unsere jugend
4
0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2011.art34d
71
2011
637+8
Jugendliche als „BildungsmultiplikatorInnen im ländlichen Raum“
71
2011
Sabine Behn
Gabriele Bindel-Kögel
Die Qualifizierung zu "BildungsmultiplikatorInnen für Demokratie und Toleranz" befähigt Jugendliche im ländlichen Raum, Projekte mit anderen Jugendlichen zu entwickeln und umzusetzen und sich eigenverantwortlich für die eigenen Interessen einzusetzen.
4_063_2011_7+8_0005
311 unsere jugend, 63. Jg., S. 311 - 323 (2011) DOI 10.2378/ uj2011.art34d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Sabine Behn Jg. 1960; M. A., Geschäftsführerin von Camino gGmbH Jugendliche als „BildungsmultiplikatorInnen im ländlichen Raum“ Ein sozialpädagogisches Modell-Curriculum Die Qualifizierung zu „BildungsmultiplikatorInnen für Demokratie und Toleranz“ befähigt Jugendliche im ländlichen Raum, Projekte mit anderen Jugendlichen zu entwickeln und umzusetzen und sich eigenverantwortlich für die eigenen Interessen einzusetzen. Viele Gemeinwesen im ländlichen Raum insbesondere der neuen Bundesländer verlieren ihre nachwachsenden demokratischen Akteure. Verursacht wird dies durch Desintegrationsprozesse, die Kindern und Jugendlichen aus benachteiligten Familien den Zugang zu Kultur- und Bildungseinrichtungen zunehmend erschweren. Junge Menschen partizipieren be- Dr. phil. Gabriele Bindel-Kögel Jg. 1954; Diplom-Pädagogin, Arbeitsschwerpunkte: Kinder- und Jugend(hilfe)forschung, sozial- und rechtswissenschaftliche Forschung reits frühzeitig nicht mehr ausreichend an den Angeboten der formalen Bildung bzw. erleben hier Misserfolge. Der demografische Wandel verstärkt diese Entwicklung: Höher qualifizierte Teile der Bevölkerung und insbesondere junge Frauen wandern ab. Solche Prozesse der sozialen Homogenisierung führen zur Zunahme von (Bildungs-)Benachteiligten, in der Folge entstehen männlich dominierte, bildungsbenachteiligte Jugendmilieus und somit tendenziell demokratiefeindliche Strukturen. Jugendliche, die sich kontinuierlich in diesen Milieus aufhalten, werden als rechtsextremistisch gefährdet angesehen. Sie benötigen andere Kontakte und Partizipationsmöglichkeiten, neue Anregungen, Innovations- und Mobilitätsangebote. Vor diesem Hintergrund ist das Modellprojekt „Bildungsmultiplikatoren für Demokratie und Toleranz“ entwickelt worden, das von 2007 bis 2010 im Rahmen des Bundesprogramms „Vielfalt tut gut - Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ von Camino durchgeführt wurde. Im Rahmen der Qualifizierung werden Jugendliche und junge Erwachsene zu BildungsmultiplikatorInnen ausgebildet. Sie können Schlüsselqualifikationen erwerben, die für die Bewäl- 312 uj 7+8 | 2011 Jugendarbeit tigung zentraler Kernaufgaben (z. B. Aktivierung von Jugendlichen, Projektentwicklung, Networking) notwendig sind, und sie werden darin unterstützt, Projekte vor Ort zu initiieren, die ein breit gefächertes Themenspektrum umschließen und sich auch an (bildungs-)benachteiligte und gefährdete Jugendliche richten. Die Qualifizierung wurde in enger regionaler Kooperation mit der ländlichen Jugendarbeit, der Schulsozialarbeit vor Ort, freien Trägern der Jugendhilfe und den zuständigen Jugendämtern in den beteiligten Landkreisen Müritz (Mecklenburg-Vorpommern) und Havelland (Brandenburg) durchgeführt. Die Umsetzung des Grundgedankens der Peer- Orientierung und die daraus folgende konsequente Einbeziehung von älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen als BildungsmultiplikatorInnen schafft neue Zugänge zu benachteiligten und rechtsextremistisch gefährdeten Jugendlichen. Im Zuge der Ausbildung zu BildungsmultiplikatorInnen werden Jugendliche in die Lage versetzt, Bildungsangebote für diese Zielgruppe attraktiv zu gestalten und in lebensweltnahe (Freizeit-)Angebote zu integrieren (ausführlich dazu vgl. Camino 2010). Theoretische Fundierung des sozialpädagogischen Modell-Curriculums für die BildungsmultiplikatorInnen Lebensweltbezogenes Lernen mit Jugendlichen findet nicht nur schrittweise aufbauend, sondern vor allem flexibel, gebrauchswertorientiert und teils auch sprunghaft innerhalb eines dafür organisierten Kontextes statt. Das sozialpädagogische Curriculum wurde deshalb als Kombinationsmodell entworfen, das - basierend auf den weiter unten dargestellten theoretischen Grundlagen und mit einem Gerüst an Leitzielen und flexibel einsetzbaren Modulen ausgestattet - eine Vielzahl an Seminarangeboten umfassen kann. Der Begriff Curriculum wird als umfassender Qualifizierungsplan (vgl. Martin 1989, 147f ) verstanden, um deutlich zu machen, dass es sich weder um „Offene Jugend(kultur)arbeit“ noch um eine Art„abgehobenen Bildungsplan“ handelt, sondern um eine Qualifikation zur„Bewältigung von Lebenssituationen“ (vgl. Robinsohn 1972), bei der jugendtypische Bildungsinteressen, Lernformen und Erlebnisweisen eine wichtige Rolle spielen. In seinen theoretischen Grundlagen greift das Modell-Curriculum für die „BildungsmultiplikatorInnen für Demokratie und Toleranz“ auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu (siehe Abbildung 1). Sie entstammen sowohl psychologischen Entwicklungs-, Lern- und Kognitionstheorien, didaktischen Theorien, insbesondere der