eJournals unsere jugend 64/2

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
21
2012
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Bildungsarbeit mit Krippenkindern

21
2012
Luise Zenker
Jutta Sechtig
Die Bildungsarbeit mit Kindern unter drei Jahren steht zunehmend im Blickpunkt von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit. Pädagogische Fachkräfte stehen damit einem veränderten Aufgabenfeld gegenüber. Im folgenden Artikel wird der Frage nachgegangen, wie das pädagogische Fachpersonal im Krippenbereich mit den neuen an sie gestellten Anforderungen umgeht.
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62 unsere jugend, 64. Jg., S. 62 - 71 (2012) DOI 10.2378/ uj2012.art06d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Bildungsarbeit mit Krippenkindern Was denken frühpädagogische Fachkräfte und wie gestalten sie den pädagogischen Alltag? Die Bildungsarbeit mit Kindern unter drei Jahren steht zunehmend im Blickpunkt von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit. Pädagogische Fachkräfte stehen damit einem veränderten Aufgabenfeld gegenüber. Im folgenden Artikel wird der Frage nachgegangen, wie das pädagogische Fachpersonal im Krippenbereich mit den neuen an sie gestellten Anforderungen umgeht. von Luise Zenker Jg. 1986; Diplom-Pädagogin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Alice Salomon Hochschule Berlin, Projekt „Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung“ Die Kindertagesbetreuung von Kindern unter drei Jahren (U3) stellt eine der großen und aktuellen Herausforderungen für frühpädagogische Fachkräfte und die Gestaltung des pädagogischen Alltags dar. Mit der Einführung des Tagesbetreuungsausbaugesetzes (kurz: TAG - in Kraft seit 1. 1. 2005), des Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetzes (kurz: KiCK - in Kraft seit 1. 10. 2005) und des Kinderförderungsgesetzes (kurz: KiföG - in Kraft seit 16. 12. 2008) wurde bisher und wird weiterhin vor allem der quantitative U3-Ausbau forciert: Bis zum 31. 7. 2013 soll in Deutschland für mindestens jedes dritte Kind unter drei Jahren ein Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung oder in Kindertagespflege zur Verfügung stehen. Qualitative Anforderungen an die Bildungsarbeit finden in den Gesetzestexten zwar Berücksichtigung, können inhaltlich aber nur auf einem allgemeinen Niveau verbleiben. Anstöße zur inhaltlichen Gestaltung und Weiterentwicklung der pädagogischen Arbeit mit Krippenkindern bieten dagegen sowohl ältere und jüngere pädagogische Konzepte (z. B. Beller/ Beller 2009; Beller/ Stahnke/ Laewen 1983; IFP/ Bertelsmann-Stiftung 2010; Pikler 1982; Weber 2007), Veröffentlichungen zur Qualität von Krippenbetreuung (z. B. Tietze u. a. 2005; Tietze/ Viernickel 2007; Wehrmann 2009) als auch die in allen 16 Bundesländern entwickelten und erprobten Bildungs- und Erziehungspläne für die pädagogische Arbeit in Kindertageseinrichtungen (z. B. StMAS/ IFP 2006; Jutta Sechtig Jg. 1976; Diplom-Pädagogin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Otto-Friedrich- Universität Bamberg, Lehrstuhl Elementar- und Familienpädagogik 63 uj 2 | 2012 Kinder erziehen und bilden vgl. zusammenfassend Diskowski 2007). Anzumerken ist allerdings, dass zum einen das Feld expliziter pädagogischer Ansätze und Qualitätsentwicklungsmaßnahmen für die Krippenarbeit überschaubar ist und zum anderen die Altersgruppe der Kinder unter drei Jahren in den Bildungs- und Erziehungsplänen wenig explizite Berücksichtigung findet. Eine der wenigen Ausnahmen stellt in diesem Zusammenhang die ausführliche Handreichung zum Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder unter drei Jahren dar (StMAS/ IFP 2010) dar. Wenig verbreitet sind zudem wissenschaftliche Untersuchungen, die sich der Gestaltung des Krippenalltags durch pädagogische Fachkräfte