unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2013.art37d
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2013
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Jugend-Mentoring: ein Beitrag zu mehr Zusammenhalt und Potenzialentfaltung in unserer Gesellschaft
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2013
Jan Ehlers
Sebastian Volberg
Erinnern Sie sich an einen Menschen, der Ihnen in einer entscheidenden Lebenssituation, vielleicht während der Berufsausbildung oder dem Studium, zur Seite stand? Oder an einen älteren Bekannten, vielleicht einen Freund der Eltern oder der großen Schwester, der Sie beeindruckte und dem Sie als Vorbild nachgeeifert haben? Die meisten Menschen haben während ihres Lebens bewusst oder unbewusst erfahrene Begleiter außerhalb der Familie, die mit Rat und Tat zur Seite stehen, als Sparringspartner helfen, Situationen richtig zu bewerten oder Entscheidungen positiv zu beeinflussen. Insbesondere an Übergängen zwischen verschiedenen Lebensphasen, beispielsweise zwischen der Schulzeit und der Berufsausbildung oder dem Studium und dem Berufseinstieg, können wir von den Erfahrungen und dem Wissen dieser MentorInnen profitieren.
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402 unsere jugend, 65. Jg., S. 402 - 408 (2013) DOI 10.2378/ uj2013.art37d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Jugend-Mentoring: ein Beitrag zu mehr Zusammenhalt und Potenzialentfaltung in unserer Gesellschaft Erinnern Sie sich an einen Menschen, der Ihnen in einer entscheidenden Lebenssituation, vielleicht während der Berufsausbildung oder dem Studium, zur Seite stand? Oder an einen älteren Bekannten, vielleicht einen Freund der Eltern oder der großen Schwester, der Sie beeindruckte und dem Sie als Vorbild nachgeeifert haben? Die meisten Menschen haben während ihres Lebens bewusst oder unbewusst erfahrene Begleiter außerhalb der Familie, die mit Rat und Tat zur Seite stehen, als Sparringspartner helfen, Situationen richtig zu bewerten oder Entscheidungen positiv zu beeinflussen. Insbesondere an Übergängen zwischen verschiedenen Lebensphasen, beispielsweise zwischen der Schulzeit und der Berufsausbildung oder dem Studium und dem Berufseinstieg, können wir von den Erfahrungen und dem Wissen dieser „MentorInnen“ profitieren. von Jan Ehlers Jg. 1976; Studium der Wirtschaftspädagogik, Dipl.- Handelslehrer, Groß- und Außenhandelskaufmann, Vorstand der Denkwerkstatt: JugendMentoring e.V., engagiert im Beirat von SchulePlus sowie im Mentoringprojekt SIMUL Einführung - Jeder hat eine persönliche Mentoring-Geschichte Zahlreiche Studien der vergangenen Jahre belegen, dass besonders diejenigen jungen Erwachsenen Schwierigkeiten haben, eine Berufsausbildung oder ein Studium erfolgreich anzutreten bzw. zu durchlaufen, deren familiäres Umfeld hierin keine oder wenige Erfahrungen aufweist. In Deutschland studieren 77 % der Kinder aus Akademikerhaushalten, jedoch nur 23 % aus Elternhäusern ohne akademische Erfahrungen (vgl. Middendorff u. a. 2013, 11f ). Aus diesen Zahlen wird deutlich, dass wir und unsere Kinder noch lange nicht unser persönliches Entwicklungspotenzial ausschöpfen bzw. dass dieses eng an unser soziales Umfeld gebunden ist. Mehr noch, viele Kinder und Jugendliche erreichen heutzutage noch nicht einmal die notwendigen forma- Sebastian Volberg Jg. 1988; Studium der Staatswissenschaften, besuchte ein Jahr lang verschiedene Jugend- Mentoring-Initiativen in Deutschland, bloggt u. a. zu Jugend-Mentoring auf www.sebastianvolberg.de 403 uj 10 | 2013 Mentoring len Kompetenzen, um in der anspruchsvollen „Wissensgesellschaft“ ihr Potenzial erfolgreich zu entfalten und in ein selbstbestimmtes Leben umzusetzen. Wir möchten mit unserem Artikel einen kurzen Überblick zum Thema Jugend-Mentoring geben und deutlich machen, dass dieses alte Konzept, dessen Name aus der griechischen Mythologie stammt (Mentor war Begleiter und