unsere jugend
4
0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2013.art39d
101
2013
6510
Lernen im Jugend-Mentoring-Projekt "Anschub"
101
2013
Dorte Schaffranke
Corinna Graubaum
"Anschub - das Jugend-Mentoring-Projekt" der Camino gGmbH begleitet Jugendliche ab der 9. Klasse bei ihrem Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf. Das außerschulische Angebot ist in der Stadt Brandenburg an der Havel im Stadtteil Hohenstücken angesiedelt und soll insbesondere sozial und bildungsbenachteiligte Jugendliche auf ihrem Weg in einen neuen Lebensabschnitt begleiten. Unterstützt wird Camino bei dem Projektvorhaben von ehrenamtlichen Erwachsenen aus der Region Brandenburg an der Havel, die sich sozial engagieren möchten und den Jugendlichen als Mentor bzw. Mentorin zur Verfügung stehen.
4_065_2013_10_0004
419 unsere jugend, 65. Jg., S. 419 - 428 (2013) DOI 10.2378/ uj2013.art39d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Dorte Schaffranke Jg. 1965; Diplom-Philosophin, Geschäftsführende Gesellschafterin von Camino gGmbH, Projektleitung von „Anschub - das Jugend- Mentoring-Projekt“ Lernen im Jugend-Mentoring- Projekt „Anschub“ „Anschub - das Jugend-Mentoring-Projekt“ der Camino gGmbH begleitet Jugendliche ab der 9. Klasse bei ihrem Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf. Das außerschulische Angebot ist in der Stadt Brandenburg an der Havel im Stadtteil Hohenstücken angesiedelt und soll insbesondere sozial und bildungsbenachteiligte Jugendliche auf ihrem Weg in einen neuen Lebensabschnitt begleiten. Unterstützt wird Camino bei dem Projektvorhaben von ehrenamtlichen Erwachsenen aus der Region Brandenburg an der Havel, die sich sozial engagieren möchten und den Jugendlichen als Mentor bzw. Mentorin zur Verfügung stehen. Jugendliche, die sich im Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf befinden, stehen vor vielfältigen Schwierigkeiten: „Was will ich mal werden? “, „Was kann ich besonders gut? “,„Bin ich überhaupt gut genug in der Schule, oder finde ich vielleicht keinen passenden Beruf für mich? “ Fragen wie diese und noch viele mehr kreisen in den Köpfen von jungen Menschen, die spätestens ab der 8. Klasse langsam in die Welt von Beruf, Abitur, Studium, Ausbildung und Karriere mit zielgerichteten Berufsorientierungsmaßnahmen ihrer Schulen eintauchen. Die eine oder andere schlaflose Nacht haben jedoch die Jugendlichen, die nicht über die nötigen Grund- und Schlüsselqualifikationen wie fachliche, soziale und persönliche Kompetenzen verfügen, die für eine Ausbildung und einen Beruf erforderlich sind. Der Sprung über die erste Schwelle von Schule in Ausbildung und Beruf ist aber auch dann schwierig, wenn die Jugendlichen keine (Rollen-)Vorbilder haben, an denen sie sich „beruflich“ orientieren können. Im Stadtteil Hohenstücken der Stadt Brandenburg an der Havel wohnen viele Familien und Alleinerziehende, die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind. Gerade alleinerziehende Mütter scheinen im „Hartz-IV-Kreislauf“ festzustecken und einen (Wieder-)Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt nicht zu schaffen. Perspektivlosigkeit der Eltern, Leben am Existenzlimit und geringe Aussichten auf Beteiligung an gesellschaftlichen Prozessen erschweren die Situation der Jugendlichen zusätzlich und können Faktoren für schlechte Platzierungschancen in ihrem zukünftigen Erwerbsleben sein. Corinna Graubaum Jg. 1982; Diplom-Pädagogin, Projektkoordination von „Anschub - das Jugend- Mentoring-Projekt“ 420 uj 10 | 2013 Mentoring Das Jugend-Mentoring Projekt „Anschub“ ist ein außerschulisches Angebot, das speziell für Jugendliche konzipiert ist, die unter erschwerten Lebensbedingungen den Übergang in den Arbeits- und Ausbildungsmarkt schaffen müssen und daher eine ganzheitliche