eJournals unsere jugend 64/9

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2012.art36d
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Sozialpädagogische Kommunikation und Interaktion Kompetenzorientiertes Lernen und Prüfen an der Hochschule

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Karlheinz Thimm
Gespräche im Kontext von zwischenmenschlichen Kontakten gelingend zu führen, ist nur bedingt standardisierbar, planbar, steuerbar, lehrbar. Im beruflichen Kontext der Sozialen Arbeit entscheidet aber gerade die Kommunikation zwischen Professionellen und AdressatInnen darüber, ob Begegnung, Berührung, ggf. wechselseitige Einwirkungen möglich werden. Die programmatischen Konsequenzen für die Ausbildung von StudentInnen im Fachgebiet Kommunikation erläutert dieser Beitrag.
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376 unsere jugend, 64. Jg., S. 376 - 384 (2012) DOI 10.2378/ uj2012.art36d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Sozialpädagogische Kommunikation und Interaktion Kompetenzorientiertes Lernen und Prüfen an der Hochschule Gespräche im Kontext von zwischenmenschlichen Kontakten gelingend zu führen, ist nur bedingt standardisierbar, planbar, steuerbar, lehrbar. Im beruflichen Kontext der Sozialen Arbeit entscheidet aber gerade die Kommunikation zwischen Professionellen und AdressatInnen darüber, ob Begegnung, Berührung, ggf. wechselseitige Einwirkungen möglich werden. Die programmatischen Konsequenzen für die Ausbildung von StudentInnen im Fachgebiet Kommunikation erläutert dieser Beitrag. von Prof. Dr. Karlheinz Thimm Jg. 1954; Diplom-Pädagoge, Professor für Soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule Berlin mit den Schwerpunkten Kinder- und Jugendhilfe und Methodisches Handeln Hochschuldidaktische Überlegungen 1 Das Studium der Sozialen Arbeit kann verstanden werden als Angebot zum Erwerb von berufsspezifischen Wissensbeständen, Schlüsselqualifikationen und feldnahen handlungsbezogenen Fähigkeiten. Kennzeichnend ist, dass jede von der direkt ausgeübten Tätigkeit abgekoppelte Ausbildung Vorbereitung auf eine zukünftige Praxis bleibt. Insbesondere in der Lehre methodischer Grundlagen müssen sozialberufliche Tätigkeitsvollzüge simuliert werden. Gelingende Lehre ist ein Ensemble von passenden Arrangements (Setting), didaktischer Aufbereitung der Sache und Beziehungsgestaltung. Sorgfalt wird an Fachhochschulen und noch stärker an Universitäten oft vor allem auf die Seite der Lerninhalte gelegt. Es sind allerdings die Formen und Methoden des Lernens, die bedeutsam dafür sind, ob und wie nachhaltig Inhalte angeeignet werden. Die allgemeine Erwachsenenbildung bietet ein großes Methodenrepertoire, das auch hochschuldidaktisch nützlich und verwertbar ist. 1 Prof. Dr. Mathias Schwabe von der Evangelischen Hochschule Berlin hat die Architektur der Lehrveranstaltung und der Prüfung stark geprägt. Von ihm formulierte didaktische Überlegungen sind namentlich gekennzeichnet. Für das Modul wurde ein Medienpaket (vierstündiges DVD-Lehrfilmmaterial „Lösungsorientierte Kommunikation mit Eltern an der Schule“ mit 250-seitigem Begleitbuch) entwickelt. Näheres über die Berliner Medienproduktion bei thomas.hirschmann@gmx.de. 377 uj 9 | 2012 Kompetenzorientiertes Lernen Die Studierenden bringen biografische Erfahrungen als Teil einer Herkunftsfamilie, als Kind mit einem spezifischen Lebensverlauf, eine individuelle Lerngeschichte als SchülerIn mit. Sie sind geprägt durch lebensweltliche Kontexte: als Frau, als Mann; als jemand, der Verantwortung trägt, Geld verdient, Alltag bewältigt, in Zugehörigkeiten eingebunden ist, mit Identitätsentwürfen experimentiert. Die SeminarteilnehmerInnen erwarben vorhochschulisch Kompetenzen als Besucherin