eJournals unsere jugend 63/5

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2011
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Einführungen in die Soziale Arbeit

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2011
Wolfgang Müller
Zweimal wurde bisher versucht, über Umfragen zu ermitteln, ob sich inzwischen auch in der Sozialen Arbeit ein Bestand an Basis- und Standardliteratur entwickelt hat, auf den in der Ausbildung und Praxis regelmäßig zurückgegriffen wird bzw. werden sollte.
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230 unsere jugend, 63. Jg., S. 230 - 237 (2011) DOI 10.2378/ uj2011.art25d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Einführungen in die Soziale Arbeit Ein Überblick für Studien- und BerufsanfängerInnen Zweimal wurde bisher versucht, über Umfragen zu ermitteln, ob sich inzwischen auch in der Sozialen Arbeit ein Bestand an Basis- und Standardliteratur entwickelt hat, auf den in der Ausbildung und Praxis regelmäßig zurückgegriffen wird bzw. werden sollte. Die Ergebnisse der Umfrag 1985 (E. Jordan/ D. Kreft/ D. Sengling) wurden im Sozialmagazin (Heft 9, S. 32 - 35), die der Umfrage 2000 (D. Kreft/ M. und W. Wüstendörfer) ebenfalls im Sozialmagazin (Heft 2, S. 29 - 39) veröffentlicht. Bei beiden war abzulesen, dass es immerhin „Literatur-Verdichtungen“ in diesen Bereichen gab: „Hand- und Wörterbücher“, „Recht“, „Geschichte“ und „Methoden“. Weil sich eine Profession auch dadurch auszeichnet, dass sie über einen allgemein anerkannten und genutzten Literatur-Kanon verfügt, haben HerausgeberInnen und Schriftleitung von unsere jugend entschieden, in größeren Abständen den Literaturstand zu diesen fünf Komplexen der Sozialen Arbeit in Sammelrezensionen vorzustellen: (1) Hand- und Wörterbücher/ Lexika (bereits Sabine Behn/ Gabriele Bindel-Kögel in uj 11+12/ 2008, S. 502 - 505), (2) Recht (bereits Prof. Dieter Kreft in uj 11+12/ 2010) sowie danach in loser Folge (3) Einführungen in die Soziale Arbeit (Prof. Dr. Dr. h. c. C. Wolfgang Müller im vorliegenden Heft), (4) Geschichte und schließlich (5) Methodenlehre. Sammelrezensionen also, die als „Buchpakete“ gestaltet über differenzierte Gliederungen und durchaus auch bewertend Lese- und Arbeitshilfen für Studierende und PraktikerInnen sein sollen. Die Schriftleitung Rund die Hälfte aller Studiengänge für Soziale Arbeit an Fachhochschulen bilden sowohl SozialpädagogInnen als auch SozialarbeiterInnen (und neuerdings vereinzelt auch schon GesundheitserzieherInnen) berufsqualifizierend aus. Diese Tatsache und die Folgen der Europäisierung der Ausbildung erfordern einen neuen Typ von „Einführungen in die Soziale Arbeit“, die sowohl Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Berufssegmente betonen als auch deren Unterschiedlichkeiten praxisnah beschreiben. Der folgende Beitrag versucht, einen orientierenden Überblick zu geben und Leseempfehlungen auszusprechen. Immer mehr junge Leute wollen an Fachhochschulen und Universitäten Soziale Arbeit studieren - unabhängig von den jeweils aktuellen Situationen am Arbeitsmarkt. Das haben sie mit anderen jungen Leuten gemeinsam, die sich für ein Architekturstudium interessieren, für Germanistik, Kunstgeschichte und Kulturwissenschaften. Viele sind durch vorgängige Erfahrungen in Teilbereichen der Sozialen Arbeit zum Studium motiviert worden: in Kindergärten, in Jugendgruppen und internationalen Zeltlagern 231 uj 5 | 2011 Bücherschau von Jugendverbänden, im „Konfer“, im Zivildienst und in Projekten feministischer Mädchenbildung. Sie hoffen, im Studium das wiederzufinden und beruflich nutzen zu können, was sie in diesen frühen Erlebnissen berührend, ja faszinierend gefunden haben. „I was touched, moved and taught“ - so hat es eine der frühen Aktivistinnen der Sozialen Arbeit einmal ausgedrückt. Werden sie zum Studium angenommen (das gilt häufig nur für jede/ n vierte/ n BewerberIn) so landen sie in BA-Studiengängen, die nicht an ihren Vorerfahrungen anknüpfen (können), sondern die anderen beruflichen und wissenschaftlichen Orientierungen folgen.