unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2010.art41d
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Jugendarbeit im Baskenland und internationale Begegnung
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Horst Küppers
Jugendarbeit in Spanien und besonders in der autonomen Provinz Baskenland ist nur unter den dort existierenden ungewöhnlichen politischen Bedingungen zu betrachten und zu verstehen. Im Folgenden wird - vor dem Hintergrund eines 13-wöchigen Praktikums eines free mover innerhalb des EU-Programms Leonardo da Vinci - der Versuch einer aktuellen Situationsbeschreibung unternommen. Eine deutsch- baskische Jugendbegegnung spielt dabei eine wichtige Rolle.
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uj 9 (2010) 385 Unsere Jugend, 62. Jg., S. 385 -391 (2010) DOI 10.2378/ uj2010.art41d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel jugendarbeit und internationale begegnung Jugendarbeit im Baskenland und internationale Begegnung Horst Küppers Jugendarbeit in Spanien und besonders in der autonomen Provinz Baskenland ist nur unter den dort existierenden ungewöhnlichen politischen Bedingungen zu betrachten und zu verstehen. Im Folgenden wird - vor dem Hintergrund eines 13-wöchigen Praktikums eines „free mover“ innerhalb des EU-Programms Leonardo da Vinci - der Versuch einer aktuellen Situationsbeschreibung unternommen. Eine deutschbaskische Jugendbegegnung spielt dabei eine wichtige Rolle. Internationale Begegnung mit Mini-Budget Der Jugendtreff der baskischen Organisation ostargi, um den es hier geht, liegt in Zumaia, einem kleinen Ort an der Küste des Baskenlandes. Die Jugendlichen haben im Sommer viele Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, denn der Strand und das Meer bieten einiges. Aber außerhalb der mindestens 10 Wochen Schulferien sieht das anders aus, dann fehlt es an geeigneten Angeboten - wäre da nicht der Jugendtreff von ostargi. Denn realistisch betrachtet können nur sehr wenige Familien in Spanien diesen langen Zeitraum kreativ und sinnvoll füllen. Es gibt zwar für Kinder und Jugendliche zahlreiche Sommercamps, die jedoch je nach Angebotsumfang sehr teuer sind und schnell das Monatsgehalt eines Normalverdieners aufzehren. Von daher können nur vermögende Eltern - und dann in der Regel auch nur für einen Teil der Ferien - einen solchen Campaufenthalt finanzieren. Also bleibt das Gros der Jugendlichen zu Hause und nutzt das, was örtlich angeboten wird, oder organisiert die Freizeit fantasievoll selbst oder jobbt, während die Eltern arbeiten müssen. Für den Sommer hat der Jugendtreff von ostargi eine Fahrt nach Deutschland geplant. Acht Tage lang treffen sieben Jugendliche - drei jugendliche Frauen und vier Jungen im Alter von 16 bis 20 Jahren - aus Zumaia und ihre beiden BetreuerInnen eine Partnergruppe aus Berlin-Kreuzberg vom Netzwerk Spiel/ Kultur in der Nähe von Stuttgart. Eigentlich gehören zu diesem Kreis noch Partnergruppen aus Slowenien und dem Kosovo, aber diese mussten aus finanziellen Gründen ihre Teilnahme absagen. Da es keine Fördermittel von der EU gibt, sind die Möglich- Horst Küppers Jg. 1951; Oberstudienrat, Lehrer in den Klassen für die Europa-ErzieherInnen an der Elly-Heuss-Knapp- Schule in Neumünster, war in seinem Sabbatjahr für drei Monate als free mover vor Ort und hat die Unterstützung der im Artikel genannten Einrichtungen genutzt, um ein interessantes und informatives Praktikum zu erleben 386 uj 9 (2010) jugendarbeit und internationale begegnung keiten aller Teilnehmergruppen sehr begrenzt. So auch die der baskischen Jugendlichen. Das Budget ist mit 1.400 Euro erstaunlich gering, verschlingt doch der für die Fahrt eigens angemietete Kleinbus den Großteil der Finanzmittel. So