eJournals unsere jugend 64/2

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2012.art07d
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Qualitätsentwicklung und Evaluation in Kindertagesstätten - Herausforderungen und Chancen der Arbeit mit Kindern

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2012
Björn Schneider
Interview mit Björn Schneider Die Frage nach der bestmöglichen Förderung von Kindern und damit die Frage nach gezielter Qualitätsentwicklung und -sicherung ist so alt wie der Kindergarten selbst.
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72 unsere jugend, 64. Jg., S. 72 - 78 (2012) DOI 10.2378/ uj2012.art07d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Qualitätsentwicklung und Evaluation in Kindertagesstätten - Herausforderungen und Chancen der Arbeit mit Kindern Interview mit Björn Schneider Die Frage nach der bestmöglichen Förderung von Kindern und damit die Frage nach gezielter Qualitätsentwicklung und -sicherung ist so alt wie der Kindergarten selbst. von Björn Schneider Jg. 1978; Diplom-Pädagoge, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Berliner Kita-Instituts für Qualitätsentwicklung ? Warum überhaupt Qualitätsentwicklung in Kindertagesstätten und wie kam es zu dieser Entwicklung? Schon Friedrich Fröbel dürfte 1840 bei der Eröffnung des weltweit ersten Kindergartens mit seinen KollegInnen darüber diskutiert haben, welchen pädagogischen Auftrag die Kita hat, an welchem „Bild vom Kind“ man sich orientieren wird und auf welchem gemeinsamen Bildungsverständnis die Arbeit aufbauen soll. Die Reflexion und kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit ist also erst mal nichts Neues, auch wenn das Bildungsverständnis weniger ein Bildungs-, sondern eher ein Erziehungs-, Betreuungs- und Pflegeverständnis war, das sich an einem kirchlich-christlichen Weltbild orientierte. Was sich allerdings in den letzten 10 bis 15 Jahren deutlich verändert hat, sind Fragen der Zuständigkeit und des methodischen Zugangs. Für die Beantwortung der Qualitätsfrage, also der Frage nach der bestmöglichen Förderung von Kindern, waren und sind traditionell der Träger der Einrichtung und die pädagogischen Fachkräfte vor Ort zuständig. Eltern und in einigen Fällen auch die Kinder wurden erst im Kontext der Reformpädagogik als AnsprechpartnerInnen entdeckt. Was eine gute pädagogische Qualität genau umfasst, war damit bis in die späten 90er-Jahre eher Auslegungs- und Aushandlungssache zwischen den verschiedenen Akteuren im Arbeitsfeld Kita. Eine erste nennenswerte Irritation in der Qualitätsdebatte ergab sich durch eine bundesweite Untersuchung zur Qualität von Kitas durch Tietze und andere, der nach einer langen Periode der Kindergartenreform(en) zur Jahrtausendwende feststellte, dass deutsche Kitas im internationalen Vergleich nur „im Bereich gehobener Mittelmäßigkeit“ einzuordnen waren und dass es zudem große qualitative Unterschiede zwischen den einzelnen untersuchten Kitas gab. So zeigten sich aufgrund der pädago- 73 uj 2 | 2012 Kinder erziehen und bilden gischen Qualität des besuchten Kindergartens Entwicklungsunterschiede bei den Kindern, die im Extremfall einen Altersunterschied von einem Jahr ausmachten. Die Frage nach dem, was eine Kita heute leisten muss, war damit neu gestellt und mündete bei Tietze in die fachpolitische Forderung nach einem Kita-Gütesiegel für alle deutschen Kitas. 