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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Impulse für Qualität - das Programm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“
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Maren Wichmann
Der Trend zum Ausbau der Ganztagsschulen ist ungebrochen. "Ganztagsschulen sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen", titelte die begleitende Forschung im September 2008. Wie das "Mehr an Zeit" sinnvoll und im Kontext stimmiger pädagogischer Konzepte realisiert werden kann - dabei unterstützt das Programm "Ideen für mehr! Ganztägig lernen".
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uj 7+8 (2009) 319 Unsere Jugend, 61. Jg., S. 319 - 328 (2009) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Impulse für Qualität - das Programm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ Maren Wichmann Der Trend zum Ausbau der Ganztagsschulen ist ungebrochen. „Ganztagsschulen sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, titelte die begleitende Forschung im September 2008. Wie das „Mehr an Zeit“ sinnvoll und im Kontext stimmiger pädagogischer Konzepte realisiert werden kann - dabei unterstützt das Programm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“. ganztagsschulen Herausforderung Ganztagsschule Der Ausbau der Ganztagsschulen ist eine Reaktion auf die Herausforderungen nach dem PISA-Schock, mit denen sich die bundesdeutsche Bildungspolitik seit Ende 2001 konfrontiert sah. Mehr Zeit in der Schule - so die Erwartung - soll zu mehr Bildungsgerechtigkeit und besserem Lernerfolg bei SchülerInnen beitragen. „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ ist ein vorerst bis Ende 2009 aufgelegtes Programm zur qualitativen Begleitung des Investitionsprogramms „Zukunft Bildung und Betreuung“ (IZBB), als gegenwärtig einziges gemeinsames Bildungsprogramm von Bund und Ländern. Es zeichnet sich eine Verlängerung ab. In Ergänzung zum vornehmlich auf bauliche Maßnahmen fokussierten IZBB- Programm ist die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) seit 2004 mit „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ betraut, das die Qualität und die pädagogisch-inhaltliche Gestaltung von Ganztagsschulen sichern hilft. In der Definition der Ganztagsschule, auf die sich die Kultusministerkonferenz einigen konnte, sind Mindestvoraussetzungen für die Genehmigung von Ganztagsschulen formuliert (KMK 2006). Ganztagsschule bedeutet danach, dass • die Schule an mindestens drei Tagen der Woche sieben Zeitstunden anbietet, • ein Mittagessen vorhält, • nachmittägliche Veranstaltungen unter Aufsicht und Verantwortung der Schulleitung stehen. In den einzelnen Bundesländern wurden diese Mindestvoraussetzungen entsprechend der jeweiligen bildungspolitischen Präferenzen in vielfältiger Weise variiert, und so stehen Ganztagsmodelle mit unterschiedlichem Grad an Verbindlichkeit und Ausstattung nebeneinander. Entsprechend der Bedarfe der Länder hat die DKJS mit 15 der 16 Bundesländer Verträge über die Einrichtung von Serviceagenturen abgeschlossen, die Schulen dabei beraten, wie das „Mehr an Zeit“ für den Maren Wichmann Jg. 1961; M. A. Geschichte und Soziologie, Leiterin des Begleitprogramms „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) 320 uj 7+8 (2009) ganztagsschulen Lern- und Lebensort Ganztagsschule gestaltet werden kann. Unter den Bedingungen des Bildungsföderalismus wurden von Land zu Land unterschiedliche Konzepte entwickelt, wie und von wem das Mehr an Zeit genutzt wird und wie Schule zum Lern- und Lebensort wird. Der Grad an Verbindlichkeit der Angebote, die Verbindung von Vor- und Nachmittag, die ausreichende Ausstattung mit Lehrerstunden, Ernährungs-, Bewegungs- und Raumkonzepte sowie die Kooperation mit außerschulischen Partnern haben erheblichen Einfluss