eJournals unsere jugend 62/4

unsere jugend
4
0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
41
2010
624

Geschlossene Unterbringung - Perspektiven und Handlungsmuster der Familiengerichte

41
2010
Gerhard Fieseler
Dieser Beitrag ist der überarbeitete und ergänzte Vortrag, der auf einer dem Thema der Geschlossenen Unterbringung gewidmeten Tagung in Dresden am 4.6.2009 gehalten wurde.
4_062_2010_004_0175
uj 4 (2010) 175 Unsere Jugend, 62. Jg., S. 175 - 185 (2010) DOI 10.2378/ uj2010.art20d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Geschlossene Unterbringung - Perspektiven und Handlungsmuster der Familiengerichte Gerhard Fieseler Dieser Beitrag ist der überarbeitete und ergänzte Vortrag, der auf einer dem Thema der Geschlossenen Unterbringung gewidmeten Tagung in Dresden am 4. 6. 2009 gehalten wurde. recht 2002 berichtete der Familienrichter am Amtsgericht Kassel, Dr. Jörn Wille, im Zentralblatt für Jugendrecht (85ff), dass Anträge auf eine mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung eines Kindes in der Praxis der (Familien-)Gerichte häufig Schwierigkeiten bereiten: „Zumeist haben solche Anträge die Besonderheit zur Unzeit, d. h. an einem aufwendigen Sitzungstag oder am Freitagnachmittag, als Eilsache auf dem Tisch zu liegen.“ Hinzu komme, dass Richter „mit derartigen Angelegenheiten relativ selten befasst“ seien. Deshalb sei „die rechtliche Bewertung und vor allem auch die Vorgehensweise keine ständig gelebte Praxis, bei der eine gewisse Routine und Professionalität besteht“. Zudem sei „die Sache meistens eilbedürftig und Eltern, die Klinik oder das Jugendamt erwarten einen baldigen Rückruf, um über eine möglichst direkte Entscheidung oder wenigstens die weitere Vorgehensweise des Gerichts informiert zu werden“. „Ganz erhebliche praktische Schwierigkeiten“ könne die anzufordernde und zu koordinierende Zusammenarbeit mit den zahlreichen zu Beteiligenden - wie dem Jugendamt und einem Facharzt für Psychiatrie oder einem psychiatrieerfahrenen Arzt - bereiten. Ganz ähnlich ist in dem Projektbericht von Hoops und Permien (2006, 84f) zu lesen: „Wie das mit dem Beschluss läuft, kommt ganz auf den Richter an: Zunächst ist zu beachten, dass sowohl die Fachkräfte im Jugendamt als auch die Familiengerichte sehr selten mit FM (Freiheitsentziehenden Maßnahmen, G. F.) in Heimen zu tun haben. Von daher ist auf beiden Seiten kaum Routine im Umgang mit den FM- Verfahren vorhanden, und den einzelnen Richterinnen und Richtern fehlt es an Kenntnis der Heime mit teilgeschlossenen Gruppen und ihrer Konzepte. Dazu kommt, dass die Jugendamtsfachkräfte zumindest in Großstädten nicht vorher wissen, welche Richterin bzw. welcher Richter für einen bestimmten Fall zuständig wird, und diese meist den Fall auch nicht, zum Prof. Dr. jur. Gerhard Fieseler Hochschullehrer an der Universität Kassel, Fachbereich Sozialwesen 176 uj 4 (2010) recht Beispiel von früheren Sorgerechtsregelungen, kennt. … Wir konnten zudem feststellen, dass sich die Umsetzung der Verfahrensregelungen von Ort zu Ort unterscheidet: Während die Familiengerichte in manchen Orten und Gefährdungsfällen keine Beschlüsse, auch keine einstweiligen Anordnungen erlassen, wenn nicht vorher ein Gutachten erstellt oder zumindest eine Anhörung durchgeführt worden ist, wird anderswo zunächst darauf verzichtet.“ Auf Seite 124 heißt es in diesem Projektbericht: „Unsere Aktenanalysen und Interviews erlauben den Schluss, dass richterliche Anhörungen und Begutachtungen nicht nur deshalb unterbleiben, weil die Jugendlichen die Termine versäumen, sondern auch aus Gründen von Arbeitsüberlastung, fachlichen Unsicherheiten und Terminproblemen von Familiengerichten und Jugendpsychiatrien.“ Und weiter (125): „Immer dann, wenn im Fall von gefährdeten Jugendlichen ‚schnelles Handeln gefordert ist‘ und deshalb auf eine ausreichende Umsetzung der Verfahrensvorgaben verzichtet wird“ (G. F.: ! ), geben die Ergebnisse der DJI-Studie Anlass zur Befürchtung, dass sich eine konsequente Einhaltung der gesetzlich festgelegten Verfahrensschritte in §§ 70 bis 70n FGG auch in Zukunft schwierig gestalten könnte. So war es ein Ergebnis, dass in einer hohen Prozentzahl der Verfahren kein/ e VerfahrenspflegerIn eingesetzt worden ist. Hoops/ Permien (2006, 77) schließen aus ihrer Aktenanalyse, dass sich die Fachkompetenz an den Familiengerichten hinsichtlich freiheitsentziehender Maßnahmen als sehr heterogen darstellt. Die Ergebnisse der DJI-Untersuchung enthalten deutliche Hinweise darauf, dass es „auf der einen Seite sehr engagierte, dem Kindeswohl verpflichtete, aber auch die Rechte der Kinder und Jugendlichen in den Blick nehmende Familiengerichte gibt. In den dort angefertigten Genehmigungen sind in der Regel alle Verfahrensregeln eingehalten. Auf der anderen Seite … scheint es aber auch Familiengerichte zu geben, denen es hierfür (noch) an Rechtssensibilität fehlt.