und individuelle Unterstützung benötigen. Seit Februar 2012 können in Kooperation mit Schulen im Stadtteil Hohenstücken interessierte Jugendliche der 9. und 10. Klassen mit einem Mentor bzw. einer Mentorin ihre ganz individuellen Problemlagen und Fragen auf dem Weg in die Ausbildung bzw. in den Beruf lösen. Gefördert wird das Projekt bis Dezember 2013 durch das Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft des Landes Brandenburg aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds im Rahmen des 2. Ideenwettbewerbs „Vielfalt und sozialer Zusammenhalt in Brandenburgs Städten - Lebensräume gemeinsam gestalten“. Mit „Anschub“ mal anders lernen Das Instrument Mentoring im Feld der Berufsorientierung und -vorbereitung von Jugendlichen einzusetzen, hat sich als Idee aus der langjährigen Projektarbeit von Camino gGmbH mit sozial und bildungsbenachteiligten Jugendlichen vorzugsweise aus den neuen Bundesländern herauskristallisiert. Die asymmetrische Beziehungskonstellation zwischen einem/ einer MentorIn und einem Mentee sowie die Beziehungsdauer von mindestens einem halben Jahr sind für die Unterstützung von Jugendlichen im Übergang zur Ausbildung und zum Beruf sehr gut geeignet. Denn das Erreichen von benachteiligten Jugendlichen ist schwierig und bedarf effektiver Ansätze sowie besonderer außerschulischer Angebotsformen, die nichtformales Lernen ermöglichen und zu einer Erweiterung der Kompetenzen und Ressourcen der Jugendlichen auch außerhalb des formalen Bildungssystems beitragen. Mentoring als paralleles Angebot zum formalen Schulsystem bietet Jugendlichen Gelegenheiten informellen Lernens. Jugendliche erhalten in einer 1 : 1-Beziehung mit ihrem/ ihrer MentorIn wichtige Hilfestellungen rund um ihre Berufsorientierung und -vorbereitung. Darüber hinaus findet innerhalb des Tandempaars ein weiterer interaktiver Lernprozess statt, der das Herzstück des Instruments darstellt. Für die Begriffsklärung von nichtformalem und informellem Lernen wird an dieser Stelle auf die Definition der Europäischen Kommission - Allgemeine & berufliche Bildung Bezug genommen. Nichtformales Lernen ist demnach Lernen außerhalb des formalen Schul-, Berufsbildungs- und Hochschulsystems. Der Charakter dieser Form des Lernens besteht darin, dass Lernziele und Lernzeiten innerhalb geplanter Tätigkeiten oder Programme, beispielsweise von Organisationen der Zivilgesellschaft, entwickelt und umgesetzt werden. Informelles Lernen weist keinerlei Strukturierung oder Organisation auf. Das Lernen und das Erwerben von Fähigkeiten finden innerhalb sehr verschiedener Aktivitäten außerhalb von Bildungsveranstaltungen statt. Unterschiedliche Lebensbereiche auch in der Freizeit sind der Nährboden für informelles Lernen (vgl. Europäische Kommission - Allgemeine & berufliche Bildung 2013). In einer Tandembeziehung hat das informelle Lernen für den Entwicklungsprozess der Jugendlichen einen hohen Stellenwert, da die Anforderungen in der Schule hoch sind und alternative Lernformen benötigt werden, um Lernmüdigkeit oder negative Lernerfahrungen auszugleichen. Hinzu kommt der unsichtbare, aber sehr mächtige„Begleiter“ Versagensangst, besonders bei Jugendlichen, deren Schullaufbahn von Misserfolgen gezeichnet ist. Das informelle Lernen in einer Tandembeziehung kann dort Impulse setzen, wo formale Bildungssysteme Jugendliche nicht mehr erreichen bzw. ihre Ressourcen ausgereizt sind. Mit einem/ einer MentorIn machen die Mentees ganz neue Lernerfahrungen und können Stra- 421 uj 10 | 2013 Mentoring tegien entwickeln, wie sie die neuen Lernformen aus der Tandembeziehung mit den Lernformen der Schule kombinieren können. Interesse + Lernen × (Emotionen + Freiraum) = steigende Lernmotivation Der Austausch zwischen zwei unterschiedlichen Generationen in einer