eJournals unsere jugend 62/10

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2010
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Trennung der Eltern - Folgen für die Geschwisterkinder

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2010
Michael Karle
Wenn sich Eltern trennen, muss der künftige Lebensort des Kindes geklärt werden. Leben mehrere Kinder in der Familie, stellen sich weitere Fragen: Sollen die Geschwister getrennt bzw. "aufgeteilt" werden, unter welchen Bedingungen ist dies günstig und welche Folgen hat eine solche Trennung?
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402 uj 10 (2010) Unsere Jugend, 62. Jg., S. 402 -412 (2010), DOI 10.2378/ uj2010.art42d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel trennungskinder - scheidungskinder Trennung der Eltern - Folgen für die Geschwisterkinder Michael Karle Wenn sich Eltern trennen, muss der künftige Lebensort des Kindes geklärt werden. Leben mehrere Kinder in der Familie, stellen sich weitere Fragen: Sollen die Geschwister getrennt bzw. „aufgeteilt“ werden, unter welchen Bedingungen ist dies günstig und welche Folgen hat eine solche Trennung? Trennen sich Eltern, die ein Kind haben, so stellt sich die Frage nach dessen Aufenthalt - zunächst ganz praktisch und unabhängig von formalen oder juristischen Fragen. Meist lebt das Kind bei der Mutter, seltener beim Vater, noch seltener pendelt es zwischen beiden Elternteilen hin und her (Wechselmodell), und die Ausnahme stellt der Fall dar, bei dem das Kind eine eigene Wohnung hat und von den Eltern abwechselnd betreut wird (Nestmodell). Dies gilt zumindest für Deutschland, in Frankreich beispielsweise werden die beiden zuletzt genannten Betreuungsformen sehr viel häufiger praktiziert. Haben die Eltern zwei oder mehr Kinder, so ergeben sich darüber hinaus weitere Möglichkeiten dadurch, dass die Geschwister zusammenbleiben oder aufgeteilt werden können. Vor ca. 50 Jahren ist man in der Fachöffentlichkeit der übereinstimmenden Ansicht gewesen, dass Kinder nach Möglichkeit im Fall einer Trennung oder Scheidung der Eltern zusammenbleiben sollen, weil sie sich Halt und Unterstützung bieten. Ob das auch so praktiziert worden ist oder wird, muss offen bleiben. Tatsächlich gibt es keine Zahlenangaben darüber, was mit Geschwistern passiert, wenn die Eltern sich trennen. In den Tabellen des Bundesamtes für Statistik nimmt in den Fällen nur die Zahl der Einpersonenhaushalte mit Kindern zu. Es gibt keine Zahlen darüber, wie oft Geschwister bei einer Scheidung ihrer Eltern getrennt werden. Möglicherweise ist dies Indiz für ein gewisses Desinteresse an Geschwistern, das sowohl für den Alltag als auch für die Forschung gilt. Daten und Fakten Die etymologische Herkunft des Begriffes „Geschwister“, der umgangssprachlich nur im Plural vorkommt, ist nicht klar. Wahrscheinlich leitet er sich von dem fiktiven oder in Vergessenheit geratenen Wort „verschwistern“ (vgl. „verbrüdern“) ab, das auf das Substantiv „Schwester“ zurückzuführen ist. In unserem Kulturkreis sind Ge- Dr. Michael Karle Jg. 1952; Dr. med., Dipl.-Psychologe, Oberarzt an der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter der Universität Tübingen uj 10 (2010) 403 trennungskinder - scheidungskinder schwister im engeren Sinn Personen mit teilweise identischer genetischer Ausstattung, in einem weiteren Sinn Kinder, die denselben psychologischen Elternteil haben. Dabei finden sich in Kernfamilien fast ausschließlich leibliche Geschwister, während im weiteren Verlauf oft komplexe Geschwister-Konfigurationen durch neue Partnerschaften der Eltern entstehen können. Durch die Zunahme der Ehescheidungen und die Wiederverheiratung bzw. Bildung neuer Lebensgemeinschaften finden sich in zunehmendem Maße sogenannte „Patchwork-Familien“. Unter Einbeziehung von Halb-, Stief-, Adoptiv-, Pflegegeschwistern und anderen Kriterien, die u. a. den Aufenthaltsort von Personen berücksichtigen, unterscheiden Treffers u. a. (1990) 26 verschiedene „Geschwistertypen“. Im Weiteren wird primär die Situation leiblicher Geschwister beschrieben. In der Umgangssprache hat der Begriff „Geschwisterbeziehung“ eine feste Bedeutung. Diese geht von der Annahme aus, dass zwischen Geschwistern eine bestimmte, unterschiedlich gestaltete und festgelegte, im Einzelfall jedoch bestimmbare und somit auch abgreifbare Relation besteht. Es findet sich hier eine