haben die Familien und die Jugendlichen selbst fleißig gespart, um ihren jeweiligen Kostenanteil aufbringen zu können. Der Anteil der Gemeinde Zumaia ist verschwindend gering - dort wird die Bedeutung einer solchen Begegnung nicht gesehen. So liegt denn auch das Gros der Vorbereitungen in den Händen der beiden hauptamtlichen ostargi-MitarbeiterInnen: dem Sozialpädagogen Carmelo (29) und der Psychologin Leira (29), die mit viel Engagement und Kreativität die Jugendlichen auf ihre Begegnung mit Deutschland einstimmen. Von der auch in San Sebastian ansässigen gemeinnützigen Vermittlungsorganisation tanGENTE (vgl. Kasten) und dem baskischen Verein für Jugendarbeit ostargi kam denn auch die Idee, einen deutschen Praktikanten in die allgemeinen Vorbereitungen einzubinden. Dieser konnte sich sehr gut auf das einlassen, was die sieben Jugendlichen von ihm forderten: Bereitstellung von Infos über typisch deutsche Denk- und Verhaltensweisen, Umgangsformen, Lebensgewohnheiten sowie die Erarbeitung eines kommunikativen Grundwortschatzes. Gut beraten mit tanGENTE! Die Hilfen von tanGENTE in Donostia-San Sebastián im Rahmen der EU-Programme tanGENTE ist eine gemeinnützige Organisation, die in Donostia-San Sebastián ihre Zentrale hat und über Stützpunkte in Barcelona, Valencia und Hamburg verfügt. tanGENTE führt seit ca. acht Jahren Praktikums- und Weiterbildungsaufenthalte in Spanien durch. Sie hilft und berät bei der Wahl des Praxis- und Aufenthaltsortes sowie der Unterkunft, betreut die TeilnehmerInnen während dieser Zeit und führt in die soziokulturellen Unterschiede zwischen Spanien und Deutschland ein. Auf Wunsch wird auch Sprachunterricht organisiert. Die MitarbeiterInnen haben gute Kontakte zu den spanischen Goethe-Instituten und zu anderen deutschen Auslandseinrichtungen. Des Weiteren waren den baskischen Jugendlichen die Überlegungen einer bestmöglichen Präsentation der eigenen Stadt, der baskischen Kultur, der Sprache und der für die dortigen Lebensformen typischen kulturellen Tradition, die sich in den Festen, Symbolen, Liedern und Tänzen zeigt, wichtig. Mit dieser Präsentation sollten die grundlegenden Informationen über das „andere“ Leben im Baskenland vermittelt werden. Die deutsch-baskische Begegnung war ein voller Erfolg. Die sieben Jugendlichen sind begeistert von ihrer deutschen Partnergruppe und von Deutschland. Natürlich ist ein Aufenthalt von einer Woche kurz, aber was die Jugendlichen erlebt und gesehen haben, sind nachhaltige Eindrücke. In den Auswertungsgesprächen wird vom deutschen Praktikanten jede Gelegenheit genutzt, um falsche und unvollständige Eindrücke zu korrigieren und diese mit weitergehenden Infos zu ergänzen oder zu erweitern. Es gelingt, den E-Mail-Kontakt zur deutschen Gruppe aufrechtzuerhalten. Die ersten Pakete werden hin und her geschickt. Diese Kommunikation ist immer sehr witzig und bestimmt die anschließende Zeit im Jugendzentrum. Selbst die Eltern haben sich von der Begeisterung ihrer Kinder anstecken lassen. Das trug mittlerweile Früchte, und die KommunalpolitikerInnen stehen einer neuen internationalen Begegnung nun fördernd gegenüber. Die Eindrücke sind sehr stark und haben sowohl die mitgereisten als auch die zu Hause gebliebenen Jugenduj 9 (2010) 387 jugendarbeit und internationale begegnung lichen auf Deutschland und die anderen Länder Europas neugierig gemacht. Jetzt wird an einer Dokumentation der internationalen Begegnung gearbeitet, die mehr Akzeptanz in der Öffentlichkeit schaffen soll. Damit sich das Interesse am Kontakt lange hält, soll sie dauerhaft in den Räumen des Jugendzentrums präsentiert werden, und langsam beginnt auch schon die Vorplanung für eine weitere Begegnung. Basken sind autonom und in vielem „anders“ als die