unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Tiergestützte Interventionen in der stationären Jugendhilfe: das Husky-Projekt Thüringen
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Sabine Eck
Bei Verhaltensauffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen, die durch ungünstige Entwicklungsbedingungen verursacht wurden, können tiergestützte Interventionen eine erfolgversprechende Maßnahme darstellen, die das konventionelle sozialpädagogische Handeln in der Jugendhilfe positiv verändert. Tiere bedeuten den meisten Menschen sehr viel. Sie sind nicht nur Begleiter, sie sind Freunde und Wegbegleiter. Die hohe emotionale Besetzung der Mensch-Tier-Beziehung zeigt sich darin, dass die Tiere als unsere Partner oder auch als therapeutische Begleiter einen wichtigen Platz in unserem Leben finden (vgl. Prothmann 2008).
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203 unsere jugend, 63. Jg., S. 203 - 210 (2011) DOI 10.2378/ uj2011.art21d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Sabine Eck, M. A. Jg. 1981; Erziehungswissenschaftlerin, Soziologin, Fachkraft und Dozentin für tiergestützte Therapie, Pädagogik und Beratung, Projektleiterin des Husky- Projektes Thüringen Tiergestützte Interventionen in der stationären Jugendhilfe: das Husky-Projekt Thüringen „Tiere sind die besten Freunde. Sie stellen keine Fragen und kritisieren nicht.“ (Mark Twain) Einführung Bei Verhaltensauffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen, die durch ungünstige Entwicklungsbedingungen verursacht wurden, können tiergestützte Interventionen eine Erfolg versprechende Maßnahme darstellen, die das konventionelle sozialpädagogische Handeln in der Jugendhilfe positiv verändert. Tiere bedeuten den meisten Menschen sehr viel. Sie sind nicht nur Begleiter, sie sind Freunde und Wegbegleiter. Die hohe emotionale Besetzung der Mensch-Tier-Beziehung zeigt sich darin, dass die Tiere als unsere Partner oder auch als therapeutische Begleiter einen wichtigen Platz in unserem Leben finden (vgl. Prothmann 2008). Das Zusammenleben zwischen Mensch und Tier hat eine lange Tradition. Mit der kulturellen Entwicklung der Menschen veränderte sich auch die Beziehung zu den Tieren. Die reinen „Jagdgefährten“ oder „Arbeitstiere“ traten mehr und mehr in den Hintergrund, das Haustier als sozialer Partner hat dagegen stetig an Bedeutung gewonnen. Unbestritten ist die Tatsache, dass Tiere den Menschen gut tun, ob sie nun gesund oder krank sind. Tiere können uns nicht nur in schwierigen Lebenssituationen begleiten, sie unterstützen, fördern uns und können ebenso Impulse für einen heilenden Prozess geben (vgl. Otterstedt 2001). Inzwischen sind Tiere aus vielen Sozial- oder Pflegeeinrichtungen gar nicht mehr wegzudenken. Sie haben sich ihren Platz erobert, und auch die tiergestützte Sozialpädagogik rückt zunehmend in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Die tiergestützten Interventionen werden je nach Bedingungen und individuellen pädagogischen Zielen unterschiedlich gestaltet und beinhalten verschiedene pädagogische Strategien, die stets mit ermutigender Wertschätzung einhergehen (vgl. Saumweber 2009). Eine positive Bestärkung ist wichtig, um heilsame Prozesse zu etablieren, Beziehungen zu festigen und Verhaltensauffälligkeiten zu verringern. Die Mensch-Tier-Beziehung kann Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder 