eJournals unsere jugend 63/3

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2011.art14d
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2011
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Mentoring beim Übergang in die Berufsausbildung: Hürdenspringer in Berlin-Neukölln

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Gabriele Bindel-Kögel
Initiativen im Bereich der Bildungspatenschaften und des Mentoring haben Hochkonjunktur. Sie umfassen ein breites Spektrum unterschiedlicher Themen, Zielgruppen und organisatorischer Bedingungen. In Deutschland noch wenig beforscht, stellen sich Fragen nach deren Möglichkeiten und Grenzen, die zurzeit eher auf allgemeiner Ebene beantwortet werden können (vgl. Freiwilligensurvey des BMFSFJ). Projektbezogene Untersuchungen sind interessant, weil sie ein neues gesellschaftliches Aktionsfeld detailliert aufschließen.
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128 unsere jugend, 63. Jg., S. 128 - 139 (2011) DOI 10.2378/ uj2011.art.14d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Mentoring beim Übergang in die Berufsausbildung: Hürdenspringer in Berlin-Neukölln Initiativen im Bereich der Bildungspatenschaften und des Mentoring haben Hochkonjunktur. Sie umfassen ein breites Spektrum unterschiedlicher Themen, Zielgruppen und organisatorischer Bedingungen. In Deutschland noch wenig beforscht, stellen sich Fragen nach deren Möglichkeiten und Grenzen, die zurzeit eher auf allgemeiner Ebene beantwortet werden können (vgl. Freiwilligensurvey des BMFSFJ). Projektbezogene Untersuchungen sind interessant, weil sie ein neues gesellschaftliches Aktionsfeld detailliert aufschließen. von Dr. phil. Gabriele Bindel-Kögel Jg. 1954; Diplom-Pädagogin, Forschungsschwerpunkte Kinder- und Jugend(hilfe)forschung, sozial- und rechtswissenschaftliche Forschung Passend zum vorliegenden Themenheft von unsere jugend sollen Zwischenergebnisse einer externen Evaluation des Mentoringprojektes Hürdenspringer vorgestellt werden. Das von Unionhilfswerk Sozialeinrichtungen gemeinnützige GmbH getragene Projekt organisiert Mentoring im sogenannten Übergangsmanagement Schule - Beruf. Als allgemeines Kennzeichen von Patenschafts- oder Mentoringprojekten kann gelten, dass Freiwillige in einer 1 : 1-Beziehung ihre Mentees fördern und zeitweise begleiten, wobei der Grad an Genauigkeit der Zielsetzung und an professioneller Organisation des Mentoring- Prozesses stark variieren. Hürdenspringer lässt sich als Mentoringprojekt mit besonderen Ansprüchen verorten: Bereits die Unterstützung von Jugendlichen beim Übergang in die berufliche Ausbildung ist ein anspruchsvolles Unterfangen. Wenn dies in einem sozialen Brennpunkt geschieht und an Jugendliche gerichtet ist, die einen familiären Migrationshintergrund haben und aus Verhältnissen mit geringem Einkommen und Bildungspotenzial stammen, summieren sich die Hürden (vgl. Integrationsbericht der Bundesregierung 2010; Mona Granato in diesem Heft). Gleichermaßen wachsen Zweifel am Erfolg und Fragen danach, wie professionell ein solches Vorhaben zu organisieren sei. Nicht zuletzt stellen sich - auf der Ebene sozialpolitischer Überlegungen - Fragen der Legitimation einer so ausdifferenzierten Art des Mentoring, das ggf. sozialstaatlichen Rückzug ermöglicht und den Wert der Professionalität Sozialer Arbeit infrage stellen kann (vgl. Nadai u. a. 2004, 72ff ). Solche Zusammenhänge sind zwar nicht auszuschließen, können aber nicht dazu führen, das Engagement Freiwilliger und die Stärkung zivilgesellschaftlichen Zusammenhaltes abzulehnen. Speziell bei Hürden- 129 uj 3 | 2011 Übergang ins Berufsleben springer handelt es sich um ein individuell ausgerichtetes Freiwilligenangebot, das sich an eine bestimmte Anzahl von SchülerInnen richtet und für das sich nur ein Teil der SchülerInnen entscheidet, bzw. nur ein Teil von SchülerInnen kommt für eine Tandembeziehung beim Übergang ins Berufsleben infrage: Es sind diejenigen, die so motiviert sind, dass sie sich im Rahmen eines Ressourcentrainings auf das Mentoring vorbereiten lassen und die damit eine Mentoringbeziehung aller Wahrscheinlichkeit nach erfolgreich durchlaufen. Wie arbeitet Hürdenspringer? Ein Kurzprofil Hürdenspringer wurde im Jahr 2008 aus dem Bereich Freiwilligenmanagement des Unionhilfswerks zusammen mit drei freiwilligen MitarbeiterInnen (Schulpsychologe, Unternehmer, Personalerin) als ergänzendes Angebot der Berufsorientierung an einer Sekundarschule, der Röntgen-Schule, konzipiert. Dank der Förderung durch das XENOS-Programm „Integration und Vielfalt“ aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des Bundeministeriums für Arbeit und Soziales konnte Hürdenspringer seit Anfang 2009 an inzwischen drei Nord-Neuköllner Schulen implementiert werden: der Röntgen- und Zuckmayer-Sekundarschule und seit August 2010 auch am Albrecht-Dürer-Gymnasium. Kofinanziert wird Hürdenspringer durch die Stiftung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, aus Mitteln der Glücksspirale sowie aus Eigenmitteln des