Spanier Für den unkundigen deutschen Betrachter ist das Baskenland einfach ein Teil Spaniens - für BaskInnen ist es aber wichtig, über den in den letzten Jahrzehnten nach dem Ende des diktatorischen Regimes Francos erworbenen autonomen Status und seine Bedeutung zu informieren. Um diese weitgehende politische Autonomie und die damit verbundenen Besonderheiten in der Provinz wurde und wird immer noch hart und blutig mit der Madrider Zentralregierung gestritten. So ist wichtig festzuhalten, dass die Jugendlichen in Zumaia mit zwei der vier offiziellen spanischen Sprachen aufwachsen: Baskisch (Euskera) und Spanisch (Castellano). Da diese Sprachen keinerlei Ähnlichkeiten aufweisen, sind sie genauso schwer zu erlernen wie jede fremde Sprache grundsätzlich. Dazu als Beleg zwei Wortbeispiele: zur Begrüßung sagt man auf Spanisch „hola! “, auf Baskisch „kaixo! “; zur Verabschiedung heißt es auf Spanisch „adiós“ und auf Baskisch „agur“. Der politische Kampf um regionale Unabhängigkeit begann unter der Diktatur Francos vor etwa 60 Jahren, da zu dieser Zeit jegliches regionales Eigenleben und Recht auf Identität verfolgt wurde, und wird heute u. a. mit den Anschlägen der verbotenen ETA fortgesetzt. Fast jeder baskische Jugendliche kennt einen der Inhaftierten aus den Reihen der ETA, hat an Demonstrationen und Auseinandersetzungen mit der Spezialpolizei teilgenommen, zählte wenigstens eine Zeit lang zu den Sympathisanten der Bewegung und kann „Heldengeschichten“ vom Widerstand erzählen. Die BaskInnen haben sich gegenüber dem restlichen Spanien und Europa immer abgeschottet, denn in ihrem Freiheitskampf standen sie weitgehend alleine. Vor diesem Hintergrund ist eine internationale Begegnung etwas Besonderes. Zumaia ist ein Stück typisches Baskenland Zumaia liegt direkt an der Küste der Biskaya und ist ein typisch baskischer Ort, nur 45 Autominuten von Bilbao und 20 Autominuten von San Sebastian entfernt. Er verweist auf eine über 600-jährige Geschichte und liegt an der Mündung des Flusses Uruola. Die 9.000 EinwohnerInnen leben vom Schiffsbau, der Reparaturwerft, dem Bootsbau und etwas Kleinindustrie. Im Sommer boomt der Tourismus, und die Gäste tummeln sich an zwei ausgedehnten Stränden. Die geologischen Strukturen des Flyschs (bizarre Verschiebung der Gesteinsplatten), die umliegenden grünen Berge, der ansehnliche historische Stadtkern und der mitten durch die Stadt fließende Uruola geben dem Ganzen etwas Malerisches. Die Jugendlichen wachsen hier noch mit vielen Traditionen auf, die wenig mit Folklore zu tun haben, sondern Ausdruck baskischen Lebens sind. Das Gros der Jugendlichen besucht die staatlichen Schulen, und nur die etwas vermögenderen Eltern schicken ihre Kids in die private Schule. Private Schulen sind in Spanien Normalität, und so wundert es 388 uj 9 (2010) jugendarbeit und internationale begegnung nicht, dass es selbst in einem kleinen Ort eine große private Schule gibt, die bis zum Abitur führt. Spanien und das Baskenland sind in einem Veränderungsprozess Die spanische Bevölkerung steht vor beziehungsweise mitten in einer demografischen Veränderung. Das zeigt sich seit Jahren deutlich im Baskenland und natürlich auch im Küstenort Zumaia. Die Jugendlichen des Jugendzentrums von ostargi sind sogar ein besonders gutes Beispiel dafür. In Zumaia tragen dazu die ortstypische Überalterung und die andauernde Zuwanderung aus Süd-Amerika und Ost- Europa bei. Der Anteil der Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren beträgt 5 % und der zwischen 20 und 24 Jahren 7 % an der Gesamtbevölkerung. Diese Zahlen belegen damit deutlich die Überalterung. Bei der geschlechtlichen Verteilung halten sich Männer (51 %) und Frauen (49 %) etwa die Waage. Bei der prozentualen Verteilung