auf die Qualität der Ganztagsschule. Im Verständnis der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung sind „gute Ganztagsschulen“ solche, die von den Lern- und Aufwachsbedürfnissen von Kindern und Jugendlichen ausgehen und deren Aufwachsen optimal fördern. Jede Ganztagsschule gestaltet ihre Qualität vor Ort selbst. Jede Schule tut dies anders, weil sie unter spezifischen äußeren und inneren Rahmenbedingungen arbeitet. Das sind zum einen die unterschiedlichen Formen der Ganztagsschulausprägung. Für das Jahr 2007 wissen wir, dass die offene Form mit 60 % überwiegt, während 18 % aller Ganztagsschulen teilgebunden und 23 % gebunden sind (Holtappels u. a. 2007). Damit korrespondieren die Ausstattungen von Land und Schulträger je nach landespolitischer Setzung. Hinzu kommen in einer Reihe von Bundesländern bildungsreformerische Umgestaltungen wie die Einführung der Stadtteilschule in Hamburg oder von Gemeinschaftsschulen in Berlin und Schleswig-Holstein. Die an diesen Veränderungsprozessen beteiligten Personengruppen sind verschieden: von Schulleitungen und Lehrkräften über SchülerInnen und Eltern hin zu außerschulischen Partnern wie die Jugendhilfe oder KollegInnen der Sozialarbeit. Die bundesweit angelegte Längsschnitt- Studie (StEG - Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen) hat ergeben, dass eine gute und eine nachhaltige (Ganztags-) Schulentwicklung durch breit angelegte Unterstützungsmaßnahmen gesichert werden können. Gefordert werden hierbei z. B. Materialien für die Praxis, Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrkräfte und Leitungen sowie eine Reihe von Austausch- und Vernetzungsmöglichkeiten (Holtappels u. a. 2007). Schulentwicklungsprozesse sind längerfristig angelegt. Ergebnisse der Innovationsforschung im Bildungsbereich besagen, dass für die Implementierung von Bildungsreformen von mindestens fünf bis sieben Jahre auszugehen ist. Daher bedürfen selbst Ganztagsschulen mit inzwischen drei oder mehr Jahren Praxiserfahrung weiterer Unterstützung. Die Themen, die die Ganztagsschulen bewegen, verändern sich im Laufe der Entwicklung. Sind es zu Beginn vor allem organisatorisch-strukturelle Fragen, Fragen der allgemeinen Schul- und Konzeptentwicklung, kommen im Entwicklungsverlauf eher inhaltlich-konzeptionelle Bedarfe hinzu. Das kann zum Beispiel die Rhythmisierung sein (eine veränderte Zeittaktung des gesamten Tages, der Lerneinheiten, des bewussten Wechsels von Phasen der An- und Entspannung), die Entwicklung einer anderen Lernkultur (Fachunterricht im Ganztag, individuelle Förderung) oder gezielte Maßnahmen zur Personal- und Teamentwicklung. Unterstützung in diesen Bereichen wünschen Ganztagsschulen bei der zweiten Evaluation des Programms (Fleuren u. a. 2009). Während zu Beginn vor allem Einzelschulberatungen und allgemeine Informations- und Netzwerkveranstaltungen nachgefragt werden, zeigt sich mit fortlaufender Dauer des Ganztagsbetriebs ein Wandel hin zur Arbeit an konkreten Problemstellungen, die durch (Peer-to-Peer-)Vernetzung und uj 7+8 (2009) 321 ganztagsschulen spezifische Fortbildungsangebote am besten abgedeckt werden. Gleichzeitig ist der Ausbau von Ganztagsschulen in den Bundesländern noch längst nicht abgeschlossen. Auch im kommenden Schuljahr 2009/ 2010 werden weitere Schulen als Ganztagsschulen starten. Sie haben besondere Unterstützungsbedarfe, denen mit dem Begleitprogramm Rechnung getragen wird. Aufgrund dieser Unterschiede in Entwicklungsgrad und -tempo sind diejenigen, die Ganztagsschulen von außen unterstützen, ebenso angehalten, differenzierte Angebote zu entwickeln wie Lehrkräfte und pädagogisches Personal. Die Ergebnisse der zweiten Erhebungswelle im Frühjahr 2007 geben Hinweise auf die inhaltlichen Felder, in denen weiterer Entwicklungsbedarf besteht: 1 Die Zahl der Schulen, die mit außerschulischen