unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2013.art20d
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Der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) und Herausforderungen der Zukunft
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Ingrid Gissel-Palkovich
Die qualitativen und quantitativen Anforderungen an die Fach- und Leitungskräfte des ASD sind den letzten Jahren erheblich gestiegen. Die Anzahl der um Beratung und Unterstützung suchenden Menschen nimmt zu, die sozialen Probleme werden komplexer: Überschuldung, Suchterkrankungen und psychische Erkrankungen sowie erzieherische Probleme treten in der Regel als Problembündel auf.
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208 unsere jugend, 65. Jg., S. 208 - 219 (2013) DOI 10.2378/ uj2013.art20d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) und Herausforderungen der Zukunft Die qualitativen und quantitativen Anforderungen an die Fach- und Leitungskräfte des ASD sind den letzten Jahren erheblich gestiegen. Die Anzahl der um Beratung und Unterstützung suchenden Menschen nimmt zu, die sozialen Probleme werden komplexer: Überschuldung, Suchterkrankungen und psychische Erkrankungen sowie erzieherische Probleme treten in der Regel als Problembündel auf. von Prof. Ingrid Gissel- Palkovich Jg. 1955; Professorin für Soziale Arbeit an der Fachhochschule Kiel, Schwerpunkte: Professionelle Handlungskompetenz, Soziale Hilfen, Case Management, Öffentliche Jugendhilfe, Allgemeiner Sozialer Dienst Die Hinweise aus der Bevölkerung auf potenzielle Kindeswohlgefährdungen, denen der ASD nachzugehen hat, haben sich signifikant erhöht. In Fällen von Kindesvernachlässigung, -misshandlung und -missbrauch, teilweise mit Todesfolge, steht er - falls die Jugendämter mit involviert sind - im kritischen Blick der medialen Öffentlichkeit und die Qualität seiner Leistungen auf dem Prüfstand, unabhängig davon, ob er Anteil an dem vermeintlichen oder tatsächlichen Versagen von Personen und Institutionen hat. Gleichzeitig ist die Situation des ASD in vielen Kommunen durch Strukturprobleme gekennzeichnet: zu hohe Fallzahlen und eine unzureichende Personalausstattung sind nur einige Beispiele hierfür. Diese führen zu einer erheblichen Arbeitsverdichtung für die MitarbeiterInnen, mit der Folge, dass die sozialpädagogischen Fachkräfte sich permanent in einem Spannungsfeld zwischen qualitativ und quantitativ gestiegenen Anforderungen, fachlichprofessionellen Notwendigkeiten und abnehmenden Ressourcen befinden. Hinzu kommt eine in den letzten Jahren einsetzende Personalfluktuation und Schwierigkeit der Personalrekrutierung, die u. a. durch den demografischen Wandel und durch die für SozialarbeiterInnen geringer werdende Attraktivität des Arbeitsfeldes, aufgrund der damit verbundenen schwierigen, komplexen und fachlich sehr anspruchsvollen Aufgaben, hervorgerufen werden. Bewältigungsstrategien - aktuelle Tendenzen Der ASD sowie die Kommunalpolitik haben in den vergangenen Jahren vielfältige Maßnahmen ergriffen, um trotz der schwieriger werdenden Rahmenbedingungen handlungsfähig zu bleiben. Einige Beispiele: Es ist bundesweit festzustellen, dass die Diskussion und Vorfälle 209 uj 5 | 2013 Zukunft des ASD um den jugendamtlichen Kinderschutzauftrag dem ASD vielerorts neue Stellen beschert haben, für die Einarbeitung neuer MitarbeiterInnen wurden in vielen ASD qualifizierte Einarbeitungskonzepte entwickelt, in die Weiterbildung der Fachkräfte wird investiert, und es findet eine enge Vernetzung und Kooperation mit den freien Trägern der Sozialen Arbeit, aber auch dem Bildungs- und Gesundheitssystem statt. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass Bewältigungsstrategien in den Kommunen zunehmend auf die Veränderung der Arbeitsorganisation zielen, beispielsweise in Form der Zerlegung von Leistungsprozessen und einer (weiteren) Standardisierung der Arbeitsvorgänge und Entscheidungen mittels standardisierter Diagnose-Bögen und Verfahren des Risikoscreenings. Diese Maßnahmen werden oftmals mit der Gewährleistung fachlicher Standards begründet (exemplarisch Freie und Hansestadt Hamburg 2009, 2). Bei genauerer Analyse der damit verbundenen Inhalte zeigt sich jedoch, dass im Mittelpunkt eine Vereinheitlichung der Abläufe mit dem Ziel einer rationelleren, d. h. standardisierten Verfahrensweise und weniger die Entwicklung und Gewährleistung fachlicher Standards im Sinne eines professionell-disziplinären Leistungsniveaus steht. Aktuelle Beispiele dieser sich bundesweit abzeichnenden Entwicklung sind einige Großstädte, so die Freie und Hansestadt Hamburg. Diese Städte versuchen die Aufgaben und Arbeitsabläufe des ASD stadtweit einheitlich zu regeln. Dies geschieht, indem - durch Computerprogramme unterstützt - die Arbeitsabläufe in einzelne Funktionsbereiche (Eingangsmanagement, Fallmanagement und