eJournals unsere jugend 64/4

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2012.art15d
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„Aktiv gegen Zwangsheirat“ Ergebnisse, Empfehlungen und Erfahrungen aus einem EU-Projekt der Sozialbehörde in Hamburg

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Martina Felz
Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die Projektziele, Verfahrensweisen und Ergebnisse aus dem von der Hamburger Sozialbehörde in den Jahren 2007 bis 2009 in Kooperation mit der Johann Daniel Lawaetz-Stiftung in Hamburg durchgeführten internationalen Projekt "Aktiv gegen Zwangsheirat", gefördert aus dem EU-Programm Daphne.
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155 unsere jugend, 64. Jg., S. 155 - 165 (2012) DOI 10.2378/ uj2012.art15d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Martina Felz Jg. 1960; Juristin, Referentin und stellvertretende Referatsleiterin für die Themenschwerpunkte Häusliche/ familiäre Gewalt im Migrationskontext sowie Zwangsheiraten beim Amt für Arbeit und Integration Hamburg „Aktiv gegen Zwangsheirat“ Ergebnisse, Empfehlungen und Erfahrungen aus einem EU-Projekt der Sozialbehörde in Hamburg Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die Projektziele, Verfahrensweisen und Ergebnisse aus dem von der Hamburger Sozialbehörde in den Jahren 2007 bis 2009 in Kooperation mit der Johann Daniel Lawaetz- Stiftung in Hamburg durchgeführten internationalen Projekt „Aktiv gegen Zwangsheirat“, gefördert aus dem EU-Programm Daphne. Die aktuelle Diskussion um Zwangsheiraten in Deutschland - aber auch europaweit - und um wirksame Strategien zu ihrer Bekämpfung sowie die Notwendigkeit der Bereitstellung von Hilfe- und Unterstützungsangeboten für die Betroffenen stellt viele Politikbereiche vor unterschiedliche Herausforderungen. Welche das sein könnten, damit beschäftigte sich das Projekt „Aktiv gegen Zwangsheirat“; die Ergebnisse werden in diesem Beitrag dargestellt. Einleitung Zwangsheiraten stellen schwere Verletzungen der Menschenrechte dar, die gegen internationales und nationales Recht aller europäischen Staaten verstoßen. Durch eine Zwangsheirat wird das Recht der Betroffenen auf selbstbestimmte Heirat, persönliche Freiheit, Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit verletzt. Zwangsheiraten sind zudem als eine spezielle Form von familiärer Gewalt und meist auch sexualisierter Gewalt zu sehen. Sie lassen sich nicht auf bestimmte religiöse Traditionen zurückführen, sondern kommen in unterschiedlichen sozialen, ethnischen und kulturellen Kontexten überall auf der Welt vor. Von dieser Menschenrechtsverletzung sind in den meisten Ländern überwiegend junge Frauen mit Migrationshintergrund betroffen. Das belegen auch die aktuellen Erkenntnisse der Bundesstudie zu Zwangsverheiratung in Deutschland (Mirbach u. a. 2011; vgl. auch den Beitrag von Triebl/ Mirbach in diesem Heft): Danach besteht die überwiegende Mehrheit der von Zwangsheirat Betroffenen/ Bedrohten zu 156 uj 4 | 2012 Erzwungene Ehen 94,8 % aus Frauen, auf Männer entfällt ein Anteil von 5,2 %. Aufgeschlüsselt nach der Altersstruktur bilden die 18bis 21-Jährigen den Hauptanteil der Betroffenen/ Bedrohten bei den Frauen sowie Männern (Mirbach u. a. 2011, 69f ). Das Programm DAPHNE der Europäischen Kommission Die Europäische Kommission, Generaldirektion Justiz, Freiheit und Sicherheit, implementierte erstmals für den Zeitraum von 2000 bis 2003 ein DAPHNE-Programm. Grundlegende Zielsetzung der DAPHNE-Programmlinie ist es, Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen zu verhüten und Opfer und Risikogruppen zu schützen. Das hier vorgestellte Projekt wurde im Rahmen des DAPHNE-Programms II (2004 - 2008) gefördert. Hintergründe und Zielsetzungen des Projektes „Aktiv gegen Zwangsheirat“ Für die Konzeption des Projektes waren vor allem zwei Gesichtspunkte leitend: Auf der einen Seite ist das Thema „Zwangsheiraten“ in den westeuropäischen Ländern in der Vergangenheit kaum als eigenständige Frage behandelt worden; es wurde zumeist im Kontext von familiärer Gewalt bzw. im weiteren Zusammenhang von „Honour Related Violence“ aufgegriffen. Auf der anderen Seite wurden Ansatzpunkte der Bekämpfung von Zwangsheiraten bislang überwiegend in zielgruppenspezifischen Sensibilisierungsmaßnahmen und in direkten Hilfestellungen für die Opfer gesehen. Vor diesem Hintergrund betonte das Projekt die politische Perspektive: Es befasste sich mit der nach Politikbereichen