unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2013
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Die „Große Lösung“: was soll und was kann sie lösen?
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2013
Hanna Permien
Stellen Sie sich vor, Ihr Kind hätte eine geistige oder körperliche Behinderung, zudem würde es auch noch als verhaltensauffällig gelten. Stellen Sie sich weiter vor, Sie als Mutter/Vater hätten vielleicht selbst eine Körperbehinderung, wären arm, alleinerziehend und hätten dazu vielleicht noch einen Migrationshintergrund. Sie könnten - angesichts dieser "Kumulation von Benachteiligung" - mit all Ihren Problemen vermutlich gar nicht allein fertig werden.
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467 unsere jugend, 65. Jg., S. 467 - 477 (2013) DOI 10.2378/ uj2013.art44d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Dr. Hanna Permien Jg. 1947; Dipl.-Psychologin, bis 2012 wissenschaftliche Referentin in der Abteilung Jugend und Jugendhilfe am Deutschen Jugendinstitut in München Die „Große Lösung“: was soll und was kann sie lösen? Stellen Sie sich vor, Ihr Kind hätte eine geistige oder körperliche Behinderung, zudem würde es auch noch als verhaltensauffällig gelten. Stellen Sie sich weiter vor, Sie als Mutter/ Vater hätten vielleicht selbst eine Körperbehinderung, wären arm, alleinerziehend und hätten dazu vielleicht noch einen Migrationshintergrund. Sie könnten - angesichts dieser „Kumulation von Benachteiligung“ - mit all Ihren Problemen vermutlich gar nicht allein fertig werden. Doch wenn Sie Hilfe suchen, so stehen Ihnen viele Wege bevor. Denn es sind viele Gesetze, Ämter und Einrichtungen, die Ihnen und Ihrem Kind jeweils mit segmentierten Leistungen helfen könnten - was Ihren komplexen Bedarf aber kaum wirklich decken würde. Die Ämter würden sich vermutlich auch öfter als „nicht zuständig“ erklären, Sie an jeweils andere Ämter verweisen und Sie und Ihr Kind vielleicht solange im Regen stehen lassen, bis Sie aufgeben bzw. jede (schließlich doch noch gewährte) Hilfe zu spät kommt! Denn die Ämter würden vermutlich nicht primär auf Ihre komplexe Problemlage eingehen, sondern vorrangig ihre Zuständigkeiten klären: Steht bei Ihrem Kind die körperliche und/ oder geistige Behinderung im Vordergrund? Dann wären die Sozial- oder Eingliederungshilfe (EGH) zuständig. Oder sind es die Verhaltensauffälligkeiten - ist Ihr Kind vielleicht sogar „seelisch behindert“? Dafür wäre dann die Kinder- und Jugendhilfe (KJH) zuständig. Und sind Ihre Probleme mit dem Kind eher durch Ihre eigene Behinderung bedingt, so könnten Sie sich an die Sozialhilfe wenden, die Ihnen vielleicht „alltagspraktische Assistenz“ oder andere Hilfen zur Stärkung Ihrer gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten gewähren würde. Sie könnten sich aber auch an die Kinder- und Jugendhilfe wenden in der Hoffnung, dass diese Ihren Unterstützungsbedarf bei der Pflege und Erziehung ihres Kindes anerkennt (AGJ 2011). Hoffentlich haben Sie für all das genug Verständnis, Zeit, Kraft, Geld und Durchhaltevermögen - am besten aber engagieren Sie gleich einen Rechtsanwalt! Dabei sollten Sie wissen: Ihre Probleme beruhen unter anderem auf der gesellschaftlichen Konstruktion von problematischen und eindimensionalen Gegensätzen, z. B. „normal“ gegen„behindert“, „deutsch“ gegen „nichtdeutsch“, „krank“ gegen „gesund“. Obwohl es hier eher um Pole eines Kontinuums geht und die Probleme und Bedürfnisse von Menschen meist vieldimensional sind, wurden diese Gegensätze durch gesetzliche Regelungen verfestigt. So sind die ver- 468 uj 11+12 | 2013 Inklusion schiedenen Sozialgesetzbücher immer nur für ganz bestimmte Aspekte zuständig: Aufgabe des SGB VIII (Sozialgesetzbuch achtes Buch, Kinder- und Jugendhilfe) ist z. B. nach § 1 zwar die Förderung von allen Kindern und Jugendlichen, aber es schließt nur junge Menschen mit seelischen Behinderungen ein, denn für Mädchen und Jungen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen sind die Sozialgesetzbücher IX (Rehabilitation und Teilhabe) und XII (Sozialhilfe), also die Eingliederungshilfe (EGH) bzw. die Sozialhilfe zuständig. Für diese eindimensionale Zuweisung spielt in Bezug auf die „geistige Behinderung“ zur Abgrenzung von der„normalen“ Intelligenz eine, immer mit vielen Unsicherheiten belastete, Messung des Intelligenzquotienten (IQ) die entscheidende Rolle: Wird irgendwann festgestellt, dass der unter oder bei 70 liegt, so muss, unabhängig von allen anderen Verhaltens- und Erziehungsproblemen, die EGH - und damit ein anderer Kostenträger sowie andere Leistungsanbieter - tätig werden. So muss ein junger Mensch, bei dem z. B. erst mit 14 