eJournals unsere jugend65/11+12

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2013.art45d
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2013
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Was sollen wir denn noch alles machen?

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2013
Klaus ter Horst
Die europaweite Inklusionsdebatte führt zu einer verstärkten Diskussion um Themen wie Integration, Teilhabe und Partizipation. Fachdisziplinen, die bisher spezialisiert vorgegangen sind, werden aktuell zu einem professionellen Diskurs aufgefordert. Generell gilt: Arbeitsteilung und Spezialisierung erhöhen die Anzahl an potenziellen Schnittstellen und erfordern eine Professionalisierung der Kooperationsregeln.
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478 unsere jugend, 65. Jg., S. 478 - 484 (2013) DOI 10.2378/ uj2013.art45d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Was sollen wir denn noch alles machen? Notwendigkeiten, Chancen und Grenzen der multiprofessionellen Kooperation aus der Sicht einer vernetzten Jugendhilfeeinrichtung Die europaweite Inklusionsdebatte führt zu einer verstärkten Diskussion um Themen wie Integration, Teilhabe und Partizipation. Fachdisziplinen, die bisher spezialisiert vorgegangen sind, werden aktuell zu einem professionellen Diskurs aufgefordert. Generell gilt: Arbeitsteilung und Spezialisierung erhöhen die Anzahl an potenziellen Schnittstellen und erfordern eine Professionalisierung der Kooperationsregeln. von Klaus ter Horst Jg. 1958; Diplom-Psychologe, Therapeutischer Leiter des Eylarduswerkes In den letzten 10 bis 15 Jahren ist es in Deutschland zu einer stärkeren Übernahme von öffentlicher Verantwortung für junge Menschen gekommen. Die Jugendhilfe ist, um es mit den Worten des 14. Kinder- und Jugendhilfeberichtes auszudrücken, in der „Mitte der Gesellschaft“ angekommen. Deshalb werden in der Kinder- und Jugendhilfe multiprofessionelle Kooperationen in einem Netzwerk der Hilfen immer notwendiger. Parallel dazu werden ihre vielfältigen Angebote (Kindertagesbetreuung, Beratungs- und Bildungsangebote, Jugendsozialarbeit, Erzieherische Hilfen etc.) immer selbstverständlicher in Anspruch genommen. Die sich daraus ergebenden Schnittstellen und Kooperationsnotwendigkeiten werden häufig auf der lokalen Ebene entwickelt, nicht selten mit der gefährlichen Strategie „Versuch und Irrtum“. Die gemeinsame Aufgabe aller Hilfesysteme ist die Förderung, der Schutz, die Unterstützung und Behandlung von Kindern, Jugendlichen und deren Familien. Schon die interne Kooperation in einer Organisation bei immer komplexer werdenden Fällen ist eine echte Herausforderung. Das Jugendhilfeverbundsystem Eylarduswerk in Bad Bentheim-Gildehaus bildet den Erfahrungshintergrund dieses praxisorientierten Beitrages. Über 450 Fachkräfte in den Bereichen Jugendhilfe, Verwaltung, Therapie, Schule und Kindertagesstätte arbeiten im 479 uj 11+12 | 2013 Multiprofessionelle Kooperation Eylarduswerk zusammen. Sie betreuen, beschulen und behandeln jährlich über 750 Kinder und deren Familien. Wie kann das interdisziplinäre Zusammenwirken der unterschiedlichen Professionen gestaltet werden und wie kann die interinstitutionelle Kooperation im Netzwerk der Jugendhilfe möglichst effektiv gelingen? Kooperationsauftrag der Kinder- und Jugendhilfe und die Vielfalt der Schnittstellen Kooperation kann man allgemein als ein Verfahren der intendierten arbeitsteiligen und zeitlich begrenzten Zusammenarbeit verstehen. Angestrebt wird dabei eine Optimierung von Handlungsabläufen und Problemlösungskompetenz im Hinblick auf geteilte oder sich überschneidende Zielsetzungen durch Abstimmung der Beteiligten (van Santen/ Seckinger 2003). Richard