unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj_2012.art38d
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2012
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„Gleiche Augenhöhe“ oder „gleiche Wellenlänge“?
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Frank Nieslony
Der gesellschaftliche Wandel zur „Wissensgesellschaft“, in dessen Rahmen eine „zeitlich-biografische Entgrenzung von Bildung, Betreuung und Erziehung“ (BMFSFJ 2005) vor dem Hintergrund der Ergebnisse internationaler Schul- und Bildungsstudien (TIMMS, PISA etc.) diskutiert wurde und in dessen Folge ein systemisches Bildungsverständnis dazu führte, das deutsche Schulsystem der Moderne anzupassen, war über die Ausdehnung von Ganztagsschulen hinaus zudem Anlass einer erneuten Annäherung der beiden Systeme Schule und Jugendhilfe
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458 unsere jugend, 64. Jg., S. 458 - 469 (2012) DOI 10.2378/ uj2012.art41d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel „Gleiche Augenhöhe“ oder „gleiche Wellenlänge“? Zur Notwendigkeit von Schulsozialarbeit im modernen Schulsystem Der gesellschaftliche Wandel zur „Wissensgesellschaft“, in dessen Rahmen eine „zeitlich-biografische Entgrenzung von Bildung, Betreuung und Erziehung“ (BMFSFJ 2005) vor dem Hintergrund der Ergebnisse internationaler Schul- und Bildungsstudien (TIMMS, PISA etc.) diskutiert wurde und in dessen Folge ein systemisches Bildungsverständnis dazu führte, das deutsche Schulsystem der Moderne anzupassen, war über die Ausdehnung von Ganztagsschulen hinaus zudem Anlass einer erneuten Annäherung der beiden Systeme Schule und Jugendhilfe. von Dr. Frank Nieslony Jg. 1949; Dipl.-päd., Soz.arb. (grad.), Professor für Sozialarbeit an der Ev. Hochschule Darmstadt, Arbeitsschwerpunkte: Sozialadministration/ Soziale Dienste, Jugendhilfe und Schule, Schulsozialarbeit, Sozial- und Jugendhilfeplanung, Geschlechteridentität und Soziale Arbeit Führte der sogenannte „Sputnik-Schock” der 1960er Jahre in seiner Folge über die Etablierung einer neuen (Gesamt-)Schule im gegliederten (west-)deutschen Schulsystem konsequenterweise zu einer Annäherung der bislang getrennt verlaufenden Entwicklung von Schul- und Sozialpädagogik, so ist der besagte „PISA- Schock”der Jahrtausendwende geeignet, diese bedeutenden Erziehungsfelder auf einer modernen Entwicklungsstufe perspektivisch zu kombinieren. So gesehen bekommt der Diskurs um eine ganzheitliche Bildung zwischen Jugendhilfe und Schule eine neue Qualität. Im Rahmen dieser gesellschafts- und bildungspolitischen Dimension ist jedoch im Hinblick auf die Verwirklichung neuer Lern- und Bildungslandschaften und der erforderlichen Strukturbildung zwischen Jugendhilfe und Schule vor dem Hintergrund länderbezogener Kultuseigenarten (noch) betonte Skepsis angesagt. Historisch bedingte, unterschiedliche Politik-, Verwertungs- und Emanzipationsinteressen belasten die strukturellen Innovationen und pädagogisch zufriedenstellenden Kooperationen der Systeme. Offensichtlich geworden ist nämlich, dass bei der derzeitig reformorientierten Diskussion um ein neues Schulsystem der Qualifikationsfunktion von Schule im Wettbewerb um europäische Bestplätze ein Vorrang eingeräumt wird. Erwähnt sei hier beispielhaft nur der Streit um die zeitlich unterschiedliche Hinführung zum Abitur („TurboAbi”) und dessen fragliche bundesweite Anerkennung. Eben- 459 uj 11+12 | 2012 Jugendhilfe und Ganztagsschule so zu nennen ist die Vorverlagerung nicht kindgemäßer Bildungsprozesse in die Kindergärten oder die unterschiedliche Entwicklung der Ganztagsschulen. Bei diesen vorrangig qualifikationsorientierten Veränderungen stehen die Integrations- und Inklusionsabsichten auf dem Prüfstand. Und dass insbesondere, weil die Bürden notwendiger Veränderungen strukturmäßig für das System Schule als Ganzes betrachtet oft überwältigend sind, Schule allgemein sich nicht eo ipso aus dem Spannungsfeld gesellschafts- und bildungspolitischer Erwartungen herauslösen kann. Sie kann es nur selten leisten, im Rahmen der modernen „Schulöffnung” eine neue Humanität aus sich heraus zu entwickeln; dafür steht sie zu sehr im Widerspruch ihres eigenen Systems, um die sozialisatorisch bedeutenden Qualifikations- und Integrationsfunktionen vereinbaren zu können. Schulsozialarbeit als Handlungsfeld der Jugendhilfe in der Schule bekommt im Zusammenhang dieser Diskussion eine neue Bedeutung. Wenn davon ausgegangen werden kann, „dass die Schule in ihrer bisherigen inhaltlichen und organisationellen Ausrichtung auf die neuen Anforderungen und Herausforderungen nicht angemessen reagieren kann” (Zeller 2007, 7), dann wäre es fatal, die sich bietenden Chancen für eine neue pädagogische Beziehungskultur zwischen Jugendhilfe