und Clubrätin im Jugendzentrum, Ehrenamtler im Jugendverband, Türsteher vor der Disco, Fußballfan, Krankenpflegerin, Migrantin, Kellner, Taxifahrerin, Mutter, Hip-Hop-Trainerin, in Callcentern, an Rezeptionen, im „Sozialen Jahr“, als Au pair in der Fremde, in der Schülervertretung, in kirchlichen Zusammenhängen … All das prägt die natürliche Kommunikation und Interaktion, jenen Stoff also, der in dieser Lehrveranstaltung aufgenommen, reflektiert, mit professionellen Wissensbeständen angereichert, auf stimmige Verwendung in beruflichen Schlüsselsituationen geprüft wird. In der Planung und in der Durchführung von Lehre müssen solche lebensgeschichtlichen und lebensweltlichen Mitbringsel unter dem Gesichtspunkt der individuellen Potenziale aktiviert und als unterschiedliche Lernausgangslagen für Qualifizierungsprozesse verwertet werden. Die Verschiedenheit der Studierenden hinsichtlich Alter, Geschlecht, Vorerfahrungen, Lebensarrangements, Talenten und Defiziten kann Ressource sein. Die Seminargestaltung sollte dieser Vielfalt z. B. durch Binnendifferenzierung, Möglichkeiten des eigenständigen Lernens, Aufnahme thematischer Neigungen und Kleingruppen- Ansätze immerhin mitunter gerecht werden. Das Lehrgebiet„Sozialpädagogische Kommunikation und Interaktion“ Sozialpädagogische Kommunikation und Interaktion wird an der Evangelischen Hochschule Berlin im zweiten Semester mit vier Stunden pro Woche angeboten. Das Modul besteht ausschließlich aus der vierstündigen Veranstaltung. Dieses neue Seminar ersetzt die „Einführung in die Gesprächsführung“ aus dem Diplom-Studiengang. Die maximaleTeilnehmerzahl beträgt, eine Ausnahmeerscheinung an unserer Ausbildungsstätte, „nur“ 20 StudentInnen. Im dritten Semester wird u. a. weiterführend das Teilmodul Beratung (ebenfalls vierstündig) angeboten. Insgesamt legt die Evangelische Hochschule Berlin großen Wert auf die methodische Ausbildung ihrer AbsolventInnen. Zuletzt sei zur Einordnung der didaktischen Struktur vermerkt, dass die Studierenden ihr Praktikum erst im vierten Semester absolvieren, viele sich also nicht auf selbst erfahrene berufliche Referenzsituationen beziehen können. „Kommunikation und Interaktion in sozialpädagogischer Absicht sind das zentrale Medium der unmittelbaren Arbeit mit AdressatInnen in allen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit. Im Studienverlauf, durch Praktika, aber nicht zuletzt durch das vorgestellte Lehrangebot sollen die Studierenden lernen, Kommunikation und Interaktion fall- und situationsangemessen zu gestalten, indem sie Wissen, Erfahrungen und Intuitionen zu für sie selbst stimmigen, zur Person passenden Zusammenspielen zueinanderführen. Dabei kommt es je nach Aufgabe darauf an, verbale, paraverbale und körpersprachliche, lassend-begleitende und fordernde, konfrontierende und deeskalierende, einladende und sich abgrenzende Kommunikationsakte so zu verknüpfen, dass daraus Beiträge zur Situationsklärung bzw. zur Selbstentwicklung von AdressatInnen entstehen. Die Studierenden, so der Anspruch, lernen zumindest in Ansätzen, ihre Worte und Handlungen, auch im Hinblick auf den Unterschied von geplanter und beobachteter Wirkung, selbstkritisch einzuschätzen. Sie entwickeln, angeleitet durch Fragen und Reflexionen von KommilitonInnen und dem/ der DozentIn, Ideen dazu, was sie mit ihrem Handeln angeregt, vermieden, provoziert oder unbeachtet gelassen haben.