Lehrer von Telemachus, dem Sohn von Odysseus), eine bedeutsame Rolle in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskussion über Chancengerechtigkeit und Potenzialentfaltung einnehmen kann. Beginnen möchten wir aber mit zwei eigenen persönlichen Mentoring- Geschichten. Als unser Sohn Yunis 2002 geboren wurde, hatte meine Frau gerade ihre Berufsausbildung zur Ergotherapeutin abgeschlossen, und ich steckte noch mitten im Wirtschaftspädagogikstudium. Wir waren mit Abstand die jüngsten Eltern in unserem Bekanntenkreis, und es war klar, dass es uns wichtig ist, unsere FreundInnen frühzeitig in die Erziehung von Yunis einzubeziehen. Gemäß dem afrikanischen Sprichwort „Zur Erziehung eines Kindes braucht man ein ganzes Dorf“ ernannten wir kurzerhand sechs Freundinnen und Freunde zu „Paten“ und feierten ein privates Tauffest. Heute, gut zehn Jahre später, sind überwiegend enge Beziehungen zwischen den PatInnen und unseren Kindern (mittlerweile sind es zwei) gewachsen, die es Yunis und Jaron ermöglichen, Erwachsene mit unterschiedlichen Einstellungen, Lebensentwürfen und Berufen zu erleben. Wir hoffen, dass diese initiierten Beziehungen in den kommenden Jahren (mit der anstehenden Pubertät steht die größte Herausforderung ja noch bevor) weiter wachsen und das Leben unserer Kinder bereichern, dass unsere FreundInnen als gute MentorInnen mit Rat und Tat zur Verfügung stehen, Vorbilder und Begleiter in den anstehenden Lebensphasen sein werden und eine Anlaufstelle bieten, sollten wir uns mal weniger mit ihnen verstehen. (Jan Ehlers) Im Herbst 2009 begann ich mein Studium der Staatswissenschaften in Erfurt. Eine Hochphase der damaligen Bildungsproteste. Mit einem nachhilfe-orientierten Mentoring-Programm, welches ich mit FreundInnen ins Leben rief, wollte ich in Zusammenarbeit mit Jugendclubs und StreetworkerInnen „Bildung für alle - und zwar umsonst“ zu mehr als nur einem Schlachtruf gegen Studiengebühren werden lassen. In der Zeit zwischen Bachelor- und Masterstudium kramte ich meine Ersparnisse zusammen, gab mein WG- Zimmer in Erfurt auf und kaufte mir eine Bahn- Card 100, um die Mentoring-Landschaft in Deutschland zu erkunden. Bis September 2013 war ich unterwegs. Dabei habe ich viele unterschiedliche Mentoring-Programme entdeckt, viele begeisternde Persönlichkeiten kennengelernt und schließlich meine Rolle gefunden, etwas zum Wissens- und Erfahrungstransfer beizutragen. Ich hatte von Beginn an so etwas wie natürliche MentorInnen, die mir ihre Kontakte weitergaben und mich ein bisschen über die „Mentoring-Szene“ aufklärten. Diese Personen haben mir nicht das Reisen abgenommen, standen mir aber immer wieder Rede und Antwort, wenn ich Fragen hatte, oder gaben mir Feedback zu meinen Ideen. (Sebastian Volberg) Mit diesen beiden Beispielen möchten wir verdeutlichen, wie häufig und selbstverständlich unterstützende Beziehungen zwischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in unserer Gesellschaft entstehen. Unabhängig davon, ob diese Beziehungen als Mentoring, Patenschaften oder als Freundschaften entstehen, ob es die Nachbarin ist, die bei den Hausaufgaben hilft, der Freund des großen Bruders, der zeigt, wie man ein Fahrrad repariert, oder ob es Tante und Onkel sind, die ein Praktikum in ihrem Betrieb vermitteln: Alle bieten den Heranwachsenden Hilfestellungen in den verschiedenen Lebensphasen und tragen dazu bei, Übergänge erfolgreich zu meistern. So viele Gesichter dieses 1 : 1- oder auch Tandem-Prinzip hat, so viele Namen hat es auch: (Aktiv-)Patenschaften, Mentoring und manchmal auch Coaching. Wir nutzen hier 404 uj 10 | 2013 Mentoring den Begriff Mentoring, ohne damit die anderen Namen und Selbstverständnisse zu diskreditieren. Vom informellen Mentoring zum professionell initiierten Mentoring-Programm Mentoring: Definition und Erfolgsfaktoren In Anlehnung an Bronfenbrenner (1998) und Popoff (2005) möchten wir Mentoring wie folgt definieren: Eine erfahrene und meist ältere, nicht verwandte Person (MentorIn) bietet einer jüngeren Person (Mentee) hierarchieübergreifend Unterstützung, Beratung, Zugang zu Netzwerken und informellen Informationen und begleitet sie so für einen Zeitraum in ihrem Werdegang. Der/ die MentorIn fördert hierbei die Kompetenzen und Persönlichkeit des Mentee, indem er/ sie ihn durch förderlichen Beistand beim Überwinden immer komplexer werdender Tätigkeiten unterstützt (vgl. Ehlers 2007). Es gibt Anzeichen, dass vor allem bei Kindern und Jugendlichen zur oben genannten Definition noch eine emotionale Dimension hinzukommt (vgl. Ehlers 2007). Für eine hohe Intensität von Mentoring ist es wichtig, dass die TandempartnerInnen sich gut verstehen und voneinander lernen wollen. Erwachsene und Jugendliche, die Spaß an ihren gemeinsamen Aktivitäten haben und deren Beziehung auf gegenseitiger Wertschätzung basiert, haben die höchste Chance, ihr Selbstbild und ihre Kompetenzen durch Mentoring zu erweitern. Die Motivation von MentorIn und Mentee, Zeit miteinander zu verbringen und gemeinsam etwas zu unternehmen, ist für den Erfolg ebenso Bedingung wie gegenseitiges Vertrauen und Verlässlichkeit. Großangelegte Studien in den USA konnten nachweisen, dass Mentoring-Beziehungen vor allem dann eine positive Entwicklung des Kindes bzw. Jugendlichen fördern können, wenn die Beziehung mindestens ein Jahr andauert (vgl. Rhodes). Ein/ e MentorIn, mit dem/ der sich das Kind bzw. der/ die Jugendliche identifiziert, dient als Vorbild (role model) und eröffnet damit die Möglichkeit für den Mentee, von seinen Erfahrungen zu lernen. MentorIn und Mentee profitieren in Gesprächen und Diskussionen voneinander, indem Kommunikationsfähigkeiten erweitert werden und beide neue Erkenntnisse und Sichtweisen gewinnen. Werden z. B. Hausaufgaben oder Bewerbungsunterlagen besprochen oder auch gemeinsam erarbeitet, kann der/ die Jugendliche von dem Wissen und den Erfahrungen des Erwachsenen profitieren. Aber auch wenn sich das Tandem gemeinsam über alltägliche Dinge wie Musik, Fußball oder das Fernsehprogramm austauscht oder sich gemeinsamen Hobbys widmet, entsteht die Möglichkeit, hieraus zu einem differenzierteren Meinungs- und einem reflektierten Selbstbild zu gelangen. Eine andere wichtige entwicklungsfördernde Dimension von Mentoring kann mit der Weitergabe von sozialem Kapital nach Colemen beschrieben werden (vgl. Ehlers 2007). Der/ die MentorIn kann dem Mentee Zugang zum persönlichen Netzwerk gewähren und ihm somit helfen, Zutritt zu ansonsten fernen Lebensbereichen oder verschlossenen Einrichtungen zu erhalten, die Entwicklungsgelegenheiten bieten. Konkret können dies unterschiedliche kulturelle Einrichtungen oder Vereine sein, aber auch Schnuppertage in weiterführenden Schulen oder Hochschulen. In Form von sozialen Bürgschaften (Fürsprache) kann der/ die MentorIn dazu beitragen, dass der/ die Jugendliche ein Praktikum oder einen Ausbildungsplatz findet, was ohne Vitamin B vielleicht eine besondere Hürde darstellen würde. In Stellvertretung zu den Eltern kann der/ die MentorIn darüber hinaus in Konfliktfällen in der Schule oder dem Betrieb, mit 405 uj 10 | 2013 Mentoring dem Lehrer oder Vorgesetzten des/ der Jugendlichen sprechen und ihn bitten, ihm eine weitere Chance einzuräumen (vgl. Lerner/ Steinberg 2004, 410). Doch was ist, wenn ein junger Mensch keinen Zugang zu den für sich wichtigen Mentoren hat? Unsere einleitenden persönlichen „Mentoring- Geschichten“ sollten verdeutlichen, welchen Beitrag Mentoring in der Entwicklung von Menschen zu leisten imstande ist. Sebastian hätte auf seiner Reise ohne die mentorale Unterstützungen einiger Insider nur schwerlich den Einstieg in die „Mentoring-Szene“ erhalten, und Jans Kinder hätten weniger Chancen, in den kommenden Jahren von den unterschiedlichen Wertorientierungen und Lebensmodellen anderer Erwachsener zu