„Soziale Arbeit“ ist für ungeübte Augen ein fluoreszierend bunter Flickenteppich, der die Orientierung auf einen gemeinsamen Nenner häufig erschwert. Das hat in Deutschland eine mehr als hundertjährige Geschichte. Drei unterschiedliche Bereiche sozialen Lebens und sozialer Konflikte waren es ursprünglich, die erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu dem Sammelbegriff „Soziale Arbeit“ zusammengebunden worden sind: Da gab es die „Sozialpädagogik“ als familienergänzende oder familienersetzende Erziehungshilfe für Kinder und Jugendliche in Krippen, Kindertagesstätten und Jugendwohn- und Erziehungsheimen; da gab es die „Sozialarbeit“ für Einzelpersonen und Familien in individuellen Lebenskrisen und gesellschaftlichen Risiko-Situationen wie Krankheit, Hilflosigkeit im Alter, Arbeitslosigkeit, Ehescheidung, Abhängigkeit von Drogen oder anderen risikoreichen Lebensgewohnheiten; und da gab es die „Gesundheitserziehung“ (public health) als vorbeugende Maßnahmen im Kampf gegen Massenkrankheiten wie Typhus und Cholera, Kinder- und Mütterkrankheiten und die Auswirkungen falscher Ernährung und fehlerhafter Kinderpflege- und -erziehung. Deutschland schuf auf Drängen des Reichskanzlers Otto von Bismarck - und wohl auch im Interesse der exportorientierten deutschen Schwerindustrie im Konkurrenzkampf mit den britischen Maschinenbauern - eine Reihe von verbindlichen Sozialgesetzen, deren flächendeckende Umsetzung später durch drei kommunale Behörden überwacht, angeleitet, organisiert und gegebenenfalls auch finanziert werden sollte: das Sozialamt, das Jugendamt, das Gesundheitsamt. Die Breitenarbeit sollte jedoch nicht von KommunalbeamtInnen geleistet werden, sondern von aktiven Mitgliedern von Frauenverbänden, Jugendverbänden, Wohlfahrtsorganisationen und Selbsthilfegruppen. So entstand die im europäischen Maßstab einmalige und vorbildliche Doppelstruktur eines „Wohlfahrtsstaates“ als „welfare mix“ von hauptberuflicher, nebenberuflicher und ehrenamtlicher Tätigkeit und behördlicher Anleitung, Überwachung und Beratung. Die hauptberuflich tätigen Fachkräfte der Sozialen Arbeit sollten seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts in eigenen akademischen Ausbildungsstätten (meist Frauenschulen für Soziale Arbeit) auf ihre professionell betriebene Tätigkeit vorbereitet werden. Dies geschah zunächst meist in konfessionell geprägten regionalen Ausbildungsstätten, später in staatlichen oder staatlich kontrollierten Höheren Fachschulen, schließlich in Fachhochschulen und Universitäten und seit dem Jahr 2000 mit dem Anspruch einer Vergleichbarkeit der Ausbildungsprofile im europäischen Maßstab. Daher die (für Deutschland neue) Einteilung in berufsqualifizierende Bachelor- und darauf aufbauende Master-Studiengänge (abgekürzt BA- und MA-Studiengänge). Durch diese neuen Studiengänge, die sowohl einen allgemeinen Überblick über die Panorama-Breite der Sozialen Arbeit liefern als auch einen für bestimmte Berufssegmente qualifizierenden Abschluss vermitteln sollten, entstand ein erhöhter Bedarf an „in die Soziale Arbeit einführenden Lehrbüchern“. Solche Einführungen gab es auch schon vor dem Jahr 2000. Aber sie waren entweder auf einzelne 232 uj 5 | 2011 Bücherschau Teilbereiche der Sozialen Arbeit bezogen oder sie suchten Gemeinsamkeiten zwischen