widmen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang u. a. die IFP-Krippenstudie (Wertfein/ Spies-Kofler 2008), an der 245 pädagogische Fachkräfte und 647 Eltern von Krippenkindern in München teilgenommen haben. Ziel der Befragung war es herauszufinden, was aus Sicht des pädagogischen Fachpersonals und der Eltern die Qualität von Krippenbetreuung ausmacht und welche Zusammenhänge mit strukturellen Rahmenbedingungen sichtbar werden. Die befragten pädagogischen Fachkräfte schätzen die strukturellen Gegebenheiten (v. a. mangelnde Verfügungszeit, zu wenig Personal, Gruppengröße) als besonders hinderlich in Bezug auf die Umsetzung des Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplans ein. Insgesamt zeigt sich auch, dass mit Verbesserungen auf struktureller Ebene die Bildungs- und Prozessqualität insgesamt verbessert (bzw. gesichert) werden kann. Im Rahmen der Diskussion um eine qualitativ gute und professionalisierte Bildung, Erziehung und Betreuung von Unterdreijährigen wie auch deren Auswirkungen auf die kindliche Kompetenzentwicklung (vgl. Roßbach 2005; Sechtig 2008) rücken insgesamt folgende Fragen in den Vordergrund: Wie und auf welcher Basis wenden sich frühpädagogische Fachkräfte der Bildungsarbeit mit Krippenkindern zu? Und konkreter: Welche Bildungsbereiche werden als besonders wichtig eingeschätzt, welche tatsächlich im pädagogischen Alltag umgesetzt, und welche Rolle spielen dabei möglicherweise ausgewählte strukturelle Rahmenbedingungen? Um sich den Antworten auf diese Fragen anzunähern, wurde eine Fragebogenstudie konzipiert (Zenker 2009). Diese lehnt sich in Teilen an das Vorgehen der IFP-Krippenstudie (Wertfein/ Spies-Kofler 2008) an und konnte mit Hilfe vieler motivierter Krippenfachkräfte aus Oberfranken durchgeführt werden. Die Befragung Die schriftliche Befragung fand im Februar 2009 in insgesamt 59 Kinderkrippen bzw. Einrichtungen mit Krippengruppen des bayerischen Regierungsbezirks Oberfranken statt. Ziel dieser Befragung war es herauszufinden, inwiefern die drei folgenden Dimensionen pädagogischer Qualität auf der Ebene einzelner Kinderkrippen(gruppen) zusammenspielen: die Qualität pädagogischer Prozesse, die Qualität der strukturellen Gegebenheiten und die Qualität der zugrunde liegenden pädagogischen Orientierungen (vgl. Tietze u. a. 1998). Von hervorgehobenem Interesse war die Frage, inwiefern pädagogische Orientierungen von ErzieherInnen und KinderpflegerInnen (z. B. Wichtigkeit spezifischer Bildungsbereiche in der U3-Arbeit) die Gestaltung der pädagogischen Prozesse in Krippengruppen (z. B. ErzieherInnen-Kind-Interaktionen, Gestaltung des pädagogischen Alltags) beeinflussen und welche Rolle dabei ausgewählte strukturelle Merkmale (z. B. Anzahl der Kinder pro Gruppe, Berufsbildungsabschluss) spielen. Da nicht auf erprobte Fragebogen für die pädagogische Arbeit mit Kindern unter drei Jahren zurückgegriffen werden konnte, wurde ein eigener Fragebogen entwickelt. Die inhaltliche Grundlage des Fragebogens bilden - ähnlich wie in der IFP-Krippenstudie (Wertfein/ Spies- Kofler 2008) - neun themenbezogene Bildungs- 64 uj 2 | 2012 Kinder erziehen und bilden und Erziehungsbereiche des Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplans (kurz: BayBEP) (StMAS/ IFP 2006). Diese wurden durch zentrale Aussagen bzw. Aspekte des entwicklungszentrierten Ansatzes in der Krippe (Weber 2007), Merkmale des Nationalen Kriterienkatalogs (Tietze/ Viernickel 2007) und einzelne Aspekte der Krippen-Skala (Tietze u. a. 2005) ergänzt bzw. ausdifferenziert. Die Inhalte des Fragebogens können somit als fachwissenschaftlich gut begründete Auswahl besonders relevanter und qualitativ guter Aspekte der Bildungsarbeit mit Krippenkindern betrachtet werden. Strukturell gliedert sich der Fragebogen in drei Abschnitte: Im ersten Abschnitt wird jede frühpädagogische Fachkraft nach der persönlichen