unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2010.art11d
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Kids-hotline.de - Onlineberatung für junge Menschen bis 21 Jahre
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Emily Engelhardt
kids-hotline ist die virtuelle Beratungsstelle des Kinderschutz e.V. München (www.kinderschutz.de), anerkannter Träger der freien Jugendhilfe, und bietet seit zehn Jahren kostenlose und anonyme Beratung für junge Menschen an. Denn nichts liegt näher, als die Beratungsstelle genau dort einzurichten, wo Kinder und Jugendliche mit ihren Fragen unterwegs sind. Sie dort abzuholen, wo sie sich aufhalten, ihnen Hilfestellung zu geben und mit ihnen gemeinsam Lösungen zu suchen, ist die Aufgabe von kids-hotline. Kurzum: Junge Menschen online zu beraten.
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uj 3 (2010) 109 Unsere Jugend, 62. Jg., S. 109 - 113 (2010) DOI 10.2378/ uj2010.art11d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Kids-hotline.de - Onlineberatung für junge Menschen bis 21 Jahre Emily Engelhardt kids-hotline ist die virtuelle Beratungsstelle des Kinderschutz e.V. München (www.kinderschutz.de), anerkannter Träger der freien Jugendhilfe, und bietet seit zehn Jahren kostenlose und anonyme Beratung für junge Menschen an. Denn nichts liegt näher, als die Beratungsstelle genau dort einzurichten, wo Kinder und Jugendliche mit ihren Fragen unterwegs sind. Sie dort abzuholen, wo sie sich aufhalten, ihnen Hilfestellung zu geben und mit ihnen gemeinsam Lösungen zu suchen, ist die Aufgabe von kids-hotline. Kurzum: Junge Menschen online zu beraten. soziale arbeit im netz Mit mehr als 380 neuen Anfragen im Monat und mehr als 165.000 Forenbeiträgen ist die kids-hotline das größte deutschsprachige Beratungsangebot dieser Art für junge Menschen im Internet. Seit der Gründung der kids-hotline 1999 haben sich über 21.000 Kinder und Jugendliche aktiv an die virtuelle Beratungsstelle der kids-hotline gewandt, um bei Problemen Rat und Hilfe zu bekommen. In über 20 Foren finden Beratungen zu Themen wie Liebeskummer, Pubertät, Ärger und Stress in der Familie oder Schule bis hin zu Suchtproblemen und sexueller Gewalt statt. Ob traurig, wütend oder unsicher - die kids-hotline verhält sich getreu ihrem Motto: „… auch wenn deine Welt mal Kopf steht - wir sind für DICH da! “ Unser multiprofessionelles ehrenamtliches Team ist 24 Stunden an 7 Tagen in der Woche für junge Menschen erreichbar. Im Jahr 2008 wurde die kids-hotline in der Kategorie „Wissen und Bildung“ mit dem „Grimme Online Award“ ausgezeichnet, 2009 gewann sie den „World Summit Award Germany“ als bestes deutsches Angebot im Bereich „e-Health & Environment“. Das Angebot: Forum, Einzelberatung, Chat Foren, die wie „virtuelle Pinnwände“ funktionieren, bieten den Ratsuchenden (UserInnen) einen niedrigschwelligen Zugang zu Information und Beratung. Bei kids-hotline erhält die Beratung in den (teil)öffentlichen Foren eine besondere Beachtung und ist eine Bereicherung für das Beratungsangebot. Gerade bei schambesetzten Themen, deren Schilderung die Ratsuchenden viel Überwindung kostet, ermöglicht die Beratung in offenen Foren besondere Mehrwerte von Niedrigschwelligkeit: UserInnen können auch ohne sich zu registrieren und Emily M. Engelhardt Jg. 1977; M. A. Pädagogik, Psychologie und Soziologie, Leiterin von kids-hotline und Lehrbeauftragte für Onlineberatung an mehreren Hochschulen 110 uj 3 (2010) soziale arbeit im netz eine eigene Anfrage zu schreiben zunächst in der Forenberatung mitlesen. Bereits bei diesem ersten Schritt können sie die Erfahrung machen, dass sie mit ihrer Thematik nicht alleine sind - und mit diesem Anliegen ernst genommen und beraten werden. Es