Partnern kooperieren, steigt, dementsprechend auch die Zahl der Partner. Doch die strukturelle Verankerung dieser Kooperation (z. B. die Zusammenarbeit in Gremien) stagniert auf niedrigem Niveau. Die Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und weiterem pädagogischem Personal hat sich zwar intensiviert, aber die Projektarbeit hat sich verringert. Insgesamt kommen die Autoren zum Ergebnis, dass die Ganztagsschulen konzeptionell „unterentwickelt“ seien. Es gebe zwar Veränderungen bei Angebots- und Nutzungsstruktur, die konzeptionelle Seite jedoch stagniere weitgehend. Verbesserungen hinsichtlich der pädagogischen Ziele seien am ehesten bei länger bestehenden oder gebundenen Ganztagsschulen erkennbar. „Die größte Herausforderung für die kommenden Jahre wird sein, die Angebote qualitativ hochwertig auszugestalten, diese in ein Gesamtkonzept von Ganztagsschule zu integrieren sowie das Zusammenspiel aller Beteiligten weiter zu verbessern“, so Eckhard Klieme, Sprecher des StEG-Konsortiums (Klieme 2008). Bedarfs- und ressourcengerechte Unterstützung für Ganztagsschulentwicklung durch „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ Das Besondere an dem bundesweit angelegten Begleitprogramm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ ist, dass unter den Bedingungen des Bildungsföderalismus ein Programm für alle arbeitet, das die Unterschiedlichkeit der ganztagspolitischen Zielsetzungen der Länder für gegenseitige Anregungen und Ergänzungen nutzbar macht. Das Begleitprogramm unterstützt die Länder dabei, AkteurInnen in und um Ganztagsschulen zu informieren, zu qualifizieren, zu beraten und zu vernetzen. Es stellt darüber hinaus einen fachlichen Austausch zwischen den beteiligten Bundesländern her. Um Schulen und den lokalen AkteurInnen Erfahrungswissen aus unterschiedlichen pädagogischen Praxiszusammenhängen anzubieten, werden verschiedene Formen von Unterstützung und Zugänge entwickelt. „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ bezieht sich nicht nur auf die klassische Umsetzung schulischer und unterrichtsbezogener Ganztagskonzepte. Vielmehr sollen Ganztagsschulen dabei unterstützt werden, vielfältige Formen der Einbeziehung außerschulischer Lern- und Bildungsanlässe innerhalb ihrer Konzepte zu entwickeln und damit informelle und 1 Die Befunde basieren auf ersten Erhebungen aus den Jahren 2005 und 2007. Das DIPF in Frankfurt, das Deutsche Jugendinstitut in München und das Institut für Schulentwicklungsforschung der TU Dortmund führen an 373 Ganztagsschulen an drei Zeitpunkten (der nächste ist im Frühjahr 2009) Längsschnittbefragungen durch. Dabei werden Schulleitungen, SchülerInnen, deren Eltern und Lehrkräfte, das im Ganztag tätige Personal und externe Kooperationspartner befragt. 322 uj 7+8 (2009) ganztagsschulen gemeinwesenorientierte Lernangebote verstärkt zu nutzen. Ganztägige Lernarrangements können in der Schule, aber auch außerhalb der Schule verwirklicht werden. Bei ihrer Umsetzung sollen Schulen in enger Kooperation mit außerschulischen Partnern zusammenwirken sowie die verschiedenen Nutzergruppen wie SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern in partizipative Prozesse einbinden. Ziel ist es, Kindern und Jugendlichen, ausgehend von der Ganztagsschule als wichtigem Sozialisationsraum, vielfältige lebenswelt- und handlungsorientierte Lernangebote innerhalb und außerhalb von Schule zu erschließen. Das Programmdesign Die DKJS hat als zivilgesellschaftliche Akteurin die Aufgabe, die qualitative Entwicklung von Ganztagsschulen in Abstimmung mit dem Bund und den Ländern zu moderieren. Die DKJS begleitet jedes Land beim Aufbau von Unterstützungsstrukturen für Ganztagsschulen und moderiert die bundesweite Diskussion zwischen den Ländern sowie dem Bund und den Ländern mit • Vernetzung und Erfahrungsaustausch