Wichtigkeit spezifischer Bildungsaspekte für die pädagogische Arbeit gefragt. Hierzu wurden innerhalb eines jeden Bildungsbereichs sechs Aspekte hinsichtlich ihrer Wichtigkeit eingeschätzt („1 = unwichtig“ bis „4 = wichtig“). Der zweite Abschnitt fragt danach, wie häufig spezifische Bildungsaspekte im pädagogischen Alltag Berücksichtigung finden. Hierzu wurden innerhalb eines jeden Bildungsbereichs die sechs ausdifferenzierenden Aspekte erneut hinsichtlich der Häufigkeit ihrer Berücksichtigung im pädagogischen Alltag eingeschätzt („1 = seltener als mehrmals monatlich“ bis „5 = täglich“). Im dritten Abschnitt wurden schließlich Angaben zur Struktur der Kindergruppe und zur Person erfragt. Insgesamt erfasst der Fragebogen somit unterschiedliche Aspekte aus allen drei Dimensionen pädagogischer Qualität (vgl. Tietze u. a. 1998): Orientierungsqualität, Prozessqualität und Strukturqualität (vgl. Abb. 1). An der Befragung haben insgesamt 76 pädagogische Fachkräfte teilgenommen: 48 ErzieherInnen, 23 KinderpflegerInnen, eine Sozialpädago- Abb. 1 65 uj 2 | 2012 Kinder erziehen und bilden gin, eine ausgebildete Krippenerzieherin und drei Fachkräfte, die keine Angabe zum Beruf gemacht haben. Der Rücklauf der versendeten Fragebogen lag bei 51 %. Diese Rücklaufquote kann als sehr gut bezeichnet werden und verweist auf ein großes Interesse bei den in Kinderkrippen tätigen pädagogischen Fachkräften. Die befragten Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen sind ausnahmslos weiblich und im Durchschnitt 37 Jahre alt. Die Berufserfahrung liegt zwischen weniger als einem Jahr und 30 Jahren, und im Durchschnitt arbeitet das pädagogische Fachpersonal vier Jahre in Einrichtungen für Kinder bis einschließlich drei Jahre. Die durchschnittliche Gruppengröße der befragten Einrichtungen zum Zeitpunkt der Erhebung liegt bei 13 Kindern. Das mittlere Alter der Kinder liegt bei 1,6 Jahren. Die größte Gruppe der in diesen Krippengruppen betreuten Kinder bilden die Zweijährigen und am wenigsten vertreten sind die Kinder unter einem Jahr. Ergebnisse Bei den Ergebnissen gilt es zu beachten, dass die Stichprobe aus der Region Oberfranken gezogen wurde und somit nicht repräsentativ ist. Die Ergebnisse müssen zudem vor dem Hintergrund der geringen Stichprobengröße von 76 frühpädagogischen Fachkräften vorsichtig interpretiert werden. Letztlich sollte darauf hingewiesen werden, dass in der Befragung die persönliche Meinung der Erzieherinnen erfragt wurde. Inwiefern einzelne Antworten eventuell im Zusammenhang mit der damit verbundenen Gefahr sozialer Erwünschtheit entstanden sind, muss an dieser Stelle offen bleiben. Wie wichtig sind den frühpädagogischen Fachkräften einzelne Bildungsbereiche? Die befragten Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen schätzen die Bedeutung der Bildungsbereiche zwar unterschiedlich ein, aber keiner der erfragten Bildungsbereiche wird als unwichtig erachtet (vgl. Abb. 2). Die größte Einigkeit herrscht im Bereich Emotionen, den gut 96 % der Befragten als wichtig einschätzen. Die Bereiche Sprache und Literacy sowie Musik erachten jeweils rund 90 % der Fachkräfte als für ihre pädagogische Arbeit wichtig, und sie sind sich in Bezug auf deren Bedeutsamkeit weitestgehend einig. Auch die Bereiche Gesundheit (79 %) sowie Bewegung, Rhythmik, Tanz und Sport (77,3 %) sind nach Meinung der Befragten für ihre Arbeit überwiegend wichtige Bildungsbereiche. Daran schließen mit einigem Abstand die Bereiche Mathematik (55,3 %) sowie Naturwissenschaften Abb. 2 66 uj 2 | 2012 Kinder erziehen und bilden und Technik (51,3 %) an, welche von den Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen mehrheitlich als wichtig angesehen werden. Die Schlusslichter auf der Wichtigkeitsskala bilden die Bildungsbereiche Ästhetik, Kunst und Kultur (44,7 %) sowie Umwelt (41,8 %). Insgesamt kann