unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2010.art14d
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Partizipatives Lernen im Gemeinwesen durch Jugendmitwirkung
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Yvonne Polloni
Marius Metzger
Jugendliche können durch die Eröffnung von Lerngelegenheiten in Jugendmitwirkungsprojekten stärkende Erfahrungen machen, welche über das Engagement für eine jugendgerechte Gemeindesituation in einer Verbesserung des allgemeinen Gemeinwohls münden.
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120 uj 3 (2010) Unsere Jugend, 62. Jg., S. 120 - 128 (2010), DOI 10.2378/ uj2010.art14d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel partizipation Partizipatives Lernen im Gemeinwesen durch Jugendmitwirkung Yvonne Polloni/ Marius Metzger Jugendliche können durch die Eröffnung von Lerngelegenheiten in Jugendmitwirkungsprojekten stärkende Erfahrungen machen, welche über das Engagement für eine jugendgerechte Gemeindesituation in einer Verbesserung des allgemeinen Gemeinwohls münden. Einleitung Kinder- und Jugendpartizipation im öffentlichen Raum ist in der Schweiz nicht alltäglich. Laut der UNICEF-Studie aus dem Jahr 2003 können nur gerade 7 % der Kinder und Jugendlichen in diesem Bereich Partizipationserfahrungen sammeln (Fatke/ Niklowitz 2003, 65). Es verwundert daher nicht, wenn das nationale Forschungsprogramm „Kindheit, Jugend und Generationenbeziehungen“ zum Schluss kommt, dass Kinder und Jugendliche im Gegensatz zu früher zwar mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten haben, aber dieses Potenzial nicht ausgeschöpft wird (Schultheis/ Perrig-Chiello/ Egger 2008). Die Ergebnisse dieser Studien verweisen auf die Notwendigkeit, dass Kinder und Jugendliche vermehrt die Möglichkeit erhalten sollten, an gesellschaftlichen Prozessen partizipieren zu können. Um dabei der Gefahr pseudopartizipativer Bemühungen entgegenzuwirken, müssen an die Erschließung von Partizipationsmöglichkeiten Anforderungen gestellt werden, die insbesondere die Gewährleistung eines freiwilligen und gemeinschaftlichen Entscheidungsprozesses, die Ermöglichung eines Diskurses darüber, eine ausgeglichene Machtverteilung sowie die geteilte Verantwortungsübernahme sicherstellen (Biedermann 2006, 116). Ansonsten ist die Entwicklung eines Widerstandspotenzials gegen die Vereinnahmung durch fremde Kontrollinteressen im Holzkampschen Sinne (1972) die logische Folge solcher pseudopartizipativer Ansätze. Um wahrhaftige Partizipation zu gewährleisten, benötigt es Modelle, die echte Möglichkeiten zur Mitbestimmung an Entscheidungsprozessen anbieten. Yvonne Polloni Jg. 1969; lic. phil., Erziehungswissenschaftlerin, Leiterin Bildung und Entwicklung des Vereins für Kinder- und Jugendförderung Schweiz Prof. Dr. Marius Metzger Jg. 1976; Dr. phil., Psychologe FSP, Professor an der Hochschule Luzern - Soziale Arbeit uj 3 (2010) 121 partizipation E in solches Projekt, das die Kinder- und Jugendpartizipation im öffentlichen Raum konsequent fördern will, ist vom Verein Infoklick.ch Kinder- und Jugendförderung Schweiz entwickelt und 1998 zum ersten Mal durchgeführt worden. Mittlerweile wird das Projekt „Jugend mit Wirkung“ von der offenen Jugendarbeit in über 60 Schweizer Gemeinden umgesetzt, und neue Gemeinden kommen laufend dazu (vgl. www.jugendmitwirkung.ch). Im Grundsatz wird mit dem Projekt „Jugend mit Wirkung“ das Ziel verfolgt, Kinder und Jugendliche in kommunale Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Das Projekt gründet auf einem vergleichsweise einfachen Konzept, das sich in die folgenden vier