Netzwerkmanagement) unterteilt und verbindliche Prozessabläufe für den jeweiligen Teilleistungsprozess eingeführt werden. Auch die Binnenorganisation der Teilleistungsbereiche wird standardisiert, indem beispielsweise für das Fallmanagement unterschiedliche Bearbeitungstiefen (Standardbearbeitung, einfache und vertiefte Bearbeitung) definiert werden. Die von der Stadt Hamburg hierzu verfasste Fachanweisung liest sich wie die Betriebsanweisung für eine Fertigungsproduktion: „Im Fallmanagement werden die aus dem Funktionsbereich Eingangsmanagement übernommenen Einzelfälle nach einem einheitlichen Prozess-Standard bearbeitet“ (Freie und Hansestadt Hamburg 2009, 6). Mit diesen Regelungen sind verschiedene Hoffnungen verbunden. Durch die Differenzierung von Leistungsprozessen in Teilleistungsprozesse soll z. B. die Komplexität der Aufgabenwahrnehmung für die Fachkräfte reduziert und über eine verbindlichere und einheitlichere Ablaufstruktur Handlungsorientierung für diese geschaffen werden (Freie und Hansestadt Hamburg 2009, 2). Kann der ASD in dieser Form die Herausforderungen der Zukunft meistern? Führen diese Maßnahmen zu qualitativ guten professionellen sozialen Dienstleistungen, zu einem effektiveren Kinderschutz in Deutschland und zu Handlungssicherheit bei den Fach- und Leitungskräften? Untersuchungen lassen begründeten Zweifel an der Wirksamkeit dieser Maßnahmen aufkommen. Sie zeigen, dass in den Kommunen zwar wahrnehmbar in die konzeptionelle und personelle Stärkung des ASD investiert wurde, sie weisen jedoch auch auf erhebliche Defizite bzw. Nachsteuerungsbedarfe hin und geben somit Hinweise auf Wege der Verbesserung. Exponiertes Beispiel ist wiederum Hamburg. Ausgelöst durch mehrere tragische Kinderschutzvorkommnisse, wie der Tod von Jessica im Jahr 2005 und Lara Mia 2009, hat die Stadt in den letzten Jahren den ASD personell erheblich verstärkt, über Organisationsentwicklung versucht, die Verfahren zu qualifizieren, und 210 uj 5 | 2013 Zukunft des ASD umfangreiche Weiterbildungen zur Diagnostik durchgeführt. Als dann im Jahr 2012 das Mädchen Chantal in einer Pflegefamilie ums Leben kam, stellte sich die Stadt die Frage, warum solche Anstrengungen nicht zuverlässig zu einer qualifizierten Jugendhilfe und einem verbesserten Kinderschutz geführt haben und was erforderlich sei, um zukünftig Jugendhilfe und Kinderschutz zuverlässig und flächendeckend zu gestalten (vgl. Universität Koblenz-Landau 2012, 3). Hierauf gibt eine von der Stadt in Auftrag gegebene Studie Aufschluss. Deren zentrale Befunde weisen u. a. auf viel Engagement der Fach- und Leitungskräfte des ASD hin, zeigen aber auch, dass eine erhebliche Verunsicherung bei den MitarbeiterInnen besteht. Diese erleben ihre Arbeit als „Fass ohne Boden“ und fühlen sich von „(…) immer neuen Wellen besonderer Anforderungen und konzeptioneller Vorgaben überrollt, ohne dass dadurch Kompetenz und Sicherheit gewachsen sind“ (Universität Koblenz-Landau 2012, 2). Es bestehen keine tragfähigen Vorstellungen und konkreten Erfahrungen darüber, wie ASD-Arbeit richtig gemacht werden kann, und die Kombination aus einer hohen Arbeitsbelastung, strukturellen Problemen, dramatischen Einzelfällen und deren öffentliche Skandalisierung führt zu einer „negative(n) Spirale von Belastung und Problemen“ (Universität Koblenz- Landau 2012, 46). Das Beispiel Hamburg ist sicherlich nicht in allen Details auf den ASD bundesweit zu übertragen. Zu spezifisch sind die Strukturen und Rahmenbedingungen eines Stadtstaates, zu erheblich die Unterschiede zwischen einer Großstadt und einem Landkreis. Selbst in Hamburg gibt es nicht, so stellt die Studie fest, den ASD. Gleichwohl werden in dem Beispiel Aspekte angesprochen, die von bundesweiter Bedeutung sein können und in den Blick zu nehmen sind: So fühlen sich die MitarbeiterInnen auch in anderen Kommunen mit immer wieder neuen organisatorischen und konzeptionellen Anforderungen konfrontiert und das, bevor die zuvor angestoßenen Veränderungen „reifen“ konnten. Auch zeigt sich, dass die Verregelung und Standardisierung von Arbeitsabläufen auch in anderen Kommunen fortschreitet und nicht zwangsläufig zu einer besseren ASD-Arbeit führt. Im Gegenteil: Die Einführung standardisierter Kommunikationsinstrumente auf der Organisationsebene führt auf der Interaktionsebene zwischen KlientIn und SozialarbeiterIn zu einem Optimierungsdruck. Statt Entlastung und damit eine Verbesserung der Arbeitsqualität zu bewirken, entstehen neue Belastungen, die zu den bereits bestehenden Belastungsfaktoren (wie erhöhte Fallzahlen, Personalmangel) hinzukommen. Kompensiert werden die dafür benötigten Zeiten durch die Verschmälerung der direkt adressatenbezogenen Arbeit. Mit anderen Worten: Während das Organisationssystem sich weiter aufbläht, schrumpft das klientenbezogene Interaktionssystem immer mehr zusammen (vgl. Gissel- Palkovich/ Schubert 2010, 14). Last but not least erfolgt in der Regel weder in den Kommunen noch kommunenübergreifend eine ausreichende Diskussion und Abstimmung darüber, was die zentralen Kernaufgaben des ASD sind, was „gute ASD-Arbeit“ kennzeichnet (neuere Anregungen hierzu: Merchel 2012, 430ff ) und welche Rahmenbedingungen dafür notwendig sind. Auch die Frage, welche Auswirkungen und Konsequenzen die verfolgten Bewältigungsstrategien und hierzu ergriffenen Maßnahmen für den ASD als sozialpädagogischer Basisdienst haben, bleibt unterbelichtet. Dazu zwei Beispiele: ➤ Seit Jahren wird an den ASD der Anspruch der sozialräumlichen Öffnung gestellt, doch wenig danach gefragt, ob er diese angesichts der gegebenen Rahmenbedingungen auch wirklich leisten kann. Damit ist die Gefahr verbunden, dass der ASD zwischen Einzelfall und Sozialraum verschlissen wird bzw. ständig dem Anspruch nach Sozialraumorientierung 211 uj 5 | 2013 Zukunft des ASD hinterherhinkt. So wichtig sozialraum- und sozialinfrastrukturbezogene Aufgaben sind, so notwendig ist es, die Aufgaben des ASD sinnvoll zu begrenzen, Prioritäten zu definieren, d. h. die diesbezüglichen Grenzen konzeptionell und praktisch auszutarieren. Eine Rangbildung von einzelfall- und sozialraumbezogenen Aufgaben kann aus dem adressatenbezogenen Leistungsanspruch, der als individueller Leistungsanspruch gesetzlich konkretisiert ist und damit die einzelfallbezogene Hilfe als Kernaufgabe des ASD nahelegt, abgeleitet werden. Diese hat allerdings die Lebenswelt und den Sozialraum der AdressatInnen einzubeziehen und schließt darüber hinaus die Entwicklung sozialraumbezogener Strukturen und Arbeitsweisen nicht aus. ➤ Seit Jahren findet eine Auslagerung von fachlich anspruchsvollen Aufgaben aus dem ASD statt. Beispielsweise werden die Trennungs- und Scheidungsberatung, aber auch umfassendere diagnostische Aufgaben den freien Trägern überlassen und begrenzt sich die Diagnostik des ASD zunehmend auf das Ausfüllen von Checklisten. Die damit verbundenen langfristigen Auswirkungen auf den ASD als sozialpädagogischer Basisdienst können jedoch gravierend sein: Je weniger das Arbeitsfeld qualifizierte Anteile der psychosozialen Beratung und Diagnostik zu seinen Aufgaben zählt, desto eher wird es sich auf die Aufgabe des reinen Fallmanagements reduzieren. Setzt sich diese Entwicklung fort, so kann sie, kombiniert mit den Tendenzen der Standardisierung von Prozessabläufen und Arbeitsweisen, zu einem Zukunftsszenarium führen, in dem ASD-Arbeit auf die Durchführung banaler Verfahren und das Ausfüllen von Checklisten zusammenschrumpft und die Fachlichkeit und Professionalität des ASD auf ein technisches Fallmanagement heruntergebeamt wird. Sieht so eine zukunftsfähige ASD-Arbeit aus? Perspektiven und Herausforderungen der Zukunft Zukunftsfragen zu skizzieren und möglicherweise sogar Antworten darauf zu geben, ist eine schwierige Angelegenheit, da - frei nach dem Philosophen Søren Kirkegaard - die Entwicklung des ASD nur rückwärts verstanden werden kann, aber vorwärts gestaltet werden muss. Die Herausforderungen der Zukunft und damit verbundene Entwicklungsprozesse des ASD vollziehen sich in einem komplexen System von Faktoren und deren Wechselwirkung. Ungeachtet dessen werden nachfolgend, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, einige Herausforderungen skizziert, die für die zukünftige Entwicklung des ASD im Sinne seiner Zukunftsfähigkeit als sozialpädagogischer Dienst bedeutsam sein können. Zur Systematisierung wird sich dabei auf vier Dimensionen bezogen (siehe Abb. 1). Bei jeder der Dimensionen ist ein Bündel an Faktoren in den Blick zu nehmen, die für die zukünftige Entwicklung des ASD relevant sein können und deren Gestaltung eine Herausforderung für die Zukunft darstellt. Angesichts der gebotenen Kürze wird sich nachfolgend auf ausgewählte Aspekte begrenzt. Veränderte Bedarfslagen - armuts- und demografiesensible ASD-Arbeit Öffentliche Träger und ihre Einrichtungen, so auch der ASD, sind auf der Grundlage des im Grundgesetz verankerten Sozialstaatsgebotes (Art. 20 Abs. 2 GG) verpflichtet, ihre Aufgaben und Arbeitsweisen flexibel den gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen und auf gesellschaftliche Veränderungen und damit verbundene soziale Probleme angemessen zu reagieren. Damit ist für den ASD der Auftrag verbunden, vorausschauend gesellschaftliche Entwicklungen zu erkennen, auf gesellschaftliche Veränderungen zeitnah zu reagieren, gestaltend einzugreifen und Antworten auf neue lebensweltliche Entwicklungen, wie veränder- 212 uj 5 | 2013 Zukunft des ASD te Familienformen (z. B. die Zunahme von Einelternfamilien und Ein-Personen-/ Seniorenhaushalten), zu finden und diese in seinen Angeboten und Arbeitsweisen zu berücksichtigen. Welche Herausforderungen der Zukunft damit verbunden sein