Jahren ein IQ unter/ bei 70 festgestellt wird, möglicherweise in eine Behinderteneinrichtung wechseln, selbst wenn er bisher in einem Heim der KJH ganz gut zurechtgekommen ist. Außerdem gibt es große Zuordnungsprobleme bei Mehrfach-Behinderungen: Denn körperliche und/ oder geistige Behinderungen gehen nicht selten mit psychischen und Verhaltensauffälligkeiten und Erziehungsproblemen einher - wo also und wozu eigentlich sollen da die Grenzlinien der Zuständigkeiten gezogen werden? Zudem steigt die Zahl der (Mehrfach-) Behinderungen, die durch soziale Benachteiligung mitbedingt sind (Müller-Fehling 2010 b) - wo also sowohl die Sozial- und Eingliederungshilfe als auch die Kinder- und Jugendhilfe verstärkt gefragt sind. Ganz abgesehen von der wichtigen Frage, wie eine Gesellschaft die Unterscheidung z. B. von „behindert“ und „normal“ trifft und wer hier jeweils die Definitionsmacht hat, führen diese polarisierenden und eindimensionalen Konstruktionen nicht nur zur Ausblendung anderer Aspekte, z. B. welche Ressourcen, aber auch welche anderen Probleme Menschen mit Behinderung haben, sondern auch zur Etikettierung und Exklusion von Menschen, denen „Normalität“ in bestimmten Bereichen abgesprochen wird. Zudem wird damit den „Normalen“ und „Inkludierten“ pauschal eine „Homogenität“ unterstellt, die zu mangelnder Differenzierung und zu „Normalitätsdruck“ führt. Und das kann z. B. den Kindern in der Regelschule schon früh das Lernen erschweren und verleiden (Prengel 2010). Was ist und was will die Große Lösung? Die geschilderten Probleme kann die sogenannte Große Lösung nicht lösen. Aber sie kann zumindest in Bezug auf Kinder und Jugendliche den Zuständigkeitswirrwarr reduzieren und jungen Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen mehr Teilhabe ermöglichen. Dabei ist das Bestreben, auch junge Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen in die Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe einzubeziehen, keineswegs neu. Es scheiterte aber 1990 bei der Einführung des neuen SGB VIII an Vorbehalten der Behindertenverbände, die u. a. eine Verschlechterung der Leistungen befürchteten, sowie an organisatorischen Problemen, da die KJH kommunal, die EGH aber zum Teil überregional organisiert ist (Lohest 2012). Als „Kleine Lösung“ kam es aber zur Zuständigkeit der KJH für junge Menschen mit (drohenden) seelischen Behinderungen, deren hoher erzieherischer Bedarf am ehesten durch Maßnahmen der KJH zu decken war. Dass die Große Lösung jetzt wieder auf der Tagesordnung steht, ist ganz wesentlich der 2009 von Deutschland ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) zu danken, weiter 469 uj 11+12 | 2013 Inklusion dem 13. Kinder- und Jugendbericht, der sich intensiv dem Thema Inklusion widmete, sowie der Diskussion über die Reform der EGH - und nicht zuletzt der Unzufriedenheit der Praxis mit den vielfältigen Problemen, die die derzeitige Zuständigkeitsaufteilung mit sich bringt: Unter anderem zeigt sich, dass die Zuweisungskriterien für verschiedene Arten von Behinderungen unterschiedlich und keineswegs objektiv sind: So schwanken die Anteile der Hilfen nach § 35 a SGB VIII sowie nach EGH (SGB XII) an allen Hilfen für junge Menschen zwischen den Bundesländern beträchtlich (Statistisches Bundesamt 2009). Die angewandten unklaren Kriterien scheinen oft weniger am „Wohl des Kindes“ und an seinen Teilhabechancen und Interessen orientiert, als vielmehr an den Interessen von Institutionen, u. a. der „Entlastung“ von Schule, Kinder- und Jugendhilfe und Arbeitsmarkt von „schwierigen Fällen“. Angesichts dieser Abgrenzungskonflikte und der aufgeteilten (Un-) Zuständigkeiten kommt es für die Betroffenen zu „Verschiebebahnhöfen“ und „schwarzen Löchern“: Trotz Rechtsanspruch erhalten sie - zum Teil nach zermürbenden und teuren Verwaltungs- und Sozialgerichtsprozessen - oft gar keine, unpassende oder zu späte Hilfen. Außerdem erfolgt die - in Deutschland gegenüber anderen Ländern besonders häufige - „Aussonderung“ von Menschen mit Behinderungen oft nicht transparent und partizipativ, sondern gegen den Willen der Betroffenen. Sondersysteme erfüllen zwar die behinderungsspezifischen Anforderungen relativ gut, andererseits haben sie oft nur wenig Bezug zur Lebenswelt nichtbehinderter Kinder (Müller-Fehling 2010 b). Dort also würde Ihr Kind vermutlich nur ebenfalls „ausgesonderte“ Freunde finden! Weiter sind die Erfolge der Sondersysteme oft nicht „anschlussfähig“ genug, z. B. wenn Ihr Kind an einer Förderschule gar keinen regulären Hauptschulabschluss machen kann oder„Sonder“-Abschlüsse zur Diskriminierung führen. Auch haben Sondersysteme kaum Durchlässigkeit zu Regelsystemen. Wenn deren