204 uj 5 | 2011 Tiergestützte Pädagogik und Jugendlichen erleichtern. „Durch die Einbindung eines Tieres in den Aufbau der pädagogischen Beziehung wird es leichter, den Klienten dort abzuholen, wo er steht, und ihn aktiv in den Entwicklungsprozess zu integrieren“ (Saumweber 2009, 232). Kinder und Jugendliche können sich besser entwickeln, wenn ihnen ein Tier als Gefährte zur Seite steht. Die Tiere können hierbei Identifikationssymbol, Tröster, Freund oder aber auch neutraler und konsequenter Erzieher sein. Junge Menschen, die mit Haustieren aufgewachsen sind, zeigen oft mehr Verantwortungsbewusstsein und Empathie. Die bloße Anwesenheit von Tieren kann blutdrucksenkend und stabilisierend auf Herz und Kreislauf wirken. Viele Tiere suchen von sich aus den Kontakt mit uns Menschen, und dies erleben wir oft als beglückend und schön. Die tiergestützte Arbeit funktioniert jedoch nur, wenn die eingesetzten Tiere nicht instrumentalisiert werden und stets artgerecht mit ihnen umgegangen wird! Humanität im Interesse von Mensch und Tier ist sehr wichtig in der tiergestützten Pädagogik und Therapie. Auch im Bereich der Jugendhilfe wird durch die tiergestützte Sozialpädagogik ein ganzheitliches Lernfeld geschaffen, welches das zu bearbeitende individuelle Entwicklungsthema der Kinder und Jugendlichen fokussiert, tiefgreifende und emotional bedeutsame Erfahrungen erlebbar macht und dadurch Verhaltensänderungen erleichtern bzw. ermöglichen kann (vgl. Saumweber 2009). „Der Begriff Jugendhilfe umschreibt ein weites Feld staatlich verantworteter, subsidiärer Fürsorge für Kinder, Jugendliche und deren Eltern (Personensorgeberechtigte) und Familien. Er umfasst alle staatlichen Bemühungen und Maßnahmen, die der Sicherung und Erfüllung des Rechtes des jungen Menschen auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit dienen“ (§1 Abs. 1 KJHG). Aufgabe der Jugendhilfe ist es, im Zusammenhang mit Konflikten und Problemen von Kindern und Jugendlichen gesellschaftliche Zusammenhänge zu analysieren, um die jeweiligen Sozialisationsbedingungen für die jungen Menschen zu verbessern, Notlagen zu beheben und Fehlentwicklungen entgegenzuwirken. Es gib eine Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen (Präventivmaßnahmen und Förderangebote, Beratungsleistungen, Betreuungshilfen, Kriseninterventionen sowie familienunterstützende, -ergänzende und -ersetzende Angebote), um die Kinder und Jugendlichen zu fördern und zu begleiten. Eine dieser Maßnahmen kann die tiergestützte Arbeit sein, wie sie auch in der stationären Jugendhilfeeinrichtung WENDEPUNKT Wolfersdorf angeboten wird. Das sozialpädagogische Jugendhilfezentrum WENDEPUNKT Wolfersdorf Der WENDEPUNKT e.V. wurde 1998 als Verein zur Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege sowie der Bildung und Erziehung gegründet. Der Verein unterhält neben einer Beratungsstelle auch eine Tagesstätte für Suchtkranke und ist Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband Thüringen e.V. sowie im Fachverband Drogen und Rauschmittel e.V. (fdr). Seit 2004 ist der WENDEPUNKT e.V. Träger des sozialpädagogischen Jugendhilfezentrums in Wolfersdorf. Der Träger orientiert sich an einem christlichhumanistischen Welt- und Menschenbild. Darunter wird vor allem eine prinzipiell positive, akzeptierende, unvoreingenommene, vorurteilsfreie und wertschätzende Grundhaltung jedem