konstruktivistischen Erwachsenenbildung, als auch den praxisorientierten Ansätzen der offenen Jugend(bildungs)arbeit und der sozialpädagogischen Didaktik mit ihren ausdifferenzierten konzeptionellen und methodischen Vorstellungen. Dieser bewusst gewählte eklektische Zugriff auf verschiedene Wissenschaftsdisziplinen für die Ausstattung des Modell-Curriculums resultiert aus einer Haltung, die die Perspektive der Zielgruppen oder AdressatInnen in den Mittelpunkt stellt. Das Curriculum folgt damit demokratischen Prinzipien der Partizipation, der lebensweltlichen und regionalen Orientierung und der Verantwortungsübernahme für die Verhältnisse vor Ort, womöglich durch die dort lebenden Jugendlichen in Kooperation mit den Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung. Damit wird bereits in der Anlage des Curriculums ein Leitbild transportiert, das rechte Haltung und rechte Gesinnung, die vor allem durch Menschenverachtung und Ausgrenzung „Schwacher“ geprägt sind, grundlegend infrage stellt. Die für das Curriculum relevanten Elemente der vier wissenschaftlichen Bezugsfelder (vgl. Abbildung 1) sollen im Folgenden erläutert wer- 313 uj 7+8 | 2011 Jugendarbeit den. Dabei fließen gleichermaßen theoretische Überlegungen wie auch die umfangreichen praktischen Erfahrungen der Umsetzung in die Fundierung des Modell-Curriculums ein. Psychologische Lern-, Entwicklungs- und Kognitionstheorien Lernen wird - nicht nur in der Psychologie - als grundlegende menschliche Fähigkeit betrachtet, Umweltinformationen aufzunehmen, zu verarbeiten und eigenes Verhalten zu ändern. Dabei werden verschiedene Lernformen unterschieden. Besonders bekannt ist intentionales Lernen, das auf die Bewältigung von Problemsituationen abzielt und sowohl im Rahmen formeller Bildungsprozesse in Schule oder Beruf stattfindet als auch - eher informell - im Alltag oder im Zuge persönlicher Entwicklungsprozesse. Eine besondere Würdigung erfährt in den letzten Jahren das funktionale, inzidentelle (beiläufige) oder informelle Lernen, wenn z. B. eine Verhaltens- oder Wissensentwicklung eher unbewusst oder beiläufig bis zufällig gelernt wird (vgl. Schilling 1995, 27; Deinet 1987). Aus lernpsychologischer Sicht durchlaufen Menschen eine Entwicklung oder auch Lernbiografie, in der bestimmte Lernerfahrungen gemacht werden, die den Lernstil und die Lernmotivation prägen. Beides ist bei jungen Menschen noch wenig festgelegt. Sie sind ihrem Alter gemäß in der Regel eher offen für neue Erfahrungen, bringen - auch in Auseinandersetzung mit dem „Alt-Hergebrachten“ - neue Ideen und Projekte ein und sind gleichzeitig sensibel, was existenzielle Fragen wie etwa ihre künftigen beruflichen Chancen und Möglichkeiten der gesellschaftlichen Integration betrifft. Abb. 1: Begründung des Modell-Curriculums 1. Psychologische Theorien Lern-, Entwicklungs- und Kognitionspsychologie 2. Didaktische Theorien - Konstruktivistische Didaktik - Curriculumtheorie - Teilnehmerorientierung - Handlungsorientierung - Selbststeuerung 4. Sozialpädagogische Didaktik - Konzeptentwicklung - Zielgruppen- und Situationsansatz - Projektelernen 3. Ansätze der Jugendarbeit - Außerschulische Jugendbildung - Lebensweltorientierung - Sozialraumkonzepte - Selbst- und kommunale Mitbestimmung MODELL-CURRICULUM Begründung des Modell-Curriculums „BildungsmultiplikatorInnen für Demokratie und Toleranz“ auf der Grundlage aktueller Theorien und Ansätze 314 uj 7+8 | 2011 Jugendarbeit Lernen in der Adoleszenzphase ist aus psychologischer Sicht grundsätzlich mit Prozessen der Selbst- und Fremderfahrung, der Selbstdefinition, der Selbstinszenierung und der Identitätsentwicklung verbunden und geht eng mit körperlichen und sexuellen Reifeprozessen einher (vgl. Flammer/ Alsaker 2001). Jugendliche orientieren sich verstärkt an Gleichaltrigen und machen in dieser Zeit vielfältige Lernprozesse in Cliquen und Szenen, in spontanen, kurzfristigen und ungeplanten Begegnungen, die der Entwicklungsaufgabe der Identitätsbildung dienen. Diese jugendtypischen Schlüsselthemen, Aktivitäts- und Lernformen (Peer-Lernen) sind im Modell-Curriculum grundlegend verankert. Ein wichtiger Perspektivenwechsel, der die Organisation von Lernprozessen zumindest im außerschulischen Bereich in den letzten Jahrzehnten nachhaltig prägt und „Selbstlernprozesse“ betont, basiert auf Erkenntnissen der psychologischen Kognitionsforschung (vgl. Piaget 1983) und soziologischer Systemtheorien (Luhmann/ Schorr 1988, 463ff ). Demnach sind menschliche Wahrnehmung und Erkenntnis an neurobiologische Prozesse gebunden. Menschen bewerten und sortieren äußere Reize und Informationen in einem komplexen Netz von vielfältigen Kopplungsmöglichkeiten (vgl. Maturana/ Varela 1987). Für das Modell-Curriculum ist von großer Bedeutung, dass (junge) Menschen ihre Lernprozesse auf kognitiver Ebene selbst steuern und organisieren. Sie nehmen eine eigene Bewertung von Informationen und Erlebnissen vor, wählen bewusst oder unbewusst aus, was anschlussfähig ist, d. h. was sich mit vorhandenen Erfahrungen, Emotionen, Wissensbeständen oder dem, was als wichtig definiert wird, verbinden lässt. Dabei gibt es eine enorme Vielfalt an Kombinationsmöglichkeiten, die im Sozialisationsprozess durch kulturelle Normen oder