NutzerInnen trotzdem den Übergang in die Normalität wagen, so haben sie die damit verbundenen Risiken alleine zu tragen. Dies alles verursacht nicht nur aktuelle Fehlinvestitionen, hohe Folgekosten, und oft auch eine Verstärkung der Beeinträchtigungen von jungen Menschen, sondern führt nicht selten auch zu völliger Überforderung bis hin zum Zerbrechen von Familien, vor allem dann, wenn diese sozial benachteiligt sind - und gerade diese Familien sind am stärksten von Behinderungen bei ihren Kindern betroffen. Die Große Lösung - auch eine Frage der Haltung! Damit durch die Große Lösung aber nicht nur die Möglichkeit zu (mehr) Inklusion „geregelt“ und „verwaltet“ wird, sondern Inklusion gelingen und positiv gelebt werden kann, ist eine Haltungsänderung in der gesamten Gesellschaft und speziell auch in der Kinder- und Jugendhilfe notwendig: Inklusion muss ganz allgemein zum Handlungsprinzip werden, nach der Formel des Europäischen Behindertenforums: „Nichtdiskriminierung + positive Aktion = soziale Inklusion“. So fordert der 13. Kinder- und Jugendbericht (2009, 250): „Sprach-, Status- und Segregationsbarrieren sind abzubauen und die Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung sind in allen Planungs- und Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen …“ - „Insofern sind alle Maßnahmen an einer Inklusionsperspektive auszurichten, die keine Aussonderung akzeptiert.“ Entsprechend der Maxime: „Kein junger Mensch darf verloren gehen! “ bestehen Inklusionsnotwendigkeiten demnach vor allem für Mädchen 470 uj 11+12 | 2013 Inklusion und Jungen, die in Armut aufwachsen und/ oder einen Migrationshintergrund und/ oder behinderungsbedingte Handlungseinschränkungen haben oder aus besonders belasteten Familien kommen. Um das Handlungsprinzip Inklusion durchzusetzen, ist ein Perspektivenwechsel notwendig - nicht nur bei allen, die mit Menschen mit Behinderungen zu tun haben, sondern in der gesamten Gesellschaft: ➤ Wertschätzung von Vielfalt: An die Stelle bloßer Orientierung an (Leistungs-) Hierarchien, am „Marktwert“ und der Beschäftigungsfähigkeit von Menschen sollte die Wertschätzung von Vielfalt treten. Aber geht das in unserer Stress- und Konkurrenz-Gesellschaft überhaupt? ➤ Subjekt- und Lebenslagenorientierung: Hier geht es um den Wechsel von einer Fürsorgeperspektive, die gut gemeint ist, aber oft das Wahlrecht von Eltern und ihren Kindern einschränkt, hin zur Anerkennung von jungen Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen als Subjekte mit Ressourcen, eigenen Rechten und Eigen-Sinn. Junge Menschen mit Behinderungen sind primär als Mädchen und Jungen in bestimmten Lebenslagen zu sehen und nicht primär als „Behinderte“ - deshalb ist neben ihrem Bedarf an Leistungen der Eingliederungshilfe auch ihr Bedarf an Kontakt zu Gleichaltrigen anzuerkennen sowie ggf. der erhöhte Unterstützungsbedarf ihrer Eltern in Erziehungsfragen. ➤ Soziales Verständnis von Behinderung: Junge Menschen mit Behinderungen sind nicht „behindert“ - sondern sie werden durch die Gesellschaft behindert! Behinderung ist also zu verstehen als Interaktion von persönlicher/ sozialer Beeinträchtigung mit der Behinderung durch gesellschaftliche Hürden (in Gesetzen, Umwelt, Einstellungen). Nötig ist umfassende „Barrierefreiheit“ - auch in den Köpfen! ➤ Sozialraum- und Lebensweltorientierung: Statt (nur scheinbar! ) „problemlösendem Wegorganisieren“ der Betroffenen in Parallelsysteme sollen die nötigen (integrierten) Hilfen möglichst in wohnortnahen Regeleinrichtungen verfügbar sein. Notwendig ist eine Umgestaltung der sozialen Umwelt als Voraussetzung für gemeinsame Nutzung und gesellschaftliche Teilhabe durch heterogene Gruppen (Dannenbeck 2008). „Das Recht auf Teilhabe an der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen muss strukturell ebenso verankert sein wie das Recht auf eine der Behinderung angemessene Förderung“ (Müller-Fehling 2010 a, S. 204). ➤ Systemische Orientierung: Statt isoliertem Blick auf die „Behinderung“ und dem daraus ableitbaren Hilfebedarf der leistungsberechtigten Einzelperson soll der Blick auf die ganze Person inklusive ihrer Familie, Lebenswelt, ihren persönlichen und sozialen Ressourcen, Bedarfen und besonderen Bedürfnissen gerichtet werden. ➤ Adressatenlogik statt Institutionenlogik: Nicht das Kind ist das Problem, sondern das System bzw. die Vielzahl der Systeme! Deshalb müssen sich alle Hilfesysteme primär an den KlientInnen und ihrer Gesamtsituation orientieren und nicht primär an den eigenen Systeminteressen. Unverzichtbar sind dabei: der Dialog mit den betroffenen Eltern und jungen Menschen - als ExpertInnen ihrer Situation - und mit ihren (Selbsthilfe-)Verbänden, ein offener Leistungskatalog, sodass die Hilfen an den je individuellen Bedarf angepasst werden können, sowie ein gemeinsamer, partizipativer Entwicklungsprozess aller beteiligten Systeme. Es geht also um nicht weniger als die Befähigung aller jungen Menschen zur Teilhabe in einer auf Befähigungsgerechtigkeit ausgerichteten Gesellschaft. Dazu ist zunächst die Befähigung der Gesellschaft und aller Hilfesysteme zur Inklusion notwendig. 