der jugendlichen ZuwandererInnen gibt es zwischen den spanischen Provinzen Unterschiede. Sie schwankt zum Beispiel zwischen 23,5 % in der Provinz Malaga zu 18,6 % im Baskenland. Insgesamt lebten laut aktueller Statistik 2005 (vgl. Injuve 2008) in Spanien insgesamt 1.148.241 ausländische Jugendliche im Alter zwischen 15 und 29 Jahren. Sie verteilen sich folgendermaßen: SüdamerikanerInnen ca. 42 % (478.806), AfrikanerInnen ca. 23 % (253.241), EuropäerInnen ohne EU-Angehörige ca. 19 % (211.283), Europäische Union ca. 12 % (131.553); die Restgruppe macht ca. 4 % aus und verteilt sich auf alle restlichen Nationen und Kontinente (ebd.). Das Gros der jugendlichen MigrantInnen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren lebt mit/ bei ihren Familien (61 %) - also auch in Spanien die Fortsetzung einer typisch südeuropäischen Tradition, die mit den geringen Einkünften der JungverdienerInnen, Bequemlichkeit und der Bedeutung des familialen Zusammenhaltes zu begründen ist. Weitere 17 % leben mit einem/ einer PartnerIn, und 11 % leben alleine - zum Rest gibt es keine Angaben. Der Anteil junger Eheschließungen (bis zum Alter von 29 Jahren) hat in ganz Spanien um 3 % abgenommen. Bei der Vorstellung, wie zukünftig der gemeinsame Lebensunterhalt erwirtschaftet werden soll und wie die Familienarbeit zu bewältigen ist, sind die jugendlichen ZuwandererInnen beiderlei Geschlechts erstaunlich emanzipiert, denn 82,8 % gehen davon aus, dass beide berufstätig sein werden und die im Haushalt anfallenden Arbeiten zu teilen sind (vgl. Aguilera 2009). Bei der Herkunft der jugendlichen MigrantInnen, die im Baskenland leben, zeigt sich die Nähe Spaniens zu Nordafrika. Daher steht der Anteil von 16,1 % an MarokkanerInnen an der Spitze, gefolgt von den ehemaligen Kolonien in Südamerika: 15,7 % aus Ecuador und aus Kolumbien 7,3 %. Erstaunlich hoch ist der Anteil von jungen RumänInnen mit 11,9 %. Die Statistik zeigt auch, dass gerade MigrantInnen in besonders hohem Maße die umfänglichen Hilfen des Staates benötigen und auch in Anspruch nehmen. Aktuelle baskische Erhebungen zeigen, dass 31 % fortlaufenden und 61 % regelmäßigen juristischen Beistand in den verschiedensten Formen brauchen. Die Unterstützung des öffentlichen Gesundheitswesens benötigen ZuwandererInnen zu 67 % fortlaufend und zu 32 % regelmäßig. Die sozialen Dienste und Hilfen nutzen fortlaufend 29 % und regelmäßig 60 %. Fortlaufend Hilfen zur Erziehung benötigen 60 % und regelmäßig 37,5 %. uj 9 (2010) 389 jugendarbeit und internationale begegnung Aufwachsen und Jugendarbeit in Spanien Das öffentliche Bewusstsein der Verantwortung für Jugendarbeit ist in Spanien nicht so ausgeprägt wie in Deutschland und hat, wenn überhaupt, einen traditionell pastoralen Hintergrund. Zudem gibt es oftmals den Verweis auf Sportvereine. In den Problemstadtteilen der großen Städte entstehen in jüngster Zeit mit der zunehmenden Zahl jugendlicher MigrantInnen allerdings auch Jugendzentren. Der lapidare Satz spanischer Eltern „… geh auf die Straße! “ bedeutet kein Abschieben der Kinder und Jugendlichen im negativen Sinne, denn die Calle/ Kallea/ Straße ist nicht wie in Deutschland negativ besetzt und „gesetzesfreier Raum“ - vielmehr kontrollieren alle AnwohnerInnen sehr genau, was dort geschieht! So ist denn auch das Abhängen der Jugendlichen in den Straßen und auf den Plätzen normal und wird nicht als öffentliches Ärgernis empfunden. Eine Stimmung, die vor dem Einfluss der Straße warnt und Position dafür bezieht, dass die Kinder und Jugendlichen nicht auf die Straße gehören, gibt es nicht. Typisch ist zudem, dass Kleinstkinder bis Mitternacht ihre Eltern in Restaurants und Bistros oder Kneipen begleiten, also bereits sehr früh ein hohes Maß an Öffentlichkeit