Tandembeziehung und das Aufeinandertreffen zweier Lebenswelten und Lebenskonzepte gehören zu den Faktoren, die die positiven Effekte eines Mentorings maßgeblich beeinflussen und zu steigender Lernmotivation führen können. Um diese Potenziale, die in jedem Tandempaar schlummern, entfalten zu können, bedarf es der systematischen Projektplanung sowie Schulung der MentorInnen. Die praktische Arbeit im Projekt „Anschub“ hat gezeigt, dass ein erhöhtes Maß an Achtsamkeit und Wertschätzung sowie pädagogisches Feingefühl nötig sind, da Lernen in einer asymmetrischen Beziehung, in der der Lebens- und Erfahrungsvorsprung der MentorInnen mindestens 15 Jahre umfasst, eine sensible Angelegenheit ist. Vier Gelingensfaktoren, die ein vertrauensvolles Fundament und damit die Grundlage für neue Lernformen in einer Tandembeziehung bilden, konnten im Verlauf der Projektarbeit herausgearbeitet werden. 1. Vertrauen ist der Schlüssel für jede Beziehung und der Anfang einer stabilen und positiven Tandembeziehung. 2. Transparenz ermöglicht eine Begegnung auf Augenhöhe aller Beteiligten und vermittelt das Gefühl von Wertschätzung und Akzeptanz individueller Bedarfe und Wünsche. 3. Partizipation erhöht die Stabilität einer freiwilligen Beziehung und die Anerkennung des Projektes. 4. Eine Begegnung frei von gegenseitigen Bewertungen ermöglicht trotz asymmetrischer Lebenserfahrungen in einer Tandembeziehung einen Austausch, der für beide, MentorIn und Mentee, gewinnbringend sein kann. Praxisbeispiele zweier Tandempaare Vertrauen und Offenheit Eine Schülerin der 9. Klasse wollte bei dem Mentoring-Projekt mitmachen und gab als Motiv an, dass sie noch nicht genau wüsste, welchen Beruf sie nach der 10. Klasse wählen sollte und dass sie sich in dem Dschungel an Berufsmöglichkeiten nicht zurechtfinden würde. Nach einigen Wochen gemeinsamer Treffen mit ihrer Mentorin und dem Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zueinander hat die Schülerin ihrer Mentorin anvertraut, dass sie eigentlich nicht nach der 10. Klasse in eine Berufsausbildung wechseln möchte, so wie es ihre Familie deutlich wünscht, sondern dass sie gern Abitur machen möchte, auch wenn der Weg ihren Noten zufolge kein einfacher werden würde. Die größte Hürde war jedoch, dass verschiedene Schicksalsschläge innerhalb der Familie auch die Lebensbedingungen der Schülerin zunehmend erschwert haben. Angst vor „Liebesentzug“ sowie vor anderen Sanktionen machte es ihr schwer, ihren Wunsch gegenüber ihrer Familie zu formulieren. Die Mentorin hat mit ihrer einfühlsamen und vertrauensvollen Art ihrer Mentee den Raum geben können, sich zu „öffnen“ und damit einen Veränderungsprozess in Gang gesetzt, der die schulische Entwicklung der Schülerin und damit ihre Berufsperspektive positiv beeinflussen konnte. Lernen in beide Richtungen Ein Mentor und ein Mentee besuchten gemeinsam eine Sportveranstaltung. Beide hielten ihre gemeinsamen Erlebnisse an dem Tag mit einem Fotoapparat fest. Während der Mentor die Fotos in ein Fotolabor zum Entwickeln bringen wollte, hatte sein Mentee eine unkompliziertere Idee. „Warum nicht die Fotos in einem Drogeriemarkt sofort entwickeln lassen“, fragte er seinen Mentor. Der Mentor musste eingestehen, dass er seine Fotos noch nie auf diese Art entwickelt hat und nicht wusste, wie das funktioniert. „Ach, kein Problem“, sagt der 25 Jahre jüngere Mentee. „Ich 422 uj 10 | 2013 Mentoring zeig dir, wie das geht, ist ganz einfach.