unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2010.art09d
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2010
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Soziale Arbeit im Internet - Chancen und Grenzen des Mediums in der Praxis
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2010
Jörg Warras
Es ist die Aufgabe der Sozialen Arbeit, Problemlagen, die gesellschaftlich und professionell als relevant angesehen werden, zu lösen oder die Problembeteiligten derart zu unterstützen, dass sie die Probleme eigenständig bewältigen können. Wichtige Bausteine sind dabei Fachwissen und eine klare, für die KlientInnen transparente und verständliche Kommunikation. Das Internet ist durch die technische Entwicklung heute mehr denn je in der Lage, Sozialtätige und Hilfesuchende zusammenzuführen.
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uj 3 (2010) 97 Sabine Behn Gabriele Bindel-Kögel editorial Liebe Leserinnen und Leser, dass das Internet unser aller Leben stärker verändert hat, als ursprünglich gedacht, ist mittlerweile ein Allgemeinplatz. Nicht verwunderlich ist auch, dass das Internet mit seinen Möglichkeiten der - oft anonymen - Online- Kommunikation neue Handlungsfelder im Bereich der Sozialen Arbeit eröffnet hat. So ist der Zugang zu Beratung und Erfahrungsaustausch im Internet meist niedrigschwelliger als in der Realität und erschließt von daher Wege zu neuen Zielgruppen, die bislang von den Angeboten Sozialer Arbeit nicht oder selten erreicht wurden. Diese Entwicklungen erfordern auch neue Kompetenzen und Reaktionsweisen auf Seiten der SozialpädagogInnen und -arbeiterInnen. Diese Ausgabe von „Unsere Jugend“ möchte einen Einblick geben, wie das Internet in verschiedenen Feldern der Sozialarbeit wirksam wird, welche Chancen der Einsatz moderner Kommunikationsmedien beinhaltet und wo seine Grenzen liegen. Jörg Warras liefert hierzu einen einführenden Artikel, Eleonora Ploil präsentiert eine Checkliste mit Qualitätskriterien für Netzangebote, darüber hinaus werden von Emily Engelhardt, Christina Sutara und Bernd Koeleman verschiedene Projekte mit den Schwerpunkten Beratung und Bildung vorgestellt. Wir hoffen, Anregungen zur weiteren Auseinandersetzung mit einem Bereich zu geben, der für viele PraktikerInnen noch immer ein unbekanntes Terrain darstellt, und freuen uns über Rückmeldungen unter schriftleitunguj@web.de. Ihre Sabine Behn und Gabriele Bindel-Kögel 98 uj 3 (2010) Unsere Jugend, 62. Jg., S. 98 - 105 (2010), DOI 10.2378/ uj2010.art09d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Soziale Arbeit im Internet - Chancen und Grenzen des Mediums in der Praxis Jörg Warras Es ist die Aufgabe der Sozialen Arbeit, Problemlagen, die gesellschaftlich und professionell als relevant angesehen werden, zu lösen oder die Problembeteiligten derart zu unterstützen, dass sie die Probleme eigenständig bewältigen können. Wichtige Bausteine sind dabei Fachwissen und eine klare, für die KlientInnen transparente und verständliche Kommunikation. Das Internet ist durch die technische Entwicklung heute mehr denn je in der Lage, Sozialtätige und Hilfesuchende zusammenzuführen. soziale arbeit im netz Die vielfältigen Kommunikationstechniken des Internets und des sogenannten Web 2.0 (s. u.) ermöglichen den Ratsuchenden eine niedrigschwellige Kontaktaufnahme und den Sozialtätigen einen Zugriff auf zahlreiche Informationsquellen. Seit jeher sammeln SozialarbeiterInnen die Informationen, die für