremdartig erschienen waren - und gleichzeitig werden sie unmittelbar mit deren Werten der Fairness und Toleranz vertraut. Die AutorInnen Silke Baer Peer Wiechmann Cultures Interactive e.V. Mainzer Str. 11 12053 Berlin baer@cultures-interactive.de Besuchen Sie uns auf dem 7. Bundeskongress Soziale Arbeit! Vom 24. bis 26. September 2009 findet in Dortmund der 7. Bundeskongress Soziale Arbeit statt. Wir freuen uns über Ihren Besuch an unserem Verlagsstand auf dem Campus der TU Dortmund. Nähere Informationen erhalten Sie unter www.reinhardt-verlag.de und www.bundeskongress-soziale-arbeit.de a www.reinhardt-verlag.de