profitieren. Für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist es entscheidend, welche Gelegenheiten sie haben, neben ihren familiären Beziehungen Zugang zu förderlichen MentorInnen zu erhalten, und inwiefern dies von ihren Eltern und FreundInnen unterstützt wird. Das gilt sowohl bei der Förderung von Kindern mit besonderen Begabungen, z. B. im musikalischen, sportlichen Bereich, als auch bei der Berufs- und Hochschulorientierung von Jugendlichen. In welcher Art und in welchem Umfang uns entwicklungsfördernde MentorInnen zur Verfügung stehen, hängt in entscheidendem Maße vom persönlichen Lebensumfeld und bei Kindern vom sozialen Umfeld der Familie ab. Die Familie und später der Freundeskreis hat in den meisten Fällen maßgeblichen Einfluss darauf, welche Entwicklungsangebote in welchem Umfang in Kitas, Schulen, Arbeitsstätten etc. wahrgenommen und verstanden werden und wie so die individuellen Talente der nachkommenden Generation zur Entfaltung gebracht werden. Wenn für einige Jugendliche nicht die passenden informellen MentorInnen zur Verfügung stehen, kann der „formelle“ Zugang zu MentorInnen einen entscheidenden Beitrag leisten, um die persönlichen Talente zur Entfaltung zu bringen. Diverse Mentoring-Programme initiieren Mentoring In den vergangenen Jahren sind vielfältige Mentoring-Programme entstanden, die hier Abhilfe leisten. Ehrenamtliche MentorInnen unterstützen in der Berufsorientierung, helfen bei den Hausaufgaben, nehmen sich Zeit, um gemeinsam zu lesen, oder schenken einer oder einem Jugendlichen Aufmerksamkeit, die sie oder er sich wünscht. Alle diese Schwerpunkte, die sich auch in den Konzepten der Programme wiederfinden, haben eines gemeinsam: das Tandem-Prinzip. Mentoring-Programme in unterschiedlichen Trägerschaften (von kirchlichen bis gewerkschaftlichen Organisationen, freie Träger, Sozialunternehmen, Industrie- und Handwerkskammern bis hin zu kommunal oder direkt von Schulen oder Unternehmen organisiert) bieten Kindern und Jugendlichen Zugang zu ehrenamtlichen MentorInnen für die unterschiedlichen Lebenslagen. Im Detail kümmern die Programme sich um die Auswahl der Tandem- PartnerInnen, deren Vermittlung anhand festgelegter Kriterien (Matching), deren Vorbereitung oder Weiterbildung, die Supervision und Begleitung sowie die Vernetzung und Kooperation mit anderen Einrichtungen, wie Schulen, Einrichtungen der Jugendhilfe oder Unternehmen und Institutionen. Wenn Mentoring durch Programme initiiert wird, ist der Erfolg im hohen Maße davon abhängig, wie die Beziehung im Tandem zwischen MentorIn und Mentee zustande kommt und gestaltet ist. Die Studie von Colley (2003) belegt, dass informelles Mentoring, also Bezie- 406 uj 10 | 2013 Mentoring hungen, die ohne externe Unterstützung entstehen, oftmals effektiver sind als „künstlich“ initiierte. Eine möglichst hohe Freiwilligkeit und Motivation, eine Mentoring-Beziehung einzugehen, ist die Basis für den Erfolg. Hinzu kommt ein professionell durchgeführtes Matching der TandempartnerInnen, das den Wünschen von MentorIn und Mentee weitgehend entspricht. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Mentoring-Programme sich gut in die umliegenden Strukturen einpassen und sowohl die Jugendlichen als auch die ehrenamtlichen MentorInnen gezielt ansprechen. Eine professionelle Programmkoordination ist eine wichtige Voraussetzung für ein nachhaltig funktionierendes Projekt. Die Programmkoordination stellt sicher, dass sowohl die EhrenamtlerInnen wissen, worauf sie sich im Mentorat einlassen, als auch dass die Kinder und Jugendlichen für eine Mentoring-Beziehung geeignet erscheinen. Zudem hält sie den Kontakt zu den Eltern, zur Schule oder zu weiteren Einrichtungen der Jugendhilfe. Während des Mentorats steht die Programmkoordination sowohl dem Mentee als auch dem/ der MentorIn als Ansprechpartner zur Verfügung. Sie kann dem Tandem auch Feedback und Supervision zur Verfügung stellen. Häufig werden in Mentoring-Programmen