eJournals unsere jugend 65/4

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2013
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Berufliche Perspektiven für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Asylsuchende

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2013
Maren Gag
Noch immer sind Flüchtlinge und Asylsuchende nicht regelhaft in integrationspolitische Maßnahmen von Kommunen und Ländern einbezogen. Aufgrund erheblicher Restriktionen in der Asylgesetzgebung sind sie im hohen Maße diskriminiert. Vor allem für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge sind die Lebenslagen dramatisch, weil ihnen erschwert wird, ihre Bildungsrechte wahrzunehmen.
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154 unsere jugend, 65. Jg., S. 154 - 164 (2013) DOI 10.2378/ uj2013.art15d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Berufliche Perspektiven für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Asylsuchende Erfahrungen aus der Hamburger Netzwerkarbeit Noch immer sind Flüchtlinge und Asylsuchende nicht regelhaft in integrationspolitische Maßnahmen von Kommunen und Ländern einbezogen. Aufgrund erheblicher Restriktionen in der Asylgesetzgebung sind sie im hohen Maße diskriminiert. Vor allem für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge sind die Lebenslagen dramatisch, weil ihnen erschwert wird, ihre Bildungsrechte wahrzunehmen. von Maren Gag Jg. 1952; Dipl.-Soz.päd., Leitung verschiedener Projekte im Bereich Migration, Berufsbildung und Internationale Zusammenarbeit bei einem Bildungs- und Beschäftigungsträger in Hamburg „Inzwischen hatte ich einen Punkt erreicht, an dem es kein Zurück mehr gibt, wie es so schön heißt. Und zwar nicht einmal mehr in Gedanken. Ganze Tage, ja Wochen vergingen, ohne dass ich mein Heimatdorf in der Provinz Ghazni (Afghanistan), meine Mutter, meinen Bruder und meine Schwester vor mir sah. Dabei war mir ihr Bild anfangs Tag und Nacht vor Augen gestanden. Seit dem Tag meines Aufbruchs waren ungefähr viereinhalb Jahre vergangen, davon ein gutes Jahr in Pakistan und drei Jahre im Iran. Aber auch das nur grob über den Daumen gepeilt, wie eine Marktfrau zu sagen pflegte, die in der Nähe meines jetzigen Wohnortes Zwiebeln verkauft. Ich war fast vierzehn, vielleicht auch ein bisschen älter, als ich beschloss, den Iran zu verlassen: Ich hatte die Nase voll von diesem Leben. Nach der zweiten Abschiebung (nach Afghanistan) war ich gemeinsam mit Sufi in den Iran zurückgekehrt. Aber da ihm Qom (Iran) mittlerweile zu gefährlich geworden war, hatte er die Stadt wenige Tage später verlassen und Arbeit auf einer Baustelle in Teheran gefunden. Ich dagegen hatte beschlossen, noch eine Weile in der Steinfabrik zu arbeiten, dort richtig zu schuften und so gut wie nichts auszugeben, um genug Geld für meine Flucht in die Türkei zu sparen.“ (Geda 2011, 99). Dieser Textauszug stammt aus einer Erzählung, die von einem italienischen Autor auf der Basis der Fluchterfahrung eines afghanischen Jugendlichen verfasst wurde, dessen Flucht sich über mehrere Jahre erstreckt hat. Er war im Alter von 10 Jahren von seiner Mutter außer Landes geschmuggelt worden, mit dem Ziel, im Westen ein besseres Leben zu finden. Sein Fluchtweg, 155 uj 4 | 2013 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge den er ohne Kontakt zu seiner Familie bewältigt hat, führte über Pakistan, in den Iran, in die Türkei, nach Griechenland bis nach Italien, wo er heute als anerkannter Flüchtling lebt. Die Geschichte ist typisch für viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die sich auf den Weg nach Europa machen, um zu überleben und bessere Zukunftsperspektiven für sich zu entwickeln. Seit August 2008 ist in Hamburg eine starke Zunahme an minderjährigen Flüchtlingen zu verzeichnen. Während es 2007 noch 20 Flüchtlinge waren, wurden 74 Jugendliche im Jahr 2008, 191 im Jahr 2009, 414 im Jahr 2010 und 614 im Jahr 2011 in Obhut genommen (Landesbetrieb Erziehung und Beratung 2012). Zur besonderen Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Hamburg Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gelten als schutzbedürftig und haben, wenn sie in einem anderen Land Zuflucht suchen, Anspruch auf eine ihrem Alter und ihrer psychosozialen Situation angemessene Versorgung. Allerdings sind die entsprechenden Verfahren auch mit Restriktionen verbunden. Sie zeigen sich insbesondere daran, dass junge Flüchtlinge sich nach Einreise immer einer Altersüberprüfung unterziehen müssen. Reist ein Jugendlicher in Hamburg ein, meldet er sich entweder im zuständigen Einwohnerzentralamt oder aber direkt in einem Jugendamt. Das Jugendamt muss nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zwingend