zwischen Ganztagsschulen und außerschulischen Kooperationspartnern, • Vermittlung von ExpertInnen und Beispielen guter Praxis, • Fortbildung und Qualifizierung für Lehr- und Leitungskräfte und weiteres pädagogisches Personal, • Wissenstransfer aus unterschiedlichen pädagogischen Handlungsfeldern (Theorie, Praxis, Schul- und Sozialpädagogik). Mittelpunkt dieses komplexen Programms sind die regionalen Serviceagenturen in 15 Bundesländern. Die Serviceagenturen nehmen im Zusammenwirken des Programms eine zentrale Rolle ein. In 15 Bundesländern sind seit 2004 regionale Serviceagenturen eingerichtet worden. Sie basieren auf Kooperationsverträgen der Länder mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und nehmen die spezifischen Länderbedarfe als Ausgangspunkt für die Konzeption der Teams, ihrer Anbindung und ihrer Schwerpunkte. Die Serviceagenturen haben ihren Sitz bei regionalen Trägern, bei den Lehrerfortbildungs- Abb. 1: Die Programmelemente 2009 uj 7+8 (2009) 323 ganztagsschulen instituten oder bei Ministerien. In der Regel beraten und unterstützen multiprofessionelle Teams alle an der Ganztagsschule Beteiligten und Interessierten. Das sind vor allem die Ganztagsschulen vor Ort, aber auch Kooperationspartner und VertreterInnen von Schulträgern und aus der Schulverwaltung. Je nach länderspezifischem Bedarf entwickeln die Serviceagenturen Angebote mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Serviceagenturen sind „nah dran“ an den Ganztagsschulen und den besonderen Rahmen- und Entwicklungsbedingungen ihrer Bundesländer. Der Transfer von Wissen ist von Beginn an eine wesentliche Aufgabe des Programms. Die Serviceagenturen werden unterstützt von allen anderen Programmelementen. Drei Werkstätten zu Schwerpunktbereichen der Ganztagsschulentwicklung (Werkstatt 1: Organisation und Entwicklung von Ganztagsschulen, Institut für Schulentwicklungsforschung der Technischen Universität Dortmund; Werkstatt 2: Schule als Lebensort, Diplom-Psychologin Oggi Enderlein; Werkstatt 3: Schule und außerschulische Partner, Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg) arbeiten das Wissen über Ganztagsschulen so auf, dass es für die Serviceagenturen und die Schulen nutzbar wird und deren Arbeit fachlich unterstützt. Auf dem Ganztagsschulportal www.ganz taegig-lernen.de werden Wissen aus der Praxis (Schulporträts, Arbeitshilfen, Praxisberichte) und der Theorie sowie Serviceangebote (der Serviceagenturen, der Länder, der Werkstätten) dargestellt und können direkt von Interessierten heruntergeladen werden. Vielfältige Publikationen und Materialen zu Fragen der Ganztagsschulentwicklung - Fachbücher, Themenhefte, Dokumentationen und Arbeitshilfen - liefern Hintergrundwissen und geben Anregungen für den Alltag. Sie sind kostenlos bei den Serviceagenturen, der DKJS und über den Buchhandel erhältlich. Damit die Stimmen von Kindern und Jugendlichen im Sinne von Teilhabe im Programm vertreten ist, gibt es eine Zusammenarbeit mit dem Bildungswerk für Schülervertretungsarbeit in Deutschland, das Initiativen zur Beteiligung von Schüler/ innen entwickelt. In Themenateliers arbeiten Schulen einiger Bundesländer länderübergreifend, exemplarisch und vernetzt zu den Themenbereichen „Ganztagsschule der Vielfalt“ und „Kulturelle Bildung“ zusammen. Wettbewerbe fordern Schulen heraus, ihre Entwicklungsprozesse zu reflektieren und ihre Entwicklungsschritte öffentlich zu dokumentieren. Der jährliche Höhepunkt ist der Ganztagsschulkongress in Berlin, bei dem Akteure aus Ganztagsschulpraxis, Verwaltung, Politik und Wissenschaft zum Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer zusammenkommen. Dieses breite Spektrum soll Ganztagsaktiven unterschiedliche Zugänge und Unterstützungsmöglichkeiten bieten, je nach Bedarf, denn Schulen wissen selbst am besten, was sie brauchen. Wodurch