erleben. Erste Besäufnisse und sexuelle Erfahrungen finden auf der Straße ebenso statt wie sportlicher Wettstreit im Fußball oder Basketball. Für die Eltern ist es unvorstellbar, dass ihre 19-jährigen Kinder Freund oder Freundin mit nach Hause bringen. Das wird erst toleriert, wenn die Hochzeit ansteht. Dafür leiht der verständnisvolle Vater vorab dem Sohn schon mal sein Auto und empfiehlt ihm einen ungestörten Parkplatz. So wundert es nicht, dass Jugendzentren der breiten spanischen Bevölkerung suspekt sind und die Anzahl kommunaler Jugendzentren stagniert. Jugendarbeit wird von den Kommunen zunehmend an dafür geeignete Verbände übertragen. Die Jugendlichen von Zumaia und ihr Alltag Einen Teil der oben dargestellten baskischen Landesdaten wird idealtypisch im Jugendzentrum von ostargi in Zumaia bestätigt. Das Gros der BesucherInnen stammt aus Migrantenfamilien. Besonders interessant ist hier die Konstellation der TeilnehmerInnen an der internationalen Begegnung. Diese Jugendlichen stammen aus mexikanischen, chilenisch-argentinischen, argentinisch-spanischen, paraguayisch-argentinischen und spanischen familialen Konstellationen. Das stellt natürlich die Jugendarbeit vor besondere Herausforderungen. Die BesucherInnen des Jugendzentrums haben einfache und mittlere Schulabschlüsse, die sie in der Regel an der staatlichen Schule erworben haben, und selten ist eine/ r unter ihnen, der/ die die private Schule besucht. Alle wissen, dass sie, um beruflich weiterzukommen, ihre Kleinstadt verlassen und in San Sebastian oder Bilbao ihr Glück versuchen müssen. Möglichkeiten der sozialen Arbeit im Jugendzentrum Das Jugendzentrum liegt am Hafen im Erdgeschoss eines großen Neubauwohnblocks und besteht aus einem etwa 100 m 2 großen Gruppenraum und einem nur 3 m 2 kleinen Büro. Hinzu kommt noch eine Miniküche (6 m 2 ) und eine behindertengerechte Toilette. Es ist also alles sehr beengt und klein. Die Ausstattung umfasst die bekannten Standards: Sitzecke, Tischgruppe, Bücher- und Materialregale als 390 uj 9 (2010) jugendarbeit und internationale begegnung Raumteiler und einen Kicker. Die Räume sind hell, einladend und nicht verstellt oder zugemüllt. Sie stellen ein echtes Angebot dar. Das Büro ist ans Internet angeschlossen, und von daher sind wichtige Fakten schnell greifbar - z. B. ist der Kontakt nach Deutschland schnell hergestellt. Ostargi ist die einzige Möglichkeit für Jugendliche in Zumaia, sich zu treffen. Die Kirche oder andere Organisationen haben keine Angebote. Die MitarbeiterInnen verstehen ihren Treff als „sozial-edukative Intervention“. Dieser und weitere von ostargi getragenen Jugendtreffs werden zu 100 % aus Finanzmitteln der baskischen Landesregierung gefördert. Arbeitsbedingungen der MitarbeiterInnen Insgesamt arbeiten drei MitarbeiterInnen im Jugendzentrum: ein Sozialpädagoge mit voller Stelle (37,5 Stunden) und zwei Teilzeitkräfte (Psychologin und Sozialpädagogin) mit jeweils 22 Stunden. Der Verdienst ist im Vergleich zu Deutschland geringer. Der Sozialpädagoge (28 Jahre) verdient 1.400,- Euro, die Teilzeitkräfte verdienen jeweils 800,- Euro monatlich. Alle haben sechs Wochen Urlaub jährlich, und die Teilzeitkräfte erhalten zusätzlich Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Die Gehälter sind für die Region üblich, lediglich die pädagogischen MitarbeiterInnen der Kommunalverwaltungen erhalten ca. 15 % mehr Gehalt. Exkurs: Sprachenarbeit mit MigrantInnen in San Sebastian MigrantInnen haben im Baskenland die Gelegenheit, kostenlose Spanisch- und Euskera-Kurse, die von den Kommunalverwaltungen angeboten werden, zu besuchen. Bei der Aufnahme für einen Kursus gibt es nur minimale Formalitäten - es wird lediglich der Vor- und Nachname erfragt. Damit