Wertvorstellungen der Peergroup oder jeweiligen Clique beeinflusst werden. Diskrepanzerlebnisse, wie etwa die Motivation, etwas für die eigene Peergroup in der Gemeinde veranstalten zu wollen, jedoch nicht über ausreichende Kompetenzen dafür zu verfügen, rufen Lernbedarfe hervor. Methodisch werden Heterogenität, Fremdheitserleben und Nicht-Verstehen zu einem konstitutiven Merkmal konstruktivistischer Bildung (vgl. Schäffter 1985, 47f ) - auch im Curriculum der „BildungsmultiplikatorInnen für Demokratie und Toleranz“. In Anlehnung an die neueren lernpsychologischen Erkenntnisse wird eine Wende von der „Belehrungsdidaktik“ zur „Ermöglichungsdidaktik“ registriert (vgl. Arnold/ Krämer-Stürzel/ Siebert 1999, 34). Zunehmend werden vonseiten der Lernorganisatoren Chancen wahrgenommen und genutzt, ein Spektrum an Lernmöglichkeiten zu bieten, unter denen TeilnehmerInnen ihre spezifischen Lerninhalte und Lernbedürfnisse selbst wählen können. Vor diesem Hintergrund ist das Modell-Curriculum durch Offenheit und Flexibilität gekennzeichnet. Der Angebotscharakter des Modells basiert auf der Erkenntnis, dass mit einer Selbstwahl auch Anschlussmöglichkeiten gegeben sind, die nachhaltiges Lernen befördern und weitere Interessen wecken. Eine Vertiefung der offenen Angebote erfolgt mit Verzweigungen in verschiedene Disziplinen, in Kreativitäts- oder Kompetenzfelder je nach Bedarf im Sinne eines „Spiralcurriculums“, das den Stoff in Form einer Spirale anbietet, sodass einzelne Themen im Laufe der Zeit mehrmals auf jeweils unterschiedlichem Abstraktionsniveau wiederkehren. Didaktische Theorien Didaktik befasst sich mit den Bedingungen und der Gestaltung - kurz der Organisation - von Lehr- und Lernprozessen. Während bildungsdidaktische Schulen sich ursprünglich besonders auf Zielsetzungen und gesellschaftliche Schlüsselthemen im Rahmen von Unter- 315 uj 7+8 | 2011 Jugendarbeit richt konzentrieren, stellen lerntheoretische Überlegungen auf alle für Lernen relevanten Faktoren ab. Beide Ansätze fließen in der kritisch-konstruktiven Didaktik (vgl. Klafki 1985, 47f ) zusammen und betonen die wechselseitige Abhängigkeit und Beeinflussung aller für die Organisation von Lernprozessen konstitutiven Strukturen. Dazu gehören Ziele, Inhalte, Methoden, Medien sowie institutionelle, situative, lokale und gesellschaftliche Bedingungsfaktoren. Der Begriff „Curriculum“ befördert bereits seit den 60er Jahren neue Denkweisen: Nicht mehr humanistische Bildungsideale, sondern das Lernen für die Bewältigung von Lebenssituationen rückt in den Vordergrund der Diskussion. Es finden sich hier erste Ansätze einer Didaktik, die die Eigenaktivität und die Lerninteressen der Lernenden berücksichtigt. Während im schulischen Bereich auch heute noch Inhalte bei gleichzeitiger methodischer Armut dominieren (vgl. Reich 2002, 141) und SchülerInnen nach Leistung selektiert werden, haben Jugendliche im außerschulischen Bereich der Jugendarbeit und Jugendbildung ganz andere Mitgestaltungsmöglichkeiten. Für das sozialpädagogische Modell-Curriculum sind die didaktischen Grundelemente (Ziele, Inhalte, Methoden, Medien, Situationen, Bedingungen) vielfältig kombinierbar: Sowohl was die Zielsetzungen, die situativen Bedingungen, die Lernstile der Jugendlichen als auch ihre formulierten Interessen an bestimmten Inhalten betrifft - es geht darum, mit den Zielgruppen sinn-machende Erlebnis- und Lernwelten mit Hilfe der DozentInnen und TeamerInnen zu gestalten. Arnold u. a. (1999, 92) beschreiben in diesem Zusammenhang ein Mobile, dessen Teile untereinander in vielfältiger Beziehung stehen und vonseiten der Lernorganisatoren so arrangiert werden sollten, dass Selbstlernen möglich wird. Abb. 2: Das Mobile (Arnold/ Krämer-Stürzl/ Siebert 1999, S. 93) Das Mobile Zielgruppe Methoden Erfolgskontrolle Rahmenbedingung Medien Thema/ Inhalte Ziele Aufbau Phasen DozentIn Lerngerüst (Einstieg/ Ausstieg) 316 uj 7+8 | 2011 Jugendarbeit Diese Überlegungen stammen aus der Erwachsenenbildung, die seit den 70er Jahren universitär entwickelt wird und das Modell-Curriculum für die BildungsmultiplikatorInnen in dieser Hinsicht beeinflusst. Hier ist die Freiwilligkeit des Lernens Erwachsener - ganz im Gegensatz zu schuldidaktischen Überlegungen - für die didaktische Reflexion konstitutiv. Dieser Ansatz schafft enge Verbindungen zur Jugend(bildungs)arbeit. Zielgruppen- und Teilnehmerorientierung sowie Handlungsorientierung und Prozesse der Selbststeuerung des Lernens stehen im Vordergrund der Bildungsarbeit (vgl. Breloer/ Dauber/ Tietgens 2002, 141). Horst Siebert (2008, 132ff sowie 33ff ) als einer der bekanntesten Vertreter der Erwachsenenbildung betont eine konstruktivistische Wende in der Didaktik, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Lehrer zum Lerner wird und die Lernenden selbst am besten entscheiden, welche Didaktik für sie passend und überlebensdienlich ist. Die Übertragung der Erkenntnisse aus der Erwachsenendidaktik auf das Modell-Curriculum bedeutet eine prinzipielle Orientierung an den Lebenswelten, Lernstilen und Wissensbeständen der Jugendlichen, die in der Region aufgewachsen sind. Es wird davon ausgegangen, dass sie ihre Lerninteressen kennen und Projektideen entfalten und - im Falle eines