bekommen Schulen Anregungen? Im Begleitprogramm der Ganztagsschulen ist seit 2004 viel Erfahrungswissen entstanden, welche Themen Ganztagsschulen bewegen und mit welchen Angebotsformen ein guter Praxistransfer gelingt. Ganztagsschulen greifen zunehmend auf externe Anregungen und Unterstützung zurück. Nachgefragt werden • fachlicher Input und kreative Ideen (Vorträge und Beispiele bei Fortbildungen und Fachveranstaltungen), • gute Beispiele anderer Schulen und Kooperationen (Veranstaltungen und Hospitationen, Referenzschulen), • Erfahrungsaustausch und „Voneinander lernen“ auf Peer-Ebene (Netzwerke von Schulen und Kooperationspartner, Netzwerke zu bestimmten Themen oder von besonderen Verantwortlichkeiten), • Beratung und Begleitung bei Schulentwicklungsprozessen. 324 uj 7+8 (2009) ganztagsschulen Für den fachlichen Input sind Fortbildungen das klassische Angebot. Im Programm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ werden sie bevorzugt für multiprofessionelle Lerngruppen angeboten. Das vordringlichste Fortbildungsinteresse gilt der Frage, wie das Mehr an Zeit für eine neue Lern- und Schulkultur und wie die Kooperation zwischen Schule, Jugendhilfe und weiteren außerschulischen Partnern gelingen kann. So kann die gemeinsame Arbeit zum Beispiel einer Schulleiterin mit einem Schulsozialarbeiter an einem Problem - in einer multiprofessionellen Fortbildung fernab des eigenen Systems - die Sensibilität für die Sichtweise des jeweils anderen erhöhen. Neben diesen bewährten Themen geht es verstärkt um Teambildung, Rhythmisierung und Umgang mit „schwierigen“ SchülerInnen. Fortbildungen sind besonders gewinnbringend, wenn ein Input an Alltagsfragen der TeilnehmerInnen anknüpft und gekoppelt wird mit ergebnisorientierten Arbeitsphasen. Gleichwohl ist es notwendig, gezielte Angebote für die Leitungskräfte einer Schule, für die GanztagskoordinatorInnen, Lehrkräfte oder pädagogische MitarbeiterInnen aus dem Nachmittagsbereich zu entwickeln, da jede Berufsgruppe im Rahmen der Ganztagsschulentwicklung spezielle Herausforderungen zu meistern hat (Brendel 2009). Im Saarland zum Beispiel können die Ganztagsschulen zwischen Angeboten aus unterschiedlichen Bereichen (u. a. lernende Organisation, Beteiligung, gesunde Ernährung) wählen. Für die pädagogischen Fachkräfte wird ein modularisierter, zertifizierter Qualifikationskurs über einen Zeitraum von 1,5 Jahren angeboten. Die guten Beispiele anderer Schulen sind immer dann inspirierend, wenn es PraktikerInnen gelingt, Geschichten so zu erzählen, dass Stolpersteine und Bedingungen für ein gutes Gelingen sichtbar werden. Bei regionalen und überregionalen Fachveranstaltungen und besonders beim jährlichen Ganztagsschulkongress in Berlin, bei Fachforen und Fortbildungen bietet sich Gelegenheit zum Gespräch und zur Vernetzung. Die anschaulichste Form - die Hospitationen - haben sich zu einem sehr nachgefragten Format entwickelt. Gut vorbereitet sind sie sowohl für die gastgebende Schule als auch für die BesucherInnen eine Möglichkeit, sich des eigenen Profils und des Entwicklungsstandes zu vergewissern, und bieten den Externen die Chance, Anregungen für die innere Schulentwicklung zu erhalten. Im länderübergreifenden Hospitationsnetzwerk, an dem sich je zwei Schulen aus sechs Bundesländern beteiligen, ist ein sogenannter Hospitationsplaner entwickelt worden, der kostenlos im Internet zum Download bereitsteht. So bietet in Mecklenburg-Vorpommern die Reihe „Ganztagsschulen öffnen die Türen“ regelmäßig Gelegenheit für Austausch, Fortbildung und Vernetzung. In Thüringen hat sich die Reihe „Spicken vor Ort“ bewährt. Peer-to-Peer-Lernen in schulischen Netzwerken kann ganz besonders fruchtbringend sein. Als generelle Gelingensbedingung für das Lernen von Peers wurde von den im Programm befragten Schulen immer wieder eine ausreichende