unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Belastungen und Ressourcen von Pflegevätern und Pflegemüttern - Ergebnisse der Analyse eines Pflegeeltern-Onlineforums
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Andy Jespersen
Welche Probleme und Schwierigkeiten haben Eltern im Alltag zu überwinden, die sich dazu entschieden haben, ein Pflegekind aufzunehmen? Was bedeutet es für die Pflegeeltern, die Sorge um ein Kind mit den Herkunftseltern, dem Jugendamt und eventuell anderen Sozialen Diensten teilen und koordinieren zu müssen? Und schließlich, welche Ressourcen benötigen sie, um diese Belastungen bewältigen zu können?
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uj 6 (2010) 265 Unsere Jugend, 62. Jg., S. 265 -274 (2010) DOI 10.2378/ uj2010.art28d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Belastungen und Ressourcen von Pflegevätern und Pflegemüttern - Ergebnisse der Analyse eines Pflegeeltern-Onlineforums Andy Jespersen Welche Probleme und Schwierigkeiten haben Eltern im Alltag zu überwinden, die sich dazu entschieden haben, ein Pflegekind aufzunehmen? Was bedeutet es für die Pflegeeltern, die Sorge um ein Kind mit den Herkunftseltern, dem Jugendamt und eventuell anderen Sozialen Diensten teilen und koordinieren zu müssen? Und schließlich, welche Ressourcen benötigen sie, um diese Belastungen bewältigen zu können? pflegekinder Diese Fragestellungen waren Gegenstand eines Forschungsprojektes, das sich auf die Analyse von Beiträgen eines Pflegeeltern- Onlineforums richtete. Entlang der beiden erarbeiteten „Karten für Belastungen und Ressourcen“ werde ich versuchen, diese nicht nur für die Praxis der Sozialen Dienste interessanten Fragen zu beantworten. Hierbei werden sowohl einige wesentliche Schwierigkeiten, Aufgaben und Probleme, die Pflegeeltern belasten, als auch einige relevante, zur Bewältigung notwendige Ressourcen betrachtet. Das Verhältnis von Belastungen und Ressourcen Pflegeeltern sind Eltern mit besonderen Aufgaben. Sie tragen wie andere Eltern die Sorge für ein oder mehrere Kinder, doch erzeugen sowohl die Umstände und Rahmenbedingungen der Pflegschaft selbst als auch die Bedingungen, unter denen die Pflegekinder in ihrer Herkunftsfamilie aufgewachsen sind, Belastungen, die über die normalen Aufgaben von Eltern hinausgehen. Entsprechend unterscheidet Klaus Wolf im Kontext von Pflegeeltern drei Typen von Belastungen (vgl. Abb. 1). Pflegeeltern begegnen in ihrem Alltag häufig allen drei Belastungstypen, die zusammen auftreten können und nicht immer trennscharf zu unterscheiden sind. Die unterschiedlichen Formen von Belastungen stehen allerdings nicht freischwebend als eine feste Größe im Raum, sondern in Relation zu den für die Pflegeeltern - zu dem jeweiligen Zeitpunkt - verfügbaren Ressourcen. Wolf (2007) be- Andy Jespersen Jg. 1985; Student BA der Sozialen Arbeit an der Universität Siegen 266 uj 6 (2010) pflegekinder schreibt dieses Austarieren zwischen den aktuellen Aufgaben und Schwierigkeiten auf der einen Seite und den zur Bewältigung verfügbaren Ressourcen auf der anderen Seite in dem Modell der Belastungs- Ressourcen-Balance. Stehen Pflegeeltern ausreichend Ressourcen zur Verfügung, so spricht er von einer positiven Belastungs-Ressourcen-Balance. Hierbei werden die Belastungen als solche auch nicht unbedingt wahrgenommen, da sie sich entsprechend lösen lassen und nicht weiter relevant für das Individuum sind. Mangelt es an Ressourcen zur Bewältigung eines Problems oder einer Entwicklungsaufgabe, so ist von einer negativen Balance die Rede. Was eine Ressource darstellt oder zur Belastung werden kann, ist