zudem beobachtet werden, dass die Meinungen insbesondere bei den Bildungsbereichen Ästhetik, Kunst und Kultur sowie Mathematik und Naturwissenschaften und Technik bezüglich deren Wichtigkeit eher auseinander gehen. Wie häufig werden einzelne Bildungsaspekte im pädagogischen Alltag umgesetzt? Von den befragten Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen gaben rund 80 % an, den Bildungsbereich Emotionen täglich in ihrem pädagogischen Alltag zu berücksichtigen. Alle weiteren Bereiche werden deutlich weniger täglich berücksichtigt. Am seltensten bezieht das pädagogische Fachpersonal den Bereich Ästhetik, Kunst und Kultur (5,3 %) täglich in seinen Krippenalltag ein (vgl. Abb. 3). Entsprechend der Einigkeit über die Wichtigkeit einzelner Bildungsbereiche zeigt sich bei der Häufigkeitseinschätzung hinsichtlich der Umsetzung eine ähnliche Verteilung. Auch hier weist der Bereich Emotionen die höchste und der Bereich Ästhetik, Kunst und Kultur die geringste Einigkeit auf. Die Berücksichtigung des Bereichs Ästhetik, Kunst und Kultur schwankt stark zwischen„täglich“ und„seltener als mehrmals monatlich“. Darüber hinaus hatten die Befragten die Möglichkeit, auch von Problemen bei der Umsetzung einzelner Bildungsbereiche im Alltag zu berichten. Als besonders problematisch empfinden sie mit Abstand das Alter der Kinder (24 Nennungen). Es herrscht die Meinung vor, dass die Krippenkinder für eine Realisierung der von wissenschaftlicher Seite als relevant und förderlich erachteten Bildungsinhalte noch zu jung sind. Ein weiteres Problem stellt aus Sicht des Fachpersonals der Mangel an Räumlichkeiten und Materialien (12 Nennungen) dar. Ähnlich oft werden Personalmangel und unzureichende Zeit (10 Nennungen) als Probleme genannt. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Wichtigkeit einzelner Bildungsbereiche und deren Umsetzung im pädagogischen Alltag? Für die meisten Bildungsbereiche gilt, dass die Wichtigkeit eines Bildungsbereichs mit der Häufigkeit seiner Umsetzung im Krippenalltag Abb. 3 67 uj 2 | 2012 Kinder erziehen und bilden einhergeht: Je bedeutsamer ein Bildungsbereich für die Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen, desto häufiger berücksichtigen sie diesen auch und umgekehrt. Dieser Befund deutet darauf hin, dass frühpädagogische Fachkräfte in den meisten Fällen den Bildungsbereichen, die ihnen wichtig erscheinen, in ihrer täglichen Arbeit auch einen entsprechenden Platz einräumen. Auffällig ist, dass dieser Befund jedoch nicht auf alle Bereiche zutrifft. Im Bereich Emotionen ist dieser Zusammenhang nicht gegeben. Die Häufigkeit bzw. die Wichtigkeit dieses Bereichs könnte somit eher mit anderen Merkmalen zusammenzuhängen. Eine mögliche Interpretation wäre, dass Erzieherinnen diesen Bereich als selbstverständlich ansehen und er im Alltag nicht mehr explizit ausgewiesen (und damit auch nicht explizit zurückgemeldet) wird. Eine andere Interpretation ginge dahin, dass die Wichtigkeit des Bereichs Emotionen zwar unbestritten ist, das befragte pädagogische Fachpersonal aber noch weitere Anregungen benötigt, diesen Bereich noch bewusster wahrzunehmen und den Blick und das Handlungsrepertoire für die Vielfalt an Bildungs- und Unterstützungsgelegenheiten zu schärfen. Welchen Einfluss haben ausgewählte strukturelle Rahmenbedingungen auf die pädagogische Arbeit? Es konnte gezeigt werden, dass zwischen der Orientierungsqualität (hier: Wichtigkeit eines Bildungsbereichs) und der Prozessqualität (hier: Umsetzung spezifischer Bildungsaspekte im Krippenalltag) ein Zusammenhang derart besteht, dass sich die Wichtigkeit eines Bildungsbereichs niederschlägt in der Häufigkeit der pädagogischen Umsetzung im Krippenalltag. Darüber hinaus stellt sich im Rahmen der Bildungs- und Qualitätsdiskussion die Frage, ob neben den pädagogischen Orientierungen der Fachkräfte auch