Phasen unterteilen lässt: • Phase 1: Initiierung des Projekts in der jeweiligen Gemeinde • Phase 2: Bildung eines Organisationskomitees • Phase 3: Planung, Durchführung und Evaluation eines Jugendmitwirkungstages • Phase 4: Projekte begleiten und realisieren Da das Projekt „Jugend mit Wirkung“ auf Freiwilligkeit basiert, muss der Impuls für die Initiierung von der interessierten Gemeinde kommen. Vielfach handelt es sich dabei um engagierte BürgerInnen, die gerne „etwas für die Jugend tun möchten“. Das Organisationskomitee wird paritätisch aus Jugendlichen und Erwachsenen beider Geschlechter und mit unterschiedlichen soziokulturellen Hintergründen zusammengesetzt und sollte in der Gemeinde möglichst breit abgestützt sein. Die Jugendlichen setzen die Themen für den Jugendmitwirkungstag selbst, den Erwachsenen kommt eine beratende und unterstützende Rolle zu. Der einmal jährlich stattfindende Jugendmitwirkungstag lädt alle Betroffenen ein, gemeinsam nach Realisierungsmöglichkeiten für die vom Organisationskomitee vorgeschlagenen Projekte zu suchen. Gemeinsam tragen Jugendliche und Erwachsene am Jugendmitwirkungstag ihre Ideen zusammen und konkretisieren die Projekte. Nach Bedarf werden Lehrkräfte, Bezugspersonen, Behörden oder Fachleute einbezogen. Die am Jugendmitwirkungstag entwickelten Projekte werden anschließend von Projektgruppen weiter ausgearbeitet und realisiert. D er Verein Infoklick.ch Kinder- und Jugendförderung Schweiz geht aufgrund seiner Erfahrungen davon aus, dass das Projekt positive Auswirkungen auf das persönliche Wohlbefinden von Jugendlichen und auf deren soziale Integration im Gemeinwesen hat. Allerdings sind diese postulierten Wirkungen bis anhin genauso wenig Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung geworden wie bei anderen Partizipationsprojekten der offenen Jugendarbeit. Die Gründe hierfür liegen einerseits darin begründet, dass die Erziehungswissenschaften die offene Jugendarbeit nicht als eines der Kerngebiete ihrer Disziplin betrachten, andererseits aber auch darin, dass die Schweiz nicht über eine gesamtpolitische Strategie für die Kinder- und Jugendförderung verfügt. Die vorliegende Studie versucht, einen Beitrag zu einer wissenschaftlichen Fundierung von Partizipationsprojekten zu leisten, und geht der Frage nach, ob die postulierten Wirkungen bei den involvierten Kindern und Jugendlichen tatsächlich nachgewiesen werden können. Selbstwirksamkeitserwartung Aufgrund der durch das Partizipationsprojekt intendierten Förderung der Mitwirkung an gesellschaftlichen Prozessen erscheint es plausibel, davon auszugehen, 122 uj 3 (2010) partizipation dass die postulierten Wirkungen auf Wohlbefinden und soziale Integration in Zusammenhang mit dem Konstrukt der Selbstwirksamkeitserwartung stehen. Schließlich konnten zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung das Wohlbefinden beeinflusst, positive Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit hat und die soziale Integration verbessert (vgl. etwa Fuchs/ Hahn/ Schwarzer 1994; Butz/ Boehnke 1997; Satow/ Bässler 1998 u. a.). Selbstwirksamkeitserwartung bedeutet das Vertrauen in die eigenen Kompetenzen, um schwierige Situationen bewältigen zu können (Schwarzer/ Jerusalem 2002, 39). Die Beurteilung der eigenen Wirksamkeit beruht dabei auf der Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und der Bewertung der situationsbedingten Anforderungen. Der Fokus liegt nicht auf den Verhaltensergebnissen, sondern vielmehr auf der Einschätzung der Ausführung des Verhaltens (Mielke 1984, 121). Das Konstrukt Selbstwirksamkeitserwartung lässt sich nach dem