ihre Arbeit relevant sind: Informationen über gesetzliche Regelungen, über Amtswege und institutionelle Strukturen, Wissen um politische und kommunale Abläufe, Kenntnisse über Maßnahmen und Antragswege und schließlich besonderes Wissen über soziale Probleme und Zugangswege von Zielgruppen. Für die Recherchen und Informationsbeschaffung bietet sich das Internet geradezu an.Handys und E-Mails sind heute ein fester Bestandteil in der Praxis von Sozialtätigen. Während diese Techniken jedoch nur eine erhöhte Mobilität oder Beschleunigung der „Zustellung“ bedeuten, bieten die Ideen des Web 2.0 ganz neue Möglichkeiten. Vor 10 Jahren wurden Informationen primär in Fachpublikationen, Arbeitsgruppen und -kreisen oder Fachveranstaltungen u. Ä. ausgetauscht. Heute reichen in den meisten Fällen ein paar Suchanfragen bei Google (einer der meist genutzten Suchmaschinen des Internet). Aus eigener Erfahrung weiß ich noch, wie schwierig es zum Beispiel war, Literatur zum Thema Internet und Sozialarbeit in den Universitätsbibliotheken zu finden. Die Ausbeute war sehr mager. Im Internet fanden sich jedoch relativ schnell einige Informationen in Form von Artikeln, Diplomarbeiten und Buchempfehlungen. Jörg Warras Jg. 1972; Diplom- Pädagoge, Angestellter der Stadt Bremerhaven in den Bereichen Medienpädagogik und Jugendschutz, Betreiber der Online Portale www.info-sozial.de und www.stellenmarktsozial.de uj 3 (2010) 99 soziale arbeit im netz Durch die rasante Verbreitung des Mediums in den letzten 10 Jahren hat die Schnelllebigkeit von Informationen noch mehr zugenommen. Nun geht es nicht mehr darum, überhaupt Informationen zu finden, sondern es erfordert ganz neue Kompetenzen, die Flut der Daten zu sortieren und für sich individuell die passenden Informationen herauszusuchen. Aber auch bei dieser Aufgabe helfen neue Webangebote. Web-2.0-Angebote wie Blogs, Wikis, Social Bookmarking, Community Plattformen und andere social software finden nicht nur einen Platz im Handlungsfeld, um neue Informationen bereitzustellen; die neuen Techniken helfen, die Datenschwemme zu filtern und zu sortieren, um nicht den Überblick zu verlieren. Unter dem Schlagwort Web 2.0 werden Webangebote zusammengefasst, die sich von den althergebrachten statischen Webseiten unterscheiden. Diesen Unterschied soll die Versionsnummer 2.0 symbolisieren. Da es sich nicht wirklich um eine neue Version des Netzes handelt, ist der Begriff eher als Marketingbegriff zu verstehen. Klassische Webseiten waren statisch, nicht interaktiv, und es erforderte Technik- Know-how, um sie zu erstellen und ins Netz zu bringen. Vor 10 Jahren gab es demnach nur wenige WebautorInnen, da die technischen Barrieren relativ hoch waren. Bei Web-2.0-Angeboten greifen die NutzerInnen auf Content Management Systeme zurück, die eine Onlineeingabe von Artikeln, aber auch das Bearbeiten durch mehrere Personen erlauben. Weblogs (öffentliche Tagebücher oder Journale), kurz Blogs, sind ein gutes Beispiel für diese Art der Webangebote. Unter www. wordpress.com oder www.blogger.com können solche Blogs sofort gestartet werden, ohne dass man sich um die Technik kümmern muss. Was zählt, ist der Inhalt. Das Web 2.0 wird daher auch oft als „Mitmach-Web“ beschrieben. Ein gutes Beispiel dafür ist Wikipedia. Die Seite stellt lediglich die technische Plattform. Die NutzerInnen können gemeinsam Artikel bearbeiten, über die Artikel diskutieren. Ein weiterer Aspekt des „neuen“ Web ist die Interaktivität. BloggerInnen