unterschiedlichen Behandlung des Problems und richtete sich an Entscheidungsträger aus Politik und Verwaltung mit dem Ziel, zur Entwicklung verbesserter Verfahrensweisen für eine erfolgreiche Präventions- und Interventionsarbeit beizutragen. Im Fokus standen die Politikbereiche der Sozial-, Integrations-, Bildungs- und Jugendpolitik. Ausdrücklich beabsichtigt war, eine transnationale Kooperation zu etablieren, bei der staatliche und nichtstaatliche Stellen zusammenarbeiten. Die wesentlichen Ziele des Projektes waren: ➤ Sensibilisierung von Entscheidungsträgern aus Politik und Verwaltung in Hamburg und Europa sowie die Verbesserung der Kenntnisse über das Thema Zwangsheirat, ➤ Auswertung des aktuell vorhandenen Expertenwissens und Austausch von „Best-Practice“-Beispielen als Impulsgeber für eine Weiterentwicklung von Maßnahmen gegen Zwangsheiraten, ➤ Erstellung eines europäischen Leitfadens mit Empfehlungen zur Bekämpfung und Verhinderung von Zwangsheiraten. Internationale Kooperationspartner Zur Erreichung dieser Zielsetzungen haben staatliche und nichtstaatliche Stellen zusammengearbeitet, nachstehende Projektpartner haben mitgewirkt: ➤ Deutschland: Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz, Hamburg ➤ Deutschland: Johann Daniel Lawaetz-Stiftung, Hamburg ➤ Großbritannien: Forced Marriage Unit, Foreign and Commonwealth Office, London ➤ Österreich: Magistratsabteilung 57 - Frauenabteilung der Stadt Wien ➤ Niederlande: Netherlands centre for social development, MOVISIE, Utrecht, in Kooperation mit der VU Universität Amsterdam 157 uj 4 | 2012 Erzwungene Ehen ➤ Türkei: „Women for Women’s Human Rights (WWHR) - NEW WAYS“, Istanbul ➤ Schweden: National Organization for Women’s Shelter (ROKS), Stockholm ➤ Schweiz: „zwangsheirat.ch“, Zug Hinsichtlich des europäischen Mehrwerts ist zu betonen, dass an dem Austausch - neben Organisationen aus fünf EU-Mitgliedstaaten - mit Partnern aus der Türkei und der Schweiz zwei Länder beteiligt waren, die nicht zur EU gehören. Instrumente und Maßnahmen zur Zielerreichung Zentraler Bestandteil des Projektes war die Durchführung von Daphne-Fachkonferenzen zur Thematik Zwangsheirat unter Einbeziehung der Medien vor Ort einschließlich nationaler ExpertInnen aus dem jeweiligen Land des Projektpartners. Hieran nahmen vor allem Entscheidungstragende aus Politik und Verwaltung der Partnerländer teil. Bei jeder Konferenz wurden die spezifischen Hintergründe der Problematik Zwangsheirat innerhalb des jeweiligen Landes sowie die regionalen und nationalen Ansätze zu ihrer Bekämpfung vorgestellt und analysiert (Eine Dokumentation aller Konferenzen findet sich auf der Projektwebsite unter www.hamburg.de/ eu-projekt). Die Konferenzen gliederten sich in zwei Teile: Im ersten Teil wurden die länderspezifischen Eigenheiten bezogen auf die von Zwangsheirat betroffenen Migrationsgruppen sowie die nationalen und regionalen politischen und rechtlichen Ansätze zur Verhinderung von Zwangsheiraten analysiert. Im zweiten Teil wurden länderübergreifende Handlungsansätze zu ihrer Bekämpfung vorgestellt. Die Ergebnisse der Tagungen flossen in den europäischen Leitfaden gegen Zwangsheiraten ein. Zu jeder Daphne-Fachkonferenz wurden die Medien über das Thema „Zwangsheiraten“ sowie über die Inhalte der Konferenzen informiert. Hierdurch konnte eine breite Öffentlichkeit in den Partnerländern für dieses Thema sensibilisiert werden. Nach Abschluss der Konferenzen sind die Akteure der Projektpartner zu intensiven Arbeitssitzungen („Partnermeetings“) zusammengekommen, um unter anderem an den Empfehlungen für den Leitfaden gegen Zwangsheiraten zu arbeiten. Definition von „Zwangsheiraten“ im Projekt Die Definition von Zwangsheirat - das zeigt die vorliegende Literatur ebenso wie die Ergebnisse dieses Projektes - ist durchaus umstritten. Das liegt zum einen an dem Umstand, dass das mit diesem Begriff hervorgehobene Moment des Zwangs - ähnlich wie der korrespondierende Begriff der Gewalt (vgl. Trotha 1997) - selbst wiederum interpretationsbedürftig ist und in verschiedenen kulturellen Kontexten auch unterschiedlich interpretiert wird. Zum anderen sind Zwangsheiraten von anderen Formen der Heiratsanbahnung wie der arrangierten Ehe zu unterscheiden. Insoweit ergeben sich Abgrenzungsschwierigkeiten. Eine eindeutige Differenzierung hängt vielfach von der Perspektive derjenigen ab, die sie vornehmen. Auch in den durchgeführten Konferenzen konnten derartige Differenzen beobachtet werden. Dieses Spektrum unterschiedlicher