Grad an Spezifität differenzieren: Die allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung bezieht sich auf alle Lebensbereiche und drückt die optimistische Beurteilung der allgemeinen Lebensbewältigungskompetenz aus. Die spezifische Selbstwirksamkeitserwartung zeigt sich in Situationen, die bereichsspezifische Anforderungen an das Individuum stellen, wie beispielsweise die schulbezogene Selbstwirksamkeitserwartung, welche die Kompetenzerwartungen von SchülerInnen im Umgang mit den schulischen Anforderungen aufgreift. Eine zusätzliche Unterscheidung kann zwischen individueller und kollektiver Selbstwirksamkeitserwartung vorgenommen werden. Ursprünglich war das Konstrukt der Selbstwirksamkeitserwartung auf das Individuum bezogen (Bandura 1977), wurde später dann aber um die kollektive Dimension erweitert. Im Gegensatz zur individuellen Selbstwirksamkeitserwartung umfasst die kollektive Selbstwirksamkeitserwartung die Einschätzung der Selbstwirksamkeit einer Gruppe, die sich aus der Koordination und Verknüpfung von Ressourcen jedes Einzelnen zu einem Potenzial an Wirkung ergibt (Schwarzer/ Jerusalem 2002, 39ff). Der damit verbundene Aspekt der gegenseitigen Hilfe kommt in Konzepten der sozialen Unterstützung zum Tragen. In der Grundannahme wird davon ausgegangen, dass ein positives soziales Umfeld, das bei der Bewältigung von schwierigen Lebenssituationen Unterstützung bietet, eine Ressource darstellt, welche die Gesundheit und das Wohlbefinden erhält (Fydrich/ Sommer 2003, 78). Fehlende soziale Unterstützung führt hingegen zu mangelnder Integration oder sozialer Isolation und beeinflusst das Wohlbefinden sowie die Gesundheit negativ (Hollstein 2001, 21). Die Aneignung von Selbstwirksamkeitserwartung ist von vier wesentlichen Quellen beeinflusst, wobei die vier Komponenten im Folgenden hierarchisch nach der Stärke ihres Einflusses gegliedert sind: Handlungsergebnisse in Gestalt von eigenen Erfolgen und Misserfolgen, stellvertretende Erfahrungen durch Lernen am Modell, verbale Überzeugungen sowie Wahrnehmungen eigener Emotionen (Schwarzer/ Jerusalem 2002, 42ff). Schwarzer und Jerusalem (2002, 45ff) weisen zudem darauf hin, dass zwei zentrale Maßnahmen für den Aufbau der Selbstwirksamkeitserwartung von Bedeutung sind: das Setzen von Nahzielen und die Förderung von Bewältigungsstrategien. Nahziele bieten einen unmittelbaren Anreiz, durch persönliche Bemühungen Erfolgserlebnisse hervorzubringen. Nahziele beinhalten auch den Aspekt von Teilzielen und ermöglichen einen schrittweisen Aufbau von Kompetenzüberzeugungen. Der uj 3 (2010) 123 partizipation Zuwachs von Kompetenzen ist für die Entstehung und das Wachstum sowie für die Stabilisierung der Selbstwirksamkeitserwartung unerlässlich. Dieser Kompetenzzuwachs wird durch die Förderung von Bewältigungsstrategien begünstigt, welche die Verbesserung der Selbstregulation bei der Bewältigung von anstehenden Aufgaben zum Ziel haben. Die Methode In der vorliegenden Studie wurden im Rahmen von Einzelfallstudien qualitative und quantitative Methoden miteinander kombiniert. Die dadurch erreichte Triangulation ermöglichte vertiefte Einsichten in die postulierten Wirkungen des Projektes „Jugend mit Wirkung“. Die Stichprobe Die Stichprobe wurde mittels eines deduktiven Samplings bestimmt, bei dem die Samplestruktur vorab festgelegt wird (Merkens 2005, 290ff). Für die Auswahl einer Gemeinde wurden die Kriterien „Einwohnerzahl im schweizerischen Durchschnitt“ sowie „Variabilität von Ortsparteien“ mit dem Ziel verwendet, die Verkörperung einer möglichst durchschnittlichen Schweizer Gemeinde zu erreichen. Die