und Schule auf der Grundlage eines erweiterten Bildungsbegriffs nicht offensiv aufzugreifen und sich stattdessen auf eine „Selbstbeschränkung der Jugendhilfe” (Raab 1994, 14) oder gar „Abrüstung” (Müller 2007, 100f ) mit Blick auf die eigene Leistungsfähigkeit zu kasteien. Viel eher gefragt ist eine „Neubesinnung” im Verständnis der eigenen Professionalität. Wenn einerseits das ehemals emanzipatorische Interesse der Schule, auch Kindern aus sozial benachteiligten Bildungsschichten zumindest potenziell die Chance höherer Bildungsabschlüsse zu sichern, nicht vollends in Vergessenheit geraten soll, bedarf es andererseits einer der bildungspolitischen Entwicklung angepassten Profilentwicklung schulbezogener Sozialarbeit. Bundeslandbezogene Forschungen, kommunale und landkreisgerichtete Erhebungen zu Akzeptanz, Effizienz und möglichen Perspektiven einer wie auch immer gearteten stärkeren Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Schule verweisen seit den 1990er Jahren auf Veränderungen im Beziehungsgeflecht zwischen schul- und sozialpädagogischen Feldern. Wie also ist der Spagat zu leisten, den Anforderungen erzieherischer, sozialintegrativer, inklusionsgerichteter Absichten in auf Output angelegten, kompetenzorientierten und Qualifikationszielen verpflichteten Schulen gerecht zu werden? Im Folgenden geht es um das Verständnis einer sich offensiv verstehenden Jugendhilfe, die im Prozess der normativen Angleichung gesellschaftlicher Zustände (vom JWG zum KJHG) ihre offensive Wende von einer traditionell-reaktiven Sozialpädagogik zu einer präventivhandlungsorientierten Sozialarbeit vollzogen hat (vgl. Hollenstein/ Iser/ Nieslony 2012). Sie wird insbesondere getragen von der Schulsozialarbeit, aber auch von anderen Handlungsfeldern der Jugendhilfe, die daran arbeiten, die bildungspolitischen Optionen in die Praxis umzusetzen. Eine offensive Schulsozialarbeit versteht sich als integraler Bestandteil der Jugendhilfe, der dazu prädestiniert ist, sich in den Umbau der Organisation Schule einzubeziehen. Offensive Schulsozialarbeit ist somit „Teil professionellen Handelns in der Schule, die unter den gegebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mit ihrem Fachpersonal alleine ihren Auftrag von Bildung und Erziehung nicht mehr erfüllen kann und sich deshalb zusätzlicher Fachkompetenz versichern muß” (BMFSFJ 1998, 213). Schulsozialarbeit wird zum Transmissionsriemen zwischen den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen und den Akteuren in der Schule und Jugendhilfe. Dabei steht sie jedoch oft im Widerspruch der Erwartungen beider Systeme - welche Leistungen können (noch) erbracht werden angesichts des schulischen Alltags und seiner kooperationsbedingten Probleme, trägerbezogenen Zuweisungen und bildungspolitischen Optionen? 460 uj 11+12 | 2012 Jugendhilfe und Ganztagsschule Schulsozialarbeit: Traditionelle Aufgaben und moderne Ansprüche Aus historischer Sicht war das Verhältnis der Sozialpädagogik zur Schulpädagogik immer ein nachrangiges. Das war in Deutschland so gewollt und gesetzlich reglementiert. Immer dort, wo beide pädagogische Organisationsformen zusammentrafen, hatte die Sozialpädagogik eine fakultative Funktion: Sie sorgte für reibungsloses Geschehen in Unterricht und Schule und kompensierte - oft auch durch die Schule verursachte - Probleme und Schwierigkeiten junger Menschen. Wurde in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch befürchtet, dass die Gesamtschulreform in den westlichen Bundesländern mit „sozialpädagogischer Blindheit” (Tillmann 1982) behaftet ist, so ist heute anzunehmen, dass die bundesdeutsche Bildungslandschaft ein schulorganisatorischer Flickenteppich bleibt und ein erneuter Torso - diesmal die Ganztagsschulen - sich zu etablieren beginnt. Es hat lange gedauert, bis in der zeitlichen Gesamtschau zu beobachten war, dass dort, wo sozialpädagogische Arbeit an Schulen geleistet wurde, das Dasein der Schulsozialarbeit als unverzichtbar erklärt wird. So war es nur konsequent, dass der 11. Kinder- und Jugendbericht auch eine strukturelle Verbindung einforderte: „Es besteht ein öffentlicher Konsens über die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit von Kinder- und Jugendhilfe und Schule, wie er nicht größer sein könnte, der in einer Vielzahl von Stellungnahmen und Empfehlungen bundeszentraler Gremien Ausdruck gefunden hat …” (BMFSFJ 2002, 161). Pointiert formuliert verweist die Geschichte der schulbezogenen Sozialarbeit so auch auf das gescheiterte Bemühen, Schule aus sich heraus sozialerzieherischer und -pädagogischer gestalten zu können. Um dies zu belegen, muss nicht die gesamte historische Entwicklung der Schulsozialarbeit reskribiert werden (vgl. hz. Homfeldt 2004; Speck 2007; Rademacker 