in Obhut nehmen (§ 42 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Achtes Buch SGB VIII). Jedoch wird die Altersangabe des Jugendlichen vor der Inobhutnahme stets durch die behördliche Stelle, hier den Kinder- und Jugendnotdienst des Landesbetriebs Erziehung und Beratung (KJND), überprüft. Dabei handelt es sich nicht um ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren, sondern lediglich um eine Inaugenscheinnahme und eine persönliche Einschätzung des jeweiligen Mitarbeiters. Dabei ergeben sich drei mögliche Wege: ➤ Geht der Mitarbeiter des KJND von einer offenkundigen Minderjährigkeit (unter 18 Jahre) aus, hat dies zur Folge, dass der Jugendliche in Obhut genommen wird. ➤ Geht der Mitarbeiter des KJND von einer möglichen Volljährigkeit aus, hat dies zur Folge, dass eine medizinische Altersuntersuchung im Institut für Rechtsmedizin des Hamburger Universitätsklinikums Eppendorf anberaumt wird. Bis zum Ergebnis der Untersuchung verbleibt der Jugendliche in Obhut. Lehnt der Jugendliche die Altersuntersuchung ab, wird ihm die Inobhutnahme wegen fehlender Mitwirkung verweigert. Dieser Umstand ist rechtlich äußerst umstritten und führt immer wieder zu Kontroversen zwischen Trägern der Flüchtlingshilfe und dem Jugendamt. ➤ Geht der Mitarbeiter des KJND von einer offenkundigen Volljährigkeit (über 18) aus, hat dies zur Folge, dass die Inobhutnahme durch einen Ablehnungsbescheid verweigert wird. Es wird keine medizinische Altersfeststellung durchgeführt. Der Flüchtling wird dann durch die Ausländerbehörde in das reguläre bundesweite Verteilungssystem aufgenommen. Auch diese Entscheidung ist rechtlich umstritten, weil die jungen Flüchtlinge in diesem Verfahren keinen Beistand bzw. rechtliche Vertretung an die Seite gestellt bekommen. Die Daten in Hamburg zeigen, dass nach Abschluss des Aufnahmeverfahrens durchschnittlich rund 50 % der eine Inobhutnahme begehrenden Personen als minderjährig betrachtet werden (Landesbetrieb Erziehung und Beratung 2012, 11). Nach einer positiven Entscheidung über eine Inobhutnahme wird umgehend das Familiengericht informiert und die Einrichtung einer Vormundschaft angeregt. Die Einsetzung eines Vormundes durch das Gericht dauert in der Regel zwischen zwei und vier Wochen. In den meisten Fällen wird das Jugendamt Vormund. Der Aufenthalt in einer Inobhutnahmeeinrichtung sollte nicht länger als drei Monate dauern. In dieser Zeit ist die gesetzliche 156 uj 4 | 2013 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Vertretung zu bestimmen, der Gesundheitszustand abzuklären, der Schulbesuch zu organisieren und eine passende Folgeeinrichtung zu finden. Der Zugang zu Ausbildung und Arbeitsmarkt Flüchtlinge unterliegen umfassenden rechtlichen Diskriminierungen, sie sind benachteiligt, weil sie nach Ablehnung des Asylverfahrens in der Regel als Ausreisepflichtige nur ‚geduldet‘ sind. Der Bezug von Lebensunterhalt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz liegt unter dem Niveau der Hartz-IV-Sätze; sie unterliegen der Residenzpflicht und sind damit in ihrer Mobilität eingeschränkt. Sofern sie nicht im Besitz von Ausweispapieren sind, werden sie in der Regel mit einem Arbeitsverbot belegt. Während in der Vergangenheit Flüchtlinge und Asylsuchende grundsätzlich keinen Zugang zu Ausbildung und Arbeitsmarkt erhielten, sind in den letzten Jahren einige massive Hürden abgebaut worden: ➤ Flüchtlinge erhalten nach vier Jahren Aufenthalt mit einer Duldung den uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt, sofern sie die Abschiebehindernisse nicht selbst verursacht hatten. Damit ist eine schwerwiegende Hürde in der Beschäftigungsverfahrensverordnung abgeschafft worden, die dieser Gruppe bislang nur „nachrangig“ den Zugang zu Arbeit und Ausbildung eingeräumt hatte und sie somit faktisch davon ausschloss. ➤ Das „Aktionsprogramm der Bundesregierung zum Beitrag der Arbeitsmigration zur Sicherung der Fachkräftebasis in Deutschland“ verschafft Jugendlichen, die weniger als vier Jahre, aber mindestens ein Jahr mit einer Duldung in Deutschland sind, einen erleichterten Zugang zu Ausbildung. ➤ Geduldete Jugendliche erhalten nach vier Jahren Aufenthalt mit einer Duldung Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAFög) und Bundesausbildungsbeihilfen (BAB). ➤ Mit dem neu geschaffenen § 18 a AufenthG können Menschen mit Duldung eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn sie hier eine Ausbildung abgeschlossen haben und in ihrem Beruf einen Arbeitsplatz vorweisen. ➤ Mit dem § 25 AufenthG wurde für diejenigen Flüchtlinge die Möglichkeit der Aufenthaltsverfestigung geschaffen, die hier in Deutschland ihren Schulabschluss erworben haben. Gleichwohl existieren