Menschen gegenüber verstanden. Die Jugendhilfeeinrichtung will jungen Menschen in schwierigen Lebenssituationen eine 205 uj 5 | 2011 Tiergestützte Pädagogik neue Chance bieten, sie ein Stück ihres Lebens und ihrer Entwicklung begleiten, und somit einen wichtigen Teil zur Selbstständigkeit dieser Menschen beitragen. Nach dem Leitbild des Vereins bedeutet Pädagogik auch „Entwicklungshilfe“ auf dem Weg zur eigenen, selbstständigen Persönlichkeit, oder, wie es Maria Montessori formulierte: „Erziehung heißt: Dem Leben helfen.“ Zielgruppen und Angebote Das Ziel des Vereins ist es, benachteiligten Kindern und Jugendlichen eine neue Chance und Lebensperspektive zu bieten. Die jungen Menschen werden über die Zuweisung der jeweiligen Jugendämter auf der Basis der Freiwilligkeit aufgenommen. Unter Berücksichtigung des gesetzlichen Auftrages nach SGB VIII und dem Jugendgerichtsgesetz leistet der WENDEPUNKT Wolfersdorf Hilfen zur Erziehung für junge Menschen, insbesondere bei folgenden Indikationsstellungen: ➤ vorzeitiger Schulentlassung und SonderschulabgängerInnen, ➤ Störungen im Bereich der Intelligenz, dem Sozial-, Arbeits- und Leistungsverhalten, ➤ Störungen im Umfeld jugendpsychiatrischer Krankheitsbilder im Sinne des § 35 a SGB VIII (Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche), ➤ hoher sozialer Unverträglichkeit und/ oder Unselbstständigkeit, ➤ erheblichen Erziehungsschwierigkeiten, SchulverweigererInnen und SchulabbrecherInnen mit Verhaltensstörungen, ➤ Anordnung auf Intensivpädagogische Einzelbetreuung (ISPE) und ➤ vorläufige richterliche Anordnung über die Erziehung nach §§ 71/ 72 JGG. Die Einrichtung in Wolfersdorf besteht aus unterschiedlichen Angeboten der Jugendhilfe. Sie umfasst: ➤ ein Jugendwohnheim mit 24 Plätzen (3 Wohngruppen nach § 34 und 35 a SGB VIII mit einem integrierten Platz nach §§ 71/ 72 JGG und einem Platz ISPE) mit gruppenübergreifenden Angeboten wie soziales Kompetenztraining, Psychologische Beratung, Husky- Projekt, Antiaggressionstraining, Angel-Projekt, Drogen-Projekt, AG DRK-Feuerwehr, Fußball-Projekt und Trommelprojekt, ➤ das Betreute Wohnen mit 8 Plätzen, ➤ die Inobhutnahme mit 3 Plätzen (nach § 42 SGB VIII), ➤ die Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge (UMF), ➤ die interne Berufsausbildung zum Koch oder Tischler. ➤ In Kooperation mit einer dem Verein zugehörigen externen Förderschule erfolgt auch die interne Beschulung in zwei Kleinklassen (1 Klasse Förderschule (V ) mit 6 Plätzen, 1 Klasse BvJ mit 6 Plätzen). ➤ Neu in Planung (Fertigstellung voraussichtlich Sommer/ Herbst 2011) ist die sozialtherapeutische Wohngruppe mit Tagesstruktur für suchtmittelgefährdete und suchtmittelabhängige junge Mütter mit Kind (7 Plätze). Tiergestützte Sozialpädagogik im WENDEPUNKT Wolfersdorf Während das Husky-Projekt regulärer Bestandteil der Jugendhilfeeinrichtung in Wolfersdorf ist, können zusätzlich zu diesem Angebot auch individuell vereinbarte Maßnahmen mit einem Therapiehund oder einem Gruppenbesuchshund angeboten werden. Gruppenbesuchshunde Hierbei begleitet der eigene Hund eine pädagogische/ therapeutische Fachkraft mit in die Einrichtung. Das Mensch-Hund-Team besucht dabei die einzelnen Wohngruppen der Kinder 206 uj 5 | 2011 Tiergestützte Pädagogik und Jugendlichen der Einrichtung. Regelmäßig durchgeführte Tierbesuche können eine gewisse Konstanz im Leben der Heimbewohner/ innen darstellen. Mit den Tierbesuchen wird etwas Strukturiertes, Beständiges geschaffen, ähnlich einem Ritual. Die Jugendlichen können sich darauf verlassen, sie freuen sich auf die Tierbesuche. Somit kann die Kontakt- und Kommunikationsfähigkeit der Kinder und Jugendlichen im Zusammenhang mit den Besuchen gesteigert werden (vgl. Vernooji/ Schneider 2008). Die Tiere können das Zusammensein in einer Gruppe erleichtern, eine belebende Atmosphäre schaffen und aufkommenden Spannungen vorbeugen. Therapiebegleithunde („Co-Therapeuten auf vier Pfoten“) Die ausgebildeten Hunde begleiten in einer festgelegten Therapiesitzung den/ die TherapeutIn/ pädagogische Fachkraft. Die Hunde können unter anderem beim Beziehungs- und Kommunikationsaufbau, beim Gedächtnistraining und beim Erhalt von motorischen und kognitiven Fähigkeiten der jungen Menschen helfen. Das Husky-Projekt Thüringen - ein Projekt der tiergestützten Pädagogik und Therapie Das Husky-Projekt Thüringen ist seit 2006 integrierter Bestandteil des sozialpädagogischen Jugendhilfezentrums WENDEPUNKT Wolfersdorf. Das Projekt ist ausgerichtet für Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 21 Jahren und stellt eine Maßnahme der pädagogischen und therapeutischen Arbeit der Einrichtung dar. Besonders für traumatisierte, sozial benachteiligte und verhaltensauffällige junge Menschen kann die tiergestützte Arbeit ein wichtiger Faktor auf ihrem Entwicklungsweg sein. Ausgangssituation Psychische Gesundheit steht in engem Zusammenhang mit sozio-emotionalen Kompetenzen wie Empathie, Bindung und Selbstwertgefühl: Faktoren, die durch den Kontakt mit Tieren beeinflusst werden können. Dies gilt besonders für sozial benachteiligte junge Menschen, denen es aufgrund ihrer negativen Erfahrungen mit ihrem sozialen Umfeld oft leichter fällt, positive Beziehungen zu Tieren aufzubauen. Die Tiere gelten dabei oft als „Türöffner“ und können die Kinder und Jugendlichen somit aus der Isolation befreien. Aufbau des Projektes Ein Schwerpunkt der Arbeit mit den Huskys ist die ordnungsgemäße Versorgung der Tiere, was Verantwortung, Disziplin und Kontinuität verlangt. Aber auch die Bewegungspädagogik- und -therapie (Wanderungen, gezieltes Hundetraining zur Stabilisierung der Mensch- Tier-Menschbeziehung, geführte Fahrrad- und Schlittentouren etc.) sind wichtige Bestandteile des Projektes. Die regelmäßige Bewegung mit den Hunden kann außerdem Erkrankungen von Bewegungsapparat und Kreislauf vorbeugen. Leitung des Projektes Das Husky-Projekt wird von einer Projektleiterin getragen, die zum pädagogisch/ therapeutischen Team der Einrichtung gehört. Neben der tiergestützten Arbeit mit den Jugendlichen und der Betreuung der Hunde stellt die Projektleiterin auch klare Richtlinien für die Pflege, die Arbeit und das Training mit den Hunden auf und sorgt gemeinsam mit den Jugendlichen für die Instandhaltung der Unterkunft der Hunde. Die Projektleiterin betreut Kinder und Jugendliche der Einrichtung, 207 uj 5 | 2011 Tiergestützte Pädagogik die ins „Husky-Team“ aufgenommen werden, wenn sie sich nach einer 4-wöchigen Probezeit bewährt haben und verantwortungsbewusst und kontinuierlich mit den Hunden arbeiten können. Durch die Akzeptanz einer gewissen Ordnung und der Regeln, an die sich die Menschen und die Hunde halten, ist es möglich, bestimmte Verhaltensmuster der Jugendlichen aufzubrechen und zu