können Beiträge kommentieren oder wieder im eigenen Blog verlinken. So findet eine dynamische Vernetzung statt, die es bei statischen Webangeboten nicht gab. Die Daten sind auch nicht mehr auf eine bestimmte Seite oder ein einzelnes Webangebot beschränkt. Mit Feeds beispielsweise können Inhalte von verschiedenen Seiten gebündelt oder einfach von einer anderen Seite importiert werden. Bei technischen Plattformen, die von sehr vielen Menschen genutzt werden, ist es wichtig, die Daten zu kategorisieren. Hierfür hat sich der Einsatz von Schlagworten (sogenannten Tags) bewährt. Bei Social Bookmark Angeboten, d. h. bei „Internet-Lesezeichen“, die im Netz von verschiedenen BenutzerInnen durch gemeinschaftliches Indexieren erschlossen werden, wie z. B. www.del.ici.us oder www.mister-wong.de, können alle Bookmarks mit Tags (Schlagworten) versehen werden. Ein Klick auf die Tags zeigt Links von anderen NutzerInnen an, die das gleiche Tag verwendet haben. Der Inhalt wird also nach Begriffen sortiert und nicht wie früher nach statischen Kategorien, die von Webseitenbetreibern gewählt wurden. Sozialtätige können so durch die Wahl einiger Schlagworte eine Fülle von Informationen erhalten, die von anderen NutzerInnen gesammelt wurden. Die Tags gibt es auch bei den Blogs oder anderen Web-2.0- Angeboten. Um auch die verschiedenen Plattformen weiter zu öffnen, werden Schnittstellen entwickelt (z. B. OpenSocial von Google), um die Daten der Plattformen miteinander zu verbinden. Ein wichtiger Aspekt für die Arbeit mit dem Web ist die Verlässlichkeit der Daten im Internet. Jeder wird diese Erfahrung 100 uj 3 (2010) soziale arbeit im netz schon einmal gemacht haben: Ein interessanter Artikel ist nach einiger Zeit nicht mehr im Internet auffindbar, weil der Autor eventuell den Server gewechselt hat, bei einem neuen Arbeitgeber arbeitet, sich doch entschlossen hat, die Arbeit als Buch zu veröffentlichen oder bloß das Interesse verloren hat, sich „darum“ zu kümmern. Während in der Präventionsarbeit Jugendliche stets darauf hingewiesen werden, dass die Regel „einmal im Internet, immer im Internet“ für ihre teils peinlichen Bilder, Videos oder Aussagen gilt, scheint diese Regel für Fachinformationen nicht zu gelten. Die althergebrachte Lösung für dieses Dilemma heißt dann leider wieder ausdrucken. Verlässlichkeit bedeutet aber auch, dass die Informationen auf ihre Richtigkeit überprüft werden müssen. Jede/ r kann AutorIn im Internet werden, aber nicht jede/ r ist qualifiziert, dies zu tun. Frei nach Aschenputtel müssen Sozialtätige also selektieren können: „die Guten ins Köpfchen, die Schlechten ins (Papierkorb-) Töpfchen“. M eine ersten Versuche, das Medium Internet mit dem Studium der Diplom-Pädagogik zu verknüpfen, begannen 1998 mit der Fragestellung „Soziale Arbeit im Internet - was ist das, wie sehen entsprechende Angebote aus und ist das überhaupt Soziale Arbeit? “ Die Idee entstand während eines Praktikums, bei dem ich unter anderem eine Webseite für ein Fortbildungsprogramm erstellt hatte, was zu dieser Zeit noch eher unüblich war, da nur wenige Menschen außerhalb von Universitäten Zugang zum Medium hatten und sich derartige „Werbung“ aufgrund der kleinen Zielgruppe nicht wirklich lohnte. Inspiriert von dieser Aufgabe beschloss ich nach meinem Praktikum, eine eigene Webseite zum Thema Sozialarbeit zu erstellen, um die Erfahrungen später in einer Diplomarbeit auswerten zu können. Die zentralen Fragestellungen der