2009). Es genügt darauf hinzuweisen, dass aus der ehemaligen Figur des „Aschenputtel im Schulalltag” (Grossmann 1987) eine Konfiguration der Schulsozialarbeit erfolgt ist, die ihr bis hin zur modernen Ganztagsbildung „eine wichtige Steuerungsfunktion” (Speck 2008, 341) zuschreibt. Das aber bedeutet auf der Zeitschiene betrachtet zweierlei: Zum einen ist die Erkenntnis gewachsen, dass im Rahmen der schulpolitischen Neuordnungen auf zusätzliche pädagogische und therapeutische Akteure (u. a. SozialpädagogInnen, LogopädInnen, ErgotherapeutInnen) in den Schulen nicht verzichtet werden kann, wenn im Rahmen eines systemischen Bildungsverständnisses bestimmte Kompetenzen erworben und auf ein lebenslanges Lernen in neuen Schulformen vorbereitet werden soll (vgl. a. Bradna/ Stolz 2011). Schulsozialarbeit gehört somit an jede Schule. Zum zweiten bedeutet das für die hier gemeinten SchulsozialarbeiterInnen eine über ihre Kapazitäten von Kernaufgaben in den betreffenden Schulen hinausgehende Zunahme von Aufgaben, die sie im Rahmen ihres Handlungsfeldes zu erfüllen haben: Einzelfallhilfen, projektbezogene und außerschulische Tätigkeiten aufrechtzuerhalten, eigenen Qualitätsansprüchen zu folgen und diese zu evaluieren, Praxisforschung zu betreiben, nonformelle Bildungsangebote zu gestalten, informelle Lern- und Bildungsprozesse zu fördern, Scharnierfunktionen in Bildungslandschaften auszuüben, Sozialraumorientierung und Vernetzung voranzutreiben sowie die Schulentwicklung und die Jugendhilfeplanung im lokalen Zusammenhang angemessen zu begleiten. Dabei wird die Notwendigkeit einer qualitativen Professionalisierung aus der Perspektive des Handlungsfeldes übersehen, obwohl eher die Praxis der Schulsozialarbeit in ihrer jahrzehntelangen Entwicklung ihr Profil eigenständig und innovativ ausgebildet hat. Es kann also davon ausgegangen werden, dass Schulsozialarbeit, wie auch die moderne Jugendhilfe insgesamt, einen theoretischen und 461 uj 11+12 | 2012 Jugendhilfe und Ganztagsschule professionellen Progress vollzogen hat, auf dessen Erkenntnisse zu verzichten einer (schulreform-)pädagogischen Bankrotterklärung gleichkäme. Ihre ambivalente Position im Rahmen des Systems Schule wird damit aber unübersehbar: Auf der einen Seite steht die Erwartungshaltung der betreffenden Schule und der zu realisierende Aufgabenkatalog, den der zuständige Träger den Akteuren für das Handlungsfeld Schulsozialarbeit vorschreibt. Auf der anderen Seite sind die fachlichen Ansprüche einer fortschrittlich gestalteten Jugendhilfe, die im Rahmen der kommunalen Zuordnung zudem auch Träger sein kann und die den SchulsozialarbeiterInnen Aufgaben zuweist, die kaum oder immer seltener zu realisieren sind, wie sie in dem beschriebenen Ausmaß erwartet werden. Erwartet werden in erster Linie die Kernleistungen, die aus der praktischen Perspektive und aus fachlicher Sicht von der Schulsozialarbeit zu leisten sind und die schulformbezogen verwirklicht werden sollen (vgl. Speck 2007, 60f ): ➤ Beratung und Begleitung einzelner SchülerInnen, ➤ Sozialpädagogische Gruppenarbeit, ➤ Offene Gesprächs-, Kontakt- und Freizeitangebote, ➤ Mitwirkung an Projekten und in Schulgremien, ➤ Zusammenarbeit mit dem Schulkollegium und der Elternschaft, ➤ Kooperation und Vernetzung mit dem Gemeinwesen. Bei diesen Kernleistungen handelt es sich der Tendenz nach um eine nahezu optimale Zusammenschau. Allerdings unterliegen sie häufigen Kooperationsstörungen, sind nicht selten hinsichtlich ihrer konzeptionellen Ausgestaltung trägerabhängig und leiden oft unter zu geringer und kontinuierlicher Stellenbesetzung. Zugleich muss sich Schulsozialarbeit neuen Herausforderungen stellen, wie es die schulbezogene Sozialarbeit in modernen Ganztagsschulen und Bildungslandschaften erfordert. Damit wird offensichtlich, wie wenig kompatibel die traditionellen Handlungserwartungen bezüglich der Akteure der Schulsozialarbeit einerseits mit denjenigen Erwartungshaltungen andererseits sind, die ihr sowohl von den Trägern, den Schulen wie auch der Jugendhilfe zugewiesen werden. Eine Zuspitzung erfährt dieses Dilemma durch die immer noch beobachtbaren Schwierigkeiten bei der Gestaltung schulsozialarbeiterischer Tätigkeiten, die je nach Schulform variieren. Gelistet werden kann jedoch allgemein und zusammenfassend, was auch nach 40-jähriger Erfahrung mit Schulsozialarbeit oft noch zutrifft: ➤ Schulsozialarbeit als ein Handlungsfeld der Jugendhilfe ist an den meisten Schulen mit unterschiedlicher Ausstattung vertreten (fehlende oder mangelhaft gestaltete Kooperationsverträge zwischen Trägern und Schulen sowie defizitäre Investitionen behindern u. a. die Gleichstellung pädagogischer Arbeit). ➤ Die unbefriedigende personelle und materielle Ausgestaltung, die „Trägerlandschaft” und die konzeptionellen Grundlagen der Schulsozialarbeit gleichen einem „Flickenteppich” (fehlende Steuerungsmaßnahmen, kaum vorhandene planungsbezogene Handlungsgrundlagen und geringe Kooperationsbezüge zwischen den Beteiligten verantworten Koordinierungsdefizite). ➤ Der Aufgabenbereich der Schulsozialarbeit ist den meisten Lehrkräften unbekannt (viele, oft junge Lehrkräfte können aufgrund ihrer fachbezogenen und didaktisch orientierten Ausbildung kaum etwas mit sozialpädagogischen Methoden verbinden). ➤ Schulsozialarbeit wird überwiegend als Entlastungsfunktion des Unterrichts und Schulbetriebs angesehen (schulische Aufgabenübernahmen verdrängen sozialpädagogische Intentionen). 