1999 initiierte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die „Nationale Qualitätsinitiative im System der Tageseinrichtungen für Kinder“ (NQI), an der sich nahezu alle Bundesländer und die großen Trägerorganisationen beteiligten. Vier Forschungsteams erarbeiteten in den Folgejahren gemeinsam mit VertreterInnen aus der Praxis und den Trägerbereichen Qualitätskriterien für die pädagogische Arbeit und auch für die Arbeit der Kita- Träger. Die Qualitätskriterien wurden Grundlage für Verfahren und Methoden der internen und externen Evaluation. Ein weiterer ganz wesentlicher Impuls in Richtung systematischer Qualitätsfeststellung und -sicherung ging dann im Dezember 2001 von der Veröffentlichung der ersten Ergebnisse der OECD PISA-Studie aus. Der renommierte Bildungsforscher Wassilios E. Fthenakis bezeichnete die Ergebnisse seinerzeit als „nationalen Bildungsschock“, die in ihrer vielseitigen Deutung einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs auslösten, der bis heute nachhallt. Alle 16 Bundesländer haben in der Folge Bildungspläne bzw. Empfehlungen für die Qualität der Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen erarbeitet und zur mehr oder minder verbindlichen Grundlage für alle Träger erklärt. Im Zusammenhang mit einem zusätzlich festgestellten Geburtenrückgang, insbesondere bei akademisch gebildeten Eltern, wurde auch die Bundesregierung aktiv und entschied sich dafür, die vorschulische Bildung zum bildungspolitischen Schwerpunkt zu machen. Reformempfehlungen wie die des Arbeitsstabs „Forum Bildung“ und der „Jugendministerkonferenz“ wurden erarbeitet und in neuen Gesetzen verankert. Im Dezember 2004 trat das Gesetz zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Kindertagesbetreuung für Kinder (Tagesbetreuungsausbaugesetz) in Kraft. Es fasst den § 22 des SGB VIII neu und verpflichtet die öffentliche Jugendhilfe dazu, die „Qualität der Förderung“ über geeignete Maßnahmen wie den Einsatz pädagogischer Konzeptionen und geeigneter Verfahren und Instrumente zur Evaluation der Arbeit in Tageseinrichtungen für Kinder sicherzustellen. Der Bund betont, dass die individuelle und gesellschaftliche Bedeutung der frühkindlichen Bildungsprozesse zu groß ist, um ihre Förderung alleine vom Engagement einzelner Personen oder Träger abhängig zu machen. Seitdem sind die einzelnen Bundesländer in der Verantwortung, bei der Qualität in der Bildung, Erziehung und Betreuung nicht mehr alleine auf den guten Willen und die Kompetenz der Träger zu vertrauen, sondern mit allen Beteiligten die Weiterentwicklung der Arbeit in den Kitas voranzubringen und sicherzustellen. Ein klarer Paradigmenwechsel! ? Können Sie wesentliche Eckpunkte der Qualitätsprüfung und -entwicklung benennen? Für einen gelungenen Qualitätsentwicklungsprozess braucht es auf der Beziehungsebene (Prozessqualität) gegenseitigen Respekt, Vertrauen und Wertschätzung für die bereits geleistete Arbeit zwischen allen Beteiligten. Ohne eine solche „sichere Basis“ kippt die Kommunikation schnell in ein Ringen um die Definitionshoheit (wer hat recht! ? ), in ein Kräftemessen (wer ist der Stärkere! ? ) oder wird zur Verweigerung (so nicht! ). Menschen, die das Gefühl haben, da kommt jemand, der sie kontrollieren möchte, reagieren zu Recht oft mit Skepsis oder bekommen es mit der Angst zu tun - werde ich die „Prüfung“ bestehen? Es ist klar, dass Qualitätsentwicklung in einer demokratischen Gesellschaft so ad absurdum geführt würde. Die Pädagogik ist an dieser Stelle glücklicherweise 74 uj 2 | 2012 Kinder erziehen und bilden heute hellwach und stellt sich lieber auf einen konstruktiv-kritischen Austausch auf Augenhöhe ein, wohl wissend, dass nur so Vorurteile, marode pädagogische Strukturen und Haltungen reflektiert und abgebaut werden können. Zudem sollte für jede/ n deutlich sein, dass wir es innerhalb der Kitalandschaft in aller Regel mit sehr engagierten und kompetenten pädagogischen Fachfrauen und Fachmännern zu tun haben, die nicht durch die Politik und auch nicht durch die Forschung bevormundet werden müssen. So führen die ErzieherInnen zum Beispiel die Liste