“ Von der Nichtbeachtung der strengen Kriterien („ultima ratio“) und der Nichteinhaltung der verfahrensrechtlichen Vorgaben - d. h. bis zum 1. 9. 2009 der entsprechenden Vorschriften im Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) - berichten auch schon die Positionen und Empfehlungen des Landesjugendhilfeausschusses Brandenburg (2001, 11). „Zur Einstimmung“ eine ganz kurze Geschichte von - ich meine - Johann Peter Hebel: Der Dieb, der sich vor dem Henker retten kann und ihm und den Umstehenden auf der Flucht noch zuruft: „Die Nürnberger hängen keinen, es sei denn, sie hätten ihn.“ Nun: „die Sozialpädagogen erziehen keinen, es sei denn, sie hätten ihn“ - eine der bei Fieseler/ Herborth in „Recht der Familie und Jugendhilfe“ (2005, 359) genannten Positionen der BefürworterInnen geschlossener Unterbringung: „Pädagogische Arbeit ist nur mit Anwesenden möglich.“ Sie müssen ihn also erst einmal „einsperren“ lassen, und dazu bedarf es der Mitwirkung der Familiengerichte. Rechtsgrundlagen dafür sind § 1631 b BGB und § 42 Abs. 5 SGB VIII § 1631 b BGB lautet: 1 Eine Unterbringung des Kindes, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, bedarf der Genehmigung des Familiengerichts. 2 Die Unterbringung ist zulässig, wenn sie zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung, erforderlich ist und der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. uj 4 (2010) 177 recht 3 Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen. Der Satz 2 ist erst am 12. Juli 2008 in Kraft getreten. Der Gesetzgeber wollte damit die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der richterlichen Genehmigung konkretisieren. Ist die Unterbringung nicht mehr erforderlich, so entbehrt sie - immer - der Rechtsgrundlage und ist aufzuheben. Mit § 1631 b BGB ist eine der gesetzlichen Einschränkungen der elterlichen Sorge, und zwar der Aufenthaltsbestimmung als Teil der Personensorge, genannt, die diese mit dem Wandel von einem Herrschaftsrecht hin zu einem pflichtgebundenen, fremdnützigen Recht erfahren hat, das - wie es in § 1627 BGB heißt - zum Wohle des Kindes auszuüben ist. Die Eltern dürfen das Kind also nicht einfach wegsperren lassen, sondern sie bedürfen zu dieser von ihrer elterlichen Sorge umfassten Aufenthaltsbestimmung der familiengerichtlichen Genehmigung, wenn sie mit Freiheitsentziehung verbunden ist. Das Familiengericht ordnet die geschlossene Unterbringung also nicht etwa an; es genehmigt sie vielmehr, und es bleibt den Eltern überlassen, ob sie von dieser Genehmigung Gebrauch machen. Stellt nur einer der beiden Elternteile bei gemeinsamer elterlicher Sorge den Antrag auf Genehmigung, so muss das Familiengericht um des Kindeswohls willen das Genehmigungsverfahren einleiten und darf die Eltern nicht - wie sonst - auf den Weg des § 1628 BGB verweisen (Hinz in Münchener Kommentar zu § 1631 b, Rz 15 mit der Bemerkung: „Andererseits können verantwortungslose Genehmigungsanträge der Eltern Anlass zu Maßnahmen nach §§ 1666, 1666 a bieten“). Anders - und damit kommt es rechtlich auf eine möglichst genaue Unterscheidung an -, wenn nicht eine Freiheitsentziehung, sondern „nur“ eine Freiheitsbeschränkung vorliegt. Die Unterscheidung zwischen Freiheitsentziehung und (bloßer) Freiheitsbeschränkung ist allerdings schwierig zu treffen, wenn es sich etwa um sogenannte Time-out-Räume oder um einen andersartigen kurzfristigen Einschluss handelt. Aber was heißt kurzfristig? Fünf Minuten, drei Stunden? Wie verhält es sich mit „Festhalten“ u. a. mehr? Angesichts der hohen Bedeutung des hier betroffenen Rechtsgutes der (Bewegungs-)Freiheit besteht aller Anlass, den Begriff der Freiheitsentziehung nicht zu eng auszulegen, und es beunruhigt auch, dass hier nicht nur keine Rechtsklarheit gegeben ist, sondern in der (unkontrollierten) Praxis damit auch höchst unterschiedlich, geradezu willkürlich umgegangen wird, wie Krause, Peters, Spernau und Wolff (2006, 243ff) anmerken, die - auf Seite 245 - auf Hannelore Häbel hinweisen, wonach jede ohne rechtliche Grundlage vorgenommene „freiheitsentziehende bzw. freiheitsbeschränkende Maßnahme“ ein Rechtsbruch ist, sodass junge Menschen, die heute auf diese Art und Weise festgehalten werden, auch noch in Jahren dagegen (und auf Schadenersatz) klagen könnten. Ebenso kommt es auf die Unterscheidung zwischen Freiheitsentziehung und bloßer Freiheitsbeschränkung im Rahmen von Inobhutnahmen nach § 42 SGB VIII an, denn dessen Absatz 5 lautet: „Freiheitsentziehende Maßnahmen im Rahmen der Inobhutnahme sind nur zulässig, wenn und soweit sie erforderlich sind, um eine Gefahr für Leib oder Leben des Kindes oder des Jugendlichen oder eine Gefahr für Leib oder Leben Dritter abzuwenden.“ Und es heißt im SGB VIII weiter: „Die Freiheitsentziehung ist spätestens mit Ablauf des Tages nach ihrem Beginn zu beenden.