“ Gesagt getan. Der Mentor hat etwas dazugelernt, und der Mentee konnte die Erfahrung machen, auch mal einem Erwachsenen etwas beizubringen. Think outside the box - tierische Unterstützung Für das Mentoring-Projekt „Anschub“ gilt, alles einzubeziehen, was die Beziehung der Tandempaare festigt und eine positive Lernatmosphäre schafft. So sind von Anfang an am Projekt auch „nichtmenschliche Fachkräfte“ beteiligt. Pädagogik mit Hunden Das Projekt nutzt auch das Tool der tiergestützten Arbeit mit Hunden. Die pädagogische Arbeit mit Hunden wird seit einigen Jahren zunehmend in sozialen- und Bildungsbereichen erfolgreich angewendet. Hunde gelten als motivierend, beziehungsstabilisierend und wärmespendend. Auch an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen findet die tiergestützte Pädagogik/ Therapie mit Hunden immer mehr VertreterInnen. Hunde sind sehr soziale Tiere und daher Spezialisten im Lesen von Gestik, Mimik und Körpersprache. In der Arbeit mit Hunden und Jugendlichen kann die Anwesenheit des Hundes nicht nur die Atmosphäre auflockern. Ein gut sozialisierter Hund spiegelt auch die Verhaltensweisen des Jugendlichen wider und versucht, sich immer „konfliktvermeidend“ zu verhalten. Diese Spiegelung des menschlichen Verhaltens kann in der Arbeit mit Jugendlichen genutzt werden, um die Selbstreflexion sowie soziale und kommunikative Kompetenzen zu stärken. Im Mentoring-Projekt werden Hunde als Bindeglied zwischen Jugendlichen und den ProjektmitarbeiterInnen genutzt. Beispielsweise werden Hunde zur Unterstützung bei Workshops mit Jugendlichen oder bei Einzelgesprächen eingesetzt. Jugendliche, deren soziale und emotionale Kompetenzen sehr gering ausgebildet sind und die sich unsicher oder schüchtern verhalten, konnten über den Kontakt mit den Hunden (gemeinsames Spielen, Streicheln oder Kommandos geben) ihre Verhaltensmuster bis zu einem gewissen Grad verändern. Die neu erworbenen Fähigkeiten der Jugendlichen, wie Offenheit gegenüber anderen, Gefühle zeigen und formulieren können, konnten in der Tandembeziehung mit dem/ der MentorIn weiterführend trainiert werden. (Quelle: © ObscuraPhotography) 423 uj 10 | 2013 Mentoring Lerntagebuch - ein Reflexionsinstrument Gemeinsam mit ihren MentorInnen haben die Mentees sogenannte Lerntagebücher geschrieben und damit ihren Beziehungsverlauf und ihre Erfahrungen schriftlich dokumentiert. Die Lerntagebücher wurden im Projekt mit vielen kreativen Übungen und anregenden Fragestellungen bestückt, um persönliche Prozesse sowie die Entwicklung im Bereich Berufsorientierung zu dokumentieren, aber auch, um die schönen Erlebnisse innerhalb des Tandempaares festzuhalten. Diese Tagebücher unterstützen die Mentees, ihre eigenen Erfahrungen, Fortschritte, Ziele, Erfolge und Prozesse sichtbar zu machen und dienen darüber hinaus als Reflexionshilfe für die kontinuierliche Auseinandersetzung mit der persönlichen Situation und den eigenen Lernprozessen. Auch die MentorInnen durchlaufen verschiedene Lern- und Reflexionsprozesse beim gemeinsamen Arbeiten mit den Lerntagebüchern. Für die Darstellung der Tagebücher gibt es verschiedene Möglichkeiten. Alles, was zum Schreiben, Zeichnen oder zu anderen kreativen Ausdruckformen motiviert, ist erlaubt. Zur Förderung der Lernaktivität können Prompts eingesetzt werden. Prompts sind (Leit-)Fragen, Hinweise oder auch „Strategieaktivatoren“, die die Mentees und auch MentorInnen beim Schreiben, vor allem aber bei der Reflexion ihres Lernerfolgs, unterstützen. Tagebücher ohne die Anwendung von Prompts können einen geringeren Lernerfolg bei den SchreiberInnen zeigen. Insbesondere kognitive Prompts, gegebenenfalls in Kombination mit metakognitiven Prompts, verbessern den Lernerfolg (Hübner/ Nückles/ Renkl 2007). Kognitive Prompts fragen nach einem Lernfortschritt oder der Anwendung des neu Erlernten (Lernstrategien). Metakognitive Prompts dienen der selbstständigen Kontrolle bzw. des aktiven Überwachens des neu Erlernten. Die SchreiberInnen können mithilfe dieser Fragestellungen mögliche Verständnisschwierigkeiten aufdecken und selbstständig Lösungen bzw. Maßnahmen entwickeln, die