der fortbildungsfreudigsten Berufsgruppen an, ganz ohne auf Boni-Zahlungen hoffen zu dürfen. Wertschätzung ist damit der zentrale Eckpunkt für eine Qualitätseinschätzung, die auf dem Glauben (man könnte auch sagen, auf einer ressourcenorientierten Haltung) aufbaut, dass ErzieherInnen eine hohe Eigenmotivation für ihre Arbeit mitbringen und die von den Kindern vorgelebte Lust, sich immer wieder auf Neues einzulassen, mit den Kindern teilen. Dafür müssen auch Vorurteile wie das von der „Basteltante“ innerhalb der Gesellschaft und aufseiten mancher BildungsforscherInnen angesprochen und abgebaut werden, denn die Art, wie die Qualitätsdebatte zu Beginn geführt wurde, war eine der höchsten Hürden, die es für einen fachorientierten Qualitätsentwicklungsprozess zu überwinden galt. Wer einen Kita-TÜV fordert, ist meiner Meinung nach misstrauisch, sehnt sich nach einer durchgreifenden Autorität und kränkt damit die bereits wertvolle Arbeit leistenden Fachkräfte in den Kitas. Entwicklung im sozialen Bereich funktioniert meines Erachtens nur über gemeinsames, strukturiertes, planmäßiges und zielorientiertes Nachdenken und Handeln. Die größeren Barrieren für eine gute Qualität in den Kitas sehe ich auf der Ebene der Strukturqualität (finanzielle und materielle Ressourcen). Die aktuellen Bedingungen, unter denen die PädagogInnen, Eltern und Kinder heute in vielen Kitas zusammenkommen, sind oft nach wie vor prekär, und es ist angemessen, darüber nachzudenken, ob die durch die Politik bestimmten strukturellen Bedingungen für eine sich am Alter, Entwicklungsstand, an den sprachlichen Fähigkeiten, an der Lebenssituation sowie an den Interessen und Bedürfnissen eines jeden Kindes orientierte Frühpädagogik richtig bemessen sind (siehe §22 SGBVIII). So ignoriert die große Mehrheit der deutschen Bundesländer international verifizierte Empfehlungen zur Erzieher-Kind-Relation. Im Jahr 2010 haben Viernickel und Schwarz in einer Expertise zur Erzieher-Kind-Relation die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Kindertagesstätten aller Bundesländer verglichen und gravierende Unterschiede festgestellt. Rechnerisch bereinigt ergab sich eine durchschnittliche Erzieher-Kind-Relation, die von 1 : 10,4 (Bayern) bis 1 : 20,3 (Brandenburg) reichte. Dieses Beispiel zeigt deutlich, wie relativ das Konstrukt „Qualität in der Kita“ tatsächlich in seiner Form ist, denn während man sich fachlich insgesamt recht einig darüber ist, was eine gute Qualität ist, herrscht politisch große Uneinigkeit in der Frage darüber, was eine gute Qualität braucht, und daher sind Eckpunkte einer Qualitätseinschätzung ohne den Einbezug der jeweils landesspezifischen Rahmenbedingungen eigentlich kaum zu machen. Die notwendige Debatte für einen bundesweit einheitlichen Personalschlüssel stellt sich gegenwärtig aber eher als Scharmützel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden dar, in dem es nicht immer nur um das Wohl des Kindes geht. ? Warum gibt es eine Zertifizierung? Träger, Kita-Teams und Eltern, die sich ein Zertifikat über die Qualität ihrer Kita wünschen, möchten sich sicher sein, dass ihre Kita bestimmten Anforderungen entspricht. Oft werden mit dem Wunsch nach Zertifizierung auch Verfahren in Verbindung gebracht, die gleichzeitig auch ein Bewertungssystem, ähnlich wie bei Schulnoten, anbieten. Wer möchte sein Kind nicht gerne in einer 5-Sterne-Kita wissen? 