471 uj 11+12 | 2013 Inklusion Die Große Lösung als „größte fachpolitische Neuorientierung der KJH“ (Porr 2012, 3) muss also eingebettet sein in eine „inklusive Haltung“. Ist das der Fall, kann die Kinder- und Jugendhilfe diese Haltung vielleicht sogar in der ganzen Gesellschaft fördern, zumal sie sich in ihrer Arbeit bestimmte Perspektiven - zumindest ansatzweise - schon zu eigen gemacht hat. Ziele und Visionen der Großen Lösung Soll die Große Lösung gelingen, braucht sie zudem genügend Zeit für ihre Einführung, gute Übergangsregelungen und viel Fehlerfreundlichkeit. Sie ist als umfassender Prozess zu begreifen, der Veränderungen in Bezug auf Personal, Finanzen, Strukturen und gesetzliche Regelungen erfordert - und nie ganz abgeschlossen sein wird. Ein zentrales Etappenziel ist aber bereits erreicht: Sowohl die Behinderten-Verbände wie auch die von der Arbeits- und Sozialministerkonferenz eingesetzten Arbeitsgruppen mit VertreterInnen der Länder, des Bundes und der kommunalen Spitzenverbände haben sich mehrheitlich auf die Gesamtzuständigkeit der Kinder und Jugendhilfe für alle jungen Menschen, unabhängig von der Art ihrer möglichen Behinderungen, geeinigt. Sie haben die Voraussetzungen geschaffen, damit die Große Lösung ab der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden kann. Folgende Ziele sollen mit der Großen Lösung erreicht werden: ➤ Kontinuierliche „Hilfen aus einer Hand“ während des gesamten Hilfeprozesses auf der Basis eines einheitlichen, inklusiven Rechtssystems. ➤ Verminderung der Schnittstellen und der damit verbundenen Konflikte und Gerichtsverfahren durch Bündelung der Aufgaben im Jugendamt, das für Familien mit Behinderungen zu einer für alle ihre Fragen zuständigen Anlaufstelle wird. ➤ Keine bloße Integration der EGH in die KJH, speziell in die Hilfen zur Erziehung, sondern Schaffung einer neuen Leistung „Hilfen zur Entwicklung und Teilhabe“. ➤ Überwindung der Zuordnungsprobleme und der damit verbundenen Defizitzuschreibungen: Gefordert wird: Keine Aufteilung in %-Sätze von sozialer Benachteiligung, Entwicklungsstörung und Behinderung (vgl. Koch/ Porr/ Struck 2010, 200). ➤ Gute Übergänge von einem System ins andere, z. B. von der inklusiven Kita in eine inklusive Schule und von dort in eine inklusive Ausbildung, aber auch von der Kinder- und Jugendhilfe in die Sozialhilfe bei Erwachsenwerden. Verbunden mit diesen Zielen ist die Hoffnung auf eine grundlegende inklusionsorientierte Umstrukturierung der Kinder- und Jugendhilfe und eine Überwindung der Versäulung der verschiedenen sozialen Leistungssysteme zugunsten von intelligent verknüpften behinderungsbezogenen und erzieherischen Hilfen, die sich an den Bedürfnissen der AdressatInnen und nicht primär an diversen Systeminteressen orientieren. Doch selbst, wenn dies gelingt, bleiben bei Erwachsenwerden der jungen Menschen noch sehr viele Schnittstellen mit anderen Systemen, wie Schule, Gesundheitssystem (SGB V) inklusive der Krankenkassen und der Pflegeversicherung, Arbeitsförderung (SGB III) und Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) sowie mit der EGH (SGB XII). Angesichts des Inklusionsauftrags müsste auch in diesen Systemen die UN-Behindertenrechtskonvention (UN BRK) wesentlich stärker berücksichtigt werden als bisher, damit an die Stelle der alten Konfliktlinien endlich eine (gemeinsame) Verantwortungsübernahme und Kooperation treten kann. 472 uj 11+12 | 2013 Inklusion Die Große Lösung wird es, trotz möglicher langfristiger Synergieeffekte aufgrund des Abbaus von Doppelstrukturen, zudem nicht zum Nulltarif geben! Sie ist erst recht keine Lizenz zum Kürzen! Denn gerade in der Übergangsphase wird ein verstärkter Mitteleinsatz notwendig sein, um die im Folgenden beschriebenen Aufgaben ausreichend zu finanzieren. Hohe Ziele und Mühen der Ebene(n) Die Entscheidung für die Große Lösung erfordert noch viel „Mühen der Ebene“, d. h. konkret der verschiedenen Ebenen von Bund, Ländern, Kommunen und Trägern der Jugend- und der Eingliederungshilfe. Sie sind direkt gefragt und weitere Systeme sollten zu intensiverer Kooperation bereit sein! Die Große Lösung wird nur dann wirklich der Inklusion dienen, wenn sich alle Beteiligten in der großen Linie einig sind, ihre jeweiligen, nachfolgend