Vorbereitungskurse und Weiterbildungen zu Kommunikation, Jugendkultur und/ oder fachlichen Themen angeboten. Die aktuellen politischen Rahmenbedingungen In jüngster Vergangenheit haben sich verschiedene Mentoring-Initiativen und -Programme zu Verbänden zusammengeschlossen. Neben einem bundesweit orientierten Think Tank, der Denkwerkstatt: JugendMentoring e. V., sind regionale Netzwerke im gesamten Bundesgebiet entstanden. So vertreten in Berlin das Netzwerk Berliner Kinderpatenschaften e. V. oder in Hamburg der Mentor.Ring Hamburg e. V. die Interessen ihrer Mitglieder. Andere Netzwerke sind auch über Freiwilligenagenturen entstanden. Ziele sind es meist, eine gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit zu gewährleisten und durch Maßnahmen wie den kollegialen Austausch untereinander die Qualität der beteiligten Projekte zu verbessern. Zum Teil werden sogar gemeinsame Qualitätsstandards angestrebt. Ein zentrales Anliegen, das immer wieder aufkommt, ist das Thema der Finanzierung. Anlässlich des diesjährigen Bundeskongresses des Bundesprogramms „Aktion zusammen wachsen“ zur Förderung von sogenannten Bildungspatenschaften des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung am 19. und 20. März 2013 in Berlin äußerten einige der Netzwerke Kritik an der aktuellen Förderpolitik. Nicht einzelne Projekte sollten gefördert werden, sondern Strukturen. Dabei solle insbesondere auf Bewährtes gesetzt werden, weniger auf neue Experimente und Modellprojekte. Die Förderkultur beeinflusst schließlich auch die Mentoring-Landschaft in hohem Maße. Vorgaben immer neuer Innovationen, die Scheu vor der Übernahme von Personalkosten oder die auf in der Regel drei Jahre begrenzte Finanzierung machen es für Programme schwer, nachhaltige Strukturen zu schaffen. Der Stellenwert von Mentoring andernorts, besonders in dessen „Mutterland“, den USA, zeigt sich auch am folgenden Beispiel. US-Präsident Barack Obama verkündete Ende Dezember 2012, den Januar offiziell zum National Mentoring Month zu erklären, wie es bereits in den Jahren zuvor geschehen ist. Er rief dazu auf, sich als MentorIn zu engagieren: „A supportive mentor can mean the difference between struggle and success. As we mark this important occasion, I encourage all Americans to spend time as a mentor and help lift our next generation toward their hopes and dreams.“ 407 uj 10 | 2013 Mentoring In Deutschland gingen Impulse zur nationalen Vernetzung vor einigen Jahren bereits vom Verein Patenschaften-Aktiv e. V. aus, wurden Ende der 2000er Jahre von der Denkwerkstatt: Jugend-Mentoring e. V. aufgegriffen und erhalten seit gut einem Jahr wieder neue Impulse, was auch auf die regionale Netzwerkbildung zurückzuführen ist. Von der Idee über die Bewegung zur Kultur Das Thema der Mentoring-Kultur wurde im vergangenen Jahr des Öfteren auf unterschiedlichen Veranstaltungen diskutiert. Auf Veranstaltungen des Mentor Werk e. V. in Frankfurt im November 2012 oder des Projektebüros Dialog der Generationen in Berlin im Februar 2013 gab es viele Beiträge zu der Frage, ob und wie es gelingen könnte, Mentoring als mehr als ein bloßes Instrument zu verstehen und zu kommunizieren: zunächst als Möglichkeit, dass sich Freiwillige von selbst für die Teilnahme an Programmen motivieren können, weil „man das so macht“ oder es „zum guten Ton“ gehört. Später verlagerte sich die Diskussion weg von der pragmatischen Ebene hin zu einer ethischen. Der Grundsatz des einfachen Teilens und Weitergebens stand im Mittelpunkt. Dass insbesondere hauptamtliche Agenten einen kritischen Blick darauf haben können, Mentoring in Form von Programmen nicht als finales Ziel zu sehen, ist verständlich, da sie im Grunde darauf hinarbeiten müssten, sich selbst überflüssig zu machen. Allerdings nur langfristig, da formales Mentoring wohl der Schlüssel dazu ist, möglichst vielen Menschen ein positives Erleben dieses Tandem-Prinzips zu ermöglichen