75 uj 2 | 2012 Kinder erziehen und bilden Schneidet eine Kita also gut ab, ist das immer schmeichelhaft und kann sogar bewirken, dass ein engagiertes Team weiter an Selbstbewusstsein gewinnt. Inwieweit ein weniger gutes Ergebnis Motivation für Verbesserungen auslöst, ist aber sehr fraglich und wird daher von vielen Fachleuten, Trägern und Kitas kritisch gesehen. Schnell gerät die Kita in einen Rechtfertigungsdruck und zweifelt die Ergebnisse grundsätzlich an. In diesem Fall wäre der Qualitätsentwicklungsprozesses in der Kita in Gefahr. In Berlin ist es so, dass alle Kindertageseinrichtungen in einem fünfjährigen Turnus extern evaluiert werden müssen. Für diese Evaluationen stehen verschiedene vom Land Berlin anerkannte Anbieter für externe Evaluationen zur Verfügung, die alle eine durchgeführte Evaluation bescheinigen, aber nur zum Teil zusätzlich eine Zertifizierung anbieten. Für die Vereinbarungspartner der Berliner „Qualitätsvereinbarung Kindertagesstätten“ (QVTAG), zu der die zuständige Senatsverwaltung, die Kita-Verbände und die Berliner Eigenbetriebe gehören, war und ist die Orientierung am Berliner Bildungsprogramm (BBP) und die Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Angeboten zentral. So ist zum Beispiel gewährleistet, dass alle anerkannten Anbieter für externe Evaluation die verschiedenen im BBP beschriebenen Aufgabenbereiche der ErzieherInnen berücksichtigen, die Eltern miteinbezogen werden und die eingesetzten EvaluatorInnen qualifizierte Fachkräfte aus dem Kitabereich sind. Es kommt also letzten Endes vielmehr auf den Inhalt als auf das Etikett an. Ein Zertifikat ist damit eher eine relative Größe, deren Aussagekraft gerne überschätzt wird. Man denke da nur an die große Palette von Bio-Produkten in den Supermärkten. Was heißt da eigentlich Bio? ! ? Welche Fragen entstehen, wenn Kindertagesstätten ihre Qualität überprüfen und sich zertifizieren lassen wollen? Die wichtigste vorab zu klärende Frage ist, welchem Evaluationsverständnis sich der Träger und die Kita am nächsten fühlen. Zwei methodische Zugänge prägen das Feld und sind als Mischform interessanterweise kaum vorhanden. Sie lassen sich unterscheiden in die Gruppe der qualitativen Verfahren und die Gruppe der quantitativen Verfahren. Die erste Gruppe steht in der Tradition des Kronenberger Kreises und des Situationsansatzes (Qualität im Situationsansatz QuaSi) und bietet als Verfahren einen qualitativen Zugang zum Thema an. Hier wird die Frage nach einer„guten Qualität“ im Dialog mit allen Beteiligten („bottom up“) gemeinsam beantwortet. Pädagogische Zielvorstellungen und Merkmale werden kommuniziert und sind eingebettet in konkrete Fragen an die Praxis, die sich an der frühpädagogischen Forschung, einem humanistischen Menschenbild und an einem teilhabegewährenden Demokratieverständnis orientieren. Die Analyse und Reflexion der konkreten Situation einer Kita unter Einbezug ihrer individuellen Rahmen- und Arbeitsbedingungen wird zum Ausgangspunkt (Ist-Zustand), auf dessen Basis dann Ziele für die weitere Arbeit (Soll-Zustand) formuliert werden und in die Planung eines gemeinsam gestalteten Qualitätsentwicklungsprozesses eingehen. Die zweite Gruppe setzt sich zusammen aus Verfahren mit einem quantitativen Zugang. Ziel dieser Verfahren ist insbesondere die Feststellung und Sicherung einer pädagogischen Qualität; die Aussagen hierzu basieren auf empirischen Untersuchungen zur frühkindlichen Erziehung und Bildung sowie international anerkannten Standards und Expertisen von ForscherInnen und Bildungsorganisationen. Diese Verfahren definieren „top-down“-Merkmale einer hohen pädagogischen Qualität, bilden hierzu Skalen zu hoher und niedriger Qualität und realisieren hierdurch auch - durchaus gewollt - die Vergleichbarkeit verschiedener Einrichtungen miteinander. In Deutschland hat sich hier unter anderem die „Kindergarteneinschätzskala (KES-R)“ bewährt, die auf der „Early Childhood Environment Rating Scale (ECERS)“ von Harms und Clifford aufbaut. 