unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Konfliktbearbeitung in interkulturellen Kontexten: Standards und notwendige Rahmenbedingungen
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Das Praxiswissen zu Konflikten in interkulturellen Kontexten zusammenzutragen und zu bewerten, war Ziel des Praxisforschungsprojektes "Konfliktbearbeitung in interkulturellen Kontexten in Jugendhilfe und Schule" (KIK), das im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von November 2005 bis Oktober 2008 durchgeführt wurde, und zwar von drei sozialwissenschaftlichen Instituten gemeinsam: Camino - Werkstatt für Fortbildung, Praxisbegleitung und Forschung im sozialen Bereich gGmbH in Berlin -, Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz e.V. (ism) und Institut des Rauhen Hauses für Soziale Praxis gGmbH (isp) in Hamburg. Ein Ergebnis des Praxisforschungsprojektes war die Entwicklung von Qualitätsstandards, die Eckpunkte für eine qualifizierte Konfliktbearbeitung in interkulturellen Kontexten in Einrichtungen der Jugendhilfe und in der Schule darstellen (sollten). Diese werden im Folgenden kurz dargestellt.
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130 uj 3 | 2012 Konfliktbearbeitung in interkulturellen Kontexten Standards und notwendige Rahmenbedingungen Das Praxiswissen zu Konflikten in interkulturellen Kontexten zusammenzutragen und zu bewerten, war Ziel des Praxisforschungsprojektes „Konfliktbearbeitung in interkulturellen Kontexten in Jugendhilfe und Schule“ (KIK), das im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von November 2005 bis Oktober 2008 durchgeführt wurde, und zwar von drei sozialwissenschaftlichen Instituten gemeinsam: Camino - Werkstatt für Fortbildung, Praxisbegleitung und Forschung im sozialen Bereich gGmbH in Berlin -, Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz e.V. (ism) und Institut des Rauhen Hauses für Soziale Praxis gGmbH (isp) in Hamburg. Ein Ergebnis des Praxisforschungsprojektes war die Entwicklung von Qualitätsstandards, die Eckpunkte für eine qualifizierte Konfliktbearbeitung in interkulturellen Kontexten in Einrichtungen der Jugendhilfe und in der Schule darstellen (sollten). Diese werden im Folgenden kurz dargestellt. Ein verbindliches Leitbild und ein pädagogisches Konzept liegen vor und werden regelmäßig überprüft und weiterentwickelt Einrichtungen, die regelmäßig mit Konflikten in interkulturellen Kontexten konfrontiert sind, benötigen dafür ein Leitbild im Sinne von Grundlagen und Zielen und ein konkretes pädagogisches Konzept, wie interkulturelle Konflikte definiert werden und wie in welcher Situation interveniert werden kann bzw. sollte. Leitbild und pädagogisches Konzept sollten sich an den nachfolgenden Handlungsgrundsätzen orientieren: ➤ Grundlage der Auseinandersetzung sind der vorgegebene gesetzliche Rahmen, also das Grundgesetz, und somit ethische Grundprinzipien, wie Menschenwürde, Menschenrechte, Gleichberechtigung, die nicht verhandelbar sind. ➤ Gleichzeitig gilt es, die Konflikten innewohnenden Chancen zu nutzen; Konflikte bieten Potenziale für Veränderungen, die auch positiv sein können. ➤ Bei der Konfliktbearbeitung werden sowohl interkulturelle als auch soziale Dimensionen berücksichtigt, und geschlechtsspezifische Aspekte werden reflektiert. Konfliktbearbeitung in interkulturellen Kontexten wird als Aushandlungsprozess verstanden, der sich im Rahmen eindeutiger Grenzen vollzieht Zum einen bedeutet das, dass eine wichtige Voraussetzung für gelingende Konfliktbearbeitung darin besteht, dass die Einrichtungen einen klaren Rahmen zur Konfliktbearbeitung bieten, der Regeln enthält und das Vorgehen bei Regelverstößen klärt. Damit werden eindeutige Grenzen gesetzt, die das Handeln erleichtern. 