können, soll an zwei Beispielen verdeutlicht werden: Vor dem Hintergrund wachsender Armut und einer Verfestigung von Armutsprozessen stellt eine armutssensible Arbeit eine der Zukunftsaufgaben des ASD dar. Zwar liegt es nicht im Einflussbereich des ASD, Armut und Armutsprozesse grundlegend zu verändern, doch lassen sich auf verschiedenen Ebenen Möglichkeiten einer armutssensiblen ASD-Arbeit als Zielorientierung formulieren: Auf der Einzelfallebene geht es um eine armutssensible Beratung, Vermittlung und Begleitung, die zielgruppenspezifisch und einzelfallbezogen die Armutsbedingungen in den Blick nimmt, mehrdimensionalen Armutskonzepten folgt und einer (weiteren) Prekarisierung der Lebenslage der AdressatInnen vorbeugt, beispielsweise indem Gesundheitsrisiken entgegengewirkt wird (vgl. Iben 2008, 277; Bundesministerium 2009). Auf der sozialraumbezogenen Ebene steht die Nutzung der sozialräumlich gegebenen Möglichkeiten sowie die Initiierung und Unterstützung der Verbesserung der infrastrukturellen Ausstattung des Sozialraums zur Vermeidung, Behebung oder Minderung von Armut im Mittelpunkt. Auf der einzelfall- und sozialraumübergreifenden Ebene geht es um Fragestellungen und Aktivitäten, insbesondere solche der sozialpolitischen Gestaltung dieses Landes und seiner Regionen. Nach Habermas ist es eine entscheidende politische Frage im Umgang mit dem Thema der gesellschaftlichen Spaltung und Ausgrenzung, ob das Thema aus der Öffentlichkeit herausgehalten oder zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen gemacht wird (Habermas 1995, 70). In diesem Sinne liegen die (wenn auch begrenzten) Möglichkeiten des ASD in der öffentlichen Thematisierung des Armutsphänomens und seiner Auswirkungen auf die AdressatInnen sowie in deren Unterstützung bzw. anwaltlichen Vertretung. Wer, wenn nicht die SozialarbeiterInnen des ASD, weiß aufgrund seiner lokalen Nähe über die Lebenssituation der Menschen besser ASD - Herausforderungen auf verschiedenen Dimensionen Gesellschaftlicher Wandel und Bedarfslagen ASD - Konzeption Ressourcenausstattung Professionalität Quelle: Eigene Darstellung Abb. 1 213 uj 5 | 2013 Zukunft des ASD Bescheid? Wer, wenn nicht sie, verfügt über die notwendige fachliche Expertise, um zu diesem Thema öffentlich Stellung zu nehmen? Dies kann beispielsweise über die regionalen politischen Strukturen (z. B. Ortsbeiräte, Jugendhilfeausschüsse) und über bundesweit agierende Verbände (Fachverbände, Gewerkschaften) erfolgen. Eine weitere Herausforderung stellt der demografische Wandel der Gesellschaft dar. Traditionsgemäß liegen die Aufgaben des ASD eher in der Jugendhilfe. Daher verwundert es nicht, dass die demografische Entwicklung der Gesellschaft seitens des ASD bisher nur wenig in den Blick genommen wurde. Zukünftig ist jedoch davon auszugehen, dass Familien, neben den Aufgaben der Erziehung, zunehmend auch mit Aufgaben der Lebensgestaltung mit älteren Menschen beschäftigt sein werden, so auch mit der Bewältigung der damit verbundenen psychischen und physischen Belastungen. In der Konsequenz kann dies bedeuten, dass Familienhilfe im Rahmen von ASD-Arbeit zukünftig nicht mehr schwerpunktmäßig als Erziehungshilfe bzw. als Unterstützung von Menschen mit Kindern, sondern ebenso als Unterstützung von Familien im Leben mit älteren Menschen zu denken und zu gestalten ist. Auch im Bereich der Vernetzung und Koordination von Leistungen führt dies zu neuen Herausforderungen, da neue Einrichtungen, z. B. Pflegestützpunkte, entstehen, die das Gefüge im Sozialraum verändern und sich ggf. zukünftig zu nicht unwesentlichen Netzwerkpartnern entwickeln (können). ASD-Konzeption: Vergewisserung des Gemeinsamen und Profil entwickeln Statt immer wieder die Besonderheiten der einzelnen kommunalen ASD - und damit das Trennende - herauszustellen, gilt es künftig, das Gemeinsame des Arbeitsfeldes stärker zu betonen und in dem kollektiven ASD-Bewusstsein zu verankern. Hierzu einige Merkmale: ➤ der Einzelfall als Mittelpunkt der Aufgaben, ➤ soziale Einzelhilfe (auch in ihrer Weiterentwicklung zum Case Management) als leitendes methodisches Konzept, ➤ (oftmals) Zugehörigkeit zu einem Jugendamt, ➤ Jugendhilfe und Hilfeplanung als wichtiger Aufgabenkern, ➤ Bezirkssozialarbeit, Vernetzungs- und sozialraumbezogene Aufgaben sowie ➤ die Aufgabe der Wahrnehmung des staatlichen Wächteramtes zur Abwehr von Kindeswohlgefährdung. Diese Gemeinsamkeiten dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es zwischen den einzelnen kommunalen ASD erhebliche Unterschiede im Hinblick auf die konzeptionelle Ausrichtung des ASD und demzufolge in Bezug auf das vorherrschende Aufgaben- und Handlungsverständnis der dortigen AkteurInnen geben kann. Beispiele hierfür sind: ➤ Modelle des Fallmanagements, in denen der ASD - ggf. in einem sogenannten Dienstleistungszentrum - eher als administrierende