eJournals unsere jugend 64/5

unsere jugend
4
0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2012.art22d
51
2012
645

Familienbildung in deutschen Großstadt-Jugendämtern

51
2012
Bernd Kammerer
Welche Rolle spielt Familienbildung in Großstadt-Jugendämtern? Der folgende Beitrag stellt Ergebnisse einer Umfrage zu dem Thema dar.
4_064_2012_5_0005
221 unsere jugend, 64. Jg., S. 221 - 225 (2012) DOI 10.2378/ uj2012.art22d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Bernd Kammerer Jg. 1957; Soziologe M. A., Dipl. Soz.-Päd. (FH), Leiter des Bereichs 2 - Kinder- und Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit an Schulen, Familienbildung, Erziehungsberatung - am Jugendamt der Stadt Nürnberg Familienbildung in deutschen Großstadt-Jugendämtern Welche Rolle spielt Familienbildung in Großstadt-Jugendämtern? Der folgende Beitrag stellt Ergebnisse einer Umfrage zu dem Thema dar Nürnberg als Standort des Modellprojekts Familienstützpunkte Das Jugendamt der Stadt Nürnberg nimmt am Modellprojekt Familienstützpunkte des Bayrischen Sozialministeriums als einer von insgesamt 11 Standorten in Bayern teil. Ziele des mit einer Laufzeit von zwei Jahren versehenen Modellprojekts sind die auf Grundlage eines Gesamtkonzepts für Eltern- und Familienbildung (ifb 2010) erstellte örtliche Bedarfsplanung und Konzeption für die Eltern- und Familienbildung zur Stärkung der Elternkompetenz in Nürnberg und die Errichtung von Familienstützpunkten. Familienstützpunkte sollen als operative Knotenpunkte des Netzes für Familien die entsprechenden Angebote entweder selbst vorhalten und/ oder über Kooperationsverträge mit anderen Anbietern ein breites serviceorientiertes Leistungsspektrum für Familien und Kinder zur Verfügung stellen. Dabei geht es um die Vernetzung der Angebote der Familienbildung auf Ebene der Gesamtstadt und der einzelnen Stadtteile, die auf Bedürfnisse und Interessen sowie auf Erfahrungen von Familien in unterschiedlichen Lebenslagen und Erziehungssituationen eingehen, die Familien zur Mitarbeit in Erziehungseinrichtungen und in Formen der Selbst- und Nachbarschaftshilfe besser befähigen sowie junge Menschen auf Ehe, Partnerschaft und das Zusammenleben mit Kindern vorbereiten. Die wissenschaftliche Begleitung des bayernweiten Modellprojekts hat im Auftrag des Sozialministeriums das Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg ifb übernommen. Bei der Durchführung des Modellprojektes sind konzeptionelle inhaltliche Vorgaben des Zuschussgebers zu beachten: ➤ Die Angebote der Eltern- und Familienbildung auf der örtlichen Ebene sind zu erheben (Bestandserhebung). ➤ Der notwendige zusätzliche Bedarf ist festzustellen. ➤ Im Förderzeitraum ist ein Konzept für die bedarfsgerechte Weiterentwicklung der Eltern- und Familienbildung zu erstellen (gesetzliche Aufgabe nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit §§ 79, 80 SGB VIII als Kernaufgabe des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe). ➤ Familienstützpunkte sind - ausschließlich - an bestehende Einrichtungen und Orte der Eltern- und Familienbildung (als basisnahe Institutionen für Eltern im 222 uj 5 | 2012 Familienbildung weitesten Sinne) anzugliedern. Die Schaffung neuer Einrichtungen als Familienstützpunkte ist ausgeschlossen. In die Konzeptionierungsphase der Nürnberger Planung eingebunden war eine bundesweit ausgerichtete Fachtagung zur Bestandsaufnahme der Eltern- und Familienbildung, die