Auswahl der Gemeinden wurde zusätzlich dadurch eingegrenzt, dass wir uns auf Gemeinden beschränkt haben, die das Projekt „Jugend mit Wirkung“ zum ersten Mal durchführten. Infrage kamen fünf Gemeinden, die im Untersuchungszeitraum von Frühling 2008 bis Sommer 2008 das Projekt in ihrer Gemeinde umsetzen wollten. Von diesen fünf Gemeinden erfüllte Schafisheim im Kanton Aargau diese Kriterien am Besten. Schafisheim hat 2.677 EinwohnerInnen und besitzt mit der Christlichen Volkspartei, der Evangelischen Volkspartei, der Freisinnig-Demokratischen Partei, der Sozialdemokratischen Partei, der Schweizerischen Volkspartei sowie der Partei der freien Wählerinnen und Wähler sechs unterschiedliche politische Ortsparteien. Die Kriterien für die Auswahl der Jugendlichen in der Gemeinde Schafisheim umfassten die Merkmale Alter, Geschlecht sowie Bildungsniveau. Das Altersspektrum der Jugendlichen wurde auf 12 bis 20 Jahre festgelegt, da das Projekt „Jugend mit Wirkung“ diese Zielgruppe ansprechen will. Die Stichprobe bestand aus acht Jugendlichen, vier weiblichen und vier männlichen. Das Durchschnittsalter betrug 15.5 Jahre, wobei die jüngste Teilnehmerin 14 Jahre alt und der älteste 16-jährig war. Drei Jugendliche waren AusländerInnen, drei Jugendliche SchweizerInnen und zwei Jugendliche DoppelbürgerInnen. Sechs Jugendliche besuchten die Sekundarschule, ein Jugendlicher die Bezirksschule und eine Jugendliche die Berufswahlfachschule. Erhebung und Auswertung der Daten Zur Erhebung der Selbstwirksamkeit wurde der von Schwarzer und Jerusalem (1999, 16) entwickelte standardisierte Fragebogen zur allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartung verwendet, der auf dem Selbstwirksamkeitskonzept von Bandura (1977) beruht. In kontrollierten Einzelfallanalysen wurden im Zeitraum von sechs Wochen ab Beginn des Projektes mittels des Fragebogens zur allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartung sechs Messungen durchgeführt (Julius/ Schlosser/ Goetz 2000; Bloom/ Fischer/ Orm 2005). Ergänzend wurde zur Erhebung der sozialen Unterstützung das Social Support Inventory (Dunkel-Schetter/ Feinstein/ Call 1986) in der deutschen Version von Schwarzer (1991) eingesetzt. Im Gegensatz zum Fragebogen zur allge- 124 uj 3 (2010) partizipation meinen Selbstwirksamkeitserwartung ist der Zeitbedarf für das Ausfüllen des Social Support Inventory verhältnismäßig hoch, weswegen das Inventar lediglich zu Beginn und zum Schluss des Projektes ausgefüllt werden musste. Das Inventar bildet die erfahrene soziale Unterstützung differenziert mithilfe der Subskalen Advice (Ratschläge), Assistance (Taten), Reassurance (Ermutigung), Listening (Aufmerksamkeit) und Reciprocity (gegenseitige Unterstützung) ab. Die Fragebogenbefragung wurde online mittels des Programms Limesurvey durchgeführt. Die Jugendlichen erhielten jeweils per E-Mail eine Aufforderung, die Fragebögen auszufüllen. Die so erhobenen Datentrends aus der Befragung zur allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartung wurden einzelfallbezogen mithilfe des speziell auf Einzelfallstudien zugeschnittenen Statistikprogramms Sing Win (Bloom/ Fischer/ Orm 2005) durch Regressionsanalysen geprüft. Regressionsanalysen sind statistische Analyseverfahren, bei welchen Abhängigkeiten zwischen Variablen untersucht werden. Die erhobenen Daten zur sozialen Unterstützung zu Beginn und zum Schluss des Projektes wurden mittels des nichtparametrischen Wilcoxon-Vorzeichenrangtests für abhängige Stichproben, bei welchen dieselben Probanden wiederholt untersucht werden, mit dem Statistikprogramm XLSTAT berechnet. Nach