Unionhilfswerks und der Schulen. Die Hürdenspringer-Kooperationsschulen haben mehr als 90 % SchülerInnen mit Migrationshintergrund (Sekundarschulen), das Gymnasium weist einen Anteil von 60 % auf. Zum großen Teil stammen die SchülerInnen aus sozial benachteiligten Familien, die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind. Die jungen Menschen stehen vor dem Abschluss des„MSA“ (Mittlerer Schulabschluss, der den Realschulabschluss ersetzt) bzw. der vorzeitigen Beendigung des Gymnasiums und bereiten sich auf einen Einstieg in die berufliche Ausbildung oder in weitere schulische Aus- und Fortbildungen vor. Mit Stand 15. Dezember 2010 begleiten 47 qualifizierte MentorInnen jeweils eine/ n Jugendliche/ n beim Berufseinstieg (vgl. www. huerdenspringer.unionhilfswerk.de). Das Projekt gehört zu den Mentoringprojekten mittlerer Größe (zwischen 10 und 50 Tandems), wie sie von der „Aktion zusammen wachsen“ für Deutschland kategorisiert werden (vgl. www. aktion-zusammen-wachsen.de). Das Kurzprofil von Hürdenspringer weist folgende zentrale Zielsetzung aus: „Das Mentoring- Projekt unterstützt SchülerInnen mit Migrationshintergrund aus sozial benachteiligten Familien beim erfolgreichen ‚Sprung’ über die Hürde Berufseinstieg … Das Projekt fördert insbesondere die Integration junger Menschen mit Migrationshintergrund in den Arbeitsmarkt, stärkt Generationenbeziehungen, vermittelt Toleranz und Verständnis für andere Lebenswelten und die Wichtigkeit bürgerschaftlichen Engagements für ein demokratisches Gemeinwesen.“ Wie können die Hürden bewältigt werden? Diese Frage stand im Mittelpunkt der externen Evaluation, die Camino gGmbH seit Mai 2010 im Auftrag des Unionhilfswerks durchführt. Es geht zum einen um die Beobachtung der konkreten Umsetzungsformen (Struktur- und Prozessqualität) in Hinblick auf die Zielerreichung: Unterstützung von SchülerInnen mit Migrationshintergrund aus sozial benachteiligten Bevölkerungskreisen beim Übergang in Ausbildung und Beruf, Stärkung von Generationenbeziehungen, Vermittlung von Toleranz und Verständnis für andere Lebenswelten sowie die Wichtigkeit bürgerschaftlichen Engagements für ein demokratisches Gemeinwesen. Zum anderen geht es um die Bewertung der Wirkungen 130 uj 3 | 2011 Übergang ins Berufsleben des Projektes (Ergebnisqualität), insbesondere der Wissens-, Einstellungsund/ oder Verhaltensänderungen, die durch Hürdenspringer bei der Zielgruppe der jungen Mentees ausgelöst werden (sollen). Um solche Prozesse zu erfassen, war es notwendig, bei der externen Evaluation vor allem auf qualitative Methoden zurückzugreifen. Das Forschungsdesign der externen Evaluation Seit Mai 2010 wurden deshalb explorative Interviews mit dem Team und der Koordination durchgeführt sowie 14 Interviews mit MentorInnen, darunter acht erfahrene und sechs, die sich noch in der Einstiegsphase befinden. Bei Letzteren wurden speziell ihre Erwartungen thematisiert. Unter den Interviewten waren Frauen und Männer aller Altersgruppen zwischen 24 und 50 Jahren mit verschiedenen beruflichen Qualifikationen (z. B. Rechtsanwältin, Betriebswirt), die meisten waren berufserfahrene Frauen mit guter Qualifikation, die aktiv im Berufsleben stehen. Daneben wurden zehn Interviews mit Mentees geführt, darunter zwei Jungen, und, bis auf eine Ausnahme, alle mit Migrationshintergrund. Sie kamen gleichermaßen aus beiden Kooperationsschulen, waren zum Zeitpunkt des Interviews in der 9. oder 10. Klasse und zwischen 15 und 17 Jahre alt. Auch mit den Schulleitungen und einigen LehrerInnen der beiden Sekundarschulen, an denen Hürdenspringer schon länger aktiv ist, wurden Interviews geführt. Geplant sind weitere Interviews, um die Sichtweisen der Eltern und der AusbilderInnen zu eruieren. Eine Wiederholung der Befragungen ist im nächsten Jahr geplant, um bisherige Ergebnisse zu verifizieren und ggf. zu vertiefen. Zwischenergebnisse der externen Evaluation Welcher Rahmenbedingungen und Qualitätsstandards bedarf es, um die Zielsetzungen von Hürdenspringer zu erreichen und damit Jugend-Mentoring in sozialen Brennpunkten wirkungsvoll und konzeptionell passgenau zu betreiben? Dieser Fragestellung wurde auf vier Ebenen nachgegangen: ➤ Wie lässt sich das Mentoringprojekt Hürdenspringer in der Projektelandschaft verorten und damit auch profilieren? ➤ Welche Qualitätsstandards weist Hürdenspringer auf? ➤ Welche konzeptionellen Bedingungen sind für die Zielerreichung notwendig? ➤ Welche Wirkungen und Erfolge gehen von Hürdenspringer aus bzw. werden von den Betroffenen bzw. beteiligten MentorInnen, Mentees und LehrerInnen aus Schulen berichtet? Verortung in der Projektelandschaft - vergleichbare Formate Eine Verortung von Hürdenspringer in der sehr breiten Projektelandschaft konnte mithilfe einer Recherche in der Projektdatenbank „Aktion zusammen wachsen - Bildungspatenschaften stärken, Integration fördern“ erfolgen. Sie gibt einen Überblick über Patenschafts- und Mentoringprojekte in Deutschland, basiert auf der Freiwilligkeit der Meldung und erfasst deshalb zwar viele, jedoch nicht sämtliche bundesweit aktiven Mentoringprojekte. Eine relativ grobe Eingrenzung aller Datenbankeinträge unter dem Stichpunkt „Jugendliche in Schule und Berufsausbildung“ ergibt 340 Projekte in Deutschland. Eine weitere örtliche Eingrenzung auf Berlin führt zu 24 Patenschaftsprojekten, die in der Datenbank präsent sind. Unter den 24 Jugend-Mentoring-Projekten im Übergang Schule - Berufsausbildung finden sich 11 mit sehr allgemeinem Profil, beispiels- 131 uj 3 | 2011 Übergang ins Berufsleben weise ein Projekt, bei dem Flüchtlinge beim Zurechtfinden und bei der Integration in die Gesellschaft begleitet werden. 