im Februar 2011 stattfand (Stadt Nürnberg 2011). Weiter wird gegenwärtig eine repräsentative Befragung von Nürnberger Eltern durchgeführt, um die Wahrnehmung von Angeboten der Familienbildung aus deren Sicht zu erheben. Mit dem Abschluss dieser Arbeiten werden dann im zweiten Projektjahr sechs Familienstützpunkte eingerichtet, die zusätzliche Angebote für Eltern entwickeln und insgesamt die Aufgabe haben, Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Formen der Eltern- und Familienbildung herzustellen und die lokale Kooperation auf eine breitere Basis zu stellen. Das Jugendamt Nürnberg hat zusammen mit den Trägern der Familienbildung in Nürnberg ein Jugendhilfeplanungskonzept Eltern- und Familienbildung als ersten zentralen Baustein des Modellprojekts vorgelegt (Stadt Nürnberg 2010). Damit wurde ein konzeptioneller Leitfaden geschaffen, der den Versuch unternimmt, die unterschiedlichen Ansätze darzustellen und über eine Bestandsaufnahme der Familienbildungslandschaft hinaus Perspektiven, Ziele und Handlungsansätze zu entwickeln. Damit hat Nürnberg als eine von wenigen Großstadt-Kommunen eine abgestimmte und differenzierte Jugendhilfeplanung in diesem aufstrebenden Handlungsfeld der Jugendhilfe (Kammerer 2011). Familienbildung als Aufgabe der Jugendhilfe ist in Nürnberg mit zwei Planstellen in Stabsfunktion („Stab Familienbildung“) beim Bereich 2 des Jugendamtes „Kinder- und Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit an Schulen, Familienbildung, Erziehungsberatung“ organisatorisch verortet. Aufbauend auf der „Kampagne Erziehung“ als Teil des prototypischen bundesweit ersten „Bündnis für Familie“ (Kammerer 2004) wurde insbesondere von freien Trägern der Familienbildung der Wunsch nach einem Ansprechpartner im Jugendamt mit Aufgaben der Kooperation und Koordination artikuliert. Der Stab Familienbildung hat nahezu ausschließlich konzeptionell-planerische und qualifikatorische Aufgaben und übernimmt operative Elemente der Familienbildung nur dann, wenn sie übergreifend und von keinem freien Träger übernommen werden. Als Beispiel sei hier die Organisation des Elternbrief-Versandes genannt. In Nürnberg lebten 2010 knapp 504.000 Menschen in 262.400 Haushalten. Knapp 18 Prozent der Haushalte, in absoluten Zahlen 46.700, sind Haushalte mit Kindern (unter 18 Jahren). Der Anteil der AusländerInnen beträgt 17 Prozent, 40 Prozent der EinwohnerInnen haben Migrationshintergrund. Etwa 11.800 Mütter bzw. Väter erziehen mindestens ein Kind allein. Planungen der Familienbildung in Großstadt-Jugendämtern Zur weiteren Ausgestaltung der Planungsaufgaben im Rahmen des Modellprojekts wurde parallel zur Konzeptionserstellung eine knappe Analyse der Aufgabenwahrnehmung dieses Handlungsfeldes in deutschen Großstadt-Jugendämtern mit dem Ziel des Aufbaus eines Netzwerks erarbeitet. Die Gestaltung der Familienbildung müsste von den Jugendämtern als Träger der öffentlichen Jugendhilfe gemäß §§ 79, 80 SGB VIII in Ergebnisse der Jugendhilfeplanung münden, d. h. es müssten schriftliche Dokumente der Beplanung dieses Handlungsfeldes bzw. Beschlüsse des Jugendhilfeausschusses zum Komplex der Familienbildung vorliegen, die ggf. für die eigene Arbeit ausgewertet werden können. Ebenso müssten Ansprechpartner im Jugendamt für die operative und strategische Aufgabenwahrnehmung zu identifizieren sein. Dies waren die Ausgangsüberlegungen für die im Rahmen des o. g. Modellprojekts durchgeführte Erhebung. 