weiterhin rechtliche Paradoxien, die mit erheblichen Benachteiligungen verbunden sind. Selbst nach der Auffassung der Beauftragten der Bundesregierung für Integration und Flüchtlinge wird eingeräumt, dass gesetzliche Nachjustierungen hinsichtlich der ‚subsidiär Geschützten‘ notwendig sind, da sie erst nach vier Jahren Aufenthaltszeit im Bundesgebiet förderberechtigt sind und in der Praxis immer wieder deutlich wird, dass die nach dem BAföG und dem SGB II erforderlichen Voraufenthaltszeiten zu Problemen bei der Aufnahme einer Ausbildung bzw. BAföG-fähiger Bildungsmaßnahmen führen (BT-Drs. 17/ 10221, 240). Verborgene Schätze: Grenzen und Chancen bei der beruflichen Integration von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Hamburg In Hamburg wurden unter der Federführung der passage, einem Hamburger Bildungs- und Beschäftigungsträger, mehrere Netzwerkprojekte umgesetzt: Qualifizierungsoffensive für Asylbewerber/ innen und Flüchtlinge (2002 - 2005); FLUCHTort Hamburg: Berufliche Integration für Flüchtlinge (2005 - 2007); FLUCHTort 157 uj 4 | 2013 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Hamburg Plus (2008 - 2010). Seit 2010 agiert das laufende Netzwerk FLUCHTort Hamburg Plus II, in dem acht Teilprojekte zusammengeschlossen sind (www.fluchtort-hamburg.de). Durch die Initiierung und Installierung dieser großen Netzwerke zur schulischen und beruflichen Förderung von Flüchtlingen, Asylsuchenden und Geduldeten wurde in Hamburg eine wichtige Pionierarbeit geleistet. Das Netzwerk FLUCHTort fungiert seitdem in Hamburg als ein Kooperationsverbund verschiedener Träger der Praxis in der beruflichen Weiterbildung und der Flüchtlingsbetreuung, mit strategischen Partnern aus Behörden, der Arbeitsverwaltung und von Wirtschaftsbetrieben. Es ist ein Subsystem an der Nahtstelle zu formalen und non-formalen Angeboten des Regelsystems der beruflichen Bildung und unterstützt die berufliche Integration von Flüchtlingen und AsylbewerberInnen in Hamburg. Ausgehend von dieser Praxis wurde in Hamburg im Rahmen eines europäischen Vergleichs mit den Städten Florenz, Glasgow und Göteborg eine Fallstudie erarbeitet, in der der Frage nachgegangen wurde, welche Faktoren und Konzepte eine flüchtlingssensible Arbeit zur beruflichen Integration von Flüchtlingen befördern und behindern. Die Fallstudie gründet sich auf eine Analyse der Lebenswelten sowie der Bildungs- und Erwerbsverläufe von jungen Flüchtlingen, die in den letzten Jahren in Hamburg Zuflucht gefunden haben. Die Beispiele von Jugendlichen aus Afghanistan, aus Burkina Faso und aus dem Kosovo illustrieren, mit welchen Widrigkeiten sie aufgrund hier herrschender gesetzlicher Rahmenbedingungen zu kämpfen hatten (haben), und sie illustrieren gleichermaßen, wie sie unter diesen Bedingungen trotzdem ihre Bildungserfolge entfalten konnten. Die in der Studie dokumentierten Beispiele liefern auch vielfältige Einsichten über die Wirkung innovativer flüchtlingssensibler Förderprogramme sowie über die Grenzen der Tauglichkeit des Hamburger Systems der schulischen und beruflichen Bildung (Gag 2012). Viele Flüchtlinge scheitern unter diesen Bedingungen mit ihren individuellen Voraussetzungen, Bildung zu erwerben und eine Arbeitsmarktbeteiligung zu realisieren. In der Abschlussveröffentlichung der wissenschaftlichen Begleitforschung zu den Hamburger Netzwerken haben die Erziehungswissenschaftler Schroeder und Seukwa darauf hingewiesen, dass der Erwerb von Bildung sowie die Realisierung eines Übertritts in weitergehende Ausbildung und Beschäftigung abhängig sind von der individuellen Lebenslage, in der sich Flüchtlinge und Asylsuchende befinden. Danach sind es umfassende Dimensionen, wie der Aufenthaltsstatus, die finanzielle Situation, die Stabilität ihrer sozialen Verflechtungszusammenhänge, ihre Wohnsituation und ihre soziale Einbindung in andere gesellschaftliche Gruppen sowie ihre gesundheitliche Verfassung, die darüber entscheiden, ob ihr Ausbildungsverlauf gelingt (Schroeder/ Seukwa 2007, 24). Die Autoren folgen dabei den Grundüberlegungen des französischen Soziologen Pierre Bourdieu und verstehen „Bildung als ein Produkt individueller Zugangsmöglichkeiten zu und Verfügungsmacht über unterschiedliche Formen ökonomischen, sozialen und kulturellen Kapitals“ (Schroeder/ Seukwa 2007, 25; Bourdieu 1983). Die o. g. Fallstudie belegt auch, dass der Zuwachs verschiedener „Kapitalsorten“ im weiteren Bildungsverlauf möglich war. Dieser Zuwachs hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die hier analysierten jungen Flüchtlinge ihre Chancen besser wahrnehmen konnten und sie sich in ihrer individuellen Entwicklung einen Mehrwert geschaffen haben, der ihnen