skizzierten Aufgaben wahrnehmen und sich vielfältig unterstützen. Aufgaben des Bundes Als Voraussetzung für die Erreichung der oben genannten Ziele muss der Bund ein einheitliches Leistungsgesetz für alle Kinder und Jugendlichen auf den Weg bringen, an das die Landesgesetze anknüpfen können. Er muss die Abstimmung relevanter gesetzlicher und finanzieller Regelungen in den Sozialgesetzbüchern leisten und Zuständigkeiten ebenso regeln wie die Frage der Anspruchsberechtigten (sollen das die Kinder und Jugendliche mit Behinderungen wie im SGB XII sein oder die Eltern als Erziehungsberechtigte wie im SGB VIII oder lassen sich sinnvolle Kombinationen finden? ). Weiter zu regeln sind die „Hilfe- und Bedarfsplanung“, die Kriterien für die Gewährung von Leistungen, die Vergabemodalitäten sowie die Kostenheranziehung. An allen diesen Punkten sind Kinder- und Jugendhilfe und Eingliederungshilfe bisher verschiedene Wege gegangen. Deshalb wird es darum gehen, das vorhandene Wissen über eine gute Förderung von jungen Menschen mit und ohne Behinderung zu sichern und zu stärken (Zweiter Zwischenbericht der interministeriellen AG 2011) sowie Regelungen aus beiden Systemen so zu integrieren, dass sie den komplexen und unterschiedlichen Bedarfen junger Menschen und ihrer Familien möglichst optimal gerecht werden. Weiter sollte der Bund seine Anregungsfunktion wahrnehmen: Neben dem schon existierenden Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-BRK ist die Initiierung und Unterstützung von Forschung, Austausch, Modellprojekten, Evaluation etc. notwendig. Aufgaben der Bundesländer Den Ländern kommt unter anderem die Aufgabe zu, Ausführungsgesetze zu den Bundesgesetzen zu erlassen und die Finanzströme von Kinder- und Jugendhilfe und Eingliederungshilfe entsprechend umzulenken und zusammenzuführen. So muss die bisher in manchen Ländern überörtlich organisierte Eingliederungshilfe für junge Menschen im Rahmen der Großen Lösung künftig kommunal unter Leitung des Jugendamts organisiert werden, wobei den Kommunen genügend Mittel für die neuen Aufgaben zur Verfügung zu stellen sind. Wichtig sind dabei auch der Kommunale Finanzausgleich und übergreifende Regelungen zur Personalbemessung. Denn die Länder müssen dafür sorgen, dass Leistungen, Ausstattung und Organisation nicht je nach Kommune/ Einrichtung variieren, sondern dass vergleichbare Angebote entstehen, die bestimmten Standards genügen. Da die Länder die Kultushoheit haben, sind sie auch für die Förderung der Inklusion in Schulen und Hochschulen zuständig. Da Leistungen der Schule den Vorrang zu Sozialleistungen haben, müssen Schulen in die Lage versetzt werden, 473 uj 11+12 | 2013 Inklusion den Bedarf von jungen Menschen mit Behinderungen abdecken zu können. Auch auf Landesebene muss die Vernetzung der Systeme, mit denen junge Menschen zu tun haben, im Sinne des für gelingende Inklusion notwendigen Perspektivenwechsels, vorangetrieben werden. Und auch die Länder sollten in Sachen Forschung, Evaluation, Fortbildung, Modellprojekte, Planungshilfen, Imagekampagnen, Transfer etc. aktiv werden. Aufgaben der Kommunen Unter der „Leitorientierung ‚Inklusives Gemeinwesen‘ (Rohrmann 2012) sind konkrete Maßnahmen und Initiativen zu entwickeln, um vor Ort eine inklusive Haltung, eine „Kultur der Inklusion“ zu stärken und Segregation nach „behindert - nicht behindert“ bzw. nach Behinderungsarten in allen Lebensbereichen zu überwinden - oder zumindest zu vermindern. Dabei sollten die Kommunen durch die Bundes- und Landesgesetzgebung, Förderprogramme, Planungshilfen, Fortbildung etc. unterstützt werden. Auch sollte in der Kommune seitens der Politik offensiv vertreten werden, dass die Jugendämter - häufig schon jetzt die größten Ämter, die am meisten Geld „verschlingen“ - durch den neuen Aufgabenzuschnitt noch größer und ihre Mittel noch umfangreicher werden. Denn es ist davon auszugehen, dass die Jugendämter bundesweit zusätzlich für ca. 150.000 junge Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen zuständig werden, für die derzeit ca. 2.5 Mrd. Euro an Personal- und Sachmitteln aufgewendet werden. Die Kommune sollte zudem die Jugendhilfeplanung zu einer kommunalen Teilhabeplanung weiterentwickeln, in die nicht nur die Jugend- und Eingliederungshilfe, sondern auch Schulen, Ausbildungssystem, Arbeitsvermittlung und Gesundheitssystem einbezogen werden. Aufgaben der kommunalen Jugendämter Auf die kommunalen Jugendämter kommen zweifelsohne die größten Umsetzungsaufgaben der Große Lösung zu. D. h. knapp 600 Jugendämter mit ganz unterschiedlichen Größen (die Zahlen der MitarbeiterInnen bewegen sich vom zweibis in den vierstelligen Bereich) und Strukturen müssen