“ (Mathias Schwabe) 378 uj 9 | 2012 Kompetenzorientiertes Lernen Im Seminar werden im ersten Teil Grundlagen der Gestaltung von Kommunikationssituationen und der Gesprächsführung für Face-to- Face-Kontakte (im Zentrum), für briefliche und für telefonische Kontaktgestaltung strukturiert angeeignet. Im zweiten Teil der Veranstaltung werden typische Schlüsselszenen der Sozialen Arbeit mit ihren kommunikationsbezogenen Herausforderungen thematisiert (z. B. entmutigte, hoch belastete, einschüchternd-aggressiv auftretende AdressatInnen). Die Studierenden erlangen systematisch Basiswissen und erfahren und üben sich darüber hinaus in der Rolle von AdressatInnen und SozialarbeiterInnen unter dem Aspekt wirksamer Gesprächshaltungen und -strategien in alltagsnahen, nichtformalen Settings. Bezugskontexte können sein: Frauenhaus, Schulsozialarbeit, Betreutes Wohnen, Heim, Psychosoziale Betreuung für Substituierte … Handlungsziele mit Blick auf die Lernenden sind: Wissen über Kommunikationsgestaltung in der Sozialen Arbeit erwerben; typische Interventionen mit zentralen Gesprächsführungsstrategien planen und reflektieren; wiederkehrende Kommunikationssituationen arrangieren; Interventionen exemplarisch üben; kommunikatives Handeln auf Zielerreichungsgrad hin auswerten. Seminarinhalte Folgende Seminarinhalte werden in der Veranstaltung des Verfassers in chronologischer Abfolge bearbeitet. Zunächst geht es um die Grundlagen der Kommunikation. Dabei werden Kommunikationsmodelle, Gestaltungsmittel der Kommunikation und Interaktion (u. a. Setting; Haltungsfaktoren; Gefühle in der Kommunikation; Körpersprache) und die Spezifika sozialpädagogischer Kommunikation vermittelt und dialogisch angeeignet. Es schließt sich eine Selbstdiagnose (mein Repertoire, mein Lernbedarf ) an, die zur Bewusstwerdung über eigene Stärken und mitgebrachte Fähigkeiten und zudem zur Formulierung von Lernzielen einlädt. In der Folge werden Techniken und Haltungen plausibilisiert, auf Stimmigkeit für Beispielssituationen und auf Personpassung hin überprüft und geübt: Ich-Botschaften; Aktives Zuhören; Fragen; Paraphrasieren; Zusammenfassen; Reflektieren; Einsatz von Pausen und Schweigen. Hier wird u. a. auch die Übung „Kontrollierter Dialog“ eingesetzt. Exemplarisch sollen zwei Themen (etwa 5. bis 7. Sitzung) etwas genauer vorgestellt werden: Ankoppelung und Planung/ Ziele. In der Sequenz Ankoppelung - „Einen Anfang machen“ - werden Besonderheiten der Kommunikation per Brief am Beispiel der Kontaktgestaltung mit der Mutter eines im Hort aggressiv auftretenden Jungen reflektiert. Hauptziel ist jedoch, Kontaktgestaltung hinsichtlich der Ziele und Themen phasiert zu denken und „die ersten fünf Minuten“ zu entschleunigen und ihnen herausragende Bedeutung zu verleihen. Im Baustein „Planung von Kommunikation“ (Ziele und Strategien in der Kommunikation) wählt der Verfasser ein Beispiel der Kontaktgestaltung mit einem besorgten Vater türkischer Herkunft („Darf Ayse die Fahrt des Jugendclubs mitmachen? “). Hier werden Spezifika telefonischer Kommunikation erarbeitet. Hauptthema ist, realistische Annahmen über Planbarkeit und Unplanbarkeit zu gewinnen sowie die Komplexität und exemplarische Kräftefelder von Bedingungsvariablen kennenzulernen. Auch hier versuchen wir wieder, Kleinschrittigkeit und Genauigkeit als Prinzipien zu implementieren, indem wir unterscheiden: Ziele in den ersten fünf Minuten, Ziele für den Gesprächsverlauf. Was soll am Ende dieses Gesprächs erreicht sein? Wozu könnte dieses Gespräch ein erster Schritt sein? Die Selbstbeobachtung und -reflexion werden durch folgende mehrperspektivische Aufmerksamkeitsrichtungen geleitet: ➤ Auf der Ebene der Ziele be(ob)achte ich: Was ist mein Ziel? Was will ich mit diesem Gespräch erreichen? Bin ich meinem ursprünglichen Ziel noch treu oder verfolge ich inzwi- 379 uj 9 | 2012 Kompetenzorientiertes Lernen schen ganz andere Ziele. Aber auch: Was ist das Ziel meines Gegenübers? Besitzen wir ein gemeinsames Ziel oder divergierende Ziele? Nähern sich unsere Ziele im Laufe des Gespräches eher an oder geraten sie