Offenheit der Kooperationspartner insbesondere im Umgang mit Problemen genannt (Fleuren u. a. 2009). Schulnetzwerke sollten insofern nicht als Ausstellungsraum für perfekte Modelle verstanden werden. Zwar gibt es an vielen Schulen vorbildliche Initiativen, die von anderen Schulen übernommen werden könnten; wichtig erscheint im Rahmen des „Peer-to-Peer-Lernens“ jedoch insbesondere der Gedanke des gemeinsamen Lernens und der gemeinsamen Entwicklung von Schulen. In Brandenburg sind sogenannte Konsultationsstandorte miteinander vernetzt und geben wichtige uj 7+8 (2009) 325 ganztagsschulen Entwicklungsimpulse für Schule und Jugendhilfe. In Bremen arbeitet ein „Küchennetzwerk“ und in Schleswig-Holstein Referenzschulen in Projektgruppen zu vereinbarten Ganztagsthemen. Ganztagsschulentwicklung steht in engem Kontext mit genereller Schulentwicklung. Individuelle Beratung und Begleitung durch schulexterne BeraterInnen kann erfahrenen und beginnenden Ganztagsschulen helfen, ohne Betriebsblindheit festgefahrene Strukturen zu überdenken und neue Kooperations- und Kommunikationsstrukturen zu entwickeln. Schulen fragen verstärkt nach Qualitätsinstrumentarien, die es ihnen ermöglichen, vor Ort, im Team und niedrigschwellig ihre Ziele und Qualitätskriterien zu entwickeln. So wurde zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen mit QUIGS (Qualitätsinstrumentarium für Ganztagsschulen) ein Gerüst für eine systematische Selbstevaluation entwickelt. Der rote Faden im Programm - stärkeorientierte Schulentwicklung Angesichts der Vielzahl der Herausforderungen, vor denen eine Ganztagsschule steht, und der Komplexität der inhaltlichen Fragen, die zu behandeln sind, wird das Programm inhaltlich durch sogenannte Jahresthemen strukturiert. Dabei ist die Grundhaltung, dass eine gute Ganztagsschule diejenige ist, die an den Interessen von Kinder und Jugendlichen orientiert ist, nicht die Defizite von Kindern und Jugendlichen in den Blick nimmt, sondern explizit ihre Stärken, Talente und Fähigkeiten. Kurz: eine stärkenorientierte Pädagogik (Durdel 2004 und 2006). Die Werkstatt 3 „Schule wird Lebenswelt“ spricht in ihren Thesen für eine gute Ganztagsschule von der Notwendigkeit der Umkehr von der Frage „Welchem Anspruch müssen Kinder und Jugendliche in welchem Alter gerecht werden“ hin zu der Frage „Wie muss die Schule sein, die dem Kind/ Jugendlichen gerecht wird? “ Jahresthemen fokussieren die Arbeit aller Programmelemente. Der Ganztagsschulkongress, regionale Fachveranstaltungen, Vernetzungstreffen in den Ländern und der Wettbewerb widmen sich diesem Thema. Gezielt werden gute Beispiele veröffentlicht und ExpertInnen und Kooperationspartner zu Wort gebracht, Materialien und Publikationen entwickelt. Das Ganztagsschulportal begleitet und dokumentiert dies umfassend. Die Themen sind naturgemäß nicht auf ein Schwerpunktjahr begrenzt, sondern begleiten die Ganztagsschulentwicklung insgesamt - genauso wie alle weiteren relevanten Fragen neben dem Programmjahresthema aktuell bleiben. Den Auftakt bildete im Jahr 2005 „Individuelle Förderung“, ein Thema von hoher Aktualität nach der Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse. „Kooperation“ von Ganztagsschulen mit außerschulischen Partnern (Jahresthema 2006) öffnet den Blick für die Vielfalt der Angebote, die Mitbestimmung und den Kompetenzzuwachs, die für Kinder und Jugendliche durch die Zusammenarbeit unterschiedlicher Professionen und unterschiedlicher Angebote und durch die Verwebung formalen und informellen Lernens entstehen können. Das Thema „Bildung lokal verantworten“ (Jahresthema 2007) schärft den Blick dafür, dass die Gestaltung von Bildungsprozessen von Kindern und Jugendlichen sich nicht allein auf Schule beschränkt, sondern durch die gemeinsame Verantwortung und das gemeinsame Handeln lokaler AkteurInnen - orientiert an der gesamten Biografie eines Kindes/ Jugendlichen - zu vermehrter Bildungsgerechtigkeit vor Ort führen kann. „Partizipation“ (Jahresthema 2008) ist ein konstitutives Element von Schul- und Qualitätsentwicklung. 