13 Jugend- Mentoring-Projekte sind mit Hürdenspringer vergleichbar, richten sich jedoch teils auf andere Zielgruppen wie etwa Arbeiterkinder an Gymnasien beim Übergang ins Studium, sind vor allem im Freizeitbereich in sozialen Brennpunkten tätig oder sie arbeiten bundesweit bzw. überregional. Im Spiegel der recherchierten Palette profiliert sich Hürdenspringer durch die folgenden Merkmale: Zielgruppe sind „sozial benachteiligte Jugendliche mit Migrationshintergrund“, es besteht eine „schulische Anbindung“, es findet eine „Begleitung des Übergangs ins Berufsleben“ statt, und es handelt sich um ein „überschaubares Projekt mittlerer Größe in einem sozialen Brennpunkt“. Entlang dieser Kriterien finden sich etwa 6 Formate von Patenschaftsmodellen in Berlin, die mit Hürdenspringer vergleichbar sind. Deren Projektvorstellungen geben - zumindest auf den ersten Blick - keine relevanten Hinweise, um das Profil von Hürdenspringer bezüglich der Ziel-Mittel-Relation weiter zu schärfen. Abgleich mit aktuell entwickelten Qualitätsstandards der „Aktion zusammen wachsen“ Die Frage adäquater Rahmenbedingungen kann durch Abgleich mit den aktuell entwickelten Qualitätsstandards im Bereich bürgerschaftliches Engagements erfolgen. Auf der Folie der bundesweiten Standards (vgl. www. aktion-zusammen-wachsen.de) verfügt Hürdenspringer als Projekt mittlerer Größe über alle notwendigen konzeptionellen Ausstattungsqualitäten, die hier nur stichpunktartig zusammengefasst werden sollen: Konzeptentwicklung, klare interne Verantwortlichkeiten und Arbeitspläne, qualifizierte Auswahl von Mentees und MentorInnen und deren gegenseitige Vermittlung, Vorbereitung und Qualifizierung der MentorInnen auf ihre künftige Zusammenarbeit mit den Mentees durch Fortbildungsmodule, intensive Vorbereitung der Mentees auf die Zusammenarbeit mit den MentorInnen. Es findet eine kontinuierliche Begleitung und Beratung der Tandems statt, die in der Regel auf ein Jahr terminiert sind. Es gibt einen gemeinsamen „offiziellen“ Abschluss der „Beziehung auf Zeit“, die auf persönlichen Wunsch der Beteiligten natürlich auch außerhalb der Verantwortung von Hürdenspringer fortgesetzt werden kann. Hürdenspringer kooperiert inzwischen eng mit drei Schulen und bezieht die Eltern jetzt - über das rein schriftliche Einverständnis zum Mentoring hinaus - im persönlichen Gespräch mit ein. Eine Vernetzung gibt es mit Berliner Projekten wie etwa der Denkwerkstatt Jugendmentoring e. V. und der Regionalstelle der Aktion zusammen wachsen, mit vernetzten Mentoring- und Patenprojekten, den unter XENOS Panorama vernetzten XENOS-Projekten (www.xenos-berlin.de) und mit bezirklichen Partnern wie dem Bezirksamt (Migrationsbeauftragter) und den Stadtteilmüttern (vgl. www.stadtteilmuetter.de). Mit überregional tätigen Patenschaftsorganisationen findet ein regelmäßiger Austausch statt. Darüber hinaus werden Tagungen zum Thema organisiert. Die kontinuierliche interne und die phasenweise externe Evaluation der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität rundet die Qualitätssicherung des Mentoringprojektes Hürdenspringer ab. Rahmenbedingungen für erfolgreiches Mentoring bei Hürdenspringer Es gibt einige konzeptionelle Besonderheiten, die die Rahmenbedingungen sehr genau auf die Umsetzung der eingangs umrissenen Zielsetzungen justieren. 132 uj 3 | 2011 Übergang ins Berufsleben Erstens: Der „erfolgreiche Sprung über die Hürde Berufseinstieg“ bedeutet, im sogenannten Übergangsmanagement Schule - Beruf zu arbeiten. Aus den einschlägigen Untersuchungen (vgl. Integrationsbericht der Bundesregierung 2010; Diefenbach 2010) sind die erheblichen Probleme, die insbesondere Jugendliche mit Migrationshintergrund in der Schule und beim Übergang in den Beruf haben, bekannt. Diesen hohen Hürden wird mit der folgenden konzeptionellen Ausrichtung begegnet: Es gibt eine kriteriengeleitete Auswahl profilierter MentorInnen (überwiegend aktiv im Berufsleben stehend), die sich im„Ein- und Zugangsbereich“ zum ersten Arbeitsmarkt sehr gut auskennen, weil sie über entsprechende berufliche Positionen verfügen bzw. selbstständig sind und die darüber hinaus eine vorbereitende Qualifikation durch Hürdenspringer erfahren. Eine weitere konzeptionelle Passgenauigkeit zur Bewältigung des Übergangsmanagements liegt darin begründet, eng mit wenigen, ausgewählten und interessierten Schulen zu kooperieren. Das heißt, nicht an vielen Schulen