strukturelle Merkmale Einfluss auf die pädagogischen Prozesse haben. Um dies zu überprüfen, wurden in Anlehnung an Hayes u. a. (1990, 87ff ) sowie Tietze u. a. (1998, 273) ausgewählte strukturelle Merkmale in den Analysen berücksichtigt: tägliche Betreuungsdauer, beruflicher Abschluss, Berufserfahrung im Bereich U3, Besuch von Fortbildungen und Anzahl der Kinder in der Gruppe. Im Ergebnis zeigt sich, dass auch unter Berücksichtigung der ausgewählten Strukturmerkmale nur wenige Veränderungen in den oben genannten Beziehungsstrukturen sichtbar werden. n Die Betreuungsdauer hat einen statistisch signifikanten (d. h. nicht nur zufälligen), aber insgesamt als gering einzuschätzenden Einfluss auf die pädagogischen Prozesse (Alltagsgestaltung, Interaktionen etc.) hinsichtlich der Bildungsbereiche Mathematik, Gesundheit, Bewegung, Rhythmik, Tanz und Sport sowie Ästhetik, Kunst und Kultur: Je kürzer die Betreuungsdauer, desto häufiger werden diese Bildungsbereiche im Alltag berücksichtigt. So legt das pädagogische Fachpersonal gerade bei kurzen Betreuungszeiten einen besonderen Schwerpunkt auf diese Bildungsbereiche. Eine denkbare Erklärung hierfür wäre ein Kombinationseffekt aus Schwerpunktangeboten während der Kern(betreuungs)zeit am Vormittag: Einerseits stellen die hier genannten Bildungsbereiche traditionelle Kernthemen der Kindergartenpädagogik dar, die für den Krippenbereich adaptiert werden sowie regelmäßig und vorzugsweise während der Kernzeit am Vormittag (während der die meisten Kinder der Gruppe anwesend sind) Berücksichtigung finden (könnten). Andererseits scheint es plausibel, dass Kinder, die kurze tägliche Betreuungszeiten aufweisen, vor allem vormittags in der Einrichtung anwesend sind. Auf den Punkt gebracht lautet dann die Hypothese: Krippenkinder, die kürzere Betreuungszeiten nutzen, werden vorwiegend vormittags betreut und setzen sich in dieser Zeit mit Bildungsbereichen auseinander, die von den pädagogischen Fachkräften als besonders wichtig erachtet werden. Folgt man dieser Hypothese, müssten u. a. folgende Aspekte zur Diskussion gestellt werden: 1. Sind sich pädagogische Fachkräfte darüber bewusst, dass es Bildungsbereiche gibt, die vor 68 uj 2 | 2012 Kinder erziehen und bilden allem in der Kernzeit Berücksichtigung finden? Und wenn ja, welche Argumente werden für solche inhaltlichen Schwerpunkte angeführt? 2. Wie wird es möglich, solche Strukturen aufzubrechen, um eine möglichst breitflächige Bildungslandschaft auch für die Krippenkinder zu gestalten, die eine kurze Betreuungsdauer nutzen? n Die Berufserfahrung im Bereich U3 hat keinen Einfluss auf die pädagogische Prozessqualität in den einzelnen Bildungsbereichen. Dieses Ergebnis könnte darauf zurückzuführen sein, dass der Bildungsauftrag für Kinder unter drei Jahren und somit für die pädagogische Arbeit in Kinderkrippen noch relativ neu und wenig ausformuliert ist. Sowohl das pädagogische Fachpersonal mit langer als auch mit kurzer Berufserfahrung steht somit einem neuen Aufgabenfeld gegenüber. Ein anderer Erklärungsansatz für diesen Befund wäre, dass nicht die Berufserfahrung, sondern insbesondere eine professionelle Haltung der pädagogischen Fachkräfte ausschlaggebend für die qualitätsvolle pädagogische Praxis ist. n Der berufliche Abschluss hat nur auf den Bereich Gesundheit einen tendenziell signifikant positiven Einfluss. Unterscheidet man hier noch zusätzlich zwischen Kinderpflegerinnen und Erzieherinnen, so berücksichtigen die Kinderpflegerinnen diesen Bereich signifikant häufiger im pädagogischen Alltag als Erzieherinnen. Es liegt die Vermutung nahe, dass hier der Pflegeaspekt zum Tragen kommt: Dieser erfährt sowohl in der Ausbildung als auch im Stellenprofil der Kinderpflegerinnen mehr Berücksichtigung. n Der Besuch von Fortbildungen zeigt ebenfalls nur einen tendenziell signifikanten Einfluss auf die