eher in noch stärkeren Konflikt? ➤ Auf der Ebene der anderen Person be(ob)achte ich: Wie offen ist die andere Person für das Gespräch? Was will die andere Person mir sagen? Was will diese Person von mir? Wie wirken meine Worte auf diese? Hat sie/ er mich verstanden oder bahnen sich Missverständnisse an? Als Beobachtungsgrundlage dienen die Worte und die Körpersprache des anderen sowie die Gefühle, die diese in mir auslösen. ➤ Auf der Ebene der eigenen Person be(ob)achte ich: Was löst der andere in mir aus? Welche Gefühle kommen in mir hoch? Fühle ich mich offen und frei oder angespannt und „zu“? Welche Worte und Gesten verwende ich? Sind das auch die „richtigen“ Worte/ Gesten bezogen auf mein Ziel und dieses konkrete Gegenüber? Als Beobachtungsgrundlage dienen auch hier eigene Worte und das Körpergefühl (Wohlbefinden oder Anspannung in Bauch, Nacken, Kopf und …) (Mathias Schwabe). Der gegenstandssystematische Teil des Seminars wird mit der Einführung in die „Lösungsorientierte Gesprächsführung (Haltungen und Techniken: Ressourcenorientierung, Anerkennen, Umdeuten)“ sowie mit „Kommunikation unter den Bedingungen von Unfreiwilligkeit (Umgang mit Zwang, Druck, Widerstand)“ abgeschlossen. Mindestens zwei Fünftel der Seminarzeit werden Schlüsselsituationen und typischen Herausforderungen in sozialberuflicher Kommunikation gewidmet. Als wiederkehrende Anforderungen wurden bestimmt: Kritik im beruflichen Kontext üben; Gegenwirkung: Konfrontierende Strategien; Kommunikation in einer situativen Krise; Enttäuschung, Ärger und Wut in der Kommunikation; Eskalation und Deeskalation; Kommunikation mit belasteten Menschen; Schlechte-Nachrichten-Gespräche. Der Verfasser wählt als Anwendungs- und Übungsfelder u. a. Schule, Jugendamt, Heimerziehung, Wohnheim für alkoholabhängige Männer, Frauenhaus. Die Studierenden werden in die Kommunikationsthematik unter Einbringung eigener Erfahrungen eingeführt, üben dann unter Begleitung verschiedene Varianten (Prinzip „Bühne im Plenum“) und erhalten am Ende einen Kurztext (Standards, goldene Regeln, Checkpoints). Folgende Kompetenzen sollen die StudentInnen mindestens in ersten Ansätzen erwerben bzw. bescheidener, sie sollen um die Bedeutung wissen: ➤ Fach- und Methodenkompetenz: Analysieren typischer kommunikativer Situationen und Handlungsaufgaben aus der Sozialen Arbeit. Handlungsketten mit und ohne planerischen Vorlauf entwerfen, modifizieren und reflektieren. Gesprächs- und Handlungsdynamiken in Ansätzen verstehen und gestalten (u. a. Situationen und ihre Potenziale bzw. Begrenztheiten sowie Personen und ihre Themen einschätzen können). ➤ Sozialkompetenz: Mit unterschiedlichen Menschen und in Situationen mit Ungewissheit sprechen und handeln können. ➤ Selbstkompetenz: Eine dialogische Grundhaltung entwickeln. Eigene kommunikative und interaktive Stärken und Schwächen besser kennen. Um eigene biografische Themen wissen: Wahrnehmungs-, Deutungs-, Handlungsaffinitäten; Wo und wie verstricke ich mich mit AdressatInnen? Das Erlangen dieser Kompetenzen wird durch folgende Methoden und Aktivitäten gefördert: Partnerübungen zur Gesprächsführung; Rollenspiele (mit Beobachtungsaufgaben); Erarbeiten unterschiedlicher Modelle und Analyseschemata für den Modus Kommunikation, für Situationen und involvierte Personen(-gruppen); Diskussion von Kommunikations- und Interaktionsbeispielen (Simulation; „Papier- Fälle“; berichtete Situationen). 