diesen Teilbereichen nicht in den Berufen und ihrer Ausübung selber, sondern in Theorien, die sich besorgte WissenschaftlerInnen über den gemeinsamen Nenner aller dieser Teilbereiche gemacht hatten. Sie waren nicht „berufsbezogen“ (selbst wenn sie dies im Titel beanspruchten), sondern „disziplinen-orientiert“, d. h. auf die Theorietraditionen bezogen, die über diese Berufe und Berufssegmente veröffentlicht worden waren. Frühe Einführungen Jahrelang hatte Hans Scherpner (1898 - 1959), Direktor des Seminars für Fürsorgewesen an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main, an einer Einführung und Theorie der Fürsorge gearbeitet. Im Winter 1955/ 56 hatte er eine gleichlautende Vorlesung akustisch aufzeichnen lassen. Nach seinem Tod hat seine Frau, Dr. Hanna Scherpner die angereicherten und bearbeiteten Transkripte als „Theorie der Fürsorge“ veröffentlicht (Scherpner 1962). Sie enthalten in einem historischen Teil die Geschichte der mittelalterlichen Almosenlehre, der Reformbewegungen des Humanismus, der volkswirtschaftlichen Wendungen im Liberalismus und Marxismus und eine Beschreibung des gegenwärtigen Zustandes, der als „Theorie der modernen Fürsorge“ bezeichnet wird und auf der Annahme „mitmenschlicher Hilfe als Urkategorie des Gemeinschaftshandelns“ beruht. Danach werden Grundformen und Hilfsbedürftigkeit der persönlichen und institutionalisierten Hilfe zusammenfassend beschrieben. Im Anhang werden bemerkenswerte historische Quellen im Originalton wiedergegeben. Das Buch von Scherpner ist zwar keine „Einführung“ in „die“ Soziale Arbeit. Aber es ist ein wichtiges und nachdenkliches Fundstück über die Geschichte der Sozialarbeit (im engeren Sinn von institutionalisierter Fürsorge) für ein anspruchsvolles, weiterführendes Studium. Im gleichen Jahrzehnt, in dem Scherpners „Theorie der Fürsorge“ erschien, legte Klaus Mollenhauer (192 8- 1998) eine „Einführung in die Sozialpädagogik“ mit dem Untertitel „Probleme und Begriffe der Jugendhilfe“ vor (Mollenhauer 1964, 2001). Es ist in gewissem Sinne ein Gegenstück zu Scherpner. Konzentriert dieser sich auf die „Fürsorge“ (also die spätere Sozialarbeit im engeren Sinne), so konzentriert sich Mollenhauer auf die„Sozialpädagogik“ und deren Kernbereich der „Jugendhilfe“ als Inbegriff von Erziehungshilfen zur Beförderung eines gedeihlichen Heranwachsens der jungen Generation. Er benennt Grundbegriffe (Gesundheit, Gefährdung, Verwahrlosung), Grundbedürfnisse (Anpassung, Umlernen, Konflikte), Tätigkeiten (Fürsorge, Planung, Diagnose, Schutz, Pflege, Beratung) und Institutionen (Kinderpflege und -erziehung, Jugendpflege und Jugendarbeit, Heimerziehung, Jugendstrafvollzug, Beratungsstellen). Mollenhauers Vorwort aus dem Jahre 1964 enthält den skeptischen Satz: „Diese Einführung ist weniger als eine Einführung. Sie ist ein Versuch.“ Zehn Jahre später schrieb er in einem neuen Vorwort, es beruhige ihn ein wenig,„daß es vielleicht immer noch schwer fallen mag, überzeugende Einführungen in die Sozialpädagogik zu finden“. Ich merkte 2001 in einem Nachwort an, „wegen seiner Abhängigkeit von gesamtgesellschaftlichen (und zunehmend auch internationalen) Entwicklungen würde es keinem Lehrbuch gelingen, in die Sozialpädagogik einzuführen, das nur eine Bestandsaufnahme ihrer jeweils aktuellen Gestalt vorlegen könnte“. LeserInnen müssten vielmehr selbstständig den in einer Einführung beschriebenen aktuellen Zustand mit ihrer eigenen Wahrnehmung von Unterschieden zur Gegenwart vergleichen. „In diesem Sinne der selbständigen Auseinandersetzung und vergleichenden Aneignung ist der Abstand zwischen dem Erscheinungsjahr … (1964) und der sozialpolitischen und sozialpädagogischen Gegenwart seiner heutigen Leser lehrreich und erkenntnisträchtig“ (Müller 2001, 186f ). 