jeweils einige SchülerInnen anzusprechen, sondern genau dort anzudocken, wo ein klares Interesse der Schulleitungen besteht und wo damit der Weg zu einer Kooperation mit engagierten LehrerInnen möglich werden kann. Nicht zuletzt trägt das detaillierte Aufnahmeverfahren für Mentees zum späteren Erfolg bei. Zweitens: Um die Zielgruppe der Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus sozial benachteiligten Familien zu erreichen, liegt die konzeptionelle Passgenauigkeit darin begründet, dass „Hürdenspringer“ in ihrer Lebenswelt, dem sozialen Brennpunkt Nord-Neukölln, angesiedelt ist. Hürdenspringer ist nicht nur im Kiez mit Anlaufstellen erreichbar, sondern hat auch eine Verortung an der Schule (Raum und regelmäßige Sprechzeiten) bis dahin, dass die KoordinatorInnen von Hürdenspringer in die Klassen gehen und ihre Angebote bekannt machen, d. h. auch in möglichst enger Kooperation mit LehrerInnen stehen. Die Erfahrung macht deutlich: Die örtliche Nähe zur Lebenswelt ist zwar notwendig, jedoch nicht hinreichend, um die Zielgruppe zu erreichen. Eine direkte persönliche Ansprache der einzelnen SchülerInnen und die ausführliche, oft mehrmalige Erläuterung des Angebotes sind nötig, damit das Angebot verstanden und ernst genommen wird, damit es auch „ankommt“. Nicht zuletzt liegt die konzeptionelle Passgenauigkeit in der Überschaubarkeit des Projektes. Selbst ein solch niedrigschwellig angelegtes Projekt ist - so die Aussagen einiger interviewter Mentees - ihnen eher fremd und eher am Rande der eigenen jugendlichen Lebenswelt mit Gleichaltrigen oder der Lebenswelt Familie angesiedelt. Aber: durch die „persönliche“ Ansprache ist jeder und jedem Mentee klar, wer der/ die kontinuierliche AnsprechpartnerIn pro Schule ist. Er/ sie ist „greifbar“, man „kennt ihn/ sie“. Bei dem/ der jeweils pro Schule verantwortlichen KoordinatorIn laufen die wesentlichen Knotenpunkte zusammen. Und vielen SchülerInnen ist inzwischen bekannt, dass es MentorInnen gibt, die einen beim Übergang ins Berufsleben unterstützen. Sie lernen die Möglichkeit kennen, aktiv zu werden und sich bei Hürdenspringer zu melden. Neben der Überschaubarkeit zeigt auch die Kontinuität des Angebotes zunehmend Wirkung: Während zu Beginn der Aktivitäten teils noch Skepsis und unter den SchülerInnen teils der abwertende Tenor bestand „Du schaffst das wohl nicht alleine? “, hat sich das Ansehen der SchülerInnen mit MentorIn gewandelt. Sie werden inzwischen auch beneidet, es gibt sogar Wartelisten an den Schulen. Alle zehn interviewten Mentees haben Hürdenspringer an andere Gleichaltrige oder Geschwister weiterempfohlen. Manche ihrer FreundInnen reagieren aber auch ablehnend. Sie halten die Zusam- 133 uj 3 | 2011 Übergang ins Berufsleben menarbeit mit einem/ einer MentorIn für„vertane Zeit“. Eine Motivation von SchülerInnen mit anderen Vorstellungen darüber, wie sie ihren Berufseinstieg gestalten wollen, ist im Konzept von Hürdenspringer ausdrücklich nicht vorgesehen. An dieser Stelle hebt sich Hürdenspringer deutlich von sozialpädagogischen Arbeitsansätzen ab. Welche Wirkungen gehen von Hürdenspringer aus? Ein Blick auf die Zielsetzung macht deutlich: Es wird nicht ausschließlich auf den gelingenden Übergang von der Schule in die Berufsausbildung gesetzt. Sicherlich ist und bleibt die Vermittlung in einen Ausbildungsplatz ein Richtziel für Hürdenspringer und für MentorInnen wie Mentees, was auch allen Interviews deutlich wird. Insgesamt geht es um die Entwicklung von tragfähigen Anschlussperspektiven u. a. mit den Möglichkeiten des höheren schulischen Abschlusses, der Absolvierung eines Freiwilligendienstes und einer berufsvorbereitenden Maßnahme. Darüber hinaus werden auf dem Weg dorthin eine ganze Reihe weiterer Wirkungen oder Entwicklungen bei den Jugendlichen in Gang gesetzt, die sich hinter den allgemeinen Zielsetzungen (Generationenbeziehungen, Toleranz und Verständnis für andere Lebenswelten, Wichtigkeit bürgerschaftlichen Engagements für ein demokratisches Gemeinwesen) „verbergen“ und die von hoher Relevanz sind: Wirkungen beziehen sich auch auf die Öffnung der teils „abgeschotteten“ und familienbezogenen Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen, auf das Durchbrechen der „Begrenzungen durch das eigene Milieu“. Bei der „begleiteten“ Konfrontation mit anderen Lebenswelten können Fremdheit und Angst vor neuen Erfahrungen reduziert werden und das Bewusstsein der eigenen Fähigkeiten kann steigen. Die Mentees haben anfangs wenig Wissen über eigene Stärken, und es herrscht, wie bei vielen Gleichaltrigen auch, häufig Unkenntnis darüber, wie es in der Welt „da draußen“ zugeht. Dazu gehört - nach Aussage der Mentees und der LehrerInnen - die Unkenntnis der Wertmaßstäbe außerhalb von Schule, die Unkenntnis dessen, was in der Berufswelt gefragt ist, und wenig Wissen über angemessene Verhaltensweisen im offiziellen gesellschaftlichen Umgang. Durch Kontakt mit anderen Lebenswelten und die Anerkennung innerhalb dieser neuen fremden Lebenswelt bestehen Chancen, innere Hürden und