ermöglicht, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen und ihr Leben selbst zu gestalten. Kontextualisiert betrachtet spiegeln die untersuchten Flüchtlingsbiografien Einschluss- und Ausschlussmechanismen auf unterschiedlichen Ebenen. Zusammengefasst verdeutlicht die Fallstudie 158 uj 4 | 2013 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ➤ ordnungspolitische Benachteiligungssyndrome, die sich auf den Bildungsverlauf der Individuen beziehen, ➤ institutionelle Ausprägungen von Exklusions- und Inklusionsmechanismen der Hamburger Berufsbildungslandschaft und ➤ strukturpolitische Zusammenhänge und die Wandlung eines integrationspolitischen Leitbildes am Beispiel der Stadt Hamburg (Gag 2012, 18). Strukturelle Hürden im Wandel und ressourcenorientierte Teilhabe an Ausbildung und am Lebenslangen Lernen „Endlich lag es an mir, was ich aus meinem Leben mache.“ 1 Diese Aussage eines als minderjährig, unbegleitet nach Hamburg geflüchteten Jugendlichen verweist auf die paradoxe Situation, dass über lange Zeiträume Flüchtlinge und Asylsuchende in Deutschland in ihren für ihr Leben entscheidenden Entwicklungsjahren um ihre Chancen gebracht wurden, ihr Leben selbst zu gestalten. Zugänge ermöglichen Die Geschichte von Arash verweist eindrucksvoll auf die Hürden beim Zugang zu Ausbildung entsprechend der gesetzlichen Grundlagen, wie sie noch bis 2005 gegolten haben. Die Familie musste wegen der kriegerischen Auseinandersetzungen Afghanistan verlassen. Arash wird von seiner Familie „ausgesucht“, in den Westen zu migrieren. Er verlässt im Alter von 14 Jahren die Familie und kommt allein nach Deutschland in der Hoffnung auf verbesserte Chancen. Der Rest der Familie flieht nach Kirgisien. Als minderjähriger unbegleiteter Flüchtling wird er in Hamburg in eine Jugendwohnung eingewiesen und betreut. Seine Schullaufbahn war von erheblichen Unterbrechungen geprägt. Der Schulbesuch war wegen der Kriegssituation bereits in Afghanistan unregelmäßig, und er musste den Stoff von drei Schuljahren in kurzer Zeit nachholen. In Hamburg wurde er in die Vorbereitungsklasse eines Gymnasiums eingeschult, in der er scheiterte. Daraufhin besuchte er die Gesamtschule, die er mit einem Hauptschulabschluss beendete. Am Übergang an weitergehende Bildungsmaßnahmen scheitert er an den strukturellen Hürden deutscher Gesetzgebung. Da er keine Arbeitserlaubnis erhält, schlägt er sich mit Gelegenheitsjobs durch. Dank der Sonderbedingungen der Hamburger Netzwerke kann er Qualifizierungsmaßnahmen (modularisiert) durchlaufen, weil die Teilnahme arbeitsgenehmigungsfrei ist. Dadurch bekommt er den Zugang zu einem Praktikum in einem Baubetrieb. Der Betrieb ist bereit, Arash auszubilden, aber bis zum Erhalt einer Arbeitsgenehmigung vergehen viele Monate. Über die Übereinkunft zwischen Netzwerk und Arbeitsagentur gelingt es, eine Arbeitsgenehmigung zu erhalten, weil es sich um einen zusätzlichen Ausbildungsplatz handelt: Das Netzwerk hatte mit der Leitung der Hamburger Agentur für Arbeit ausgehandelt, dass eine Arbeitsgenehmigung für einen geduldeten Flüchtling/ Asylsuchenden erteilt wird, wenn es dem Netzwerk gelingt, in einem Betrieb einen zusätzlichen Ausbildungsplatz (Betrieb musste seine Bereitschaft nachweisen, einen Jugendlichen mehr als im Vorjahr auszubilden) zu akquirieren. „Der schönste Moment war, als ich Anfang des Jahres die Arbeitserlaubnis für acht Stunden täglich in der Hand hielt. Das war das erste Mal seit zehn Jahren, dass ich richtig arbeiten durfte. Ich habe sie aufbewahrt. Mein Traum war immer, Architekt zu werden. Doch als ich das Angebot bekam, die Qualifizierung im Stahlbetonbau zu machen, habe 1 Arash, Teilnehmer im Netzwerk FLUCHTort Hamburg Plus 2010 159 uj 4 | 2013 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ich sofort ‚ja’ gesagt. Die Aufenthaltssicherung durch das Projekt hat mir die Sicherheit gegeben, dass ich ein Jahr nicht abgeschoben werde. Endlich ein Jahr Ruhe, zeigen, was ich kann. Jetzt habe ich die Aufenthaltserlaubnis und möchte meine Ausbildung beenden. Ich will weiterkommen, höher hinaus. Deshalb möchte ich mich zum Polier oder technischen Bauleiter weiterbilden. Dann kann ich Verantwortung übernehmen und selbst Entscheidungen treffen.