Diplomarbeit sollten sein: Welche Chancen beinhaltet der Einsatz moderner Kommunikationsmedien in der Sozialen Arbeit und wo ist ihr Einsatz limitiert? Heute stellt sich die Frage nach dem „ob“ gar nicht mehr, sondern die Frage lautet „wie? “ Auch 1998 gab es schon einige Webseiten mit sozialen Themen, obwohl es die Zeit vor dem großen Internetboom um die Jahrtausendwende war. Ihre Reichweite war jedoch durch die geringe Verbreitung des Internets beschränkt. Die Daten für die ARD/ ZDF-Online-Studie „Der Internetnutzer 2009 - multimedial und total vernetzt? “ aus dem Jahre 2009 belegen, dass 2009 67,1 % der bundesdeutschen Bevölkerung gelegentlich oder regelmäßig im Internet surften. Im Jahre 1998 waren es jedoch nur 10,4 % der Gesamtbevölkerung. Zugang zum Medium hatten 1998 primär StudentInnen oder Berufstätige. „Wurde noch 1997 die Klientel des Internets nahezu umfassend beschrieben durch die Attribute männlich, hochgebildet, 20 bis 39 Jahre alt, findet das Internet heute in Schichten Anwendung, die noch vor wenigen Jahren eine Minderheit unter den Nutzern dieses Mediums stellten“ (Eimeren/ Gerhard/ Frees 2001, 383). Während 1997 nur 3,3 % der Frauen das Internet nutzten, sind es 2009 schon 60,1 %. Die Verbreitung ist bei den Frauen somit nahezu um das Neunzehnfache gestiegen (Eimeren/ Frees 2009, 336). Weiter stellte die neuste JIM- Studie (2008) fest, dass erstmals mehr eigene Computer als Fernsehgeräte bei Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren im Zimmer stehen. Die JIM-Studie stellt auch in der Altersgruppe 18 - 19 Jahre eine Verbreitung des Mediums von 99 % fest. Laut (N)ONLINER Atlas 2009 ist der Onliner-Anteil in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr um vier Prozentpunkte auf 69,1 % deutlich gestiegen und weist damit die zweithöchste Steigerungsrate der uj 3 (2010) 101 soziale arbeit im netz letzten sechs Jahre auf. Gleichzeitig ist der Offliner-Anteil um 3,3 Prozentpunkte auf 26,6 % gesunken. Der (N)ONLINER Atlas 2009 ist eine Studie der Initiative D21, die bereits zum neunten Mal von TNS Infratest durchgeführt wurde. Der Anteil der Offliner - Personen, die das Medium Internet gar nicht nutzen - ist laut (N)ON- LINER Atlas 2009 auch mit 26,6 % immer noch sehr hoch. Offliner sind eher in höheren Altersgruppen verbreitet, da hier vermehrt Menschen zu finden sind, die in ihrem Arbeits- oder Privatleben nicht in Kontakt mit dem Internet gekommen sind. Ihr Anteil wird perspektivisch jedoch abnehmen, da die 99 % Internet nutzenden 18-Jährigen in 20 oder 30 Jahren vermutlich nicht auf dieses Medium verzichten werden. Obwohl nahezu ein Viertel der Bevölkerung das Medium nicht nutzt, scheint es dennoch heute zum ersten Mal möglich, alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen zu erreichen. I m Rahmen meiner Diplomarbeit wollte ich eine wichtige Frage klären: Ist virtuelle Hilfe überhaupt Soziale Arbeit? Zur Klärung dieser Frage habe ich die Sozialarbeitsdefinition von Peter Lüssi betrachtet. Lüssis Definition weist einen Aspekt auf, der speziell im Kontext dieses Themas wichtig ist: die Sprache als zentrales Mittel der Sozialarbeit. Für Lüssi ist Sozialarbeit ein Kommunikationsberuf und die Sprache das sozialarbeiterische Kommunikationsmittel (vgl. Lüssi 2001, 182). Eine ebenso zentrale Rolle spielt die Sprache natürlich auch im Kommunikationsmedium Internet. Die vier Funktionen der Sozialarbeit in Lüssis Theorie sind: die vermittelnde, die ausgleichende, die