Instanz auftritt, die Hilfesuchenden nur eine sehr begrenzte Zeit im ASD begleitet und sobald als möglich an einen Leistungserbringer vermittelt, ➤ Modelle der wenig vermittlungsintensiven Einzelfallhilfe, die auf längerfristige Beratung und Begleitung durch den ASD ausgerichtet ist, ➤ Modelle der zugehenden Sozialarbeit im Gemeinwesen, in denen der ASD stark im Sozialraum vernetzt ist und diese Ressource für die fallbezogene Arbeit nutzt (vgl. Universität Koblenz-Landau 2012, 47ff; Landes 2010, 145). Festzustellen ist, dass der ASD konzeptionell auseinanderdriftet. Mit der Folge, dass mittlerweile völlig unterschiedliche Vorstellungen da- 214 uj 5 | 2013 Zukunft des ASD rüber bestehen (können), was den ASD und gute ASD-Arbeit ausmacht und welche Rahmenbedingungen er dafür benötigt. Insbesondere in Großstädten ist aktuell die Tendenz festzustellen, den ASD im Sinne eines Fallmanagementagenten zu konzipieren, ohne dass damit eine breite Fachdiskussion über das Für und Wider dieser konzeptionellen Ausrichtung verbunden wäre. Da von dieser Entwicklung jedoch Impulse auf andere ASD und das gesamte Arbeitsfeld ausgehen können, ist diese Diskussion überfällig. Eine bundesweit wirksame Diskussion und Abstimmung darüber, welches (Rahmen-)Profil den ASD des 21. Jahrhunderts kennzeichnen soll, beginnt zaghaft. Erste Diskussionsbeiträge hierzu liegen vor (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft 2010) und fließen in die nachfolgenden Ausführungen ein. Die Entwicklung eines zukunftsfähigen ASD- Profils erfordert eine Bestandsaufnahme und Reflexion der aktuellen Gegebenheiten und Entwicklungen sowie die Formulierung von Perspektiven und damit verbundenen Herausforderungen (vgl. Gissel-Palkovich 2011, 104f und 2011 a, 281ff ). Folgende Fragestellungen können hierbei leitend sein: ➤ Wie sind die einzelnen ASD-Modelle zu bewerten? ➤ Was soll zukünftig eine gute ASD-Arbeit kennzeichnen? ➤ Welche Funktion soll der ASD im kommunalen Geflecht spezialisierter Dienste einnehmen? ➤ Welches sind seine zentralen Aufgaben? ➤ Welche Arbeits- und Organisationsprinzipien sollen leitend sein (z. B. Case Management, Sozialraumorientierung, Beziehungsarbeit, Prävention)? ➤ Welche Verfahren und Instrumente sind mit welchem Standardisierungsgrad fachlich vertretbar, hinreichend flexibel und einzelfallspezifisch genug, um die Professionalität der Arbeit des ASD und seiner Fachkräfte angemessen abzubilden und zu unterstützen? ➤ Wie soll mit dem zunehmenden Interessenskonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit und Fachlichkeit umgegangen werden (Aushalten, Austarieren, Thematisieren, Skandalisieren)? Zur Profilentwicklung einige (unvollständige) Anregungen: ➤ Entwicklung eines Aufgabenverständnisses, das über eine reine Fallsteuerungs- und -vermittlungsarbeit hinausreicht und Beratung, Diagnostik, Planung, Vermittlung, Begleitung und Steuerung von Hilfen sowie die enge Zusammenarbeit mit den KooperationspartnerInnen im Sozialraum und sozialräumliche Ressourcen einbezieht; ➤ Klärung der Beratungsaufgaben des ASD als (eher) kurzbis mittelfristige Beratungsprozesse, was (viel) mehr ist als Kurzberatung zur schnellen Weitervermittlung und weniger als langfristige, z. B. therapeutisch orientierte Beratung; ➤ Definition von diagnostischen Aufgaben des ASD, den damit verbundenen Möglichkeiten, Zielen und Grenzen sowie den Einsatz von Diagnostikverfahren und -instrumenten, die dem fachlichen Kontext angemessen sind; ➤ Bezirkssozialarbeit und Teamarbeit als leitende Struktur- und Handlungsprinzipien; ➤ ggf. die Rückverlagerung von Aufgabenbereichen in den ASD, wie der Trennungs- und Scheidungsberatung; ➤ Einführung eines Case Management, das einer professionellen sozialarbeiterischen Praxis würdig ist und sich nicht auf ein unterkomplexes „Fallmanagementkonzept“ bezieht; ➤ Austarieren der konzeptionellen und praktischen Grenzen der Sozialraumorientierung. 215 uj 5 | 2013 Zukunft des ASD Die Diskussion und Klärung dieser Fragen und die Entwicklung von Perspektiven stellt für die Weiterentwicklung des ASD, auch im Interesse seiner AdressatInnen, eine wichtige Herausforderung der Zukunft dar und ist für die zukünftige Sicherung der Ressourcen des ASD nicht zu unterschätzen. Nur mit der Entwicklung eines tragfähigen ASD-Rahmenprofils kann sich der ASD - systemtheoretisch gesprochen - seiner äußeren Grenzen und binnenstrukturellen Merkmale versichern und sowohl in der Selbstals auch in der Fremdwahrnehmung deutlich machen, was ihn von anderen sozialen Diensten unterscheidet. Eine solche Klarheit über das eigene Profil und über Kernmerkmale guter ASD-Arbeit jenseits kommunaler Spezifika ist wiederum eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die sozialen Dienste vor Ort unangemessene Anforderungen, die an sie gerichtet werden, abwehren, sich auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren und angemessene Rahmenbedingungen einfordern können. Ressourcenausstattung: Sicherung der (personellen) Ressourcen und Personalmanagement Deutlich festzustellen ist, dass sich die Personalsituation des ASD in den letzten Jahren bundesweit verbessert hat. Die Zahl der Beschäftigten nahm zwischen 2006 und 2010 um 17 % zu (vgl. Pothmann/ Tabel 2012, 12f ). Der ASD gehört in dieser Hinsicht zu den Gewinnern der Kinderschutzdebatte. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass von vielen Befragten die personelle Ausstattung „ihres“ ASD relativ positiv bewertet wird (vgl. Merchel/ Pamme/ Khalaf 2012, 256), was in einem Widerspruch zu der gängigen Einschätzung der Fachöffentlichkeit steht, die immer wieder die Problematik der unzureichenden Personalausstattung des ASD betont. Werden die erfolgten Stellenzuwächse allerdings in das Verhältnis zu den gestiegenen Fallzahlen gesetzt und wird der Frage nachgegangen, ob der Stellenausbau mit einer spürbaren Reduzierung der Arbeitsbelastung des ASD verbunden ist, relativiert sich das positive Bild (vgl. Pothmann/ Tabel 2012, 12f ).„Somit scheint ein wichtiges Ziel der zusätzlichen personellen Ressourcen für den ASD vorerst nicht erreicht: die Entlastung der Fachkräfte und damit der Jugendämter für einen verbesserten Kinderschutz“ (Pothmann/ Tabel 2012, 13). Die Sicherung von angemessenen Personalressourcen stellt demnach auch weiterhin eine der wesentlichen Herausforderungen der Zukunft dar. Unverzichtbares Instrument einer qualifizierten Ressourcenbemessung sind Personalbemessungsmodelle, an deren Ausgestaltung die Fach- und Leitungskräfte des ASD zu beteiligen sind. Auf dieser Grundlage können Personalausstattungsnotwendigkeiten über die verschiedenen Interessensgruppen hinweg (Kommunalpolitik, Fach- und Leitungskräfte etc.) transparent, begründbar und damit für alle nachvollziehbar entwickelt und verdeutlicht werden. Mittlerweile liegt eine Vielzahl von Personalbemessungsmodellen für den ASD vor und wird in der Praxis angewandt. Trotzdem bleibt die Praxis der Personalbemessung von Zufälligkeit und Willkürlichkeit geprägt. Beispielsweise ist es sehr unwahrscheinlich, dass mehrere ASD dieselben Kriterien, z. B. Fallzahlen, ihrer Personalbemessung zugrunde legen. Auch hängt die Frage, wer die Entscheidungshoheit über die Ausgestaltung der Personalbemessung hat, eng mit der Frage zusammen, was als „angemessene“ Personalausstattung angesehen wird (Merchel/ Pamme/ Khalaf 2012, 189f ). Unterschiedliche ASD-Konzepte, Fallverständnisse und sonstige kommunalspezifische Gegebenheiten verhindern, dass Personalrichtwerte über kommunale Grenzen hinweg übertragen werden können. 216 uj 5 | 2013 Zukunft des ASD Beispielsweise können Fallzahlbemessungen auf der Grundlage eines konzeptionellen Verständnisses von ASD-Arbeit als reines Fallmanagement zu deutlich höheren Fallzahlen führen als auf Basis anderer ASD-Modelle (vgl. Landes 2010, 146). Für die Zukunft wird daher eine Verständigung darüber wichtig sein, welche zentralen Kriterien der Personalbemessung als Orientierung für den ASD leitend sein sollen und wo die Belastungsobergrenze des ASD liegt. In diesem Zusammenhang ist eine Fallzahlbegrenzung, ähnlich wie sie für die Aufgabenbereiche der Amtspflegschaft und Amtsvormundschaft (§ 55 Abs. 2 des SGB VIII) geregelt wurde, zu diskutieren. Auch wenn die Definition einer Fallzahlobergrenze eine Reihe von Fragen aufwirft, wird damit eine Belastungsgrenze des ASD benannt, die bundesweit für die Fallzahl- und damit auch für die Personalbemessung eine Orientierungshilfe sein kann. Als weiteres Problem der Ressourcenausstattung des ASD zeichnet sich ein Mangel an erfahrenem Fachpersonal ab, womit deutlich wird, dass die Herausforderungen der Zukunft nicht alleine in der quantitativen Variante der Personalsicherung, sondern auch in der qualitativen Sicherung des Personals zu sehen sind. Seit einiger Zeit macht sich der demografische Wandel in der Personalstruktur des ASD bemerkbar und entwickelt sich der ASD mehr und mehr zu einem Berufseinstiegsfeld (vgl. Pothmann/ Tabel 2012, 13; Pothmann 2008, 11ff ). Darüber hinaus gilt der ASD zunehmend bei jungen, aber auch erfahrenen Fachkräften als schwieriges Arbeitsfeld, das hohe Anforderungen stellt und in dem man Gefahr läuft, mit einem „Bein im Knast“ zu stehen. Aufgrund der günstigen Stellensituation bei den freien Trägern werden sich der ASD und die entscheidungstragenden Akteure aus Politik und Verwaltung Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität als Arbeitsfeld für qualifizierte SozialarbeiterInnen einfallen lassen müssen, wenn sie zukünftig gute MitarbeiterInnen erhalten und behalten wollen. Zu bieten hat der ASD einiges, z. B. ein breites, abwechslungsreiches Aufgabenfeld, einen gesicherten Arbeitsplatz in der öffentlichen Verwaltung