Sennet weist in seinem Bestseller „Zusammenarbeit: Was unsere Gesellschaft zusammenhält“ nüchtern darauf hin, dass Kooperation als Austausch definiert werden kann, von dem alle profitieren (Sennet 2012, 17). Im SGB VIII werden Kooperationsanforderungen der Kinder- und Jugendhilfe gesetzlich festgeschrieben. Mit der Ausdifferenzierung der erzieherischen Hilfen seit Anfang der 90er Jahre haben sich auch die professionellen Angebote und Zuständigkeitsbereiche kontinuierlich erweitert. Die Inanspruchnahme fast aller Hilfearten steigt stetig weiter an. Die besondere Situation der sozialen Organisationen der Kinder- und Jugendhilfe ist gekennzeichnet durch komplexe Problemlagen der KlientInnen, durch unterschiedliche Finanzierungsgrundlagen der jeweils beteiligten Ämter und Behörden und die notwendige Spezialisierung bzw. Differenzierung der Hilfen (Balz/ Spieß 2009). Innerhalb der Einrichtungen arbeiten viele Berufsgruppen multidisziplinär zusammen. Jede Organisation ist darüber hinaus vielfältig vernetzt mit angrenzenden Disziplinen und den dort handelnden Fachkräften. Dabei geht es um fast alle relevanten Lebens- und Arbeitsbereiche junger Menschen und deren Familien in unserer Gesellschaft. Jugendhilfe übernimmt Querschnittsaufgaben und ist Partnerin der Beschulung, Erziehung und Behandlung von Kindern und Jugendlichen. Exemplarisch seien nur einige hier aufgeführt: ➤ Schulen und Förderschulen: „Schule“ ist heute ein integraler Bestandteil im Netzwerk der Kooperationsbeziehungen der Kinder- und Jugendhilfe. Viele (Förder-) Schulen können ihren Auftrag oft nur in Kooperation mit der Jugendhilfe erfüllen: Schulverweigerung, psychisch kranke Kinder in der Schule, Schulphobien oder Hyperaktivität sind solitär von „Schule“ nicht oder kaum zu bewältigen. Gänzlich auf ein gemeinsames Fallverstehen sind Schulen im Rahmen der Hilfeplanung angewiesen: Elternberatung bis hin zu therapeutischen Maßnahmen sprengen den staatlichen Bildungsauftrag der Schule. Die übereilte und fachlich kaum vorbereitete Inklusion von Kindern mit speziellem Förderbedarf in Regelschulen wird die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit angrenzenden Disziplinen zeitnah deutlich machen. Auch beim Übergang von der Kindertagesstätte in die Grundschule ist Kooperation unabdingbar, wenn er im Kontext der Entwicklung der Frühen Hilfen als ein natürlicher Übergang in der Biografie der Kinder gestaltet werden soll. ➤ Familien: Erziehungshilfe ist ein Integrationshelfer für Familien mit multiplen Risiken und geringen Ressourcen. Dabei handelt es sich z. B. um abhängigkeitserkrankte Eltern, Migrationsfamilien, Familien mit einer Gewaltproblematik, Familien, in denen ein oder beide Eltern- 480 uj 11+12 | 2013 Multiprofessionelle Kooperation teile psychiatrisch erkrankt sind, Familien, die mit Armut, Verwahrlosung oder transgenerationalen Erziehungsdefiziten zu kämpfen haben. Professionelle Prämissen wie Lebenswelt-, Sozialraum- oder Kompetenzorientierung machen deutlich, dass es in den Hilfen zur Erziehung vor allem um die Aktivierung vorhandener Ressourcen in den familiären und sozialen Netzwerken geht. In der Zunahme der Hilfen spiegeln sich strukturell fragile Familienkonstellationen, die Verstetigung materieller prekärer Lebenslagen und die Kumulation individueller Problemkonstellationen der Eltern wider (vgl. Deutscher Bundestag 2013, 47). ➤ Kinder- und Jugendpsychiatrie: Die noch recht junge Disziplin der Kinder- und Jugendpsychiatrie, in Deutschland erst seit 1968 eine eigenständige ärztliche Fachdisziplin, hat seit langen Jahren zahlreiche Schnittstellen zur Kinder- und Jugendhilfe. Der Gesetzgeber hat dieser Schnittmenge mit der nachträglichen Einführung des § 35 a SGB VIII (Eingliederungshilfe für seelisch behinderte- oder von seelischer Behinderung bedrohte Kinder) Rechnung getragen, obwohl es im Einzelfall bei dieser „kleinen Lösung“ nach wie vor Probleme bei der Regelung von Zuständigkeiten gibt (vgl. Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe 2011 zur „Großen Lösung“). Die Zeiten der klaren Positionsbestimmungen gehen langsam zugunsten der geregelten und übertragenden Fallverantwortung zu Ende. Die geringe Verweildauer in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, MitarbeiterInnen mit gleichen oder ähnlichen Professionen in der Kinder- und Jugendhilfe (im Eylarduswerk arbeiten momentan 12 Diplom-PsychologInnen) und der ausdrückliche Auftrag des SGB VIII an die Jugendhilfe, auch „Therapie“ durchzuführen, lassen diese Arbeitsbereiche immer enger zusammenwachsen (Hölzl u. a. 2011). ➤ Arbeitsagentur/ berufliche Bildung: Die Kinder- und Jugendhilfe hatte schon immer die Aufgabe, junge Menschen an das Arbeitsleben (Agentur für Arbeit, Jugendberufshilfe) heranzuführen und nach Möglichkeit zu integrieren. Hier wird eine der großen Baustellen der Jugendhilfe offensichtlich. Folgt man den Fallzahlen, Budgets und Maßnahmen, so sind die kleinen Kinder im neuen Jahrtausend die GewinnerInnen, die jungen Erwachsenen die VerliererInnen. KooperationspartnerInnen stehen hier nur begrenzt zur Verfügung. Mit Erreichen der Volljährigkeit werden diese jungen Menschen häufig viel zu früh aus der Förderung durch die öffentliche Jugendhilfe entlassen, obwohl das SGB VIII grundsätzlich deren Förderung bis zum 27. Lebensjahr umfasst. Solche Lücken in der institutionalisierten Kooperation werden aktuell z. B. in der stationären Jugendhilfe notdürftig durch individuelle Kreativität auszugleichen versucht, führen aber zu strukturellen Benachteiligungen der sogenannten Care Leavers (vgl. Strahl/ Thomas 2013, 2ff ). Im Rahmen unserer Schnittstellenaufgaben gilt es, mit all diesen Institutionen und Hilfesystemen zu kooperieren. Die jeweiligen gesellschaftlichen Aufträge, Finanzierungssysteme, beruflichen Identitäten und ein unterschiedliches institutionelles Selbstverständnis der handelnden Professionen müssen in der Kooperation aufeinander abgestimmt werden. Dabei stellen sich einige zentrale Fragen: ➤ Wer hat wem was zu sagen? ➤ Wer hat die Definitionsmacht bezüglich des abweichenden, auffälligen, störenden oder gar kranken Erlebens und Verhaltens der jungen Menschen? ➤ Wer profitiert von Netzwerkarbeit und wird dafür bezahlt und für wen ist es ein kostspieliges Hobby, das im Rahmen seiner Profession nicht honoriert wird? 481 uj 11+12 | 2013 Multiprofessionelle Kooperation Die goldenen Regeln der Kooperation KooperationspartnerInnen sollten um die von ihnen zu beeinflussenden Dinge wissen - aber insbesondere über die strukturellen Bedingungen informiert sein, die nicht zu beeinflussen sind. Arbeitsüberlastung, Kostendruck seitens der Finanzgeber, immer kürzere Verweildauer der Kinder und Jugendlichen in den Einrichtungen, Auflagen für die Personalausstattung und gedeckelte Kostensätze, gesetzliche Auflagen und der mittlerweile überall vorhandene Fachkräftemangel führen in der Kooperation schnell zu „Druckstellen an den Schnittstellen“. Kooperation wird erleichtert, wenn zunächst drei Grundfragen bedacht werden: Will ich überhaupt kooperieren? Ausgangspunkt ist in der Regel ein konkreter Fall, bei dem ich mit vielen Personen und Institutionen kooperieren könnte. Es stellt sich die Frage, mit wem gerade in diesem Fall die Kooperation besonders wichtig ist. Wie ist das persönliche Verhältnis zu potenziellen KooperationspartnerInnen, welche Erfahrungen liegen vor? Was motiviert mich? Ist die Zusammenarbeit