233 uj 5 | 2011 Bücherschau Ich habe aus den Schwierigkeiten, die zeitgeistabhängige Vielfalt der Sozialen Arbeit in einer Einführung widerzuspiegeln, die Konsequenz gezogen, als Herausgeber einer 12-bändigen Reihe von Monografien die verschiedenen „Tatorte“ Sozialer Arbeit in ihrer historischen Entwicklung und Gegenwart einzeln vorzustellen: KinderGarten, JugendAmt, Selbst- Hilfe, AltenHilfe, Beratung. Die meisten dieser Monografien sind nur noch antiquarisch über das Zentrale Verzeichnis antiquarischer Bücher (www.zvab.de) zu lokalisieren. Im neuen Jahrhundert haben andere AutorInnen versucht, Einführungen in die Sozialpädagogik zu schreiben, die der immer wieder diagnostizierten buntscheckigen Vielfalt der Erscheinungen im Berufsleben entgehen könnten. Franz Hamburger (2003) beispielsweise bemerkt in seiner Einführung, dass schon Lothar Böhnisch 1979 (aber eigentlich als Erster Hans Pfaffenberger) daran erinnert habe, dass „Sozialpädagogik“ immer schon zweierlei bedeutet habe: die vielfältigen Erscheinungen und Erziehungsformen als Beruf und den Versuch, diese Vielfalt durch generalisierende wissenschaftliche Begriffe zu erklären, zu deuten - also „auf den Begriff zu bringen“. „Sozialpädagogik“ habe also sowohl eine Berufsbedeutung als auch eine Disziplinen-Geschichte. Sie weise auf konkrete Tätigkeitsbeschreibungen und auf verallgemeinernde wissenschaftliche Fachtermini, die der Verständigung im wissenschaftlichen Meta-Sprachgebrauch dienen (Hamburger 2003, 14ff ). Dann schlägt sich Hamburger jedoch auf die Seite der Disziplinengeschichte und versucht zu erklären, warum die disziplinäre Sozialpädagogik in den letzten Jahrzehnten aus der Erziehungswissenschaft als „Leit-Disziplin“ ausgewandert sei und versuche, eine eigenständige „Sozialarbeitswissenschaft“ zu begründen - eine Entwicklung, die für hauptberufliche WissenschaftlerInnen von Belang sein mag, nicht aber für StudienanfängerInnen, die zunächst einmal erfahren wollen, wie die Berufsfelder und die beruflichen Verrichtungen aussehen mögen, die sie nach erfolgreichem Abschluss ihres„berufsqualifizierenden“ Studiums erwarten. „Einführungen“ als Einführungen in Praxisfelder der Sozialen Arbeit Jetzt wende ich mich deshalb jenen neueren „Einführungen in die Soziale Arbeit“ zu, die Berufssegmente der Sozialen Arbeit mit kritischem Anspruch, aber doch auch so anschaulich beschreiben, dass Studierende mit etwas Welterfahrung und Fantasie sich Bilder machen und diese Bilder unter übergeordneten Begriffen einordnen und weiterentwickeln können. Karl August Chassé und Hans-Jürgen von Wensierski beispielsweise haben im Juventa Verlag eine Einführung in Praxisfelder der Sozialen Arbeit herausgegeben, die auf 450 Seiten, wie sie in der Einleitung schreiben, „erstmals den Versuch macht, einen einführenden und umfassenden Gesamtüberblick über die vielschichtigen Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit, ihre theoretischen Grundlagen, ihre Konzepte, ihre disziplinären und professionellen Probleme und Entwicklungsperspektiven zu geben“ (2008, 7). Der umfangreiche Sammelband, der in der Reihe „Grundlagentexte Soziale Berufe“ des Juventa Verlags Weinheim - einer Gründung aus der Frühzeit des Bundesjugendrings und seither eine gute Adresse für sozialpädagogische Fach- und Lehrbücher - 2008 in 4. aktualisierter Auflage erschienen ist, bündelt Beiträge von 31 AutorInnen zu zentralen Berufssegmenten der Kinder- und Jugendhilfe, der Erziehungs- und Familienhilfen und der Altenhilfe und hebt danach besonders die Arbeit mit Armut und Benachteiligung und die Rolle von Frauen und