76 uj 2 | 2012 Kinder erziehen und bilden Beide methodischen Zugänge orientieren sich also an einem gut begründeten theoretischen Rahmen, der sich aus der frühpädagogischen Forschung ableitet, und beide Verfahrensarten haben über Fragen zur Prozess- und Strukturqualität die gesamte Einrichtung im Blick. Große Unterschiede gibt es aber in der Verarbeitung von Informationen. Während bei quantitativen Verfahren nur Informationen einbezogen werden, die über die Kriterien und Items des Evaluationsinstruments berücksichtigt sind (im Sinne von „vorhanden“/ „nicht vorhanden“), erlauben qualitative Verfahren bewusst den Einbezug aller Informationen, die aus Sicht der Expertise des Evaluierenden in Bezug auf die Kita-Qualität von Bedeutung sind. Die Qualität wird hier auch auf Basis theoretischer Grundannahmen bewertet, muss aber zusätzlich anhand konkreter Beispiele beschrieben und begründet werden, was ein besonders hohes Maß an fachlicher Qualifikation bei der evaluierenden Person voraussetzt. Beide Zugänge bieten somit besondere Vorzüge, die jeder Träger, am besten mit seinem Kita-Team gemeinsam, gegeneinander abwägt. ? Welche Erfolge und welche Kritik gibt es bezüglich der Qualität von Kindertagesstätten? Wie in der Evaluationspraxis üblich, möchte ich zuerst einmal benennen, was in der Vergangenheit alles gut gelaufen ist, und da ich die Prozesse in Berlin besser kenne als die in anderen Bundesländern, möchte ich hier gerne auf die Berliner Situation eingehen. In Berlin sind alle Träger dazu verpflichtet, sicherzustellen, dass sich jede Kita zum einen regelmäßig „intern evaluiert“, also selbst evaluiert, und zum anderen durch einen unabhängigen Dritten extern evaluieren lässt. Seit drei Jahren wird die interne wie externe Evaluation in Berlin vom Berliner Kita-Institut für Qualitätsentwicklung (BeKi) wissenschaftlich begleitet. Die Ergebnisse aller bisher durchgeführten Untersuchungen zeigen deutlich, dass die Träger und Kitas den Evaluationsprozess sehr ernst nehmen, die Reflexion der eigenen Praxis zu zahlreichen Veränderungen in den Kitas führt, die Akzeptanz und das Vertrauen in die eigene Arbeit zunimmt und dass der in Berlin eingeschlagene Weg zur flächendeckenden Evaluation große Zustimmung innerhalb des gesamten Arbeitsfeldes genießt. Möglich wurde dies durch die große Offenheit in den Gesprächen zwischen den Verbänden, Trägern und der Berliner Senatsverwaltung. Als erstes und nach wie vor alleiniges Bundesland verfügt Berlin über eine gemeinsame Rahmenvereinbarung, in der Bedingungen, Ziele und Maßnahmen enthalten sind und die Eckpunkte des berlinweiten Qualitätsentwicklungsprozesses verbindlich macht. So ein gemeinsames Vorgehen schafft Vertrauen, Klarheit in der Sache und die Basis für eine selbstkritische Betrachtung. Kritisch sehe ich die Haltung einer kleinen Gruppe von Trägern und Kitas, die sich nach wie vor aus dem Qualitätsentwicklungsprozess herausnimmt und entweder in einem mitunter überheblichen Selbstverständnis verweilt, eh schon die bestmögliche Qualität anzubieten, oder eisern daran festhält, dass die einst gelernten Prinzipien und Handlungsanforderungen zeitlos sind und keiner weiteren Überarbeitung bedürfen. Diese Haltung entspricht nicht meinem Verständnis von Professionalität, kann aber auch nicht durch ein Gütesiegel oder Kita- Ranking behoben werden. Hier sind aus meiner Sicht vor allem die eigenen KollegInnen, die Eltern und im Extremfall die Kitaaufsicht gefordert, nachzuhaken, zu hinterfragen und gegebenenfalls zu handeln. Denn eins ist klar, eine Qualitätsentwicklung ohne Akzeptanz und aktive Beteiligung derjenigen, die für den Alltag in einer Kita verantwortlich sind, kann es nicht geben. Qualität gibt es nicht auf Rezept. ? Wie wird reagiert, wenn die Qualitätsprüfung nicht ganz so gut ausfällt und Nachbesserungsbedarf für eine Zertifizierung besteht? Jede externe Evaluation