mit anderen unter Nutzung der Diversitätinmeinemberuflichen Erfahrungsschatz ein Zugewinn oder notwendiges Beiwerk? Kann ich aktuell meine Arbeitszeit für diese Aufgaben zur Verfügung stellen und was lasse ich ggf. stattdessen weg? Darf ich kooperieren? Sind wir autonome PartnerInnen auf Augenhöhe mit einer Handlungsvollmacht für die Kooperation? Konkurrierende Interessen behindern die Zusammenarbeit. Da hilft es nur bedingt, freundlich zu sein. Ganz wichtig dabei ist: Wie sehen die diesbezüglichen Managementstrategien der Leitung einer Organisation aus? Zwischen öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe wird häufig von partnerschaftlichem Umgang und gemeinsamer Planung (Hilfeplanung, Sozialraumplanung etc.) gesprochen. In der Praxis besteht hier ein Machtgefälle und wenn ein Jugendamt der alleinige Nachfrager nach einer von meiner Institution angebotenen Hilfe ist, besteht ein deutliches Abhängigkeitsverhältnis (vgl. Deutscher Bundestag 2013, 49). Von finanziellen Auftraggebern - häufig von Jugendämtern - hängt die betriebswirtschaftliche Prosperität der Institution ab. Kooperationsziele und auch deren Grenzen sollten gut von allen Beteiligten bedacht und nach Möglichkeit kommuniziert werden. Hilfreich ist es, wenn die Kooperationsziele mit den Zielen der beteiligten Partner übereinstimmen (Zielkongruenz). Was habe ich davon, wenn ich kooperiere? „Institutionen“, vertreten durch Personen, müssen durch Kooperation einen Zugewinn haben, wenn die Kooperation nachhaltig angelegt sein soll. Für niedergelassene ärztliche KollegInnen, z. B. Kinder- und JugendpsychotherapeutInnen, sind Netzwerkarbeit, Teilnahme an Projektgruppen und Hilfeplangespräche gleichbedeutend mit Einnahmeausfällen und einer Arbeitsverdichtung. KollegInnen aus dem Jugendamt oder von freien Trägern nehmen an denselben Arbeitstreffen teil, die ihnen als Arbeitszeit anerkannt und folglich entlohnt werden. Im Gesundheitswesen ist die Feststellung einer Erkrankung („ICD“) notwendiger Bestandteil einer Refinanzierung der Profession, in anderen Arbeitsfeldern besteht die Gefahr, diese Diagnosestellung als Defizitorientierung oder Stigmatisierung abzuwerten. Um Kooperation zwischen unterschiedlichen Systemen zu ermöglichen, ist das Wissen um die immanenten Spielregeln der jeweils Kooperierenden wichtig für die Vorhersage des Er- 482 uj 11+12 | 2013 Multiprofessionelle Kooperation folgs. Die gegenseitigen Erwartungen an die Kooperation sollten ausgesprochen und geklärt werden. Wichtige Aspekte gelingender Kooperation Sind die Grundfragen geklärt, dann sind weitere Aspekte für eine gelingende Kooperation kennzeichnend: Kooperation braucht Zeit Einer der häufigsten Fallstricke für eine professionelle Kooperation ist der Faktor Zeit bzw. Zeitdruck. So sind z. B. Krisen, gekennzeichnet von Grenzüberschreitungen, eigener Ohnmacht, einem hohen Zeit- und Handlungsdruck und starken Emotionen, ungünstig für die Aufnahme einer Kooperation. Diese bahnt man institutionell möglichst in Zeiten an, in denen es ruhig ist. Eine gelingende Kooperation zwischen Institutionen und den sie vertretenden Personen dauert Jahre, ist definiert als Bestandteil der regulären Arbeit und eingebettet in Routineabläufe. Vertrauen muss langsam aufgebaut werden. Die oben benannten Grundfragen werden immer wieder im Rahmen einer Kooperation gestellt und festigen den Prozess oder lassen eine Kooperation im Sande verlaufen. Kooperation braucht Klarheit bezüglich der Absprachen und Verantwortlichkeiten Die Absprachen und Arbeitsaufträge sollten klar benannt werden. Wer macht was und wann? Diesen Aspekt findet man häufig auch unter dem Stichwort Transparenz. Ist jemand benannt, der die Fäden in der