unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Begleiteter Umgang als Unterstützungsmaßnahme der Jugendhilfe
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Ibrahim Obeidi
Der Begleitete Umgang ist eine rechtlich kodifizierte und in der Regel zeitlich befristete Unterstützungsmaßnahme der Jugendhilfe. Sie richtet sich an Kinder und Jugendliche, die nach einer Trennung oder Scheidung weiterhin die Beziehung und Bindung zu beiden Eltern pflegen wollen, dies aber aus eigenen Ressourcen nicht vermögen. Begleiteter Umgang findet auch dann statt, wenn eine Gefährdung des Kindeswohls während der Umgangskontakte nicht ausgeschlossen werden kann. Begleiteter Umgang orientiert sich primär am Wohle des Kindes bzw. Jugendlichen und dient der vorrangigen Wahrung ihrer Interessen und Bedürfnisse gegenüber den Interessen aller anderen Beteiligten, soweit der Kindeswille mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Begleiteter Umgang wird u. a. von familie e.V., Berlin, angeboten. Ibrahim Obeidi ist hier seit mehreren Jahren im Begleiteten Umgang tätig.
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uj 10 (2010) 417 Unsere Jugend, 62. Jg., S. 417 -420 (2010) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel trennungskinder - scheidungskinder Begleiteter Umgang als Unterstützungsmaßnahme der Jugendhilfe Interview mit Ibrahim Obeidi Der Begleitete Umgang ist eine rechtlich kodifizierte und in der Regel zeitlich befristete Unterstützungsmaßnahme der Jugendhilfe. Sie richtet sich an Kinder und Jugendliche, die nach einer Trennung oder Scheidung weiterhin die Beziehung und Bindung zu beiden Eltern pflegen wollen, dies aber aus eigenen Ressourcen nicht vermögen. Begleiteter Umgang findet auch dann statt, wenn eine Gefährdung des Kindeswohls während der Umgangskontakte nicht ausgeschlossen werden kann. Begleiteter Umgang orientiert sich primär am Wohle des Kindes bzw. Jugendlichen und dient der vorrangigen Wahrung ihrer Interessen und Bedürfnisse gegenüber den Interessen aller anderen Beteiligten, soweit der Kindeswille mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Begleiteter Umgang wird u. a. von familie e.V., Berlin, angeboten. Ibrahim Obeidi ist hier seit mehreren Jahren im Begleiteten Umgang tätig. Welche Familienkonstellationen machen einen Begleiteten Umgang notwendig? Da sind zum Beispiel der Verdacht auf häusliche Gewalt oder der Verdacht auf sexuellen Missbrauch. Auch eine hochstrittige Eltern- oder Paarbeziehung kann einen Begleiteten Umgang notwendig machen. Das sind dann Fälle, in denen seit Jahren hochstrittige, mittlerweile eskalierende Situationen in der Familie vorliegen, die von Trennung und Wiederversöhnungsversuchen geprägt sind, die jedoch letztlich gescheitert sind. Jeder macht den anderen für das Scheitern des familiären Lebens und der gemeinsamen Lebensplanung, für das Ende des Glückes und des gemeinsamen Traumes verantwortlich. Und jeder gibt dem anderen die Schuld für das Scheitern und für die Verletzungen, die man erlitten hat. In der Konsequenz will jeder den anderen aufs Schärfste bekämpfen. In einer solchen Situation können die Eltern nicht mehr über ihre Kinder kommunizieren. Der Kontakt zu den Kindern wird als Druckmittel eingesetzt, um den anderen zu demütigen, zu verletzen und um zu zeigen, dass man am stärkeren Hebel sitzt. In solchen hochstrittigen Situationen agieren die Eltern nicht mehr auf der Erwachsenenebene, sondern auf einer kindlichen Ebene. Wie sieht dann der Begleitete Umgang aus? Ein Begleiteter Umgang umfasst verschiedene Phasen: Vorphase oder Vorbereitungsphase, dann die eigentliche Durchführungsphase des Begleiteten Umgangs und die Abschlussphase. Ibrahim Obeidi Jg. 1971; Dipl.-Pädagoge, arbeitet in der Jugendhilfe und macht die Ausbildung zum Kinder- und Jugendpsychotherapeuten 418 uj 10 (2010) trennungskinder - scheidungskinder Wir gestalten zunächst also eine Vorphase ohne Umgänge. In dieser Phase geht es um das Eruieren, um das Sammeln von Informationen, z. B.: Welche zentralen Konflikte bestehen? Auf welcher Eskalationsebene befinden sich die Eltern? Wer nimmt welche Rolle in dem System Familie ein? Wer will was von dem anderen? In dieser Phase werden getrennt geführte Vorbereitungsgespräche mit allen Beteiligten einschließlich der Kinder geführt. Die Vorphase kann je nach Eskalationsstufe einige Zeit in Anspruch nehmen, in manchen Fällen bis zu drei