Barrieren abzubauen und selbst aktiv zu werden. Es wird die Erfahrung der eigenen Werte, aber auch die Erfahrung einer nicht grundsätzlich feindlich gesinnten Außenwelt geboten. In diesem Zusammenhang soll auf die besondere Bedeutung von Möglichkeiten der Partizipation und Anerkennung hingewiesen werden, die bei der langfristigen Bewältigung von Armut eine wichtige Rolle spielen (vgl. neueste Untersuchungen von Hollenstein/ Huber/ Schweppe 2010, 152ff ). Vor diesem Hintergrund umfasst das Wirkungsspektrum von Hürdenspringer die Förderung sowohl funktionaler wie extrafunktionaler Fähigkeiten, die auch als Schlüssel- und Basisqualifikationen oder „soft skills“ bezeichnet werden, um im (Berufs)leben Fuß zu fassen (vgl. Damm-Rüeger/ Stiegler 1996; Wilsdorf 1991). Beim Übergang ins Berufsleben sind Lernprozesse der Mentees im Bereich funktionaler, fachlich-technischer Fähigkeiten (z. B. schulische Leistungen, um die Bewerbung mit einem entsprechenden Mittleren Schulabschluss im Vorfeld zu qualifizieren, Herstellen einer guten Bewerbungsmappe) genauso wichtig wie die sogenannten extrafunktionalen Qualifikationen, die sich insbesondere auf organisatorische und soziale Zusammenhänge beziehen - etwa Flexibilität, soziale Verantwortung, Sensibilität, Arbeitstechniken, kommunikative Fähigkeiten (vgl. Meierhans 1999, 5ff ). 134 uj 3 | 2011 Übergang ins Berufsleben Wirkungen und Erfolge aus Sicht der beteiligten MentorInnen, Mentees und LehrerInnen Die Perspektive der MentorInnen Ich möchte zunächst die Sicht der MentorInnen wiedergeben und die Vielfalt der Wirkungen mit einigen Zitaten veranschaulichen. Verschiedene Lebenswelten bewegen sich aufeinander zu Wenn sie Neukölln verlassen und sich mit dem/ der MentorIn an dessen/ deren Arbeitsplatz - sei es in Banken oder Versicherungen, sei es in den Büros der Selbstständigen - treffen, lernen die Mentees so manches Mal völlig neue Lebenswelten kennen. In den Interviews sowohl mit MentorInnen als auch mit Mentees ist erkennbar, dass sich vor allem die MentorInnen stark auf die jungen Leute einstellen, selbst dazulernen und eine relativ hohe Toleranz entwickeln, wenn Mentees sich z. B. seltener bewerben als abgesprochen war. „Aber ich versuch ihr klar zu machen, dass jeder, der einen Job haben möchte, unter Umständen 80 Mal schreiben muss, bevor das beim 81. Mal zustande kommt. Ich glaube, das ist nicht so einfach zu realisieren, wenn man selbst nicht die Erfahrung gemacht hat“ (Int 1). Die Mentees erfahren einerseits schon die „Härte der Ausbildungsplatzsuche“, sie wird aber durch die Mut machende Begleitung der MentorInnen abgemildert. Eine Mentorin berichtet von eigenen Lernprozessen: „Meine Idee war, dass man das Mentoring (entgegen der konzeptionell geplanten einjährigen Zusammenarbeit, Anm. d. Verf.) kompakter gestalten könnte, jede Stunde mit konkreten Inhalten vollpackt, dann bauen wir das sukzessive auf, und das wird dann zack, zack abgearbeitet. Aber ich glaube, das geht nicht, das habe ich jetzt verstanden“ (Int 5). Es entsteht eine Kultur der gegenseitigen Wahrnehmung und Anerkennung Beide Seiten, MentorInnen wie Mentees, sind aufeinander stolz. Die MentorInnen beschreiben ihre Mentees im Interview fast ausschließlich positiv und sind ihnen sehr zugetan. Es fallen Sätze wie „meine Mentee ist eine ganz taffe, nutzt alle Gelegenheiten, die sich ihr bieten“ (Int 2),„mit meinem Mentee habe ich Glück gehabt, ich habe einen sehr pflegeleichten Jugendlichen“ (Int 3), „sie ist eine ganz liebe, fleißige, möchte ein Lehre machen“ (Int 1). Die Signale kommen bei den Mentees an. Von ihrer Seite fallen Sätze wie„mein Mentor ist toll, nicht streng, immer freundlich“ oder „meine Mentorin bewundere ich sehr“ oder auch „ich bin zufrieden mit ihm“. Das Selbstbewusstsein der Mentees wächst Das lässt sich an neuen Verhaltensweisen ablesen, sie können sich besser präsentieren und im Alltag auch besser durchsetzen. „Dass die Jugendliche in Bezug auf ein Praktikum die Eigeninitiative ergriffen hat, ist für mich ein Erfolg“ (Int 5). Eine Mentorin verweist darauf, dass ihre Mentee die eigenen Veränderungen deutlich wahrnimmt: „Auch sagt die Mentee selbst, dass sie jetzt weniger Schwierigkeiten hat, sich vor anderen zu präsentieren und etwas zu sagen“ (Int 5). Die Beratung der MentorInnen ist kenntnisreich und engagiert Das folgende Zitat spricht für sich selbst: „Sie hatte auch bei einem sozialen Bildungsträger eine Vorstellung, ich habe ihr aber nicht zugeraten, lieber in den ersten Arbeitsmarkt. Sie bekäme zwar einen IHK-Abschluss, aber erstens wird es nicht bezahlt, das wäre vielleicht weniger wichtig, aber sie geht eben nicht in den Betrieb. Jeder potenzielle Arbeitgeber sieht das dann auch. Es ist nur die zweitbeste Lösung. Wir suchen jetzt noch einen ‚echten’ Arbeitsplatz“ (Int 1). 