326 uj 7+8 (2009) ganztagsschulen Jahresthema 2009: Qualität Eine gute Ganztagsschule setzt sich aus vielen unterschiedlichen Aspekten zusammen: aus zeitgemäßen und kindgerechten Lehr- und Lernformen, einer pädagogisch begründeten neuen Zeitstruktur, der Beteiligung von Eltern, Kindern und Jugendlichen an der Gestaltung des Schulalltags, der Zusammenarbeit unterschiedlicher Professionen und daraus, finanzielle und personelle Ressourcen zu managen. Durch eine gemeinsam getragene Qualitätsentwicklungsarbeit in diesen Bereichen kann eine Ganztagsschule entstehen, die den Bedürfnissen aller an der Schule Beteiligten immer besser entspricht. Jahresthema 2008: Partizipation Gute Ganztagsschulen erkennen wir daran, dass dort nicht nur die Schulleitung oder Lehrerinnen und Lehrer entscheiden. Stattdessen kommen große und kleinere Menschen immer wieder zusammen, um miteinander zu diskutieren, zu entscheiden, zu gestalten und die Arbeit gemeinsam auszuwerten. Jahresthema 2007: Bildung lokal verantworten - Bildungslandschaften Die Ganztagsschulen, die für den Sozialraum offen sind, stellen flexible und anregende Bildungs- und Betreuungsangebote bereit. Aber nur, wenn Lehrkräfte das schulische Umfeld sowie die Expertise ihrer potenziellen Partner kennen, gelingt es, gemeinsam passgerecht zu planen und zu gestalten. Jahresthema 2006: Kooperation Ganztagsschulen brauchen viel Teamspiel. Sei es bei der Gestaltung des Schultages, bei der gemeinsamen Förderung der Schülerinnen und Schüler oder bei der Durchführung von Projekten. Die berufliche Rolle der Lehrerinnen und Lehrer steht dabei vor einem Wandel. Auch für die Kooperationspartner der Schulen ändert sich einiges. Im Kern geht es darum, ein gemeinsames Bildungsverständnis zu entwickeln. Jahresthema 2005: Individuelle Förderung Jedes Kind lernt anders - aber alle wollen lernen. Schule muss sich auf die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen, Interessen und Potenziale des einzelnen Schülers und der Schülerin einstellen. Eine Kooperation mit Partnern, die außerhalb der Schule Zugang zu den jungen Menschen haben, kann dabei helfen. Es gibt viele erfolgreiche Wege, die individuelle Förderung mit allen Partnern gemeinsam zu gestalten. Abb. 2: „Jahresthemen im Programm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ uj 7+8 (2009) 327 ganztagsschulen Qualität im Alltag Das diesjährige Jahresthema „Qualität und Nachhaltigkeit“ baut auf den vorangegangenen Themen auf und bündelt sie. Dabei kann es in einem bundesweiten Programm und bei bildungsföderalen Bedingungen nicht darum gehen, Standards vorzugeben und Qualitätskriterien zu entwickeln. Denn die Länder gehen unterschiedliche Wege beim Thema „Qualitätsentwicklung“. Soviel scheint sicher: „Eine gute Ganztagsschule setzt sich aus vielen Aspekten zusammen: aus zeitgemäßen und kindgerechten Lehr- und Lernformen, einer pädagogisch begründeten neuen Zeitstruktur, aus der Beteiligung von Eltern, Kindern und Jugendlichen an der Gestaltung des Schulalltags, der Zusammenarbeit unterschiedlicher Professionen und daraus, finanzielle und personelle Ressourcen zu managen. Durch eine gemeinsam getragene Qualitätsentwicklungsarbeit kann eine Ganztagsschule entstehen, die den Bedürfnissen aller an der Schule immer besser entspricht“ (aus der Wettbewerbsankündigung „Zeigt her eure Schule“ im Schuljahr 2009 zum Thema „Qualität im Alltag“). Deswegen richtet sich der Blick auf den Qualitätsentwicklungsprozess an der Einzelschule. So hat sich zum Beispiel die zunächst nur als Werbeträger für den Wettbewerb konzipierte Qualitätsscheibe als haptischer Renner