Affinität zu dem Begriff der Bindung, wie er in der Umgangssprache benutzt wird. Teilweise werden die Begriffe - fälschlich - auch synonym gebraucht. In der Literatur wird immer wieder auf die Besonderheit der Geschwisterbeziehung hingewiesen. Schneewind (1995, 160) charakterisiert sie als „einen Beziehungstypus besonderer Art …, da sie in der Regel die am längsten währende, unaufkündbare und annähernd egalisierte menschliche Beziehung ist, die auf einer gemeinsamen Vergangenheit beruht“. Kasten (1993) hat für die Geschwisterbeziehung eine Reihe von Bestimmungsstücken („essentials“) formuliert, wie Dauer, Schicksalhaftigkeit, Fehlen von gesellschaftlich kodifizierten Regeln, ungeschriebene Verpflichtungen, Aufwachsen in einem Nest und tiefwurzelnde emotionale Ambivalenz. Nun könnte man einwenden, dass es aufgrund des Geburtenrückgangs immer weniger Geschwister gibt und sie deswegen eine immer weniger bedeutsame Rolle spielen. Tatsächlich gibt es jedes Jahr, meist wenn die Zahlen des Statistischen Bundesamtes veröffentlicht werden, Pressemeldungen mit dem Tenor, dass es demnächst nur noch Einzelkinder geben werde. Allerdings ist kritisch darauf hinzuweisen, dass diese Zahlen aufgrund von Zensuserhebungen erfolgen und somit Querschnittsuntersuchungen sind. Engstler/ Menning (2003) haben darauf hingewiesen, dass Querschnittserhebungen nur Auskunft über die aktuellen Familienstrukturen liefern, d. h. ein Abbild der momentanen Familiensituation geben, ohne den Prozess ihrer Entwicklung zu berücksichtigen. Familien mit einem Kind können sich in der Anfangsphase befinden, in der soeben das erste Kind geboren wurde, oder in einem fortgeschrittenen Stadium, in dem die anderen Kinder den elterlichen Haushalt bereits verlassen haben. Bei einer altersspezifischen Betrachtung der Familienmerkmale hingegen wird deutlich, dass sich die Zahl der Geschwister in Familien mit der Entwicklung der Familie verändert: Bei Kleinkindern ist sie gering, erreicht im Schulalter nach der Geburt weiterer Kinder ihr Maximum und sinkt danach - mit dem Auszug älterer Geschwister - wieder ab. Zur Beantwortung der Frage, mit wie vielen Geschwistern Kinder tatsächlich in ihrem Leben aufwachsen, bietet sich daher eine Eingrenzung auf 6bis 9-jährige Kinder an. In dieser Altersgruppe sind die jüngeren Geschwister meist schon geboren und die älteren leben noch zu Hause. Geht man von dieser Altersgruppe aus, sind - 404 uj 10 (2010) trennungskinder - scheidungskinder über alle Familienformen hinweg betrachtet - ca. 20 % der Kinder Einzelkinder, 50 % wachsen mit einem Geschwisterteil auf, und 30 % haben zwei oder mehr Geschwister (vgl. Engstler/ Menning 2003). Abgesehen von dieser statistischen Betrachtungsweise finden sich inhaltliche Gründe, die dafür sprechen, dass auch in Zukunft die Zahl der Kinder mit Geschwistern nicht sinken wird. So gibt es einerseits zwar immer mehr Paare, die sich entschließen, kinderlos zu bleiben. Andererseits zeichnet sich aber auch eine Tendenz ab, dass Eltern mit Kinderwunsch in der Regel mindestens zwei Kinder haben wollen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes jährlich ca. 200.000 Ehen geschieden werden. Der Anteil mit Kindern beträgt knapp über 50 %. Insgesamt sind von der Ehescheidung der Eltern jährlich ca. 150.000 Kinder betroffen, 100.000 davon haben Geschwister - und das ist eine große Zahl, mit der es sich lohnt, sich zu beschäftigen. Geschwisterbeziehungen bei Trennungen und Scheidungen Geschwister sind - aus welchem Grund auch immer - seit jeher ein Stiefkind der Forschung gewesen. Die traditionelle Geschwisterforschung befasste sich vorrangig mit den Einflüssen von Geburtenrangplatz (birth-order) bzw. Geschwisterposition auf die Persönlichkeit. Die dieser Theorie innewohnende Plausibilität hat dazu geführt, dass es auch heute noch in einem eher als populärwissenschaftlich zu bezeichnenden Rahmen Anhänger gibt. Forschungen auf empirischer Grundlage entstanden Ende der 70er Jahre - erstaunlicherweise genau in der Zeit, als die Scheidungsraten anstiegen und die Geburtenzahlen rückläufig waren. Dabei standen zunächst zwei Fragen im Mittelpunkt des Interesses: Rücken Geschwister im Falle einer Scheidung ihrer Eltern näher zusammen und bieten sich gegenseitig Schutz und Unterstützung? Oder überträgt sich der elterliche Konflikt auch auf ihre Beziehung? Diskutiert werden diese Hypothesen (vgl. Conger/ Conger 1996) unter den Begriffen • „Sibling-Compensation-Approach“ und • „Parent-Sibling-Congruity-Approach“ bzw. „Family-Pathology-Hypothesis“. Die Auswirkungen von destruktiven Partnerkonflikten auf die Eltern-Kindund/ oder die Geschwisterbeziehungen werden auch als „Spill-over“-Effekte bezeichnet. Die zahlreichen bislang vorliegenden empirischen Untersuchungen bestätigen beide Hypothesen gleichermaßen. Beispielhaft seien zwei abschließende Feststellungen von zwei führenden Arbeitsgruppen auf diesem Gebiet zitiert: Wallerstein und MitarbeiterInnen (2002, 164) resümieren: „Nach der elterlichen Scheidung rücken Geschwister häufig näher zusammen. Angesichts der schwankenden Gemütsverfassung der gestressten Eltern wenden sie sich einander zu, um Nähe und Sicherheit zu finden. Schließlich sind sie ja durch eine ganz bestimmte Vergangenheit miteinander verbunden. Sie helfen einander bei jedem Schritt auf dem Weg - etwas, was Einzelkindern nach der Scheidung der Eltern naturgemäß nicht möglich ist.“ Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch die Autoren der sogenannten prospektiven Kölner Scheidungsstudie (Schmidt-Denter/ Beelmann 1995). Hetherington/ Kelly (2003, 191f) hingegen stellen fest: „Die Auswirkungen der elterlichen Streitsucht in intakten, geschiedenen und wiederverheirateten Familien übertragen sich oft auf die Eltern-Kind- und auf die Geschwister-Beziehung … In unseren geschiedenen und wiederverheirateten Familien hatten nur uj 10 (2010) 405 trennungskinder - scheidungskinder 10 % der Geschwister - und die meisten waren Schwestern - untereinander so konstruktive Beziehungen, dass sie sich gegenseitig bei den Belastungen ihres neuen Familienlebens unterstützen konnten.“ Dieses Ergebnis wird u. a. in einer großen amerikanischen Scheidungsstudie (Conger/ Conger 1996) bestätigt. Resümierend bleibt festzuhalten (vgl. Karle 2008): Auf die beiden gestellten Fragen gibt es keine eindeutigen Antworten. Vielmehr zeigt sich folgendes Dilemma bei genauer Durchsicht der Literatur: Die vorliegenden Studien gehen von unterschiedlichen theoretischen Vorannahmen und Konzepten aus und überprüfen diese an nicht vergleichbaren Stichproben mit unterschiedlichen Methoden. Einerseits findet man Untersuchungen an kleinen, nicht repräsentativen Stichproben, deren Ergebnisse bestimmte, theoriegeleitete Hypothesen bestätigen. Andererseits gibt es Untersuchungen an großen Populationen, deren Hypothesen jedoch nicht speziell auf die Geschwister bzw. deren Beziehung fokussiert und deren Ergebnisse dementsprechend wenig differenziert sind. Insofern lassen sich aus den bislang vorliegenden Studien keine generellen Schlussfolgerungen ziehen oder Verallgemeinerungen ableiten. Folgen einer Scheidung für Geschwisterkinder Es gibt keine epidemiologischen Daten darüber, wie oft Geschwister nach Trennung oder Scheidung ihrer Eltern gemeinsam oder getrennt aufwachsen. Es gibt auch keine Statistiken darüber, wie oft die Gerichte bei Sorgerechtsregelungen ein Zusammenbleiben oder eine Trennung der Geschwister verfügen. Die einzige Möglichkeit, etwas über solche Häufigkeiten zu erfahren, stellen die Auswertungen von Sachverständigengutachten im Rahmen von gerichtlichen Sorgerechtsregelungen dar. Es ist bekannt, dass die Gerichte in 3 bis 10 % aller Fälle ein entsprechendes Gutachten in Auftrag geben. Erfahrungsgemäß sind dies hochkonflikthafte Verfahren oder Verfahren mit bestimmten Besonderheiten (fragliche Erziehungsfähigkeit der Eltern, unklare Versorgungssituation, (psychisch) kranke Eltern, vernachlässigte oder behinderte Kinder, Verdacht auf sexuellen Missbrauch oder Misshandlung etc.). Ziel dieser Gutachten ist es, gemäß § 1671 BGB herauszufinden, welche Regelung „dem Wohl des Kindes am besten“ entspricht. Gemäß § 1697 a BGB trifft das Gericht dann seine Entscheidung unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten, der Möglichkeiten und der berechtigten Interessen der Beteiligten - stets unter dem Aspekt des „Kindeswohls“. Nun ist das Kindeswohl ein unbestimmter Rechtsbegriff (Coester 1983), den es auszufüllen gilt. In der Literatur und der Rechtsprechung sind eine Reihe von (Kindeswohl-)Kriterien entwickelt worden, die bei der Regelung der elterlichen Sorge Anwendung finden. Bereits 1983 hat Lempp die folgenden benannt: die Bedeutung des Willens des Kindes, die Bedeutung der primären Bezugsperson, d. h. Aspekte