schützende und die verhaltensbeeinflussende Funktion. Durch die räumliche Trennung der KommunikationspartnerInnen ist die schützende Funktion der Sozialarbeit im Internet nicht leistbar. Schwierig wird es auch bei der Umsetzung der ausgleichenden Funktion. Dies ist aber in Zeiten von virtuellen Bürgerämtern und Stadtverwaltungen nicht ganz unvorstellbar. Sollte es künftig möglich sein, bei Ämtern online mehr als nur die Lohnsteuerkarte zu beantragen oder den neuen Wohnsitz zu melden, dann wären bestimmte kompensatorische Leistungen, wie z. B. die Beantragung finanzieller Mittel o. Ä., vorstellbar. Dies könnte stellvertretend durch die SozialarbeiterInnen erledigt werden, jedoch auch - nach der Vermittlung von Medienkompetenzen - von der betroffenen Person selbst. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist dies jedoch noch nicht möglich. Die vermittelnde Funktion ist leistbar, sofern für die Vermittlung keine Handlung vor Ort oder persönlicher Kontakt zwischen den Problembeteiligten erforderlich ist. Eine Vermittlung zwischen Streitparteien, z. B. PartnerInnen einer Beziehung o. Ä., ist technisch machbar, da z. B. Messengerprogramme oder Chaträume eine Kommunikation auch mit mehreren Beteiligten gleichzeitig ermöglichen. Vermittlungen zwischen Behörden und KlientInnen sind auf diese Weise noch nicht möglich, da diese Vermittlungen die Anwesenheit der Problembeteiligten erfordern. Ähnliches trifft auf die virtuelle Vermittlung im Täter- Opfer-Ausgleich zu, da bei dieser Vermittlung die Konfrontation der Problembeteiligten Teil des Programms ist. Einzig die verhaltensbeeinflussende Funktion kann ohne Einschränkungen im Internet umgesetzt werden. Aufgabe dieser Funktion ist, die Problembeteiligten zu einem Verhalten zu bewegen, das die Problemlösung fördert. Da diese Beratung in der Praxis ebenfalls durch Kommunikation und Kommunikationsmittel geleistet wird, ist eine Übertragung auf das Medium Internet unproblematisch. Ein anderes Medium, das beispielsweise zu diesem 102 uj 3 (2010) soziale arbeit im netz Zweck genutzt wird, ist das Telefon, und das entsprechende Beratungsangebot die Telefonseelsorge. Die Beratung ist also eine Handlungsart der Sozialen Arbeit, die auch virtuell geleistet werden kann. Lüssi sieht es jedoch als problematisch an, dass „den Sozialarbeitsklienten in aller Regel die nötige schriftliche Ausdrucksfähigkeit“ (Lüssi 2001, 186) fehlt. Das Internet bietet mit seinen verschiedenen Diensten zahlreiche Möglichkeiten, mit Ratsuchenden zu kommunizieren. Damit SozialarbeiterInnen, die in Form von Onlineberatung im Internet mit Ratsuchenden kommunizieren, dies leisten können, müssen sie über eine besondere Medienkompetenz verfügen, um die Ratsuchenden nicht misszuverstehen. Lüssi nennt speziell die Verstehenskapazität und die Sprachflexibilität als notwendige Kompetenzen der SozialarbeiterInnen. In Bezug auf das Medium Internet wird jedoch eine weitere Kompetenz benötigt. Diese besteht darin, die kommunikationstheoretischen und beziehungsrelevanten Besonderheiten des Internets zu kennen und diese auf die Onlinesozialarbeit anzuwenden. „Entscheidend für den Beratungserfolg im Netz wird es sein, wie gut sich die Beteiligten auf die Besonderheiten des Mediums einstellen können … und sich inhaltlich verständigen“ (Döring 2000, 530). Von den Ratsuchenden wird ebenfalls eine Medienkompetenz verlangt. Sie müssen zum einen, wie die Sozialtätigen, in der Lage sein, sich so auszudrücken, dass