135 uj 3 | 2011 Übergang ins Berufsleben Büffeln, um einen guten Schulabschluss zu erreichen MentorInnen und Mentees sind flexibel und stellen sich den jeweiligen Anforderungen. Nicht nur die Suche nach einem Ausbildungsplatz, auch die Schaffung von Voraussetzungen, einen solchen zu erhalten, sind für manche Tandems Anlass zur intensiven Zusammenarbeit: „Er ist in der 10. Klasse, macht gerade MSA, wir haben crashmäßig nochmals Deutsch und Englisch geübt“ (Int 3). MentorInnen fördern soziales Verhalten in der Schule „Beim ersten Treffen hat die Mentee ihr Zeugnis mitgebracht. Sie hatte in der persönlichen Bewertung sehr schlechte Noten, die ich aus meiner Erfahrung mit der Jugendlichen nicht nachvollziehen kann. Wir sind dann die schlechten Noten durchgegangen und haben gemeinsam Ziele zur Verbesserung der Noten vereinbart und überlegt, wie man bereits mit kleinen Schritten seine Noten verbessern kann (z. B. sich in jeder Stunde mindestens zweimal melden)“ (Int 5). Diese „Ratschläge“ hat die Mentee dann abgetippt, und die Mentorin hat sie als Lesezeichen laminiert. Unterstützung bei der Berufsfindung „Zunächst hat sie gar nichts gewusst. Sie wollte gerne etwas im Büro, gerne auch etwas mit einem Computer, weniger gern mit Arztpraxis, gar nichts mit Technik, weil davon verstehe sie nichts. Der Inhalt der diversen Berufsbilder war eine Blackbox für sie“ (Int 1). „Wir sprechen viel über Berufswünsche, ich recherchiere dann die Möglichkeiten. Seit der Mentee einen Computer hat, macht er auch selbst Recherchen“ (Int 4). Hilfe beim Bewerbungsschreiben „Es ist wichtig, einfach zu erkennen, worauf gucken die Arbeitgeber beim Realschüler: die Fehlzeiten, möglichst nur eine vier, also 10 Punkte. Das hat man dann in den Anzeigen mitgekriegt. Das war für mich schon neu. Wenn ein Punkt nicht erfüllt ist, sollte man sich doch bewerben, gleichzeitig muss man schauen, ist man da jetzt völlig out of space. Das Arbeitsamt sagt vielleicht: nicht bewerben. Ich bin eher der Kümmerer und sage: Probiers doch! “ (Int 7) „Man sendet die beiden letzten Zeugnisse und was man sonst so hat, es kommt vor allem auf das Anschreiben an. Wir haben lange gefeilt, dass ein Arbeitgeber Lust hat, ihn kennenzulernen“ (Int 7). Praktische Hilfe bei Vorbereitung der Bewerbungssituation „Ich versuche, die Gespräche hinzuzentrieren auf die Aufgaben, es geht um Coaching, um den Selektionsprozess zur Ausbildung hin, um Ratschläge wie: was ziehe ich an? Nimm die U-Bahn 10 Minuten früher, dass du rechtzeitig da bist“ (Int 1). Die Sicht der Mentees Im Unterschied zu den sehr ausführlichen Schilderungen der MentorInnen äußern sich die Mentees im Interview eher „kurz und bündig“. Die Zusammenarbeit wird weitgehend pragmatisch beschrieben, der/ die MentorIn unterstützt auf Zeit. Bei einigen wenigen, insbesondere wenn es sich noch um junge MentorInnen handelt, sprechen beide Seiten von einer gewissen Freundschaft. Die Facetten der Zusammenarbeit und ihre Wirkungen werden folgendermaßen beschrieben: ➤ Die Mentees sind stolz darauf, eine/ n MentorIn zu haben, die FreundInnen sind teils sogar neidisch, andere FreundInnen sagen aber auch: „Das ist vertane Zeit.“ ➤ Alle Mentees berichten, dass die Eltern sich freuen oder zumindest die Kooperation mit dem/ der MentorIn begrüßen, weil sie sich ein schulisches und berufliches Fortkommen der Kinder wünschen. Häufig fiel ein Satz wie: 136 uj 3 | 2011 Übergang ins Berufsleben „Die Eltern habe ich gar nicht erst gefragt, die sind sowieso mit allem einverstanden, was Unterstützung in der Schule betrifft.“ Einige wenige Eltern haben die MentorInnen zu sich nach Hause eingeladen und damit eine nähere Beziehung aufgenommen. ➤ Eine Mentee war überrascht, dass eine deutsche Mentorin sie so gut versteht, sie hatte bisher keinen näheren Kontakt zu Deutschen. Sie meint: „Es ist, als würde man mit einer anderen Ausländerin sprechen.“ ➤ Es wird hervorgehoben, dass der/ die MentorIn geholfen hat, Bewerbungen zu schreiben, eine Bewerbungsmappe anzulegen: „Das war anstrengend, aber hat sich gelohnt, weil ich auch Antworten bekommen habe.“ ➤ Die Mentees wissen, dass die Eltern sie nicht direkt bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz unterstützen können: „Ich möchte so lange wie möglich mit der Mentorin zusammenarbeiten. Schließlich brauche ich Hilfe, weil meine Eltern nicht so viel vom Übergang ins Berufsleben verstehen.“ ➤ Einige Mentees berichten, dass sie zusammen mit dem/ der MentorIn zunehmend Klarheit gewonnen haben, welchen Beruf sie überhaupt künftig ergreifen wollen. „Früher wollte ich das werden, was alle Jungens wollen, Polizei oder Feuerwehr, zusammen mit meinem Mentor bin ich auf einen Ausbildungsberuf gestoßen, der weniger bekannt ist und der mir gefällt.“ ➤ Einige Mentees berichten von der wichtigen Erfahrung, dass der/ die MentorIn sie immer wieder zum Durchhalten angeregt oder auch mal anschubst. Insbesondere bei Jungen fiel der Satz: „Ich bin faul und brauche einen, der mich anschiebt.