“ 178 uj 4 (2010) recht Zur Klarstellung: Auch wenn die Personensorgeberechtigten einer Inobhutnahme nicht widersprechen und mit einer freiheitsentziehenden Maßnahme nach § 42 Abs. 5 SGB VIII einverstanden sind, bedarf es einer familiengerichtlichen Genehmigung dieser Maßnahme. Dass dabei die sozialpädagogische Kompetenz „mit am Tisch sitzt“, dafür sorgt die obligatorische Anhörung des Jugendamtes. Ich zitiere aus dem von Manfred Busch, Hans Schleicher und mir herausgegebenen Gemeinschaftskommentar zum SGB VIII (Rz. 19 a zu § 42): „Freiheitsentzug liegt vor, wenn Minderjährige gegen ihren Willen in einem bestimmten begrenzten Raum festgehalten werden, ihr Aufenthalt ständig überwacht und die Aufnahme eines Kontaktes mit Personen außerhalb dieses Raumes durch Sicherungsmaßnahmen verhindert wird.“ Eine problematische Abgrenzung zu den - stets für zulässig erachteten - sogenannten bloßen Freiheitsbeschränkungen, wobei Schleicher auf sein Lehrbuch Jugend- und Familienrecht (2007, 267) hinweist: problematisch schon deshalb, weil für ein „kleineres Kind noch Freiheitsbeschränkung sein kann, was für einen Jugendlichen schon Freiheitsentzug bedeuten kann“ (vgl. Bauer in HB-VP 2002, Rz. 189: „nicht: altersadäquate Schutzmaßnahmen wie Ausgang nur in überwachten Gruppen bei [bis zu ] 14-jährigen Jugendlichen; kurzes (! ? ) Time-Out bei einem 12-Jährigen (anders bei Wiederholungen), abgeschlossene Stationstür ab 20 Uhr bei 10-jährigen Kindern“. Schleicher schreibt, die Genehmigung des Familiengerichts ist erforderlich bei Unterbringung Minderjähriger in geschlossenen Anstalten wie Heimen oder geschlossenen Abteilungen derselben. Nicht erforderlich sei die Genehmigung für eine Unterbringung bei Verwandten, Bekannten, Pflegefamilien, in Internaten, offenen oder halboffenen Heimen, in Krankenanstalten (z. B. bei erforderlichen Operationen - auch wenn dort die Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird) sowie für Ausgehverbote oder kurzzeitige Hausarreste. Vorgeschlagen wurde in einem Gesetzesantrag von Bayern vom 3. Mai 2006 (BR-Drs. 296/ 06) - von der vom BMJ (Zypries) eingesetzten Arbeitsgruppe in ihrer ganz überwiegenden Mehrheit aber abgelehnt -, in § 1631 b BGB eine gesetzliche Vermutung für das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung für die Fälle aufzunehmen, in denen das Kind „wiederholt in schwerwiegender Weise gegen Strafgesetze verstoßen hat oder Anzeichen einer drohenden Abhängigkeit von Betäubungsmitteln oder anderen Suchtmitteln erkennen lässt“ (vgl. Abschlussbericht 2006, 30; vgl. auch die Empfehlungen des Arbeitskreises 18 des 13. Deutschen Familiengerichtstags 2000, 273f). Es stellt sich die Frage, ob eine Einwilligung des betroffenen Kindes oder Jugendlichen in die Freiheitsentziehung die richterliche Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung entbehrlich macht bzw. ob dann überhaupt von einer Freiheitsentziehung gesprochen werden kann. Das ist rechtlich umstritten, aber zu bejahen. Denn auch hier kommt es - im Hinblick auf die besondere Bedeutung dieser Maßnahme für die Entwicklung des jungen Menschen - auf eine richterliche Genehmigung an. Anderer Ansicht ist allerdings Jörn Wille (2002, 86), der meint, „unter therapeutischen Gesichtspunkten ist es sinnvoll, einem oder einer Jugendlichen die Möglichkeit zu geben für die eigene Person Verantwortung zu übernehmen. Dies kann der Motivation und Zusammenarbeit mit der Klinik nur förderlich sein“. Wille betont aber auch, dass die Anforderungen an die Beachtlichkeit einer solchen Einwilligung hoch anzusetzen sind. Der Richter uj 4 (2010) 179 recht habe sich in jedem Einzelfall persönlich durch Anhörung des Betroffenen von dessen Willensbildung zu überzeugen. Die geschlossene Unterbringung ist - wie sich aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt - nur in (Ausnahme-)Fällen insbesondere bei erheblicher Selbst- und Fremdgefährdung zulässig und auch dann nur, wenn nicht ein weniger stark in die Rechte des Kindes oder Jugendlichen eingreifendes Mittel ausreicht, diese Gefährdung abzuwenden. (Andere) sozialpädagogische Lösungsmittel haben stets Vorrang. Also z. B. eine intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung (ISE) gemäß § 35 SGB VIII als Alternative. Wobei sich eine solche Einzelbetreuung aber auch in Verbindung mit einer geschlossenen Unterbringung durchaus vorstellen lässt. Wenn nämlich der/ die EinzelbetreuerIn den Jugendlichen in der Unterbringungsstelle aufsucht und ihn dort - an Ort und Stelle - betreut. Diese ISE ist also nicht als Alternative, sondern als - unter Umständen zum Wohle des Betreuten sogar notwendige - Hilfe zu seiner Erziehung zu verstehen. Die geschlossene Unterbringung wäre allerdings keine Hilfeart eigener Art im Sinne des § 27 Abs. 2 Satz 1 BGB, wenn sie ausnahmslos, wie Hannelore Häbel meint, „bereits aufgrund ihrer strukturell bedingten Widersprüche keinen geeigneten Beitrag zur Entwicklungsförderung der Kinder und Jugendlichen leisten kann“ (Häbel in GK-SGB VIII § 34 Rz. 21). Auf dem Hintergrund des § 1 SGB VIII, wonach