entwickelt, mit dem Qualitätsentwicklungsprozesse veranschaulicht und gestaltet werden können. Aus der Draufsicht auf Qualitätsrahmen der Ganztagsschulforschung und der verschiedenen Bundesländer ergaben sich für den Wettbewerb fünf Qualitätsbereiche: • Lernkultur: Hierzu zählen u. a. die Unterrichtsorganisation, Rhythmisierung, an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen orientierte Lehr- und Lernformen, Leistungskontrollen. • Schulkultur: Beteiligung von SchülerInnen und Eltern, die Einbindung außerschulischer Partner sowie die Arbeit am Konzept und Schulprogramm. • Schulmanagement: Leitungsaufgaben wie die Steuerung und Verwaltung von personellen und finanziellen Ressourcen, Personaleinsatz, die Arbeit an der Schulentwicklung insgesamt. • Professionalisierung des Personals: u. a. die zielgerichtete Personalentwicklung, die Zusammenarbeit unterschiedlicher Professionen, Teamentwicklung sowie Fort- und Weiterbildung. • Qualitätsentwicklung: ein übergeordneter Bereich, der quer zu den bisher genannten liegt; unter anderem der Einsatz von Evaluationsinstrumenten und -verfahren in der Schulentwicklung. Das Ganztagsschulprogramm des Bundes hat Bewegung in die Bildungslandschaft gebracht. Wie jedoch aus dem Mehr an Zeit auch ein Mehr an Qualität entsteht, das wird vor Ort in der Einzelschule entschieden. Viele Schulen haben sich auf den Weg gemacht. Die besten Ganztagsschulen sind solche, die selbst definieren, was eine „gute“ Ganztagsschule ist, kontinuierlich an ihrer Weiterentwicklung arbeiten und Ganztagsschule als einen Ort verstehen, an dem Kin- Abb. 3: Qualitätsscheibe für den Wettbewerb 2009 „Qualität im Alltag“ 328 uj 7+8 (2009) ganztagsschulen der und Jugendliche sich wohl fühlen sowie aufgeschlossen lernen. Ganztagsschulen gestalten ihre Qualität selbst - aber nicht allein. Das Programm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ bietet individuelle Zugänge und macht Mut, Neues zu entdecken und Veränderungen zu gestalten. Literatur Brendel, S., 2009: Das Programm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“. Fortbildungsangebote für Lehr- und Leitungskräfte. In: Journal für LehrerInnenbildung, 9. Jg., H. 1, S. 38 - 44 Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (Hrsg.), 2007: Ideen für Mehr! Das Begleitprogramm. Broschüre zum Programm. Berlin Durdel, A., 2004: Verantwortung zumuten: Aspekte einer stärkenorientierten Pädagogik. In: Pädagogik, H. 7 - 8, S. 7 - 20 Durdel, A., 2005: Starke Ganztagsschulen brauchen stärkeorientierte Schulentwicklung. In: Knauer, S./ Durdel, A. (Hrsg.): Die neue Ganztagsschule. Gute Lernbedingungen gestalten. Weinheim/ Basel, S. 21 - 36 Durdel, A., 2008: Zeitreichtum an Ganztagsschulen: Fenster für Schulreform? In: Durdel, A./ von der Groeben, A./ Trautmann, T. (Hrsg.): Schule als Lebenszeit. Lern- und Lebensrhythmen von Kindern, Lehrkräften und Schulen. Festschrift zum 70. Geburtstag von Ursula Drews. Weinheim/ Basel Enderlein, O./ Krapp, L., 2006: 23 Thesen für eine gute Ganztagsschule aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen. Berlin Fleuren, D./ Rosenbusch, C./ Manz, C./ Moritz, M.-T., 2009: Abschlussbericht. Zweite Evaluation des Programms „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“. Unveröffentlichtes Manuskript. Mainz Holtappels, H. G./ Kamski, I./ Schnetzler, T., 2007: Ganztagsschule im Spiegel der Forschung. Berlin Klieme, E., 2008.www.projekt-steg.de/ files/ pk080 908/ Presseerklaerung_Steg_2008_Kurzfas sung.pdf, 11. 4. 2009 Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) (Hrsg.), 2006: Allgemeinbildende Schulen in Ganztagsform in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland - Statistik 2002 bis 2005. Weinheim/ München Die Autorin Maren Wichmann Deutsche Kinder- und Jugendstiftung Tempelhofer Ufer 11 10963 Berlin maren.wichmann@dkjs.de