in Berlin endet mit einem Evaluationsbericht, in dem die kitaeigenen Qualitätsmerkmale beschrieben sind. Je- 77 uj 2 | 2012 Kinder erziehen und bilden der Bericht enthält Informationen darüber, was ein Kita-Team bereits leistet. Der Bericht bezieht sich dabei generell auf die Aufgabenbereiche der ErzieherInnen, wie sie im Berliner Bildungsprogramm beschrieben sind. Neben den Ausführungen zu den Dingen, die einem Kita-Team bereits gut gelingen, enthält jeder Evaluationsbericht konstruktiv-kritische Hinweise dazu, welche Anforderungen des Berliner Bildungsprogramms anders gestaltet werden könnten. Dabei handelt es sich um möglichst passgenaue Empfehlungen und Anregungen, die von Verfahren zu Verfahren und von Kita zu Kita unterschiedlich ausfallen können, aber immer aus der Intention heraus formuliert sind, den Träger und die Kita in ihrer Arbeit zu unterstützen. In diesem Verständnis wird es keine perfekte Kita geben, aber auch keine, die alles falsch macht. Wird bei einer Kita eine weniger hohe pädagogische Qualität festgestellt, ist es wichtig, dass das evaluierende Unternehmen dem Träger wie auch dem betroffenen Kita-Team genau erläutert und begründet, welche Gründe das eher schlechte Abschneiden hat. Die Kommunikation sollte dabei insbesondere durch eine Haltung von Wertschätzung, Akzeptanz und Empathie gegenüber den Kolleginnen und Kollegen gekennzeichnet sein, wie sie Carl Rogers in seiner nicht direktiven Beratung schon 1972 beschrieben hat. Das Selbstverständnis einer Evaluatorin bzw. eines Evaluators geht damit viel deutlicher in das Bild des Coaches, Beraters oder Anwalts und viel weniger in das des Kontrolleurs, Richters oder Sachbearbeiters. Der Ruf nach Sanktionen oder besonderen Auflagen steht für mich konträr zum Berliner Evaluationsverständnis, denn das damit verbundene Signal wäre wenig zugewandt, sondern eher konfrontativ. ? Können Sie typische Beispiele beschreiben, bei denen Qualitätsprüfung dazu geführt hat, dass für die Kinder eine konkrete Verbesserung eintreten konnte? Aus meiner Praxis als Fortbildner und Multiplikator für die interne Evaluation zum Berliner Bildungsprogramm fallen mir eine Menge Dinge ein, die ich gemeinsam mit verschiedenen Kita-Teams erarbeitet und verabredet habe und wo mir im Nachhinein die Umsetzung der vereinbarten Ziele rückgemeldet wurde. Im Zusammenhang mit dem Evaluationsthema Beobachtung und Dokumentation biete ich unter anderem Fortbildungen zu den Lern- und Bildungsgeschichten an. Für viele KollegInnen wird dann richtig deutlich, was es überhaupt praktisch heißt, einen individualisierten und ressourcenorientierten Ansatz zu vertreten, für andere ist es eine Bestätigung ihrer täglichen Arbeit, wobei es natürlich ebenfalls qualitätssichernd ist, wenn die eigene gute Arbeit auch von anderen gesehen und zurückgemeldet wird. Aus Sicht meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter des BeKi kann ich zudem berichten, dass die von uns durchgeführten Untersuchungen zum Verlauf und zur Durchführung dieses positive Bild von Evaluation sehr bekräftigen. Die interne wie auch die externe Evaluation wird vonseiten der Träger und der Kitas als sehr nützlich und sinnvoll für die eigene pädagogische Arbeit erachtet. Kitas planen und bewältigen Maßnahmen bzw. Vereinbarungen, die sie sich selbst zu den verschiedenen pädagogischen Kernthemen in der Kita stellen. Durch die Evaluationen werden die im Berliner Bildungsprogramm dargestellten Aufgabenbereiche der pädagogischen Fachkräfte einrichtungsbezogen in regelmäßigen Abständen bearbeitet, reflektiert und führen zu zahlreichen Veränderungen im Alltag der Kitas mit positiven Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder, die Arbeit mit den Eltern und die Zusammenarbeit im