Prozessqualität im Bildungsbereich Emotionen: Je mehr Fortbildungen insgesamt besucht wurden, desto weniger findet dieser Bereich (explizite) Berücksichtigung im pädagogischen Alltag. Eine mögliche Erklärung wäre, dass sich pädagogische Fachkräfte nach dem Besuch von Fortbildungen zu anderen Bildungsbereichen vorwiegend auf diese neuen Aspekte konzentrieren und die explizite Berücksichtigung emotionaler Aspekte in den Hintergrund rückt. Es ist auch denkbar, dass das pädagogische Fachpersonal den Bildungsbereich Emotionen als grundlegend im Sinne eines „selbstverständlichen Mitläufers“ erachtet und ihn deshalb nicht in der tatsächlich berücksichtigten Intensität zurückmeldet. n Die Anzahl der Kinder hat - über alle Bildungsbereiche hinweg - keinen Einfluss auf die Qualität der pädagogischen Prozesse. Dies deutet darauf hin, dass sich das befragte pädagogische Fachpersonal unabhängig von der Anzahl der Kinder in den Gruppen um eine intensive Berücksichtigung aller Bildungsbereiche bemüht. Auch in anderen Studien (vgl. zusammenfassend Roßbach 2005) hat das Merkmal „Anzahl der Kinder pro Gruppe“ eine inkonsistente Vorhersagekraft: Betrachtet man die drei Kernmerkmale der Strukturqualität (Anzahl der Kinder pro Gruppe, Qualifikation der Fachkräfte und Erwachsenen-Kind-Relation), so zeigt sich, dass alle drei Variablen von besonderer Bedeutung sind. Allerdings unterscheidet sich deren Durchschlagskraft je nach betrachteter Studie - nicht alle sind immer und gleichzeitig überzufällig ausschlaggebend für die Qualität der Betreuung und deren Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung. Fazit und Ausblick Die pädagogischen Orientierungen der hier befragten pädagogischen Fachkräfte haben einen eindeutigen Einfluss auf die Art und Weise, wie der Krippenalltag gestaltet wird. Dies lässt sich vereinfachend durch die Formel „je wichtiger (ein Bildungsbereich), desto häufiger (findet er Berücksichtigung im pädagogischen Alltag)“ zusammenfassen. Die für die vorliegenden Analysen ausgewählten strukturellen Merkmale haben dagegen nur einen 69 uj 2 | 2012 Kinder erziehen und bilden geringen oder keinen Einfluss auf die pädagogischen Prozesse. D. h., Bildungsbereiche, die das pädagogische Fachpersonal als wichtig erachtet, werden auch häufig(er) in der pädagogischen Arbeit umgesetzt (Ausnahme: Bereich Emotionen), und das sogar unabhängig von strukturellen Rahmenbedingungen wie z. B. der Gruppengröße. Für die Bildungsarbeit der hier befragten Krippenfachkräfte spielen also die gegebenen strukturellen Bedingungen kaum eine bzw. keine (statistisch nachweisbare) Rolle: Das pädagogische Fachpersonal setzt unabhängig von den gegebenen Rahmenbedingungen eine Vielfalt an und Fülle von Bildungsinhalten in der alltäglichen Krippenarbeit um. Dieses Ergebnis muss allerdings aufgrund methodischer Begrenzungen (kleine Stichprobe; Selbstauskünfte der Krippenfachkräfte, keine Beobachtungen oder Interviews) mit Vorsicht interpretiert werden. Hinsichtlich der Bedeutung einzelner Strukturmerkmale muss zudem angemerkt werden, dass diesbezüglich auch die (inter-)nationale Forschung zu uneinheitlichen Ergebnissen kommt (vgl. zusammenfassend z. B. Roßbach 2005). Die Befragung konnte verdeutlichen, dass die pädagogische Arbeit mit Kindern unterhalb des klassischen Kindergartenalters nicht mehr die geschichtlich gewachsene Betonung auf die Betreuung legt, sondern die gesetzlich verankerte Trias von Bildung, Erziehung und Betreuung Eingang in den Krippenalltag der befragten Fachkräfte gefunden hat. Dies differenzieren noch zusätzlich die offenen Kommentare der Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen zur abschließenden Frage „Was ich zum Thema ‚pädagogische Arbeit mit Krippenkindern’ noch sagen möchte …“. Hier fanden z. B. Äußerungen Eingang, die darauf hinweisen, dass noch weitere Anstrengungen im Krippenbereich vonnöten sind, bevor von guter Qualität gesprochen werden kann. Das pädagogische Fachpersonal ist sich einerseits bewusst, dass es in den Krippen Bildungsarbeit leistet: „Die pädagogische Arbeit mit Krippenkindern ist in Anbetracht der Wertigkeit sicherlich gleichzusetzen mit der Arbeit im Kiga. Auch die Lernbereiche sind dieselben (BEP). Nur müssen die Lerninhalte altersgerecht ausgesucht und nahegebracht werden.