jeder junge Mensch „ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschafsfähigen Persönlichkeit“ hat, ist dies nicht von der Hand zu weisen; ändert aber nichts daran, dass sie eben doch stattfindet. Die geschlossene Jugendhilfe erfordert, wenn sie denn stattfindet, sozialpädagogischen „Großeinsatz“, weil es sich um Kinder und Jugendliche handelt, die in ihrer Entwicklung schwerstens gefährdet sind, die schwere Probleme haben und schwere Probleme machen. Man kann das (ideologisch) leicht übersehen, aber was bleibt - wohlgemerkt im „Ausnahmefall“ - anderes übrig, wenn man sich wirklich realistisch „Fällen“ stellt wie dem in Kassel erscheinenden Extra Tip (10. Mai 2009, 1) entnommenen: „Schläger-Steppke nicht zu bremsen. Gewalttätiges Kind füllt in Kassel Akten - Polizei und Jugendamt können wenig tun.“ Und auf Seite 4: „Angst vor einem Kind. Warum ein nicht strafmündiger Junge schwer zu bändigen ist.“ Es geht dabei um einen noch nicht strafmündigen, äußerst aggressiven Jungen, der seine MitschülerInnen in Angst und Schrecken versetzt; die von Extra Tip interviewten Mitarbeiterinnen des Jugendamtes äußern sich ratlos - und das angesichts des hohen Erwartungsdrucks, den die Gesellschaft in solchen Fällen auf die Jugendämter ausübt; das oft so schnell Hingesagte, es gäbe ja Alternativen zur geschlossenen Unterbringung, erweist sich damit als „Totschlagargument“, das der Realität nicht gerecht wird. Ein spektakulärer Fall, reißerisch dargeboten - wie so oft, wenn von der Arbeit der Jugendämter die Rede ist. Aber es stellt sich doch ernsthaft die Frage: „Was tun mit diesem Kind? Was tun mit den Schwierigsten? “ Eben dazu äußern sich die zuständige Jugendamtsleiterin und eine Jugendamtmitarbeiterin an Ort und Stelle völlig ratlos. Daneben sei eine Äußerung des (Familien-)Richters Lutz Bode, Chemnitz, in seinem Praxishandbuch „Anwalt des Kindes“ (2004, 127) gestellt: „Schon mehrfach ist es mir vorgekommen, dass Eltern die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung vornehmlich deswegen beantrag- 180 uj 4 (2010) recht ten, weil sie Angst hatten, von ihrem Kind - erneut - zusammengeschlagen zu werden.“ Auch seien die Strafgerichtsentscheidungen genannt, wonach die Eltern minderjähriger Mehrfachstraftäter wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht (§ 171 StGB) verurteilt wurden (vgl. Neuheuser 2000, 174f). Der Familienrichter muss prüfen, ob eine (schwere) Kindeswohlgefährdung vorliegt und ob (allein) die geschlossene Unterbringung geeignet ist, die Kindeswohlgefährdung abzuwenden. Dazu ist das Jugendamt anzuhören, und es ist zu beachten, dass es sich bei einer Genehmigung ohne entsprechende Indikation - nach Bode (2004, 129) - zumindest dem Anfangsverdacht einer Freiheitsberaubung im Amt aussetzt. Geschlossene Unterbringung kann in dem mitgeteilten Fall nicht von vornherein als unverhältnismäßig angesehen werden, wenn diesem Kind tatsächlich nicht anders beizukommen, seine MitschülerInnen wirklich nicht anders vor ihm zu schützen sind. Aber was tun? Was ist einem/ r damit befassten RichterIn zu empfehlen? Gibt es hier wirklich auch nur eine Alternative zum „Wegsperren“? Mehr als über die Rechtsgrundlagen zu räsonieren, interessiert hier, was da seitens der (ratlosen) Jugendhilfe zu machen ist. Es bestehen aber nicht nur Zweifel daran, ob Freiheitsentzug hier aus pädagogischer Sicht irgend etwas bewirken kann, es ist auch zweifelhaft, ob das Recht diesen überhaupt zulässt: Zweifel bestehen insbesondere an der Verfassungsmäßigkeit des § 1631 b BGB (vgl. Nix 2006 in Möller/ Nix, Kurzkommentar zum SGB VIII § 34 Rz. 2: „Der Repressionsgrad der geschlossenen Unterbringung ist von unterschiedlicher Ausprägung, stellt aber in jedem Falle eine Freiheitsentziehung i. S. d. Art. 104 Abs. 2 GG dar, selbst wenn sie im Interesse des Kindeswohls von den Personensorgeberechtigten erwirkt wurde. Hierfür bieten weder § 1631 b BGB noch die §§ 27, 34 SGB VIII eine Rechtsgrundlage.“) Bei Häbel (in GK-SGB VIII 34 Rz. 21) heißt es: „An der Verfassungsmäßigkeit [zumindest] des § 1631 b Satz 1 BGB bestehen erhebliche Zweifel. Er erfüllt die nach Art. 104 Abs. 1 GG zu stellenden Anforderungen an eine Ermächtigungsgrundlage für Freiheitsentziehung nicht, da er keinerlei materiellrechtliche Voraussetzungen enthält bzw. auf keine Voraussetzungen in anderen Gesetzen verweist, unter denen die geschlossene Unterbringung in Heimerziehung zulässig sein soll.