“ (Arash 2007) Arash hat über Umwege seinen Traum verwirklicht. Nach Abschluss seiner Ausbildung hat er zuerst als Stahlbetonbauer gearbeitet. Aus gesundheitlichen Gründen musste er sich neu orientieren. Nach dem Besuch einer Fachoberschule Bautechnik hat er ein Studium im Bauingenieurswesen an der Hafencity-Universität aufgenommen. Der Betrieb hatte seine Potenziale erkannt, damit war ihm der Zugang zur realen Arbeitswelt eröffnet, der seine Lebenssituation erheblich stabilisiert hat. Darauf verweisen sein sehr guter Berufsabschluss vor der Handwerkskammer und die Tatsache, dass er mehrere Auszeichnungen erhalten hat. Inzwischen hat Arash eine Familie gegründet und lebt in einer eigenen Wohnung. Das Netzwerk fungierte in seinem gesamten Bildungsverlauf als sicheres Geländer, das ihn bei der Überwindung der Schwellen zum Eintritt in die folgenden Teilsysteme unterstützt hat. Die Geschichte von Arash belegt, dass er aufgrund seiner Motivation und seines Durchhaltevermögens einen Kapitalzuwachs für sich gewonnen hat, der ihm ermöglicht, ein Leben zu führen, in dem er seinen Bildungsweg selbstbestimmt fortsetzen kann, der aufstiegsorientiert verläuft und ökonomisch gesichert ist, weil er den Zugang zu Förderinstrumenten erhalten hat. Zudem setzt er sein kulturelles Kapital ein, indem er andere benachteiligte MigrantInnen durch seine Tätigkeit als Mentor während ihrer schulischen Ausbildung unterstützt: Arash jobt neben seinem Studium im Projekt „Junge Vorbilder“ - MentorInnen mit Migrationshintergrund unterstützen andere MigrantInnen in der Schule, um Schulerfolge zu sichern (www. verikom.de). Nach der jetzigen Gesetzeslage ist es möglich, Flüchtlinge nach einem Jahr in Ausbildung zu vermitteln. Werden die Wartezeiten für die Berufsvorbereitung so früh wie möglich nach der Einreise für eine gezielte Basisförderung genutzt, dann können verbliebene gesetzliche Hürden kompensiert werden. Außerdem wird vermieden, dass die Motivation durch Perspektivlosigkeit und erzwungene Passivität sinkt und im späteren Verlauf erst mühsam Motivation für den Erwerb von Bildung und Ausbildung aufgebaut werden muss. Arbeitsfeld Übergang Schule - Beruf Aufgrund der Tatsache, dass es in Deutschland eine hohe Zahl unversorgter schulpflichtiger junger Menschen ohne Ausbildungs- und Arbeitsplatz gibt, hat sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte ein differenziertes Übergangssystem entwickelt, das benachteiligte Jugendliche unterstützen soll, den Schritt in die Arbeitswelt zu schaffen. Dazu werden in den verschiedenen Bundesländern zahlreiche Bildungsgänge angeboten, die an den Beruflichen Schulen angesiedelt sind (Schroeder/ Thielen 2009). Die Unterbringung von Seiteneinsteigern in das Hamburger Bildungssystem hängt vom Alter der Flüchtlinge ab. Die Flüchtlingskinder (unter 16 Jahren) werden in Auffangklassen an den allgemeinbildenden Schulen aufgenommen mit dem Ziel, sie sprachlich vorzubereiten, um sie dann so schnell wie möglich in die Regelklassen der Grundschulen oder der Sekundarstufe einzugliedern. Diejenigen jungen Flüchtlinge, die in der Regel 16 Jahre und älter sind, auch vielfach als junge unbegleitete Minderjährige einreisen und zumindest noch berufsschulpflichtig sind, kommen in gesonderte Bildungsgänge, die an den Beruflichen Schulen des Landesbetriebes „Hamburger Institut für 160 uj 4 | 2013 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Berufliche Bildung“ (HIBB) angesiedelt sind. Das HIBB hatte 2002 zwei Bildungsgänge aufgelegt, deren Bildungspläne unterschiedlich ausgestattet sind und die unterschiedliche Bildungsziele verfolgen. Während der Bildungsgang „Berufsvorbereitungsjahr für Migrant/ innen“ (BVJ-M) ausschließlich jungen MigrantInnen aus EU-Ländern vorbehalten ist, sind Flüchtlinge und AsylbewerberInnen, die nicht über einen gesicherten Aufenthalt verfügen, in dem Kurs„Vorbereitungsjahr für Migrant/ innen“ (VJ- M) untergebracht (Freie und Hansestadt Hamburg 2002). Dieser mit geringeren Lehrerstunden und geringeren sonstigen Ressourcen ausgestattete Bildungsgang sieht in erster Linie eine sprachliche Grundbildung vor und bietet praktischen Unterricht in Werkstätten unterschiedlichster Branchen sowie Unterricht in wenigen allgemeinbildenden Fächern (Mathematik, Englisch) an. Durch diese Vorbereitungsschule werden Möglichkeiten bereitgestellt, dass die SchülerInnen im Anschluss nachträglich den Hauptschul- oder Realschulabschluss erwerben können. Eine Vermittlung in Ausbildung war bisher nicht vorgesehen, weil die rechtlichen Rahmenbedingungen dies in der Vergangenheit nicht zuließen. In der Betrachtung der Bildungsverläufe der jungen Flüchtlinge hat sich gezeigt, dass durch die schwierigen Rahmenbedingungen die Vorbereitungslehrgänge an den Beruflichen Schulen an ihre Grenzen stoßen in Hinblick auf die Beseitigung vielfältiger Benachteiligungsmerkmale, die bei jungen Flüchtlingen beim Übergang von der Schule in den Beruf sichtbar werden. Die psychischen Probleme von traumatisierten Flüchtlingen bleiben meist unerkannt Flüchtlinge sind aufgrund von Gewalterfahrungen im Zusammenhang mit Krieg und Vertreibung häufig traumatisiert. Nach einer Veröffentlichung im Deutschen Ärzteblatt