“ Zieht man andererseits auch noch einmal die Aussage der pädagogischen Fachkräfte hinzu, dass Krippenkinder für die Umsetzung der aus Wissenschaft und Forschung als wichtig erachteten Bildungsinhalte noch zu jung sind, kann zweierlei angenommen werden: a) Die pädagogische Arbeit in der Kinderkrippe könnte trotz erstarktem Bildungsanspruch unter „Schonraumvorbehalt“ stehen. b) Bei den pädagogischen Fachkräften könnten Unsicherheiten dahingehend existieren, wie Bildungsarbeit in dieser Altersgruppe alters- und entwicklungsangemessen geplant und umgesetzt werden kann. Die Auszüge aus den Kommentaren der Befragten verdeutlichen, dass - wenn Kinderkrippen vermehrt ein Ort der Bildung werden sollen - noch weitere Verbesserungsbemühungen auf unterschiedlichen Ebenen notwendig sind. Das Gelingen guter Bildungsarbeit in dieser Altersgruppe verlangt insgesamt nach (noch) mehr Wissen und Einigkeit darüber, was gute pädagogische Qualität einer Krippe ausmacht und inwiefern spezifische Bildungsbereiche gedanklich, konzeptionell und auch methodisch-didaktisch Eingang in den pädagogischen Alltag finden müssen. Damit solche neuen Erkenntnisse nicht auf der Ebene der fachlichen Diskussion verbleiben, ist eine intensivere und systematischere Berücksichtigung des Krippenbereichs in der Aus-, Fort- und Weiterbildung erstrebenswert (vgl. z. B. Thanner 2009; Viernickel u. a. 2011). Darüber hinaus gilt es auch innerhalb der Gruppe der Unterdreijährigen konzeptionell zu differenzieren: Z. B. müssen pädagogische Konzepte zur Integration von Zweijährigen in Regelkindergartengruppen andere Erfordernisse erfüllen als ein ausschließliches Krippen- 70 uj 2 | 2012 Kinder erziehen und bilden gruppenkonzept. Verstärkte überregionale Bemühungen, die verschiedene Aspekte der U3-Bildung, -Erziehung und -Betreuung aufnehmen, sind mittelfristig z. B. durch die Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte „WiFF“ (www.weiterbildungsinitiative. de; vgl. auch Nentwig-Gesemann u. a. im Druck; von Behr 2010) zu erwarten. Zudem gilt es insbesondere, das Forschungsfeld mit seinen kleinen und großen Forschungsprojekten (z. B. IFP-Krippenstudie: www.ifp.bayern.de; Nationales Bildungspanel: www.bildungspanel.de; NUBBEK: www.nubbek.de) langfristig zu unterstützen und auszubauen. Nur so kann mit Unterstützung durch das frühpädagogische Praxisfeld das - wissenschaftlich gesehen - noch unscharfe Bild der pädagogischen Arbeit in Kinderkrippen(gruppen) an Konturen gewinnen und sein Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag in einen angemessene(re)n Rahmen gefasst werden. Luise Zenker Alice Salomon Hochschule Berlin Projekt „Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung“ Alice-Salomon-Platz 5 12627 Berlin Jutta Sechtig Otto-Friedrich-Universität Bamberg Lehrstuhl Elementar- und Familienpädagogik Kapuzinerstraße 16 96047 Bamberg 2010. 183 Seiten. 