Verständnislücken in eigener Regie zu lösen. Feedbackgespräche - eine weitere Form des Lernens Die Jugendlichen, die am Mentoring-Projekt teilnehmen, profitieren auch von der Beobachtung und Rückmeldung anderer und lernen aus deren Einschätzungen und Empfehlungen. In Form von Feedbackgesprächen wird gemeinsam mit dem Mentee, dem/ der MentorIn, VertreterInnen der Schule und ProjektmitarbeiterInnen besprochen, welche positiven Entwicklungen der/ die Mentee bisher gemacht hat und an welchen Stellen noch Unterstützungsbedarf besteht. In einem konstruktiven Feedbackgespräch lernen die Mentees, sich selbst und ihr Verhalten sowie ihre Wirkung auf andere besser zu verstehen. Praxisbeispiel eines Feedbackgesprächs Nach ca. vier Monaten regelmäßiger Treffen mit einem Mentee und seinem Mentor haben sich Schulleiter, Klassenlehrerin, der Mentor und eine Projektmitarbeiterin des Mentoring-Projektes gemeinsam mit dem Mentee zu einem Feedbackgespräch getroffen. Bei diesem Treffen erhielt der Mentee eine wertschätzende, das Selbstwertgefühl stärkende Rückmeldung aller Akteure, die mit ihm an seiner Berufsvorbereitung und -orientierung gewirkt haben. Der Mentee wurde für seinen Einsatz und die Energie, die er in seine Berufsvorbereitung bisher investiert hat, gelobt. Der Mentor konnte sich durch die Einschätzungen des Schulleiters und der Lehrerin ein umfassenderes Bild von seinem Mentee machen. Gemeinsam mit dem Mentee wurden die noch zu bewältigenden Hindernisse besprochen und als Aufgaben für die nächsten Monate mit in das Tandempaar aufgenommen. Während der folgenden Tandemtreffen hat der Mentee immer wieder von dem für ihn wertvollen Feedbackgespräch gesprochen. 424 uj 10 | 2013 Mentoring Projektlernen mit dem Logischen Modell Nicht nur die Mentees und die MentorInnen lernen, auch die ProjektkoordinatorInnen haben, unterstützt durch die wissenschaftliche Begleitung, Impulse zur Weiterentwicklung des Projektes bewusst eingesetzt und genutzt. Dazu wurde ein Logisches Modell als ein Instrument der Selbstevaluation und Projektsteuerung angewendet, mit dessen Hilfe die ProjektkoordinatorInnen Prozesse und Entwicklungen im Projekt reflektieren, bewerten und Schlussfolgerungen für die Weiterentwicklung des Projektes ableiten. Insofern setzt die Anwendung des Logischen Modells Impulse zum „Projektlernen“. Logische Modelle sind Instrumente, die seit Langem in der Evaluation und in der Projektsteuerung eingesetzt werden. Sie sind Modellierungen von Prozessen in Organisationen bzw. in Projekten entlang definierter Kategorien, die die verschiedenen Ebenen eines Projektes abbilden, und werden in Form von Flussdiagrammen dargestellt. Weiterhin werden Beziehungen zwischen den verschiedenen Ebenen eines Projektes visualisiert, sodass komplexe Zusammenhänge in einer übersichtlichen Form dargestellt werden können. Die verwendeten Kategorien sind Problemlagen, Ziele, Aktivitäten, Ergebnisse und Wirkungen. Problemlagen beschreiben die Probleme, auf die sich die Arbeit eines Projekts konzentriert, und bilden damit die wesentlichen Aspekte des Kontextes ab, in dem das Projekt angesiedelt ist. Ziele beschreiben die angestrebten Ergebnisse, die ein Projekt erreichen will. Mittels einzelner Aktivitäten setzt ein Projekt seine Ziele um. Ergebnisse beschreiben die Resultate eines Projektes in Bezug auf die gesetzten Ziele, und Wirkungen beschreiben jene beabsichtigten oder unbeabsichtigten Effekte, die aus der Arbeit des Projekts resultieren und die über die konkreten Ergebnisse hinausgehen und längerfristig weiterwirken (Camino 2009, 7ff ). Mittels Verbindungslinien werden die Beziehungen zwischen den verschiedenen Kategorien des Logischen Modells eines Projektes dargestellt, z. B. mit welchen Aktivitäten die Umsetzung welcher konkreten Ziele verfolgt