380 uj 9 | 2012 Kompetenzorientiertes Lernen Die kompetenzorientierte Prüfung Die Leistungen der Studierenden liegen in der Planung, der Durchführung und der Auswertung einer demonstrierten Kommunikationssequenz in Form eines Live-Rollenspiels oder einer Filmaufnahme eines Rollenspiels. Ihre Prüfungsleistung können sie in einer 2er- oder 3er-Konstellation erbringen. Die Leistung umfasst diese Teile: ➤ Schriftliche Planungsüberlegungen zu einer ausgewählten Kommunikationsszene. Diese kann eine umfassendere oder auch mehrere kleine Szenen enthalten. Erwartet werden ca. drei Seiten als Gruppenprodukt. ➤ Inszenierte Kommunikationssituation mit Anwendungen von Mitteln der Gesprächsführung (Film vom Rollenspiel oder Live- Rollenspiel) ➤ Colloquium zu Spiel und Planungstext (durchschnittlich circa 20 Minuten pro Person) ➤ Auswertungsreflexion nach dem Colloquium als Einzelarbeit (bis zu drei Seiten) Die im Folgenden genannten Anregungen zur Prüfungsleistung passen nicht alle und immer zu jeder entwickelten Szene bzw. Szenenfolge. Zudem wird ein Maximalkatalog formuliert. Wir animieren die Studierenden, sich einige Übungsaspekte herauszugreifen, und verweisen darauf, dass erst die Zusatzqualifikation bzw. ständiges Üben in der Praxis aus dem fortgeschrittenen Anfänger einen souveränen Könner machen wird. Nach welchen Bewertungskriterien werden Leistungen beurteilt? Deutlich werden sollte auf Seiten der Studierenden, ➤ „dass er/ sie in der Lage ist, die dargestellte Situation zu verstehen, ➤ dass er/ sie Gespräche gemäß Art und Umfang des Anliegens bzw. der Belastungen der Adressat/ innen, der Ziele, dem Kontext … planerisch anlegen kann (bzw. über Unplanbarkeit oder eingeschränkte Planbarkeit gemäß der ausgewählten Situation reflektieren kann), ➤ dass er/ sie über verschiedene Kommunikationskanäle und Gestaltungsmittel verfügt und zum Beispiel (sofern angezeigt) im Gespräch zwischen verständnisvoll-emphatischen und angemessen dosierten konfrontierend-fordernden Passagen je nach Situation flexibel wechseln kann, ➤ dass er/ sie den Gesprächsverlauf im Anschluss kriteriengeleitet und strukturiert auswerten kann“ (Mathias Schwabe). Weitere Kriterien sind: Kreativität; zeitlicher Aufwand und investierte Mühe; Präsentationsniveau … Auch hier verweisen wir wieder darauf, dass ausgewählte Kriterien zugrunde gelegt werden können und nicht die gesamte Breite abgedeckt werden muss. Was ist mit Blick auf die vier Prüfungsteile zu beachten? Planung und Vorbereitung der Präsentation Aufgabe in der häuslichen Vorbereitung ist es, eine Kommunikationssituation zu bestimmen (Kontext; Personen; Anliegen; Ziele …), die an die professionelle Gesprächsführung aspektreiche Anforderungen stellt. So sollen Grundlagen der sozialpädagogischen Kommunikation wie zum Beispiel aktives Zuhören, ressourcenorientierte positive Botschaften oder deeskalierende Strategien angewendet werden. Aber es sollte nicht alles (allzu) glatt laufen. Wir wollen die Studierenden eher zum Experimentieren mit Störungen, Sackgassen, Wendungen und neuen Erkenntnissen einladen. Es soll kein„perfektes Gespräch“ entstehen, sondern ein Kommunikationsraum, in dem sich auch Überraschendes und Improvisiertes ereignen darf. Jede/ r Studierende soll einmal in der Rolle des/ 381 uj 9 | 2012 Kompetenzorientiertes Lernen der Professionellen in der Inszenierung (Rollenspiel) auftreten. Zu bedenken ist u. a.: Wie soll der Rollenwechsel (jede/ r ist mal Profi) gestaltet werden? Sollen mehrere Varianten einer Situation gegeben werden? Wollen die StudentInnen ggf. eine „Kette“ von zwei, drei Situationen in einem Prozess präsentieren? Wollen sie nach dem Spiel ggf. Feedback aus den Rollen geben? Die Studierendengruppe soll, ob sie einen Film mitbringt oder die Simulation live zeigt, drei Tage vorher einen maximal dreiseitigen Planungstext für die Präsentation vorlegen. Planerische Gesichtspunkte können sein (auch hier kann und muss eine Auswahl genügen): ➤ Angaben zur Situation: Beschreibung von Personal und Ausgangslage ➤ Kontext: Wo findet das Gespräch statt bzw. wo ist die