462 uj 11+12 | 2012 Jugendhilfe und Ganztagsschule ➤ Fachliche und auf den Einzelfall bezogene Hilfen i. R. der „Hilfeplanung” sind in der Abstimmung zwischen dem Kommunalen Sozialdienst (KSD/ ASD) und der Schulsozialarbeit vor Ort oft störanfällig (ein gesondertes Problem ist der personenbezogene Datenschutz). ➤ Die Kooperation zwischen Sozial- und Schulpädagogik auf „gleicher Augenhöhe” findet nur in seltenen Fällen statt (maßgeblich für den Bekanntheitsgrad und die Akzeptanz sozialpädagogischer Arbeitsweisen ist die zeitliche Anbindung an eine bestimmte Schulform). Die Probleme auf der Struktur- und Handlungsebene gehen ineinander über und bedingen sich gegenseitig. Mit Blick auf die Aufgabenstellungen der Schulsozialarbeit in neuen Schulformen - hier insbesondere der favorisierten gebundenen Ganztagsschule - wird deutlich, dass die bestehenden Kooperationsformen in struktureller Hinsicht oft unbefriedigend sind, eine geforderte „pädagogische Kooperationskultur auf gleicher Augenhöhe” kaum zulassen, handlungsbezogen im pädagogischen Feld die Zusammenarbeit „auf gleicher Wellenlänge” oft vermissen lassen. Finanzpolitische und schulgesetzliche Halbherzigkeiten, kooperationshemmende Verwaltungszuständigkeiten und steuerungs-/ bzw. planungstechnische Defizite sind - immer noch - für die unbefriedigende perspektivische Realisierung moderner Bildungsoptionen verantwortlich (vgl. hz. Mack 2008, 741f ). Eine sich ihrer Professionalität bewusste Jugendhilfe wird sich dieser Realität stellen, nicht zuletzt im Bewusstsein dessen, dass im Handlungsfeld Schule zugunsten der SchülerInnen die beteiligten Protagonisten kooperieren müssen, weil „eine Kooperation über Personen und nicht über Institutionen getragen wird und Gelingensbedingungen für eine tragfähige Kooperation auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind” (Speck/ Olk/ Stimpel 2011, 73). Schulsozialarbeit im kommunalen Netzwerk von Jugendhilfe und Schule - ein Beispiel aus den Niederlanden Soziale Arbeit in der Vielfalt ihrer Handlungsfelder ist nicht denkbar ohne institutionelle und soziale Bezüge; Jugendhilfe in ihrer modernen sozialräumlichen Ausprägung kann mit Blick auf die Lebenswelten von Familien, Kindern und Jugendlichen auf der Grundlage ihrer normativen, gesetzlichen Optionen nicht handeln. Eine schulbezogene Sozialarbeit hat zwischen den bedeutenden Erziehungsfeldern Schule und Jugendhilfe eine verbindende Funktion; ohne gestaltete Netzwerkbeziehungen kann sie ihre vielfältigen Aufgaben nicht wahrnehmen. Beachtenswert ist auf der anderen Seite das Bedauern um den Begriff „Vernetzung”, der im Rahmen der Schulsozialarbeit nicht nur „eine erhebliche Inflation” (Gerstner 2012, 64) erlebt, mehr noch: der im Rahmen des Konstrukts der geforderten sozialräumlichen Vernetzung mittlerweile einem „Mythos” unterliegt (vgl. ebd.). Gleichwohl ist zu konstatieren, dass im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Schule, besonders mit Blick auf die„Öffnung der Schule” in den Sozialraum, beide Systeme auf gelingende Beziehungen zu vielzähligen Einrichtungen, Institutionen und Organisationen angewiesen sind (vgl. hz. Henschel u. a. 2008). Das folgende Beispiel einer auslandspädagogischen Studie geht davon aus, dass die Kooperationsbezüge zwischen den Akteuren im Rahmen der Jugendhilfe und den beteiligten Schulen auf kommunaler Ebene struktureller Voraussetzungen bedürfen, wenn das gemeinsame Handeln als Prozess verstanden wird, bedarfsgerechte pädagogische Angebote zu entwickeln, die einer professionellen Dienstleistung entsprechen (vgl. Nieslony 2008, 219f ). Dieses Verständnis liegt auch dem 12. Kinder- und Jugendbericht (vgl. BMFSFJ 2005, 38f ) zugrunde, der sich darüber die Verwirklichung 463 uj 11+12 | 2012 Jugendhilfe und Ganztagsschule einer „interinstitutionellen ,Kooperation auf Augenhöhe‘” (ebd., 413) verspricht, um mittels „einer verbindlichen, dauerhaften, gleichberechtigten, vertrauensvollen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit” (ebd., 420) zu „inter-institutionellen