131 uj 3 | 2012 Interkulturelle Kompetenz Gleichzeitig geht es aber auch darum zu akzeptieren, dass es sich bei der Konfliktbearbeitung um einen Aushandlungsprozess handelt, und das bedeutet auch die Anerkennung beider/ aller Konfliktparteien mit ihren berechtigten Ansprüchen (auf Präsenz, Teilhabe, ethnische oder kulturelle Besonderheiten etc.). Diese Gratwanderung gilt es zu bestehen! Die MitarbeiterInnen verfügen über interkulturelle Kompetenz und eine der Aufgabe angemessene Haltung Für die Konfliktbearbeitung in interkulturellen Kontexten müssen qualifizierte MitarbeiterInnen vorhanden sein, die ihre Arbeit mit Interesse, Empathie und Kompetenz wahrnehmen. Kompetenz meint hier nicht nur Wissen über nationale oder religiöse Fakten, sondern Kommunikationsfähigkeit, die Fähigkeit, kulturelle Konstrukte entschlüsseln zu können oder entsprechende Legitimationsmuster zu erkennen. Dazu gehört auch, Vielfalt nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung wahrzunehmen. Damit dies gelingen kann, ist die fortlaufende Qualifizierung des gesamten Personals - Professionelle und Ehrenamtliche - Voraussetzung. Die Teams sind multiethnisch und multiprofessionell zusammengesetzt Die Teams sind multiethnisch und multiprofessionell zusammengesetzt und können die damit verbundenen zusätzlichen Ressourcen bei der Konfliktbearbeitung in interkulturellen Kontexten nutzen. Dieser Standard wurde vor dem Hintergrund entwickelt, dass das Personal von Einrichtungen, die in interkulturellen Kontexten arbeiten, bisher noch überwiegend aus MitarbeiterInnen deutscher Herkunft besteht. Hier ist anzustreben, den Anteil von Professionellen mit Migrationshintergrund offensiv zu erhöhen. Zwar bedeutet ein Migrationshintergrund nicht per se ein Qualitätsmerkmal in Bezug auf interkulturelle Arbeit. Aber mit dem Vorhandensein von multiethnischen Teams werden neue Wege des Umgangs mit Konflikten in interkulturellen Kontexten eröffnet: Ein solches Team kann eher unterschiedliche Perspektiven auf das Konfliktgeschehen einnehmen und neue Ansätze der Konfliktlösung oder eine andere Rollenverteilung bei der Konfliktbearbeitung entwickeln als ein sehr einheitlich zusammengesetztes. Netzwerkarbeit unterstützt die Konfliktbearbeitung in interkulturellen Kontexten Über die Zusammenarbeit von ausgebildeten Fachkräften und Ehrenamtlichen hinaus muss die Arbeit in interkulturellen Kontexten in Netzwerke eingebunden sein. In Konflikten ist es immer wieder wichtig, Vertrauenspersonen aus verschiedenen migrantischen Communities bei Konflikten hinzuziehen zu können. Es gibt Situationen, in denen ein/ e deutsche/ r SozialarbeiterIn mehr erreichen kann, wenn er/ sie auf Netzwerke zurückgreifen kann, die andere Zugänge in die Communities haben. Partizipation und Mitgestaltung der Konfliktbearbeitung in interkulturellen Kontexten wird Kindern und Jugendlichen ermöglicht und praktiziert Regeln werden eher akzeptiert, wenn man sie mitgestalten kann. Deshalb gilt es, Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, die Formen der Konfliktbearbeitung aktiv mitzugestalten. Das kann z. B. die gemeinsame Vereinbarung von Verhaltensregeln umfassen, die für den Umgang miteinander gelten. Ein Teil der Regeln kann mit den Jugendlichen zusammen entwickelt werden, andere müssen (allerdings) gesetzt werden. 132 uj 3 | 2012 Interkulturelle Kompetenz Für die Konfliktbearbeitung in interkulturellen Kontexten sind angemessene Rahmenbedingungen vorhanden Das ist in der Praxis nicht immer das Fall. Es gilt jedoch, dies einzufordern und zu betonen, dass die genannten Standards und förderlichen Bedingungen - also die kontinuierliche Qualifizierung von MitarbeiterInnen, ein sinnvoller Personalschlüssel und damit genügend Zeit für Konfliktarbeitungsprozesse, die Arbeit an Vernetzung und Kooperation mit anderen Einrichtungen - nicht zum Nulltarif zur Verfügung stehen. Einrichtungen im Feld der Arbeit in interkulturellen Kontexten benötigen eine materielle Basis als Grundlage für ihre Arbeit! Die ausführliche Fassung der Qualitätsstandards ist zu finden in KiK-Notiz Nr. 9: Konfliktbearbeitung in interkulturellen Kontexten: Grundsätze - Standards - Strategien, zu beziehen unter www.kik-projekt.de. Vorschau auf die kommende Ausgabe Erzwungene Ehen: Zwangsheiraten und Ehrenmorde Zwangsverheiratungen in Deutschland - Analyse von Beratungsfällen „Aktiv gegen Zwangsheirat“ - Empfehlungen und Erfahrungen aus einem EU-Projekt „Ehrenmorde“ in Deutschland - Ergebnisse einer Studie