bleiben illegale EinwandererInnen auch weiterhin in der Sicherheit der Anonymität und haben die Chance teilzunehmen. Ich besuchte eine Klasse in San Sebastian, und mich überraschte der Nationenmix unter den 12 SchülerInnen aus Ghana, Kamerun, Bolivien, Ukraine, Nigeria, Marokko, USA, Deutschland, China und Guatemala. Wobei einige TeilnehmerInnen erst einmal alphabetisiert werden, denn sie können weder schreiben noch lesen. Parallel wird die Fremdsprache Spanisch erworben. Ein gutes Beispiel ist die Bolivianerin Marina, die aus Cochabamba stammt, in ihrer Heimat nur Quechua sprach und weder schreiben noch lesen konnte. Hier kämpft sie sich noch vor der Arbeit in einer Metzgerei durch die spanische Grammatik, das Alphabet und das Vokabular. Die Qualität der Kurse, Räume, Unterlagen, Materialausstattung und die Kompetenz der Lehrkräfte sind optimal. Jugendliche organisieren ihre Treffs Gab es vor allem in den großen Städten des Baskenlandes bis vor wenigen Jahren noch von Jugendlichen besetzte Häuser, so gibt es diese Szene aktuell nicht mehr. Aber wo bleiben die Jugendlichen dieser Szene? Im Moment ist das Phänomen zu beobachten, dass sich große Gruppen von Jugendlichen zusammenschließen und eine schwer vermietbare Immobilie - z. B. ein Ladenlokal oder eine Werkstatt - anmieten. Jeder zahlt etwa 30 Euro monatlich, und alle gemeinsam richten die Lokalität ein. Dann stehen dort Sofas, etliche Kühlschränke und viele PCs im Raum. Eine entsprechende Musik- und Lichtanlage gehört natürlich auch dazu. Die Scheiben des Ladenlokals weruj 9 (2010) 391 jugendarbeit und internationale begegnung den blickdicht gestrichen, und innen sieht es entsprechend dem Geschmack der Gruppe aus. Und jede Clique hat und pflegt einen unverkennbaren Stil. Solche Gruppen sind bis zu 50 Jugendliche stark. Natürlich kommt ein entsprechender Anhang dazu, und dann sind Party und Abhängen angesagt. Fazit Jugendarbeit im Baskenland ist immer im politischen Kontext zu sehen. Selbst in einem deutsch-baskischen Jugendaustausch wird das deutlich. Um mehr Jugendlichen die Teilnahme an einer internationalen Jugendbegegnung zu ermöglichen, ist es für die Zukunft unabdingbar, dass Finanzmittel aus einem der EU-Förderprogramme eingeworben werden. Gerade das Beispiel der internationalen Begegnung öffnet die baskischen Jugendlichen aus Zumaia und anderen Städten für Europa. Das Leonardo da Vinci Programm der EU Leonardo da Vinci ist ein komplexes europäisches Förderprogramm für den Bereich Berufsbildung. Aus Leonardo da Vinci werden Projekte in verschiedenen Bereichen für unterschiedliche Personenkreise gefördert: Personen in Erstausbildung, Personen, die bereits am Arbeitmarkt sind, und zudem Fachkräfte. Damit können zurzeit circa 10.600 deutsche TeilnehmerInnen im Ausland Erfahrungen sammeln. Gefördert werden im Rahmen der Projekte Reisekosten, Sprachvorbereitung und ein Stipendium für den Aufenthalt. Weitere Infos unter www.na-bibb.de. Free mover im Rahmen von Leonardo da Vinci sind Personen, die sich ihren Praxisort und ihr Einsatzfeld europaweit selbst suchen. Sie haben in der Regel sehr konkrete Vorstellungen davon, was ihnen der Auslandseinsatz an Erkenntnissen und Profiten bringen soll. Sie suchen sich in Deutschland eine Organisation, wie z. B. Arbeit und Leben, die sie aus den EU-Mitteln finanziell fördert. Weitere Infos unter www.hamburg.arbeitundleben.de Literatur Aguilera, M., 2009: Estamos preparados para esta generación. In: Critica, Nr. 962, S. 15ff Injuve, 2008: Sondeo de opinion de la gente joven. 3a encuesta 2008 Küppers, H., 2009: Erziehernetzwerk für Europa. In: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik (TPS), H. 5 Der Autor Horst Küppers Bachstraße 32 24534 Neumünster ho.kueppers@web.de