Synergieeffekten” (ebd., 473) zu gelangen. Hinsichtlich der geforderten „Kooperationskulturen” (vgl. Speck/ Olk/ Stimpel 2011, 76f ) geht es hier nicht um eine unkritische Adaption niederländischer Verhältnisse. Es liegen jedoch mittlerweile ausländische Erfahrungen vor, „die bisher für die Diskussion in Deutschland … nicht aufbereitet” wurden. Von daher „besteht doch ein Anreiz solcher Vergleiche in der erhellenden Einsicht, dass Dinge auch anders gedacht und gemacht werden können” (Spies/ Pötter 2011, 170f ). Die gesamte niederländische Soziale Arbeit wie auch die schulbezogene Sozialarbeit (Schoolmaatschappelijkwerk: Schulsozialarbeit) systematisch darzustellen, ist außerordentlich schwierig. Bei unseren westlichen Nachbarn existiert ein anderes Ordnungs- und Trägersystem als in Deutschland (vgl. hz. Nieslony 1997, 19f ). Soziale Arbeit in den Niederlanden wird überwiegend in freier und kirchlicher Trägerschaft realisiert. Der Staat verhält sich weitestgehend abstinent gegenüber der Praxis, subventioniert aber viele Handlungsfelder. Das folgende Beispiel will zeigen, dass eine Verzahnung der Systeme Jugendhilfe und Schule im kommunalen Netzwerk zugleich eine Basis für viele schul- und sozialpädagogische Förder- und Hilfeangebote sein kann. Diese strukturelle Beziehung ist eine wesentliche Voraussetzung zur Förderung und Integration sozial- und bildungsbenachteiligter Kinder. Es ist also interessant, die Frage zu verfolgen, welche systembezogenen Kooperationen zur Integration förderungsbedürftiger Kinder verhelfen. Verdeutlicht wird diese Beziehungsstruktur durch die vom niederländischen Bildungsexperten Jef van Kuyk entworfene „Pyramiden- Methode”, die als 4-stufiges Fördersystem von dem Leitgedanken getragen wird: „Früh anfangen, individuell fördern und über mehrere Jahre dran bleiben”. Bezugssysteme sind - wie er- Abb. 1: Schüler- und Jugendhilfe in kommunaler Kooperation o u o u o u o u o u o u o u Lernund/ oder sozialemotionale Probleme, Erziehungsfragen Interdisziplinäre Kommission für Aufnahmeverfahren Förderschule (Cvl) Jugendhilfebüro (BJZ) Screening/ Anamnese i i i i mdo PCL o u u Hausarzt Jugendhilfebüro (BJZ) Überweisungen Spezialisierte Hilfen Hilfen bei außergewöhnlichen Lernschwierigkeiten und/ oder psychosozialen Problemen Spezielle Hilfen Hilfen bei besonderen Lernschwierigkeiten und/ oder psychosozialen Problemen Basishilfen Hilfe bei fortdauernden Schwierigkeiten und/ oder sozialen/ familiären Problemen Basishilfen Hilfen bei einfachen Lernschwierigkeiten in der Sekundarstufe (voortgezet onderwijs) Psychosoziale Gesundheitsfürsorge Leistungen im Rahmen der regionalen und staatlichen „Welzijns“politik SAMEN WERKING Gesundheitsdienste Spezielle Hilfen - intensive ambulante Hilfen - Tagesheime/ Betreutes Wohnen - stationäre Angebote - Kinderpflegedienst Ambulante Hilfen - Soziale Arbeit/ Jugendhilfe - erzieherische Hilfen Lokale Jugend- und Beratungsstellen - Soziale Arbeit freier Träger - Erziehungsberatungshilfen - Jugendpflege/ Jugendsozialarbeit Interdisziplinäres Team Förderschule (PCL) Multidisziplinäres Team der Schulen (mdo) Lernund/ oder sozialemotionale Probleme, Erziehungsfragen Schülerhilfe Jugendhilfe Primar-/ Sekundarschulen (Basis-/ Voortgezet Onderwijs) Leev-enlof sociaal-emotioneel problemen; Opvoedingsvragen 464 uj 11+12 | 2012 Jugendhilfe und Ganztagsschule wähnt - Jugendhilfe und Basisschule in einer Kommune. Zur Erläuterung: die Basisschule ist ein mit Schuljahresbeginn 1985/ 86 reformiertes (Vorschulu. Primar-)Schulwesen, das einen integrierten Primarunterricht vorsieht. Die Förderungen und unterstützenden Hilfen auf den einzelnen Hilfeniveaus lassen erkennen, wie die strukturelle Verzahnung zwischen Jugendhilfe und Schule auf kommunaler Ebene (hier: Rotterdam) angelegt ist. Zur Erläuterung des Gesamtsystems: Abbildung 1 rekonstruiert die pyramidenförmig dargestellten Fördersysteme der kooperativ arbeitenden Schulen mit Einrichtungen der niederländischen Jugendhilfe. (Der besseren Lesbarkeit halber wurde hier eine Überarbeitung der Abbildung vorgenommen. Im Original stehen die Basishilfen tatsächlich am unteren Ende der Hilfepyramide. Auf sie bauen die Hilfen der Förderstufen 3 und 4 systematisch auf; s. a. Abb. 2.) Abb. 2: Kooperative Hilfen an niederländischen Basisschulen Basis-, Sekundar- und Sonderschulen Hilfeniveaus Schülerhilfe (Leerlingenzorg) Jugendhilfe (Jeugdzorg) Spezialisierte Hilfen (Förderstufe 4) (Hilfen bei außergewöhnlichen Lernschwierigkeiten und/ oder psychischen Problemen) im Gesundheitswesen. Auf diesem Niveau wird geprüft, ob ein Sonderschulaufnahmeverfahren eingeleitet werden muss. Eine eigens eingerichtete Kommission prüft auf der Grundlage des Schülerorientierten Gutachtens auch eine mögliche