Einordnungen zeigt sich beispielsweise im Vergleich der Konferenzen in Stockholm, London und Amsterdam. Es verbleibt der Eindruck eines Kontinuums, in dem sehr feine Abstufungen existieren (vgl. Situationsbericht Österreich 2006; vgl. auch Tagungsdokumentation London, 32). Allerdings standen die Projektpartner nicht vor der Notwendigkeit der Erarbeitung einer alle Abstufungen berücksichtigenden Definition - wie es für ein Forschungsprojekt gewiss zwin- 158 uj 4 | 2012 Erzwungene Ehen gend wäre. Für die Entwicklung praxisbezogener Empfehlungen reichte es aus, sich auf eine Kerndefinition zu verständigen. Diese Definition musste einerseits vereinbar sein mit unterschiedlichen, jeweils kontextabhängigen Auslegungen, in denen sich die kulturellen und institutionellen Besonderheiten der beteiligten Länder spiegeln. Andererseits aber musste die Definition zugleich spezifisch genug sein, um einen inhaltlichen Konsens der Partner ausdrücken zu können. Nach intensiven Debatten einigten sich die Projektpartner auf die Formulierung, die auch von der „Forced Marriage Union“, London, benutzt wird: „A marriage conducted without the valid consent of one or both parties where duress (emotional pressure and/ or physical abuse) is a factor.“ „Eine Heirat, die ohne gültiges Einverständnis einer oder beider Parteien geschlossen wird und bei der Gewalt (emotionaler Druck und/ oder körperliche Misshandlung eine Rolle spielt“ (Übersetzung der Verfasserin). Diese Definition legt den Fokus erkennbar auf das Phänomen der Gewalt und trifft keine Vorentscheidung über die ihr zugrunde liegenden Motive. Wissen über Zwangsheiraten in den Partnerländern im Projektzeitraum 2007 bis 2009 ➤ Bei den Betroffenen handelt es sich zumeist um minderjährige Mädchen und junge Frauen. Aber es liegen auch Befunde vor, die zeigen, dass auch Jungen bzw. Männer von Zwangsheirat betroffen sind (z. B. in Großbritannien 15 %). ➤ Die Konsequenzen für die Betroffenen sind immens: Zwangsheiraten gehen häufig einher mit andauernder physischer und psychischer Gewalt gegenüber den Betroffenen. ➤ Sie bedeuten in der Regel auch die Einschränkung der persönlichen Entwicklung, die Verweigerung von Bildung, Berufsausübung und materieller Unabhängigkeit. ➤ Am häufigsten sind die Eltern als Hauptakteure für eine Zwangsheirat verantwortlich. Gewalt wird in der Regel durch die Familien der Betroffenen ausgeübt ➤ In Europa wird jedes Jahr eine große Anzahl Mädchen in den Sommerferien aufgrund einer Heirat von den Schulen genommen Als Motive für eine Zwangsheirat werden insbesondere genannt: ➤ Probleme mit der Erziehung; Kontrolle über unerwünschtes Verhalten/ Sexualität der Kinder, ➤ Verhinderung von unerwünschten Beziehungen der Kinder, ➤ Wunsch und Überzeugung nach ökonomischer Absicherung des eigenen Kindes, ➤ Bewahrung von „Familienehre“ und „Tradition“, ➤ Einhaltung familiärer Verpflichtungen/ Eheversprechen, ➤ Stärkung von Familienbindungen. In den Fokus genommene Handlungsfelder innerhalb der Fachkonferenzen Bei allen Konferenzen standen vor allem nachstehende Fragen im Blickpunkt: ➤ Wie können die Erreichbarkeit der Zielgruppen und die Zugangsmöglichkeiten zu den Unterstützungsangeboten verbessert werden? ➤ Mit welchen Maßnahmen sind die Betroffenen bedarfsgerecht zu schützen, zu unterstützen und zu stärken, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können? 159 uj 4 | 2012 Erzwungene Ehen ➤ Welcher Kooperations- und Vernetzungsstrukturen sowie Verfahrensweisen bedarf es national und international, um schnell und wirksam Zwangsheiraten zu bekämpfen? ➤ Welche Rahmenbedingungen benötigt die erforderliche Zusammenarbeit zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Stellen? ➤ Welche politischen Konzepte einer innovativen Integrations- und Gleichstellungspolitik müssen erarbeitet werden? Erarbeitete Handlungsbedarfe Die Projektpartner erarbeiteten gemeinsam nachstehende Handlungsbedarfe. Verbesserung der Erreichbarkeit der Zielgruppe sowie Ausbau von professionellen Kooperations- und Vernetzungsstrukturen Hierzu gehören eine verbesserte Einbindung der Migrantencommunities, transparente und professionelle Vernetzungsstrukturen, Interkulturelle Kompetenzen als Schlüsselqualifikation innerhalb aller Unterstützungseinrichtungen sowie eine verstärkte Einbindung von Schlüsselpersonen aus den jeweiligen Kulturen als Brückenbauer zwischen Mehrheitsgesellschaft und Migranten. Zwangsheiraten können Menschen aus allen Communities betreffen, und eine