eJournals unsere jugend 64/2

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2012
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FuN-Baby - ein präventives Konzept zur Stärkung der Erziehungskompetenz von Eltern

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2012
Birgit Piltman
Bernd Brixius
FuN-Baby steht als Kürzel für "Familie und Nachbarschaft" und signalisiert ein Programm, das Spaß (englisch: fun) macht und das Familien hilft. Es spricht Eltern mit Kindern in den ersten 18 Lebensmonaten an, die von den herkömmlichen Angeboten der Eltern- und Familienbildung bisher nur wenig oder gar nicht erreicht werden.
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79 unsere jugend, 64. Jg., S. 79 - 82 (2012) DOI 10.2378/ uj2012.art08d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Birgit Piltman Jg. 1960; Dipl.-Sozialpädagogin, Mediatorin, Familientherapeutin, Leiterin des Instituts für präventive Pädagogik FuN-Baby - ein präventives Konzept zur Stärkung der Erziehungskompetenz von Eltern FuN-Baby steht als Kürzel für „Familie und Nachbarschaft“ und signalisiert ein Programm, das Spaß (englisch: fun) macht und das Familien hilft. Es spricht Eltern mit Kindern in den ersten 18 Lebensmonaten an, die von den herkömmlichen Angeboten der Eltern- und Familienbildung bisher nur wenig oder gar nicht erreicht werden. Familien mit hohen Belastungsfaktoren, bildungsungewohnte Familien, Familien mit geringen Deutschkenntnissen, vom Lebensalter her junge Eltern und von Armut betroffene, sozial benachteiligte Familien geraten durch die Geburt eines Kindes oft in eine zusätzliche Belastungssituation, die sich auf den Kontakt und die Entwicklung des Kindes negativ auswirken kann. Die Lernformen und Rahmenbedingungen gängiger Familienbildungsprogramme sprechen diese Familien nicht an. Dagegen ist FuN-Baby mit seinem präventiven, niedrigschwelligen Ansatz speziell auf diese Zielgruppen ausgerichtet. Zur Bedeutung der frühzeitigen Erreichbarkeit der Familien In den ersten Lebensmonaten eines Kindes wird der Grundstein für die Interaktion und Kommunikation zwischen Eltern und Kindern gelegt, und es entscheidet sich, wie sicher die Bindung der Kinder ist. Die Bindungsforschung zeigt auf, wie sich die verschiedenen Bindungstypen auswirken. Eine sichere Bindung entsteht dann, wenn Eltern in der Lage sind, feinfühlig die Bedürfnisse ihres Kindes zu erkennen und zu befriedigen. Sie sollten zuverlässig sein und Verantwortung übernehmen können für sich und ihr Kind. Kinder, die eine sichere Bindung erfahren haben, entwickeln sich ihrerseits zu Erwachsenen, denen es möglich ist, verantwortungsvoll zu handeln und eigene sowie fremde Bedürfnisse wahrzunehmen. Bernd Brixius Jg. 1948; Dipl.-Pädagoge, Dipl.-Psychologe, Familientherapeut und Supervisor, Leiter des Instituts für präventive Pädagogik 80 uj 2 | 2012 Kinder erziehen und bilden Auch in anderen Entwicklungsbereichen wirkt sich die sichere Bindung positiv aus: Die Grundlagen der Sprachentwicklung eines Kindes werden durch die Bezugspersonen in den ersten eineinhalb Jahren gelegt, die Motorik entwickelt sich, das Kind lernt in allen Bereichen und ist neugierig auf seine Umwelt. Die Weichen für eine vielseitige hirnorganische Entwicklung werden gestellt. Für all dies braucht das Kind erwachsene Bezugspersonen, die es in all den Entwicklungsschritten begleiten und anregen. Wegen dieser immens hohen Bedeutung der frühkindlichen Entwicklung ist es wichtig, die Eltern früh und gezielt anzusprechen. Der Arbeitsansatz von FuN-Baby FuN-Baby wird als eine Weiterentwicklung des FuN-Familie-Programms seit ca. 6 Jahren inzwischen bundesweit von Fachkräften aus