stellt sich also neben dem Effekt der „Beratung durch Mitlesen“ auch ein Abbau von Hemmschwellen ein, der dem/ der UserIn das Eröffnen von eigenen Beratungsanfragen erleichtern wird. Ist der Schritt des Erstellens der eigenen Beratungsanfrage im Forum gemacht, kann ein/ e UserIn vor allem von der Partizipation anderer UserInnen profitieren. Das Wir-Gefühl, das sich über Antworten anderer Betroffener einstellt, kann sich positiv auf einen Beratungseinstieg und -verlauf auswirken, da hierdurch weitere Unsicherheiten genommen werden können. Der/ die UserIn erlebt ein Gefühl von „Aufgehoben sein“ und spürt nun auch bei sich selbst, an- und ernst genommen zu werden. Die webbasierte Einzelberatung stellt die notwendige Alternative zur bisherigen E-Mail-Beratung dar. Auf datensicherem Wege kann der/ die Ratsuchende Kontakt zu einer Beratungsperson aufnehmen und im 1 : 1-Kontakt mit ihm/ ihr sein/ ihr Anliegen besprechen. Die Daten bleiben verschlüsselt und sicher an einem Ort auf dem Server und werden nicht wie bei einer eMail verschickt. Bei der Chatberatung treten Ratsuchende/ r und BeraterIn sowie ggf. andere UserInnen in direkten synchronen Austausch miteinander. Im Gegensatz zu Forum und Einzelberatung wird hier in Echtzeit miteinander kommuniziert. Dies geschieht in Gruppen- oder Einzelchats, die themenbasiert oder thematisch offen sind. Chats werden termingebunden angeboten und finden immer unter einer fachlichen Begleitung statt, um moderierend einzugreifen und die jungen NutzerInnen sich nicht selbst zu überlassen. Chancen und Grenzen von Onlineberatung Vor dem Überwinden der Hemmschwelle, eine Beratungsstelle vor Ort zu kontaktieren, steht zunächst die Schwierigkeit, die richtige Beratungsstelle zu finden. Gerade für junge Menschen stellt dies eine große Herausforderung und häufig auch Überforderung dar. Bei kids-hotline wird den jungen Ratsuchenden dieser schwierige Schritt abgenommen - sie sind gleich an „der richtigen Stelle“, denn das qualifizierte Team von kids-hotline hält für jedes Thema den/ die richtige/ n ExpertIn bereit. Durch den hohen Grad an Vernetzung der BeraterInnen untereinander kommt Hilfe und Unterstützung unmittelbar zum/ zur Ratsuchenden. Das ist ein wichtiger Kontrast zum Hilfesystem vor Ort, bei dem es häufig vorkommt, dass eine Einrichtung den Jugendlichen wegschicken muss, weil sie „nicht zuständig ist“, sei es aufgrund des Wohnorts oder der Sachlage. Kids-hotline betrachtet sein Angebot als eine sinnvolle und notwendige Ergänzung zu den bestehenden Hilfeangeboten. Onlineberatung erreicht vor allem dann ihre Grenzen, wenn es um diagnostische oder therapeutische Themen geht. Sie kann jedoch eine wichtige Verbindung zu den entsprechenden Hilfen vor Ort darstellen und den Einstieg in diese Angebote entscheidend erleichtern. Das ehrenamtliche Team und der Beratungsansatz Die Beratungsstelle ist das größte deutschsprachige Onlineberatungsangebot seiner Art. Der große Ansturm ist nur zu bewältigen, da kids-hotline mit einem sehr großen Team von mehr als 60 ehrenamtlichen BeraterInnen arbeitet. Dies bietet für die uj 3 (2010) 111 soziale arbeit im netz Onlineberatung ganz besondere Vorteile, denn die BeraterInnen, die in ihrer Freizeit tätig sind, decken insbesondere die Zeiten ab, in der eine „normale Beratungsstelle“ nicht erreichbar ist: die Abendstunden und die Wochenenden. Neben einer empathischen Grundhaltung und Parteilichkeit den Ratsuchenden gegenüber spielen Verschwiegenheit und eine pragmatische Haltung in unserer Beratungsarbeit eine wichtige Rolle. Bei der Beratung selbst steht immer der/ die UserIn im Vordergrund. Er/ sie ist ExpertIn für sein/ ihr Problem, und mit ihm/ ihr gemeinsam entwickelt der/ die BeraterIn Lösungswege. Wie