effektive Hilfe und Unterstützung setzt die Erreichbarkeit der Zielgruppe und einen niedrigschwelligen Zugang zu Unterstützungsangeboten voraus. Um den Betroffenen auf allen Ebenen wirksam helfen zu können, bedarf es zudem verbindlicher Kooperations- und Vernetzungsstrukturen auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene. Das ist insbesondere notwendig, weil Betroffene mit verschiedenen Problemlagen konfrontiert sind. Entsprechend sind im Einzelfall unterschiedliche Einrichtungen involviert. Diese müssen lückenlos kooperieren, damit niemand durch das Hilfenetz fällt. Das Projekt hat an unterschiedlichen Stellen erhebliche Lücken - insbesondere bezogen auf eine gezielte Netzwerkarbeit - herausgearbeitet. Eine erhebliche Lücke besteht vor allem bei der Zusammenarbeit mit Migrantenverbänden und Schlüsselpersonen aus den jeweiligen Kulturkreisen. Aufgabe staatlicher Stellen ist es, eine koordinierte Vorgehensweise aller an der Intervention im Einzelfall beteiligten Institutionen sicherzustellen. Hierzu müssen ausreichende Ressourcen für den Aufbzw. Ausbau von bestehenden Netzwerken zur Verfügung gestellt werden. Überdies müssen verbindliche Arbeitsstrukturen mit klaren Zielsetzungen unter Beteiligung von nichtstaatlichen Stellen installiert werden. Aber auch die ParlamentarierInnen - insbesondere die Abgeordneten des Europäischen Parlaments - sind gefordert, enger zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass Handlungsmöglichkeiten, Maßnahmen und „good practices“ ausgetauscht werden, um so Anregungen zu erhalten, wie man Gesetze bzw. politische Programme im jeweiligen Land effektiver gestalten kann. Beispiele für eine strukturell und verbindlich verankerte Kooperation auf regionaler Ebene finden sich im Handlungsleitfaden im Best-Practices-Kapitel (www.hamburg.de/ eu-projekt). Ausbau der Auslandsaktivitäten Vor allem im Hinblick auf Auslandsverschleppungen zum Zwecke der Zwangsverheiratung der Betroffenen sind der Aufbau und die Unterhaltung von Kooperationsbeziehungen zu Behörden und Nichtregierungsorganisationen in den Herkunftsländern von entscheidender Be- 160 uj 4 | 2012 Erzwungene Ehen deutung für die Betroffenen, ebenso wie ein gutes und professionelles Netzwerk von Unterstützungsmöglichkeiten vor Ort. Die Konferenz in London hat in beeindruckender Weise gezeigt, dass zielgerichtete Sensibilisierungsmaßnahmen und professionelle Kooperationsstrukturen der konsularischen Auslandsvertretungen notwendig und wirksam sind, wenn Betroffene zum Zwecke der Zwangsverheiratung gegen ihren Willen/ unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in ihre Herkunftsländer verschleppt werden. Liegen entsprechende Kooperationsstrukturen vor, kann den Betroffenen vor Ort schnell und effektiv durch Auslandsvertretungen geholfen werden. Ein wesentliches Instrument der „Forced Marriage Unit“ sind „Rückführungsaktionen“ nach Großbritannien für ins Ausland verschleppte britische StaatsbürgerInnen. Darüber hinaus unterhalten britische Auslandsvertretungen ein engmaschiges Netzwerk mit Unterstützungseinrichtungen vor Ort, um Betroffene in Frauenhäusern oder anderen Schutzeinrichtungen unterzubringen. Insbesondere im Rahmen der Wiener Konferenz wurde über die besondere Problemlage der jungen Menschen diskutiert, die nicht die Staatsbürgerschaft des Landes besitzen, in dem sie aufgewachsen sind. Auslandsvertretungen können zwar eigenen Staatsangehörigen Schutz und Unterstützung vor Ort anbieten. Problematisch ist dagegen die Unterstützung für Betroffene mit der Staatsangehörigkeit ihres Herkunftslandes - sowie in einigen Mitgliedsstaaten auch die Unterstützung von Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit. Allerdings ist in den Diskussionen unter den Partnern deutlich geworden, dass das Thema der Staatsbürgerschaft mit all seinen Implikationen für Fragen der Integration und der Bekämpfung von Zwangsheirat angesichts der Unterschiedlichkeit der Rechtssysteme in den beteiligten Ländern zu komplex ist, als dass es in diesem Projekt hätte behandelt werden können. Ausbau von Empowerment- Angeboten Speziell die Konferenzen in der Türkei und in Schweden haben verdeutlicht, dass entsprechende Angebote zur Selbststärkung der Betroffenen notwendig und obendrein erfolgreich sind. Sie können die Betroffenen derart stärken, dass sie in der Lage sind, ihre Rechte und Lebensentwürfe auf ein selbstbestimmtes Leben wahrzunehmen und umzusetzen. Dem Staat kommt dabei die Rolle zu, entsprechende Angebote