eJournals unsere jugend 61/6

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2009
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Null Bock auf Ausbildung? Eine Untersuchung über Zukunftsperspektiven von Jugendlichen

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2009
Maria Steingröver
Seit den 90er Jahren ist ca. eine halbe Million Jugendliche unter 25 Jahren ohne Arbeit. Vor allem gering qualifizierte junge Menschen haben kaum Chancen auf eine geeignete Stelle. Mit dieser Problematik beschäftigte sich auch eine noch nicht veröffentlichte Studie, die diesem Beitrag zugrunde liegt.
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uj 6 (2009) 261 Unsere Jugend, 61. Jg., S. 261 - 263 (2009) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel „Null Bock auf Ausbildung“? Eine Untersuchung über Zukunftsperspektiven von Jugendlichen Maria Steingröver Seit den 90er Jahren ist ca. eine halbe Million Jugendliche unter 25 Jahren ohne Arbeit. Vor allem gering qualifizierte junge Menschen haben kaum Chancen auf eine geeignete Stelle. Mit dieser Problematik beschäftigte sich auch eine noch nicht veröffentlichte Studie, die diesem Beitrag zugrunde liegt. übergänge gestalten Jugendliche erleben heute den Weg in das Erwerbsleben oft als zwiespältig. Alte Normen und Vorstellungen eines kontinuierlichen Weges in die Berufsausbildung und Erwerbstätigkeit haben weitgehend ihre Orientierungskraft eingebüßt. Einerseits öffnet der gesellschaftliche Umbruch neue Chancen, denn die Jugendlichen sind weniger an veraltete Strukturen gebunden, aber andererseits besteht nicht mehr die Möglichkeit, sich an klar vorgegebenen Normen und Mustern zu orientieren. Erschwerend kommt noch hinzu, dass die Anforderungen an die ArbeitnehmerInnen bezüglich ihrer Qualifikationen steigen. Außerdem gilt, dass eine abgeschlossene Berufsausbildung oder ein höherer Bildungsabschluss keine Garantie mehr auf Arbeit sind und keineswegs vor Arbeitslosigkeit schützen. Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jahren ist seit Jahren sehr hoch. Im Jahr 2006 betrug sie 527.454, darunter 339.125 in Westdeutschland und 188.329 in Ostdeutschland. Das entspricht einer Quote von 8,9 (West) bzw. 18,6 (Ost) (vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung Juni 2007). Die Untersuchung wollte Gründe ermitteln, warum viele SchulabgängerInnen keinen Ausbildungsplatz finden; des Weiteren sollte erforscht werden, wo besonderer Hilfsbedarf besteht und welche Angebote aus Sicht der Jugendlichen als förderlich für den Einstieg in die berufliche Ausbildung erscheinen. Dazu wurden im Sommer 2007 insgesamt 105 Jugendliche aus Münster (Westfalen) befragt, die sich in berufsvorbereitenden Maßnahmen in der Akademie Überlingen befanden. Die 67 Schüler und 38 Schülerinnen waren im Alter von 16 bis 28 Jahren. Die befragten Jugendlichen bilden eine typische Auswahl für die in Deutschland lebenden Jugendlichen ohne Arbeit, da sie aus sehr unterschiedlichen Kulturen, sozialen und familiären Hintergründen stammen und die gesamte Altersspanne vertreten ist. Die Befragung machte Folgendes deutlich: Dr. Maria Steingröver Jg. 1956; Studium der Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie, Aufbaustudium in den Fächern Soziologie und Erziehungswissenschaft 262 uj 6 (2009) übergänge gestalten • Zwei Drittel der an der Untersuchung beteiligten SchülerInnen haben einen Haupt- oder Sonderschulabschluss. Aus der Tatsache, dass fast alle Befragten planen, eine Ausbildung zu machen, resultiert die Notwendigkeit, mehr Ausbildungsplätze für Schüler der Haupt- und Sonderschulen zur Verfügung zu stellen. • Der Anteil an ausländischen SchülerInnen liegt mit 15 % bei den männlichen und mit 11 % bei den