Frauenbewegungen hervor. Kleinere Beiträge über die Arbeit in speziellen Bereichen wie Gesundheitserziehung, Sozialpsychiatrie, Sucht- und Drogenhilfe, Migration und Selbsthilfe runden das Panorama-Bild ab. Nahe- 234 uj 5 | 2011 Bücherschau zu alle Beiträge beginnen mit einer kurzen historischen und/ oder systematischen Einordnung des Berufssegmentes, es folgt die Beschreibung der Hauptprobleme und -konflikte, die bearbeitet werden, die rechtlichen Grundlagen und Methoden und die voraussichtlichen Entwicklungsperspektiven. Wegen seiner Informationsfülle eignet sich das Buch weniger als durchgängiges Lesebuch, sondern eher als selektiv genutztes Nachschlagewerk zu bestimmten Lehr-Modulen und zur selbstständigen, weiterführenden Studienarbeit. Karl August Chassé/ Hans-Jürgen von Wensierski (Hrsg.), 4 2008: Parisfelder der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. Weinheim: Juventa Verlag, 446 Seiten, € 18,- Ein anderes Lehrbuch aus der Reihe „Studienmodule Soziale Arbeit“ des Juventa Verlages beschränkt sich auf einen Kernbereich sozialpädagogischen Handelns: die Kinder- und Jugendhilfe, die schon für Klaus Mollenhauer im Zentrum der historischen Entwicklung stand. Drei AutorInnen, Regina Rätz-Heinrich, Wolfgang Schröer und Mechthild Wolff, legten 2009 das Lehrbuch Kinder- und Jugendhilfe. Grundlagen. Handlungsfelder, Strukturen und Perspektiven vor. Das Lehrbuch ist materialreich gut gegliedert, lesefreundlich gestaltet und enthält Kernaussagen, historische Dokumente und kapitelweise Übungsaufgaben vor grauem Hintergrund. Es weist auf gesetzliche Grundlagen und ihre Entwicklung vom RJWG des Jahres 1922 zum KJHG des Jahres 1990 hin - mit besonderer Betonung der Rechte von Kindern und Jugendlichen, und nicht nur der Rechte der Eltern, der Gemeinschaft und des Staates an sie. Es ist also auf eine eigene und unaufdringliche Weise „parteilich“: LeserInnen werden die Tatsache bemerken, dass etwa die Rolle der Studentenbewegung nach 1967 hervorgehoben wird und nicht, wie in anderen Einführungen, unerwähnt bleibt. Ein Blick auf die Kinder- und Jugendhilfe in einer globalisierten Welt und in transnationalen Kontexten weitet den Blick und eröffnet Perspektiven zu einer Sichtweise, die junge Leute nicht nur als Opfer widriger Umstände, sondern auch als selbstständige Gestalter ihres eigenen Lebens sieht. Regina Rätz-Heinrich/ Wolfgang Schröer/ Mechthild Wolff, 2009: Lehrbuch Kinder- und Jugendhilfe. Grundlagen. Handlungsfelder, Strukturen und Perspektiven. Weinheim: Juventa Verlag, 291 Seiten, € 18,- 2010 erschien das Lehrbuch von Johannes Schilling und Susanne Zeller Soziale Arbeit. Geschichte - Theorie - Profession in 4. Auflage. Es ist als kompaktes Lehr-Lern-Buch mit klaren didaktischen Teilschritten gearbeitet und breitet sowohl die Geschichte der zunächst historisch getrennten Traditionen von Armenhilfe, Kindergarten, Heimerziehung und Jugendhilfe aus, fügt sie dann unter den zentralen Begriffen von Erziehung, Bildung, Lehren und Lernen, Prävention, Intervention und Sozialpolitik (die dabei leider zu kurz kommt) zusammen, führt unterschiedliche wissenschaftliche Theorien vor, mit denen unterschiedliche AutorInnen das Insgesamt Sozialer Arbeit zu erklären suchten, berichtet über Ziele und Methoden der Arbeit, beschreibt dankenswerterweise das gegenwärtige Studium, den Beruf und (was sonst niemand tut) die Berufsverbände und Organisationen und den Berufskodex des Deutschen Berufsverbandes Soziale Arbeit (DBSH). Bei der Lektüre des Grundsatzprogramms dieser„Fachgewerkschaft“ wird (für manche vielleicht zum ersten Male) deutlich, dass es sich bei diesem Beruf um einen politischen (nicht partei-politischen) Beruf