entsprechenden methodisch-inhaltlichen Angebotes - sich passende Wissensbestände aneignen bzw. weiterverfolgen. Die Konfrontation Jugendlicher mit neuen Lernformen, insbesondere die Aufforderung zu Selbsttätigkeit bezüglich der Umsetzung eigener Projektideen, unterscheidet sich deutlich vom schulischen Lernen. Die jungen Lernenden werden als eigenverantwortliche und gleichberechtigte Personen wahrgenommen, was Selbstbewusstsein sowie Selbstvergewisserung fördert und die Motivationen zur Umsetzung eigener Pläne in besonderer Weise stärkt. Ansätze der Jugend(bildungs)arbeit Das breite Feld der Jugendarbeit, das zu Beginn der 90er Jahre im Rahmen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (§ 11 SGB VIII) inhaltlich genauer umrissen wird, zielt darauf ab, jungen Menschen „die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen“. Jugendarbeit stellt außerhalb von Schule und Elternhaus einen eigenen Sozialisationsort dar (vgl. Böhnisch 2000, 92), an dem eine Vielzahl von Aktivitäten in unterschiedlicher Trägerschaft (von Verbänden, Jugendgruppen und -initiativen, Vereinen oder Jugendämtern) mit unterschiedlicher Qualität (vgl. Scherr 2001, 197) stattfindet. Nicht zuletzt ist politische Bildung ein grundlegendes übergreifendes Prinzip der Jugendarbeit (vgl. Schäfer 2009, 149ff ) und wird heute vielerorts durch Beteiligungsgremien wie etwa Jugendräte, Jugendgemeinderäte oder Jugendkreistage praktiziert. Kinder und Jugendliche sollen auch im Rahmen von sozialpädagogisch begleiteter Jugendarbeit in Planungs- und Gestaltungsprozesse einbezogen werden. Ansätze dafür sind einerseits unmittelbar im Bereich der Jugend(bildungs)arbeit gegeben und darüber hinaus flankiert von Möglichkeiten der Partizipation von Kindern und Jugendlichen im Zuge der kommunalen Kinder- und Jugendhilfeplanung (vgl. Merchel 1994). Das Modell-Curriculum für „BildungsmultiplikatorInnen für Demokratie und Toleranz“ ordnet sich der emanzipatorischen und auf Partizipation und Selbstbestimmung ausgerichteten Jugendbildungsarbeit zu, die in einem Netz lokaler Anlaufstellen, Vereine oder Initiativen sowie lokaler Jugendarbeit und Jugendhilfeplanung verankert ist. 317 uj 7+8 | 2011 Jugendarbeit Ein besonderes Augenmerk gilt der Verortung des Curriculums in der Lebenswelt jugendlicher Cliquen und Peergroups. Dabei wird auf Konzepte der Lebenswelt- und Sozialraumorientierung rekurriert, die im Zuge der 90er Jahre nicht nur in der Sozialen Arbeit (Thiersch 1995), sondern auch in der Jugend(bildungs)arbeit erprobt und ausdifferenziert wurden (vgl. Deinet/ Sturzenhecker 2001). Jugendliche definieren sich vielfach über Freundeskreise oder Cliquen mit ganz eigenen Wertvorstellungen und Ausdrucksweisen und achten dabei auf profilierende Gemeinsamkeiten. Sie finden sich in Gruppen zusammen und leben gleichzeitig davon, sich abzugrenzen. „Cliquen sind angesichts der Auflösung sozialer Milieus, des Funktionsverlustes der Familie, des fächer- und leistungszentrierten Schulsystems und der wachsenden Individualisierung und Vereinzelung von einem einstmals ergänzenden Sozialisationsbereich für die meisten Jungen wie Mädchen längst zu einem ganz zentralen Sozialisationsbereich, ja vielfach zum einzigen Ort sozial eingebundener Identitätsbildung geworden“ (Krafeld 2001, 35). Im Rahmen des sozialpädagogischen Curriculums wird deshalb nicht von „Jahrgangsklassen mit standardisierten Sozialisationsverläufen“ ausgegangen, sondern das Seminarangebot richtet sich an unterschiedliche Jugendliche und Cliquen mit unterschiedlichen Bildungsinteressen und Projektideen. Eine Ansprache sehr unterschiedlicher Gruppen oder Cliquen gelingt dann, wenn eklatante Mangelund/ oder Problemsituationen viele Jugendliche gleichermaßen betreffen und sich die Bildung von Zweckgemeinschaften anbietet, um diese Situationen zu beheben. Nur wenn es gelingt, Jugendlichen vor Ort erlebbare Partizipations- und Umsetzungsmöglichkeiten für ihre Ideen zu bieten, Selbstorganisationsprozesse anzuregen und qualifizierend zu begleiten, kann eine Attraktivität von den Angeboten der Jugendbildungsarbeit ausgehen. Unter bildungspolitischen Aspekten wird Jugendarbeit auch als „Ressource zur Lebensführung“ aufgefasst (vgl. Münchmeier/ Otto/ Raabe- Kleeberg 2001). Sie kann schulisches oder berufliches Lernen zwar nicht ersetzen, jedoch soll in diesem Zusammenhang auf die Förderung zentraler Voraussetzungen im Sinne von Schlüsselqualifikationen aufmerksam gemacht werden wie etwa kommunikative Kompetenzen, Kooperationsfähigkeit, strategisches Denken. Übertragen auf das Modell-Curriculum geht es darum, die durch Mangelbzw. Problemsituationen entstehenden gemeinsamen Anliegen Jugendlicher aufzunehmen und sie dabei zu unterstützen, daraus vielfältige Projekte mit eigenem Profil zu kreieren. Dabei lernen sie, Differenzen als Ressource zu begreifen, sich mit weiteren Akteuren zu vernetzen, sich öffentlich Gehör zu verschaffen, politisch zu partizipieren, sich entsprechende Informationen zu beschaffen und sich entlang von Projektlernen selbst weiterzubilden. Diese Ansätze setzen im Unterschied zur formalen Bildung an der Eigeninitiative und Mitwirkung Jugendlicher an und machen somit Demokratie im Alltag erfahrbar. Sozialpädagogische Didaktik