Finanzierung begleitender Hilfen, wie z. B. spezieller Hilfeprogramme. Einen Antrag auf sonderpädagogische Förderung können nur die Eltern stellen. Sie haben die Möglichkeit, zwischen Grund- und Sonderschule zu entscheiden. Mit der Hilfefinanzierung können sie eine adäquate Förderung für ihr Kind an einer Schule vereinbaren. Gesamt: Förderung in der Schule durch ambulante Begleitung von SonderpädagogInnen, die von den Sonderschulen zur Verfügung gestellt werden im Rahmen eines gesetzlich verpflichteten Integrationsprojekts für förderbedürftige SchülerInnen. Einrichtungen des ambulanten, teil- und stationären Hilfesystems (Hilfen bei schweren psychosozialen Problemen) Auf diesem Hilfeniveau wird i. d. R. zu anderen Einrichtungen verwiesen. Hierunter fallen auch teilstationäre und stationäre Hilfen Spezielle Hilfen (Förderstufe 3) (Hilfen bei besonderen Lernschwierigkeiten und/ oder psychischen Problemen) Im übertragenen Sinn gibt es hier eine Hilfekonferenz zwischen dem Team der betreffenden Basisschule und dem Team eines Sonderschul-Verbundes (Weer Samen Naar School). Das interdisziplinäre Team der Sonderschulen (PCL) berät die Basisschule hinsichtlich eines möglichen Aufnahmeverfahrens oder außerschulischer Hilfen. Gesamt: Förderung innerhalb der Schule, aber außerhalb der Klassengemeinschaft von Lehrkräften der Schule in Kooperation mit den KlassenlehrerInnen nach einer nochmaligen intensiven Diagnostik durch geeignete/ spezielle LehrerInnen oder den Schulbegleitungsdienst, der Förderprogramme für FörderlehrerInnen zusammenstellt. Einrichtungen des ambulanten Hilfesystems (Beratende und unterstützende Hilfen für Kinder, Jugendliche und deren Familien) Hier sind die zahlreichen Jugendhilfe-Büros (ambulante Hilfen der freien Träger) gefragt, die auch Angebote in familiärer und Erziehungsberatung bereitstellen. In besonderen Screening-Verfahren wird der Hilfebedarf festgestellt und geprüft, ob die Einrichtungen selbst Hilfe leisten können oder zu anderen überwiesen wird. ➝ 465 uj 11+12 | 2012 Jugendhilfe und Ganztagsschule Auf unterschiedlichen Niveaus (Förderstufe 1 bis 4) werden die Hilfeangebote der Schulen (Schülerhilfe) und der lokalen/ regionalen Sozialarbeit (Jugendhilfe) realisiert. Die Hilfeersuchen und -aktivitäten gehen von den jeweiligen Schulen aus und beziehen - nach Bedarf - das außerschulische Netzwerk über die schulbezogene Sozialarbeit mit ein. Die Schul- und Sozialverwaltungen (stadsregion) sorgen beispielsweise dafür, dass alle Schulen für den Basisunterricht, den weiterführenden Unterricht sowie die regionalen Ausbildungszentren mit Schulsozialarbeit versorgt werden. Die örtliche „Jugendhilfe-Servicestelle” (stedelijk servicepunt) ist darauf eingerichtet, zusammen mit anderen Hilfeeinrichtungen Schulsozialarbeit anzubieten. Die „Servicestelle” berät sowohl hinsichtlich der Qualität der schulbezogenen Arbeit als auch der Organisation wie der - schulbezogenen - Fachlichkeit des Personals. Es gibt zahlreiche indikationsorientierte, organisatorische und verwaltungsmäßige Abstimmungen, die zwischen den einzelnen Einrichtungen und den Schulen erforderlich sind. Hervorzuheben ist, dass schulbezogene und außerschulische Probleme immer interdisziplinär angegangen werden. Der praktische Anspruch der niederländischen Schulsozialarbeit stellt dabei den Schüler bzw. die Schülerin und die Elternhäuser zentral in den Hilfeprozess. Bedeutungsvoll ist dieser Anspruch im Umgang mit Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher nationaler Herkunft. Die Niederlande haben - gegenüber Deutschland - eine vergleichbar hohe Migrantenquote, praktizieren jedoch einen anderen Umgang mit Heterogenität und Differenz. Der Effekt des anderen Umgangs mit sogenannten „Migrantenkindern” ist beispielsweise, dass insgesamt nur ca. zwei Prozent aller SchülerInnen sich in Sonderschulen befinden (in großen Städten gibt es Schulen mit über 80 Prozent„allochtone” SchülerInnen, die nicht-niederländischer Herkunft sind; sogenannte „Schwarze Schulen”). Schulsozialarbeit hat hier eine wesentliche Integrationsfunktion zu erfüllen. Basis-, Sekundar- und Sonderschulen Hilfeniveaus Schülerhilfe (Leerlingenzorg) Jugendhilfe (Jeugdzorg) Basishilfen + (Förderstufe 2) (Hilfen bei fortdauernden Lernschwierigkeiten und/ oder sozialen bzw. emotionalen Problemen) Bei gesteigerter Problemstellung wird ein multidisziplinäres Team in der Schule eingesetzt. Dem gehören an: 1 SchulsozialarbeiterIn, 1 Pflegekraft oder 1 Kinderarzt/ -ärztin, 1 Lehrkraft und evtl. Fachkräfte von außerhalb der Schule. Gesamt: Förderung durch zusätzliche (Hilfs-)LehrerInnen, stundenweise in der Klassengemeinschaft Einrichtungen der lokalen Jugend- und Gesundheitssorge (Welzijnszorg) (Hilfen bei erzieherischen