Hand hält? Häufig scheitern Kooperationen schon an so scheinbar nebensächlichen Dingen wie der rechtzeitigen Verabredung eines Folgetermins. „Bis demnächst“ ist ein Warnsignal erster Güte. Dann sollte man lieber eine Kooperation beenden. Sind die Ziele der Kooperation erreicht oder können sie nicht mehr erreicht werden, ist es professionell, die Kooperation transparent zu beendigen. Kooperation ist ein sehr persönliches Unterfangen Die reduzierte Kommunikation per Mail kann Kooperationen (gerade über große Entfernungen hinweg) am Leben halten. Jedoch werden die Grundlagen gelingender Zusammenarbeit sowohl auf der strukturellen als auch auf der persönlichen Ebene angelegt. Stellvertretung, Delegation oder schriftliche Kommunikation bergen viele Gefahren und Fettnäpfchen, in die man treten kann. Angestrebt werden sollte deshalb eine personelle Kontinuität. Scheidet die Schlüsselperson aus der Institution aus und ist keine Co-Verantwortung implementiert, so ist die Kooperation gefährdet. Deshalb sollte die Kooperation pro beteiligter Institution nicht auf einer Schulter ruhen. Kooperation braucht eine gemeinsame (realistische) Gestaltung der Übergänge Ich plädiere für eine Fallverantwortung, die deutlich zugeordnet und bei einem Wechsel klar übergeben wird. Eine noch so gut gemeinte gemeinsame Fallverantwortung übersieht häufig die intra- und innerinstitutionellen Spielregeln und Notwendigkeiten und führt schnell zu Enttäuschungen, die dann im ungünstigen Fall der persönlichen Ebene zugeordnet werden und Kränkungen hinterlassen. Besser ist es, von jeweiliger Fallführung und Co-Verantwortung zu sprechen. Kooperation braucht Evaluation Ob die verantwortlichen Fachkräfte sich ein Mal pro Jahr zu einem Essen treffen oder eine kurze schriftliche Evaluation unter den betei- 483 uj 11+12 | 2013 Multiprofessionelle Kooperation ligten PartnerInnen vereinbart wird, ist sehr unterschiedlich und von den jeweiligen Bedingungen vor Ort abhängig. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, unsere KooperationspartnerInnen regelmäßig im Rahmen regulär stattfindender Hilfeplangespräche um schriftliche Rückmeldung zu bitten. Eines der wichtigsten Kriterien bei der Erstellung und Pretestung des Instrumentes waren die Vorgaben: Dauer maximal 2 Minuten, keine zusätzlichen Treffen, Telefonate oder Absprachen. Die gegenwärtige Flut an Evaluationen hat zu einem verständlichen Abwehrreflex gegenüber Rückmeldungen jedweder Art geführt. Es bedarf schon einer ausdrücklichen Bitte und des Hinweises auf die gesetzlich geforderte Evaluation der Arbeit, um eine statistisch relevante Rücklaufquote zu erhalten. Ein Ergebnis der Evaluation einer Zusammenarbeit kann auch sein, dass eben diese geplant beendet wird. Kooperation braucht Aufmerksamkeit und Sensibilität Und zu guter Letzt eine persönliche Empfehlung: Es sind häufig die kleinen, aber in der zwischenmenschlichen Kommunikation so wichtigen Dinge, die das Fundament einer gelingenden Kooperation bilden. An ihnen erkennt man, ob ein Leitbild, ob die pädagogischen Handlungsleitlinien oder eine Kooperationsvereinbarung auch wirklich „gelebt“ werden: ➤ Bin ich rechtzeitig da und begrüße jeden an der Kooperation Beteiligten freundlich - und wenn erinnerlich, auch mit seinem Namen? ➤ Ist ein „Kaffeetisch“ gedeckt bzw. wie sieht der Raum aus, in dem wir uns treffen? ➤ Ist mein Handy aus? ➤ Haben wir unsere Ruhe oder werden wir dauernd durch irgendetwas gestört? ➤ Lasse ich jeden an die Reihe kommen und kann jeder seine Sichtweise der Dinge einbringen? ➤ Wird jemand benannt, der die Ergebnisse sichert und zum nächsten Gespräch einlädt? Auf umfängliche und praxisorientierte Strukturhilfen, Vorlagen und Leitfäden zur