Die sozialpädagogische Didaktik modifiziert Elemente der für den schulischen Bereich entwickelten allgemeinen Didaktik auf lebensweltliche Lernsituationen, wie sie vielfach im Rahmen der Sozialen Arbeit, insbesondere auch in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, bestehen (vgl. Schilling 1995). Sozialpädagogische Didaktik hat inzwischen jedoch eine eigene Qualität erreicht: ➤ in ihrer langjährigen Tradition bezüglich Einmischung, Integration und Partizipation von Kindern und Jugendlichen, die sich in bestimmten partizipatorischen Arbeitsformen (Gruppenarbeit, Peer-Lernen) ausprägt (vgl. Deinet/ Sturzenhecker 2001), 318 uj 7+8 | 2011 Jugendarbeit ➤ in ihrem Reichtum an Methoden bzw. an methodischen Verfahren (vgl. Galuske 2007; Kreft/ Müller 2010), der sich deutlich von den stoffgebundenen und fachdidaktisch ausgerichteten institutionellen schulischen Lernmethoden abhebt, ➤ in ihrem zentralen Ansatz am„Konzept“, in dem didaktische Strukturelemente wie etwa Bedingungsanalysen, Zielformulierungen und Begründungen methodischen Handelns zusammenfließen (vgl. Schilling 1995; Martin 1989). Das „Konzept“ stellt für die sozialpädagogische Didaktik ein besonderes Bezugssystem dar, das je nach Zielgruppe, Einrichtung oder Vorhaben entworfen wird und insofern ein äußerst komplexes und flexibles Gerüst der Planung sozialpädagogischen Handelns bildet. Schilling (1995, 246ff ) unterscheidet drei Konzeptmodelle, die aufeinander bezogen sind und eine adäquate Vorgabe für das sozialpädagogische Modell-Curriculum „BildungsmultiplikatorInnen für Demokratie und Toleranz“ bilden: das Organisationskonzept, das Zielgruppenkonzept und das Situationskonzept. Das Situationskonzept ist im Rahmen der Sozialpädagogik besonders weit entwickelt und lässt sich gut mit dem Situationsansatz verbinden, der ursprünglich in Zusammenhang mit den curricularen Überlegungen Robinsohns in den 60er-Jahren geprägt wurde. Als kleinste didaktische Einheit des sozialpädagogischen Curriculums kann die Situation gelten (vgl. Martin 1989, 148ff ). Das Grundprinzip des Situationsansatzes bzw. des situationsorientierten Curriculums besteht aus dem Dreischritt: Lebenssituation - Qualifikation - Curriculum. Der Situationsbezug ist dabei erstens ein entscheidender Maßstab zur Bestimmung der Qualifikation bzw. der jeweiligen Lernziele, zweitens vollzieht sich das Lernen und Sammeln von Erfahrungen in diesen Situationen selbst. Dieses für den Vorschulbereich entwickelte Vorgehen kann auf den Bereich der Jugend(bildungs)arbeit übertragen werden - mit dem Unterschied, dass Jugendliche die Situationen und Lernziele im Rahmen des Modell-Curriculums selbst erforschen und bestimmen, wenn sie „BildungsmultiplikatorInnen für Demokratie und Toleranz“ in ihrer Lebenswelt werden wollen. Singuläre Situationen werden in ihrem Herausforderungscharakter und den zur Bewältigung notwendigen Qualifikationen zu Projekten fortentwickelt, die wiederum bestimmte Qualifikationen erforderlich machen. Sozialpädagogische Didaktik befasst sich in der Regel mit offenen oder halboffenen Curricula. Während geschlossene Curricula in vielerlei Hinsicht festgelegt und die Lernabfolgen in Bezug auf einen bestimmten Stoff institutionell oder durch ExpertInnen vorbestimmt sind, werden bei halboffenen Curricula didaktische Materialien für vorgegebene Lernbereiche zur Auswahl gestellt. Offene Curricula haben Angebotscharakter und/ oder sind offen, was die Wahl der Inhalte oder Situationen aus der Lebenswelt der AdressatInnen betrifft. Offene und halboffene Curricula bieten eine breite Möglichkeit der Selbstwahl und motivieren Selbstlernprozesse. Im sozialpädagogischen Modell-Curriculum „BildungsmultiplikatorInnen für Demokratie und Toleranz“ sind zwar Bildungsziel und Qualifikationsprofil umrissen, eine lineare Planung einzelner Schritte ist jedoch nur locker angedacht. Es werden Einheiten mit Inhalten und Lernimpulsen entwickelt, die als „didaktische Schleifen“ verstanden werden können und Wissen, Kompetenzen, Anregungen für die von den AdressatInnen umzusetzenden Projekte enthalten. Die Abfolge der Lernschritte richtet sich nach dem Bedarf der TeilnehmerInnen, sie nehmen - je nach individuellem Vorhaben bzw. anvisiertem Projekt - an bestimmten darauf ausgerichteten Lerneinheiten teil. Entscheidende Schritte der Planung werden zu Beginn des offenen Curriculums gemeinsam mit der Zielgruppe vollzogen. Eine solche Form der curricularen Organisation bezieht sich vor allem auf den Situationsansatz. 