sozialpädagogischen Arbeitsfeldern und aus dem Gesundheitsbereich erfolgreich umgesetzt. Die Teams, die das Programm gestalten, bestehen aus zwei Fachkräften aus möglichst unterschiedlichen Arbeitsfeldern. So verbinden sich unterschiedliche Kompetenzen und Zugänge zu den Familien, und die Kooperation der familienbezogenen Dienste vor Ort wird gefördert. Das FuN-Baby-Programm liefert den Rahmen für interaktive Erfahrungen und neue Lernprozesse junger Eltern. Es baut auf den Ressourcen und Kompetenzen der Eltern auf und entwickelt sie weiter. Das Programm fordert so Eltern heraus, ihre Rolle als Erziehende aktiv wahrzunehmen. Dabei werden Eltern durch gezieltes Coaching der TeamerInnen unterstützt. Ziele des FuN-Baby Programms: Ziele des FuN-Baby-Programms sind: ➤ durch gezielte Übungen die Beziehung zwischen Eltern/ Mutter und Kind zu verbessern und damit die Bindungsqualität zu steigern, ➤ die Elternkompetenz zu fördern durch konkrete neue Erfahrungen und Entwicklung von Handlungsalternativen, ➤ Eltern/ Mütter darin zu unterstützen, Verantwortung für die Entwicklung und die Gesundheit ihrer Kinder zu übernehmen, ➤ Kontakte zu ermöglichen zu Familien/ Müttern aus der nahen Umgebung mit vergleichbaren Erfahrungen, ➤ die Wahrnehmung eigener und fremder Bedürfnisse zu schulen, ➤ lernen, mit Stress, Konflikten und unerfüllten Bedürfnissen umzugehen, sowie ➤ „Hilfe zur Selbsthilfe“. Die FuN-Treffen bestehen aus einer Abfolge von Programmelementen, die von dem geschulten Team moderiert und angeleitet werden. Eine klare Struktur der Treffen macht es den Eltern leicht, sich in dem Programm zurechtzufinden. Gleichzeitig ist damit ein Modelllernen für die eigene Struktur in der Familie verbunden. Die Elemente des FuN-Baby-Programms Ein Programmvor- oder -nachmittag besteht aus verschiedenen Elementen. Die Übungen sind auf die Beschäftigung mit dem Kind ausgerichtet und fordern das konkrete Handeln in der Elternrolle heraus. Die „Lernerfolge“ der Eltern bestehen darin, im Umgang mit ihrem Kind die eigene Elternkompetenz zu erproben und möglichst positive, in den Alltag mit dem Kind übertragbare Erfahrungen zu machen. Den Rahmen bilden ein spielerisches und/ oder kreatives Anfangs- und Abschluss-Ritual. Dabei kommt es darauf an, dass die Eltern direkt mit ihrem Kind kommunizieren und erleben, wie wichtig die direkte Ansprache für das Kind ist. Für viele Eltern der Zielgruppe ist es ungewohnt und schwer, mit ihrem Kind zu singen oder zu sprechen. Sie brauchen dafür Ermuti- 81 uj 2 | 2012 Kinder erziehen und bilden gung und Bestärkung durch das Coaching des Teams. Beim „Spiel zu Zweit“ lernen Eltern, einen intensiven Kontakt zu ihrem Kind herzustellen und seine Reaktionen und Bedürfnisse wahrzunehmen. Die Feinfühligkeit und Aufmerksamkeit für das Kind stehen bei diesem Spiel im Vordergrund, während es in einem weiteren Übungsteil um Anregung, Förderung und Leiten des Kindes in entwicklungsangemessenen Spielsituationen geht. Beide Fähigkeiten - das Anleiten und Führen und die Wahrnehmung der Bedürfnisse - sind entscheidende Elternkompetenzen, die spielerisch eingeübt werden. Die FuN-TeamerInnen erklären den Eltern sehr einfach und individuell die jeweilige Übung. Während die Eltern mit ihrem Kind spielen, unterstützen die TeamerInnen den Prozess, indem sie den Eltern kleine stärkende Rückmeldungen zu ihrem gelungenen Verhalten und gegebenenfalls kleine förderliche Anregungen geben. Die Elternrunde gibt den Eltern die Möglichkeit, mit anderen Eltern in Kontakt zu kommen und sich auszutauschen. Sie wird so von den TeamerInnen moderiert, dass die Beteiligung aller Eltern möglich ist und Erfahrungen ausgetauscht und