machten ca. 40% der AsylbewerberInnen und Flüchtlinge, die sich in Deutschland aufhalten, mehrfach traumatisierende Erfahrungen und durchlitten Folter im Herkunftsland (Deutsches Ärzteblatt 2009). Fehlende bis unzureichende Therapieangebote für diese Zielgruppe beeinflussen den Krankheitsverlauf negativ. In Folge leiden die Betroffenen unter Depression, Zermürbung, Angst und Progredienz. Ein Beispiel ist die Geschichte von Gyltene. Sie flüchtete im Alter von 17 Jahren aus dem Kosovo gemeinsam mit ihrer Familie nach Hamburg. Während sie im Kosovo zuletzt das Gymnasium besucht hatte, wurde sie in Hamburg in eine VJ-M-Klasse in der Gewerbeschule für Bautechnik eingeschult. Die Erlebnisse während des Krieges und der Flucht haben zu einer posttraumatischen Belastungsstörung geführt, die in Hamburg therapeutisch behandelt wurde. Nach einem dreijährigen Aufenthalt gingen ihre Eltern in das Herkunftsland zurück, und die Geschwister blieben allein in Hamburg. Ein Besuch im Kosovo war jahrelang nicht möglich, weil es für „Geduldete“ nicht möglich ist, die Stadt Hamburg zu verlassen. Gyltene hat mit Hilfe der Berufsvorbereitungsschule und dem Netzwerk FLUCHTort seit 1999 vorbereitende Qualifizierungsmaßnahmen sowie zahlreiche Praktika absolviert, ihren Hauptschulabschluss erworben und Aushilfstätigkeiten verrichtet, so dass sie 2007 - bedingt durch den Erhalt einer Arbeitserlaubnis - in Ausbildung vermittelt werden konnte. Sie wurde im Verlauf intensiv betreut - von den Lehrkräften, von den BeraterInnen, von einer Mentorin -, auch weil ihre gesundheitlichen Probleme sie erheblich beeinträchtigt haben. 2010 schließt sie ihre Ausbildung als medizinische Fachangestellte ab, wird allerdings zunächst nicht zur Abschlussprüfung zugelassen aufgrund krankheitsbedingter Fehlstunden. Unterstützt durch die Intervention eines Rechtsanwalts kann Gyltene erreichen, dass sie die Prüfung abschließen kann, und zwar erfolgreich mit der Note 2. Sie wurde von der Praxis in ein Beschäftigungsver- 161 uj 4 | 2013 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge hältnis übernommen und hat sich zum Ziel gesetzt, sich als Praxismanagerin weiterbilden zu lassen. Dieser Lebensabschnitt von Gyltene zeigt ein hohes Maß an Widerstandskraft, die sie für sich trotz maßgeblicher gesundheitlicher Beeinträchtigung mobilisieren konnte. Diese Fähigkeit nennt der Hamburger Erziehungswissenschaftler Seukwa „den Habitus der Überlebenskunst“, nach dem es den Jugendlichen gelingt, trotz widrigster Umstände subjektive Strategien der Bewältigung zu entwickeln und Kompetenzen zu erwerben (Seukwa 2006). Erfahrungen mit guter Praxis - ein Beispiel Die Wirksamkeit einzelner Integrationsmaßnahmen für benachteiligte Gruppen kann sich erhöhen, wenn sie in Form von Netzwerkarbeit durchgeführt werden. Passgenau zugeschnittene und bedürfnisorientierte Förderansätze erfordern niedrigschwellige Einstiegsmöglichkeiten für die Teilnehmenden und ein flexibles Konzept. Die Anordnung verschiedener Teilprojekte in einem Projektverbund ermöglicht die Umsetzung eines integrierten Handlungsansatzes. Indem das Konzept der einzelnen Maßnahmen aufeinander abgestimmt wird, erhöhen sich durch die Bereitstellung eines breiteren Angebots auch die Erfolgsaussichten für alle Maßnahmen. Durch die Kooperation von „flüchtlingsnahen“ Einrichtungen und sogenannten „betriebs- und arbeitsmarktnahen“ Trägern mit aufeinander bezogenen Angeboten und Kontakten werden Zugänge zu den Maßnahmen gesichert und ein „Baukastensystem“ von Einstiegsbis zu Qualifizierungs- und Vermittlungsangeboten auf höherem Qualifikationsniveau zur Verfügung gestellt. Individuelle Begleitung beim Übergang in Ausbildung und Arbeit Die wissenschaftliche Begleitung der Hamburger Netzwerkarbeit hat ergeben, dass der Erfolg von Ausbildungsmaßnahmen sehr davon abhängt, ob es gelingt, in den Einrichtungen der beruflichen Qualifizierung den gesamten Lebenszusammenhang der Flüchtlinge in den Blick zu nehmen. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Lebenslage der Flüchtlinge und ihren Möglichkeiten, Bildung nachzufragen und zu erwerben. Neben der Verbesserung ihres rechtlichen Status müssen sie finanziell gesichert gefördert werden. Es sollten zudem intensive soziale Unterstützungsangebote gemacht, die Wohnbedingungen verbessert und für eine optimale medizinische Betreuung gesorgt werden, damit sie die Ausbildungen erfolgreich absolvieren können (Schroeder/ Seukwa 2007, 265). Im Hamburger Netzwerk arbeitet derzeit ein Teilprojekt, dessen Praxis hier beispielhaft vorgestellt wird. Es zeigt, dass Angebote der Beratung, des Coachings, der Vermittlung in Ausbildung, die Ausbildungsvorbereitung und -begleitung eine berufliche Integration von jungen Flüchtlingen erleichtern. Die „Ausbildungsbegleitung durch Mentor/ innen“ ist ein Modell, das diesen Grundsatz in Konzept und Instrumentarium ausgestaltet hat, indem Studierende der Hochschule für Angewandte Wissenschaften aus dem Fachbereich Sozialpädagogik als MentorInnen eingesetzt werden. 