“ ➤ Zwei der zehn interviewten Mentees haben einen Ausbildungsplatz gefunden (Deutsche Post, Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten), andere sind aktuell dabei, Bewerbungen zu schreiben, einige berichten, dass sie mithilfe des/ der MentorIn einen Praktikumsplatz gefunden haben. Die Institution Schule Die Schulleitungen bzw. befragten LehrerInnen beider Schulen heben hervor, dass ihre SchülerInnen verschiedene Angebote für den Übergang ins Berufsleben vonseiten außerschulischer Träger haben, darunter auch das Mentoring von Hürdenspringer. Damit erfüllen diese Schulen bereits seit einigen Jahren den Auftrag einer berufsorientierenden Bildung in Form von Berufsfeldkontakten und Kontakten zur Wirtschaft, wie er im Juni diesen Jahres im Berliner Schulgesetz für die integrierte Sekundarschule in Kraft getreten ist. An beiden Schulen läuft das Angebot der Hürdenspringer seit rund zwei Jahren und ist sehr bewusst neben anderen Angeboten organisiert. Von Leitungsebene wird betont: „Wir haben genau die Projekte von außerhalb an der Schule, von denen wir meinen, dass sie zielführend sind“ (Int S1). Oder: „Wir versuchen, unsere Schüler sternenförmig einzubetten, eine entsprechende Betreuung aufzubauen, und Hürdenspringer ist ein Baustein darunter“ (Int S2). Die befragten Leitungen bzw. LehrerInnen heben auch die weiteren Lernprozesse hervor, die die Mentees durch den Kontakt mit der Lebenswelt der MentorInnen machen. „Es werden Bereiche geöffnet, die den Schülern hier aus der Umgebung nicht zugänglich sind“ (Int S1). Sie machen auf folgende Wirkungen aufmerksam: ➤ MentorInnen ersetzen die Eltern speziell dort, wo es um Zugänge zur Berufswelt geht. Eltern kennen oftmals nicht das duale Ausbildungssystem, können den Kindern auch keine Berufsbilder vermitteln, besonders dann, wenn sie nicht berufstätig sind. ➤ Eltern delegieren deshalb alle Probleme der schulischen Ausbildung - auch das des Übergangs ins Berufsleben - an die Schule. Die LehrerInnen sind diesbezüglich überfor- 137 uj 3 | 2011 Übergang ins Berufsleben dert, MentorInnen leisten gerade an dieser Stelle wertvolle Unterstützung. ➤ MentorInnen ergänzen die Schule, die die Einzelbetreuung nicht leisten kann. Eine Direktorin dazu: „Hürdenspringer, das ist ein Baustein, den ich für besonders wertvoll halte, weil, wenn da eine Vertrauensbeziehung aufgebaut ist, dann ist das von unschätzbarem Wert, weil sie eben nicht institutionell organisiert ist, sondern individuell“ (Int S2). ➤ Schule wertet es bereits als Erfolg, wenn die Jugendlichen berufstätige Menschen kennenlernen und im Kontakt erfahren, was dies in der Tagesstruktur bedeutet. ➤ Eine Entlastung von LehrerInnen durch die MentorInnen wird eher nicht unmittelbar wahrgenommen oder meist nur durch die KlassenlehrerIn. Grundsätzlich könnten Störungen wie Zu-spät-Kommen oder Keine-Hausaufgaben-Machen reduziert werden, es gibt diesbezüglich jedoch wenig Rückmeldung an die Leitungsebene. ➤ Schule sieht Erfolge auch darin, dass Kinder angesichts sehr hoher elterlicher Erwartungen über ihre reellen Chancen in Bezug auf das Berufsleben durch MentorInnen aufgeklärt werden können, wenn MentorInnen über ein entsprechend aktuelles arbeitsmarktbezogenes Wissen verfügen. Fazit: Erfolgreiches Jugend- Mentoring in sozialen Brennpunkten: Bausteine, Stolpersteine und neue Entwicklungen Hürdenspringer profiliert sich im Bereich des Mentoring im Übergang Schule - Ausbildung - Beruf mit folgenden Bausteinen: Überschaubarkeit und lokale Verankerung an ausgewählten Schulen eines sozialen Brennpunktes, ausdifferenzierte und sensible Organisation der Rahmenbedingungen entlang der Lebenswelt der Mentees mit Migrationshintergrund, die Auswahl überwiegend aktiv im Berufsleben stehender, zugewandter und lernbereiter MentorInnen sowie durch Kontinuität, fachliche Kompetenz und hohes Engagement der jeweils zuständigen KoordinatorInnen. Die Analyse der externen Evaluation zeigt insgesamt eine positive Bilanz. Es gibt jedoch auch Hinweise auf Stolpersteine bzw. künftige Herausforderungen im Bereich der Kooperation mit Eltern und LehrerInnen der Mentees. Was die Kooperation mit den Eltern betrifft, so besteht nach Aussage der befragten LehrerInnen ein Ungleichgewicht zwischen den Ansprüchen der Eltern an schulische und berufliche Leistungen der Kinder (Abitur, Anwalt, Arzt) und den Möglichkeiten, hierin Unterstützung zu geben. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch breiter angelegte Untersuchungen (vgl. Helmke/ Reich 2001, 595). Die hohen Ansprüche an die Kinder sind mit Hoffnungen auf gesellschaftlichen Aufstieg verbunden. Demgegenüber gibt es wenige Vorstellungen davon, welche Leistungen die Kinder dafür erbringen müssen und wie die beruflichen Ausbildungswege aussehen (vgl. dazu: Boss- Nünning u. a. 2008, 54ff ). Die Familien in Nord- Neukölln sind überwiegend von Transferleistungen abhängig und haben deshalb kaum eine Vorstellung davon, wie Berufsleben funktioniert. Sie können die Kinder in Bezug auf schulische und Berufskompetenzen nur moralisch unterstützen. Vor diesem Hintergrund befürworten, ja begrüßen die Familien laut aller interviewten Mentees die Unterstützung durch MentorInnen. Besonderes Konfliktpotenzial zeichnet sich ab, wo familiäre Angelegenheiten (Geschwister versorgen) und bestimmte kulturelle