der Bindung des Kindes an die Eltern, aber auch an die Geschwister, die Bedeutung der Kontinuität, den Faktor Zeit und Entscheidungskriterien, die in den Eltern begründet sind. Kloster-Harz und Mitarbeiter (1998) nennen u. a. folgende: Bindungen der Kinder, Bindungstoleranz der Eltern, Wille oder Vorschlag der Kinder, Vorschlag der Eltern, Erziehungsfähigkeit der Eltern, Förderungsgrundsatz, Betreuungsmöglichkeiten der Eltern und Kontinuitätsprinzip. Offensichtlich stellt die Tatsache, dass Geschwisterkinder vorhanden sind, bei der Regelung der elterlichen Sorge bzw. Bestimmung des Aufenthalts der Kinder nur einen von vielen Faktoren dar. 406 uj 10 (2010) trennungskinder - scheidungskinder Weil es sich um eine spezielle Auswahl von Sorgerechtsfällen handelt, sind diese Ergebnisse nicht repräsentativ und lassen sich von daher auch nicht einfach verallgemeinern. Dies ist natürlich ein Nachteil. Ein Vorteil besteht darin, dass in diesen Gutachten die Empfehlungen begründet werden und sie daher mit einem gewissen Vorbehalt Rückschlüsse auf die Folgen von Scheidungen für Geschwisterkinder erlauben. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse lassen sich unter zwei Aspekten darstellen: zum einen die formalen Konsequenzen einer Scheidung (was passiert mit Geschwistern) und zum anderen die inhaltlichen Folgen (wie verändern sich die Geschwisterbeziehung oder die innerfamiliären Beziehungen überhaupt). Diesen beiden Fragestellungen soll im Folgenden nachgegangen werden. Formale Folgen einer Scheidung für Geschwisterkinder Auch unter Sachverständigen besteht die weitgehend übereinstimmende Ansicht, dass Geschwister im Falle einer Scheidung oder Trennung ihrer Eltern nicht getrennt werden sollen. Nach Lempp (1983, 125) „galt immer die Regel, dass Geschwister nicht getrennt werden sollen“. Arntzen (1994, 27) schreibt, man wird „die Geschwistertrennung zu vermeiden suchen, weil es offensichtlich erzieherisch vorteilhaft ist, wenn ein Kind in täglicher Gemeinschaft mit anderen Kindern aufwächst … Geschwister können auch über die Abwesenheit eines Elternteils hinwegtrösten“. Dettenborn/ Walter (2002) argumentieren, die Geschwisterbeziehung könne defizitäres elterliches Erziehungsverhalten kompensieren oder eine Ressource bei der Bewältigung der familiären Konfliktsituation sein. Auswertungen von Sachverständigengutachten zeigen jedoch, dass die Ausnahmen von der genannten Regel mit einem Viertel bis einem Drittel relativ hoch sind. Nur am Rande sei erwähnt, dass auch bei außerfamiliären Unterbringungen ca. ein Drittel der Geschwisterkinder getrennt wird (vgl. Bindel-Kögel 2009, 7). Haffter (1948, 30) skizziert ein „ernstes Bild, als nahezu ein Drittel aller Geschwisterschaften, die von der Scheidung der Eltern betroffen werden, nicht beieinander bleiben können“. Konkret war dies in 17 von 56 Familien (30,4 %) der Fall. Zu vergleichbaren Zahlen kam Hagemann (1983). In seiner retrospektiven Studie hatten die Sachverständigen bei 20 von 60 Familien (33,3 %) eine Aufteilung der Geschwister empfohlen. Diese Einschränkung betrifft auch zwei von Arntzen (1994, 27) erwähnte Untersuchungen: In den Jahren 1983/ 1984 ist in 151 von 439 „Geschwisterfällen“, somit in 34,4 %, eine Aufteilung der Geschwister empfohlen worden, in einer weiteren Analyse aus dem Jahr 1992 bei 94 von 364 (25,8 %) Familien. Müller (2002) fand, dass in 16 von 87 Familien (18,4 %) eine Aufteilung der Geschwister empfohlen wurde. Dies betraf 39 von 204 Kindern (19,2 %). Gründe bzw. Begründungen für die Empfehlung, Geschwister zu trennen, werden von den genannten AutorInnen - mit Ausnahme von Müller (2002) - nicht angegeben. Im deutschsprachigen Raum finden sich keine erschöpfenden Artikel, die sich mit dieser Thematik beschäftigen. Kaplan und Mitarbeiter haben im angloamerikanischen Raum aufgrund ihrer Erfahrungen eine Liste mit verschiedenen Begleitumständen bzw. Konstellationen erstellt, bei denen eine Trennung von Geschwistern sinnvoll bzw. notwendig erscheint. Im Einzelnen führen Kaplan u. a. (1993, 133) folgende Faktoren an, die weder gewichtet noch priorisiert sind: uj 10 (2010) 407 trennungskinder - scheidungskinder • Vermeidung von Besuchskonflikten, • Übereinstimmung des Geschlechts von Elternteil und Kind, • Lagerbildung in den Familien ohne Aussicht auf Versöhnung, • bereits bestehende Aufteilung, • ungünstiger Einfluss der Geschwister