eJournals unsere jugend 65/4

unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2013.art16d
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Allein von Kabul nach Wuppertal ...

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Birte Wrede
Das Projekt „Do it! Transfer“ gewinnt, qualifiziert und begleitet ehrenamtliche VormünderInnen für Kinder und Jugendliche, die ohne Begleitung ihrer Eltern nach Deutschland einreisen. Ziel des Projekts ist eine langfristige bundesweite Verbesserung der Strukturen bei der Aufnahme und Versorgung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge und damit eine bessere Integration in die Gesellschaft.
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165 unsere jugend, 65. Jg., S. 165 - 168 (2013) DOI 10.2378/ uj2013.art16d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Birte Wrede Jg. 1984; wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem Projekt „Do it! Transfer“ der Diakonie Wuppertal Allein von Kabul nach Wuppertal… Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland Das Projekt „Do it! Transfer“ gewinnt, qualifiziert und begleitet ehrenamtliche VormünderInnen für Kinder und Jugendliche, die ohne Begleitung ihrer Eltern nach Deutschland einreisen. Ziel des Projekts ist eine langfristige bundesweite Verbesserung der Strukturen bei der Aufnahme und Versorgung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge und damit eine bessere Integration in die Gesellschaft. Jeden Tag verlassen Kinder und Jugendliche in den Krisengebieten unserer Welt ihre Heimat. Sie flüchten vor Krieg, Hunger und Misshandlung, vor Zwangsheirat, Genitalverstümmelung oder Missbrauch als Kindersoldat. Auf sich allein gestellt, bewältigen sie Tausende von Kilometern in fremde Länder. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die ohne Eltern oder Angehörige nach Deutschland einreisen, ist in den letzten Jahren stetig angestiegen. Im Jahr 2011 kamen über 3.700 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Bundesrepublik an (Bundesfachverband für Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge 2011). Sie kamen mit der Hoffnung, Schutz und eine neue Lebensperspektive zu finden. So wie der 13-jährige Halim aus Afghanistan, der nach der Ermordung seines Bruders durch die Taliban von seinem Vater auf die Flucht geschickt wurde. Nachdem er mehrere Monate allein unterwegs war, wurde er in Wuppertal von der Polizei aufgegriffen. Doch auch hier fühlte er sich noch lange nicht sicher. Fotos wurden gemacht, Fingerabdrücke genommen und immer wieder Fragen nach Heimatland, Eltern und Fluchtgründen gestellt. Danach wurde Halim in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht, wo er nun mit acht anderen Jugendlichen in einer internationalen Wohngruppe lebt. Der Dreizehnjährige leidet unter Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Heimweh. Von Deutschland hatte er vor seiner Ankunft noch nie gehört, Sprache und Kultur sind ihm völlig fremd. Ob er hier dauerhaft bleiben kann, ist auch noch unklar… Viele Schwierigkeiten, die Halim ohne intensive Hilfe von außen nicht bewältigen kann. Die Anfänge Genau hier setzt seit 2007 das Projekt „Do it! “ der Diakonie Wuppertal an. Die langjährigen Erfahrungen aus der Flüchtlingsberatung des 166 uj 4 | 2013 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Migrationsdienstes zeigten, dass unbegleitete Minderjährige dringend mehr Unterstützung benötigen, als sie von AmtsvormünderInnen erhalten können. Aufgrund der hohen Fallzahlen bleibt diesen meist nicht genügend Zeit für die persönlichen Belange und besonderen Bedürfnisse der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Dass sich aus den geltenden gesetzlichen