2 Mit dem Ansatz der sogenannten Alltagsbegleitung wird das Ziel verfolgt, die Flüchtlinge in die Lage zu versetzen, die Ausbildung erfolgreich weiterzuführen bzw. abzuschließen. Diese Form der Betreuung ermöglicht einen tiefen Einblick in die Lebenslage von Flüchtlingen, die gekennzeichnet ist durch Angst vor 2 Träger des Projekts ist basis & woge e.V., ein gemeinnütziger und staatlich anerkannter Träger für soziale Dienstleistungen in Hamburg. Die Angebote reichen von Jugendwohnungen über offene Angebote bis zu Gesundheitshilfen, Qualifizierungsprojekten für Flüchtlinge und junge Erwachsene mit Migrationshintergrund. 162 uj 4 | 2013 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Abschiebung, schlechte Wohn- und Lebensbedingungen, Orientierungslosigkeit und Diskriminierung. Das Mentoring ermöglicht es, sich ein Bild von dieser Lebenssituation im Ganzen zu machen, um dann adäquat agieren zu können. Die Praxis kann sehr vielfältig sein: Unterstützung in der Schule, Reflexion der eigenen Religion, Begleitung zum Gerichtstermin, gemeinsamer Kinobesuch oder auch ein gemeinsames Gespräch mit dem Ausbilder. Es geht hier um einen Kontakt, der alle Themen des Lebens umfassen kann, aber nicht muss, und der nicht bevormundet. Alle Handlungen der MentorInnen nach außen finden in Absprache mit dem/ der Mentee statt. Außerdem herrscht Verschwiegenheitspflicht, damit eine vertrauensvolle Basis gegeben ist. Die Mentees fühlen sich in dieser Betreuungsform gut aufgehoben, denn sie haben für alle Belange eine/ n AnsprechpartnerIn und müssen sich nicht auf die Suche nach der richtigen (Beratungs-)Stelle machen. Ihnen bietet dieser Kontakt zudem einen Einblick in das Leben eines/ einer Deutschen bzw. einer hier geborenen Person (viele MentorInnen haben selber einen Migrationshintergrund), teilweise ist es der einzige Kontakt zu einer „deutschen“ Person. Sie erhalten zudem Einblick in das Leben eines/ einer Studenten/ Studentin, und so eröffnen sich ggf. Ideen für die eigene Zukunft. Um die fachliche Unterweisung der MentorInnen zu gewährleisten, betreibt der Träger eine Kooperation mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaft (Prof. Dr. Seukwa). Somit werden auch im Rahmen des Studiums Treffen organisiert, um mit den MentorInnen Theorie- und Praxisfragen der Alltagsbegleitung zu reflektieren. Die MentorInnen arbeiten ehrenamtlich, sie erhalten lediglich 100 € monatlich als Aufwandsentschädigung für ihre Auslagen. Auch für die Studierenden der Hochschule für Angewandte Wissenschaft ist dieser Praxisbezug eine wertvolle Selbsterfahrung und Vorbereitung auf ihre spätere Berufsausübung in sozialpädagogischen Arbeitsfeldern. Über den Kontakt eröffnen sich wertvolle Einsichten in die Lebenswelten von Flüchtlingen, die gleichermaßen mit Reflexion über die eigenen Lebenswege und -erfahrungen verbunden sind. „Die Alltagsbegleitung von A. bereichert mich in vielerlei Hinsicht. Sie erweitert meine pädagogischen Kompetenzen, insbesondere in Hinblick auf das Herstellen eines professionellen und vertrauensvollen Mentoren-Mentee-Verhältnisses.“ 3 Monitoring: Bildungsberichterstattung über Lebenslagen von Flüchtlingen In Hamburg wie auch anderswo ist festzustellen, dass beim „Monitoring“ integrationspolitischer Maßnahmen und in der Sozial- und Bildungsberichterstattung die Migrantengruppen im Vordergrund stehen, die über einen gesicherten Aufenthaltsstatus verfügen. Asylsuchende, Geduldete und Bleibeberechtigte (Flüchtlinge) sind nicht berücksichtigt. Aus unserer Erfahrungsperspektive ergibt sich ein Bedarf an der Entwicklung eines geeigneten Datenkonzeptes, um in Hamburg Quantität und Qualität von Angeboten zu untersuchen sowie bestehende Ungleichheit und Benachteiligung zu identifizieren. Insbesondere in Bezug auf die Bildungsplanung wäre es aus unserer Sicht wichtig, durch regelmäßige stadtteil- und schulbezogene Erhebung Daten über die Bildungsbeteiligung von Flüchtlingen zur Verfügung zu stellen und daraus Bewertungen abzuleiten. Ziel sollte es sein, einen qualitativen und problembezogenen Bildungsbericht zu erstellen, der Handlungshinweise für die Bildungs- und Berufsbildungsakteure in Hamburg liefert. Im Zusammenhang mit den langjährigen integrationspolitischen Bemühungen zur Teilhabe von geduldeten Flüchtlingen und Asylsuchenden im Rahmen der Ham- 3 Franziska W., Mentorin im Projekt Ausbildungsbegleitung für Flüchtlinge durch MentorInnen. 