untereinander, • Gefahr, dass nur ein Kind durch die Trennung von einem bestimmten Elternteil Schaden nimmt, • Bestehen bestimmter Problemkonstellationen, die Elternteile unterschiedlich gut managen können, • Fehlen einer Geschwisterbeziehung, • unterschiedlicher Kindeswille hinsichtlich des Aufenthaltes, • unterschiedliche Bezugspersonen für die Kinder, • unterschiedliche Ablehnung oder Bevorzugung der Kindern durch Elternteile. In der Untersuchung von Müller (2002) finden sich - dieser Aufstellung folgend - folgende Häufigkeiten (Mehrfachantworten möglich): • Kindeswille bzw. klar geäußerter Wunsch eines Kindes, bei einem Elternteil zu leben (70 %), • Vermeidung von Besuchskonflikten (40 %), • Ein „Gerechtigkeitsdenken“ bei den Kindern bzw. eine „Lagerbildung“ in der Familie (ca. 1/ 3), • Ablehnung von Kindern durch einen Elternteil bzw. Hinweise auf Überforderung eines Elternteils mit der Betreuung mehrerer Kinder (ca. 1/ 3). • Die anderen von Kaplan u. a. (1993) angeführten Kriterien, wie z. B. fehlende Beziehung zwischen den Geschwistern, Einfluss der Geschwister aufeinander bzw. die Tatsache, dass die Kinder unterschiedliche Bezugspersonen hatten, spielten keine Rolle. Es fanden sich auch keine schädlichen von Geschwistern ausgehenden Einflüsse. Auch die Übereinstimmung des Geschlechts von Kind und Elternteil war kein Grund für eine Aufteilung. Möglicherweise hing dies mit dem relativ geringen Durchschnittsalter des untersuchten Kollektivs zusammen. Sowohl aus der Auflistung der Gründe bei Kaplan u. a. (1993) als auch aus der Untersuchung von Müller (2002) geht deutlich hervor, dass die Geschwisterbeziehung selbst nur einen von vielen Faktoren darstellt bei der Frage, ob Kinder im Falle einer Trennung bzw. Scheidung der Eltern aufgeteilt werden oder nicht. Somit steht man vor dem etwas überraschenden Ergebnis, dass einerseits positive und negative Veränderungen der Geschwisterbeziehung bei Trennung bzw. Scheidung in der Forschung nachgewiesen sind, diese jedoch in der Praxis anscheinend kaum eine Rolle spielen. Bei Salzgeber (2005, 295) findet sich hierzu folgende Feststellung: „Die Beziehungen der Geschwister zueinander sind besonders zu beachten, dabei ist in erster Linie ein expliziter Plazierungswunsch der Geschwister maßgeblich. Eine Geschwistertrennung sollte nicht leichtfertig und nur in triftigen Ausnahmefällen vorgenommen werden, da sich gerade in der familiären Konfliktsituation Geschwister gegenseitig stützen. Die völlige Ablehnung einer Geschwistertrennung wiederum kann aber im Einzelfall ebenfalls dem Kindeswohl entgegenstehen. Eltern-Kind-Beziehungen sind gewichtiger zu bewerten als die Geschwisterbeziehungen.“ Inhaltliche Folgen einer Scheidung für Geschwisterkinder Trennung und Scheidung werden heutzutage nicht mehr als ein kritisches Lebensereignis verstanden, sondern als ein Prozess mit verschiedenen Phasen, der mit Risiken und Chancen (Walper/ Gerhard 2003) verbunden ist. Auch Geschwisterbeziehungen sind keine konstanten Größen, sondern verändern sich im Laufe der Entwicklung (Cicirelli 1994) - auch bei und durch Trennung der Eltern. Trennung oder 408 uj 10 (2010) trennungskinder - scheidungskinder Scheidung darf daher nicht als ein singuläres Ereignis (unabhängige Variable), das auf eine wie auch immer geartete Geschwisterbeziehung (abhängige Variable) trifft, verstanden werden. Da die Geschwisterbeziehungen Teil eines umfassenderen Beziehungsgeflechts sind, ist es nötig, sich diese auf verschiedenen Ebenen bzw. Subsystemen genauer anzusehen. Die früher fast ausschließlich herangezogenen statischen Maße (Familiengröße, Anzahl der Geschwister, Geburtenrang etc.) haben hierbei deutlich an Bedeutung verloren. Das Subsystem Kind Im Mittelpunkt der (juristischen) Überlegungen steht zunächst das Kind als eigene Person (Individualgerechtigkeit); erst in zweiter Linie das Kind als Geschwisterkind. Das Kind ist ein Individuum mit eigenen Charakteristika (Alter, Geschlecht) und speziellen Ausstattungen wie Temperament, kognitive Fähigkeiten, Sozialverhalten etc. Es verfügt über individuelle und soziale Ressourcen und ist Teil eines sozialen Geflechtes mit bestimmten (strukturellen) Merkmalen und vielfältigen Beziehungen. Zu nennen sind hier nicht nur die Geschwister und die Kernbzw. Großfamilie, sondern insbesondere auch außerfamiliäre Beziehungen in Kindergarten und Schule bzw. zu