Bestimmungen (§ 1791 a und 1791 b BGB) eine eindeutige Vorrangstellung der Einzelvormundschaften ergibt, war nur ein weiterer Grund, eine außergewöhnliche Idee Wirklichkeit werden zu lassen: ehrenamtliche Vormundschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. In Zusammenarbeit mit dem Evangelischen Verein für Betreuung, Vormundschaften und Pflegschaften in Wuppertal e. V. wurde das Projekt „Do it! “ ins Leben gerufen. Das Konzept Vormundschaften für minderjährige Flüchtlinge bringen viele Aufgaben mit sich. So kümmern sich ehrenamtliche VormünderInnen um die schulischen Angelegenheiten ihrer Mündel, um altersgerechte Unterbringung, medizinische Versorgung und um die aufenthaltsrechtliche Vertretung. Um die Ehrenamtlichen auf diese Anforderungen optimal vorzubereiten, wurde innerhalb des Projektes ein besonderes, mittlerweile erfolgreich erprobtes Qualifizierungs- und Betreuungskonzept entwickelt. Es umfasst eine Schulung der Ehrenamtlichen zu relevanten Themen, regelmäßigen Erfahrungsaustausch in moderierten Gruppentreffen und intensive Fallbegleitung durch die Projektleitung. Nach Vermittlung der ersten Vormundschaften wurde das Projekt schnell bekannt. Wiederholt berichteten die Medien darüber, und durch einen Zeitungsartikel wurde schließlich auch der 66-jährige Manfred Albers auf das Projekt aufmerksam. Bis vor Kurzem war der Rentner Abteilungsleiter bei einer Krankenkasse und suchte jetzt ein neues Aufgabenfeld im Ehrenamt. Halim und Herr Albers - ein starkes Team Die ehrenamtlichen VormünderInnen - so auch Herr Albers - bringen aus ihren beruflichen Hintergründen vielfältige Erfahrungen und Qualifikationen in die Führung der Vormundschaft ein, von denen die Kinder und Jugendlichen in unterschiedlichster Weise profitieren. Sie setzen sich intensiv mit der aufenthaltsrechtlichen Situation auseinander, gehen individuell auf die Bedürfnisse der jungen Menschen ein und bemühen sich um die soziale und kulturelle Integration des Jugendlichen. Seit Herr Albers vom Familiengericht als Vormund bestellt wurde, besucht er Halim regelmäßig in der Jugendhilfeeinrichtung. Die beiden unternehmen gemeinsame Ausflüge in Wuppertal oder erledigen anstehende Besuche bei Behörden, dabei klappt die Verständigung von Mal zu Mal besser. Auch im örtlichen Fußballverein hat Herr Albers Halim angemeldet und ihn schon vom Rand aus angefeuert. Die erste große Herausforderung war der Asylantrag, der beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Düsseldorf gestellt werden muss. Zwar ist dort auch immer ein Dolmetscher vor Ort, dennoch war Halim froh, dass er Herrn Albers als Beistand an seiner Seite hatte. Gemeinsam mit den MitarbeiterInnen von „Do it! “ haben sie sich auf die Anhörung vorbereitet. Den Erfahrungsaustausch bei den regelmäßigen Treffen mit anderen ehrenamtlichen VormünderInnen findet Herr Albers äußerst hilfreich. Bei Fragen kann er sich jederzeit an die MitarbeiterInnen des Projekts wenden und die aufenthaltsrechtliche Beratung beim Migrationsdienst der Diakonie in Anspruch nehmen. 167 uj 4 | 2013 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Der Transfer In Wuppertal wurden mittlerweile bereits 35 Ehrenamtliche in vier Gruppen als VormünderInnen für unbegleitete Minderjährige ausgebildet. Seit 2012 betätigt sich der Migrationsdienst der Diakonie Wuppertal überdies als Transferzentrum des Verbundprojekts „Do it! Transfer“, das im Februar 2012 mit einer Laufzeit von drei Jahren und gefördert vom Europäischen Flüchtlingsfonds an den Start ging. „Do it! “ konnte an den Standorten Dortmund, Bochum, Schweicheln und Berlin erfolgreich etabliert werden und wird von unterschiedlichen Trägern durchgeführt. In Dortmund ist „Do