handelt, der auf dem verantwortlichen solidarischen Handeln demokratischer BürgerInnen beruht, für welche die seit der Französischen Revolution beanspruchten Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit (= Schwesterlichkeit, Menschenwürde) kein Lippenbekenntnis, sondern Aufforderung zu Tun und Handeln sind. Johannes Schilling/ Susanne Zeller, 4 2010: Soziale Arbeit. Geschichte - Theorie - Profession. München: Ernst Reinhardt Verlag, 298 Seiten mit 160 Übungsfragen, € 24,90 235 uj 5 | 2011 Bücherschau Stärker noch als Einführung in dieses „berufliche Tun und Handeln“ ist das eben erst in 4. Auflage erschienene Lehr-Lern-Buch von Hiltrud von Spiegel gearbeitet: Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit. Grundlagen und 25 Arbeitshilfen für die Praxis. Ich halte diese Einführung für ein bemerkenswertes, didaktisch überlegt gegliedertes, modernes Anleitungsbuch. Es besteht aus zwei klar gegliederten Teilen. Die ersten einhundert Seiten sind als eine erkenntnisträchtige „Einführung“ in die Soziale Arbeit konzipiert. Sie enthalten eine sinnvolle Verbindung von wissenschaftlich fundierten Wissensbeständen und berufspraktischen Handlungskompetenzen des Wissens, des Könnens und des beruflichen Handlungs- und Haltungs-Profils. Darauf folgt ein zweiter berufspraktisches Handeln anleitender Teil mit einem „Werkzeugkasten“ zur Konstruktion methodischen Handelns für Fachkräfte und Leitungspersonen. Er umfasst 25 Arbeitshilfen (und deren Interpretation) zur Situations- und Problemanalyse, zur Zielentwicklung und zur Operationalisierung von Teilzielen, zur Planung und zur schrittweisen Evaluation und Selbstevaluation. Die Arbeitshilfen sind in der Fortbildung von Fachkräften in der Kinder- und Jugendhilfe entwickelt und mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auch zu Modulen im E-learning weiterentwickelt worden(www.online-casa.de). Sie enthalten hilfreiche Checklisten zur Analyse institutioneller Arbeitsaufträge, zur Situationsanalyse, zur Planung von Interventionen; ferner Indikatoren für Zielannäherungen, Selbstevaluationsformen und ihre Instrumente und Vorschläge für die Ergebnispräsentation gegenüber KollegInnen. Dieser zweite Teil eignet sich nach meinen Erfahrungen vorzüglich für die Fort- und Weiterbildung von Fachkräften, die an definierten „Fällen“ ihrer eigenen beruflichen Praxis arbeiten. Die Arbeitshilfen können deshalb auch von der Homepage des Ernst Reinhardt Verlages (www.reinhardt-verlag.de) und des UTB Verlags (www.utb.de) heruntergeladen werden. Definitionen, Beispiele, Literaturhinweise und Zusammenfassungen sind im Text erkennbar gekennzeichnet. Die wichtigsten professionellen Begriffe werden in einem Anhang noch einmal präzisiert. Für Studierende wird es besonders bemerkenswert sein, dass sich durch das gesamte Lehrbuch die Formulierung von„der Person als Werkzeug der Arbeit“ zieht: Die professionelle Kunst unseres Handelns besteht darin, „dass Fachkräfte ihr Können, Wissen und ihre beruflichen Haltungen fall- und kontextbezogen einsetzen, (dass diese Arbeit aber auch) staatlich initiierte, institutionell getragene Arbeit und daher immer eine Kombination von persönlicher und institutioneller Leistung ist“ (von Spiegel 2011, 256). Hiltrud von Spiegel, 4 2011: Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit. Grundlagen und Arbeitshilfen für die Praxis. München: Ernst Reinhardt Verlag, 269 Seiten, 25 Arbeitshilfen, € 24,90 Die bisher besprochenen (und empfohlenen) Einführungen in die Soziale Arbeit bleiben in den Teilen, die sich mit „professionellem/ methodischem Handeln“ befassen, auf einer vergleichsweise allgemeinen Ebene der Beschreibung dieses Handelns