Peers. Das Subsystem Geschwister Geschwister bieten in gewisser Weise einen Schutz vor Scheidung: Differenziert man die Ehescheidungen (mit Kindern) nach der Zahl der minderjährigen Kinder, so handelt es sich in 60 % der Fälle um Familien mit einem Kind, in 33 % um Familien mit zwei Kindern und in 7 % sind drei oder mehr Kinder beteiligt (Emmerling 1999). Nachdem Beziehungen eine Zeitlang ausschließlich im Mittelpunkt des Interesses standen, ist in letzter Zeit die Bedeutung von strukturellen Variablen wie Alter, Altersabstand und Geschlecht wieder mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, wobei jedoch - im Gegensatz zum Anfang der Geschwisterforschung - funktionale Aspekte einbezogen werden. So ist beispielsweise bekannt, dass jüngere Kinder und Kinder mit einem geringen Altersabstand eine engere Beziehung zueinander haben und dass Beziehungen mit Schwestern in aller Regel harmonischer sind. Die Geschwisterbeziehung selbst hat bei der Frage nach einer Trennung bzw. einem Zusammenbleiben von Geschwistern einen bestimmten, aber begrenzten Stellenwert. Sie ist für jedes Kind gesondert und individualbezogen zu bewerten: So kann beispielsweise ein älteres Geschwisterkind für ein jüngeres von großer Wichtigkeit (i. S. eines Vorbildes oder Übernahme von Elternfunktionen etc.) sein, während die Entwicklung des älteren Kindes möglicherweise durch das jüngere (z. B. durch Einschränkung der Kontakte mit gleichaltrigen Peers) gehemmt werden kann. Lässt man dies außer Acht, könnte es zu „Überforderungen auf der Geschwisterebene“ (Peschel-Gutzeit, 2003) kommen oder ein Kind könnte innerhalb des familiären Systems funktionalisiert werden. Die Beurteilung der Geschwisterbeziehung darf jedoch nicht ausschließlich unter dem Aspekt der Trennung der Eltern gesehen werden. Es gilt zu unterscheiden zwischen dem gesamten bisherigen Verlauf der Geschwisterbeziehung und eventuellen, trennungsbedingten Veränderungen. Müller (2002) berichtet, dass 75 % der Eltern bei einer Nachbefragung ca. 3 ½ Jahre nach der Scheidung angaben, dass es für ihre Kinder gut gewesen sei, in der Trennungssituation ein Geschwisterkind zu haben. Die Eltern beschrieben - unabhängig von einer Aufteilung der Geschwister - eine Verschlechterung der Beziehungen der uj 10 (2010) 409 trennungskinder - scheidungskinder Kinder vor der Trennung bis nach der Scheidung. Zum Zeitpunkt der Katamneseerhebung hatten sich die Beziehungen wieder gebessert. Zu berücksichtigen ist in dem Zusammenhang jedoch, dass konflikthafte Geschwisterbeziehungen in der mittleren Kindheit zu einem gehäuften Auftreten von Anpassungsproblemen in der Adoleszenz und im frühen Erwachsenenalter, zu Devianz, Delinquenz und anderen Störungen führen können (vgl. Finkelhor 2006). Nicht zuletzt aus diesem Grund ist auch eine Einschätzung der zukünftigen Geschwisterbeziehungen zu versuchen, da sich diese nicht nur im Laufe des Trennungs- und Scheidungsprozesses verändern, sondern auch durch entwicklungspsychologische Prozesse. Zu berücksichtigen sind hier nicht nur Alter und Persönlichkeit der Geschwister, sondern gegebenenfalls auch unterschiedliche Äußerungen von ihnen im Laufe des Trennungsprozesses. Das System Familie Geschwister und ihre Beziehungen dürfen nicht isoliert betrachtet werden, sie sind Teil des familiären Systems. Auch hier spielen strukturelle Parameter eine Rolle. Zum Beispiel die Familiengröße und -zusammensetzung, die Geschwisterschaftsgröße, der Altersabstand und die Geschlechtsproportion. • Zunächst lässt sich konstatieren, dass der Prozentsatz der Trennungen von Geschwistern mit deren Anzahl zunimmt. Er betrug in der Untersuchung von Müller (2002) bei Zwei-Kind-Familien 16 %, in Familien mit 3 und mehr Kindern 25 %. • Bekannt ist, dass die Anzahl der Geschwister das elterliche Erziehungsverhalten beeinflusst und sich daraus Unterschiede in der Persönlichkeits- und Sozialentwicklung ergeben. Auch die relative Geschwisterposition hat einen Einfluss auf Dimensionen wie Sozialverhalten, Intelligenz und Kompetenz in der Familie (vgl. Furman/ Burmester 1985). • Es gibt auch Effekte, die von der Geschwisterbeziehung auf das familiäre System bzw. den Einzelnen Einfluss nehmen und als sogenannte indirekte oder 2.