im hohen Maße vom subjektiven Erleben der Individuen bestimmt. Es lassen sich jedoch durchaus Felder finden, die vielen Pflegeeltern zur Belastung werden, sowie Ressourcen, die sich zur Bewältigung dieser als geeignet erwiesen haben. Belastungen von Pflegeeltern Als ein Produkt des Forschungsprojektes wurde die „Karte der Belastungen“ entwickelt. Auf ihr wurden aus dem Onlineforum der Pflegeeltern analysierte Beiträge als Zitate in unterschiedlichen Kategorien verortet. In Abbildung 2 sind lediglich die Hauptkategorien visualisiert. Die genaue Ausdifferenzierung der jeweiligen Belastungen kann an dieser Stelle aufgrund des großen Umfanges nicht gezeigt werden. In meinen Ausführungen werde ich versuchen, einen Eindruck hinsichtlich einiger zentraler Ausformungen der Belastungen zu geben, deren Reihenfolge aber keiner Rangfolge entspricht. Das Pflegekind verhält sich merkwürdig Schilderungen über das merkwürdige Verhalten der Pflegekinder füllen die Themen des Forums. Dabei rätseln die Pflegeeltern - auch weil ihnen zum Teil mehrere Lebensjahre des Pflegekindes gar nicht bekannt sind (siehe fehlende Orientierungs- Abb. 1 uj 6 (2010) 267 pflegekinder mittel) - über die unterschiedlichsten Verhaltensauffälligkeiten und suchen besonders bei anderen Pflegeeltern mit ähnlichen Erfahrungen nach Rat, Hilfe und vor allem Erklärungen. „Heute ohne Grund, wirklich kein Anlass, pullert er unter den Esstisch, einfach so und lacht. Es war halb acht, also ab ins Bett. Gut, und da sitzt er jetzt und schreit. Er schreit sich die Lunge aus dem Hals und wenn ich (oder mein Mann) beruhigend auf ihn einreden, dann wird er zwar etwas leiser, aber er verneint, dass er aufhört. Er schreit seit 19.30 (also jetzt 20.06 noch immer) und mein Mann hängt Bilder an die Wand. Er schreit leiser, beobachtet, pumpt und strengt sich an weiter zu schreien. Was mach ich falsch. Hab ich alles Wichtige erzählt? ? ? Oh man, kann der laut andauernd schreien. Bin ratlos.“ Unangenehme Reaktionen von Dritten, zumeist wenig Verständnis zeigende Nachbarn und andere Eltern sind ein häufiges Nebenprodukt des auffälligen Verhaltens der Pflegekinder und in diesem Kontext ebenfalls ein beständiges Diskussionsthema der Pflegeeltern im Forum. Andere reagieren negativ auf die Annahme eines Pflegekindes „Müsst ihr euch denn ‚sowas‘ aufhalsen? = Originalton meiner Mutter auf die Information hin, dass unser Pflegesohn nun bei uns ist. Ich bin ja schon einiges von meiner lieben Verwandtschaft gewöhnt, aber so viel Gefühlskälte? Meine Eltern wussten, dass wir ein Pflegekind aufnehmen wollten, aber es hat sie nie wirklich interessiert. Gespräche über dieses Thema wurden abgeblockt, Fragen sowieso nie gestellt. Und nun ist er da, unser Süßer, und meine Eltern signalisieren überdeutlich, dass sie nichts davon wissen wollen und mit ihm sowieso nichts zu tun haben wollen.“ Dieser Beitrag einer Pflegemutter verdeutlicht, dass die Reaktionen der Familie durchaus nicht immer positiv sind. Vielmehr zeigt sich in diesem und anderen Beschreibungen von Pflegeeltern eine deutliche Ablehnung der Großeltern gegenüber ihren Pflegeenkeln, die bis zum vollständigen Ignorieren des Pflegekindes reichen kann. Abb. 2 268 uj 6 (2010) pflegekinder Darüber hinaus sind es besonders Bekannte und Nachbarn, die sich mit ihren unterschiedlichen Vorurteilen gegenüber Pflegschaften nicht zurückhalten. Die für die Pflegeeltern kränkende Unterstellung einer rein materiellen Motivation bei der Aufnahme eines Pflegekindes ist dabei ebenso anzutreffen wie überaus voreingenommene Meinungen zu den Herkunftseltern. Gemeinsam mit der ablehnenden Haltung der