und Strukturen zur Verfügung zu stellen und die Betroffenen zur Inanspruchnahme zu aktivieren. Dieses impliziert auch, sie zu ermutigen, entsprechende Bildungsangebote und Einstiegsmaßnahmen in den Erwerbsarbeitsmarkt zu nutzen. Weiterentwicklung zielgruppenspezifischer Beratungskonzepte Von Zwangsheirat betroffene Menschen benötigen Angebote, die es ihnen ermöglichen, in ihrer Sprache über ihre Notlage sprechen zu können, die sie in ihrer eigenen Identität anerkennen, ihr Streben nach Freiheit unterstützen und ihnen mit Sympathie begegnen. Sie brauchen Beratungsangebote, die nicht von ihnen verlangen, ihre kulturelle Zugehörigkeit zu verleugnen. Staatliche Stellen haben die strukturellen Bedingungen sowie eine entsprechende Infrastruktur zu schaffen, die eine effektive Beratung dieser Zielgruppe ermöglichen. Aus diesem Grunde sind bereits bestehende oder neue Beratungskonzepte zielgruppenspezifisch auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Zielgruppe auszurichten. Von entscheidender Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Interkulturalität bzw. interkulturelle Kompetenzen als Schlüsselqualifikation innerhalb aller Unterstützungsleistungen. Hierzu bedarf es der Weiterentwicklung der interkulturellen 161 uj 4 | 2012 Erzwungene Ehen Öffnung der Regelsysteme, also auch der Jugendhilfe, sowie der interkulturellen Qualifizierung der Fachkräfte. Zu einem interkulturellen Beratungsansatz gehört neben der Mehrsprachigkeit vor allem das Wissen über unterschiedliche kulturelle Identitäten und Wertesysteme, Traditionen und religiöse Vorstellungen. Zudem sollte Wissen über die soziale und politische Situation, die Bedeutung von Familie und Geschlechterbeziehungen in den Herkunftsländern der Betroffenen oder ihrer Eltern vorhanden sein. Notwendig sind überdies Kenntnisse der migrationsspezifischen Problemlagen sowie über Entwurzelungs- und Diskriminierungserfahrungen, weil mangelnde soziale Integration und Diskriminierungserfahrungen die Vulnerabilität der Betroffenen verstärken. Anonyme Schutzeinrichtungen Zwar existieren in vielen Ländern Frauenhäuser und andere Schutzeinrichtungen für von Gewalt betroffene Frauen und Mädchen. Diese Einrichtungen bieten grundsätzlich einen sicheren Zufluchtsort. Gerade in Hinblick auf die Zielgruppe der von Zwangsheirat Betroffenen hat das Projekt jedoch gezeigt, dass bestehende Betreuungskonzepte zum Teil unzureichend, weil nicht bedarfsgerecht sind. Die Problemlagen und Unterstützungsbedarfe bei drohender Zwangsheirat unterscheiden sich oft von der Situation der Frauen und Mädchen, die üblicherweise in Schutzeinrichtungen aufgenommen werden: Die betroffenen Frauen sehen ihre Flucht häufig als Ehrverlust für die gesamte Familie und befürchten als Konsequenzen massive Gewalt bis hin zur Tötung. Das bedeutet, dass sich die Betroffenen in einer sehr bedrohlichen Situation befinden, die sie in vielen Fällen zu einem Abbruch aller sozialen Kontakte insbesondere hinsichtlich ihres familiären Umfeldes zwingt. Mit Zwangsheirat konfrontierte Mädchen und junge Frauen benötigen folglich eine interkulturelle Betreuung und Unterbringung, die die mögliche Überforderung durch das plötzliche Fehlen des familiären Umfeldes auffängt. Das Projekt hat gezeigt, dass das Festhalten an starren Altersgrenzen für die Unterbringung in Schutzeinrichtungen (volljährige Frauen in Frauenhäusern sowie Minderjährige in Einrichtungen des Kinderschutzes/ der Jugendhilfe) oftmals sehr problematisch ist, weil die volljährigen jungen Frauen aufgrund ihrer Entwicklungsverzögerungen die Anforderungen an Selbstständigkeit und Eigenständigkeit nicht erfüllen können, die beispielsweise die Frauenhäuser voraussetzen. Diese Zielgruppe benötigt daher eine angepasste Betreuung und Unterbringung, die der möglichen Überforderung durch das plötzliche Fehlen des familiären Umfeldes entgegenkommt. Insofern sollten auch junge Volljährige in Einrichtungen der Jugendhilfe bzw. in spezielle interkulturelle Schutzeinrichtungen aufgenommen werden können. Wie die aktuelle Bundesstudie „Zwangsverheiratung in Deutschland“ (Mirbach 2011, 68ff ) zeigt, sind 41,7 % der mit der Falldokumentation bzw. 47 % der im Zusammenhang mit der Befragung der Beratungsstellen ermittelten Bedrohten bzw. Betroffenen junge Volljährige in der Alterskohorte zwischen 18 und 21 Jahren. Werden junge volljährige Frauen von Zwangsheirat bedroht, wird sich in der Regel feststellen lassen, dass sie der Hilfe zur eigenständigen Lebensführung dringend bedürfen, da ihre Erziehung selten auf das Erreichen von Selbstständigkeit im Sinne einer eigenständigen Lebensführung ausgerichtet gewesen sein dürfte (vgl. BMFSFJ 2008, 19f ). Folglich ist auch aus diesen Gründen die Jugendhilfe gefordert, im Einzelfall konsequent zu prüfen, ob junge Volljährige, die von familiärer Gewalt und Zwangsheirat bedroht sind, entsprechende Unterstützungsleistungen (§ 41 SGB VIII) erhalten können. 