Situation angesiedelt? ➤ Problem-/ hilfegeschichtliche Einbettung: Gibt es einen für das Verstehen der Szene relevanten Vorlauf? ➤ Das Typische: Mit welchen typischen Phänomenen/ Themen hat Soziale Arbeit es in diesem Kontext, mit dieser Zielgruppe … zu tun? ➤ Das Besondere: Welches besondere Phänomen/ Thema greift das Rollenspiel auf? ➤ Erwartungen, Interessen: Gibt es Aufträge? Wer hat welche Interessen? ➤ Eigene und fremde Anliegen/ Ziele (Konsens und Dissens): Was ist das Anliegen der betreffenden Person? Und welche Ziele verfolge ich bei dem Gespräch: a Was soll für das Gegenüber herauskommen? b Was soll für mich herauskommen? ➤ Hypothesen: Mit welchen begründeten Vermutungen zur Situation, zum Problem, zur Lösung gehe ich in das Gespräch? ➤ Mein Gegenüber: Wie geht es dem Gegenüber? Worauf muss ich mich ggf. einstellen? ➤ Welche „Gefahren“ antizipiere ich? ➤ Ich - meine Haltung, meine Gefühle: Mit welcher Grundhaltung gehe ich in die Situation? Z. B. „Ich weiß, was richtig ist.“ „Wir können miteinander ergebnisoffen schauen.“ „Entlastung geht vor.“ „Ich will die Mutter ja nicht verlieren.“ „Hier muss eine Grenze gesetzt werden.“ O. a. ➤ Welche eigenen Gefühle könnten mich in der Kommunikationsgestaltung berühren? (Angst; Rücksichtnahme; Verachtung; Misstrauen; Fremdheit; Neid; Ärger…) Wie will ich damit umgehen? ➤ Methoden, Strategien und Techniken: Was will ich einsetzen (Konzentration auf einige Mittel)? Wieso? Worauf will ich/ wollen wir achten? Aktion und Auswertungsdialog Ggf. wird im Colloquium zunächst das Rollenspiel inszeniert. Wir erinnern die Studierenden, die selbstverständlich „alles richtig“ machen wollen, daran, dass nicht alles „nach Plan“ verlaufen soll bzw. muss. Anschließend wird in einem Auswertungsdialog über die dargestellte Kommunikation und den Planungstext gesprochen. Gesichtspunkte können sein: ➤ Einordnung des Gespräches (Typus, Herausforderungsgehalt, notwendige Kompetenzen …) ➤ Dynamik des Gesprächs (z. B. auch: heimliche Themen? , Beziehungsebene, Gefühle … vgl. ggf. „Eisberg“-Modell bzw. 4-Seiten-Modell…) ➤ Phasen ➤ Schlüsselszenen, Schlüsselsätze, Zäsuren, Wendepunkte ➤ Haltung, Strategien, Techniken: Was habe ich eingesetzt? Wieso? Wozu? ➤ Abgleich Ziele und Ergebnisse: Wie sehe ich das „Ergebnis“? Was ist gut gelaufen? Wo gab es Schwierigkeiten? ➤ Zukunftsphantasien: Wie könnte es nach dem Gespräch weitergehen? Dimensionen: Chancen, Risiken, Nebenwirkungen? ➤ Eigene Person: Was fiel mir leicht, was fiel mir schwerer? Was möchte ich besser können? 382 uj 9 | 2012 Kompetenzorientiertes Lernen Schriftliche Reflexion Schließlich erwarten wir von jedem/ r SeminarteilnehmerIn eine schriftliche Auswertung im Umfang von maximal drei Seiten. Diese wird sich mehr oder weniger auf die Colloquiumsthemen bzw. die oben genannten Fragestellungen beziehen. Zu beachten sind dabei auch die Erfahrungen in den Rollen: Wie habe ich mich in der Rolle als SozialarbeiterIn gefühlt? Und wie in der Rolle der Betroffenen? Die Abschlussreflexion sollte eigene Erfahrungen im Rahmen der Simulation und ggf. Lerneffekte thematisieren. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass nicht jede/ r StudentIn unmittelbar nach der Spielphase ihr/ sein Reflexionsoptimum in der Kürze der Zeit und unter dem Druck der Prüfungssituation erbringt. Manche brauchen einen längeren Nachklang, bis ihnen etwas klarer wird. Hin und wieder möchten Studierende dem/ der DozentIn noch etwas mitteilen. Deshalb wird dieses individuell erstellte Produkt verlangt, wobei es uns eher um ein Angebot geht, am Ende noch Punkte zu gewinnen (statt zu verlieren). Alternativ oder komplementär kann auch eine Gesamtreflexion des eigenen Lernprozesses im Rahmen der Veranstaltung vorgenommen