319 uj 7+8 | 2011 Jugendarbeit Unter dem Begriff des sozialpädagogischen Curriculums wird folglich eine Abfolge von Lerneinheiten oder Modulen verstanden, die auf eine bestimmte Qualifikation abzielen. Das Curriculum „als offenes Lerngerüst“ stellt jedoch nicht lediglich auf einzelne Situationen ab, sondern umfasst per Definition ➤ eine längerfristige Perspektive (z. B. eine Art „Bildungsplan“ für ein umzusetzendes Projekt), ➤ eine Reihe von Bausteinen, die aufeinander aufbauen bzw. modular ineinander greifen und teils auch flexibel kombinier- und austauschbar sind. Die bisherigen Ausführungen zur theoretischen Fundierung bilden die Basis für die konkrete Ausarbeitung des sozialpädagogischen Modell-Curriculums. Das sozialpädagogische Modell-Curriculum Das Curriculum „BildungsmultiplikatorInnen für Demokratie und Toleranz“ ist entlang des didaktischen Dreischritts Lebenssituation - Bildungsbedarf - Qualifikation entwickelt worden. Die Lebenswelterkundung (Ortmann 2001, 26) bzw. die lebensweltlich ausgerichtete Bedingungsanalyse (Schilling, 1995, 49) der Lebenslagen Jugendlicher in zwei Landkreisen der neuen Bundesländer führten zu den zentralen Zielsetzungen des Curriculums. Lebenswelten Jugendlicher im ländlichen Raum und Zielsetzungen des Modell-Curriculums Die eingangs skizzierten Desintegrationsprozesse im ländlichen Raum führen dazu, dass Institutionen und Vereine vor Ort ihre soziale Integrations-, Bindekraft und Brückenfunktion verlieren. Vor diesem Hintergrund ist primäres Ziel des Curriculums die Förderung von demokratischen Strukturen und Partizipationsmöglichkeiten der Jugendlichen vor Ort und auf dieser Basis die Entwicklung und Bereitstellung von Bildungsmodulen, die die gesellschaftliche Integration von Jugendlichen befördern sowie ihre Qualifizierung bezogen auf soziale und demokratische Kompetenzen ermöglichen. Im Rahmen des sozialpädagogischen Modell-Curriculums geht es also auch darum, das soziale Kapital der BewohnerInnen zu aktivieren. Damit werden Jugendlichen und jungen Erwachsenen Wege und Möglichkeiten vermittelt, sich eigenverantwortlich und jenseits von Elternhaus und Schule ihre Umwelt aktiv zu erschließen, die wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenhänge im Gemeinwesen kennenzulernen und Zugang zu wichtigen Personen und Einrichtungen des öffentlichen Lebens zu erlangen. Sie bauen konkrete Beziehungsebenen zu verschiedenen (Politik-, Dienstleistungs-, Produktions-) Bereichen und (Verwaltungs-)Ressorts auf. Durch die Qualifizierungen und die konkreten Kontakte erlangen sie ein interdisziplinäres Wissen und stellen Verbindungen her, die sie selbst auch in neue berufliche Felder einführen können. Ein weiteres zentrales Ziel ist das Erreichen von (bildungs-)benachteiligten Jugendlichen mit Schwierigkeiten der sozialen Integration und das Erreichen von noch eher „unauffälligen“ Jugendlichen, die im ländlichen Raum Gefahr laufen, sich zu einer vergessenen, in eigene (Macht-)Phantasien zurückgezogenen, teils isolierten Minderheit zu entwickeln. Bildungsbedarf und Qualifikationsprofil der BildungsmultiplikatorInnen Die beschriebenen Zielsetzungen erfordern für ihre Umsetzung ein bestimmtes zu erstrebendes Qualifikationsprofil der Bildungsmultiplika- 320 uj 7+8 | 2011 Jugendarbeit torInnen. Jugendliche und junge Erwachsene werden qualifiziert und in die Lage versetzt, Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen zu entwickeln, um beispielsweise ➤ die Interessen von Jugendlichen in der Region zu vertreten, ➤ Grundlagen von Demokratie und Toleranz weiter zu vermitteln, ➤ Netzwerke aufzubauen, ➤ jugendliche Freiwillige zu akquirieren, ➤ Projekte eigenständig zu organisieren, ➤ Anliegen in Entscheidungsgremien zu präsentieren, ➤ die Integration und sozialen Kompetenzen von Jugendlichen zu fördern, ➤ Selbstwirksamkeitsprozesse aufzubauen und zu erfahren. Die dafür erforderlichen Schlüsselqualifikationen der BildungsmultiplikatorInnen beziehen sich auf verschiedene Kernaufgaben: Kernaufgabe 1: Knüpfen von Kontakten im Sinne von Networking Kontakte herstellen meint hier, die bekannten Lebenswelten in einer anderen Funktion (nämlich als BildungsmultiplikatorIn) neu zu entdecken und sich bewusst zu machen, wie diejenigen, denen man dort begegnet, diese Lebenswelt erfahren, welche Interessen sie haben, welche offiziellen oder inoffiziellen Positionen sie innehaben und wie z. B. soziales Kapital für die Jugendlichen der Region nutzbar gemacht werden kann. Es geht um die Ausbildung eines „Blickes für Ressourcen“ und die Herstellung von Netzen und Netzwerken unter Jugendlichen und informellen wie formellen Akteuren (Personen und Institutionen). Weiterhin meint Knüpfen von Kontakten auch, andere, „fremde“ Lebenswelten kennenzulernen und zu begreifen. Dieses Knüpfen von Kontakten ist auch in der heterogenen Gleichaltrigengruppe eine wichtige Aufgabe. Kernaufgabe 2: Projekte entwickeln und umsetzen Diese Aufgabe ist eine zentrale für die BildungsmultiplikatorInnen und bezieht sich auf das kreative Entwerfen, Entwickeln und Weiterentwickeln von Projekten und Aktivitäten sowie deren Umsetzung und Auswertung. Diese Projekte und Aktivitäten sind vielfältig und umfassen zum Beispiel: ➤ Initiierung und Durchführung von Lernprojekten zu Themen wie Toleranz, Vielfalt, Demokratie (z. B. in Form von Zeitreisen, Planspielen), ➤ Planung und Durchführung von Stadt- oder Regionenspielen, z. B. zu Themen wie Zukunft, Beteiligung etc., ➤ Initiierung und Umsetzung von Projekten mit und in den Schulen (z. B. Informations- oder Kulturveranstaltungen, Schulfeste), ➤ Initiierung von Maßnahmen der internationalen Begegnung mit Initiativen in Europa, die ähnliche Ansätze verfolgen, ➤ Aufbau und Durchführung von Partizipationsverfahren, die zur Initiierung selbstorganisierter Integrations- und Lernmodellprojekte führen (z. B. Konzeptbeteiligung beim Aufbau eines Jugendzentrums, Aufbau eines Jugendparlamentes), ➤ Unterstützung von gemeinwesenorientierten