“ Häbel verweist dabei völlig zu Recht auf die Notwendigkeit der Regelung von Inhalt, Zweck und Ausmaß des Eingriffs der Freiheitsrechte in förmlichen Gesetzen nach Art. 104 Abs. 1 GG (nach BVerfG amtliche Entscheidungssammlung Band 51, 60, 71f). Über der Formulierung von Christoph Nix - „Repressionsgrad“ - mag noch der Pulverdampf der 68er Revolution schweben, wie es Peter Christian Kunkel einmal einem meiner Lehrbücher attestiert hat, sie ist aber damit nicht von der Hand zu weisen und wird insbesondere in einem ausführlichen Gutachten von Schlink/ Schattenfroh (2001) ausführlich begründet, wobei Schlink/ Schattenfroh uns - Gerhard Fieseler und Reinhard Herborth - als (einzige) Kronzeugen zitieren. Dass die geschlossene Unterbringung unter allen Umständen unverhältnismäßig ist, was immer ein Jugendlicher tut, vermag ich freilich nicht aufrechtzuerhalten. Meine Erwartung gegenüber den Familiengerichten ist aber die, dass sie § 1631 b BGB eng auslegen. Und dies sowohl dann, wenn es um eine zivilrechtliche, von den Eltern gewünschte Freiheitsentziehung geht, als auch dann, wenn das Jugendamt nach Inobhutnahme eine geschlossene Unterbringung ins Auge fasst. „Eng“ oder restriktiv auslegen, damit meine ich, dass die Gerichte eine Genehmigung nicht allzu uj 4 (2010) 181 recht leicht erteilen. Etwa mit der überaus zweifelhaften Grundauffassung des BVerfG, dass Eltern schon am ehesten wissen, was ihrem Kind gut tut, und dass ihnen das Kind mehr am Herzen liegt als irgendeiner anderen Person oder Institution. Für Häbel (2009 in GK-SGB VIII, § 34 Rz. 21) kann das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Eltern (§ 1631 Abs. 1 BGB) „im Lichte einer menschenrechtlich begründeten Interpretation der Grundrechtspositionen von Kindern und Jugendlichen in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip der Verhältnismäßigkeit nicht als ausreichende Ermächtigungsgrundlage i. S. des Art. 104 Abs. 1 GG gewertet werden“ (vgl. auch GK-SGB VIII, § 1 Rz. 45). Ausgehend von der Annahme, dass geschlossene Unterbringung ein pädagogisch ungeeignetes Mittel ist, ist hier nicht Nachbesserung der Gesetzeslage, sondern eher die Verankerung eines gesetzlichen Verbots der geschlossenen Unterbringung zu fordern. Eine differenzierte gesetzliche Regelung der geschlossenen Unterbringung birgt darüber hinaus die Gefahr in sich, geschlossener Unterbringung zu einer breiten Legitimation und Anwendung zu verhelfen und so die Entwicklung von Alternativen zur geschlossenen Unterbringung zu verhindern bzw. zu erschweren (vgl. auch IGfH-Arbeitsgruppe 1984, 9f). Die geschlossene Unterbringung ist jedenfalls nicht nur rechtlich fragwürdig, sie ist es auch ganz besonders aus sozialpädagogischer Perspektive; aus der Sicht der Jugendhilfe. Ich zitiere zum einen noch einmal Häbel (in GK-SGB VIII, § 34 Rz. 21): „Die Frage, ob geschlossene Unterbringung pädagogisch vertretbar ist, d. h. ob sie bezogen auf die Hilfe zur Erziehung eine im Sinne von § 27 Abs. 1 und Abs. 2 i. V. m. § 34 geeignete und notwendige Hilfe sein kann, um den im Einzelfall bestehenden erzieherischen Bedarf zu decken, ist in der Fachwelt umstritten, wird aber überwiegend verneint.“ Häbel zitiert hierzu die umfassende Diskussion u. a. bei Pankofer (1997, 55ff) und von Wolffersdorff, Sprau-Kuhlen und Kersten (1996, 12ff, 347ff) und berichtet selbst: „BefürworterInnen halten geschlossene Unterbringung für eine kleine Gruppe von nicht integrierbaren Kindern und Jugendlichen mit besonderen Problemlagen, die sich regelmäßig entziehen bzw. aus Einrichtungen immer wieder entweichen, für notwendig. Sie gehen davon aus, dass die Anwesenheit der Kinder und Jugendlichen erst einmal sichergestellt werden muss, um mit ihnen pädagogisch und therapeutisch arbeiten zu können. Nur so könne ihnen ein neues Lernfeld und die Möglichkeit zum Beziehungsaufbau geboten werden. Die Gegenposition hält Erziehung und Zwang für nicht miteinander vereinbar. Nach ihrer Einschätzung ist die Abschottung vom sozialen Umfeld kontraproduktiv für das Erlernen von Strategien zur selbstbestimmten Lebensbewältigung. Für sie stellt geschlossene Unterbringung eine ‚Bankrotterklärung‘ der Jugendhilfe dar, die sich mangels Weiterqualifizierung bedarfsgerechter offener Hilfen die Fälle für geschlossene Unterbringung selber schaffe. Die Existenz geschlossener Unterbringung begünstige das Verlegen und Abschieben ‚besonders problematischer‘ Kinder und Jugendlicher.“ F ieseler und Herborth (2005, 359f) stellen die Positionen der BefürworterInnen und GegnerInnen der zur geschlossenen Unterbringung gegenüber und nennen anschließend die verschiedenartigen Alternativen (360). Diese Alternativen sind ohne Rücksicht auf die damit ggf. verbundenen Finanzierungsprobleme anlässlich der Anhörungen durch das Familiengericht nach § 162 Abs. 1 FamFG vom Jugendamt zu nennen. Und es ist gerade hier unbedingt zu beachten, dass das Familiengericht dem 182 uj 4 (2010) recht minderjährigen Kind in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, einen geeigneten Verfahrensbeistand zu bestellen hat, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. So steht es in § 158 Abs. 1 FamFG, der an die Stelle des § 50 FGG tritt (wo es noch heißt „einen Verfahrenspfleger“). Zwar ist das Verfahren nach § 1631 b BGB nicht in den Katalog der Regelbeispiele für eine Erforderlichkeit der Bestellung aufgenommen worden, es ist aber völlig ausgeschlossen, dass angesichts eines drohenden Freiheitsentzugs ein Verfahrensbeistand nicht zur Wahrnehmung der Interessen des Kindes oder Jugendlichen erforderlich ist. Und doch berichten Krause, Peters, Spernau und Wolff (2006, 244): „Nur in 30 % der Fälle war ein Verfahrenspfleger benannt, obwohl das eine unabdingbare Voraussetzung von GU sein sollte.