werden. Maximal zwei Wochen nach der mündlichen Prüfung soll das Produkt per Mail oder Fach eingereicht werden. Rückmeldung Schließlich erhalten die Studierenden eine schriftliche Rückmeldung. Ein Beispiel: „a Verantwortungsübernahme für das Seminar; mündliche Beiträge: Überaus regelmäßige Teilnahme; sehr interessiert wirkend, motivierende Ausstrahlung; Bereitschaft zu Rollenspielen gegeben; wache, jederzeit bereichernde mündliche Beiträge b Planungstext: Interessante Gesamtarchitektur des Rollenspiels; sorgfältige Vorbereitung des Gesprächs; sehr kundige, aspektreiche Reflexion der Gesprächstypen Hilfeplan- und Rückfallgespräch (weit über den Seminarstoff hinaus reichend); hohe Eigenständigkeit in der Lösung der Aufgabe; stilistische und orthografische Bestleistung. c Spiel und mündliche Auswertung: Kreative, abgestimmte Spielgestaltung; Beherrschung relevanter Techniken (vergleiche mündliche Rückmeldung); günstige Haltungsvariablen; entwickelte Empathie; reflexiv und sprachlich hochkompetent im Auswertungsdialog d Individuelle schriftliche Reflexion: Sehr facettenreiche Analyse und Einordnung; sensible kriteriengeleitete Interpretationen; Fähigkeiten der Selbsteinschätzung ausgeprägt; sprachlich äußerst flüssig und differenziert e Sonstiges: Zu Ihrer weiteren Entwicklung und mit Blick auf das Praktikum ein Hinweis von meiner Seite: Üben Sie (sich in) Knappheit (Sie wollen womöglich immer die Komplexität wahren und abbilden - aber das bringt keinen Dialog zustande); lassen Sie Raum, machen Sie Pausen …“ Studentische Einschätzungen „Ich hatte anfänglich große Angst, mich in der Gruppe zu präsentieren und mich durch ungeeignete Kommunikationsstile vor meinen KommilitonInnen und Ihnen zu blamieren. Doch aufgrund der Gruppengröße fand ich den Mut, mich dem zu stellen und mich auszuprobieren. Dabei erkannte ich Lern- und Entwicklungsbedarf. Ich versuche oft, KlientInnen innerhalb einer Gesprächssequenz oder sogar innerhalb eines Satzes sowohl die Analyse des Problems als auch einen passenden Lösungsvorschlag zu präsentieren. Zudem sehe ich bei mir ein raumnehmendes Ausschweifen innerhalb der Klärung von Sachverhalten. Das kann dazu führen, dass sich KlientInnen nicht angenommen fühlen. Hier muss ich aber sagen, dass mir ein 383 uj 9 | 2012 Kompetenzorientiertes Lernen Umschiffen dieser Gefahren im Prüfungsbeispiel Lea relativ gut gelungen ist, was aber ohne die Mitarbeit während des Seminars nicht solch ein Niveau erreicht hätte. Abschließend möchte ich noch aufzeigen, was ich mir als Aufgaben für mein anstehendes Praktikum stecke. Ich habe gelernt, dass ich den Mut habe, mich mit KlientInnen auseinanderzusetzen. Das große Problem liegt darin, dass ich die Angst davor verlieren möchte, dass es nicht perfekt wird. Kommunikation kann zwar gelernt und auch auf Regeln und Schemata aufgebaut werden. Doch gibt es einfach nicht die ‚perfekte‘ Vorab- Lösungsstrategie für ein Gespräch“ (Frau G.). „Ich fand den Aufbau der Seminarstunden sehr gelungen. Die wechselnden Phasen von Input und praktischer Übung gaben mir Gelegenheit, Gehörtes gleich und umfangreich umzusetzen, sowohl in Kleingruppen als auch vor den gesamten Teilnehmer/ innen. Ich habe schon nach relativ kurzer Zeit gemerkt, dass ich auf diese Weise gut lernen kann. Gerade in der großen Runde habe ich experimentieren dürfen, mit dem Gefühl, Fehler machen zu können und daraus zu lernen, ohne das geringste Gefühl des Versagens. Die Reflexionen im Nachhinein haben mir viele Denkanstöße gegeben. Es war für mich bereichernd, Feedback zu bekommen und dabei auch andere Sichtweisen zu erfahren. Wer nicht mehr weiter wusste, bekam Hilfe auf eine sehr positive Weise. Kein Gesichtsverlust, sondern Erörterung der Schwierigkeiten und neue