223 uj 5 | 2012 Familienbildung Großstadt-Jugendämter werden definiert als Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Sinne des SGB VIII in Kommunen mit über 200.000 EinwohnerInnen, ausgenommen wurden die Stadtstaaten Berlin, Bremen, Hamburg. Ergänzend aufgenommen wurden wegen der regionalen Ausgewogenheit sieben Kommunen mit zwischen 150.000 und 200.000 EinwohnerInnen. Die Befragung richtete sich an die jeweilige Leitung des Jugendamtes. Ausgewertet wurde die Befragung von 42 Jugendämtern. Es soll noch einmal darauf hingewiesen werden, dass die Erhebung ausschließlich der Erkundung der Kooperationsbereitschaft diente, um in einem Netzwerk mitzuarbeiten. Gleichsam ist m. E. ein interessanter Querschnitt der Bearbeitung dieses Themas zu sehen. Die Ergebnisse werden in gestraffter Form wiedergegeben. Ergebnisse der Umfrage zu Familienbildung Gibt es Ansprechpartner für Familienbildung in Großstadt-Jugendämtern? Gibt es Ansprechpartner (im Sinne von personellen Ressourcen) für Familienbildung? abs. Prozent abs. Prozent Befragte gesamt 42 100,0 Keine Angaben 7 16,7 Geantwortet haben 35 83,3 Davon (n = 35) Nein (11) (26,2) 11 31,4 Ja (24) (57,1) 24 68,6 Summe 100,0 35 100,0 Tab. 1 Von den 42 Jugendämtern haben 7 keine Angaben zu dieser Frage gemacht. Die 35 Antworten ergeben immerhin einen positiven Wert von knapp 70 Prozent (68,6), die personelle Ressourcen in Form eines Ansprechpartners angeben können. Aber 11 Großstadt-Jugendämter haben keinen Ansprechpartner für Familienbildung. Wie wird Familienbildung in Großstadt-Jugendämtern beplant? Gibt es eine Konzeption Eltern- und Familienbildung, Jugendhilfeplanung nach § 79 SGB VIII? abs. Prozent abs. Prozent Befragte gesamt 42 100,0 Keine Angaben 7 16,7 Geantwortet haben 35 83,3 Davon (n = 35) Keine Planung (11) (26,2) 11 31,4 Aktivitäten, aber keine Planung (6) (14,3) 6 17,1 Ja (18) (42,9) 18 51,4 Summe 100,0 35 100,0 Tab. 2 224 uj 5 | 2012 Familienbildung Fazit Insgesamt zeigt sich also, dass das Thema Familienbildung nicht unbedingt ein herausragendes Feld der Jugendhilfeplanung und der Jugendhilfe im gesamten Spektrum ist. Die Von den 42 Jugendämtern haben 7 keine Angaben zu dieser Frage gemacht. Die 35 Antworten zeigen, dass 11 Jugendämter (also knapp 32 Prozent) keine Planungsergebnisse vorweisen können, 6 Jugendämter (operative) Tätigkeiten im Bereich der Familienbildung realisieren (das sind ca. 17 Prozent) und nur 18 Jugendämter (knappe 52 Prozent) diese Frage mit einem Ja, also dem Vorliegen von Planungsergebnissen der Jugendhilfeplanung im Handlungsfeld Familienbildung aufweisen können. Beschlüsse zur Familienbildung auf kommunaler Ebene? Gibt es Beschlüsse auf kommunaler Ebene zur Familienbildung? abs. Prozent abs. Prozent Befragte gesamt 42 100,0 Keine Angaben 7 16,7 Geantwortet haben 35 83,3 Davon (n = 35) 35 100,0 Beschlüsse vorhanden (18) (42,9) 18 51,4 Keine Beschlüsse (17) (40,5) 17 48,5 Tab. 3 Von den 35 Jugendämtern, die diese Frage beantworteten, verwiesen 18 (52 Prozent) auf eine positive Beschlusslage, das heißt, das Thema Familienbildung wurde in irgendeiner Form im zuständigen Fachausschuss bzw. Rat der Stadt mit einem Beschluss bearbeitet. In 17 Kommunen (48 Prozent) gibt es hierzu keine Beschlussfassung. Interesse an bundesweitem Netzwerk? Kontaktbereitschaft für Netzwerk? abs. Prozent Ja 24 57,0 Nein/ keine Angaben 18 43,0 Summe 42 100,0 Tab. 4 Von den befragten 42 