162 uj 4 | 2012 Erzwungene Ehen Zudem fehlen spezielle Betreuungsangebote für Jungen und junge Männer. Auch für sie kann der Bruch mit der Familie anstehen und eine schnelle anonyme Unterbringung notwendig sein. Entwicklung von Anschlussperspektiven Frauenhäuser und Kriseneinrichtungen sind in der Regel nicht für längerfristige Unterbringungen konzipiert. Haben sich Betroffene aber entgegen dem Willen der Eltern/ der Familie für ein eigenständiges Leben entschieden, ist meist eine mittelfristige Unterstützung in der Problem- und Alltagsbewältigung sowie bei der Vorbereitung auf eine eigenständige Lebensführung notwendig. Hierfür sollten zielgruppenspezifische Wohnprojekte entwickelt und staatlicherseits mit finanziellen Ressourcen gefördert werden. Herstellung von Handlungssicherheit bei den in den Interventionsprozess involvierten Berufsgruppen Der Handlungsleitfaden unterstreicht die Notwendigkeit, bestimmte Berufsgruppen zu sensibilisieren (beispielsweise LehrerInnen, MitarbeiterInnen der Polizei, MitarbeiterInnen von Einrichtungen des Kinderschutzes, SozialarbeiterInnen, Fachkräfte in Gesundheitsberufen). Damit Fachkräfte, insbesondere auch die der Jugendhilfe, die Gefährdungslage sowie die Risikofaktoren durch drohende Zwangsheiraten wahrnehmen, richtig einschätzen und geeignete Maßnahmen ergreifen können, bedarf es berufsspezifischer Handlungsleitfäden, in denen die Risikofaktoren, mögliche Gefährdungslagen sowie alle möglichen Kooperationspartner im Interventionsprozess beschrieben sind. Die Umsetzung der berufsspezifischen Handlungsleitfäden sollte durch flankierende Schulungen unterstützt werden. Zielgruppenspezifische Aufklärungs- und Sensibilisierungsangebote/ Abbau tradierter Rollenbilder Schulische und außerschulische Bildungsangebote sind ein bedeutendes Handlungsfeld. Schulen und Einrichtungen außerschulischer Bildung stellen einen wichtigen Ort der Bewusstseinsbildung dar. Hier können sowohl Mädchen und Jungen als auch die Eltern mit spezifischen Angeboten zum Abbau patriarchaler Rollenbilder erreicht werden. Es bedarf folglich zielgruppenspezifischer Aufklärung und Sensibilisierung. Dies betrifft Kinder und Jugendliche, pädagogische Fachkräfte, Eltern, aber auch Migrantencommunities, um langfristige Einstellungsänderungen innerhalb der betroffenen Bevölkerungsgruppen zu erreichen. In diesen Zusammenhängen hat die offene Jugendarbeit durch Veröffentlichungen, Informations- und Beratungsangebote eine nicht unerhebliche Bedeutung. Hier können Kinder und Jugendliche - Mädchen und Jungen - zielgruppengerecht angesprochen werden. Dazu gehören neben Informationen auch Selbstbehauptungskursangebote, in denen die Gefahrenabwehr vor familiären Zwangssituationen geübt werden kann. Die Stärkung der eigenen Wahrnehmung, die sich daraus ergebenden Eigenstrategien zur Sicherung der eigenen Bedürfnisse und Interessen und der Selbstschutz können in die Ausbildungsmodule einbezogen werden. Die Empfehlungen des Handlungsleitfadens reichen daher von der Vermittlung des Themas im Unterricht über die Verteilung von Informationsmaterial an Schulen hin zur Qualifizierung des pädagogischen Fachpersonals an Schulen und in der Jugendhilfe. Hervorzuheben sind vor allem jedoch die Empfehlungen, die Maßnahmen für Eltern und zum Abbau tradierter Rollenbilder sowie Selbststärkungsangebote betreffen. 163 uj 4 | 2012 Erzwungene Ehen Kultursensible Arbeit mit Jungen Zwangsheiraten sind Ausdruck ungleicher Geschlechterverhältnisse. Die Verwirklichung von Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern in der Gesellschaft ist eng verbunden mit einem Prozess des Abbaus traditioneller Rollenbilder. Dies betrifft Frauen und Männer sowohl mit als auch ohne Migrationshintergrund. Weiblichkeits- und Männlichkeitsbilder werden im Verlauf des Migrationsprozesses herausgefordert, in Frage gestellt, abgeschwächt, neu gestaltet oder verstärkt. Vor allem für Migrantinnen und Migranten stellt sich die Notwendigkeit, ihre Geschlechterrolle im Aufnahmeland neu zu definieren. Hier muss staatlicherseits