Angelegenheiten und bei der Entwicklung sozialer Kompetenzen) Auf diesen unteren Förder- und Hilfeniveaus werden von der Jugendhilfe in erster Linie lokale und ambulante Einrichtungen der allgemeinen Sozialarbeit und Jugendhilfe in Anspruch genommen. Basishilfen (Förderstufe 1) (Hilfen bei einfachen Lern-Schwierigkeiten und bei der Entwicklung sozialer Kompetenzen) Hierzu sind an vielen Basisschulen spezielle Programme erarbeitet worden, die entsprechende Fördermöglichkeiten vorsehen. Für z. B. die Eltern sind interne Ansprechpartner (Lehrerinnen/ SozialarbeiterInnen) anwesend. Die Beratungssituation steht im Vordergrund der Arbeit der PädagogInnen. Hierdurch sollen Lehrer und Eltern befähigt werden, den/ die SchülerIn weiter zu fördern. Gesamt: Förderung durch KlassenlehrerInnen im Gesamt-Unterricht durch Binnendifferenzierung; für zusätzliche Diagnosen steht ein Team zur Verfügung. Quelle: Eigene Bearbeitung nach J. v. Kuyk, Hilversum 2000, in: Bosdriesz/ Kenkel 2006 ➝ 466 uj 11+12 | 2012 Jugendhilfe und Ganztagsschule Schulsozialarbeit gibt es an vielen Schulformen des niederländischen Bildungswesens (vgl. Feder 2004; Schreck 2006). Für die sozialpädagogische Arbeit an den Basisschulen gelten bestimmte Voraussetzungen. Diese sind von der nationalen Berufsvereinigung der SozialarbeiterInnen (NVMW 2006) festgelegt und in einem Berufskodex festgeschrieben. Sie lauten folgendermaßen: ➤ Schulsozialarbeit muss von einer (staatlich) anerkannten Institution der Sozialarbeit angeboten und ausgeführt werden - die Trägeranerkennung. ➤ Die Schulsozialarbeit hat gegenüber der Schule eine unabhängige Position - ist also nicht weisungsgebunden. ➤ In der Schulkonzeption müssen die Aufgaben für die Schulsozialarbeit definiert sein. Die Schule garantiert hier die materiellen Ressourcen für die sozialpädagogische Arbeit. ➤ Die Aufgaben müssen vertraglich festgelegt werden. Die Kooperationsvereinbarungen müssen ausdrücklich eine Transparenz der Arbeit bei Beachtung der unterschiedlichen Professionen garantieren. ➤ Alle Informationen werden vertraulich behandelt, der Datenschutz wird gewährleistet, wie es u. a. im Berufscode der SozialarbeiterInnen (Beroepsgeheim) festgelegt ist (vgl. NVMW 2006). Obwohl die Niederlande und die BRD hinsichtlich ihres ökonomischen und technischen Entwicklungsniveaus, ihrer kulturellen Werte und politischen Interessenlagen sowie ihres sozialen Hintergrundes durchaus vergleichbar sind, können historisch gewachsene Strukturbildungen des niederländischen Sozialbereiches (Welzijn: staatliche Wohlseins-/ Sozialpolitik) nicht per se übertragen werden. Es wäre aber zu fragen, ob nicht in Bezug zu den eingangs erwähnten schulreformerischen Bemühungen in deutschen Landen die funktionale Trennung zwischen Jugendhilfe und Schule zugunsten ähnlicher strukturbezogener Varianten ernsthafter geprüft und diskutiert werden sollte. Mit Blick auf deutsche sozialpädagogische Dienstleistungszentren in den Kommunen lässt die Einbeziehung sozialräumlich orientierter Schulen bis hin zur Gestaltung kommunaler Bildungslandschaften immerhin Ähnlichkeiten in der Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule erkennen. Betont werden sollte jedoch, dass es die strukturell verankerten Kooperationen sind, die zur Schaffung pädagogischer Prozesse eine elementare Voraussetzung darstellen. Wie in den Niederlanden müssten ähnliche Überlegungen auch von der Erkenntnis bestimmt sein, dass die Einrichtung einer neuen Organisation von Lebens- und Lernräumen unter Einschließung der „Schule der Zukunft” (Bildungskommission NRW 1995) ohne systematische Integration der modernen Jugendhilfe kaum gelingen kann. Schlussbemerkung Ein Wandel des Verhältnisses zwischen Schule und Jugendhilfe hat sich in den schuladministrativen Orientierungen zugunsten einer Breitenwirkung und Akzeptanz der Schulsozialarbeit nur zögerlich durchgesetzt. Lange Zeit war eine wünschenswerte Entsprechung in den Schulgesetzen einzelner Bundesländer hinsichtlich der Verpflichtung zur Kooperation mit der Jugendhilfe nur gering ausgeprägt (vgl. Hollenstein/ Nieslony 2012, 14f ). Wissenschaftliche Begleitungen vieler Landesprogramme zu Wirkungen und Effizienz der Schulsozialarbeit, die forschungsbasierenden Einrichtungen zahlreicher Modellprojekte sowie die Vorgaben der Landesjugendämter zur Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Schule zeigten erst später Wirkungen auf regionale und kommunale Kooperationsverflechtungen (vgl. hz. Speck 2007, 19f ). Deutlich wird damit eine Veränderung in den Beziehungsstrukturen zwischen Schule und Jugendhilfe; 467 uj 11+12 | 2012 Jugendhilfe und Ganztagsschule eine „Kooperationskultur” entsteht, die aber in einer verpflichtenden Ausgestaltung der länderbezogenen Schulgesetze