Monaten, bevor man mit dem Begleiteten Umgang beginnt. Was geschieht nach der Vorbereitungsphase? Die konkrete Umgangsform wird in der Vorphase zwischen Eltern und Umgangsbegleiter festgesetzt. Es werden Abmachungen getroffen, die das jeweilige Setting des Begleiteten Umgangs bestimmen - Häufigkeit, Dauer, Form, Übergabemodalitäten, Raum etc. In der Durchführungsphase geht es dann um die Wiederherstellung und Durchführung der Umgangskontakte, auch mit dem Ziel der Anbahnung oder Wiederherstellung der Kommunikation zwischen Umgangsgewährenden und Umgangssuchenden zur konstruktiven Ausübung ihrer Erziehungsverantwortung. Ziele der Abschlussphase sind die Erarbeitung einer tragfähigen Umgangsvereinbarung und die Überleitung in einen unbegleiteten Umgang. Man unterscheidet ja zwischen drei Formen des Begleiteten Umgangs: unterstützendem Umgang, begleitetem Umgang im engeren Sinne und beaufsichtigtem Umgang. Wenn in der Vorphase der Umgang als beaufsichtigter Umgang festgelegt wird, dann findet er nur in den Trägerräumen statt. Die Interaktionen des umgangssuchenden Elternteils - das ist im Regelfall der Vater - werden durch den Umgangsbegleiter lückenlos beaufsichtigt; es gibt keine unbegleiteten Umgangskontakte. Beaufsichtigter Umgang ist die intensivste und am stärksten überwachte Form der Umgangsbegleitung, da in diesen Fällen eine direkte Gefährdung des Kindes durch den Umgangssuchenden nicht ausgeschlossen werden kann. Aber die Übergänge zwischen den drei Formen sind fließend und können im Verlauf der Entscheidungs- und Hilfeprozesse wechseln. So kann man beispielsweise vom beaufsichtigten zum begleiteten Umgang im engeren Sinne übergehen, wenn man merkt, dass der Umgang sich für alle Beteiligten gut entwickelt. Das kann dann z. B. so aussehen: Ich sitze hier im Raum, der Vater ist in der Küche und kocht dort mit seinen Kindern. Ich beaufsichtige die Interaktionen nicht mehr lückenlos, aber Vater und Kinder können mich jederzeit dazuholen, wenn sie es wünschen oder für nötig halten. Die Verfügbarkeit bzw. Erreichbarkeit der Umgangsbegleitung bleibt notwendig, im Gegensatz zum unterstützenden Umgang: Hier ist eine ständige Anwesenheit der Umgangsbegleitung aufgrund der minimalen Risikobelastung für das Kind nicht geboten. Eine ständige Verfügbarkeit des Umgangsbegleiters während der Umgangskontakte, z. B. bei der Übergabe, ist nicht notwendig. Unterstützender Umgang ist die schwächste und am wenigsten überwachte Form der Umgangsbegleitung. Was passiert während des Begleiteten Umgangs jenseits der Umgangskontakte? Die flankierenden Elterngespräche nehmen eine wichtige Rolle ein. Ich führe mit beiden Elternteilen Beratungsgespräche - zuerst getrennt, aber es geht auch darum, gemeinsame Elterngespräche anzubahnen. uj 10 (2010) 419 trennungskinder - scheidungskinder Die Elterngespräche dienen dazu, die Umgänge auszuwerten und allen Beteiligten ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln, im Sinne von: Den Kindern geht es gut, wenn sie beim Vater sind; die Mutter braucht keine Angst zu haben, dass der Vater einen möglichen negativen Einfluss ausübt. Weiterhin geht es darum, dem umgangssuchenden Elternteil ein Feedback zu geben und seine Interaktionen zu optimieren, also Hinweise zu vermitteln, wie er in einer bestimmten Situation auch anders hätte agieren können. Dann werden natürlich Gespräche mit den Kindern geführt, vor und nach jedem Umgang. Der Umgangskontakt wird im Gespräch mit den Kindern vorbereitet, ich gucke, wie geht es ihnen, was beschäftigt sie, wie ist ihre aktuelle Befindlichkeit. Je nach Alter gibt es Methoden, wie ich im Gespräch herausfinde, wie das Kind den Umgang erlebt hat, sodass ich mir einen Eindruck verschaffen kann, ob der Umgang für das Kind in Ordnung war. In diesen Gesprächen kläre ich mit den Kindern auch, ob beispielsweise die Dauer des Umgangs richtig ist, ob die Zahl der Umgangskontakte den Wünschen des Kindes entspricht etc. Wie geht man im Begleiteten Umgang mit familiärer Gewalt um? Die Gewalt in der Familie können wir im Rahmen des begleiteten Umgangs nicht bearbeiten, das muss im Rahmen anderer Angebote geschehen. Ich prüfe natürlich, ob sich die Gewaltausübung auch auf die Kinder bezogen hat. Ist das nicht der Fall, dann ist es ein zentrales Anliegen, dass beim Begleiteten Umgang die Mutter vor der Gewalt durch den Vater geschützt wird. Das bedeutet z. B.: nur getrennte Gespräche mit den