eigenen Eltern kann so ein sehr negativ besetztes Bild der Pflegschaft gezeichnet werden, mit dem sich Pflegefamilien im Alltag auseinandersetzen müssen. Andere mischen sich ein Der Alltag einer Pflegefamilie kann durch oftmals plötzliche Einflussnahmen gestört und der Zusammenhalt durch die unterschiedlichen Einmischungen anderer immer wieder auf die Probe gestellt werden. Die generelle Kündbarkeit der Beziehung zum Pflegekind und mithin deren Verwundbarkeit nach außen spielen hierbei eine besonders belastende Rolle. „Allerdings sind wir auch öffentlicher geworden. Jugendamt-Mitarbeiter laden sich ein, schauen sich hier um! Mitglieder der Herkunftsfamilie, Familienpfleger, Gutachter, Verfahrenspfleger, alle schneien mal hier vorbei. Immer ein Anlass zum Hausputz.“ Der Bereich der Familie steht in unserer Gesellschaft unter einem besonderen Schutz (Artikel 6, Abs. 1 GG). Eine Pflegefamilie wird hingegen durch ihren besonderen Rechtsstatus, nicht zuletzt durch die Mitverantwortung des Jugendamtes für die Entwicklung des Kindes, wesentlich öffentlicher und ist Einmischungen von außen weit stärker ausgesetzt. So haben die leiblichen Eltern der Pflegekinder nicht nur ein Recht auf Besuchskontakte, sondern können auch anderweitig, wie etwa durch den fortwährend kommunizierten Wunsch auf eine Rückführung des Kindes, erheblichen Einfluss auf die Unverletzbarkeit des Familienlebens nehmen. Ohnmachtsgefühle gegenüber richterlichen Anordnungen, lange Gerichtsverfahren (der leiblichen Eltern oder anderer Akteure), Gutachten über Pflegekinder etc. tragen von anderer Seite zu einem Gefühl des Ausgeliefertseins bei den Pflegeeltern bei. Einflussnahmen und Einmischungen in den Alltag der Pflegefamilie finden allerdings nicht nur auf einer rechtlichen Ebene statt. Fachkräfte der betreuenden Sozialen Dienste steuern laut ForenteilnehmerInnen häufig ihren Teil zur Eskalation von Problemen bei, indem sie den Zusammenhalt der Pflegefamilie durch die Option einer Abgabe des Pflegekindes oder pessimistische Zukunftsprognosen weiter hinterfragen: „Er hat gestohlen, gelogen, Feuer gelegt und keiner glaubte uns, was er sonst noch so drauf hatte. Als er 16 war, sagte mir ein Mitarbeiter des Jugendamtes, dass viele Pflegekinder diesen Weg gehen und ich damit rechnen müsste, dass er eines Tages im Gefängnis landet.“ Diese Pflegemutter hat trotz der vom Jugendamtsmitarbeiter prognostizierten schlechten Aussichten nicht aufgegeben und ist über ihre damalige Entscheidung heute glücklich und stolz, da ihr Pflegesohn heute fest im Berufsleben steht und sich in der Familie zu Hause fühlt. Belastende Besuchskontakte Besuchskontakte mit der Herkunftsfamilie sind im Forum ein resonanzreiches Thema. Die Beschwerden über das Fehlverhalten der leiblichen Eltern vor, während oder um die Besuchskontakte sind umfangreich und mit vielen Ängsten und Vorwürfen vonseiten der Pflegeeltern besetzt. Eine Pflegemutter schildert ihre Erfahrungen so: uj 6 (2010) 269 pflegekinder „Unser Pflegesohn ist 1,5 Jahre alt. Im ersten Jahr waren die Kontakte katastrophal. Entweder die leibliche Mutter erschien erst gar nicht, sagte ab oder war, wenn sie kam, völlig aggressiv und unberechenbar. Der Kleine hatte oft einfach nur Angst.