Festen in der Region, z. B. Dorffesten, (Jahr)Marktfesten, ➤ Organisation von Jugendtreffpunkten in den Gemeinden. Beispiel eines Projekts: Erarbeitung und Durchführung eines Regionenspiels zum Thema „Demokratieorte in unserer Region“ Ein Regionenspiel ist eine Art Schnitzeljagd in einem abgesteckten Raum. Ziel des Spiels ist es, sich in Kleingruppen von Ort zu Ort zu bewegen und Aufgaben zu lösen. Am Ende gibt es ein Treffen aller Akteure, um ein kleines Abschlussfest zu feiern. Das Regionenspiel zum Thema „Demokratieorte in unserer Region“ wird von den Bildungs- 321 uj 7+8 | 2011 Jugendarbeit multiplikatorInnen erarbeitet, die es für und mit Jugendgruppen aus anderen Regionen durchführen. Dabei werden durchaus unterschiedliche und gemischte Jugendgruppen angesprochen. Im Rahmen der Bewältigung der gestellten Aufgaben geht es dann zum Beispiel auch um das eigene Demokratieverständnis und um das Aufzeigen von demokratischen Teilhabemöglichkeiten für Jugendliche im Landkreis. Kernaufgabe 3: Aktivierung Interessierter und Begleitung der am Projekt beteiligten Jugendlichen und Freiwilligen Hierzu zählen das Anwerben interessierter Jugendlicher und Freiwilliger in Form von Öffentlichkeitsarbeit (Faltblätter, Aktionen der persönlichen Ansprache Jugendlicher, Pressekontakte, Zeitungsartikel u. Ä.). Gleichermaßen gehört die Anleitung und Begleitung bzw. die individuelle und/ oder gruppenweise Unterstützung der Aktiven zu den Kernaufgaben der BildungsmultiplikatorInnen: Gruppenarbeit und Teamarbeit im Rahmen von Service Learning. Wichtig ist hierbei auch, Gruppen offen und flexibel für neue Inhalte oder weitere Engagierte zu halten, sich also nicht auf eine einzige Gruppe von aktiven Jugendlichen zu stützen, sondern kontinuierlich im Sinne der Netzwerkbildung in der Region neue Peers, Cliquen oder Einzelpersonen für bestimmte Zielsetzungen oder Projekte hinzuzugewinnen. Kernaufgabe 4: (Weiter)Entwicklung von Ansätzen soziokultureller (Jugend)Politik Die Wünsche, Bedürfnisse und Veränderungen der jungen Menschen werden dokumentiert, präsentabel aufbereitet und an Medien und/ oder an regionale Entscheidungsträger weitergeleitet, um eine nachhaltige Implementierung zu erreichen. Wichtig ist in diesem Kontext die Präsentation der Aktivitäten und der Ergebnisse in den lokalen Ausschüssen, regionalen Netzwerken und weiteren Veranstaltungen, um das Projekt bekannt zu machen und Verantwortungsträger auf unterschiedlichen Wegen zu erreichen. Beispiel eines Projektes: Erarbeitung eines „Peer-Konzeptes Gemeinde“ Dieses Konzept, das zusammen mit Jugendlichen erarbeitet und in interessierten und offenen Gemeinden in entsprechende politische Gremien eingebracht wird, kann den Aufbau einer Jugendgemeindevertretung, den Einsatz von Peers bei Veranstaltungen, ein Peer-Mediationskonzept für Streitigkeiten und Konflikte unter Jugendlichen vor Ort oder die Organisation von friedlichen demokratischen Gemeindefesten, Sportfesten, Musikfesten durch Jugendliche umfassen. Die Basismodule Für die Erlangung des Qualifikationsprofils bzw. zur Gestaltung entsprechender Seminare wurden 8 Basismodule entwickelt, aus denen - je nach Bedarf - Themen oder Elemente in die gemeinsam mit Jugendlichen geplanten Wochenendseminare einfließen. Diese Basismodule entsprechen Qualifikationsdimensionen. Sie können als eine Art Pool„didaktischer Schleifen“ verstanden werden (vgl. Martin 1989, 153): ➤ Modul 1: Demokratietraining: Methoden und Elemente einer Erziehung zur Zivilgesellschaft ➤ Modul 2: Diversity-Training: Konstruktiver Umgang mit Verschiedenheit ➤ Modul 3: Teamertraining und Service Learning (Lernen durch Engagement) ➤ Modul 4: Lebensweltanalyse und lebensweltliche Partizipationsverfahren ➤ Modul 5: Soziokulturelle Animation ➤ Modul 6: Soziales-Kompetenz-Training ➤ Modul 7: Konfliktbearbeitung im Alltag/ Gemeindekonfliktmoderation ➤ Modul 8: Projektmanagement: Fundraising, Öffentlichkeitsarbeit, demokratisches Veranstaltungsmanagement 322 uj 7+8 | 2011 Jugendarbeit Jedes Modul umfasst einen Pool an thematisch zusammengehörigen Sets/ Elementen, die in den von Jugendlichen ausgewählten Seminaren umfassend oder teilweise zum Einsatz kommen (ausführlich dazu Camino 2010, 27ff ). Organisationsstruktur des Modell-Curriculums Der zeitlich-inhaltliche Aufbau des sozialpädagogischen Curriculums umfasst immer einen Jahreszyklus. Es startet mit einer Auftaktveranstaltung, bei der Jugendliche ihre Problemlagen und Bedürfnisse artikulieren, Projektideen entwickeln und die für die Verwirklichung der Projektideen notwendigen Seminarinhalte einfordern. Entlang der Projektideen und Kompetenzbedarfe entwickeln die TeamerInnen zusammen mit interessierten Jugendlichen dann ein Jahresprogramm mit spezifischen Seminarangeboten, die an 8 bis 10 Wochenenden des Jahres durchgeführt werden. Aus den Basismodulen fließen jeweils unterschiedlich kombinierte Elemente in die Veranstaltungen ein. Im Herbst/ Winter des Jahres erfolgt gemeinsam mit Jugendlichen eine Auswertung und erneute Planung von Projektideen und entsprechenden Seminarangeboten für das folgende Jahr. Im Zuge der Seminarteilnahme werden die Jugendlichen in ihren Projektideen und Vorhaben bestärkt und zur Weiterentwicklung motiviert. Oft