stehen. Das mag damit zusammenhängen, dass die AutorInnen dieses Handeln nicht selbst (oder vor längerer Zeit) praktiziert haben und sich bei seiner beschreibenden Rekonstruktion nicht des Sachverstandes bedienen, der seit zwei Generationen in den Kommunikationswissenschaften angesammelt worden ist. Um beispielsweise die Handlungsprofile systemischer Familienberatung zu beschreiben und Studierenden zu zeigen, hilft es wenig, sich auf Niklas Luhmann zu beziehen. Wichtiger wäre die Rezeption ausgewählter Texte von Paul Watzlawick oder Salvador Minuchin. Um Studierende näher an eine solche kommunikative Praxis heranzuführen, haben Dieter Kreft und ich 2010 ein kleines, handliches Lehrbuch herausgegeben, das in die Methodenlehre in der Sozialen Arbeit ein- 236 uj 5 | 2011 Bücherschau führt. Es ist an den klassischen drei Methoden der Sozialen Arbeit orientiert. Sie werden zwar von einigen AutorInnen für„überholt“ gehalten und von anderen AutorInnen mit etwas spitzen Fingern als die Nebenprodukte amerikanischer Umerziehungsbemühungen nach dem 2. Weltkrieg vorgeführt. Beide Einreden halten wir für problematisch. Denn die Tatsache, dass diese Methoden vorzugsweise in bestimmten, speziellen Berufssegmenten eingeführt worden sind und weiterhin flächendeckend durchgeführt werden, sollte den KritikerInnen zu denken geben: Gruppenpädagogik ist eine gängige Lehr- Lern-Form nicht nur in autonomen Jugend- und Selbsthilfe-Gruppen, sondern auch in der gesamten Vorschulerziehung, der Erwachsenenbildung und im E-learning. Soziale Einzelhilfe als Beratung im Gespräch in der Folge von Mary Richmond, Alice Salomon, Carl Rogers und vielen anderen ist immer noch die gängige Kommunikationsform in der Einzelberatung und der diagnostisch-sozialpädagogischen Gesprächsführung. Und Gemeinwesenarbeit als Prinzip sozialräumlicher Prävention und Intervention hat gegenwärtig nach einer eher windstillen Phase erneute Hochkonjunktur. Das Methoden-Überblicks-Lehrbuch enthält nach zwei eher grundsätzlichen Beiträgen über Methoden, Verfahren, Techniken und Konzepte in der Sozialen Arbeit und nach dem methodischen Dreischritt „Beobachten“, „Beurteilen“ und „Handeln“ Handbuchartikel über die klassischen Methoden der Sozialen Arbeit „Gruppenpädagogik“, „Einzelfallhilfe“ und „Gemeinwesenarbeit“, die Beschreibung unterschiedlicher Verfahren und Techniken unterhalb der drei Methoden wie „Beratung“, „Gruppendynamik“, „Supervision“, „Mediation“, „Quartiersmanagement“ und „Öffentlichkeitsarbeit“ sowie einzelne, detaillierte Techniken und weiterführende Literatur. Dieter Kreft/ C. Wolfgang Müller (Hrsg.), 2010: Methodenlehre in der Sozialen Arbeit. Konzepte, Methoden, Verfahren, Techniken. München: Ernst Reinhardt Verlag, 176 Seiten, € 19,90 Wege zum weiterführenden Studium Ich habe mich bisher mit einer Reihe von möglichen Lehrbüchern befasst, die StudienanfängerInnen in die Breite, die Buntscheckigkeit und die unterschiedlichen Problem- und Kommunikationskulturen von Berufsfeldern und Berufssegmenten der Sozialen Arbeit einführen können. Ich musste dabei den immer wichtiger werdenden Teilbereich in der Gesundheitserziehung außen vor lassen, weil ich mich für ihn nicht hinreichend zuständig weiß. Ich bin aber sicher, dass InteressentInnen unter dem Stichwort „Gesundheit und Pflege“ des Juventa Verlags und auch bei anderen Fachverlagen eine Menge professioneller Anregungen zu Lektüre und Selbststudium finden werden. Für ein weiterführendes und tiefer schürfendes Studium der Sozialpädagogik und der Sozialarbeit (im engeren Sinne) würde ich mich als historisch-materialistisch orientierter Sozialpädagoge und Hochschullehrer nach Publikationen umsehen, die sich