“ Das häufig auffällige Verhalten der Pflegekinder nach einem Besuchskontakt stellt dessen Nutzen in Frage und verunsichert die Pflegeeltern. Viele Pflegeeltern äußern zudem, dass die Kontakte zu oft, zu ungeplant und manchmal auch zu unüberschaubar stattfinden: „Diese Woche haben wir uns wieder allein getroffen und schon bricht sie erneut die Vereinbarungen. Unter einem Vorwand entfernt sie sich mit dem Kind und verschwindet für eine Stunde. (Panik! ! ) Es ging zum Glück gut, allerdings ist in der Vergangenheit die Situation häufig dadurch eskaliert, dass sie mit einfachen Alltagsdingen (z. B. Wickeln) völlig überfordert war …“. Stärker ins Gewicht fallen jedoch Ängste über mögliche Belastungen für das Pflegekind durch den Umgang mit seinen Eltern, mit denen es oft negative und in einigen Fällen traumatisierende Erfahrungen verbindet: „Es bricht mir das Herz, unser Kind immer zu seinen leiblichen Eltern zu zerren, immer wieder diese Besuchskontakte zu gestalten, seinen Symptomen zusammen mit Traumatherapeuten auf den Grund zu gehen, dort schlimme Dinge zu erfahren und zu wissen, dass ich diesem Kind, dem ich gelobte, es zu schützen und zu lieben, es zu fordern und zu fördern, dass ich diesem Kind eher damit schade, wenn ich versuche, auf Anweisung des Jugendamtes ,ganz besonders nett zu den Eltern zu sein‘ …“. Fehlende Orientierungsmittel Eine der wohl spezifischsten Charakteristika von Pflegeeltern gegenüber anderen Eltern bildet der Umstand, dass sie die Pflegekinder in der Regel nicht von Geburt an kennen, sondern diese erst nach der Herausnahme aus ihrer Herkunftsfamilie - nach Monaten oder gar Jahren z. T. mit unterschiedlich belastenden oder traumatisierenden Erfahrungen - kennenlernen. Aufgrund dieser biografischen Lücke fehlen den Pflegeeltern Informationen und Orientierungsmittel über die frühe Vergangenheit der Pflegekinder. Unter Orientierungsmitteln versteht Wolf (2000, 201) in Anlehnung an Norbert Elias „alle Wissensbestände, Informationen, Fertigkeiten, Strategien und Zugänge zu zentralen Interpretations- und Deutungsmustern einer Gesellschaft, die notwendig sind, um sich zu orientieren und zielgerichtetes Handeln zu ermöglichen“. Zumindest vereinzelt können einige Informationen und Orientierungen etwa durch gute Vorinformationen des Jugendamtes oder durch die leiblichen Eltern gegeben werden, wenn auch die biografische Lücke selbst, das frühe Erleben des Kindes als Säugling und Kleinkind, nicht nachgeholt werden kann. Eine gelingende Koproduktion mit den leiblichen Eltern spielt dabei eine wichtige Rolle. Diese können viele Informationen und Orientierungshilfen für die Pflegeeltern und Kinder zur Verfügung stellen. In einigen Fällen gelingt dies aus unterschiedlichen Gründen nicht, und die biografische Lücke bleibt für die Pflegeeltern eine Quelle von Unsicherheiten gegenüber den Pflegekindern und ihrem Verhalten. Die Pflegeeltern haben Fragen über die Vergangenheit der Kinder und suchen Antworten in Informationen über die leiblichen Eltern. In anderen Fällen können es auch die Pflegekinder selbst sein, die Fragen nach ihrer Vergangenheit und ihren leiblichen Eltern haben. Eine Pflegemutter, die nicht weiß, wie sie eventuellen Fragen des Pflegekindes begegnen kann, beschreibt ihre Sorge so: „Wir wissen gar nicht, wie 270 uj 6 (2010) pflegekinder wir ihm sagen sollen, dass wir ihm eigentlich wirklich gar nichts erzählen können über seine Mutter. Es ist wirklich irre, aber wie soll es denn ihm wohl damit gehen? ? ? “ Belastende Rahmenbedingungen Das Pflegeverhältnis bewegt sich in einem rechtlichen und administrativen Rahmen, der es in eine bestimmte Abhängigkeit von den Jugendämtern und Familiengerichten bringt. Die Zusammenarbeit funktioniert - wie wir vielen Beiträgen aus dem Onlineforum entnehmen - nicht immer reibungslos, kann sogar zur Belastung für die Pflegeeltern werden. Die Formen der Belastungen sind dabei sehr unterschiedlich, ein einfaches Beispiel sind „bürokratische Hürden“, denen sich die Pflegeeltern ausgesetzt