it! “ ebenfalls bei der Diakonie angesiedelt, in Bochum führen MitarbeiterInnen des Kinderschutzbundes das Projekt durch, in Berlin ist der Verein Xenion zuständig, und in Schweicheln konnte die Evangelische Jugendhilfe als Projektpartner gewonnen werden. Die Gewinnung, Qualifizierung und Begleitung von ehrenamtlichen VormünderInnen wird vor Ort jeweils nach dem bewährten Konzept aus Wuppertal umgesetzt. Ziel ist es,„Do it! “ flächendeckend zu realisieren und weitere Kooperationen einzugehen. Durch die Netzwerkarbeit soll langfristig eine bundesweite Verbesserung der Standards bei der Unterbringung und Betreuung der unbegleiteten Minderjährigen erreicht werden. Erfahrungen Nicht nur Halim ist froh, dass er Herrn Albers an seiner Seite weiß. Auch Ahmed aus Palästina freut sich, durch seinen ehrenamtlichen Vormund, die 46-jährige Psychologin Astrid Sander, zusätzliche Hilfe bei den Hausaufgaben zu bekommen, und hat Dank ihres Einsatzes schnell eine Praktikumsstelle gefunden. Patrizia aus Angola ist schwer traumatisiert und kann sich erst langsam an die neue Situation gewöhnen. Selbst wenn ihre Vormundin, eine junge Lehrerin, noch nichts über ihre Fluchtgründe erfahren hat, versucht sie, durch regelmäßige Treffen Vertrauen zu der 16-Jährigen aufzubauen und sie bei ihrem Schulbesuch zu unterstützen. Umgekehrt sind auch die Ehrenamtlichen von ihrer Aufgabe überzeugt und sehen die neue Tätigkeit als sehr bereichernd an. Sie freuen sich, wenn ihr Mündel sie mit einem traditionellen Gericht aus seiner Heimat bekocht oder sie gemeinsam die Stadt neu entdecken. Die Jugendhilfeeinrichtungen wiederum empfinden die Tätigkeit der Ehrenamtlichen als wertvolle Ergänzung zu ihrer pädagogischen Arbeit. Auch das Jugendamt der Stadt Wuppertal unterstützt „Do it! “ als willkommene Entlastung für die AmtsvormünderInnen und ergänzendes Angebot zu den bestehenden Strukturen in der Vormundschaft. Resümee und Ausblick Das Projekt„Do it! “ hat inzwischen weitreichende Anerkennung erfahren. Es wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet: Deutscher Engagementpreis 2012 (2. Platz in der Kategorie Publikumspreis), Ehrenamtspreis 2011 von der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) und Ehrenamtspreis 2009 vom FrauenRat NW e. V. Zudem wurde in verschiedenen Medien über das Projekt berichtet, was das wachsende Interesse der Öffentlichkeit am Thema unbegleitete minderjährige Flüchtlinge belegt. Das vielfältige Potenzial, das diese Jugendlichen nach Deutschland mitbringen, wird mehr und mehr erkannt. Das größte Problem für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge ist allerdings nach wie vor, einen gesicherten Aufenthaltsstatus zu bekommen. Erst hierdurch können die Jugendlichen sich heimisch fühlen und ihr Leben in ihrer neuen Heimat planen. Halims Asylantrag wurde inzwischen positiv entschieden. Er und Herr Albers blicken jetzt voller Hoffnung in die Zukunft. Halim ist sehr 168 uj 4 | 2013 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge glücklich und schläft auch wieder besser, seit er weiß, dass er in Deutschland bleiben darf. Der nächste Schritt ist der Abschluss der Förderklasse mit guten Noten, um auf die Realschule zu wechseln. Halim ist ein fleißiger Schüler, sein Traum ist es, in Deutschland zu studieren. Birte Wrede Do it! Transfer Diakonie Wuppertal Ludwigstraße 22 42105 Wuppertal wrede@migrationsdienst-wuppertal.de 2. Auflage 2013. 165 Seiten. 23 Abb. 26 Tab. Alle Unterrichtsmaterialien auf CD-ROM. (978-3-497-02377-6) kt Gewaltprävention in der Schule Mit diesem Training zur Gewaltprävention lernen Grundschulkinder, wie sie Streit in der Klasse bewältigen. 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