Vorstellungen (nicht im Dunkeln nach Hause kommen) wichtiger als Schule und mit der Erwartung verbunden sind, Schule und dann auch MentorInnen würden das alles schon „richten“. Aufgrund dieser Ergebnisse wird inzwischen beim Auswahlprozess der Mentees vermehrt geprüft, wie stark Eltern einbezogen werden 138 uj 3 | 2011 Übergang ins Berufsleben können. In der Vergangenheit haben Eltern lediglich ihr schriftliches Einverständnis zum Mentoring gegeben. Sie sollten sich vorab mit bestimmten Bedingungen schriftlich einverstanden erklären. Jetzt werden Eltern, bevor das Kind eine/ n MentorIn erhält, persönlich in die Beratungsstelle eingeladen und in einem ausführlichen Gespräch darüber informiert, was Mentoring bedeutet. Darüber hinaus begleitet jetzt bei 60 bis 80 % der Jugendlichen mindestens ein Elternteil das Matching, die Vermittlung ihres Sohnes bzw. der Tochter an eine/ n MentorIn im Projektbüro von Hürdenspringer. Zunehmend haben auch die MentorInnen persönlichen Kontakt zu den Eltern. Was die Kooperation mit Schule betrifft, so hat die Akzeptanz von Hürdenspringer unter der Lehrerschaft der beiden Schulen, an denen das Mentoringprojekt schon länger präsent ist, zugenommen. Die befragten Leitungskräfte weisen darauf hin, dass sich ein Projekt in einem langen Prozess etablieren muss und eine Verankerung „außerschulischer Angebote“ wie Hürdenspringer auf Zeit angewiesen ist. Bestimmte Erwartungen vonseiten der Hürdenspringer an die Schule sind allerdings nur schwer einzulösen. So wäre es für Hürdenspringer wichtig, Rückmeldungen von den LehrerInnen zu erhalten: Kommen Kinder, die eine/ n MentorIn haben, z. B. pünktlicher, machen sie ihre Hausaufgaben eher? Es wäre wichtig, dass LehrerInnen zur optimalen Förderung der Mentees die neuen Leistungen der Kinder wahrnehmen und sie so bestärken. Dagegen werden solche individuellen Entwicklungsprozesse laut den interviewten LehrerInnen nur wenig und wenn, dann eher von dem/ der KlassenlehrerIn wahrgenommen. Ein Teil der LehrerInnen fühlt sich nicht in der Lage, die - wenn auch geordnete - Vielfalt der an der Schule tätigen außerschulischen Träger zu überschauen bzw. eine Art schülerbezogene Kooperation mit diesen Trägern zu leisten. Sie sind mit der didaktischen Planung und Gestaltung des Fachunterrichts ausgelastet. Die Kooperation zwischen Hürdenspringer und LehrerInnen ist durch strukturelle schulische Bedingungen zwar begrenzt, andererseits lässt die aktuelle Schulentwicklung durch die neuen gesetzlichen Bestimmungen für Berliner Sekundarschulen eine weitere Öffnung bezüglich berufsbildender und -orientierender Projekte erwarten und arbeitet damit zugunsten des Mentoringprojektes. Dieser Trend erfordert eine verstärkte Zusammenarbeit mit Schule und mit den weiteren außerschulischen Kooperationspartnern, die an den Schulen, mit denen Hürdenspringer kooperiert, im Bereich Übergang Schule - Beruf aktiv sind. Aktuell wird deshalb die Kooperation im Rahmen monatlicher Fallbesprechungen und Abstimmungen sowie im Kontext regelmäßiger Steuerungsrunden zur Berufsorientierung und zum Übergangsmanagement mit Schulleitung intensiviert. Dr. phil. Gabriele Bindel-Kögel Camino gGmbH Scharnhorststraße 5 10115 Berlin 139 uj 3 | 2011 Übergang ins Berufsleben Literatur Aktion zusammen wachsen, 2010: Berlin gewinnt 1 : 1. Ein Überblick über Berliner Patenschafts- und Mentoringprojekte. Berlin BMFSFJ (Bundesministerium für Frauen, Senioren, Familie und Jugend), 2005: Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999 - 2004. www.bmfsfj.de/ Redaktion BMFSFJ/ Engagementpolitik/ Pdf-Anlagen/ freiwil ligen-survey-langfassung,property=pdf,bereich= bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf, 16. 12. 2010, 480 Seiten BMFSFJ (Bundesministerium für Frauen, Senioren, Familie und Jugend), 2010: Monitor Engagement. Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999 - 2004 - 2009. www.bmfsfj.de/ RedaktionBMFSFJ/ Broschuerenstelle/ Pdf-Anlagen/ Monitor-Engagement-Nr-2,pr operty=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true. pdf, 16. 12. 2010, 43 Seiten Boss-Nünning, U./ Di Bernado, L./ Rimbach, B./ Wolbeck, I., 2008: Materialband „Zusammenarbeit mit zugewanderten Eltern“. Essen Bundesregierung, 2010: Integrationsbericht der Bundesregierung. Berlin Damm-Rüeger, S./ Stiegler, B., 1996: Soziale Qualifikation im Beruf. Bielefeld Diefenbach, H., 2010: Kinder- und Jugendliche aus Migrantenfamilien im deutschen Bildungssystem. Wiesbaden Helmke, A./ Reich, H., 2001: Die Bedeutung der sprachlichen Herkunft für die Schulleistung. In: Empirische Pädagogik. 15. Jg., H. 4, S. 567 - 600 Hollstein,T./ Huber, L./ Schweppe, C., 2010: Migration, Armut und Bewältigung. Weinheim/ München Meierhans, J., 1999: Funktionsübergreifende Qualifikationsprofile. Eine Analyse der aktuellen Situation mit Blick in die Zukunft. http: / / socio.ch/ work/ jm/ 04. htm, 28. 11. 2010, 16 Seiten Wilsdorf, D., 1991: Schlüsselqualifikationen. Die Entwicklung selbständigen Lernens und Handelns in der Berufsausbildung. München