für diese Aufgabe organisatorische, personelle und finanzielle Lösungen finden. Hier sind flexible Lösungen gefragt angesichts der Tatsache, dass die Jugendämter zudem für kommunale Gebilde von ganz verschiedener Größe und Struktur (von Großstädten bis zu Flächenlandkreisen) zuständig sind, und ihre Finanzausstattung die (oft problematische) „Kassenlage“ der Kommune widerspiegelt. Trotzdem stehen diese „erweiterten Jugendämter“ alle vor den gleichen Herausforderungen: ➤ Als verantwortliche öffentliche Träger müssen sie die Steuerungsverantwortung für die Umsetzung der Großen Lösung übernehmen. Zudem werden sie zu Kooperationspartnern für die Leistungserbringer sowohl aus der Jugendhilfe als auch aus der Behindertenhilfe, soweit sie mit jungen Menschen arbeiten. ➤ Sie müssen die Eltern von Kindern mit Behinderungen motivieren, sich nun vertrauensvoll ans Jugendamt zu wenden und sich auf die neuen Bedingungen einzulassen. Dabei ist davon auszugehen, dass die Eltern möglichst viel Sicherheit und Kontinuität in Bezug auf die Art der gewährten Hilfen, auf finanzielle Unterstützung und Kostenheranziehung brauchen. Zudem könnte zumindest ein Teil der Eltern von Kindern mit körperlichen und/ oder geistigen Behinderungen dem Jugendamt durchaus anspruchsvoll und unter Umständen auch mit großer Skepsis gegenüber dem „sozialpädagogischen Blick“ begegnen (AGJ 2011). Es wird darum gehen, dies nicht als Bedrohung zu sehen, 474 uj 11+12 | 2013 Inklusion sondern an die Kompetenzen und Ressourcen dieser Eltern anzuknüpfen und gemeinsam gute Leistungen für Kinder mit und ohne Behinderungen durchzusetzen. ➤ Zentral ist weiter die (gemeinsame) Qualifizierung des Personals aus Eingliederungs- und Jugendhilfe - und zwar auch auf Leitungsebene - sowie die nötige Teambildung für die neuen Aufgaben, die im besten Sinne inklusiv und nicht additiv zu erfüllen sind. Dies heißt, dass die Fachkräfte dabei zu unterstützen sind, eine gemeinsame Haltung zu entwickeln. Zudem müssen die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe lernen,bei ihrer sozialpädagogisch-systemischen Sicht auf die Familien, ggf. auch den behinderungsspezifischen Bedarf in den Blick zu nehmen - und das Umgekehrte gilt für die Fachkräfte der Behindertenhilfe, die ins Jugendamt wechseln und dort „inkludiert“ werden müssen. ➤ Zu klären wird sein, wie sich in Jugendämtern mit ganz unterschiedlicher Größe und interner Organisation jeweils optimale Kooperationsformen zwischen den Professionen entwickeln lassen. Statt isolierter Spezialdienste ist die Bildung von arbeitsfähigen interdisziplinären, inklusions-förderlichen Teams anzustreben, in denen die verschiedenen Professionen voneinander lernen und gemeinsam Neues entwickeln können. Unter anderem geht es dabei um die Weiterentwicklung der individuellen Hilfeplanung zu einem „inklusiven Planungs- und Steuerungsinstrument im Einzelfall“ (Porr 2012), für das die sozialpädagogischen Standards der KJH maßgeblich sein sollten. ➤ Die Jugendämter sollten zudem die - durch die UN-BRK beschleunigten -Entwicklungen in der Eingliederungshilfe im Auge behalten, z. B. die Tendenzen zu „Community Care“, „Supported Living“, zu persönlichem Budget und Sozialraumbezug. ➤ Schließlich sollten die Jugendämter ein aktives „Schnittstellenmanagement“ anregen und betreiben, damit die anderen Systeme enger miteinander und mit der KJH kooperieren (Britze 2012). Aufgaben von Leistungserbringern Die verschiedenen öffentlichen, freien und gewerblichen Träger, die bisher getrennt voneinander Leistungen der KJH und der EGH erbracht haben, müssen im Rahmen der Großen Lösung zumindest längerfristig inklusive Leistungen entwickeln. Dieser Prozess wird nicht nur Zeit brauchen, sondern erfordert auch, dass die Träger ihre Konkurrenzen zumindest ansatzweise überwinden, ihre Konzepte aufeinander abstimmen und weiter entwickeln, sinnvoll kooperieren und mit der Zeit ihre Angebote auf alle jungen Menschen ausdehnen. Zum anderen sollten die Standards guter Jugendhilfe (umfassende Förderung, Partizipation, Kinderschutz etc.) so bald wie möglich in allen Angeboten der EGH für junge Menschen etabliert und eingehalten werden - so lange und so weit es diese Sondereinrichtungen noch geben muss. Bei allen diesen Aufgaben können und sollten Jugendamt, Kommune sowie auch Land und Bund die Träger unterstützen. In Bezug auf gute Bedingungen für eine inklusive Pädagogik beschreibt Prengel (2010, 29ff ) Aufgaben der Leistungserbringer auf fünf Ebenen: Auf der institutionellen Ebene geht es um Offenheit und angemessene Ausstattung der Angebote. Auf der interpersonellen Ebene braucht es positive Haltungen von Kindern, Eltern, Fachkräften. Auf der didaktischen Ebene müssen geeignete Lernangebote für heterogene Gruppen entwickelt werden. Auf der professionellen Ebene müssen gute Bedingungen für Kooperation, Supervision, Fortbildung, Einsatz von spezieller Unterstützung für Kinder mit besonderem Bedarf und Evaluation hergestellt werden. Und auf der finanziellen Ebene schließlich spielt der optimale Mitteleinsatz eine wichtige Rolle. 