haben sie bereits mit Abschluss des jeweiligen Seminars eine andere Gleichaltrigengruppe in der von ihnen ausgewählten Thematik unterrichtet oder viele Spiele- oder Aktionsvorhaben selbst vorbereitet. Gleichzeitig werden die ausdifferenzierten Projektideen außerhalb der Seminarbesuche in den Regionen von den BildungsmultiplikatorInnen umgesetzt. Diese praktischen Phasen parallel zu den Bildungswochenenden werden durch lokale Akteure der Kinder- und Jugendhilfe sowie zivilgesellschaftliche Akteure unterstützt und tragen zum Ausbau einer Vernetzungs- und Unterstützungskultur bei. Beispielhaft sollen einige Projekte benannt werden, die von den jungen BildungsmultiplikatorInnen durchgeführt wurden: ein selbstorganisierter Jugendclub, eine „Nikolaus-Disko“ für jüngere Jugendliche, Poetry-Slam-Veranstaltungen, das Teamen von Kinderlagern beim Kreissportbund und bei Sportvereinen, die Entwicklung und Durchführung von Stadt- und Regionenspielen zu unterschiedlichen Themen, Spielaktionen bei Dorf- und Gemeindefesten zur Förderung einer Gemeinwesenkultur. Unschwer ist zu erkennen, dass es sich um vielfältige gemeinwesenorientierte, kulturelle Veranstaltungen von Jugendlichen für Jugendliche und Kinder handelt. Die Aktivitäten zur Organisation solcher Projekte lassen Netze in der Region wachsen, auf die auch längerfristig immer wieder zugegriffen werden kann. Für diese Projekte holen sich die BildungsmultiplikatorInnen in den Seminaren das notwendige „Know-how“ und die entsprechenden Schlüsselkompetenzen. Mit der Aktivierung und Ausbildung junger Menschen zu BildungsmultiplikatorInnen ist es gelungen, vielfältige Projekte vor Ort zu initiieren und damit die gesellschaftliche Teilhabe junger Menschen zu erhöhen und zu verstetigen. Sabine Behn Dr. phil. Gabriele Bindel-Kögel Camino - Werkstatt für Fortbildung, Praxisbegleitung und Forschung im sozialen Bereich gGmbH Scharnhorststraße 5 10115 Berlin sabinebehn@camino-werkstatt.de gabibindel@camino-werkstatt.de 323 uj 7+8 | 2011 Jugendarbeit Literatur Arnold, R./ Krämer-Stürzl, A./ Siebert, H., 1999: Dozentenleidfaden. Berlin Böhnisch, L., 2000: Jugendarbeit im Wandel der Arbeitsgesellschaft. In: Institut soziale Arbeit (Hrsg.): Jugendförderung in Nordrhein-Westfalen. Rückschau - Anforderung - Perspektiven. Münster, S. 92ff Breloer, G./ Dauber, H./ Tietgens, H., 1980: Teilnehmerorientierung und Selbststeuerung in der Erwachsenenbildung, Braunschweig Camino (Hrsg.), 2010: Sozialpädagogisches Modell- Curriculum „Bildungsmultiplikator/ innen für Demokratie und Toleranz“. Berlin Deinet, U., 1987: Im Schatten der Älteren. Weinheim Deinet, U./ Sturzenhecker, B. (Hrsg.), 2001: Konzepte entwickeln. Weinheim/ München Deinet, U., 2001: Sozialräumliche Konzeptentwicklung. In: Deinet, U./ Sturzenhecker, B. (Hrsg.): Konzepte entwickeln. Weinheim/ München, S. 9ff Flammer, A./ Alsaker, F., 2001: Entwicklungspsychologie der Adoleszenz. Die Erschließung innerer und äußerer Welten im Jugendalter. Bern Galuske, M., 2007: Methoden der sozialen Arbeit. Eine Einführung. Weinheim Klafki, W., 1985: Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Beiträge zur kritisch-konstruktiven Didaktik. Weinheim Krafeld, F.-J., 2001: Konzeptionelle Überlegungen für die Arbeit mit Cliquen. In: Deinet, U./ Sturzenhecker, B. (Hrsg.): Konzepte entwickeln. Weinheim/ München, S. 35ff Kreft, D./ Müller, C. W. (Hrsg.), 2010: Methodenlehre in der Sozialen Arbeit. Konzepte, Methoden, Verfahren, Techniken. München Luhmann, N./ Schorr, K. E., 1988: Strukturelle Bedingungen von Reformpädagogik. Soziologische Analysen zur Pädagogik der Moderne. In: Zeitschrift für Pädagogik, 34. Jg., H. 25, S. 463 - 480 Martin, E., 1989: Didaktik der sozialpädagogischen Arbeit. Eine Einführung in die Probleme und Möglichkeiten. Weinheim/ München Maturana, H. R./ Varela, F. J., 1987: Der Baum der Erkenntnis. Bern u. a. Merchel, J., 1994: Kooperative Jugendhilfeplanung. Eine praxisbezogene Einführung. Opladen Münchmeier,R./ Otto, H.-U./ Raabe-Kleberg, U., 2002: Bildung und Lebenskompetenz. Kinder- und Jugendhilfe vor neuen Aufgaben. Opladen Ortmann, N., 2001: Methoden zur Erkundung von Lebenswelten. In: Deinet, U./ Sturzenhecker, B. (Hrsg.): Konzepte entwickeln. Weinheim/ München, S. 26ff Piaget, J., 1983: Meine Theorie der geistigen Entwicklung, Frankfurt am Main Reich, K., 2002: Konstruktivistische Didaktik. Lehr- und Studienbuch mit Methodenpool. Weinheim/ Basel Robinsohn, S. B., 1972: Bildungsreform als Revision des Curriculum. Neuwied Schäfer, K., 2009: § 11 Jugendarbeit. In: Münder, J./ Meysen, T./ Trenczek, T. (Hrsg.): Frankfurter Kommentar zum SGB VIII. Baden-Baden, S. 149ff Schäffter, O., 1985: Zielgruppenorientierung in der Erwachsenenbildung. Aspekte einer erwachsenenpädagogischen Planungs- und Handlungskategorie. Braunschweig Scherr, A., 2001: Konzeptentwicklung - eine unverzichtbare Grundlage professioneller Jugendarbeit. In: Deinet, Ulrich/ Sturzenhecker, Benedikt (Hrsg.): Konzepte entwickeln. Weinheim/ München, S. 197ff Schilling, J., 1995: Didaktik/ Methodik der Sozialpädagogik. Neuwied/ Kriftel/ Berlin Siebert, H., 2008: Konstruktivistisch lehren und lernen. Augsburg Thiersch, H., 1995: Lebensweltorientierte Soziale Arbeit. Weinheim/ München