und eine größere Öffentlichkeit zu erlangen. In dem Zusammenhang wurde auch die Kommunikation thematisiert, die derzeit von einigen Akteuren als zu defizitorientiert angesehen wird. Davon sollte man abkommen, um auch bei Jugendlichen eine Haltung zu ermöglichen, bei der sie gerne die sie begleitende Person als MentorIn betrachten, auch um den essenziellen Aspekt der Freiwilligkeit zu fördern. Fazit: Programme stärken Mentoring wirkt und ist ein Gewinn für die Gesellschaft. Am meisten als informelles Mentoring. Es gibt trotzdem mindestens zwei gute Gründe für formelles Mentoring: ➤ Nicht jeder Jugendliche kann sich von selbst eine/ n MentorIn suchen oder den/ die geeignete/ n in seinem Umfeld finden, und nicht jeder Erwachsene möchte MentorIn werden. Informelles Mentoring findet hauptsächlich innerhalb von Milieus statt. Sei es, dass sich Eltern die PatInnen ihrer Kinder suchen oder dass sich Jugendliche selbst in ihrem Umfeld nach MentorInnen umsehen. Was aber, wenn ein Jugendlicher nicht in der Lage ist, so auf einen Erwachsenen zuzugehen? Aus Angst vor einer Normabweichung oder aus Angst, abgewiesen zu werden. Oder wenn Eltern für eine bestimmte Übergangsphase keinen geeigneten Erwachsenen für ihr Kind finden? Weil das Kind ein Studium beginnen möchte oder einen Beruf erlernen möchte, den es im (erweiterten) persönlichen Netzwerk nicht gibt. Dann können Vermittler in Form von Mentoring-Programmen helfen, die sich, wie deutlich geworden ist, auf bestimmte Schwerpunkte spezialisieren und eine solche Beziehung initiieren und befeuern können. ➤ Eine Kultur entsteht erst durch die kritische Masse an Aktiven. Der Weg zur Mentoring-Kultur geht über das immer 408 uj 10 | 2013 Mentoring wieder positive Erleben von Mentoring und die Weitergabe der Erfahrungen. Damit immer mehr Menschen diese Idee lebhaft tragen können, bedarf es einer Öffentlichkeit, die derzeit nur Programme oder Netzwerke erreichen. Ehrenamtliche können ebenfalls am besten durch diese Vermittlerorganisationen gewonnen werden oder durch kleine Initiativen, die auf dem Engagement Einzelner beruhen und sich an bestehende Strukturen, wie z. B. Schulen, hängen. Daraus folgt, dass eine Stärkung von Programmen mit dem Ziel der Schaffung einer Infrastruktur unabdingbar ist, um Mentoring langfristig als Kultur zu etablieren. Es ist für unsere Gesellschaft wünschenswert, dass wir immer mehr Berührungspunkte zwischen den Generationen, Kulturen und Milieus erzeugen. Mentoring bietet hierfür eine Gelegenheit, von der wir alle profitieren. Jan Ehlers Denkwerkstatt: JugendMentoring e. V. Gneisenaustraße 59 10961 Berlin ehlers@jugend-mentoring.de Sebastian Volberg Rheinische Straße 96 44137 Dortmund sebastian.volberg@gmail.com Literatur Bronfenbrenner, U./ Morris, P. A., 5 1998: The Ecology of Developmental Processes. In: Damon, W./ Lerner, R. M. (Hrsg.): Handbook of Child Psychology. Theoretical Models of Human Development. New York, S. 993 - 1029 Colley, H., 2003: Mentoring for Social Inclusion. A Critical Approach to Nurturing Mentor Relationships. London Ehlers, J./ Kruse, N., 2007: Jugend-Mentoring in Deutschland - Patenschaftsprogramme im Handlungsfeld Berufsorientierung und Berufswahl. Norderstedt Lerner, R. M./ Steinberg, L., 2 2004: Handbook of Adolescent Psychology. Hoboken/ New Jersey Middendorff, E./ Apolinarski, B./ Poskowsky, J./ Kandulla, M./ Netz, N., 2013: Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2012. 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, durchgeführt durch das HIS-Institut für Hochschulforschung. Bonn/ Berlin. www.studentenwerke.de/ pdf/ 20-SE- Bericht.pdf, 5. 8. 2013 Popoff, A., 2005: Mentoring. Konzepte und Perspektiven. In: Wender, I./ Popoff, A.: Mentoring & Mobilität. Motivierung und Qualifizierung junger Frauen für Technik und Naturwissenschaft. Aachen Rhodes, J. E., 2002: Stand by me: the risks and rewards of mentoring todays youth. Cambridge, MA