fühlen, wenn sie etwa eigens Anträge stellen müssen, auf Gutachten warten oder die Diagnose anfechten müssen, um an spezielle Hilfen zu kommen. Ein Pflegevater beschreibt seinen Unmut im Umgang mit dem Jugendamt so: „Das Problem mit dem Jugendamt ist, dass die aus allem erst einmal einen Vorgang machen, mit Gutachten und Untersuchungen, bevor etwas passiert, und uns läuft die Zeit weg! “ Belastungen können sich auch durch eine schlechte Erreichbarkeit für die Pflegeeltern ergeben, die eher zu einem Hindernis als zu einer Hilfe werden. Eine Pflegemutter erzählt von Erfahrungen mit ihrem Jugendamt: „Wir haben ein Vierteljahr lang an unsere Sozialarbeiterin geschrieben und versucht, sie zu erreichen. Das einzige, was wir bekommen haben, ist eine Adresse der Erziehungsberatung, bei einem freien Träger, der erste Termin ist geplatzt, weil die Sekretärin den falschen Standort 20 km weiter entfernt eingetragen hat, und der Berater, der dort saß, war absolut unprofessionell.“ Eine weitere Quelle der Auseinandersetzungen liegt in dem Bild begründet, welches sich so manche Fachkraft des Jugendamtes von Pflegeeltern als seinen „Angestellten“ macht. Einigen Pflegeeltern fällt es aus diesem Grund schwer, materielle Leistungen vom Jugendamt zu beantragen. Selbst wenn sich die Pflegeeltern vonseiten des Jugendamtes ausreichend finanziell versorgt fühlen, kommt es durch die Sichtweise des Jugendamtes und eine entsprechende Behandlung der Pflegeeltern als „Angestellte“ vor, dass diese sich in einem besonderen Spannungsverhältnis zwischen einem beruflichen und familiären Selbstverständnis wiederfinden, indem sie das Gefühl haben, sich für ihre „bezahlte Liebe“ rechtfertigen zu müssen: „Ja, ich mache einen Job, nämlich den, den weder die leiblichen Eltern noch der Staat übernehmen wollten bzw. konnten. Dafür Geld zu nehmen, ist sicher nicht verwerflich. Meine Tochter anzusehen und zu sagen, du bist mein Job, das gelingt mir weniger, denn sie ist nicht mein Job, sie ist unsere Familie.“ Ressourcen von Pflegeeltern Auf der anderen Seite stehen nun die Ressourcen, die aus den Beiträgen der Pflegeeltern erschlossen werden konnten (vgl. Abb. 3). Diese treten in der eigenen Wahrnehmung der Pflegeeltern weniger hervor als die Belastungen, was damit zu erklären ist, dass eine negative Belastungs-Ressourcen-Balance aufgrund eines z. T. deutlich erlebten Leidensdrucks spürbarer wird. Entsprechend sind die Themen der Forumsnutzer überwiegend problemzentriert: Die Pflegeeltern beschreiben zumeist akute Schwierigkeiten und Probleme und uj 6 (2010) 271 pflegekinder suchen für diese Rat und Unterstützung bei Gleichbetroffenen. Ressourcen tauchen entsprechend eher bei rückblickenden Betrachtungen auf, wenn Pflegeeltern Erfahrungen in schwierigen Lebenssituationen schildern, in denen bestimmte Personen, Umstände, Handlungsmöglichkeiten, Kenntnisse usw. ihnen geholfen haben. Im Folgenden werden einige ausgewählte Ressourcen vorgestellt. Erfolge Die von den Pflegeeltern erlebten Erfolge beziehen sich auf Fortschritte des Pflegekindes und können in vielfacher Hinsicht als Ressource verstanden werden. Sie werden als Zeichen guter Arbeit und des richtigen erzieherischen Handelns interpretiert, zum einen von den Pflegeeltern selbst und zum anderen von den betreuenden Sozialen Diensten. Für die Pflegeeltern bedeutet dies ein Erleben von Selbstwirksamkeit - Erfahrungen, in denen schwierige Situationen bewältigt werden konnten und der Glaube in die eigenen Fähigkeiten gestärkt wird. Darüber hinaus können Erfolge, die sich als positive Erfahrung verfestigen, eine Orientierungsfunktion übernehmen: Sie