weiblichen Befragten nicht über dem bundesdeutschen Durchschnitt. Ein besonderer Förderbedarf für MigrantInnen besteht zumindest für Münster also nicht. • Fast ein Drittel der befragten SchülerInnen hat sich noch nie beworben. Hier wäre eine individuelle Einzelhilfe durch speziell geschulte Fachkräfte nötig. Auch Praktika (Schulpraktika oder solche, die zusammen mit den Eltern geplant werden und in den Ferien oder an den Wochenenden stattfinden) könnten helfen, einen Einstieg ins Berufsleben zu finden. Hilfreiche Anregungen kann der Blick ins Ausland liefern: so gibt es z. B. an der High School in North Berwick/ Schottland einen „career-adviser“, der jeder/ m einzelne/ n SchülerIn ein Jahr vor Schulabschluss bei der Berufsfindung und der Bewerbung unterstützt. In Spanien übernehmen SchulpsychologInnen diese Aufgaben. Sie sind neben ihrer beratenden Tätigkeit speziell ausgebildet und bieten jeder/ m SchülerIn Hilfe bei der Berufswahl an. • 9 SchülerInnen hatten schon einmal eine Ausbildung begonnen, die sie allerdings abgebrochen haben. Unterstützungsangebote bei Schwierigkeiten am Arbeitsplatz oder in der Berufsschule sind also notwendig und könnten helfen, die Zahl der Abbrüche zu reduzieren. Zudem sind Hilfsangebote in breiter Form zu gewähren, um Jugendliche - besonders (Personzentrierte Beratung & Therapie; 1) 2005. 155 Seiten. 9 Abb. 4 Tab. (978-3-497-01760-7) kt Nicht mehr Kind und noch nicht erwachsen - viele Erfahrungen und Konflikte können in der schwierigen Phase der Pubertät ernsthafte Krisen auslösen. Depression, Risikoverhalten, Gewalt können entstehen, wenn Jugendliche die entwicklungsbedingten Lebensaufgaben nicht mehr angemessen bewältigen. Der Personzentrierte Ansatz weist den Weg, wie man Jugendliche in Krisensituationen verständnisvoll und einfühlsam berät und begleitet. a www.reinhardt-verlag.de uj 6 (2009) 263 übergänge gestalten AbsolventInnen von Haupt- und Sonderschulen - in der Ausbildung zu unterstützen. Neben den Eltern sollten auch Institutionen ihre Hilfsangebote ausweiten. Diese müssten sich über Nachhilfe bis hin zu sozialpädagogischer Hilfe in besonderen Krisensituationen - wie z. B. bei familiären Streitigkeiten, Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, Sucht - erstrecken. Bereits SchülerInnen fühlen sich heutzutage vom Problem der Arbeitslosigkeit bedroht, sodass Jungsein heute nicht mehr die unbeschwerte Zeit des Lernens, spielerischen Ausprobierens und der allmählichen Vorbereitung auf einen Beruf ist. Bei der ersten Bewerbung erleben viele, dass ein schlechtes Abschlusszeugnis nur geringe Einstiegschancen am Arbeitsmarkt bietet. Ursprüngliche Vorstellungen, dass ein Beruf Spaß machen und den eigenen Fähigkeiten entsprechen sollte, werden häufig verworfen, wenn es nur mehr darum geht, überhaupt in Erwerbsarbeit zu kommen. Der verstärkte Konkurrenzkampf untereinander - eine Folge des knappen Angebots an Ausbildungs- und Arbeitsstellen - schafft zusätzlich ein Klima der sozialen Härte, das den Jugendlichen den Aufbau eines sozialen Netzwerkes erschwert. Auch die gestiegenen Anforderungen am Arbeitsmarkt setzen für junge Menschen einen Standard, an dem sie ihre Ziele und Erwartungen messen müssen. So besteht die Gefahr, dass sie Arbeitslosigkeit als Misserfolg erleben und angesichts ihrer Situation resignieren. Mögliche Folgen sind Demotivation, psychosoziale Probleme wie Verhaltensauffälligkeiten, emotionale Beeinträchtigungen oder Leistungstiefs, die wiederum die weiteren Schritte in das Erwachsenenalter erschweren können. Um diesen Gefahren vorzubeugen, sollten größtmögliche Bemühungen unternommen werden, Jugendliche in Ausbildung und Arbeit zu bringen. Die Autorin Dr. Maria Steingröver Wittninkheide 20 48157 Münster