eingehender, als dies für eine „Einführung“ möglich wäre, mit der Geschichte des Kindergartens, der Heimerziehung, der Armenpflege, der Fürsorge, der Sozialarbeit, der Altenhilfe und der widersprüchlichen Entwicklung von Sozialstaatlichkeit in kapitalistischen (und anderen) Gesellschaften beschäftigen. Ich würde mich also, die wichtigsten (und nicht nur die modischsten) Berufssegmente und Interventionsformen der Sozialen Arbeit kennend, in einer Rückkehrschleife auf die Geschichte dieser Arbeit konzentrieren und versuchen zu ergründen, wie die unterschiedliche Entwicklung von Berufssegmenten und Arbeitsformen, von Maßnahmen, Einrichtungen und Sozialgesetzen mit der Entwicklung der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse unserer Gesellschaftsformation in den unterschiedlichen Phasen der letzten beiden Jahrhunderte zusammenhängt. Dabei können wir in Deutschland inzwischen auf eine entfaltete und gut sortierte Fachliteratur zurückgreifen. Ich habe sie an anderer Stelle, 237 uj 5 | 2011 Bücherschau in meiner Rekonstruktion Sozialer Arbeit im 20. Jahrhundert, ausführlich rezensiert (Müller 2 2008, 193ff ). Hier möchte ich nur andeutungsweise die hervorragende bisher dreibändige Geschichte der Sozialarbeit vom Spätmittelalter bis zum Nationalsozialismus erwähnen, die Christoph Sachße und Florian Tennstedt zwischen 1980 und 1992 vorgelegt haben. Und die Geschichte der Sozialen Arbeit von Wolf Rainer Wendt. Und das gleichnamige Buch von Sabine Hering und Richard Münchmeier. Schließlich auch meine eigene Methodengeschichte der Sozialen Arbeit Wie Helfen zum Beruf wurde, welche insbesondere die Rolle sozialer Bewegungen wie Frauenbewegung, Jugendbewegung, Arbeiterbewegung, Friedensbewegung und Selbsthilfebewegungen im letzten und in diesem Jahrhundert betont. Und schließlich meine Interpretation des 20. Jahrhunderts als „sozialpädagogisches Jahrhundert“ in dem Buch Helfen und Erziehen. Soziale Arbeit im 20. Jahrhundert. Aber das alles wäre Stoff für weiterführende Studienperspektiven, für das unser kurzatmiges Jahrhundert wahrscheinlich keine Freiräume mehr haben wird. Schade. Prof. Dr. Dr. h. c. C. Wolfgang Müller Berlin Literatur Hamburger, F., 2003: Einführung in die Sozialpädagogik. Stuttgart Hering, S./ Münchmeier, R., 2000: Geschichte der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. Weinheim Kuhlmann, C., 2008: Geschichte Sozialer Arbeit I. Studienbuch. Schwalbach. Kuhlmann, C. (Hrsg.), 2008: Geschichte Sozialer Arbeit II. Textbuch. Schwalbach Mollenhauer, K., 1964 und 2001: Einführung in die Sozialpädagogik. Probleme und Begriffe der Jugendhilfe. Weinheim Müller, C. W., 2001: Nachwort. In: Mollenhauer, K., a. a. O., S. 186f Müller, C. W., 5 2009: Wie Helfen zum Beruf wurde. Eine Methodengeschichte der Sozialen Arbeit. Weinheim Müller, C. W., 2 2008: Helfen und Erziehen. Soziale Arbeit im 20. Jahrhundert. Weinheim Sachße, C./ Tennstedt, F., 1980: Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland. Band 1: Vom Spätmittelalter bis zum 1. Weltkrieg. Stuttgart Sachße, C./ Tennstedt, F., 1988: Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland. Band 2: Fürsorge und Wohlfahrtspflege 1871 bis 1929. Stuttgart Sachße, C./ Tennstedt, F., 1992: Geschichte der Armenpflege in Deutschland. Band 3: Der Wohlfahrtsstaat im Nationalsozialismus. Stuttgart Scherpner, H., 1962: Theorie der Fürsorge. Göttingen Wendt, W. R., 4 1995: Geschichte der Sozialen Arbeit. Stuttgart Vorschau auf die kommende Ausgabe Aufwachsen mit dem Internet Zur Rolle des Internet im Alltag von Jugendlichen und jungen Erwachsenen Computerspiele: zwischen aktiver Freizeitgestaltung und Abhängigkeit Arbeitsansätze im Internetcafé