bestätigen das eigene Handeln und zeigen, dass man „auf dem richtigen Weg“ ist. Nach außen sind solche Erfolge vorzeigbar, können als Legitimationsgrundlage genutzt werden und als Ort der Anerkennung für die geleistete Arbeit dienen. Nicht alles, was unter pädagogischen Gesichtspunkten als Erfolg beim Pflegekind zu sehen wäre, wird von den Pflegeeltern indessen wahrgenommen. Manches wird im Alltag übersehen und viele Fortschritte der Pflegekinder erfolgen in kleinen Schritten, die erst zu einem späteren Zeitpunkt in Relation zu alten Entwicklungsständen des Kindes gesehen werden können. In den Fokus der Aufmerksamkeit geraten häufiger Erfolge, die sozusagen allgemein anerkannt und insofern besser vorzeigbar sind. Abb. 3 272 uj 6 (2010) pflegekinder Liebevolle Reaktionen des Pflegekindes „Wenn die lachen, dann ist es ehrlich und entschädigt für alles. Nur das zählt! ! “ Liebevolle Reaktionen vermitteln und versichern den Pflegeeltern die Zuneigung des Pflegekindes. Selbst wenn Erfolge ausbleiben, Fortschritte nicht abzusehen sind, ist das Gefühl, vom Pflegekind geliebt zu werden, für die Pflegeeltern häufig so ausschlaggebend, dass sie bereit sind, selbst hohe Belastungen auf sich zu nehmen, wenn einzig die positive Beziehung zum Kind erhalten bleibt und sie hin und wieder mit einem liebevollen Lächeln „entschädigt“ werden, wie es der Pflegevater im eingangs zitierten Beitrag beschreibt. Die so von den Pflegekindern kommunizierte Liebe erzeugt in den Pflegeeltern eine Haltung tiefer Verbundenheit, die das Pflegeverhältnis auch über schwierige Strecken hindurch tragen kann: „Ich schau sie an, sie kommt zu mir, kuschelt sich an, strahlt übers Gesicht! … Die Momente möchte ich einfrieren (für die Durststrecken, die dann folgen).“ Familiärer Zusammenhalt „Er ist ein ganz besonders glückliches Kind, das seinen Platz in unserer Familie gefunden hat.“ Der familiäre Zusammenhalt ist verstehbar als eine interpersonale Ressource der Pflegefamilie. Sie besteht in der gegenseitigen Versicherung, dass das Pflegekind ein Teil des Ganzen, ein Mitglied der Familie ist. Die Kategorie ist insofern sowohl von dem Gefühl der Passung zwischen Pflegefamilie und Pflegekind bestimmt als auch von dem Eindruck, das Pflegekind sei gut in die Pflegefamilie integriert, wie es im vorangestellten Zitat deutlich wird. Bedeutsam ist, dass diese Empfindung von anderen Familienmitgliedern geteilt wird und nicht allein von den Pflegeeltern ausgeht. In diesem Beitrag einer Pflegemutter ist es beispielsweise die biologische Tochter, die den Pflegesohn als Familienmitglied definiert: „Unlängst sagte er im Kreise der Familie, ich glaube, ich habe früher eine Menge Sch… bei euch gebaut, daraufhin meine leibliche Tochter (25 Jahre), macht doch nichts, wir haben’s erstaunlicherweise überlebt und du bist doch mein großer Bruder! “ Verständnis und Unterstützung durch andere „Ohne meine Kontakte, in denen ich auch mal unreflektiert schimpfen, heulen, wüten und tratschen kann, hätten wir die ganzen Jahre mit den Pflegekindern sicher nicht so gut überstanden.“ Von Nachbarn, Bekannten und Verwandten gehen nicht einzig Belastungen aus. Es werden von den Pflegeeltern durchaus hilfreiche Personen beschrieben, die mit einer verständnisvollen Haltung gegenüber dem Pflegeverhältnis oder direkter Unterstützung der Pflegefamilie zu einer bedeutsamen Ressource werden. Eine Pflegemutter schildert Erfahrungen mit ihrem sozialen Netzwerk nach der Aufnahme der Pflegekinder: „Viel besser ist der Kontakt zu meiner Familie geworden, die uns vorbehaltlos unterstützt, und wir haben ganz tolle Nachbarn hier (…). Die kannte