der/ die KommunikationspartnerIn sie versteht. Zum anderen müssen sie erkennen, ob es sich um ein seriöses Angebot im Internet handelt, das von qualifizierten BeraterInnen betreut wird. Onlinesozialarbeit ist also in erster Linie Onlineberatung. Um die Jahrtausendwende wurden zahlreiche eigenständige Onlineberatungsangebote von kleinen psychosozialen Praxen vorgehalten. Der große technische Aufwand bei den Beratenden und die geringe Bereitschaft der KlientInnen, für Beratung per Vorkasse zu zahlen, haben jedoch dazu geführt, dass diese Angebote rückläufig sind und kostenpflichtige Onlineberatung hauptsächlich im Bereich der Psychologie zu finden ist. Angebote, die im Vorfeld bezahlt werden müssen, haben einen weiteren Nachteil. Sie sind nicht so niedrigschwellig, wie es Online-Angebote tatsächlich sein können. Bei der Onlineberatung geht die Kontaktaufnahme von der Rat suchenden Person aus. Sie kann sich mehr oder weniger anonym zu einem ihr wichtigen Thema informieren, beraten und helfen lassen. In unangenehmen Situationen kann sie sich zurückziehen, was ihr mehr Mut gibt, sich einer Beratungssituation zu stellen. Für die BeraterInnen ist dies eine weitere Schwierigkeit; dennoch hat die Niedrigschwelligkeit einen Vorteil gegenüber realen Beratungseinrichtungen, da Personen angesprochen werden können, die von realen Beratungseinrichtungen nicht erreicht werden. Im Jahre 2010 wird es nummerisch gesehen wahrscheinlich weniger Onlineberatungsangebote geben als 2000, aber dafür größere Portale mit mehr Personal und besserer Qualifikation. Mittlerweile gibt es sogar Fort- und Weiterbildungsangebote, die Beratende auf die speziellen Rahmenbedingungen in der Onlineberatung vorbereiten. Beispiele für diese neuen Angebote sind www.beratung-caritas.de, www.bke-beratung.de und www.das-beratungsnetz.de. Letzteres ist ein sehr gutes Beispiel, wie durch die Vernetzung diverser Institutionen und einer soliden technischen Umsetzung ein Portal für Hilfesuchende geschaffen wurde, das ein breites Spektrum an Themen abdeckt und den Hilfesuchenden die freie Auswahl lässt. So gibt es Gruppenchats, Einzelchats, Mailberatung, Informationen (Links und Adresuj 3 (2010) 103 soziale arbeit im netz sen) und Artikel. In der Onlineberatung für Jugendliche der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke) stehen den Ratsuchenden die Einzelberatung (vergleichbar mit Mail-Beratung), Einzelchats, Gruppenchats oder Themenchats und ein Forum zur Verfügung. Foren sind bei InternetnutzerInnen sehr beliebt, da sie einen zeitunabhängigen Austausch ermöglichen. Im Kontext von Beratung findet in Foren eine Communitybildung statt, die an Selbsthilfegruppen erinnert. Die Ratsuchenden stellen Fragen und geben Antworten zu Fragen anderer Mitglieder. Nicht immer sind diese Antworten fundiert, und sie bedürfen der Moderation durch die Beratenden. Unmoderierte Foren können sogar gefährlich sein, wenn sie gefährliches Halbwissen verbreiten oder die Mitglieder zu ungesundem Verhalten animieren. Dies ist z. B. in sogenannten Pro-Ana- (von pro: für und Anorexia nervosa: Magersucht) und Pro-Mia- (Bulimia nervosa: Ess-Brechsucht) Foren der Fall. F ür Sozialtätige sind die Nutzung des Internets als Informationsquelle und der Austausch zwischen anderen Sozialtätigen wichtig. Auch hier hat sich in den letzten zehn Jahren einiges entwickelt. Zur Jahrtausendwende gab es viele Webseiten, die das Thema breit gefächert aufgegriffen haben, um dies in