ihre Entsprechung nur vereinzelt findet (Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Thüringen; vgl. Hartnuß/ Maykus 2004, 578f ). Vor dem Hintergrund dieser schuladministrativen Wahrnehmung ist es nahezu verständlich, dass die Kooperation der Akteure (Lehrerschaft - SchulsozialarbeiterInnen) über lange Zeit defizitär ausgeprägt war und auf der Basis einiger Untersuchungen zumindest differenziert betrachtet werden muss. „Von besonderer Bedeutung sind hier inkompatible, teilweise sich wechselseitig ausschließende Deutungen der Klientel, ihrer Bedürfnisse und der damit verbundenen pädagogischen Herausforderung, wie sie seit Mitte der 1980er Jahre beispielsweise für das Verhältnis von Lehrer(inne)n und Sozialpädagog(inn)en in der Debatte um Jugendhilfe und Schule herausgearbeitet wurden” (Kolbe/ Reh 2008, 803). Wahrnehmbare Veränderungen in der Kooperationskultur ziehen aber nicht zwangsläufig eine befriedigende Zusammenarbeit„auf gleicher Augenhöhe” nach sich, interkulturelle Beispiele sind nicht übertragbar, weil sie oft einer anderen pädagogischen Grundhaltung folgen. Dieses begrifflich-inflationäre Verständnis von Kooperation lässt außer Acht, dass Schule und Jugendhilfe - selbst vor dem Hintergrund einer beobachtbaren Annäherung - nur singuläre Ziele gemeinsam verfolgen, ihre Strukturprämissen (u. a. Aufträge, Erwartungen, Ziele), Zuständigkeiten und Verwaltungsabläufe nur wenig Gemeinsamkeiten aufzeigen. Das Handlungswissen in der Schulsozialarbeit erfordert daher nicht nur wissenschaftliches Wissen, sondern auch Organisationswissen, nämlich die Kenntnis darüber, welchen Handlungslogiken Institutionen folgen. Eine Kooperation auf dieser Ebene kann nur über Regelverbindlichkeiten erfolgen. Entgegen vielfacher Annäherungen zwischen Lehrerschaft und SchulsozialarbeiterInnen in den unterschiedlichen Schulformen gehören 2. überarb. Aufl. 2009. 187 S. 14 Tab. UTB-S (978-3-8252-2929-0) kt Grundlagenwissen kompakt Die Schulsozialarbeit hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen - nicht nur die PISA-Debatte und der Ausbau der Ganztagsschulen haben dazu geführt. Was aber macht Schulsozialarbeit aus? Welche Ansätze haben sich in der Praxis bewährt? Welche Schlüsselkompetenzen sind für das Arbeitsfeld unerlässlich? Karsten Speck klärt über zentrale Begriffe auf, skizziert den Rahmen für das Arbeitsfeld - von rechtlichen Fragen über Finanzierung, Träger, Handlungsprinzipien und Wirkungen der Schulsozialarbeit bis hin zu notwenigen Standards und Fragen der Qualitätsentwicklung. a www.reinhardt-verlag.de 468 uj 11+12 | 2012 Jugendhilfe und Ganztagsschule Literatur Bettmer, F./ Maykus, S./ Hartnuß, B./ Prüß, F., 2002: „Die Angst vor dem Gesichtsverlust…” - sind Funktionsüberschneidungen das Problem? In: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit, 33. 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Zu fragen wäre allerdings hier, ob eine professionell gestaltete Schulsozialarbeit im Rahmen einer sich offensiv verstehenden Jugendhilfe in bittstellender Erwartung darauf angewiesen ist, auf gleiche Augenhöhe quasi „emporgehoben” werden zu müssen. Viel eher kommt es auf dieser Kooperationsebene darauf an, dass „Funktionsüberschneidungen und -differenzen … positiv gewendet werden” (Bettmer u. a. 2002, 39), nämlich derart, „bei Lehrern und Sozialpädagogen Klarheit über bestehende Unterschiede herzustellen, Aufgaben und Zuständigkeiten beider Professionen voneinander abzugrenzen sowie Bereiche und Felder gemeinsamen Wirkens zu beschreiben. Eine entsprechende Kommunikation, ihre Verstetigung und Sicherung verlangen nach Strukturen, die in der Organisation von Schule ihren festen Platz finden müssen” (ebd.). Vor dem Hintergrund der Erkenntnis unterschiedlicher Organisationsabläufe und bei Wahrung der Akzeptanz der verschiedenen Professionen ist die Implementation struktureller Verbindlichkeiten die elementare Voraussetzung dafür, dass gelingende Kooperationen zwischen den beteiligten Akteuren in der Schule im pädagogischen Prozess zu einer „gleichen Wellenlänge” erst führen. Dr. Frank Nieslony Evangelische Hochschule Darmstadt Zweifalltorweg 12 64293 Darmstadt nieslony@eh-darmstadt.de 469 uj 11+12 | 2012 Jugendhilfe und Ganztagsschule Hartnuß, B./ Maykus, S., 2004: Handbuch Kooperation von Jugendhilfe und Schule. Berlin Henschel, A./ Krüger, R./ Schmitt, C./ Stange, W. (Hrsg.), 2008: Jugendhilfe und Schule. Handbuch für eine gelingende Kooperation. Wiesbaden Hollenstein, E./ Nieslony, F. (Hrsg.), 2012: Handlungsfeld Schulsozialarbeit. Profession und Qualität. Baltmannsweiler (Manuskr.) Hollenstein, E./ Nieslony, F., 2012: Profession Schulsozialarbeit: Entwicklung und Standort. In: dies. 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