wird. Logische Modelle bedeuten einerseits eine Reduktion und Vereinfachung von komplexen Zusammenhängen, bieten damit aber andererseits die Chance, den Blick auf das Wesentliche in einem Projekt zu schärfen. Im Projekt „Anschub“ ist in der ersten Projektphase ein Logisches Modell durch die ProjektkoordinatorInnen, moderiert durch die wissenschaftliche Begleitung, für das Projekt entwickelt worden, das im Projektverlauf zu zwei verschiedenen Zeitpunkten überprüft worden ist. Das Logische Modell des Projektes „Anschub“ enthält die Kategorien Problemlagen, Ziele - einschließlich der Handlungsziele, aus denen sich die Indikatoren für die Zielerreichung ergeben - und Aktivitäten. Das Logische Modell ist zunächst aus der Perspektive der ersten Projektphase vor dem Hintergrund der Projektkonzeption entwickelt worden. In dieser Projektphase hatte die Arbeit mit dem Logischen Modell die Funktion, die Projektkonzeption zu konkretisieren. Zunächst wurde ein Leitziel für das Projekt entwickelt: Jugendliche in Hohenstücken in Brandenburg an der Havel erhalten durch Mentoring-Beziehungen eine Unterstützung in der Berufsorientierung. Entscheidend für die Konkretisierung der Projektkonzeption entlang der Kategorien des Problemlagen Ziele Aktivitäten Ergebnisse Abb. 1: Das Logische Modell 425 uj 10 | 2013 Mentoring Logischen Modells sind sodann die Fragestellungen, die jeweils auf die einzelnen Kategorien zielen: Problemlagen: Auf welche Probleme wollen wir mit dem Projekt reagieren? Beispielsweise sind die folgenden Problemlagen im Logischen Modell des Projektes „Anschub“ dargestellt worden: ➤ Steigende Anforderungsniveaus und -vielfalt an Jugendliche in Ausbildung ➤ Multiple Benachteiligungsstrukturen der Jugendlichen n fehlende Vorbildfunktion der Eltern n fehlende finanzielle Ressourcen n fehlende Impulse für das Erweitern der eigenen Lebenswelt n zu hohe Barrieren für Teilhabe Zielstellungen: Welche Wirkungen sollen bei der Zielgruppe erreicht werden? Es wurden zunächst allgemeine Zielstellungen entwickelt, in die die zuvor beschriebenen Problemlagen einbezogen wurden. Im folgenden Schritt werden die Zielstellungen konkretisiert und Handlungsziele (die auch als Indikatoren für die wissenschaftliche Begleitung formuliert wurden) entwickelt: Welche konkreten Veränderungen wollen wir bei der Zielgruppe erreichen? Die Zielstellungen sind zum einen auf einer eher allgemeinen Ebene formuliert worden und zum anderen konkretisiert als angestrebte Veränderungen bei der Zielgruppe. Aktivitäten: Mit welchen Aktivitäten wollen wir die Veränderungen erreichen? Mithilfe dieser Fragestellung wurden die geplanten Aktivitäten den Projektzielen zugeordnet. Beispiele der geplanten Aktivitäten des Projektes „Anschub“ ➤ Exkursionen zum Arbeitsplatz des/ der MentorIn ➤ Assessment-Center von und mit Jugendlichen zur Stärkung der sozialen Kompetenzen ➤ Rollenspiele und Gruppenerlebnisse für die Mentees ➤ Fortbildungen und Workshops mit Jugendlichen zu Themen der Berufsorientierung und Stärkung sozialer Kompetenzen ➤ Verbesserung der Kommunikationstechniken und -strategien der Mentees im Rahmen der Tandembeziehung ➤ Vernetzungsmöglichkeiten für MentorInnen, Mentees und Tandems ➤ Erlebnispädagogische Aktivitäten zur Unterstützung der Tandembeziehungen Allgemeine Zielstellungen Handlungsziele Vielfalt erleben/ entdecken ➤ Begegnungen zwischen verschiedenen Lebenswelten ➤ Erweiterung der Lebenswelten ➤ Gendersensibilität ➤ Der/ die Mentee kennt eine breite Palette an Berufswahlmöglichkeiten jenseits von geschlechtsspezifischen Angeboten. ➤ Der/ die Mentee kennt soziokulturelle/ Bildungs-/ Sport-Einrichtungen in Brandenburg a. d. Havel Tandembeziehungen gestalten ➤ Erleben von Arbeitswelten ➤ Erleben von Arbeitsbiografien ➤ Gemeinsame Erlebnisse der Tandems ➤ Förderung des Ehrenamts ➤ Der/ die Mentee partizipiert vom Erfahrungswissen des/ der MentorIn. ➤ Der/ die Mentee kennt den Arbeitsplatz des/ der MentorIn. ➤ Der/ die MentorIn formuliert einen persönlichen Gewinn aus Tandem. Tab. 1: Ziele des Projektes „Anschub“ 426 uj 10 | 2013 Mentoring Abb. 2: Ausschnitt aus dem Logischen Modell des Projektes „Anschub - Das Jugend-Mentoring“: Problemlagen und Ziele Tandems machen eine Recherche/ Besuch beim Traumberuf der Jugendlichen Fachkräftemangel Steigendes Anforderungsniveau & -vielfalt an Jugendlichen in Ausbildung Berufsorientierung Berufsvorbereitung Verbesserung der schulischen Leistungen/ Schulabschluss Tandembeziehungen: - Erleben von Arbeitswelten - Förderung des Ehrenamts - Erleben von Arbeitsbiografien Erwerb psychosozialer Kompetenzen: - Stärken von Selbstbewusstsein - Verbesserung der nonverbalen/ verbalen Kommunikation - Verbesserung des Lernverhaltens Vielfalt erleben/ entdecken: - Begegnung von Lebenswelten - Erweiterung der Lebenswelten - Gendersensibilität Gefahr, keine Ausbildung zu bekommen Starre Geschlechterrollen Diskriminierungserfahrung (Mobbing, Stigma) Multiple Benachteiligungsstrukturen der Jugendlichen - fehlende Vorbildfunktion der Eltern - fehlende finanzielle Ressourcen - fehlende Impulse für das Erweitern der eigenen Lebenswelt - zu hohe Barrieren für Teilhabe Fehlende psychosoziale Kompetenzen: - mangelnde Stressbewältigungsstrategie - mangelnde Konzentrationsfähigkeit - unrealistische Berufsvorstellungen - fehlende Perspektivenübernahme - mangelnde Teamfähigkeit - fehlende Selbstreflektionsfähigkeit - mangelnde Ausdauer - niedrige Frustrationsschwelle Personelle Ressourcen: Team: Corinna Grabaum, Nicole Gratz Mentor/ innen: Wie viele? Mentees: Wie viele? Ressourcen Problemlagen Aktivitäten Materielle Ressourcen: Büro für das Team, Schulungsräume? Organisatorische Ressourcen, Netzwerke: ? Zielgruppen, Teilnehmerstruktur: ? Exkursionen (pädagogisch angemessen) Kletterwald/ anderer Erlebnissport Mit Tandems durch BRB-Land fahren Rollenspiele Gruppendynamik Exp. Fortbildung mit den Jugendlichen Exkursion zum Arbeitsplatz des Mentors (oder zu Zwei-Tandems) Kalender mit den Tandem-Aktivitäten (evtl. mehr für Mentoren geeignet) > klare Vorgaben für den Umgang mit den … dazu entwickeln Interviews, gefilmt oder ggfs. Vorstellung der Tandems Kleinere Vernetzungsmöglichkeiten für Mentoren/ Mentees/ Tandems Tandems gehen zu Sportveranstaltungen Kommunikationstechniken/ -strategien Assessment Center (von und mit den Jugendlichen) (soziale Kompetenzen) Moscheen Schwulen-/ Lesben-Zentrum passende Ausstellung 427 uj 10 | 2013 Mentoring Mit dem Erstellen des Logischen Modells ging das Projekt bereits einen ersten Lernschritt, nämlich die Reflexion von konkreten Problemlagen im Kontext des Projektes und das Ableiten von Zielstellungen im Sinne von anzustrebenden konkreten Veränderungen bei der Zielgruppe. Die geplanten Aktivitäten wurden reflektiert in Bezug auf ihre Relevanz für ein bestimmtes im Logischen Modell fixiertes Ziel. In der Vielfalt der beispielhaft aufgeführten Aktivitäten sind sowohl Aktivitäten der ProjektkoordinatorInnen zur unmittelbaren Unterstützung der Tandems enthalten als auch Workshops, Fortbildungen, Trainings und andere Gruppenaktivitäten, die sich an die Mentees als Gruppe richten. Die Reflexion des Projektstandes mithilfe des Logischen Modells nach einem halben Jahr machte sichtbar, dass sich die Aktivitäten der ProjektkoordinatorInnen im Projektverlauf hauptsächlich auf die Begleitung und Unterstützung der Tandems durch Reflexionsbzw. Feedbackgespräche, gezielte Kommunikationstrainings für einzelne Tandems zur Vorbereitung auf schwierige Gesprächssituationen konzentrierte und wenige zusätzliche Workshops für die Jugendlichen