Studien- oder Diplomarbeiten zu verarbeiten. Nach Abschluss der Arbeiten wurde ein Großteil der Seiten nicht mehr weiter gepflegt, sodass viele dieser Seiten nicht mehr oder nur noch als veraltete Baustellen im Netz zu finden sind. Heute beinhaltet das soziale Internet nur noch einige Portale, die ein breit gefächertes Angebotsspektrum bieten (z. B. www.fachkraefteportal.de, www.socialnet.de und www.info-sozial.de). Der größte Teil des sozialen Internets besteht aus Homepages von Institutionen, Projekten, Initiativen und Vereinen, die im Internet ihr Angebot darstellen, Werbung machen und Kontaktmöglichkeiten bieten. Heute gehören für die Öffentlichkeitsarbeit und die Transparenz der eigenen Angebote Webseiten zum Standardrepertoire, jedoch werden 2009 im Vergleich zur Jahrtausendwende immer weniger Insiderinfos (wie Protokolle, Jahresberichte usw.) veröffentlicht. Das ungebremste Sendungsbewusstsein ist einer eher vorsichtigen Transparenz gewichen. Www.fachkraefteportal. de und www.info-sozial.de sind gute Beispiele dafür, wie Informationen von verschiedenen Webquellen gebündelt werden und so die Recherche deutlich erleichtert wird. Wer sich seine Informationen selbst zusammenstellen möchte, abonniert die RSS Feeds von den entsprechenden Seiten. Feeds sind heute nahezu Standard auf Webseiten. Die Sammlung kann dann mit entsprechender Software (Feed Reader oder Mailprogrammen) gelesen werden. Der Nutzen des Internets als Informationsquelle ermöglicht einen Einblick in viele verschiedene Projekte und deren Erfahrungen. Dieses Wissen kann helfen, Fehler zu vermeiden, und ist somit eine Möglichkeit der Qualitätssicherung. Früher waren diese Informationen nur durch reale Netzwerke und Kontakte möglich. Soziale Netzwerke sind wiederum eine Spezialität des Web 2.0. Obwohl der Bedarf für solche sozialen Netzwerke im Sozialwesen offensichtlich ist, gibt es erst drei Jahre nach dem Boom von Webseiten wie Xing und StudiVZ mit NETZ SOZI- AL (www.netz-sozial.de) ein soziales Netzwerk speziell für das Sozialwesen. In sozialen Netzwerken können sich die TeilnehmerInnen präsentieren, in Kontakt mit anderen treten, sich in Foren oder Gruppen austauschen und bei NETZ SOZIAL z. B. auch Nachrichten und Veranstaltungen veröffentlichen. Aber auch Mailinglisten (www.sozialarbeit.de) übernehmen die 104 uj 3 (2010) soziale arbeit im netz Funktion von sozialen Netzwerken. In der Mailingliste Sozialarbeit tauschen sich seit über 10 Jahren Sozialtätige per E-Mail aus. Dass Webseiten nicht immer jeden technischen Trend, wie aktuell Twitter, mitmachen müssen und dennoch aktuelle Informationen liefern können, zeigen z. B. die Seiten des DBSH (www.dbsh.de). Mit klassischer Web 1.0 Webseite erhalten Sozialtätige hier alle aktuellen tariflichen und arbeitsrechtlichen Informationen. Auffällig ist, dass Trends, die sich im Internet schnell verbreitet haben, im „sozialen Internet“ immer mit einer Verzögerung von einigen Jahren ankamen. Das mag zum einen daran liegen, dass Institutionen aus dem Sozialwesen nur selten über die technischen Möglichkeiten verfügen, moderne Techniken selbstständig umzusetzen. Und wenn sie diese von Agenturen umsetzen lassen, sind diese Neuerungen mit hohen Kosten verbunden - Geld, das in der Regel an anderen Stellen dringender benötigt wird. Das Internet ist bereits heute fester Bestandteil in der Sozialen Arbeit. Es wird sich eher ausweiten als wieder abnehmen. Denn neben der Onlineberatung, die sich bereits