Jugendämtern haben 24, das sind 57 Prozent, zumindest Interesse an einer Kontaktaufnahme mit dem Ziel des Aufbaus eines bundesweiten Netzwerks zur Familienbildung in Großstadt-Jugendämtern. Dies wird durch das Jugendamt der Stadt Nürnberg initiiert werden mit dem Ziel, Planungs-, Praxis- und Erfahrungswissen für dieses Handlungsfeld systematisch auszutauschen und einen interkommunalen Wissenstransfer zu organisieren. Aufgabenwahrnehmung in Großstadt-Jugendämtern ist eher verhalten, wenig offensiv. Dies spiegelt auch die Finanzausstattung wider: Nur ca. 0,5 Prozent der gesamten Jugendhilfeausgaben entfallen auf Familienbildung (Wiesner 2011). 225 uj 5 | 2012 Familienbildung Literatur Kammerer, B. (Hrsg.), 2004: Die Kampagne Erziehung. Ein Modellprojekt. Neue Produkte, Konzepte und Vernetzungsstrategien. Nürnberg Kammerer, B., 2011: Eltern- und Familienbildung in Nürnberg. Ein Konzept und ein Modellprojekt. In: Sozialmagazin, 36. Jg., H. 7 - 8, S. 53 - 68 Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg, ifb (Hrsg.), 2010: Handbuch zur Familienbildung im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe in Bayern. Bamberg Stadt Nürnberg, Bündnis für Familie/ Jugendamt (Hrsg.), 2011: Eltern- und Familienbildung: Bestandsaufnahme und Perspektiven. Nürnberg Stadt Nürnberg, Jugendamt, 2010: Konzept Familienbildung in Nürnberg. Eltern- und Familienbildungskonzept der Stadt Nürnberg. Nürnberg Wiesner, R., 2011: Stellenwert und Perspektiven der Eltern- und Familienbildung in Deutschland: In: Stadt Nürnberg (Hrsg.): Eltern- und Familienbildung: Bestandsaufnahme und Perspektiven. Nürnberg, S. 22 - 33 Auch das heterogene Erscheinungsbild der unterschiedlichen Ansätze der Familienbildung (klassische institutionalisierte Familienbildung in Familienbildungsstätten, Ansätze in Beratungsstellen mit anderen Schwerpunkten, aber auch Familienbildung und mit bunter, breit gestreuter Trägerschaft wie Frauen- und Mütterzentren, Schwangerenberatung, Sexualberatung, Erziehungsberatung sowie Ansätze in Kindertagesstätten durch Familienzentren, mobile Projekte und integrierte familienbildnerische Leistungen im Allgemeinen Sozialdienst) erschweren vielleicht die eindeutige Identifizierung und Beplanung. Ebenso gibt es eine Vermengung mit politischen und/ oder gesellschaftlichen Aktivitäten familienpolitischer Art, wie zum Beispiel den lokalen Bündnissen für Familie. Andererseits sind jedoch in vielen Kommunen gegenwärtig vielerlei konzeptionelle und planerische Bemühungen angezeigt worden und mittlerweile auch in der Fachdiskussion unverkennbar geworden, sodass das Handlungsfeld als sich im Aufbruch befindlich kennzeichnen lässt. Dies gilt insbesondere in den Kontexten der Kindertagesbetreuung: quantitativer und qualitativer Ausbau, frühkindliche Bildung, kooperative Projekte wie Familienzentren, Eltern-Kind-Zentren, Stadtteilmütter, Elternbegleiterinnen, Elternkurse. Hier zeichnet sich ein kleiner Boom ab, der auch getragen wird durch eine wachsende Ratgeber- und Beratungsliteratur für Eltern. Strukturen der Familienbildung in der Jugendhilfe in konzeptioneller, d. h. strategisch-planerischer und praktisch-operativer Hinsicht müssen aber erst noch angelegt werden. Das von der Stadt Nürnberg angeregte Netzwerk kann und soll dazu einen kleinen Beitrag leisten. Bernd Kammerer Leiter des Bereichs 2 am Jugendamt der Stadt Nürnberg Dietzstraße 4 90443 Nürnberg bernd.kammerer@stadt.nuernberg.de