stattfanden. Mithilfe des Logischen Modells wurde die Gelegenheit genutzt, dies zu verdeutlichen, den Kontext und die Ursachen dieser Entwicklung zu reflektieren und Schlussfolgerungen abzuleiten. Angesichts der vielfältigen Angebote zur Berufsorientierung an der Schule der Mentees bestand kein Bedarf für begleitende Workshops. Es konnte jedoch auch festgestellt werden, dass es für das Mentoring- Projekt wichtig ist, dass die Mentees ihre Unterstützung und Informationen aus den Tandems selbst bekommen und dass sich die ProjektkoordinatorInnen voll auf die Begleitung der Tandems durch gezielte Maßnahmen, z. B. durch Feedback- und Reflexionsgespräche sowie Kommunikationstrainings, konzentrieren. Das Logische Modell ist als Gelegenheit und Form hilfreich, Strukturen und Inhalte sichtbar zu machen, im Verlauf der Projektumsetzung Entwicklungen sowie Veränderungen und deren Ursachen zu reflektieren und Schlussfolgerungen abzuleiten. Damit bietet die Verwendung des Logischen Modells eine gute Möglichkeit, eingetretene Veränderungen, die auf das Erreichen der Ziele hinwirken, gezielt zu verstärken und zu unterstützen. Ausblick In einer sich permanent verändernden Berufswelt, in der fortlaufend neue Berufsfelder, Ausbildungs- und Studiengänge entstehen und die Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt immer höher werden, sind zukunftsfähige pädagogische Modelle im Bereich der Berufsorientierung und -vorbereitung notwendig, damit Jugendliche auf dem Arbeitsmarkt gute Platzierungschancen haben und somit gesellschaftliche Teilhabe erfahren können. Das Instrument Mentoring hat sich in der praktischen Arbeit mit Jugendlichen und sozial engagierten Erwachsenen als ein sinnvolles Modell erwiesen. Die Kombination verschiedener Formen des Lernens, das soziale Engagement von Berufstätigen sowie das außerschulische Setting unterstützen Jugendliche im Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf dabei, sich in den komplexen Angeboten und bei ihren Entscheidungsmöglichkeiten zurechtzufinden. Für die weitere konzeptionelle Entwicklung von Jugend-Mentoring-Projekten sollten PädagogInnen weiterhin flexibel, dynamisch und offen für neue Lernmethoden sein. Dorte Schaffranke Corinna Graubaum Camino - Werkstatt für Fortbildung, Praxisbegleitung und Forschung im sozialen Bereich gGmbH Scharnhorststraße 5 10115 Berlin dorteschaffranke@camino-werkstatt.de corinnagraubaum@camino-werkstatt.de 428 uj 10 | 2013 Mentoring Literatur Camino, 2009: Handreichung zur Entwicklung komplexer Logischer Modelle für Lokale Aktionspläne. Berlin Europäische Kommission - Allgemeine & berufliche Bildung, 2013: Validierung des nichtformalen und des informellen Lernens. http: / / ec.europa.eu/ edu cation/ lifelong-learning-policy/ informal_de.htm, 26. 7. 2013 Hübner, S./ Nückles, M./ Renkl, A., 2007: Lerntagebücher als Medium des selbstgesteuerten Lernens - Wie viel instruktionale Unterstützung ist sinnvoll? In: Empirische Pädagogik, 21. Jg., H. 2, S. 119 - 137 2012. 165 Seiten. 17 Abb. (978-3-497-02289-2) kt Tierisch gut begleitet In der Sozialen Arbeit kann der Einsatz von Begleithunden die Persönlichkeitsbildung von Kindern und Jugendlichen unterstützen und wichtige Lernprozesse anregen. Doch wann sind hundgestützte Maßnahmen pädagogisch sinnvoll? Welche persönlichen, institutionellen, organisatorischen und rechtlichen Voraussetzungen müssen geklärt werden? Und welche Aus- und Weiterbildungsangebote gibt es? Anschaulich und konkret beantwortet die Autorin diese und weitere Fragen. Sie zeigt Chancen und Grenzen der Sozialen Arbeit mit Hunden auf, stellt zahlreiche Einsatzmöglichkeiten in den bedeutsamsten sozialpädagogischen Praxisfeldern dar und gibt konkrete Anleitungen zur Planung und Durchführung von Projekten. a www.reinhardt-verlag.de