Versuche. Und wenn uns nichts mehr eingefallen ist, haben Sie weitergespielt. Das hat mir auch gefallen. Genauso habe ich aber von allen anderen lernen können. Denn indem jeder seine Beweggründe und Gefühle erzählte, eröffnete sich mir eine neue Sicht. Viele der gelernten Techniken benutzte ich schon unbewusst. Zunehmend habe ich in Ihrem Seminar an Sicherheit gewonnen, was ein Effekt zahlreicher Übungsgelegenheiten war. Eigene Stärken und Schwächen sind mir bewusster geworden. Nach dem Kritikgespräch haben Sie zu mir gesagt, es komme auf die eigene Haltung an. Das habe ich dann aus meiner Sicht erfolgreich umsetzen können, und daran werde ich mich in Zukunft immer wieder erinnern. Eine Gesprächsplanung ist auf jeden Fall gut, und die Techniken geben mir Sicherheit. Aber ich möchte auch flexibel sein und mich auf Unverhofftes einstellen. Ich habe im Seminar gelernt, dass es viele unterschiedliche Wege gibt, etwas zu erreichen. Die Art und Weise, wie und was ich bei Ihnen gelernt habe, ist für mich ideal. Durch die Praxisteile und deren Reflexion angeregt, habe ich auch im Privatleben mehr über Gesprächsführungen nachgedacht“ (Frau K.). Bilanz Die Veranstaltung gilt in studentischer Wahrnehmung und Rede ganz überwiegend als anforderungsreich, aber lohnend. Besonders die Praxisnähe und die Anwendungsbezüge werden mit Blick auf das Gesamtstudium als etwas Besonderes geschätzt. Günstig ist, dass in diesem Veranstaltungstypus Studierende die Alltags- und Laienkompetenz Kommunikation in der ganzen Bandbreite als Rohstoff mitbringen und so mit Mitwirkungs- und Aktivitätsaffinitäten von Einzelnen und Gruppe gerechnet werden kann. Allerdings, gelehrt ist nicht gelernt; Wissen heißt nicht Kennen; Kennen bedeutet nicht Können; Können ist nicht identisch mit Tun. Einmal Üben wird sicher nicht dazu führen, neue Gewohnheiten, veränderte Haltungen, andere Gesprächsweisen zu implementieren. Allerdings zeigen nunmehr drei Durchgänge mit Seminarauswertungen, dass jede/ r Studierende aus der Veranstaltung personbedeutsame Anstöße mitnimmt. Auch für das Seminar „Sozialpädagogische Kommunikation und Interaktion“ gilt: Studierende mit günstigen Voraussetzungen profitieren mehr als solche, die - biografisch und lebensweltlich bedingt - weniger Kommunikationskompetenzen mitbringen. Dennoch gibt 384 uj 9 | 2012 Kompetenzorientiertes Lernen es punktuell für jede/ n starke Erfahrungen und Einsichten - auch für solche StudentInnen, die nicht alle Veranstaltungsziele erreichen. So üben Einzelne z. B., unmissverständlich „Nein“ zu sagen und sich durch Droh- und Verführungsstrategien nicht umstimmen zu lassen. Andere TeilnehmerInnen erfahren, Schweigen und Pausen auszuhalten, etwas, was ihnen vorher fremd war. Dritte erleben die Anforderung, zuhören zu müssen, ohne die eigenen drängenden Antwortbeiträge formulieren bzw. loswerden zu können. Die Angst vor Selbstpräsentation kann von der Mehrheit der TeilnehmerInnen günstig bearbeitet werden. Etwa zwei Studierende pro Gruppe können ihre Schwierigkeiten, öffentlich mit ihrem Selbst zu experimentieren, nicht überwinden. Hier geht es darum, wenigstens keine Verstärkung der sehr unterschiedlich motivierten Zeige- und Offenbarungszögerlichkeit zu erzeugen. Es ist durchaus heikel, personnahe Fähigkeiten zu prüfen und zu bewerten. Zudem darf mit Recht eingewendet werden, dass das Anforderungsniveau, besonders auf der Ebene von Zielen und avisierten Kompetenzen sowie mit Blick auf die Kriterien für die Prüfungsleistungen, für Zweitsemester hoch ist. Wir gehen damit so um, dass wir auf das Gelingen und Können mehr als auf Nicht-Gelingen und Mängel achten. Prof. Dr. Karlheinz Thimm Evangelische Hochschule Berlin Teltower Damm 118 - 122 14167 Berlin thimm@eh-berlin.de