-Klasse-Effekte wieder auf die Geschwisterbeziehung zurückwirken (vgl. Brody 1998). • Schließlich ist aus der Forschung bekannt, dass Eltern ihre Kinder unterschiedlich erziehen bzw. dass Kinder in der gleichen Familie durchaus unterschiedliche Erfahrungen machen. Man spricht hier vom „nonshared environment“ (vgl. Pike 2006). Kinder nehmen diese Unterschiede bereits in frühem Alter selbst wahr, und diese haben einen Einfluss auf die spätere soziale und emotionale Entwicklung, im Besonderen auf die Kognition, die Persönlichkeit und auch die Psychopathologie. Zusammenfassung und konkrete Schlussfolgerungen Trennungen und Scheidungen sind heute weit verbreitet und werden als Prozesse mit verschiedenen Phasen verstanden, die mit Risiken, aber auch mit Chancen verbunden sind. Auch Geschwisterbeziehungen sind keine konstanten Größen, sondern verändern sich im Laufe des Lebens. Es wäre daher verkürzt und unzulässig, Trennung/ Scheidung als ein singuläres Ereignis (im Sinne einer unabhängigen Variablen) zu verstehen, das auf eine wie auch immer geartete Geschwisterbeziehung (abhängige Variable) trifft. Der Hypothese, dass sich der elterliche Konflikt auf die Geschwister überträgt - „Parent-Sibling- Congruity-Approach“ (vgl. Conger/ Con- 410 uj 10 (2010) trennungskinder - scheidungskinder ger 1996) -, steht die Annahme gegenüber, dass Geschwister in dieser Phase eher stabilisierend und kompensierend wirken („Sibling-Compensation-Approach“). Es ist beim jetzigen Stand der Forschung nicht möglich zu entscheiden, welches Modell „richtig“ ist bzw. bei welcher Konstellation welches Modell gilt. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass diese Frage allgemein nicht zu beantworten ist, sondern nur unter Berücksichtigung von Kontextvariablen struktureller und funktioneller Art, die den Einzelfall kennzeichnen. Wenn bereits die Frage, ob eine Trennung der Eltern zu einer Stabilisierung oder Destabilisierung der Geschwisterbeziehung führt, nicht generell beantwortet werden kann, sind auch weitergehende Fragen, wie beispielsweise ob Geschwister in diesem Fall hilfreich oder hinderlich sind, bzw. die allgemeine Frage, ob bei einer Trennung der Eltern auch eine Trennung der Geschwister erfolgen sollte, nicht allgemein verbindlich zu beantworten. Punktuell kann jedoch Folgendes festgestellt werden: 1. Geschwister bieten einen gewissen Schutz vor einer Scheidung. Je mehr Kinder in einer Familie leben, desto unwahrscheinlicher sind Scheidungen: Differenziert man die Ehescheidungen nach der Zahl der minderjährigen Kinder, so lebt in über der Hälfte der Familien ein Kind, in einem Drittel der Familien finden sich zwei, in knapp 10 % drei oder mehr Kinder. 2. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder im Fall einer Scheidung getrennt werden, nimmt mit der Familiengröße zu. Sie beträgt 16 % in Familien mit 2 Kindern, 25 % in Familien mit 3 oder mehr Kindern. 3. Der Aspekt der „Individualgerechtigkeit“ ist stärker zu berücksichtigen als in der Vergangenheit geschehen. Dies bedeutet, dass die Geschwisterbeziehung nicht global, sondern individuell für jedes Kind einzeln gewürdigt werden muss. Die JuristInnen sprechen hier von Individualgerechtigkeit. 4. Die über Jahre hinweg gültige „Regel, dass Geschwister nicht getrennt werden sollen“ (Lempp 1983, 125), wird zunehmend kritisch hinterfragt. Während man früher von diesem Leitsatz ausgegangen ist und Ausnahmetatbestände formuliert hat, wird jetzt versucht, jedes Kind in seinen vielfältigen Beziehungen zu sehen und eine an seinem individuellen Wohl orientierte Entscheidung zu treffen. Dies geschieht auch vor dem Hintergrund von Forschungsergebnissen, die erbracht haben, dass Geschwister einesteils elterliche Auseinandersetzungen kompensieren können, anderenteils aber diese übernehmen können (konflikthafte Geschwisterbeziehungen), was sich auf ihre weitere Entwicklung (insbesondere bei Jungen) negativ auswirken und zu negativen Anpassungsleistungen führen kann. 5. Der Geschwisterbeziehung selbst kommt ein bestimmter, jedoch nur begrenzter Stellenwert zu. Die im alten Recht erwähnte „Bindung ... an die Geschwister“ (§1671 Abs. 2 BGB a.F.) findet sich in der neuen Fassung des §1671 Abs. 2 BGB nicht mehr. Hier heißt es, dem Antrag eines Elternteils auf Übertragung der elterlichen Sorge ist stattzugeben, „soweit 1. der andere Elternteil zustimmt, es sei denn, dass das Kind das vierzehnte Lebensjahr vollendet hat und der Übertragung widerspricht, oder 2. zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht“. uj 10 (2010) 411 trennungskinder - scheidungskinder Ungeachtet dessen spielen Beziehungsaspekte bei der Beurteilung des Kindeswohls eine wichtige Rolle. Sie stellen jedoch nur eines von mehreren Beurteilungskriterien dar. So stellt Salzgeber (2005, 295) beispielsweise zu Recht fest: „Eltern-Kind-Beziehungen sind gewichtiger zu bewerten als die Geschwisterbeziehungen.