Abschluss der standardisierten Befragung wurden durch Leitfadeninterviews verbale Daten erhoben. Durch solche Interviews können die realen Lebenssituationen der Jugendlichen und ihre unmittelbaren Erfahrungen situationsspezifisch und einzelfallbezogen erhoben werden (Lamnek 2005, 371). Der Leitfaden bezog sich auf die drei Dimensionen Erfahrungen mit dem Projekt „Jugend mit Wirkung“, Veränderungen der allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartung sowie Veränderungen der sozialen Unterstützung. Die Interviews wurden auf Tonträger fixiert und anschließend transkribiert. Zur Auswertung der transkribierten Interviews wurde die zusammenfassende Inhaltsanalyse nach Mayring (2007) verwendet. Ziel der Analyse war es, das Material so zu reduzieren, dass ein Kategoriensystem zu den Wirkungen des Projektes „Jugend mit Wirkung“ gebildet werden konnte. Dieses Kategoriensystem sollte ein überschaubares Korpus schaffen, das immer noch ein Abbild des Grundmaterials darstellt. Ergebnisse Aus Sicht der befragten Jugendlichen verhalf ihnen die Teilnahme am Projekt zu neuen Erkenntnissen und Lerneffekten in der Projektarbeit und darüber hinaus, wobei sie sich insbesondere in den Bereichen Fertigkeiten, Sachwissen und Handeln neue Kompetenzen aneignen konnten. Beispielsweise wurde hier bei Projekten wie „Spraywand“ oder „Fitnessraum für Jugendliche“ die Aneignung von Wissen und Können zu Budgetierung, Prozessgestaltung oder Verhandlungstechniken erwähnt. Sämtliche Projektpläne konnten, von den jeweiligen Projektideen ausgehend, mit der gegenseitigen Unterstützung von anderen Jugendlichen und Erwachsenen erfolgreich eingeleitet respektive umgesetzt werden. Die Umsetzung der am Gemeinwohl orientierten Projektpläne resultierte in unmittelbare Veränderungen im Gemeinwesen, indem die Jugendlichen nicht primär ihre persönlichen Anliegen verfolgten, sondern vielmehr eine neue und jugendgerechte Ausgangslage zu schaffen versuchten, von der aus die gesamte Gemeinde profitieren konnte. Ein sechzehnjähriger Jugendlicher äußerte sich dazu folgendermaßen: uj 3 (2010) 125 partizipation „Also ich sehe jetzt, dass die Jugend in Schafisheim eine Wirkung hat, also doch eine Wirkung hat. Was es mir gebracht hat, ist, dass ich in Schafisheim etwas bewirken kann.“ Das Engagement für eine jugendgerechte Gemeindesituation erlaubte es den Teilnehmenden, Erfahrungen bezüglich positiver Effekte der kollektiven Anstrengung zur Verbesserung des Gemeinwohls zu sammeln, wie beispielsweise die während des Projektablaufes sich entwickelnden Unterstützungsangebote zwischen Jugendlichen und Erwachsenen. Die Erweiterung der eigenen Handlungsmöglichkeiten zog aus der Sicht der Jugendlichen allerdings auch Irritationen nach sich, was sogar zu einer zeitweiligen Verunsicherung des Selbstverständnisses führen konnte. Die Jugendlichen betonten, dass sie neue Kompetenzüberzeugungen erworben haben, die sich primär auf das Engagement beim Projekt beziehen lassen. Insbesondere in Bezug auf die kollektive sowie die situations- und bereichsspezifische Selbstwirksamkeitserwartung wurde von positiven Veränderungen berichtet. Die Effekte bezüglich der allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartung waren dagegen weniger eindeutig, wobei hier positive Effekte von den Jugendlichen vielmehr mit Veränderungen in der schulischen Situation und in persönlichen Beziehungen als durch das Projekt erklärt wurden. Dieser Befund korrespondiert mit den Ergebnissen der kontrollierten Einzelfallstudien, in denen lediglich bei einem Jungen und zwei Mädchen ein signifikanter Trend zu einer