bewährt und professionalisiert hat, werden sich weitere Einsatzmöglichkeiten finden. In Anbetracht der Tatsache, dass das Internet immer mobiler wird und schon jetzt ein Standard-Feature auf aktuellen Handys ist, sind Szenarien denkbar, die das Informationsangebot und die Netzwerke aus den Computerzimmern auf die Straße holen. Die noch starre Trennung zwischen virtuell und real wird in Web-2.0-Anwendungen aufgeweicht. Soziale Arbeit im Internet findet dann nicht mehr nur in den eigenen vier Wänden, sondern eventuell auch an einer Bushaltestelle statt. Anwendungen wie Google Latitude, die gemacht wurden, um auf den Google Maps FreundInnen anzuzeigen, könnten genauso gut auch BeraterInnen oder Personen mit gleichen Fragen und Problemen anzeigen. Schon jetzt werden auf den virtuellen Karten „Points of Interest“ angeboten. Während es heute primär Shopping und touristische Angebote sind, könnten es bald auch Beratungsangebote sein, die entsprechende Routenplanung wird gratis dazu geliefert. CyberpädagogInnen oder CyberstreetworkerInnen, die Ratsuchende und Jugendliche da „abholen“, wo sie sich aufhalten, sie also in Netzwerken, Chats und Foren besuchen und sich als GesprächspartnerInnen anbieten, wären eine weitere mögliche Bereicherung des Aufgabenspektrums. Abschließend sei auch noch ein komplett neuer Bereich des Jugendschutzes erwähnt, der durch das Internet entstanden ist. Da sich alle Jugendlichen im Internet aufhalten, ist es auch notwendig, über eventuelle Risiken (jugendgefährdende Inhalte und Datenschutz) aufzuklären. Vor 10 Jahren war dies aufgrund der geringen Verbreitung nicht notwendig. Heute müssen Jugendämter und andere Institutionen über mögliche Risiken von Jugendlichen im Internet informieren und Eltern beraten. Trotz dieser möglichen Risiken überwiegen doch die positiven Aspekte, die heute noch bei weitem nicht ausgeschöpft sind und viel Raum für Kreativität lassen. Literatur Döring, N., 2000: Kommunikation im Internet: Neue theoretische Ansätze. In: Batinic, B. (Hrsg.): Internet für Psychologen. Göttingen, S. 345 - 377 Eimeren, B. van/ Frees, B., 2009: ARD/ ZDF-Online-Studie 2009: Der Internetnutzer 2009 - multimedial und total vernetzt? In: Media Perspektiven Nr. 7, S. 334 - 348 uj 3 (2010) 105 soziale arbeit im netz Eimeren, B. van/ Gerhard, H./ Frees, B., 2001: ARD/ ZDF Online Studie 2001: Internetnutzung stark zweckgebunden. In: Media Perspektiven Nr. 8, S. 382 - 397 Lüssi, P., 2001: Systemische Sozialarbeit. Praktisches Lehrbuch der Sozialberatung. Bern (N)ONLINER Atlas 2009: www.initiatived21.de Warras, J., 2008: Soziale Arbeit im Internet: Chancen und Grenzen. Saarbrücken Der Autor Jörg Warras Herbststraße 89 b 28215 Bremen warras@jott-we-de.de (Personzentrierte Beratung & Therapie; 9) 2009. 106 Seiten. 8 Abb. 5 Tab. (978-3-497-02103-1) kt Online-Beratung bietet große Chancen: Die Beratung erfolgt unabhängig von Zeit und Ort und unterliegt keinerlei Kontrolle. Aber diese Merkmale bergen auch Gefahren: Beratung im Netz bleibt unverbindlich, die persönliche Begegnung fehlt, Schriftlichkeit kann zu Fehldeutung führen. Die Autorin erklärt anschaulich, welche Möglichkeiten der Beratung im weltweiten Netz vorhanden sind und welche besonderen Anforderungen an die Beratenden gestellt werden. Mit Übungen und Fallbeispielen werden einzelne Kommunikationsstrategien erprobt und in verschiedenen Situationen von der Einzelberatung bis zur Gruppenmoderation eingesetzt. a www.reinhardt-verlag.de