“ Zusätzlich sind noch weitere Faktoren, die in den einzelnen Kriterien des Kindeswohls benannt sind, von Bedeutung. Dies gilt beispielsweise für den Willen eines jeden Kindes oder seine Bindungen, insbesondere an seine Eltern, aber auch seine Neigungen und Beziehungen. Weiter zu berücksichtigen ist die Persönlichkeit der Eltern, ihre Erziehungsfähigkeit sowie ihr Wohlverhalten bzw. ihre Bindungstoleranz. Aber auch äußere Faktoren spielen eine Rolle. So zum Beispiel die Möglichkeiten der Betreuung und Versorgung von Kindern, die Wohnsituation und die Kontinuität und Stabilität der kindlichen Lebensbedingungen einschließlich ihrer außerfamiliären Beziehungen. 6. Eine Aufteilung bzw. ein Zusammenbleiben der Geschwister besagt jedoch noch nichts über die zugrunde liegende Dynamik. Eine Trennung „kann eine Funktionalisierung der Kinder im Elternkonflikt darstellen und den Kindesinteressen entgegenstehen“ (Dettenborn/ Walter 2002, 165). Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn Eltern diese Regelung praktizieren, um durch die Kinder emotionale Stütze und Halt zu erfahren. Sie kann aber durchaus auch im Sinne des Kindeswohls sein, wenn die Kinder unterschiedliche Entwicklungschancen bei den Elternteilen für sich sehen oder eine Verbesserung des familiären Klimas bzw. eine Abnahme elterlicher oder auch geschwisterlicher Auseinandersetzungen zu erwarten ist. Vergleichbares gilt für ein Zusammenbleiben der Kinder. Bei hochkonflikthaften Beziehungen mit den sich daraus ergebenden Anpassungsproblemen ist dieses Zusammenbleiben nicht im Sinne des Kindeswohls, ebenso wenig aufgrund von alleinigem Desinteresse eines Elternteils. Jedoch kann ein Zusammenbleiben durchaus im Sinne der Kinder sein, wenn sie sich gegenseitig Halt und Unterstützung in einer schwierigen Situation geben können. 7. Ganz pragmatisch gesehen spielen im unmittelbaren Umfeld einer Trennung, insbesondere dann, wenn sie rasch und abrupt erfolgt, häufig auch praktische Überlegungen eine Rolle und entscheiden mit darüber, wo die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt bekommen. Manchmal ist bis zur Anhörung vor dem Gericht schon ein Modus vivendi gefunden, und der Alltag hat sich eingespielt. JuristInnen sprechen in diesen Fällen auch von der normativen Kraft des Faktischen. 8. Als konkrete Empfehlung, die es im Einzelfall jedoch zu prüfen gilt, kann festgehalten werden: Bei kleinen und unauffälligen Kindern mit einem geringen Altersabstand und nur wenigen Geschwistern erscheint ein Zusammenbleiben sinnvoller. Dies gilt besonders dann, wenn sich unter den Geschwistern eine Schwester befindet. Abschließend lässt sich feststellen, dass es beim jetzigen Forschungsstand kein konzeptionelles Modell der Entwicklung von Geschwisterbeziehungen im Kontext von Trennungs- und Scheidungsfamilien gibt. Eine weitergehende Forschung wäre angesichts der Häufigkeit solcher familiären Entwicklungen wünschenswert. 412 uj 10 (2010) trennungskinder - scheidungskinder Literatur Arntzen, F., 2 1994: Elterliche Sorge und Umgang mit Kindern. München Bindel-Kögel, G., 2009: Gemeinsam oder getrennt? Erste Ergebnisse einer Online-Befragung von Jugendämtern zur außerfamiliären Unterbringung von Geschwisterkindern. München Brody, G. H., 1998: Sibling relationship quality: Its causes and consequences. In: Annual Review of Psychology, 49, S. 1 - 24 Cicirelli, V. G., 1994: The longest bond: The sibling life cycle. In: L’Abate, L. (Hrsg.): Handbook of Developmental family psychology and psychopathology. New York, S. 44 - 59 Coester, M., 1983: Das Kindeswohl als Rechtsbegriff. Arbeiten zur Rechtsvergleichung. Frankfurt am Main Conger, R. D./ Conger, K. J., 1996: Sibling relationships. In: Simons, R. L. u. a. (Hrsg.): Understanding differences between divorced and intact families: Stress, interaction, and child outcome. Thousand Oaks, S. 104 - 121 Dettenborn, H./ Walter, E., 2002: Familienrechtspsychologie. München Emmerling, D., 1999: Statistisches Bundesamt. 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