“ Zu lesen ist auch, dass eine erhebliche Unsicherheit über die Anwendung der Voraussetzungen des § 1631 b BGB besteht. Die von dem Bundesjustizministerium eingesetzte Arbeitsgruppe schlug deshalb in ihrem Abschlussbericht (2006, 46) vor, § 1631 b BGB um das Kindeswohl, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den Vorrang anderer öffentlicher Hilfen zu konkretisieren. Hinsichtlich des Kindeswohls ist das inzwischen insoweit geschehen, als es in §1631b BGB jetzt heißt, die Unterbringung müsse „insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst- und Fremdgefährdung erforderlich“ sein und der Gefahr einer solchen dürfe „nicht auf andere Weise, auch nicht durch andere öffentliche Hilfen, begegnet werden“ können. Eine solche Hilfe könnte - je nach Sachverhalt - z. B. die intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung nach § 35 SGB VIII sein. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der dabei immer zu beachten ist, braucht nicht eigens im Gesetz niedergeschrieben zu sein. Er versteht sich vielmehr als ein die gesamte Rechtsordnung beherrschender Rechtsgrundsatz von selbst, und er ist ein ernster Probierstein für jede richterliche Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung. Wann je kann sie verhältnismäßig sein? Wie schwer muss die Selbst-, wie schwer die Fremdgefährdung sein, dass darauf mit Freiheitsentziehung reagiert werden darf? B isher ist den Ausführungen zugrunde gelegt, dass die Personensorgeberechtigten, also in der Regel die Eltern, eine geschlossene Unterbringung wollen. Wie verhält es sich nun aber, wenn dies nicht der Fall ist? Gegen den Willen der Eltern ist eine geschlossene Unterbringung nur unter den Voraussetzungen des § 1666 BGB und - weil sie mit einer Trennung des Kindes oder Jugendlichen von der elterlichen Familie verbunden ist - auch des § 1666 a BGB zulässig. In diesem Verfahren hat das Gericht unverzüglich den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu prüfen (§ 57 Abs. 3 FamFG). Nach §§ 1666, 1666 a BGB müsste zum einen gerade der Verzicht auf geschlossene Unterbringung das Wohl des Kindes oder Jugendlichen gefährden und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sein, die Gefahr abzuwenden, und es dürfte der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden können. Den Eltern wäre ggf. das Aufenthaltsbestimmungsrecht insoweit zu entziehen und auf einen (Ergänzungs-)Pfleger zu übertragen, der seine Genehmigung für die mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung nach § 1631 b BGB erteilt. Das Familiengericht muss jedenfalls prüfen, ob das Wohl des Kindes die geschlossene Unterbringung erfordert. Wie es dabei um ältere Kinder und - meist - um Jugendliche bestellt ist - was brauchen sie, und wodurch werden sie (erheblich) gefährdet? -, uj 4 (2010) 183 recht dazu wird sich das stets anzuhörende Jugendamt äußern müssen, ohne sich auf die Flut des zum Kindeswohl Geschriebenen stützen zu können. Dabei geht es nämlich fast ausschließlich um das Wohl von Kleinkindern, während über das Wohl von Jugendlichen wenig zu lesen ist. Vielleicht hilft eine Orientierung an § 14 SGB VIII, um zu erkennen, wogegen diese Altersgruppe erzieherisch zu schützen ist und ob dies wirklich - und nur - durch eine geschlossene Unterbringung geschehen kann. Damit tatsächlich Kinder und Jugendliche nur dann geschlossen untergebracht werden, wenn es zu ihrem Wohl unvermeidlich ist, sind von den Familiengerichten sowohl der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wie die folgenden Verfahrensvorschriften zu beachten: Der Minderjährige ab 14 Jahren, gegen den ein Unterbringungsverfahren eingeleitet wurde, ist in diesem Verfahren verfahrensfähig (§ 167 Abs. 3 FamFG), er kann ohne Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters Anträge stellen und Rechtsmittel einlegen - etwa den auf Aussetzung der Vollziehung und Rechtsmittel (Beschwerde); ihm ist vom Gericht ein Verfahrensbeistand zu bestellen (§ 317 Abs. 1 FamFG); das Gericht hat den Minderjährigen vor der Unterbringungsmaßnahme persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm - soweit erforderlich in seiner üblichen Umgebung - zu verschaffen (§ 319 Abs. 19 FamFG) und ihn über den möglichen Verlauf des Verfahrens zu unterrichten (§ 319 Abs. 2 FamFG). Es hat das Gutachten eines Sachverständigen einzuholen (§ 321 Abs. 1 FamFG). Das Gutachten kann gemäß § 167 Abs. 6 FamFG in Verfahren, die die Genehmigung der freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen betreffen, durch das Gutachten durch einen in Fragen der