verändern. Sie lernen, mit den Hunden zu arbeiten, ihre Eigenheiten und ihr Können mit den eigenen Möglichkeiten zu verbinden, um so ein Team zu bilden. Dies kann bei den jungen Menschen nicht nur eine Erhöhung des Selbstwertgefühls und der Gruppenzugehörigkeit bewirken, sondern auch zu einer Verbesserung des oft schlechten Gesundheits- und Konditionszustandes führen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der gezielten tiergestützten Pädagogik und Therapie. Die Projektleiterin betreut dabei Jugendliche in therapeutischer Einzel- oder Gruppenarbeit. Die Hunde gelten dabei als „Co-Therapeuten“, sie unterstützen die Arbeit der Projektleiterin. Tierschutzrechtliche Überlegungen Tierschutz bedeutet, Verantwortung zu übernehmen für unsere Mitgeschöpfe. Zweck des Tierschutzgesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Wer ein Tier hält, muss dieses nach § 2 des deutschen Tierschutzgesetzes der Art und den Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und artgerecht unterbringen, eine artgerechte Bewegung gewährleisten sowie Sachkenntnisse über Ernährung, Haltung, Unterbringung und Pflege haben. Deshalb ist es für die tiergestützte Arbeit extrem wichtig, stets auch das Wohl des Tieres zu beachten. Die Anzahl und Länge der tiergestützten Arbeitseinheiten sind zu beachten. Die Hunde dürfen niemals überfordert werden, denn eine zu hohe Belastung kann negative Langzeitfolgen im Verhalten oder der Gesundheit der Tiere hervorrufen und somit die Wirkungen tiergestützter Interventionen verringern oder gar verhindern. Stress sollte vermieden werden bzw. es sollten vorbeugende Maßnahmen bei ersten Anzeichen von Stress getroffen werden. Die Jugendlichen, die für das Projekt infrage kommen, werden zu Beginn darüber aufgeklärt, dass jegliche Art tierquälerischen Verhaltens nicht geduldet wird und zum sofortigen Ausschluss aus dem Husky-Projekt führt. Es werden Verhaltensregeln aufgestellt und jedem Jugendlichen ausgehändigt sowie ein Exemplar unterschrieben an die Projektleiterin abgegeben. Zusätzlich wird ein Hygieneplan erstellt, der die jungen Menschen über wichtige Regeln und hygienische Maßnahmen aufklärt. Durchführung des Projektes Bevor ein gezieltes Projektsetting stattfinden kann, sind einige Vorbereitungen zu treffen. Geplante Übungen für neue Husky-Teammitglieder sind u. a. folgende: ➤ Kontakt herstellen zwischen Mensch und Tier (erstes Aufeinander-Zugehen von Mensch und Tier, erste Berührungen, Körperkontakt), ➤ Umgang mit den Hunden lernen (Einführung in ihren Lebensraum und den richtigen Umgang mit dem Tierzubehör), ➤ Offenheit gegenüber den Betreuungspersonen und den anderen Jugendlichen (Abbau von Berührungsängsten). Übungen, wie das Streicheln der Tiere, das Fell bürsten, Geschirre, Halsungen und Leinen an- und ablegen, die Umgebung der Hunde kennen, Schleppleinentraining sind wichtig für den Mensch-Tier-Kontakt. 