besprochen werden können. Die positiven Erfahrungen und Fähigkeiten der Eltern stehen im Vordergrund der Gespräche. Auf Belehrung und Bewertung wird komplett verzichtet. Die bisherigen Erfahrungen mit dem Programm machen deutlich, wie wichtig die entstehenden Kontakte und sozialen Beziehungen für die Vernetzung der Familien sind. Auch dies ist ein bedeutsamer Beitrag zur Prävention. Die Rahmenbedingungen der Durchführung FuN-Baby ist ein Gruppenangebot für ca. sechs Familien (Mütter/ Väter mit Kind) und läuft über acht Wochen jeweils an einem Vormittag (oder auch Nachmittag, je nach Zeitkapazität der Familien) in der Woche für eineinhalb Stunden. Es findet in Einrichtungen statt, die für die Familien wohnortnah und gut zu erreichen sind. Geleitet wird es möglichst von einem/ r MitarbeiterIn der entsprechenden Einrichtung (Familienbildungsstätte, Kindertagesstätte, Gesundheitsamt, Jugendamt, Mutter-Kind-Wohnheim o. Ä.) in Kooperation mit einem/ r MitarbeiterIn aus einem anderen familienbezogenen Dienst im Stadtteil. Die Teilnahme am FuN-Baby-Programm fördert das Vertrauen in die MitarbeiterInnen der teilnehmenden sozialen Einrichtungen und zusätzlich die Einbindung in soziale Netze im Nahbereich. Nach Beendigung der ersten achtwöchigen Programmphase haben sich in der Regel schon erste Kontakte entwickelt, und die Mütter oder Eltern haben Sicherheit im Ablauf des Programms bekommen. Für TeilnehmerInnen mit vorhergehenden häufig negativen Schul- oder Bildungserfahrungen entsteht so eine hohe Motivation, weiter teilzunehmen und eine weitere achtwöchige Programmphase zu erleben. Auf diese Weise wächst die Chance, die Mütter mit ihren Babys über einen längeren Zeitraum zu begleiten. Auf Familien zugehen und direkt einladen Vor Beginn des Programms finden mit den potenziell teilnehmenden Familien Einzelgespräche zum Kennenlernen, zur Information und zur Motivierung statt. Über die beteiligten sozialen Dienste der verschiedenen sozialpädagogischen Träger und Einrichtungen werden die für das Programm angedachten Familien angesprochen. Nur im direkten und persönlichen Kontakt ist es nach unseren Erfahrungen möglich, Familien ihre Unsicherheiten und Vorbehalte gegen- 82 uj 2 | 2012 Kinder erziehen und bilden über solchen Angeboten wie FuN-Baby zu nehmen. In der Praxis nehmen meist die Mütter mit ihren Kindern teil, häufig junge alleinerziehende Mütter mit ihrem Kind. Als niedrigschwelliges Angebot ist FuN-Baby für die Familien kostenlos. Wegen der vielen praktischen Übungsteile zwischen Elternteil und Kind sind eingeschränkte deutsche Sprachkenntnisse kein Problem. Die Eltern können mit ihrem Kind in der ihnen vertrauten Sprache sprechen. Die Spielerklärungen können von den TeamerInnen demonstriert und gezeigt werden. Für viele der Mütter mit Migrationsgeschichte ist FuN oft die erste Erfahrung in einer „deutschen Gruppe“. Deshalb ist FuN für diese Menschen auch ein Beitrag zu ihrer Integration, aus dem nicht selten die Motivation erwächst, einen Sprachkurs zu belegen, um die eigenen Sprachkenntnisse zu verbessern. Das FuN-Baby-Team und die Qualifizierung Fachkräfte aus sozialpädagogischen Arbeitsfeldern und dem Gesundheitsbereich können sich in viertägigen Seminaren für die Durchführung des Programms qualifizieren. Die praxisnahen Seminare finden an unterschiedlichen Orten statt. Weitere Bausteine der Qualifizierung sind die Praxisbegleitung des ersten Durchgangs und eine Auswertungsveranstaltung nach der abgeschlossenen Programmerfahrung (vgl. www.praepaed.de). Birgit Piltman Bernd Brixius Institut für präventive Pädagogik praepaed Blombergerstraße 137 c 32760 Detmold birgit.piltman@praepaed.de www.praepaed.de