Heimerziehung ausgewiesenen Psychotherapeuten, Psychologen, Pädagogen oder Sozialpädagogen erstattet werden (§ 167 Abs. 6 Satz 2 i. V. m. § 151 Nr. 6 FamFG). Die Entscheidung ist dem Kind oder Jugendlichen bekanntzumachen (§ 164 FamFG). Der familiengerichtliche Beschluss hat die Unterbringungsmaßnahme näher zu bezeichnen (§ 323 Nr. 1 FamFG) und den Zeitpunkt, zu dem die Unterbringungsmaßnahme endet (§ 323 Nr. 2 FamFG). Der Familienrichter muss daher - zumindest aufgrund der entsprechenden Anhörung des Jugendamtes nach § 162 Abs. 1 FamFG - auch die Einrichtung, in der der Minderjährige untergebracht werden soll, soweit kennen, dass er entscheiden kann, dass das Wohl des Kindes oder Jugendlichen dort gewährleistet ist. Die Unterbringung dauert „so kurz wie möglich und so lange wie nötig“ (Meysen/ Stötzel/ Kindermann 2009, § 167 FamFG, Rz. 27); sie wird vom Familiengericht so genehmigt, dass sie spätestens mit Ablauf eines Jahres endet, bei offensichtlich langer Unterbringungsbedürftigkeit (bei Minderjährigen die strenge Ausnahme) spätestens mit Ablauf von zwei Jahren, wenn sie nicht vorher verlängert wird; die Genehmigung nach § 1631 b BGB ist aber unverzüglich aufzuheben, wenn ihre - wie ausgeführt streng zu fassenden - Voraussetzungen entfallen (§ 330 FamFG). Das heißt für das Familiengericht, dass es nach erteilter Genehmigung in regelmäßigen, nicht zu kurz aufeinander folgenden Abständen überprüfen muss, ob die Unterbringung weiterhin notwendig ist. Mit dieser „Dichte an Vorgaben für eine richterliche Entscheidung soll ein hohes Maß an Rechtsstaatlichkeit und Fachlichkeit bei einer so schwerwiegenden, grundrechtlich geschützte Sphären berührenden Entscheidung“ sichergestellt werden, und es „soll gewährleiste(t werden), dass wirklich nur erforderliche Unterbringungen erfolgen und dass die damit einhergehenden Grundrechtsbeschränkungen auf das 184 uj 4 (2010) recht Notwendige beschränkt bleiben“, wie es Salgo (in Staudinger 2002, § 1631 b BGB Rz. 41) für den bis zum Inkrafttreten des FamFG am 1. 9. 2009 geltenden § 70 f FGG formulierte. Es ist zu hoffen, dass es seitens der Familiengerichte nicht länger zu „erheblichen Verstößen gegen die strengen Verfahrensvorschriften (kommt), welche die Grundrechte der Minderjährigen bei freiheitsentziehender Unterbringung schützen sollen“, wie sie auch laut Sabine Ehrtmann (in Salgo u. a. 2002, 242) festgestellt worden sind. Und es kommt auf eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Familiengericht und Jugendamt an, wozu die Arbeitsgruppe „Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls“ ebenso Vorschläge gemacht hat (2006, 6f sowie 2009, 15f) wie zu einer allgemeinen Fortbildungspflicht für RichterInnen (2006, 12 sowie 2009, 15f, 23f) und deren Teilnahme an interdisziplinären, fallübergreifend arbeitenden Arbeitskreisen (2009, 16, 23ff und 30f). Anstelle einer pauschalen Ablehnung jeder geschlossenen Unterbringung mit dem (Totschlag-)Argument, in Unfreiheit könne man „nie“ erziehen bzw. „nie“ dem betroffenen Jugendlichen zu seinem Recht verhelfen, sich zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit im Sinne von § 1 Abs. 1 SGB VIII zu entwickeln, kommt es gerade hier auf ein verantwortungsbewusstes Zusammenwirken von Familiengericht und Jugendhilfe an. Sowohl die strengen rechtlichen Anforderungen an eine familiengerichtliche Genehmigung nach § 1631 b BGB wie die sozialpädagogische Fachlichkeit des Jugendamtes mit dem erforderlichen Sachverhaltsverstehen sind gefragt, und die Einrichtungen, die geschlossene Unterbringung durchführen, müssen konzeptionell und personell die Voraussetzungen für eine im Sinne des § 1 SGB VIII entwicklungsfördernde Arbeit für die betroffenen Kinder und Jugendlichen bieten, wenn sie pädagogisch unerlässlich ist. Es war nicht Gegenstand meines Vortrages, sondern die Aufgabe anderer ReferentInnen im Rahmen der Tagung in Dresden, die Indikationen und die höchst anspruchsvollen fachlichen Voraussetzungen einer an § 1 SGB VIII orientierten Umsetzung abzuhandeln, die auch eine bessere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben umfassen müssten. Ich schließe deshalb mit der Bemerkung, dass gerade auf dem Hintergrund der immer wieder aufflammenden politischen Zumutungen, der aufgeregten ideologischen Debatten mit abwertender Beschreibung der in Betracht kommenden Personengruppen ohne Rücksicht auf ihre Herkunft und ihre prekären Lebensbedingungen als „die Schwierigsten“, „die nicht Erreichbaren“, die „Intensiv- und Mehrfachtäter“ mehr Sachlichkeit nottut und dass nicht (angebliche) öffentliche Sicherheitserfordernisse, sondern die Bedarfslage der betroffenen Kinder und Jugendlichen, ihr Wohl als zentrale rechtliche Voraussetzung von allen Beteiligten anlässlich der Frage zu beachten ist, ob eine geschlossene Unterbringung in Betracht kommt. Es kommt dabei darauf an, ob (allein) die geschlossene Unterbringung geeignet ist, zu