163 uj 4 | 2013 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge burger Netzwerkarbeit wurde das Konzept Refugee Monitoring erstellt, das darauf abzielt, die Wirksamkeit einer erweiterten Integrationspolitik in Hamburg zu überprüfen sowie ein Monitoringverfahren und eine regelmäßige Bildungsberichterstattung zu installieren (Gag/ Schroeder 2011). Ein erstes Ergebnis nach einer öffentlichen Diskussion mit den Fachbehörden war die Erstellung eines Bildungsberichts zur Situation junger Flüchtlinge im Hamburger Übergangssystem Schule/ Beruf, der Analysen zu den strukturellen und pädagogischen Passungsproblemen der für Asylsuchende und Geduldete vorgehaltenen Bildungsgänge vorstellt und Empfehlungen zur Umgestaltung dieser Bildungsgänge unterbreitet (Gag/ Schroeder 2012). Ausblick In Hamburg vollzieht sich ein langsamer Prozess eines Paradigmenwechsels in der Politik für die Gruppe der Flüchtlinge. Im Jahr 2011 hatte der Senat nunmehr beschlossen, das Handlungskonzept zur Integration von ZuwandererInnen neu auszurichten, es wird sich künftig auch auf Flüchtlinge und Asylsuchende beziehen. Eine entsprechende Drucksache soll im Frühjahr des Jahres 2013 von der Hamburgischen Bürgerschaft verabschiedet werden. Somit bestehen Hoffnungen, dass insbesondere unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen künftig verlässlicher der Zugang zu Bildung und Ausbildung gewährt wird. Sie sind besonders darauf angewiesen, die in ihrem Lebensabschnitt notwendige Bildungszeit in Anspruch zu nehmen, weil sie aufgrund ihres biografischen Verlaufs an verschiedenen Orten in unterschiedlichen Ländern leben und ihre Bildungslaufbahn nicht in der institutionell formalisierten zeitlichen Abfolge ohne Unterbrechungen absolvieren können. Maren Gag Passage gGmbH Nagelsweg 14 20097 Hamburg maren.gag@passage-hamburg.de Literatur Bourdieu, P., 1983: Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Kreckel, R. (Hrsg.): Soziale Ungleichheit. Soziale Welt, Bd. 2, Göttingen, S. 183 - 198 Deutsches Ärzteblatt, 2009: 106 (49): A-2463/ B-2115/ C-2055 Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, 2012: Neunter Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland (Stand Juni 2012). Berlin Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Bildung und Sport, 2002: Bildungsplan Berufsvorbereitungsschule (BVS), Kurs Berufsvorbereitungsjahr für Migrantinnen und Migranten (BVJ-M); Kurs Vorbereitungsjahr für Migrantinnen und Migranten (VJ-M). Hamburg Gag, M., 2012: City-Report HAMBURG. Berufliche Integration von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Hamburg. Verschlungene Wege - vom Modell zur Struktur. www.fluchtort-hamburg/ eduasylprojet.html, 49 Seiten [englischsprachige Version im Erscheinen] Gag, M./ Schroeder, J., 2011: Refugee Monitoring. Vorschläge zu einem Pilotvorhaben am Beispiel der Stadt Hamburg. Manuskript, präsentiert beim Werkstattgespräch „Monitoring und Bildungsberichterstattung auch für Flüchtlinge und Asylsuchende“ am 22. 6. 2011 in der Patriotischen Gesellschaft von 1765. Hamburg Gag, M./ Schroeder, J., 2012: REFUGEE MONITORING. Zur Situation junger Flüchtlinge im Hamburger Übergangssystem Schule/ Beruf. Berichterstattung. Herausgegeben von der passage gGmbH, Hamburg Geda, F., 2011: Im Meer schwimmen Krokodile. Eine wahre Geschichte. München 164 uj 4 | 2013 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Landesbetrieb Erziehung und Beratung, 2012: Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Inobhutnahme und Erstversorgung im Landesbetrieb Erziehung und Beratung. Hamburg Schroeder, J./ Seukwa, L. H., 2007: Flucht - Bildung - Arbeit. Fallstudien zur beruflichen Qualifizierung von Flüchtlingen. Karlsruhe Schroeder, J./ Thielen, M., 2009: Das Berufsvorbereitungsjahr. Eine Einführung. Stuttgart Seukwa, L. H.,2006: Der Habitus der Überlebenskunst. Zum Verhältnis von Kompetenz und Migration im Spiegel von Flüchtlingsbiographien. Münster 2., überarb. Auflage 2013. 133 Seiten. 5 Abb. 13 Tab. (978-3-497-02375-2) kt Unerwünschte Hilfe Häufiger als gemeinhin vermutet suchen KlientInnen Sozialdienste auf, weil sie von Angehörigen oder professionellen HelferInnen dazu gedrängt werden. Auch gesetzliche Vorgaben können der Grund für eine Kontaktaufnahme mit einem sozialen Dienst sein. Wie können SozialarbeiterInnen dazu beitragen, dass • KlientInnen das Hilfsangebot nicht nur pro forma, sondern ernsthaft annehmen? • die Beratung erfolgreich verläuft? • KlientInnen ihren Alltag fortan besser bewältigen? Die 2. Auflage wurde komplett überarbeitet und enthält zahlreiche Tipps und Praxisbeispiele. Mit Online-Zusatzmaterial unter www.reinhardt-verlag.de a www.reinhardt-verlag.de