sieht die Lebenswelt der Jugendlichen aus, welche Ressourcen bringen sie mit? Diese Fragen sind wichtig und erhalten besondere Beachtung. Dass es nicht den einen richtigen Weg zur Lösung eines Problems gibt, sondern dass viele Wege zum Ziel führen können, ist eine weitere Grundhaltung der Beratenden. Jugendliche auf diesen Wegen ein Stück weit zu begleiten und dabei über das Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“ die Eigeninitiative zu erhalten, ist das Ziel unserer Beratungsarbeit. Mit Störungen im Beratungsverlauf umzugehen und Beiträge anderer UserInnen wertschätzend und konstruktiv in die Beratung mit einzubinden, lernen die BeraterInnen in Schulungen. Dort werden sie auch für die Besonderheiten computervermittelter Kommunikation sensibilisiert und lernen, einen Beratungsprozess zu moderieren und zu strukturieren. Peer-BeraterInnen In den Foren beraten auch die Peer-BeraterInnen. Peers sind gleichaltrige Jugendliche, die in der kids-hotline andere UserInnen auf Augenhöhe und aus der Sicht ihrer eigenen Lebenserfahrung beraten. Diese Komponente der Beratung von peer-to-peer stellt eine weitere Besonderheit der kids-hotline dar und bietet den UserInnen die Möglichkeit, ihr Anliegen auf Wunsch mit einer/ m Gleichaltrigen zu besprechen - denn nicht bei jedem Thema ist eine Fachkraft unbedingt die beste Beratungsperson. Aber auch für die Peers selbst stellt die Arbeit in der kids-hotline eine wertvolle Aufgabe dar. Sie übernehmen eigenverantwortlich Beratungen und engagieren sich für andere Jugendliche und ihre Probleme. Sie lernen im Kontakt mit den FachberaterInnen, die sie qualifiziert anleiten und begleiten, nicht nur professionelle Hintergründe von Beratung kennen, sondern sammeln auch wichtige Erfahrungen im zwischenmenschlichen Austausch. Neben den BeraterInnen der kids-hotline gibt es jedoch eine weitere wichtige Ressource: die vielen UserInnen, die in den Foren unterwegs sind. Sie beraten sich dort gegenseitig. Durch diesen direkten Austausch miteinander wird der Selbsthilfeaspekt entscheidend gefördert. Jugendliche, die selbst in einer schwierigen Situation stecken, erleben im Austausch mit anderen UserInnen, dass sie nicht allein sind und ihre Anliegen ernst genommen werden. Ein sicheres Angebot im Netz Kids-hotline schafft für Jugendliche optimale Rahmenbedingungen im Internet, damit sie sich auf sicherem Wege, anonym und kostenlos miteinander austauschen und sich gegenseitig mit Rat beiseite stehen können. Die Jugendlichen sprechen dabei nur über das Forum miteinander, eine persönliche Kontaktaufnahme über andere Wege findet nicht statt. So kann gewährleistet werden, dass die Jugendlichen vor möglichen Übergriffen durch Personen mit an- 112 uj 3 (2010) soziale arbeit im netz deren Interessen geschützt sind. Denn genau die Tatsache, dass jegliche Kontaktaufnahme unterbunden wird, macht die Beratungsstelle gerade für solche Personenkreise wenig interessant. Viele Kinder und Jugendliche schaffen es über diesen anonymen Weg, sich zu öffnen und zu kommunizieren, was ihnen Kummer bereitet. Gerade bei stark schambesetzten Themen wie Gewalt im Familienbereich und bei sexueller Gewalt ist diese Anonymität oft nötig, um sich einem Dritten anzuvertrauen. Wenn die Ratsuchenden dann spüren, dass sie ernst genommen werden und dass man ihnen helfen möchte, können sie auch den Schritt in eine Beratungsstelle vor Ort wagen. A bschließend noch ein kurzer Einblick in die Praxis: Aus dem Tagebuch eines Fachteamers Benedikt, Fachteamer (Sozialpädagoge FH) „Jungen & Pubertät“, „Wenn Jungen Mädchen lieben“ und „Medizin“ Tagebucheintrag kids-hotline an einem Tag, an dem ich nicht hauptberuflich arbeite, am 2. 9. 