ich vorher nicht einmal …“. Verwandte, Freunde, Bekannte und Nachbarn sind neben Fachkräften und anderen Pflegeeltern der dritte Personenkreis, an die sich Pflegeeltern auf der Suche nach Unterstützung und Verständnis wenden. Von jeder dieser Gruppen gehen allerdings andere Gesprächsoptionen und damit unterschiedliche Ressourcen aus. uj 6 (2010) 273 pflegekinder Kontakt und Austausch mit anderen Pflegeeltern Die gegenseitige Hilfe und Unterstützung der Pflegeeltern untereinander - in Form der häufig Verständnis versichernden und Mut machenden Antwortbeiträge - sind ein durchweg präsentes Element des Onlineforums, und man kann annehmen, dass hierin auch die Hauptmotivation der Forumsnutzung bei den Pflegeeltern liegt. Eine Pflegemutter beschreibt ihre Erfahrungen mit dem Forum so: „Mir und vielen anderen hat es schon oftmals wertvolle Tipps und Hilfen, auch von einzelnen Mitgliedern, gegeben! Zudem tut es auch gut, von positiven Entwicklungen zu lesen. Das macht häufig wieder Mut! “ Auf einen nach Rat suchenden Beitrag einer Nutzerin, der typischerweise mit „wer ist in der gleichen Lage und kann mit mir schreiben“ endet, folgt die Antwort einer anderen Nutzerin, die aufgrund eigener Betroffenheit oder zumindest ähnlicher Lebenserfahrungen mit Pflegekindern, die Bedürfnisse und speziellen Belastungen des Forumsmitgliedes nachvollziehen kann: „Fühl dich verständnisvoll herzlich virtuell gedrückt und Kopf hoch, die Kleine kann sich glücklich schätzen, dass sie dich hat. …Von Pflegemutter zu Pflegemutter - es ist manchmal echt hammerhart zuzusehen, wie die Kinder auf ihr erfahrenes Leid reagieren …“. Die Antworten im Forum reichen vom Verständnis eines ebenfalls Betroffenen, bis hin zu - häufig sehr direktiver - Beratung in Form von Beschreibungen erprobter Bewältigungsstrategien aus dem Alltag der Pflegeeltern. In dieser Beratung werden auch deutlich Selbsthilfepotenziale erkennbar. Das Onlineforum stellt offensichtlich eine Ressource dar. Die Möglichkeit, jederzeit Beiträge einstellen zu können, sich „Sorgen von der Seele zu schreiben“ und zugleich zeitnah mit einer Antwort rechnen zu dürfen, macht das Forum für die Pflegeeltern zu einer sehr niedrigschwelligen Anlaufstelle für akute Belastungen. Zudem erleichtern es die Anonymität des Internets und die Solidarität der Pflegeeltern untereinander offenbar auch, über heikle Probleme zu sprechen, die sie vor Fachkräften oder anderen GesprächspartnerInnen womöglich nicht in dieser Offenheit vorbringen könnten. Für manche Pflegeeltern ist das Forum sogar der erste Ort, an dem sie überhaupt über ihre Probleme in der Pflegschaft zu sprechen bereit sind: „Ihr glaubt gar nicht, wie ich mich gerade fühle. Ich bin durch eure Antworten, Anteilnahme und Ratschläge sehr berührt und fühle mich irgendwie bestärkt. Ich hätte nie geglaubt, dass ein Forum solche Möglichkeiten bietet und man wirklich auch seine Sorgen loswerden kann. Tolle Sache. Wenn man bedenkt, dass ich die Pflege nun schon seit insgesamt 6 Jahren mache und diese Sachen vorwiegend für mich allein trage. (Versteht eh keiner.)“ Orientierungsmittel Orientierungsmittel sind eine wichtige Ressource. Einen ersten Bereich bilden die Informationen, die die Pflegeeltern vor der Aufnahme des Pflegekindes über dieses und seine Herkunftsfamilie sowie die Umstände der Fremdunterbringung haben. Aus diesen Informationen bilden sich die Pflegeeltern Deutungs- und Erklärungstheorien über das häufig merkwürdige Verhalten der Pflegekinder. Diese helfen ihnen dabei, in bestimmten Situationen angemessen zu reagieren und zielgerichtet handeln zu können und nicht zuletzt auch ihren Selbstwert zu schützen, indem etwa belastende Verhaltensweisen des Pflegekindes nicht im Hinblick auf das eigene Handeln interpretiert werden: „Mir hilft übrigens, mir immer wieder vor Augen zu halten, dass ich nicht gemeint bin, sondern dass hier die Erfahrungen/ Traumatisierungen vor der Ankunft bei uns zum Vorschein kommen.