Professionalisierung der Zusammenarbeit kann zurückgegriffen werden (Lenz 2010). Resümee Erfolgreiche Kooperation ist für die eigene berufliche Sozialisation und für die beteiligten Institutionen sehr lohnenswert. Wenn ich auf gelingende Prozesse der Kooperation schaue, finde ich die oben aufgeführten „goldenen Regeln“ wieder. Lebens- und Berufserfahrung befördern diese positiven Verläufe. Im Hinblick auf die Kinder- und Jugendhilfe bezieht der 14. Kinder- und Jugendbericht im Kapitel „Notwendigkeit von Kooperation“ eindeutig Stellung, indem er hierzu ausführt: „Der Kinder- und Jugendhilfe wächst dort, wo sie sich beteiligt, eine neue strategische Bedeutung im Kontext des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen in öffentlicher Verantwortung zu“ (Deutscher Bundestag 2013, 42). Unter Berücksichtigung einer Verdichtung komplexer Problemlagen bei den Kindern und Jugendlichen in der stationären Kinder- und Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe ist hinsichtlich der Kooperation erst der Anfang gemacht. Die vor uns stehenden Komplexleistungen können zukünftig nur im Kontext einer gelingenden Kooperation auf der Grundlage der sich ergänzenden Kompetenzen und als gemeinsame Aufgabe bewältigt werden. Klaus ter Horst Eylarduswerk Teichkamp 34 48455 Bad Bentheim-Gildehaus k.ter.horst@eylarduswerk.de 484 uj 11+12 | 2013 Multiprofessionelle Kooperation Literatur Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ, 2011: Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen: Positionspapier. www.jugendhilfeportal.de/ recht/ artikel/ ein trag/ plaedoyer-fuer-die-grosse-loesung, 8. 8. 2013, ohne Seitenangabe Balz, H.-J./ Spieß, E., 2009: Kooperation in sozialen Organisationen. Grundlagen und Instrumente der Teamarbeit. Module angewandter Psychologie. Band 2. Stuttgart Deutscher Bundestag, 2013: Der 14. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen und Bestrebungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. BT-Drucksache 17/ 12200. Berlin Gellert, M./ Novak, C. 4 2010: Teamarbeit - Teamentwicklung - Teamberatung. Ein Praxisbuch für die Arbeit in und mit Teams. Meezen Hölzl, H./ Knab, E./ Mörsberger, H./ Scholten, H., 2011: Fachübergreifend helfen. Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Erziehungshilfe. Freiburg im Breisgau Lenz, A., 2010: Ressourcen fördern. Materialien für die Arbeit mit Kindern und ihren psychisch kranken Eltern. Göttingen Sennet, R., 3 2012: Zusammenarbeit. Was unsere Gesellschaft zusammenhält. München Strahl, B./ Thomas, S., 2013: Care Leavers. Aus stationären Erziehungshilfen in die „Selbstständigkeit”. In: unsere jugend, 65. Jg., H. 1, S. 2 - 12 ter Horst, K., 1997: Aufgaben und Möglichkeiten multiprofessioneller Kooperation aus der Sicht von Heimen/ Einrichtungen. In: Informationsdienst Kindesmisshandlung und -vernachlässigung. DGgKV. Sonderband 1.1. Köln, S. 18 - 35 ter Horst, K., 2008: Lernende Jugendhilfe. Strategische Fragen an das Management einer deutschen Jugendhilfeeinrichtung. In: Inspirierend - flexibel - stabil. Angebote, Formen und Rahmenbedingungen der außerfamiliären Sozialstation. Zürich, S. 34 - 38 Trede, W., 2013: Hilfe statt Nothilfe. In: DJI Impulse, Nr. 1, S. 7 - 9 Trede, W./ Ulmer, B., 2013: Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen. Die Zusammenarbeit mit freien Trägern. In: Unsere Jugend, 65. Jg., H. 5, München, S. 198 - 207 van Dick, R./ West, M. A., 2 2013: Teamwork, Teamdiagnose, Teamentwicklung. Praxis der Personalpsychologie. Band 8. Göttingen van Santen, E./ Seckinger, M., 2003: Kooperation: Mythos und Realität einer Praxis. Eine empirische Studie zur interinstitutionellen Zusammenarbeit am Beispiel der Kinder- und Jugendhilfe. Leverkusen