2009 12.25 Uhr: Einloggen bei der kids-hotline. Es wird mir angezeigt, dass ich 53 neue Nachrichten habe. In meinem Nachrichtenfach prüfe ich die Nachrichten und ob es bei meinen Beratungen neue Beiträge gibt. 12.33 Uhr: Eine Userin hat in der Einzelberatung zum Thema Selbstverletzendes Verhalten und einer Therapie, die sie deswegen macht, auf meinen 1. Beitrag geantwortet. Sie schreibt, dass sie sich von der Beratung mehr verspricht als von der Therapie, da sie anonym schreiben kann und sie mit jemandem sprechen möchte, der häufiger Jugendliche in ihrer Situation berät. Sie berichtet, dass sie in der Therapie das selbstverletzende Verhalten nicht angesprochen hat, da sie Ängste hat. Sie nennt Ängste, wie etwa in eine Therapie eingewiesen zu werden, dass ihre Mutter noch mehr über ihre „eigene kleine Welt“ erfährt und sie damit belastet. Sie hat Fragen, wie sie mit ihren Stimmungsschwankungen umgehen lernen kann. Sie fühlt sich traurig und von den anderen in der Schule nicht angenommen. Sie schreibt, dass sie zeitweise Alkohol trinkt, um ihre Ängste in der Schule zu unterdrücken, u. a. die Angst, gemobbt zu werden. Sie sieht momentan nur zwei Möglichkeiten gegen die Angst: die Rasierklinge und den Alkohol. Sie berichtet von einer Freundin von ihr, die in der Psychiatrie war und die Diagnose der Borderline-Erkrankung hat. Diese Freundin würde jetzt wieder auf ihre Schule gehen, und die Userin hat Angst, von ihr wieder runtergezogen zu werden. Sie fühlt sich unsicher, wie sie mit ihrer Freundin nun umgehen soll. Ich mache mir Gedanken zu diesem Eintrag von ihr. Die nächsten Schritte, die ich mit ihr gehen möchte - entsprechend unserem ressourcen- und lösungsorientierten Ansatz -, lauten: • Ich kläre sie über die Grenzen einer Beratung auf und dass die kids-hotline keine Therapie durchführen kann, sie jedoch von uns Unterstützung finden kann, um ihre Ängste in der Therapie ansprechen zu können. • Ich werde mit ihr über Alternativen sprechen, um mit ihrer Angst umzugehen. • Ich werde mit ihr abklären, wie sie die Beziehung zu ihrer Freundin gestalten möchte und wie man dies umsetzen könnte. uj 3 (2010) 113 soziale arbeit im netz 13.10 Uhr: In einer neuen Einzelberatung einer Userin u. a. über das Thema selbstverletzendes Verhalten hatte ich in einem Schattenbeitrag (Notizen innerhalb eines Beitrags, die nur für BeraterInnen sichtbar sind) geschrieben, dass ich die Beratung aus Zeitgründen nicht übernehmen kann, und danach die Beratung abgelehnt. 13.13 Uhr: Eine Userin hat eine Einzelberatung geöffnet, in der sie mit der Beraterin Astrid sprechen möchte. Aus diesem Grund nehme ich die Beratung nicht an. 13.20 Uhr: Ich lese eine Nachricht in der (internen) Meetingarea, dass 3-2-1-Chats (Chats, die ohne Vorankündigung stattfinden, wenn UserInnen spontan chatten möchten und ein/ e BeraterIn dafür zur Verfügung steht) anstehen. Ich überlege mir, dass ich mir vorstellen könnte, an einem der Chats teilzunehmen. 13.30 Uhr: Die Beraterin „Angela“ hat als Co-Beraterin in einer Einzelberatung einer Userin ein Feedback zu meinem bisherigen Beratungsstil in der Einzelberatung zum Thema häusliche Gewalt gegeben. Diese Vorschläge reflektiere ich und schreibe ihr einen Schattenbeitrag zurück, in dem ich mich u. a. für ihre Ideen bedanke und auf ihren Beitrag eingehe. 13.40 Uhr: Ich logge mich aus. Ich plane, eventuell heute abend noch einmal online zu gehen. 18.33 Uhr: Ich logge mich ein bei der kidshotline und schaue nach meinen neuen Nachrichten. Ich lese ein paar Nachrichten aus der Meetingarea durch bezüglich der Umstellung der kids-hotline. 18.40 Uhr: Da nichts Neues anliegt, logge ich mich für heute aus. Die Autorin Emily M. Engelhardt kids-hotline Kinderschutz e.V. Kathi-Kobus-Straße 9 80797 München info@kids-hotline.de