475 uj 11+12 | 2013 Inklusion (Mehr) Inklusion in den verschiedenen Leistungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe Die Inklusion erfordert in den verschiedenen Feldern der Kinder- und Jugendhilfe teils parallele, teils spezifische Entwicklungen, die vor Ort z. T. auch jetzt schon eingeleitet werden können. Die Tendenzen dieser Entwicklungen werden hier nur kurz umrissen: ➤ Frühe Hilfen: Hier geht es um den Aufbau von flächendeckenden und dauerhaften Kooperationsstrukturen oder schließlich Zusammenschlüssen zwischen Frühen Hilfen, Gesundheitssystem, Frühförderung, Familienbildung und Erziehungshilfen. Dies auch deshalb, weil ein wachsender Bedarf besteht, die Entstehung manifester Behinderungen durch Vernachlässigung und Misshandlung frühzeitig zu verhindern. ➤ Familienbildung, Elternbildung: Nötig scheinen auch hier mehr frühe, aufsuchende, auch präventive Angebote für (benachteiligte) Familien, deren Kinder möglicherweise unter seelischer, geistiger, körperlicher und/ oder Mehrfach-Behinderung leiden bzw. davon bedroht sind. ➤ Kindertagesbetreuung: In diesem Bereich gibt es schon sehr viele „integrative“ Angebote, allerdings sind deren Anteile in den verschiedenen Bundesländern noch sehr unterschiedlich, sodass ein flächendeckendes inklusives Angebot in Kindertagesstätten in allen Bundesländern leider noch Zukunftsmusik ist. Weiter geht es um die Erleichterung von (bisher z. T. krankenkassen-, z. T. EGH-finanzierten) Komplexleistungen - bzw. sollte an die Stelle aufwendiger, stigmatisierender und trotzdem nicht trennscharfer Diagnostizierung von „Behinderungen“ eine Bereitstellung von Ressourcen treten, um schnell und möglichst „barrierefrei“ Benachteiligung ausgleichen zu können. Auch ist in enger Kooperation mit der Schule der Übergang von Inklusiv-Kitas in ebensolche Schulen zu verbessern. Durch das sich erweiternde Bedarfsspektrum von Kita-Kindern mit und ohne Beeinträchtigungen wäre es gut, wenn sich die Kitas noch besser vernetzen würden. ➤ Erziehungs-/ Familien-/ Lebensberatung: Diese Beratungsangebote sollten sich um (noch) mehr aktiven Einbezug von Heranwachsenden mit körperlicher und/ oder geistiger oder Mehrfachbehinderung und ihren Eltern kümmern. Sie sollten zudem (noch)mehr Angebote für Eltern mit Behinderungen oder chronischen (auch psychischen und Sucht-) Erkrankungen machen oder zumindest vermitteln können. Wichtig ist in der Beratung die methodische Berücksichtigung der besonderen Erziehungssituation und der Belastungen dieser Familien. Auch in diesem Bereich wäre noch mehr Vernetzung sinnvoll, unter anderem mit Frühförderung, Gesundheitssystem, Jugend- und Erwachsenen-Psychiatrie und Selbsthilfe- Organisationen in Bezug auf Behinderungen. ➤ Andere ambulante und stationäre Hilfen zur Erziehung: Zu wünschen ist mehr „Mischung“, mehr Sozialraumnähe vor allem in den (teil-)stationären Angeboten. Denn: „Förderung in Spezialeinrichtungen fördert Exklusion statt Inklusion“ (Porr 2012). Das gilt nicht nur für die EGH, sondern auch für die „exklusiven“ Spezialangebote der Kinder- und Jugendhilfe für (oft bereits vielfach exkludierte) „Schwierige“: So ist zu fragen, ob und wann es z. B. sinnvoll sein kann, in Wohngruppen mit „sozial auffälligen“ Mädchen und Jungen auch noch Jugendliche mit körperlichen Behinderungen aufzunehmen, und wann stattdessen eine individuelle Förderung z. B. in einer Pflegefamilie mehr zur Inklusion beitragen könnte. Hier ist also ein produktives Umdenken gefragt. 476 uj 11+12 | 2013 Inklusion ➤ Offene und Verbands-Jugendarbeit: Auch hier geht es um mehr Angebote für junge Menschen mit geistiger, körperlicher und seelischer Behinderung, und das gilt zunehmend auch für Angebote der Jugendarbeit in (inklusiven) Ganztagsschulen. Zu vermeiden ist ein verdeckter Ausschluss bestimmter junger Menschen, z. B. aus Freizeit- und Ferienangeboten. So sollte es z. B. nicht nur ab und zu „gemischte“ Gruppen als „Sonder“-Angebote geben, sondern möglichst alle Angebote sollten sich auch für Jugendliche mit körperlichen und geistigen Behinderungen öffnen. ➤ Jugendsozialarbeit: Sie richtet sich schon jetzt sehr stark an von Exklusion bedrohte junge Menschen, oft mit psychischen und Verhaltensauffälligkeiten. Intensive, flächendeckende schulbezogene Jugendsozialarbeit könnte