positiven Lebensbedingungen für sie beizutragen. Dazu kann insbesondere gehören, dass sie „einen Menschen für sich“ brauchen, dass sie „verbindlich betreut“ (SenBJS Berlin 2006, 5) werden und dass sie vielleicht zum ersten Mal Geborgenheit und Wertschätzung erfahren. Gute Rahmenbedingungen für die professionellen HelferInnen gehören selbstverständlich dazu. Der/ die FamilienrichterIn wird sich vor der Genehmigung der Unterbringung vergewissern müssen, ob diese Voraussetzungen in der Einrichtung tatsächlich gegeben sind. Sofern er/ sie allerdings überzeugt davon sein sollte, § 1631 b BGB sei nicht verfassungskonform (starke Zweifel reichen laut BVerfG uj 4 (2010) 185 recht nicht aus), wird er/ sie das Verfahren aussetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen (Art. 100 Abs. 1 GG). Es ist allerdings schon im Hinblick auf den inzwischen vorgenommenen Konkretisierungsversuch des Gesetzgebers nicht damit zu rechnen, dass das Bundesverfassungsgericht selbst Bedenken gegen die Bestimmung des § 1631 b BGB haben dürfte (so zu Recht Christian Müller 2007, 318). Literatur Arbeitsgruppe „Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls - § 1666 BGB“, 2006: Abschlussberichte vom 17. November 2006. www.bmj.de/ files/ -/ 1515/ Abschlussbericht%20Kindeswohl.pdf, 21. 12. 2009, 57 Seiten Arbeitsgruppe „Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls - § 1666 BGB“, 2009: Abschlussberichte vom 17. November 2006 und vom 14. Juli 2009. www.bmj. de/ files/ -/ 3908/ Abschlussbericht_Kindeswohl_Juli2009.pdf, 21.12.2009, 46 Seiten Empfehlungen des Arbeitskreises 18 des 13. Deutschen Familiengerichtstags 2000. In: FamRZ, 47. Jg., H. 5, S. 273 - 274 Bode, L., 2004: Praxishandbuch Anwalt des Kindes. Heidelberg Fegert, J. M./ Späth, K./ Salgo, L. (Hrsg.), 2001: Freiheitsentziehende Maßnahmen in Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie. Münster Fieseler, G./ Herborth, R., 7 2010: Recht der Familie und Jugendhilfe. Köln Fieseler, G./ Schleicher, H./ Busch, M., 2009: Kinder- und Jugendhilferecht. Gemeinschaftskommentar zum SGB VIII (GK-SGB VIII). Köln Hoffmann, B., 2009: Freiheitsentziehende Unterbringung von Kindern und Jugendlichen - Rechtslage nach Neufassung von § 1631 b BGB und Inkrafttreten des FamFG. In: Recht & Psychiatrie, 27. Jg., H. 3, S. 121 - 129 Hoops, S./ Permien, H., 2006: „Mildere Maßnahmen sind nicht möglich! “ Freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 1631 b BGB in Jugendhilfe und Jugendpsychiatrie. München IGfH-Arbeitsgruppe, 1984: „Alternativen zur Geschlossenen Unterbringung“. Fulda Krause, H.-U./ Peters, F./ Spernau, X./ Wolff, M., 2006: „Grauzonen“ der geschlossenen Unterbringung. Gefährliche Entwicklungen in einer unkontrollierten Praxis. In: Forum Erziehungshilfe, 12. Jg., H. 4, S. 243ff Meysen, T./ Balloff, R./ Finke, R. u. a., 2009: Das Familienverfahrensrecht - FAMFG. Praxiskommentar mit Einführung, Erläuterungen, Arbeitshilfen. Köln Möller, W./ Nix, C. (Hrsg.), 2006: Kurzkommentar zum SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe. München Müller, C., 2007: Gesetze und Gerichte. In: Evangelische Jugendhilfe. 84. Jg., H. 5, S. 318ff Neuheuser, S., 2000: Die Strafbarkeit von Eltern minderjähriger Mehrfachstraftäter wegen Verletzung der Fürsorgepflicht. In: Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ, 5. Jg., H. 4, S. 174 - 179 Pankofer, S., 1997: Freiheit hinter Mauern - Mädchen in geschlossenen Heimen. Weinheim/ München Prütting, H./ Helms, T. (Hrsg.), 2009: FamFG. Kommentar. Köln Salgo, L./ Zenz, G./ Fegert, J. M./ Bauer, A./ Weber, C./ Zitelmann, M., 2002: Verfahrenspflegschaft für Kinder und Jugendliche. Ein Handbuch für die Praxis. Köln Schleicher, H., 12 2007: Jugend- und Familienrecht. München Schlink, B./ Schattenfroh, S., 2001: Zulässigkeit der Geschlossenen Unterbringung in Heimen der öffentlichen Jugendhilfe. In: Fegert, J. M./ Späth, K./ Salgo, L. (Hrsg.): Freiheitsentziehende Maßnahmen in Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie. Münster, S. 73 - 171 SenBJS, 2006: Alternativen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen im Rahmen geschlossener Unterbringung. www.berlin.de/ imperia/ md/ content/ sen-jugend/ jugendhilfeleistungen/ hilfen_zur_erziehung/ alternativen_zur_gu.pdf? st art&ts=1237555416&file=alternativen_zur_ gu.pdf, 10. 2. 2009, 5 Seiten Staudinger, J. v., 2002: BGB Buch 4 Familienrecht. Berlin Wiedenlübbert, E., 2003: Die rechtlichen Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 1631 b BGB. Hrsg.: Bundesverband Anwalt des Kindes. www.v-a-k.de/ index.php? id=1071&savese arch=Wiedenlübbert, 21.12.2009, 6 Seiten Wille, J., 2002: § 1631 b BGB in der amtsgerichtlichen Praxis. In: Zentralblatt für Jugendrecht (ZFJ), 89. Jg., H. 3, S. 85 - 95 Wolffersdorff, C./ Sprau-Kuhlen, V./ Kersten, J., 1996: Geschlossene Unterbringung in Heimen. München Der Autor Prof. Dr. jur. Gerhard Fieseler Am Rehwinkel 47 34233 Fuldatal