eine gendergerechte Bildungsförderung ansetzen. Dabei sollte eine zielgerichtete Gleichstellungspolitik auch Männer als Partner und Adressaten ansprechen. Hierbei gilt es, bereits frühzeitig die Sozialisation von Jungen in den Blick zu nehmen. Dies geschieht bislang noch nicht in ausreichendem Maße, wie das Projekt gezeigt hat. Im Hinblick auf das Handlungsfeld der offenen Kinder- und Jugendarbeit bieten sich Leitlinien zur Jugendsozialisation an, die durch Fachtagungen, Workshops und Weiterbildungsmodule für Fachkräfte zugänglich und umsetzbar gemacht werden. Kultursensible Elternarbeit Am häufigsten sind die Eltern als Hauptakteure für eine Zwangsheirat verantwortlich. Die Motive für die Verheiratung ihrer Töchter und Söhne sind vielfältig. Eine systematische kultursensible Elternarbeit ist aus nachstehenden Gründen von zentraler Bedeutung: Insbesondere die Angst vor dem Identitätsverlust in der Migration, Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen können zu strengeren und behütenderen Erziehungsstilen führen. Teilweise werden Zwangsheiraten von jungen Frauen und auch Männern von deren Eltern als „Disziplinierungsmaßnahmen“ eingesetzt. Durch eine Verheiratung erhoffen sich die Eltern, dass ihre Söhne verantwortungsbewusst und selbstständig werden und sie die Kontrolle über Freiheit und Sexualität der Töchter erlangen können. Sie setzen Zwangsheiraten als Mittel ein, um Verhaltensweisen zu unterdrücken, die in ihren Augen sehr „verwestlicht“ sind (Rauchen, Trinken, sexuelle Promiskuität, Homosexualität). Die zu entwickelnden Maßnahmen sollten den Blick auf die Stärkung der Erziehungskompetenzen, die Partizipation am gesellschaftlichen Leben im Aufnahmeland und die Reduzierung von Fremdheitsgefühlen richten. Insbesondere sollten die Mütter als wichtige Schlüsselpersonen in Erziehungsfragen gestärkt werden, um ihre von Zwangsheirat bedrohten Kinder besser zu schützen. Innovative Integrationspolitik und Gleichstellungspolitik Alle Partner waren sich einig, dass zugewanderte und bereits eingewanderte Frauen und Männer und ihre Familien in das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben der jeweiligen Länder zu integrieren sind. Zwangsheiraten sind allerdings nicht ausschließlich das Problem von nicht oder nicht ausreichend integrierten Migranten und Migrantinnen in den Partnerländern. Sie kommen ebenso innerhalb gut situierter und sozial integrierter Migrantenfamilien vor. Dennoch wird die Thematik Zwangsheirat in der öffentlichen Diskussion vielfach mit ethnisierenden Stereotypen assoziiert. Die Folge sind verzerrte Wahrnehmungen in der Mehrheitsgesellschaft über dieses Phänomen. 164 uj 4 | 2012 Erzwungene Ehen Alle Partner waren sich einig, dass es gilt, einen differenzierten Blick auf die Gesamtproblematik einzunehmen, Migrations- und Integrationsverläufe nicht auszublenden und nicht zu voreiligen Lösungen zu gelangen, die an den Bedarfen der Betroffenen vorbeigehen. Aus diesen Gründen bedarf es auch einer innovativen Integrations- und Gleichstellungspolitik, die insbesondere zum Ziel hat, Impulse zur Veränderung patriarchaler Strukturen und Traditionen/ Verhaltensweisen innerhalb betroffener Migrantencommunities, aber auch innerhalb der Mehrheitsgesellschaft zu geben. Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements Das Projekt richtete sich mit seinen Zielsetzungen ausdrücklich an politische und administrative Entscheidungstragende, um die staatlichen Schutz- und Gewährleistungspflichten und den damit verbundenen Handlungsauftrag deutlich herauszustellen. Dennoch bedarf eine wirksame Bekämpfung von Zwangsheiraten einer professionellen und gut verzahnten Kooperation mit dem zivilgesellschaftlichen Sektor. Diese verlangt - wie in allen anderen Kooperationsstrukturen - eine Sensibilität für kulturelle Unterschiede und - aufgrund unterschiedlicher Perspektiven in Bezug auf die Problematik Zwangsheirat - eine Flexibilität in den Verfahren, um ein effektives Zusammenwirken zwischen den professionell und ehrenamtlich Tätigen zu erreichen. Vor allem die Konferenz in Schweden, einem Land, in dem der zivilgesellschaftliche Sektor über eine ausgeprägte Struktur und lange Tradition verfügt, hat eine beeindruckende Zusammenarbeit zwischen der Nichtregierungsorganisation„Terrafem“ mit anderen staatlichen und nichtstaatlichen Unterstützungssystemen aufgezeigt. Zusammenfassung Primäres Projektziel war die Information und Sensibilisierung von Entscheidungstragenden aus Politik