Eltern, Übergabe nur durch den Umgangsbegleiter, ohne Kontakt zwischen Mutter und Vater. Nach ungefähr einem halben Jahr entspannt sich die Situation in vielen Fällen etwas, dann strebe ich an, Regelungen mit beiden Elternteilen zu erarbeiten. So bespreche ich mit dem Vater Ausschlusskriterien für den Begleiteten Umgang und mache ihm klar, wenn er dagegen verstößt, z. B. körperliche oder verbale Gewalt gegenüber der Mutter ausübt, dann ist es mit dem Begleiteten Umgang erst einmal für längere Zeit vorbei. Ich erlebe oft, dass eine deutliche Ansage Wirkung zeigt, in vielen Fällen hat der Mann sich und sein Verhalten dann im Griff. Was geschieht, wenn der Vater das Kind sehen will, aber das Kind dies ablehnt? Das kommt auf das Alter des Kindes an. Bei jüngeren Kindern, unter 12, wird dem Kind diese wichtige Entscheidung nicht alleine überlassen. Meine Aufgabe ist es zu sehen, ob das Kind sich in seiner Ablehnung auf eigene erlebte Erfahrungen stützt oder nicht und wie diese eigenen Erfahrungen zu der Umgangsverweigerung im Verhältnis stehen. Wenn ich den Eindruck habe, dass dies Verhältnis nicht stimmt, dann spreche ich auch mit der Mutter über ihren möglichen Anteil an der Umgangsverweigerung des Kindes. Lehnt das Kind aufgrund eigener traumatisierender Erfahrungen den Umgang ab, bahne ich keinen Begleiteten Umgang an, hier sind andere Hilfen notwendig, z. B. therapeutischer Art. Wichtig für den Begleiteten Umgang ist allerdings, dass beide Elternteile mitmachen. Wenn einer sich weigert, hat es keinen Sinn. Für meine Arbeit benötige ich einen klaren Rahmen, und wenn ich den Eindruck habe, ein Elternteil vereitelt den Begleiteten Umgang oder verzögert ihn, dann mache ich das auch deutlich. Notfalls muss das Gericht eine klare Anordnung erteilen. 420 uj 10 (2010) trennungskinder - scheidungskinder Wie lange dauert im Schnitt ein Begleiteter Umgang? Das ist sehr unterschiedlich. Mindestens drei Monate und - je nach Eskalationsstufe - bis zum elften, zwölften Lebensjahr des Kindes. Das sind allerdings Ausnahmefälle, die finanzielle Lage der Jugendämter lässt eine solche lange Dauer meist gar nicht zu. Hier besteht schon Druck, den Umgang so schnell wie möglich zu verselbstständigen. Meine Fälle dauern im Schnitt anderthalb Jahre. Wie verläuft dann der Übergang vom Begleiteten Umgang in einen unbegleiteten Umgang? Ganz entscheidend hierfür ist die Erarbeitung einer Umgangsvereinbarung, die den Rahmen für den weiteren Umgang setzt und bei der natürlich auch die Bedürfnisse und Wünsche der Kinder Beachtung finden. Diese Umgangsvereinbarung wird von allen Beteiligten unterschrieben und hat bindenden Charakter. Wenn man eine solche Umgangsvereinbarung erarbeiten kann, kann der Umgang meist unbegleitet fortgeführt werden, wenn nicht, ist die Wahrscheinlichkeit deutlich geringer. Häufig scheitert eine Umgangsvereinbarung nicht unbedingt an der Mitwirkung der Eltern, sondern an der fehlenden Einsicht. Viele Eltern bezweifeln, überhaupt eine Umgangsvereinbarung zu benötigen - die ja möglicherweise auch dem Familiengericht übersandt wird -, sie sehen sie als eine Einschränkung ihrer elterlichen Freiheit an. Worauf muss ein professioneller Umgangsbegleiter achten? Der Umgangsbegleiter muss gut eingearbeitet sein, er muss über beraterische Kompetenz verfügen, lösungsorientiert arbeiten und auch ein bisschen systemisch, er muss das ganze System im Blick haben. Und er sollte auch den Mut haben, wenn nötig als „Übervater“ zu fungieren: Wenn die Eltern in ihrer kindlichen Rolle verharren, dann sollte er bereit sein, die Richtung vorzugeben und zu sagen, so, da geht es lang, das sind die nächsten Schritte. Wichtig ist, sich zum Umgangsbegleiter fortzubilden. Häufig wird der Begleitete Umgang von Familienhelfern ausgeübt, denen nicht klar ist, dass sie als Umgangsbegleiter eine ganz andere Rolle bzw. Funktion haben. Sie bleiben in ihrer Rolle als Familienhelfer und sehen nicht, dass ein Umgangsbegleiter eine andere Haltung benötigt als ein Familienhelfer. Vielen Dank für das Interview! Das Interview führte Sabine Behn. Literatur Deutsche Standards zum begleiteten Umgang. Empfehlungen für die Praxis, 2008. Erarbeitet im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durch das Institut für Frühpädagogik. München Informationen zum Angebot des Begleiteten Umgangs bei familie e. V. siehe www.familie-ev.de Der Interviewpartner Ibrahim Obeidi obeydy@yahoo.de