12 Abb. 23 Tab. (978-3-497-02170-3) kt Armutsprävention Kinder, die in Armut aufwachsen, sind besonderen Risiken hinsichtlich Gesundheit, Bildung und sozialer Integration ausgesetzt. Ein effektives Präventionskonzept erfordert genaue Kenntnis darüber, wie Armut wirkt und in welchen Entwicklungs- und Lebensbereichen sie Spuren hinterlässt. Es beinhaltet umfassende Möglichkeiten der Betreuung, Erziehung und Bildung mit dem Ziel der Stärkung von kindlichen Potenzialen. Dieses Buch enthält praktische Konzepte für eine Armutsprävention auf der individuellen und strukturellen Ebene für Praktiker in der Sozialen Arbeit wie auch für Politiker auf kommunaler Ebene. a www.reinhardt-verlag.de 71 uj 2 | 2012 Kinder erziehen und bilden Literatur Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen/ Staatsinstitut für Frühpädagogik (StMAS/ IFP) (Hrsg.), 2 2006: Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung. Weinheim/ Basel Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen/ Staatsinstitut für Frühpädagogik (StMAS/ IFP) (Hrsg.), 2010: Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in den ersten drei Lebensjahren. Weimar/ Berlin Behr, A. v., 2010: Kinder in den ersten drei Jahren. Qualifikationsanforderungen an frühpädagogische Fachkräfte (WIFF-Expertise 4). München Beller, E. K./ Beller, S., 8 2009: Kuno Bellers Entwicklungstabelle. Modifizierte Fassung Juli 2000. Berlin Beller, E. K./ Stahnke, M./ Laewen, H. J., 1983: Das Berliner Krippenprojekt: ein empirischer Bericht. In: Zeitschrift für Pädagogik, 29. Jg., H. 3, S. 407 - 416 Diskowski, D., 2007: Synopse zu den Bildungsplänen der Länder. www.mbjs.branden-burg.de/ media/ lbm 1.a.1234.de/ synopse_bildungsplaene.pdf, 14. 9. 2010, 12 Seiten Hayes, C. D./ Palmer, J. L./ Zaslow, M. J. (Hrsg.), 1990: Who cares for America‘s Children? Child Care Policy for the 1990s. Washington D. C. Nentwig-Gesemann, I./ Fröhlich-Gildhoff, K./ Harms, H./ Richter, S.: Professionelle Haltung/ Identität der Fachkraft für die Arbeit mit Kindern unter drei Jahren (WIFF-Expertise). München (noch unveröff.) Pikler, E., 1982: Friedliche Babys - zufriedene Mütter. Pädagogische Ratschläge einer Kinderärztin. Freiburg Roßbach, H.-G., 2005: Effekte qualitativ guter Betreuung, Bildung und Erziehung im frühen Kindesalter auf Kinder und ihre Familien. In: Sachverständigenkommission Zwölfter Kinder- und Jugendbericht (Hrsg.): Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern unter sechs Jahren. Band 1. München, S. 55 - 174 Sechtig, J., 2008: Wie hängt die Qualität der Betreuung mit der Entwicklung der Kinder zusammen? Internationale Forschungsergebnisse im Überblick. In: das leitungsheft - kindergarten heute, 1. Jg., H. 4., S. 11 Staatsinstitut für Frühpädagogik/ Bertelsmann-Stiftung (IFP/ Bertelsmann-Stiftung), 3 2010: Wach, neugierig, klug - Kinder unter 3. Ein Medienpaket für Kitas, Tagespflege und Spielgruppen. Gütersloh Thanner, V., 2009: Ausbildungsinhalte an Fachschulen für Sozialpädagogik zu Kindern unter drei Jahren. Eine Dokumentenanalyse. München Tietze, W./ Bolz, M./ Grenner, K./ Schlecht, D./ Wellner, B., 2005: Krippen-Skala (KRIPS-R). Feststellung und Unterstützung pädagogischer Qualität in Krippen. Deutsche Fassung der Infant/ Toddler Environment Rating Scale - Revised Edition von Thelma Harms, Debby Cryer, Richard M. Clifford. Weinheim/ Basel Tietze, W. (Hrsg.), 1998: Wie gut sind unsere Kindergärten? Eine Untersuchung zur pädagogischen Qualität in deutschen Kindergärten. Neuwied Tietze, W./ Viernickel, S., 3 2007: Pädagogische Qualität in Tageseinrichtungen für Kinder - ein nationaler Kriterienkatalog. Berlin u. a. Viernickel, S./ Nentwig-Gesemann, I./ Harms, H./ Richter, S./ Schwarz, S., 2011: Profis in Krippen. Curriculare Bausteine für die Aus- und Weiterbildung frühpädagogischer Fachkräfte. Freiburg Weber, C., 2 2007: Spielen und Lernen mit 0bis 3-Jährigen. Der entwicklungszentrierte Ansatz in der Krippe. Weinheim/ Basel Wehrmann, I. (Hrsg.), 2009: Kinder brauchen gute Krippen. Weimar/ Berlin Wertfein, M./ Spies-Kofler, A., 2008: Kleine Kinder - großer Anspruch! Studie zur Implementation des Bay- BEP und zur Qualitätssicherung in Kinderkrippen (IFP-Berichtsreihe 16). München Zenker, L., 2009: Pädagogische Arbeit in Krippengruppen aus der Sicht des pädagogischen Fachpersonals. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Otto-Friedrich-Universität Bamberg