208 uj 5 | 2011 Tiergestützte Pädagogik Ziele Ein zentrales Ziel des Projektes ist die Stabilisierung sozialer Kompetenzen: Verantwortungsbewusstsein, Selbstwert, emotionale Selbststeuerung, Anpassungs- und Kompromissbereitschaft, Teamfähigkeit, soziale Sensibilität, Empathie, Zuverlässigkeit, Fairness und Authentizität. Spezifische Einwirkungsbereiche (Motorik und Körpergefühl, Kognition und Lernen, Wahrnehmung, Soziabilität, Emotionalität, Sprache und Kommunikation) können dabei mit gezielten tiergestützten Interventionen (Bürsten der Hunde, An- und Ablegen der Halsungen und Geschirre, Streicheln, Leinentraining, Kommandotraining etc.) beeinflusst und gestärkt werden. Sibirische Hunde als therapeutische Begleiter Sibirian Huskys sind, wie auch andere nordische Rassen, Rudeltiere. Das charakteristische Temperament der Tiere ist freundlich, sanftmütig, aufmerksam, arbeitstüchtig und kontaktfreudig. Huskys zeigen nicht die Eigenschaften eines Wachhundes, sie sind sehr menschenfreundliche Hunde, die kaum bellen. Sie leben am liebsten im Rudel, sind aber sehr gerne in menschlicher Gesellschaft. Sie gehen völlig unvoreingenommen auf Kinder und Jugendliche zu und sind Menschen gegenüber stets freundlich, nicht aggressiv. Das Rudel stellt hier die primäre Bezugsperson für die Hunde dar, die Projektleiterin ist die sekundäre Bezugsperson und zweite Konstante im Leben der Hunde. Dies ist wichtig, da die Klientel der Einrichtung einem ständigen Wechsel unterworfen ist und sich dies negativ auf das Wohlbefinden der Tiere auswirken kann. Ein Fallbeispiel Ein 16-jähriges schulverweigerndes Mädchen, das zum Zeitpunkt seiner Aufnahme in der Einrichtung wiederholtes Fluchtverhalten zeigte und sich nicht in die Wohngruppe integrieren konnte, zeigte durch die tiergestützten Interventionen deutliche Fortschritte. Die Jugendliche wurde von jungen Menschen in ihrem Alter oft ausge- Erstkontakt einer Jugendlichen mit den Huskys: sanftes Streicheln eines Hundes unter Anleitung der Projektleiterin 209 uj 5 | 2011 Tiergestützte Pädagogik grenzt, kam aus schwierigen sozialen Verhältnissen und zeigte starke sozio-emotionale Defizite. Mit den Huskys wollte sie zuerst wenig zu tun haben, da sie oft auf der Flucht war und sich vor den anderen Jugendlichen schämte. Später entschied sie sich freiwillig dazu, im Husky-Projekt mitzuarbeiten. Durch gezielte Übungen sowie regelmäßige Kuscheleinheiten mit den Tieren überwand das Mädchen langsam alle anfänglichen Berührungsängste und suchte mehr und mehr den Kontakt zu den Hunden. Sie stand früh auf, um die Hunde zu begrüßen, und fand danach auch immer öfter den Weg in die Schule. Im Husky-Team, zusammen mit anderen Jugendlichen, fand sie Anschluss und ein gemeinsames Gesprächsthema: die Hunde. Sie wurde akzeptiert und fand ihren Platz in der Gemeinschaft. Ihre häufigen schulischen Fehlzeiten verringerten sich zusehends, sie wirkte ausgeglichener, emotional gestärkter und verantwortungsbewusster. Evaluation des Projektes Die tiergestützte Arbeit ist für viele Jugendliche wichtiger Bestandteil des Alltags geworden. Von den ca. 30 Jugendlichen der Einrichtung sind allein 20 im Husky-Projekt tätig und werden tiergestützt betreut. Der Bedarf ist groß, jedoch muss genau abgewogen werden, welche/ r Jugendliche für welche tiergestützten Interventionen geeignet ist. Einige Jugendliche können nicht in der Gruppe agieren, sie benötigen eine Einzelbetreuung. Andere können nur bei bestimmten Voraussetzungen in die Gruppe integriert werden und fordern viel Aufmerksamkeit. Deshalb ist eine genaue Zeitplanung sowie Zielsetzung sehr wichtig für die tiergestützte Arbeit. Für eine Evaluierung des Projektes werden alle Dokumentationen der tiergestützten Interventionen analysiert, interpretiert und ausgewertet. Wirkung der tiergestützten Interventionen So unterschiedlich die Biografien der Jugendlichen auch sind, so ähnlich sind ihre Entwicklungen seit Beginn der tiergestützten Arbeit im Husky-Projekt. In der Arbeit mit einzelnen Kindern und Jugendlichen steht die Bearbeitung der individuellen Probleme im Vordergrund. 