Verbesserung der allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartung nachgewiesen wurde. Die Jugendlichen erhielten bei der Realisierung ihrer Projekte sowohl von den Erwachsenen als auch von den anderen Jugendlichen Unterstützung. Positive Veränderungen ließen sich insbesondere bezüglich der wahrgenommenen und erhaltenen Unterstützung ausmachen. Die Unterstützungsangebote gingen mit einer Erweiterung des sozialen Netzwerkes einher, wodurch die Jugendlichen sich im Gemeinwesen integrierter fühlten. Ohne diese Unterstützung wäre aus der Sicht der Jugendlichen die Realisierung der Projekte infrage gestellt gewesen. In ihrem Erleben wurden die Jugendlichen dabei von den Erwachsenen in ihren Anliegen und Bedürfnissen ernst genommen. Dieser Befund korrespondiert mit den Ergebnissen der standardisierten Befragung der Subskala Advice des Social Support Inventory, in der sich ein Rückgang an ungefragt erteilten Ratschlägen durch Erwachsene abzeichnet: Im rechtsseitigen Signifikanztest ließ sich mittels des Wilcoxon-Vorzeichenrangtests ein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Angaben aller Jugendlichen zu Beginn und zum Schluss des Projektes bezüglich eines Rückganges der Ratschläge nachweisen. Solche einseitigen Signifikanztests geben an, ob eine Abweichung nach oben oder nach unten vorhergesagt werden kann. Je nach dem, in welche Richtung die Abweichung geht, sind sie linksseitig oder - wie im vorliegenden Fall - rechtsseitig. Eine vierzehnjährige Jugendliche beurteilte ihre Erfahrungen mit den Erwachsenen wie folgt: „Ja, es war auch schon so, dass ich mich von Erwachsenen nicht ernst genommen fühlte. Aber bei diesem Projekt nicht.“ In den Subskalen Assistance, Reassurance, Listening und Reciprocity zeigten sich dagegen keine statistisch signifikanten Veränderungen der Unterstützung durch die Erwachsenen, was in den Interviews wie folgt erklärt wurde: Die meisten Jugendlichen erlebten am Jugendmitwirkungstag 126 uj 3 (2010) partizipation eine positive Unterstützung durch die Erwachsenen. In der anschließenden Projektrealisierungsphase waren sie dann nur noch teilweise auf die Unterstützung durch die Erwachsenen angewiesen. Bezüglich der gegenseitigen Unterstützung durch die Jugendlichen zeigten sich bei der Subskala Assistance des Social Support Inventory signifikante Effekte: Im linksseitigen Signifikanztest ließ sich mittels des Wilcoxon-Vorzeichenrangtests ein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Angaben aller Jugendlichen zu Beginn und zum Schluss des Projektes bezüglich einer vermehrten Unterstützung durch konkrete Taten nachweisen. In den Subskalen Advice, Reassurance, Listening und Reciprocity zeigten sich dagegen keine statistisch signifikanten Veränderungen. In den Interviews fanden sich divergente Erklärungen dieser Befunde, die sich in zwei Gruppen unterteilen lassen: eine Gruppe, bei der sich die Jugendlichen gegenseitig unterstützten und sich Mut machten, und eine zweite Gruppe, bei der die gegenseitige Unterstützung und das Interesse wenig ausgeprägt waren. Diskussion Die Möglichkeit, eigene Ideen im Gemeinwesen zu realisieren, erzeugt bei den teilnehmenden Jugendlichen insbesondere bezüglich der bereichsspezifischen und kollektiven Selbstwirksamkeitserwartung positive Effekte. Die situations- und bereichsspezifische Selbstwirksamkeitserwartung betrifft in diesem Kontext den außerschulischen Bereich, in dem die Realisierung von Ideen der Jugendlichen mit positiven Wirkungen auf die Selbstwirksamkeitserwartung in der situativen Umgebung des Freizeitbereichs einhergeht. Die allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung, welche die optimistische Beurteilung der allgemeinen Lebensbewältigungskompetenzen beinhaltet, erfährt vor allem durch die Schulsituation und durch Beziehungen Veränderungen und eher nicht durch die Teilnahme am Projekt. Hingegen erfolgt die Beeinflussung der situations- und bereichsspezifischen Selbstwirksamkeitserwartung hauptsächlich durch die persönlichen Erfahrungen, welche die Jugendlichen im Projekt machen. Teilweise zeigt sich, dass auch stellvertretende Erfahrungen durch Lernen am Modell positive Auswirkungen auf die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten in Bezug auf die Ausführung einer Handlung haben. Das schrittweise Herangehen an die Projektrealisierung erlaubt es den Jugendlichen, ihre Nahziele zu verfolgen, die einen wichtigen Faktor für die Aneignung von Selbstwirksamkeit darstellen (Schwarzer/ Jerusalem 2002, 45ff). Die Nahziele geben den Jugendlichen einen Handlungsanreiz und führen zu unmittelbaren Erfolgserlebnissen, was einen Aufbau von Kompetenzüberzeugungen auslöst. Die dabei erfahrene und wahrgenommene Unterstützung durch Jugendliche und Erwachsene, die gemeinsamen Entscheidungsfindungsprozesse sowie die anschließende Umsetzung der Projekte bewirken bezüglich der kollektiven Selbstwirksamkeitserwartung positive Effekte. Die Erfahrung der Selbstwirksamkeit der Gruppe führt bei den meisten Jugendlichen zu der Erkenntnis, dass sie über gemeinsame Anstrengungen im Gemeinwesen Veränderungen herbeiführen können. Durch die Erweiterung der sozialen Netzwerke der Jugendlichen wird auf Gemeindeebene eine generationenübergreifende Förderung des Zugehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühls erreicht. Die Jugendlichen fühlen sich nach Abschluss des Projektes vermehrt als Teil einer Gemeinschaft, was sich vor allem in gemeinsam uj 3 (2010) 127 partizipation geteilten Zielen und vermehrten sozialen Interaktionen zeigt. Partiell werden auch bestehende Beziehungen intensiviert, erhalten einen bedeutenderen Stellenwert und führen zu einem vermehrten Gefühl der Integration. Außerhalb des Projektes erleben die Jugendlichen offenbar in ihrem Alltag häufig, dass sie mit ihren Anliegen und Bedürfnissen nicht ernst genommen werden. Die Heranwachsenden wünschen sich jedoch Erwachsene, die sie für voll nehmen und anerkennen. Abschließend ist davon auszugehen, dass die Stärke von Projekten wie „Jugend mit Wirkung“ insbesondere in der konsequenten Umsetzung des Partizipationsgedankens liegt, der dank der Einbettung in den professionellen Kontext der offenen Jugendarbeit auch eingelöst werden kann. Solche Projekte ermöglichen den Jugendlichen die Entwicklung von Handlungsfähigkeit in Teilhabe an gesellschaftlicher Bedingungsverfügung. Die Sicherstellung einer beständigen, verlässlichen und gewährenden Begleitung der Jugendlichen bei der Realisierung ihrer Projekte ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Verantwortungsübernahme der Jugendlichen gefördert und eine ausgeglichene Machtverteilung zwischen den Beteiligten sichergestellt werden kann. Nur wenn eine solche Form der Begleitung gelingt, kann die Verbesserung der situations- und bereichsspezifischen Selbstwirksamkeitserwartung sowie die soziale Integration der Jugendlichen im Gemeinwesen erreicht werden. Literatur Bandura, A., 1977: Social learning theory. Englewood Cliffs Biedermann, H., 2006: Junge Menschen an der Schwelle politischer Mündigkeit. Partizipation: Patentrezept politischer Identitätsfindung? Münster Bloom, M. J./ Fischer, J./ Orm, J. G., 5 2005: Evaluating Practice: Guidelines for the Accountable Professional. Boston Butz, P./ Boehnke, K., 1997: Auswirkungen von ökonomischem Druck auf die psychosoziale Befindlichkeit von Jugendlichen. Zur Bedeutung von Familienbeziehungen und Schulniveau. In: Zeitschrift für Pädagogik, 43. Jg., H. 1, S. 79 - 92 Dunkel-Schetter, C./ Feinstein, L./ Call, J., 1986: University of California Social Support Inventory. Los Angeles Fatke, R./ Niklowitz, M., 2003: Den Kindern eine Stimme geben. Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz. Zürich Fuchs, R./ Hahn, A./ Schwarzer, R., 1994: Effekte sportlicher Aktivität auf Selbstwirksamkeitserwartung und Gesundheit in einer stressreichen Lebenssituation. In: Sportwissenschaft, 24. Jg., H. 1, S. 67 - 81 Fydrich, T./ Sommer, G., 2003: Diagnostik sozialer Unterstützung. In: Jerusalem, M./ Weber, H. (Hrsg.): Psychologische Gesundheitsförderung. Diagnostik und Prävention. Göttingen, S. 79 - 104 Hollstein, B., 2001: Grenzen sozialer Integration. Zur Konzeption informeller Beziehungen und Netzwerke. Opladen Holzkamp, K., 1972: Wissenschaftstheoretische Voraussetzungen kritisch-emanzipatorischer Psychologie. In: Holzkamp, K. (Hrsg.): Kritische Psychologie. Vorbereitende Arbeiten. Frankfurt am Main, S. 75 - 146 Julius, H./ Schlosser, R. W./ Goetze, H., 2000: Kontrollierte Einzelfallstudien. Göttingen Lamnek, S., 4 2005: Qualitative Sozialforschung. Weinheim Mayring, P., 9 2007: Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlage und Techniken. Weinheim Merkens, H., 4 2005: Auswahlverfahren, Sampling, Fallkonstruktion. In: Flick, U./ Kardoff, E. v./ Steinke, I. (Hrsg.): Qualitative Forschung. Reinbek, S. 286 - 299 Mielke, R., 1984: Lernen und Erwartung. Zur Selbst-Wirksamkeits-Theorie von Albert Bandura. Bern Satow, L./ Bässler, J., 1998: Selbstwirksamkeit und körperliches Befinden Jugendlicher. In: Unterrichtswissenschaft, 26. Jg., H. 2, S. 127 - 139 Schultheis, F./ Perrig-Chiello, P./ Egger, S. (Hrsg.), 2008: Kindheit und Jugend in der Schweiz. Weinheim Schwarzer, R., 1991: University of California Social Support Inventory - Deutsche Version. web.fuberlin.de/ gesund/ skalen/ UCLA-SSI_deutsch/ ucla-ssi_deutsch.htm, 22.11.2007, 1 Seite Schwarzer, R./ Jerusalem, M. (Hrsg.), 1999: Skalen zur Erfassung von Lehrer- und Schülermerkmalen. Dokumentation der psychometrischen Verfahren im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Modellversuchs selbstwirksame Schulen. Berlin 128 uj 3 (2010) partizipation Schwarzer, R./ Jerusalem, M., 2002: Das Konzept der Selbstwirksamkeit. In: Jerusalem, M./ Hopf, D. (Hrsg.): Selbstwirksamkeit und Motivationsprozesse in Bildungsinstitutionen. Weinheim/ Basel, S. 28 - 53 Die AutorInnen Yvonne Polloni Infoklick.ch Kinder- und Jugendförderung Schweiz Sandstraße 5 CH - 3302 Moosseedorf yvonne.polloni@infoklick.ch Prof. Dr. Marius Metzger Hochschule Luzern - Soziale Arbeit Werftestraße 1 CH - 6002 Luzern marius.metzger@hslu.ch 2003. 293 Seiten. 15 Abb. 34 Tab. (978-3-497-01660-0) kt Wie können Kinder frühzeitig lernen, eigene Interessen auszuhandeln, ohne die Bedürfnisse anderer aus dem Auge zu verlieren? Was können Pädagogen in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen dazu beitragen? Demokratie in Kindergarten und Schule leben und lernen steht im Mittelpunkt dieser wissenschaftlich fundierten wie praxisorientierten Handbücher zur Förderung sozialer Partizipation von Kindern. Die Bücher bilden zwar eine Einheit - einmal durch einen eher theoretisch angelegten, einmal durch einen sehr praktischen Zugang zum Thema Partizipation -, können aber durchaus unabhängig voneinander gelesen werden. a www.reinhardt-verlag.de