bei einer - wenn auch zu geringen - doch im Vergleich zur Eingruppierung anderer Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit noch vergleichsweise guten Bezahlung, sofern die Tätigkeit in die Gehaltsstufe S 14 eingruppiert und unbefristet ist. Darüber hinaus werden zunehmend Unterscheidungsmerkmale zu anderen Arbeitsfeldern bzw. Kommunen die Entscheidungen der (zukünftigen) Fachkräfte für oder gegen eine Tätigkeit im ASD beeinflussen. So kann ein ASD z. B. mit attraktiven Möglichkeiten der Teilzeitarbeit und der Kinderbetreuung punkten, gesundheitspräventive Maßnahmen anbieten, den MitarbeiterInnen die Erwerbung eines weiterqualifizierenden Abschlusses (z. B. Case ManagerIn, Masterstudiengang) ermöglichen und sich einen „guten Ruf“ in der Fachszene erarbeiten. Für die Zukunft wird ein qualifiziertes Personalmanagement unverzichtbar sein. In dessen Rahmen ist die Rekrutierung des Personals aktiv zu betreiben (z. B. durch Kontakte zu Hochschulen, Herausstellen von attraktiven Merkmalen), die Personalauswahl durch passende aussagekräftige Verfahren und Instrumente zu qualifizieren (z. B. Assessmentverfahren), die Einarbeitung und Weiterbildung der Fachkräfte attraktiv zu gestalten, der Umgang mit Arbeitsbelastung nicht dem Zufall zu überlassen (z. B. Personalbemessungskonzepte) und damit letztendlich den MitarbeiterInnen förderliche Impulse für das sinnhafte Erleben der eigenen Tätigkeit im ASD zu ermöglichen. Professionalität - Entwicklung eines professionellen Eigensinns Die Professionalität der Fach- und Leitungskräfte des ASD, d. h. deren professionelle Expertise, stellt einen wichtigen Faktor für die Bewälti- 217 uj 5 | 2013 Zukunft des ASD gung der Herausforderungen der Zukunft dar. So stehen die mit den skizzierten Herausforderungen verbundenen Entscheidungen, z. B. die Bewertung einzelner ASD-Modelle (wie das des Fallmanagements), die Entwicklung eines ASD- Profils, der Umgang mit Standardisierungsprozessen, die Auswahl von Methoden und Verfahren, in einem engen Zusammenhang mit dem Thema. Darüber hinaus sind Entwicklungen im ASD nicht losgelöst von der Frage der Stärkung oder Schwächung der Profession bzw. ihres Professionsanspruchs zu denken. Professionalität im ASD soll nachfolgend verkürzt als ein spezifisches Vermögen der beruflich Handelnden im Umgang mit Menschen und Situationen unter bisweilen paradoxen Handlungsanforderungen verstanden werden (vgl. Dewe/ Otto 2011, 1.144). Professionelle Expertise zeigt sich durch eine theoriegeleitete Arbeitspraxis und die methodische Strukturierung des Handelns auf der Basis wissenschaftsbegründeter Arbeitsweisen und Methoden. Sie erfordert Reflexivität, d. h. die Bereitschaft und Fähigkeit, das eigene Denken und Handeln sowie die dazugehörigen Rahmenbedingungen systematisch, methodisch kontrolliert und selbstkritisch zu analysieren (vgl. Heiner 2004, 42ff ). Untersuchungen zeigen, dass es für SozialarbeiterInnen keine leichte Aufgabe ist, sich in der Gemengelage der unterschiedlichen, oft widersprüchlichen Interessen und an sie gestellten Anforderungen (AdressatInnen, Vorgesetzte, Organisation) zu verorten und eigene fachliche Positionierungen einzunehmen (vgl. Heiner 2004; Becker-Lenz/ Müller 2009). Sie fühlen sich nicht selten zwischen „Baum und Borke“ und schwanken zwischen Gehorsam gegenüber den Vorgaben der Organisation und ihrem eigenen Verständnis ihrer Arbeit (vgl. Conen 2011, 154). Immer noch - Ausnahmen bestätigen die Regel - sind sie zu zaghaft, wenn es um die Einforderung besserer Rahmenbedingungen geht, lassen sich leicht erschrecken, wenn sie mit der strafrechtlichen Relevanz ihres Handelns konfrontiert werden, sind nach wie vor zu wenig in Verbänden organisiert und arbeiten somit an der Schwächung des ASD tatkräftig mit. Auch dieses gilt es zukünftig zu verändern. Professionalität, als eigenständige, manchmal auch eigensinnige Expertise der SozialarbeiterInnen im ASD, bleibt somit auch in Zukunft eine Herausforderung. Als Orientierung für die Gestaltung dieser Herausforderung kann das von Silvia Staub-Bernasconi formulierte Modell des „Triple-Mandats“ dienen. Demnach haben SozialarbeiterInnen, in Erweiterung des Doppelmandats, eine autonome Verankerung in den Regeln ihrer Profession. Sie stehen nicht zwischen „Baum und Borke“, sondern sind in dem (berufsethischen) Kodex sowie Theorien- und Methodenspektrum der Sozialen Arbeit verortet. Diesen liegen die Menschenrechte als Legitimationsbasis zugrunde, die, wenn nötig, eigenbestimmte Aufträge ermöglichen (2007, 200f ). Damit ist eine Orientierungs- und Resonanzfläche geschaffen, von der aus die klientelen und organisatorischen Anforderungen und ihre Vereinbarkeit mit den professionellen Leitlinien überprüft, reflektiert, angenommen bzw. abgewehrt werden müssen. Aus dem sogenannten „dritten Mandat“ kann somit eine eigenständige