aber noch mehr zur Etablierung inklusiver lokaler Bildungslandschaften und zur Verhinderung von Aussonderungskarrieren in Schulen beitragen. In der Jugendberufshilfe sollte es zu mehr Kooperation mit der EGH einerseits und mit dem ersten Arbeitsmarkt andererseits kommen. Fazit: Es bleibt viel zu tun! Damit Inklusion keine Illusion bleibt und es nicht zur „Exklusion durch (schlecht gemachte) Inklusion“ kommt, sollten folgende Fragen bei allen Veränderungsschritten leitend sein: ➤ Wie können Angebote so verändert werden, dass alle Mädchen und Jungen tatsächlich bessere Entwicklungschancen haben? ➤ Sind mögliche schädliche Nebenwirkungen „inklusiver“ Einrichtungen vor einer Abschaffung spezieller Förderorte genug erforscht? ➤ Wie kann dabei die Partizipation der AdressatInnen und ihrer Familien als ExpertInnen für ihre eigene Situation gewährleistet und genutzt werden? ➤ Wie können (junge) Menschen mit Behinderungen, die bisher in „Schutzräumen“ ausgegrenzt waren, in auf Inklusion ausgerichteten „Regeleinrichtungen“ wirksam vor Überforderung, Mobbing und Vereinsamung geschützt werden? ➤ Wie können mehr Hilfen zu den Menschen kommen, statt umgekehrt - ohne dass sich dabei die individuelle Förderung verschlechtert? ➤ Wie können gute Kontaktmöglichkeiten von Mädchen und Jungen mit Behinderungen sowohl zu ähnlich betroffenen als auch zu anderen Mädchen und Jungen gesichert werden? Und zum Schluss noch ein Leitsatz: „Normal“ müssen nicht die Mädchen und Jungen sein! „Normal“ muss ihre gemeinsame Förderung und Bildung werden! Dr. Hanna Permien Egerländer Str. 20 82024 Taufkirchen hanna.permien@t-online.de 477 uj 11+12 | 2013 Inklusion Literatur Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ, 2011: Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen: Positionspapier. www.jugendhilfeportal.de/ recht/ artikel/ ein trag/ plaedoyer-fuer-die-grosse-loesung, 8. 8. 2013, ohne Seitenangabe Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, 2009: Welchen Beitrag leistet die schulische Integration von Menschen mit Behinderungen auf dem Weg in den ersten Arbeitsmarkt? Berlin Britze, H., 2012: Was kann sich durch die Große Lösung in einem Jugendamt verändern? In: Mitteilungsblatt des Bayerischen Landesjugendamts, 20. Jg., Nr. 2, S. 1 - 7 Dannenbeck, C., 2008: Vom Integrationszum Inklusionsparadigma. Konsequenzen einer anderen Sicht auf Behinderung. In: Gemeinsam leben. Zeitschrift für integrative Erziehung, 16. Jg., H. 4, S. 195 - 202 Deutscher Bundestag, 2009: Der 13. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung. BT-Drucksache 16/ 12860. Berlin Koch, J./ Porr, C./ Struck, N., 2010: Zeit lassen - aber ganz schnell anfangen. In: Forum Erziehungshilfen, 16. Jg., H. 4, S. 196 - 201 Lohest, K. P., 2012: Große Lösung! Alle Kinder und Jugendliche ins SGB VIII. www.consozial.de/ AFTP/ kongress-doku/ Fachvortrag-Best-Practise -2012/ Lo hest.pdf, 08.08.2013, 34 Seiten Müller-Fehling, N., 2010 a: Eine neue Kinder- und Jugendhilfe für alle. In: Forum Erziehungshilfen, 16. Jg., H. 4, S. 202 - 205 Müller-Fehling, N., 2010 b: Stellungnahme zu den Fragen der Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum 13. Kinder- und Jugendbericht am 25. 10. 2010. www.bundestag.de/ bundestag/ ausschuesse17/ a13/ anhoerungen/ ar chiv/ 2010/ Kinder-_und_Jugendbericht/ a13_23_e. pdf, 18.08.2013, 5 Seiten Porr, C., 2012: Inklusion und die Große Lösung: Partizipation oder Konfusion? www.afet-ev.de/ aktuell/ AFET_intern/ PDF-intern/ 2012/ FT-September2012/ 2012_FT09-Forum1-Inklusion-Porr.pdf, 8. 8. 2013, 11 Seiten Prengel, A.: Inklusion in der Frühpädagogik. Expertise. www.weiterbildungsinitiative.de, 8. 8. 2013, ohne Seitenangabe Rohrmann, A., 2012: Inklusion und die‚Große Lösung‘. Partizipation oder Konfusion? www.afet-ev.de/ aktu ell/ AFET_intern/ PDF-intern/ 2012/ FT-September 2012/ 2012_FT09-Forum1-Inklusion-Rohrmann.pdf, 18. 8. 2013, 21 Seiten Statistisches Bundesamt, 2009: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe - Hilfen zur Erziehung. Eingliederungshilfe für seelisch behinderte junge Menschen. Wiesbaden Wiesner, R., 2011: Wie ermöglicht man individuelle Ansätze für Kinder mit Teilhabebeeinträchtigung? In: Aktion psychisch Kranke (Hrsg.): Seelische Gesundheit und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen braucht Hilfe! Bonn, S. 68 - 73 Zweiter Zwischenbericht der interministeriellen AG zur Schnittstellenproblematik bei Leistungen für Kinder mit Behinderung und Inklusion, 2011. www.sachsenanhalt.de/ fileadmin/ Elementbibliothek/ Bibliothek_ Politik_und_Verwaltung/ Bibliothek_MS/ ASMK/ Ergebnisse_der_88_Konferenz_am_23_und_24_ November_2011_in_Leipzig.pdf, 8. 8. 2013, 172 Seiten