und Verwaltung zur Thematik Zwangsheirat. Diese sollten qualitative und quantitative Informationen über Ausmaß, Praxis und Hintergründe von Zwangsheiraten sowie über bewährte Ansätze ihrer Prävention und Intervention erhalten. Dieses Ziel konnte durch die Austragung von Fachkonferenzen in den Partnerländern unter Beteiligung von nationalen ExpertInnen erreicht werden. Erfolgsfaktoren zur Erreichung der Projektziele waren darüber hinaus die begleitende Medienarbeit im Vorfeld der Konferenzen sowie die am Ende der Fachtagungen stattfindenden Pressekonferenzen, in denen die Ergebnisse der Konferenz vorgestellt und Impulse für die Weiterentwicklung von Handlungsstrategien gegeben wurden. Das Medienecho trug auch dazu bei, dass sich der Bekanntheitsgrad des Projektes und damit einhergehend der Thematik Zwangsheirat erhöhte und folglich auf ein gesteigertes Interesse bei den Entscheidungstragenden stieß. Überdies war die kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit u. a. durch Projektinformationen, Darstellung der Konferenzergebnisse auf den Internetseiten der Projektpartner und der federführenden Behörde ein gutes Instrument, weitere Entscheidungstragende, die nicht an den Konferenzen teilnehmen konnten, zu informieren. An allen Konferenzen waren zudem VertreterInnen aus Wissenschaft und Forschung, von Migrantenorganisationen, aus Beratungs- und Schutzeinrichtungen, der Polizei sowie von Zwangsheirat betroffene Menschen beteiligt. Das führte dazu, dass unterschiedliche Perspektiven in die Konferenzen eingebracht werden könnten, was für die Erarbeitung der Handlungsempfehlungen sehr wertvoll gewesen ist. 165 uj 4 | 2012 Erzwungene Ehen Die Projektpartner haben unterschiedliche Handlungsfelder in den Fokus genommen, wobei sich die nachstehenden Herausforderungen stellen: ➤ Verbesserung der Vernetzungs- und Kooperationsstrukturen auf internationaler, nationaler und lokaler Ebene unter Einbeziehung von Migrantenorganisationen und Schlüsselpersonen aus den unterschiedlichen Migrantencommunities als Brückenbauer in die Hilfesysteme, ➤ Verbesserung der Erreichbarkeit der unterschiedlichen von Zwangsheirat betroffenen Zielgruppen und Communities durch Weiterentwicklung zielgruppenspezifischer Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit, ➤ Weiterentwicklung von zielgruppenspezifischen Beratungs- und Betreuungskonzepten in den Unterstützungseinrichtungen und Schutzhäusern, ➤ Ausbau der internationalen Zusammenarbeit bei Heiratsverschleppung, ➤ berufsspezifische Handlungsleitfäden für unterschiedliche am Interventionsprozess beteiligte Berufsgruppen, ➤ Bereitstellung von Anschlussperspektiven, ➤ innovative Integrations- und Gleichstellungspolitik. Der am Projektende vorgelegte Handlungsleitfaden mit seinen Empfehlungen dient als Impulsgeber für Entscheidungstragende aus Politik und Verwaltung, aber auch für VertreterInnen der Praxis, weil sich eine Fülle von bewährten Konzepten und Verfahrensweisen aus dem „Best-Practices“-Kapitel des Leitfadens ergibt. Abschließend ist festzuhalten, dass sich alle Projektpartner über das latent vorhandene Spannungsfeld der Diskussionen um Zwangsheiraten bewusst waren: Diese sind häufig geprägt von Vereinfachung und Dramatisierung auf der einen Seite und von Verharmlosung bis hin zur Leugnung der Problematik auf der anderen Seite. Sie sind oftmals auch geprägt von Vorurteilen, insbesondere von Vorurteilen gegenüber dem Islam. Es ist wichtig, sich dieser Vorurteile bewusst zu werden. Notwendig sind deshalb stereotypfreie und kultursensible Handlungsansätze und Verfahrensweisen, um ein differenziertes Hilfe- und Präventionsangebot, das sich an den unterschiedlichen Bedarfen der Betroffenen und ihres familiären/ sozialen Umfeldes ausrichtet, bereitzustellen bzw. weiterzuentwickeln. Martina Felz Projektkoordinatorin des Projektes „Aktiv gegen Zwangsheirat“ Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration Amt für Arbeit und Integration Referat Opferschutz Adolph-Schönfelder-Straße 5 22083 Hamburg martina.felz@basfi.hamburg.de Literatur Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), 2008: Zwangsverheiratung bekämpfen - Betroffene wirksam schützen. Eine Handreichung für die Kinder- und Jugendhilfe. Berlin Mirbach, T./ Schaak, T./ Triebl, K., 2011: Zwangsverheiratung in Deutschland. Anzahl und Analyse von Beratungsfällen. Berlin Trotha, T. v. (Hrsg.), 1997: Soziologie der Gewalt. Sonderheft 37 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Opladen