professionelle Orientierung und damit professionelle Handlungssicherheit für die Akteure entstehen, die jenseits von Verfahrenssicherheit und organisationaler Vorgaben liegt. Diese eher theoretisch anmutenden Überlegungen zeigen sich praktisch in dem Umgang der Fach- und Leitungskräfte mit den Herausforderungen der Zukunft sowie mit den aktuellen Bewältigungsstrategien in den Kommunen. Auf der skizzierten Basis sind bspw. Maßnahmen weiterer Standardisierung und Regelungen der Arbeitsweise des ASD mit dem Argument der Entlastung der Fachkräfte nicht haltbar. Vor die- 218 uj 5 | 2013 Zukunft des ASD sem Hintergrund ist zu argumentieren, dass alleine die Anwendung eines mehr oder weniger großen auf ihre Wirksamkeit hin überprüften Repertoires an Techniken, Verfahren sowie Handlungs- und Dienstanweisungen keine professionelle Leistungserbringung kennzeichnet und keine Handlungssicherheit in professionellen Kontexten herstellen kann. Im Gegenteil! Je mehr vordefinierte hochstandardisierte Werkzeuge die Arbeit bestimmen, desto weniger kann der ASD den Anspruch auf Professionalität erheben bzw. diesem Anspruch folgen, könnten doch auch Fachfremde diese Arbeit übernehmen, wenn sie mit einem solchen vorgefertigten Instrumentarium ausgestattet wären. Weiterführend ist zu verdeutlichen, dass professionell kompetentes Agieren in strukturell unkalkulierbaren Situationen oftmals „situativ intelligentes“ Handeln ist, dessen Voraussetzung eine wissensbasierte sensible Fähigkeit zur Beobachtung und Deutung von Situationen darstellt (Galuske 2007, 65), womit einer Standardisierung von sozialarbeiterischen Arbeits- und Entscheidungsprozessen Grenzen gesetzt sind. Ausblick Der ASD startet, trotz Strukturproblemen und Widersprüchlichkeiten, von einem relativ gesicherten Boden aus in die Zukunft. Er stellt eine Erfolgsgeschichte dar, die es abschließend zu würdigen gilt und an der die Fach- und Leitungskräfte des ASD über Generationen hinaus einen maßgeblichen Anteil haben: er ist in (fast) jeder Kommune zu finden, seine Existenzberechtigung wird nicht infrage gestellt. Als operative Steuerungsinstanz für soziale und erzieherische Hilfen nimmt er eine Schlüsselstellung bei der Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen im regionalen Kontext ein. Allein im Bereich der Hilfen zur Erziehung, der Eingliederungshilfe und der Schutzmaßnahmen beläuft sich das Ausgabenvolumen im Jahr 2010 auf 7,2 Mrd. Euro (vgl. Schilling 2012, 7), was seine exponierte Position im Kontext der Gewährleistung sozialer Sicherheit und sozialer Chancengerechtigkeit verdeutlicht. Darüber hinaus schaut er auf eine Geschichte zurück, die eng mit der Professionalisierung der Sozialen Arbeit verbunden ist (ausführlich Hammerschmidt/ Uhlendorf 2012, 10ff; Gissel-Palkovich 2011, 17ff ). Im Vergleich zu anderen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit ist er ein stark akademisierter Bereich (vgl. Pothmann/ Tabel 2012, 13; Pothmann 2008, 13) und dürfte innerhalb der kommunalen Sozialverwaltung der Bereich mit den meisten akademisch ausgebildeten Fachkräften sein. Diese Erfolgsgeschichte gilt es mit Blick auf die AdressatInnen auch zukünftig abzusichern. Die damit verbundenen Herausforderungen sind vielfältig und konnten an dieser Stelle nur skizziert werden. Einige kann der ASD aus eigener Kraft bewältigen, für andere benötigt er die Unterstützung von außen. Daher wird es für die Zukunftsfähigkeit des ASD auch entscheidend sein, ob es gelingt, für sich selbst und damit für seine Zielgruppen Lobbyarbeit zu betreiben und EntscheidungsträgerInnen aus Politik und Verwaltung für seine Anliegen zu gewinnen, ggf. auch mit aufdeckenden und skandalisierenden Beiträgen und Maßnahmen. Zu wünschen ist, dass der ASD dabei nicht auf Fallmanagement oder/ bzw. Kinderschutz reduziert, sondern in seiner ganzen Aufgabenbreite und Vielschichtigkeit wahrgenommen und weiterentwickelt wird. Prof. Ingrid Gissel-Palkovich Fachhochschule Kiel - University of Applied Sciences Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Sokratesplatz 2 24149 Kiel ingrid.gissel-palkovich@fh-kiel.de 219 uj 5 | 2013 Zukunft des ASD Literatur Becker-Lenz, R./ Müller, S., 2 2009: Die Notwendigkeit von wissenschaftlichem Wissen und die Bedeutung eines professionellen Habitus für die Berufspraxis der Sozialen Arbeit. In: Becker-Lenz u. a. (Hrsg.): Professionalität in der Sozialen Arbeit. Standpunkte, Kontroversen, Perspektiven. Wiesbaden, S. 195 - 221 Bundesarbeitsgemeinschaft Allgemeiner Sozialer Dienst/ Kommunaler Sozialer Dienst (BAG ASD/ KSD), 2010: Auftrag, Aufgaben und Zukunft des ASD/ KSD. www.bag-asd.de, 19. 2. 13, ohne Seitenangabe Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2009: 13. Kinder- und Jugendbericht: Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. 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