“ 274 uj 6 (2010) pflegekinder Ein weiteres Mittel zur Orientierung des Handelns zeigt sich in den Erfahrungen der Pflegeeltern aus den aktuellen sowie früheren Pflegeverhältnissen, denen sie beispielsweise bei der alltäglichen Bewältigung der schwierigen Verhaltensweisen des Pflegekindes mit Hilfe bereits bekannter und eingespielter Strategien begegnen. Fachkräfte Entgegen möglicher Erwartungen tauchen die Sozialen Dienste als Ressource weit seltener auf, als es von uns zu Anfang des Forschungsprojektes angenommen wurde. Fachkräfte werden dagegen durchaus erwähnt, wenn sie zur Belastung für die Pflegeeltern werden. Daraus könnte man den kritischen Schluss ziehen, dass Fachkräfte häufiger mehr dazu beitragen, Probleme zu verschärfen als sie lösen zu helfen. Entgegenzuhalten sind dieser Lesart jedoch zwei grundsätzliche Einschränkungen, die ich bereits eingangs der Beschreibung der Ressourcen aufgezeigt habe: Zum ersten treten Belastungen in der Wahrnehmung stärker hervor als Ressourcen, und zum zweiten sind die Themen im Forum vor allem problemzentriert. Positiv tauchen die Sozialen Dienste tendenziell eher bei retrospektiven Darstellungen schwieriger Lebenssituationen auf, in denen die Fachkräfte als wichtige Helfer eine Rolle gespielt haben bzw. weiterhin spielen, wie es in diesem Beitrag einer Pflegemutter deutlich wird: „Wir wollten dieses Kind aber bei uns behalten und haben ein ganzes Helfernetz gesponnen bekommen. U. a. haben wir einen Erziehungsbeistand, der ganz wertvolle Arbeit leistet, und gehen zur Familientherapie. Wir wären allein mit diesen Problemen hoffnungslos überfordert gewesen, aber mit den vielen Händen, die uns stützen und helfen, können wir alle ganz gut leben, es klappt immer besser.“ Zusammenfassung und Fazit Aus der Betrachtung der einzelnen Belastungs- und Ressourcenkategorien lässt sich zusammenfassend festhalten, dass die Aufnahme eines Pflegekindes und das Pflegeelternsein mit vielfältigen Belastungen verbunden sind, dass aber die Pflegeeltern bei der Bewältigung dieser viele unterschiedliche Ressourcen mitbringen und sich insbesondere auch außerhalb der formalen Helfersysteme der Sozialen Dienste neue Ressourcen wie etwa neue Nachbarschaftskontakte oder Kontakte und Orientierungen im Onlineforum erarbeiten. Viele Schwierigkeiten und Aufgaben sind für die Pflegeeltern bewältigbar. In einigen Fällen benötigen die Pflegefamilien jedoch zusätzlich Ressourcen von außen und sind auf Hilfeleistungen Professioneller angewiesen. So insbesondere in Form von gut strukturierten und klar geregelten Besuchskontakten mit der Herkunftsfamilie und vorbereitenden Informationen über die bisherige Lebenssituation des Pflegekindes und seiner Eltern. Die Beispiele zeigen, dass sich aus der Analyse der Beiträge im Onlineforum interessante Anknüpfungspunkte für die Qualifizierung der Praxis der Sozialen Dienste ergeben. Literatur Wolf, K., 2007: Die Belastungs-Ressourcen-Balance. In: Kruse, E./ Tegeler, E. (Hrsg.): Weibliche und männliche Entwürfe des Sozialen. Wohlfahrtsgeschichte im Spiegel der Genderforschung. Opladen/ Farmington Hills, S. 281 - 292 Wolf, K., 2000: Macht, Pädagogik und ethische Legitimation. In: Evangelische Jugendhilfe, 77 Jg., H. 4, S. 197 - 206 Der Autor Andy Jespersen andy.jespersen@student.uni-siegen.de