210 uj 5 | 2011 Tiergestützte Pädagogik Literatur Otterstedt, C., 2001: Tiere als therapeutische Begleiter. Gesundheit und Lebensfreude durch Tiere - eine praktische Anleitung. Stuttgart Prothmann, A., 2 2008: Tiergestützte Kinderpsychotherapie. Frankfurt am Main Saumweber, K., 2009: Tiergestützte Pädagogik in der stationären Jugendhilfe. Die Wirkung tiergestützter Interventionen bei verhaltensgestörten Jugendlichen in stationären Jugendhilfemaßnahmen. Dissertation Universität Köln. Norderstedt Vernooij, M./ Schneider, S., 2008: Handbuch der Tiergestützten Intervention. Grundlagen, Konzepte, Praxisfelder. Wiebelsheim Besonders beeindruckend sind die Lernprozesse im emotionalen und sozialen Bereich. Anfängliche Berührungsängste (sei es den Tieren wie auch anderen Jugendlichen oder den Betreuungspersonen gegenüber) werden abgebaut, und Aggressionen können besser gesteuert und Krisensituationen können entschärft werden. Dies kann an der beruhigenden Wirkung des Tierkontaktes auf die Jugendlichen beobachtet werden. Dort, wo sie vorher ständig unruhig und lautstark auftraten, sind sie während der Arbeit mit den Tieren oft gelöster und sensibler für emotionale Nähe und Berührung. Das stark angeschlagene Selbstbewusstsein vieler Jugendlicher wird durch viele kleine Erfolgserlebnisse gestärkt. Sie sind stolz, wenn sie etwas erreicht haben, und teilen dies auch ihrem sozialen Umfeld mit. Gerade die Jugendlichen, die von ihren Eltern und Familien abgelehnt werden, brauchen viel Lob und Anerkennung - Dinge, die früher zu gering ausfielen. Diese positive Bestärkung ist ganz wichtig, sonst resignieren sie schnell und ziehen sich zurück. Durch die Tiere werden positive Effekte wie verbessertes Selbstwertgefühl, emotionale Regulation und soziale Kompetenz erreicht. Diese können auf den Umgang mit Menschen übertragen werden. Somit verbessert sich auch die Fähigkeit der Kinder und Jugendlichen, sich in Gruppen und der Gesellschaft erfolgreich zu bewegen. Eine Reintegration kann dadurch erleichtert werden. Das wichtigste Kriterium bei allen tiergestützten Interventionen ist jedoch die Freiwilligkeit. Denn unter Zwang oder gar mit einer Tierphobie kann kein positives Ergebnis erzielt werden. Verhaltensauffällige Jugendliche sind von ihren Familien oft im Stich gelassen worden, und viele hatten in ihrem bisherigen Leben keine konstanten Bezugspersonen. Die Jugendlichen, aber auch PädagogInnen und ErzieherInnen in den Jugendhilfeeinrichtungen wechseln häufig, und die Fluktuationsrate ist im anstrengenden Alltag der stationären Erziehungshilfe sehr hoch. Deshalb ist es gerade für diese jungen Menschen wichtig, einen festen Halt in ihrem Leben zu bekommen. Günstige Effekte lassen sich hier über tierische„Co-Therapeuten“ erzielen. Diese können auch systematisch wirken, wenn die Jugendlichen zu den Tieren stabile Beziehungen aufbauen. Die Wichtigkeit der tiergestützten Interventionen mit Hunden bringt folgendes Zitat von Hildegard von Bingen zum Ausdruck: „Gib dem Menschen einen Hund und seine Seele wird gesund! “ Sabine Eck Jugendhilfezentrum Wolfersdorf Dorfstraße 17 a 07646 Trockenborn-Wolfersdorf bine.eck@web.de