Team. Für viele Kitas ist die Evaluation der Auftakt dafür, sich mit einem noch nicht so vertrauten Aufgabenbereich (z. B. Gestaltung des Übergangs von der Kita in die Grundschule) auseinanderzusetzen und neue Dinge zu erproben bzw. Altes aufzugeben. Die Veränderungen reichen dabei vom Aufhängen 78 uj 2 | 2012 Kinder erziehen und bilden selbst gemalter Bilder auf Augenhöhe der Kinder bis hin zur völligen Umstrukturierung der Raumaufteilung und der Betreuungsstrukturen, wenn sich eine Kita z. B. entschließt, von der klassischen Gruppenarbeit auf ein halboffenes Betreuungskonzept mit Stammgruppen zu wechseln. Insgesamt habe ich auch den Eindruck, dass insbesondere die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Eltern in den Kitas ernster genommen wird und die Teams zunehmend bereit sind, sich mit den Eltern konstruktiv und professionell auseinanderzusetzen - was viel mit einer gelungenen Eingewöhnung der Kinder und der Beobachtung und Dokumentation von individuellen Bildungsprozessen bei den Kindern zu tun hat. Die ErzieherInnen zeigen sich fachlich sicherer und argumentieren auf Basis ihrer pädagogischen Expertise. Daran anschließend zeigen sich eine zunehmende Wertschätzung und Respekt vor der Herkunft der Kinder, eine Förderung von Mehrsprachigkeit und eine insgesamt gezieltere Sprachförderung im Alltag der Kita. ? Wo besteht aus Ihrer Sicht noch weiterer Qualitätsentwicklungsbedarf? Die Ergebnisse unserer Untersuchungen im BeKi zeigen, dass der Aufgabenbereich Projektarbeit in vielen Kitas noch als Entwicklungsfeld gilt. Zwar werden in aller Regel Ausflüge unternommen und Feste gefeiert, doch leider bleibt dabei häufig die Vorbereitung und Planung von Projekten mit den Kindern auf Basis der Interessen und Ideen der Kinder auf der Strecke. Das „forschende Lernen“ der Mädchen und Jungen wird oft nur wenig unterstützt, und so bleibt es meist bei einem Angebot, das auf alte Kita-Traditionen (Fasching, Weihnachten, Ostern) zurückgreift. Ich vermute, dass die hohen Anforderungen an das pädagogische Handeln in der offenen Projektarbeit, das auf den Fragen der Kinder aufbauen sollte, sowie personelle Engpässe in vielen Kitas die Arbeit in diese Richtung erschweren. Weiterer Qualitätsentwicklungsbedarf wird in der„Genderfrage“ deutlich. Hatte man früher ein eher stereotypes Bild von Jungen und Mädchen, zeigt sich nun häufig eine Tendenz zur Vereinheitlichung. So geht es mehr und mehr nur noch um „die Kinder“. Eine Pädagogik, die geschlechtersensibel auf die individuellen Interessen von Mädchen und Jungen eingeht, wurde zumindest in den vom BeKi analysierten Kita-Konzeptionen selten beschrieben. Qualitätsentwicklungsbedarfe sehe ich aber nicht nur auf der Seite der Erzieherinnen und Erzieher. Ich wünsche mir von der Gesellschaft insgesamt mehr Zugeständnisse in der Bemessung der den Kita-Teams zur Verfügung gestellten Zeit, um sich über die eigene Arbeit zu verständigen, neue Ideen zu entwickeln und gemeinsame Projekte mit den Kindern vor- und nachbereiten zu können. In erster Linie sind hier die Träger und Eltern gefragt, den Erzieherinnen und Erziehern diese „Freiräume“ zu ermöglichen bzw. zu gewähren. Zu Recht gewachsene Ansprüche an die Fachkräfte sind nicht vereinbar mit Beschwerden von Eltern über geschlossene Kitatüren an einzelnen Tagen im Jahr, um über den eigenen pädagogischen Anspruch nachzudenken und Neues zu erproben. Es braucht insgesamt eine Grundhaltung, die wir für die Kleinsten längst einfordern. Experimentieren ist gewünscht, Fehler machen ist erlaubt, zusammen geht vieles leichter! ? Vielen Dank für das Gespräch! Das Interview führte: Gabriele Bindel-Kögel Interviewpartner: Björn Schneider Blickpunkt-Kind U. G. Stephanstraße 53 10559 Berlin schneider@blickpunkt-kind.de